Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? - 2

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wenn Wunder geschaͤhen und die tausend Stimmen der Zeit, die fuͤr dich
und an dich gesprochen, dein Ohr nicht erreichen, wenn sie sich
verwandelten und ergoͤßen in eine goͤttliche Stimme, die vom Himmel
riefe: Bauer, hebe dein Kreuz auf und wandle — du wuͤrdest liegen
bleiben und sprechen: das ist hochdeutsch.
Wie er seine Acker vorteilhafter bestellen, seine Geraͤthe brauchbarer
einrichten, nuͤtzlicher dieses und jenes betreiben, wohlfeiler dieses
und jenes haben koͤnne, das lehren ihn Blaͤtter und Schriften, von
Gesellschaften oder Einzelnen herausgegeben, vergebens: er liest sie
nicht. Schlaͤgt man ihm sonstige Verbesserungen und Veraͤnderungen vor,
so schuͤttelt er den Kopf und bleibt starrsinnig beim Alten. _Dat geit
nich, dat wil ik nich, dat kan ik nich, ne dat do ik nich_;
ungluͤckselige, stupide Worte, wie viele beabsichtigte Wohlthaten macht
ihr taͤglich scheitern, habt ihr scheitern gemacht. Unseliger Geist der
Traͤgheit, der hier mit der Sprache Hand in Hand hinschlentert, mit
dieser vereint, durch diese gestaͤrkt allem Neuen und Bewegenden
Feindschaft erklaͤrt. Wann erlebt der Menschenfreund, daß dieses
unsaubere Paar geschieden wird. Wann erscheint die Zeit, wo diese
Eselsbruͤcke zwischen Gestern und Vorgestern abgebrochen wird, wo die
einzig; moͤgliche Verbindungsstraße zwischen der heutigen Civilisation
und dem norddeutschen Bauer, die hochdeutsche Sprache, diesem wahrhaft
zugaͤnglich gemacht wird? Aermster, ich klage dich ja nicht an, ich
bedaure dich ja nur.
Oder muß es so sein, muß der deutsche Bauer ein Klotz, ich sage ein
Klotz bleiben. Ist es sein ewiges Schicksal nur die Plage des Lebens und
nicht deßen Wohlthaten zu genießen? Wird sich nicht einmal seine
enggefurchte Stirn menschlich erheitern, ist es unvereinbar mit seinem
Stande, seinem Loose, gebildeter Mensch zu sein, mit gebildeten Menschen
auf gleichem Fuß zu leben, sich nicht allein mit Spaten und Pflug,
sondern auch mit Kopf und Herzen zu beschaͤftigen?
* * * * *
Das sind sehr exotische Ideen in Niedersachsen! Ich weiß, ich weiß. Ich
will sie aber aussprechen, ich will sie vertheidigen, ich will das
Meinige dazu thun, daß _einheimische_ Ideen, Fragen und Wuͤnsche daraus
werden. Lange genug ist die Bildung ein ausschließliches Vorrecht
einiger Menschen, gewißer Staͤnde gewesen. Das muß aufhoͤren, gebildet
sollen alle Menschen sein, gelehrt wer will. Volksbildung, und nicht
bloß wie bisher Volksunterricht, soll und wird das Ideal, das
Feldgeschrei der Zeit werden. Unsere Gelehrten, unsere Beamte, unsere
guten Koͤpfe unter den Schriftstellern werden ihren Hochmuth fahren
lassen, sich des Volkes erbarmen, und sich einmal erinnern, daß sie
selber in der Mehrzahl aus dem Volke stammen. Noch im vorigen
Jahrhundert gab sich so ein Gelehrter, Philosoph, Dichter, der
vielleicht aus dem dunkelsten Stande geboren war, die laͤcherliche
Miene, als ob er unmittelbar aus dem Haupt des Gottes der Goͤtter
entsprungen sei und den Olymp besser kenne, als das Haus der armen Frau:
die ihn mit Schmerzen geboren und mit Thraͤnen, Sorgen und Entbehrungen
groß gezogen hatte. Kein Dichter stuͤrmte seinen Schmerz und Unmuth
uͤber die Erniedrigung des Volks in die Saiten, kein Gelehrter schaͤmte
und graͤmte sich, die ihm von Natur naͤchsten und liebsten Wesen von
sich getrennt zu sehn durch eine ungeheure geistige Kluft, welche nur
die Bildung der alten und neuen Welt auszufuͤllen vermogte. Lessing
schreibt den Nathan, und beweist, daß der Jude eben so viel Anspruͤche
habe auf den Himmel als der Christ, aber er schreibt nichts, worin er
beweist, daß der Bauer, sein Vetter, eben so viel Anspruͤche habe den
Nathan zu lesen, als der vornehme und gebildete Stadtmensch. Winkelmann
steht am Fuße des Vatikans und erfuͤllt die Welt mit Orakelspruͤchen
uͤber die Schoͤnheiten des Apoll von Belvedere, uͤber das goͤttliche
zornblickende Auge, die geblaͤhten Nasenfluͤgel, die veraͤchtlich
aufgeworfene Unterlippe, „eben hat er den Pfeil abgesandt nach den
Kindern der Niobe, noch ist sein Arm erhoben,“ und im selbigen
Augenblicke vielleicht, als er dieses spricht, hebt sein Vater, ein
armer Altflicker, gedruͤckt und gebuͤckt uͤber den Leisten hingebogen,
Pfriem und Nadel in die Hoͤhe, blickt mit geisttodten, stumpfen Augen
auf einen Kinderschuh und gewaͤhrt den Anblick eines Menschen, gegen den
gehalten der letzte Sclave des Praiteles, der an die Palaͤste der
altroͤmischen Großen wie ein Hund angekettete Thuͤrwaͤchter apollinische
Gestalten waren.
