Maaß für Maaß - 3

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euern Bruder aus: Wäre nicht Barmherzigkeit in einer Sünde, die ihr
nur darum begienget, um euers Bruders Leben zu retten?
Isabella.
Schenket ihm das Leben, ich will es auf die Gefahr meiner Seele
nehmen, dann ist gar keine Sünde darinn, sondern blosse
Barmherzigkeit.
Angelo.
Hört mich nur, ihr versteht mich nicht; entweder seyd ihr unwissend,
oder stellt euch so, und das ist nicht gut.
Isabella.
Laßt mich unwissend seyn, und in nichts gut, als in der demüthigen
Erkenntniß, daß ich nicht besser bin.
Angelo.
So wünscht die Weisheit nur desto glänzender zu scheinen, wenn sie
sich selbst tadelt; wie diese schwarze Tücher die eingehüllte
Schönheit zehnmal