Volksbildung, o das Wort hat einen griechischen Klang in meinen Ohren
und ich muß daher fast bezweifeln, ob es auch von meinen Landsleuten
gehoͤrig verstanden wird. Schulleute und Gelehrte werden schon wissen,
was ich meine, ich brauche nur die Woͤrter zu nennen: γυμναςτιχα,
_studia liberalia, id est_, wie mein alter Schuldirektor glossirend
hinzufuͤgte, _studia libero homine digna_. Fuͤr das groͤßere Publikum
muß ich mich wol zu einer etwas umstaͤndlichern Erklaͤrung anschicken
und besonders fuͤr diejenigen, welche nicht begreifen, wie das Volk
nicht bloß unterrichtet, in Lesen und Schreiben geuͤbt, sondern auch
gebildet werden solle.
Zur Volksbildung, wie zu jeder Bildung gehoͤrt zweierlei, etwas
Negatives und etwas Positives. Sage ich aber vorher, daß ich die Saiten
nicht zu hoch spanne und daß ich so dem natuͤrlichen Muthwillen der
Knaben die ganze koͤrperliche Gymnastik, und der Gunst der Goͤtter ihren
Schoͤnheitssinn, ihre musikalische Praxis und dergleichen uͤberlasse. Im
Negativen ist die Aufgabe der Bildung, die _vis inertiae_ der rohen
Natur vertreiben und bezwingen zu helfen — das Kapitel ist weitlaͤufig —
es besteht aber die _vis inertiae_, die Erbsuͤnde des menschlichen
Geschlechts, darin, daß im Allgemeinen der ungebildete Mensch — was nun
gar der norddeutsche Bauer — Selbstdenken scheut, Vorurtheile pflegt,
fremde Meinungen herleiert, Thier der Gewohnheit, tausendstes Echo,
Sclave von Sclaven ist, besteht, wie schon die Bibel sagt, darin, daß er
Augen hat zu sehen und nicht sieht, Ohren um zu hoͤren und nicht hoͤrt,
besteht, um alles kurz zusammenzufassen, darin, daß er sich seines
eigenen Verstandes, seines eigenen Gefuͤhls, seines eigenen Willens nur
in den wenigsten Augenblicken des Lebens bewußt wird. — Der weichenden
Kraft der Traͤgheit folgt, wie eine elastisch nachdruͤckende Feder, die
allmaͤhlich hervorspringende Kraft der Thaͤtigkeit. Diese soll
beschaͤftigt werden, _angemessenen_ Stoff finden, eine _bestimmte
Richtung_ erhalten. Das ist das Geschaͤft der Bildung im Positiven, das
ist das Saͤen des Weizenkorns, wenn der Acker von Steinen gereinigt, von
unfruchtbarer traͤger Last befreit, durchbrochen, gepfluͤgt und
gefurcht. Trieb, Lust und Kraft zum Verarbeiten des Saamenkorns in sich
spuͤrte. Mensch und Acker, diese beiden uraͤltesten, natuͤrlichsten und
durch den religioͤsen Stil aller heiligen Urkunden gleichsam geweihten
Vergleichungsobjekte, sind sich hauptsaͤchlich darin aͤhnlich, daß der
Schoͤpfer uͤber beide das Wort ausgesprochen hat: erst gepfluͤgt und
dann gesaͤet — erst den starren traͤgen Zusammenhang der Oberflaͤche,
der Gemuͤthsdecke durchbrochen, dann hinein mit dem lieben Korn und —
jedem Feld das seinige nach Art des Beduͤrfnisses, nach Guͤte und
Beschaffenheit des Bodens[4].
Lehrer, wollt ihr mehr als Lehrer, wollt ihr Bildner des Volks sein,
lehrt denken, denken und abermals denken. Gedankenlosigkeit fuͤr eine
Suͤnde, bestraft sie wie einen Fehler, bindet meinetwegen euren
Schuͤlern ein symbolisches Brett vor den Kopf oder stellt sie mit dem
Kopf an die bretterne Wand, oder haͤngt ihnen, wie die Englaͤnder thun,
Eselsohren an, oder setzt sie, wie unsere Alten thaten, mit dem Steiß
auf hoͤlzerne Esel und vor allen Dingen, huͤtet euch, selbst die Esel zu
sein.
Ich bin aber gar nicht gesonnen, bloß den Lehrern _ex professo_ die
Volkserziehung anheim zu stellen — ihnen dieselbe auf den Stuͤcken zu
laden, sollte ich wol sagen, bedenke ich das Loos so vieler tausend
braven Maͤnner, die bei kuͤmmerlichem Brod ihre taͤgliche Noth und Sorge
haben. Nur immer die Lehrer, nur alles auf ihre Kappe, nur alle Sorge,
allen schlechten Erfolg der Erziehung auf ihren Antheil gewaͤlzt. Das
ist bequem, bequem freilich, aber nicht patriotisch. Jeder Patriot ist
gelegentlich und er sucht die Gelegenheit — Erzieher, Bildner der
Menschen, in deren Umgebung er lebt, hier hebt er einen Stein auf, dort
ist sein Wort eine Pflugschaar, welche ein Stuͤck harter Kruste
aufreißt, dort ein Saamenkorn, das sich heimlich und zu einstiger Frucht
in die Spalten des Gemuͤths einsenkt.
Volksbildung, Wunsch meiner Wuͤnsche, Ideal, nicht traͤumerisches,
abgoͤttisches, ruͤckwaͤrts gewandtes, aufwaͤrts in den leeren Himmel
blickendes, ich glaube an Dich; Ideal, das keinem Dichter vielleicht
Stoff zum Besingen gibt, das vielleicht unter der Wuͤrde des
Metaphysikers steht, das die scholastische Zunft Ketzerei schilt und der
Politiker belaͤchelt, Ideal meiner Seele, Ideal aller Patrioten, im
Namen aller spreche ich es aus, ich glaube doch und noch immerfort an
Dich.
Laßt ihr gebildeten Niedersachsen die alten Feudalvorurtheile uͤber den
Stand eurer Bauern die unreifen Ansichten uͤber ihre Bildungsfaͤhigkeit
fallen und fahren; erstere sind so roh, wie leider der Bauernstand jetzt
noch selber, letztere so intellektuell hochmuͤthig, wie man nur immer
von einem Stand exklusiv Gebildeter im und uͤber'm Volk erwarten kann.
Bedenkt aber, was ich sage. Ein Leibnitz, zehn Jahr mit sich allein im
dunkeln feuchten Kerker, kann so dumm und albern werden, daß
Gaͤnsejungen und Kuhhirten ihren Witz an ihm versuchen. Nun, Monaden
sollen unsere Bauern freilich nicht erfinden, Leibnitze nicht werden,
aber doch mit denselben Atomen _ihres Hirns_ uͤber die Erscheinungen in
der Welt, uͤber Natur und Staat ihre Begriffe zusammensetzen, verbinden
und aufloͤsen, Gedanken bilden, Urtheile faͤllen und uͤberhaupt sollen
sie geistige Operationen vornehmen, welche in Leibnitzens Kopf schaͤrfer
oder abstrakt einseitiger durchgefuͤhrt die Lehre von urtheilbaren
beseelten Weltstaͤubchen zum Resultat hatten.
Doch, das alles wird euch ein mecklenburgischer Bauer besser
auseinandersetzen — wenn ihr nach einem Hundert oder Zweihundert Jahren
zu _reveniren_ Gelegenheit finden solltet.
* * * * *
Im vorherigen Abschnitt habe ich besonders oder ausschließlich nur auf
die durch die herrschende plattdeutsche Sprache verhinderte und daher
auch trotz dem Unterricht im Hochdeutschen verfehlte Bildung des
Landmanns Ruͤcksicht genommen[5]. Es ist aber auch schwer, wenn von der
gewerbtreibenden Klasse, der großen Bevoͤlkerung _norddeutscher Staͤdte_
die Rede ist, die Hemmung und Stockung zu verkennen, welche die
plattdeutsche Sprache, wo sie dem taͤglichen Umgang angehoͤrt, uͤber die
Koͤpfe verhaͤngt. Man stoͤßt sich da, wo der Block liegt, nur sind die
Pfaͤhle, welche den engen plattdeutschen Ideenkreis in der Stadt wie auf
dem Lande begrenzen und umpfloͤcken, hier mehr roh, dort mehr
spießbuͤrgerlich abgeschaͤlt und hollaͤndisch uͤberpinselt, das ist der
Unterschied. Doch giebt es besonders aus groͤßeren norddeutschen
Staͤdten, eine erfreuliche Thatsache zu berichten. Viele aus den
mittleren achtbaren Staͤnden, Handwerker u.s.w. haben in neuer und
neuester Zeit angefangen, sich und ihren Familien eine andere Stellung
zur hochdeutschen Sprache und Kultur zu geben, als von ihren Vaͤtern
und Vorfahren eingenommen wurde. Ruͤhmlich ist es, was diese fuͤr ihre
Kinder thun, mit wie viel Opfern sie oft ihren Lieblingen Gelegenheit
verschaffen, sich fuͤr ihren kuͤnftigen Stand so zu befaͤhigen, daß sie
nicht, wie jetzt noch die Meisten aus dieser Klasse, mit leeren Haͤnden
und offenen Maͤulern den Strom der Einsichten, Ideen, Kenntnisse und
Bestrebungen an sich voruͤberrauschen sehen, der Europa, Amerika, die
Welt erfuͤllt. Ruͤhmlich und verstaͤndig zugleich, denn es leitet sie
der richtige Takt in der Beobachtung, daß Besitz und Vermoͤgen in der
Welt immer mobiler werden, daß im raschen Wechsel der Dinge, außer dem
blinden Gluͤck, worauf zu rechnen Thorheit waͤre, Verstand und
Kenntnisse, die aͤchten Magnete sind, um den aus den Taschen der
Erwerbenden und Genießenden lustig hin und her wandernden Besitz
anzuziehen, zusammenzuhalten und zu vermehren.
* * * * *
Waͤhrend der niedersaͤchsische Bauer bis uͤber Kopf und Ohren im
Plattdeutschen steckt, der Buͤrgersmann aber schon anfaͤngt, sich
zwangloser, als bisher, des hochdeutschen Mediums zu bedienen, sollte
man vom Gebildeten _par exellence_, vom Musensohn, vom Beamten des
Staats und der Kirche u.s.w. aussagen duͤrfen, daß er sich mit voͤlliger
Freiheit und Lust in hochdeutscher Sprache und Bildung bewegte und vom
plattdeutschen Idiom nur außer und unter diesem Kreise Gebrauch machte.
Allein die Sache verhaͤlt sich anders. Ich muß in dieser Hinsicht
Gedanken aͤußern, Erfahrungen mittheilen, welche meinem Gegenstande eine
ganz eigentuͤmliche uͤberraschende Wendung geben.
Thatsache ist naͤmlich, daß die plattdeutsche Sprache Haus- und
Familiensprache in Tausenden von Beamtenfamilien, Lieblingssprache auf
allen norddeutschen Universitaͤten ist. Diese Sprache also, die ich als
Schranke alles Strebens und Lebens, als Feindin der Bildung betrachte,
ist dieses so wenig in den Augen vieler meiner Landsleute, daß sie den
vertrautesten Umgang mit ihr pflegen, daß sie ihr, der von Kanzel und
Lehrstuhl und aus guter Gesellschaft laͤngst Vertriebenen, eine
Freistaͤte am Heerde ihres Hauses gewaͤhren.
Hier im Schooß der Familien erscheint sie als Exponentin der innigsten
Verhaͤltnisse. In Scherz und Ernst fuͤhrt sie oft das Wort, sie ist
Vertraute der Gattenliebe, Organ der Kindererziehung, Sprache des
Herzens, Lehrmeisterin der Sitte und praktischer Lebensklugheit. Hier
hat sie auch meistens ihre Rohheiten abgelegt, kehrt die beste Seite
heraus und scheint sich, gleichsam durch ihr Ungluͤck gebessert, des
Vertrauens wuͤrdig zu machen.
Kommt hinzu, daß ihre Schutzherrn nicht selten Maͤnner von Talent, Geist
und Namen sind. Beruͤhmte Lebende koͤnnte ich anfuͤhren, ich begnuͤge
mich den seligen Johann Heinrich Voß zu nennen, der nicht allein in
Eutin, sondern noch in Heidelberg bis an seinen Tod mit Frau, Familie
und norddeutschen Gaͤsten am liebsten und oͤftersten plattdeutsch
sprach.
Das sind Thatsachen. Wie gleiche ich sie aus mit der Behauptung, die
plattdeutsche Sprache sei Feindin der Bildung, des Ideenwechsels, der
geistigen Lebendigkeit; jetzt, da ich selbst nicht umhin konnte, Maͤnner
von Geist und Talent, von Gelehrsamkeit, rastloser Thaͤtigkeit, Maͤnner
wie Voß als plattdeutsche zu bezeichnen?
Freilich, ich koͤnnte den nachteiligen Einfluß der plattdeutschen
Sprache eben nur auf das Volk und die Volksbildung beschraͤnken. Ich
koͤnnte mich etwa, um dem _gebildeten Plattdeutschen_ allen Anstoß aus
dem Wege zu raͤumen, folgendermaßen daruͤber ausdruͤcken: _absolut dem
Geiste lethal_ ist das Plattdeutsche nur, wo hochdeutsch, sanskrit und
boͤhmische Doͤrfer gleich bekannt sind, wie hie und da in Pommern und
Meklenburg; was denn von den groͤßten Freunden des Plattdeutschen
zugegeben werden muͤßte, da gar nicht zu laͤugnen, daß an sich und fuͤr
sich dasselbe nichts Lebendes und Bewegendes enthalte, sondern Todt und
Stillstand selber sei; _geistig hemmend und laͤhmend_ bleibt aber das
Plattdeutsche immer noch aus der Stufe der Gesellschaft, wo ihm zwar
das Hochdeutsche verstaͤndlich naͤher getreten, aber noch als ein
Fremdes gegenuͤber steht; _ohne schaͤdlichen Einfluß und gleichsam
indifferent fuͤr Geist und Bildung_ zeigte sich die plattdeutsche
Sprache, da, wo sie der hochdeutschen nicht als Fremde gegenuͤber steht,
sondern schwesterlich zur Seite geht.
Allein, ich fuͤrchte, _indifferent_ ist ein Ausdruck, der hier schon aus
allgemeinen psychologischen Gruͤnden unstatthaft erscheint. Zwei
Sprachen auf der Zunge sind zwei Seelen im Leibe. Ist die eine Sprache
die geliebtere, die Herzenssprache, so ist die andere, fuͤr welche
Zwecke sie auch aufgespahrt wird, um ihren schoͤnsten Anteil am Menschen
zu kurz gekommen. Sie raͤcht sich, indem sie das nicht zuruͤckgiebt, was
sie nicht empfaͤngt, sie schließt ihre innerste Weihe nicht auf und
laͤßt sich wol als aͤußeres Werkzeug mit großer Kunst und Kuͤnstelei,
aber nicht als zweites Ich mit Liebe und Freiheit gebrauchen.
Der hochdeutschen Sprache verdankt jeder Niedersachse sein veredeltes
Selbst, ihr der aus dem Volk geborne Redner, Dichter, Schriftsteller
sein Alles und Ruf und Namen im Kauf. Kann er ihr sein Herz dafuͤr nicht
zuruͤckschenken, kann er sie nicht zur Sprache seiner haͤuslichen
Freuden und Leiden machen, muß sie verstummen, sobald er gemuͤthlich
wird, so steht sein gebildetes und veredeltes Selbst im geheimen
Kontrast zu seinem intimen Selbst und es wird sich daher auch an seiner
Bildung, an seinen Gedichten, Reden, Schriften diese Einseitigkeit,
dieser Widerspruch offenbaren und nachweisen muͤssen.
Menzel hat's bekanntlich an Johann Heinrich Voß unternommen. Die Stelle
in Menzels Literatur, die Voß betrift, ist bitter, frivol, einseitig,
aber sie ist bedeutend und hat dieselbe nachwirkende Sensation
hervorgebracht, wie das Urtheil uͤber Goͤthe, das freilich noch
einseitiger ausgefallen ist und sich selbst _à la_ Pustkuchen
laͤcherlich machte. Als ich Menzels Worte zum erstenmal las, fuͤhlt ich
mich empoͤrt. Zeig dich nur erst als so einen _niedersaͤchsischen
Bauer_, wie du den Voß zum Spotte nennst, rief ich im Zorn aus; allein
ich mußte mir einen Augenblick darauf selbst sagen, daß diese Anmuthung
an einen Suͤddeutschen weder billig noch selbst einladend genug klang
und daß doch zugleich eben in meinem Ausrufe eine Art von halbem
Zugestaͤndnisse lag. Wirklich hatte ich schon immer eine Ansicht uͤber
Voß als Dichter und Uebersetzer gehegt, die bei aller Achtung Vor dessen
großen, zweifellosen Verdiensten, durchaus nicht nach uͤbertriebener,
philologischer Bewunderung und niedersaͤchsischem Patriotismus roch. Ich
fand, daß er dem Genius der deutschen Sprache von Jahr zu Jahr mehr
Zwang angethan, daß er zu roh und willkuͤhrlich an ihr gezimmert und
losgehaͤmmert und daß kein Deutscher, selbst Voß nicht, solche Woͤrter,
Wendungen und Redensarten in den Mund nehmen konnte, wovon seine
prosaischen und poetischen Schriften voll sind. Gegenwaͤrtig lautet mein
Urtheil vielleicht noch entschiedener. Ich sehe an Johann Heinrich Voß
bestaͤtigt, was ich eben aussprach. Die hochdeutsche Sprache hatte seine
Liebe nicht voͤllig inne, daher erschloß sie ihm nicht ihr eigenes Herz,
ihre Heimlichkeiten und Geheimnisse, ihre jungfraͤuliche Natur, die
Bluͤthe ihres Leibes und Geistes, lauter Gaben und Geschenke, die man im
zaͤrtlichen Umgang freiwillig von der Geliebten eintauscht, nicht aber
durch Willkuͤhr und Zwang ihr abgewinnen kann.
Indem ich dieses allen Gebildeten in Niedersachsen zu bedenken gebe, bin
ich keinesweges abgeneigt, einer patriotisch-wohlmeinenden Stimme aus
ihrer Mitte Aufmerksamkeit zu schenken, welche die Ueberzeugung aͤußert,
der Gebrauch der plattdeutschen Sprache in den Familien gebildeter
Niedersachsen, welchen Einfluß er auch uͤbe auf die intellektuellen
wahren oder ertraͤumten Beduͤrfnisse, auf die verfeinerte Civilisation,
Bildung oder Verbildung der Zeit — ich schattire absichtlich diese
Ausdruͤcke mit dem bekannten Pinsel, der ohne Zweifel aus guter aber
beschraͤnkter Absicht alles was der Gegenwart und der neuesten Zeit
angehoͤrt gegen die gute alte im Schwarzen und Bedenklichen laßt — der
Gebrauch sei ein guter und treflicher in Ruͤcksicht auf den Charakter
der Hausgenossen, weil mit der Sprache der Vaͤter auch ihre alte
ehrliche und treue Sitte, ihre Herzlichkeit, Gradheit und Biederkeit
sich auf die Enkel fortpflanze.
Aufrichtig, du mir immer liebe Stimme, wenn da aus schlichtem,
patriotischem Herzen kommst, ich weiß nicht ob unsere Urgroßvaͤter so
ganz diesem schmeichelhaften Silbe glichen. Es ist sonderbar damit, man
spricht immer von der guten alten Zeit und jedes aussterbende Geschlecht
vermacht die Sage davon an das aufbluͤhende und die gute alte Zeit
selbst laͤßt sich vor keinem sterblichen Auge sehn und ist immer um
einige Stieg Jahre aͤlter, als die aͤltesten lebenden Menschen. Ich muß
laͤcheln, wenn ich an die Verlegenheit wohlmeinender Chronisten und
Geschichtschreiber denke, wenn sie, um das moralische Maͤhrchen nicht zu
Schanden werden zu lassen, sorgenvoll spaͤhende Blicke in die
Vergangenheit werfen, um auch nur einen Zipfel, einen Saum von der
Schleppe der alten Guten oder guten Alten zu erhaschen. Man gebe nur
Acht, wie listig sie sich dabei benehmen. Sie lassen ihr nie unmittelbar
ins Gesicht sehen, sie sagen nicht, nun kommt sie, oder da ist sie; im
Gegentheil wimmeln die Blaͤtter ihrer Geschichte nicht selten eben
vorher von klaͤglichen Zustaͤnden, Schwaͤchen, Lastern und
Erbaͤrmlichkeiten der menschlichen Natur, wenn sie dem Abschluß einer
auserwaͤhlten, kleinen, glaͤnzenden Periode sich naͤhern; dann aber,
wenn der Vorhang faͤllt, die grellen Farben sich schwaͤchen, die boͤsen
Beispiele nicht mehr so lebhaft der Idee von guten Sitten
entgegenarbeiten, wenn das Bild der Zeit abzieht, dann zeigen sie auf
ihren bordirten Saum und rufen dem Zuschauer wehmuͤthig zu, da geht sie,
da geht sie hin die gute alte Zeit und nun werden die jungen Zeiten
anwachsen, ihre Kinder, die sind aber sehr ausgeartet und werden alte
Zeit schlechter. Das man die Geschichte der Sitten von einem ganz andern
Standpunkt und mehr im Großen der Welterscheinungen betrachten muß, das
ahnen die guten Leute nicht.
Fuͤr jeden Einzelnen ist es freilich immer eine Sache der Pietaͤt und
ein wohlthuendes Gefuͤhl, sich seine Vorfahren als durchgaͤngig honette
Leute vorzustellen. Der dunkele Buͤrgerliche oder Baͤuerliche kann
dieser Vorstellung wenigstens ohne großen geschichtlichen Anstoß und
Widerspruch nachhaͤngen, er hat hierin einen Vortheil vor den
beruͤhmtesten Adelsfamilien voraus. So ist in hochdeutschen
buͤrgerlichen Familien die Vorstellung vom Großvater, Urgroßvater als
altdeutschen Degenknopf die herschende und die liebste. Schwaͤcher und
allgemeiner bezeichnet sind die _epitheta ornanti_ fuͤr baͤuerliche
Vorfahren, Degenknoͤpfe kann man sie schicklicherweise nicht nennen und
der Bauerwitz ist bis jetzt noch nicht auf den Einfall gekommen, etwa
die Ausdruͤcke von alten deutschen Piken, Sensen oder Messerscheiden auf
sie anzuwenden. Ueberhaupt ist zu bemerken, daß das Wort deutsch nur
hochdeutsch ist, und im originalen plattdeutsch des gemeinen Lebens
nicht vorkommt, eben so wenig, wie die fruͤherhin angefuͤhrten Woͤrter
Bildung und Verfassung, so daß die Redensart „das gebildete und
verfassungsmaͤßige Deutschland“ in plattdeutscher Sprache noch weniger
als eine Redensart und gar nichts ist.
Nach dieser vorlaͤufigen Verstaͤndigung waͤre zunaͤchst der Hauptsatz
einzuraͤumen, mancherlei alte Sitte geht durch den Gebrauch der
plattdeutschen Sprache auf die Glieder der Familie uͤber, und —
_Folgesatz_ — wird ihnen zeitlebens etwas ausdruͤcken oder anhaͤngen,
was sich nicht wol mit ihrer sonstigen Bildung vereinigen, sich nicht
fuͤr die Zeit und heutige Gesellschaft schicken will — das aber — _Nach-
und Beisatz_ — den Umgang mit dem Volk, das Einwirken auf das Volk zu
erleichtern geeignet sein mag.
Letzteres betrachte ich in der That fuͤr sein unwichtiges Moment. Man
sieht hier den Gebrauch der plattdeutschen Sprache in Prediger- und
Beamtenfamilien unter seinen natuͤrlichsten und vortheilhaftesten
Gesichtspunkt gestellt. Diese Familien, meistens selbst vom Lande und
auf dem Lande besitzen und erregen nicht selten das Vertrauen des
Landmanns und wie es andere Familien zum Beispiel in der Stadt giebt, in
deren Mitte er sich fuͤr verrathen und verkauft halten wuͤrde, so trift
er in jenen gleichsam naͤhere und entfernte Anverwandte und sieht in
deren haͤuslichem Leben wie in einen Spiegel, worin sein eigenes mit
verschoͤnerten Zuͤgen ihm vertraulich entgegentritt.
Doch ist keiner geringen Anzahl von diesen Familien die hoͤchst
dringende Warnung zu ertheilen, vor dem allmaͤhligen herabsinken auf die
baͤuerliche Stufe der Kultur auf der Hut zu sein. Da sich im
Plattdeutschen einmal nichts Gescheutes sprechen laͤßt, so nimmt die
plattdeutsche Gemuͤtlichkeit nur zu leicht den Charakter der Traͤgheit
an. Das Beduͤrfniß bedeutenderer Conversationen, zarterer Beruͤhrungen,
die nur in einer gebildeten Sprache moͤglich sind, regt sich immer
schwaͤcher, die einfache Sitte verwandelt sich in rohe, das Herzliche
ins Laͤppische, das Gerade in's Plumpe, das Derbe in's Ungeschlachte und
es tritt nur zu oft jener traurige Ruͤckschritt der Civilisation ein,
den man Verbauerung nennt. Damit ist dem Bauer auch nicht geholfen, der
Familie, den Kindern noch weniger.
Wer sich also in seiner Neigung und Vorliebe fuͤr das Plattdeutsche im
Haͤuslichen auf einen Heros der deutschen Literatur wie Johann Heinrich
Voß oder einen Pfarrer, wie Klaus Harms zu berufen gedenkt, der thut
wohl, sich zuvoͤrderst die Fragen vorzulegen: bist du des Umschwungs
deines geistigen Raͤderwerks auch so gewiß und sicher, wie jene, laͤufst
du keine Gefahr, dich fuͤr die Wissenschaft abzustumpfen, die Bewegung
der Zeit aus dem Auge zu verlieren; darfst du nicht befuͤrchten, dich
und deine Familie an den Bettelstab des Gedankens zu bringen, deinen
Kindern eine unersaͤtzliche Zeit zu rauben, sie unerzogen in die Welt zu
stoßen und mit deinem ganzen Hause an den untersten Fuß der Civilisation
herabzugleiten?
Das moͤgten doch immer Fragen sein, die einer aͤngstlich gewissenhafter
Beantwortung werth sind.
* * * * *
Aber die plattdeutsche Sprache, ist, wie erwaͤhnt, Lieblingssprache auf
allen norddeutschen Universitaͤten und das wenigstens wird ihr waͤrmster
Freund nicht gut heißen koͤnnen.
Hier tritt sie als gefaͤhrlichste Bundesgenossin aller jener
zahlreichen Uebel und Hemmnisse auf, die sich von Anfang an auf unsere
Universitaͤten verschworen zu haben scheinen, um die Humanitaͤt im Keim
zu ersticken. Hier legt sie die idyllische ehrbare Miene ab, wodurch sie
sich in laͤndlichem Pfarrhause Frau und Toͤchtern empfiehlt, zwanglos
grob, ungenirt gemuͤtlich wandert sie in den Auditorien aus und ein, den
Mund immer offen und nur pausirend, wenn der Professor spricht und der
Student Religionsphilosophie, Metaphysik, Naturlehre und andere
hochdeutsche _sublimia_ in sein Heft eintraͤgt. Zum Teufel ihr Herren
_favete linguis!_ wie kommt die Sprache Boͤotiens in Minervens Tempel.
Ihr koͤnnt freilich antworten, wie kommt Minervens Tempel zu unserer
Universitaͤt, die nur eine alte wankende Ruine aus dem Mittelalter ist.
Recht! aber wo euer Fuß hintritt, da soll Athen sein, geweihter Boden
sein — _soll_, sage ich, denn warum sonst haben die Goͤtter dem
jugendlichen Fuß die Sehne der Ungeduld und des heiligen Zorns
verliehen, die mit einem Tritt zerstampft, was das Alter mit beiden
Haͤnden nicht aus dem Wege schaffen kann, warum anders, als damit ihr
Schoͤneres, Besseres, Heiligeres aus dem Boden zaubern sollt. Ihr
versteht mich nicht? Ich verstehe euch auch nicht, ich verstehe die edle
norddeutsche Jugend nicht, die sich auf dem Musensitz einer Sprache
bedient, die dem Dunkel des Geistes, der Barbarei vergangener Zeiten
angehoͤrt. Macht es dieser Jugend Scherz, ihre eigenen Studien, das
akademische Leben, den duͤrren Scholastizismus und die Pedanterie des
akademischen Instituts zu parodiren, zu travestiren, so sehe ich
allerdings weder großen Uebermuth in diesem Scherze, noch verkenne ich,
wie sehr die plattdeutsche Sprache, ja schon ihr Klang, zu diesem Zweck
sich eignet[6]; allein Scherz muß Scherz, das heißt fluͤchtig und
wechselnd bleiben, und wenn derselbe Scherz und dieselbe Travestie drei
Jahre alt wird, so muß man ein sehr ernsthaftes und langweiliges Gesicht
dazu machen.
Kann man nicht heiter, gesellig, witzig, selbst wenn Lust und Laune
danach, derb und spaßhaft im Element des Hochdeutschen sein. Ist die
Sprache unserer Bauern humoristischer als die Sprache Abrahams a Sancta
Clara, Lichtenberg, Jean Pauls. O ich kenne die niedersaͤchsischen
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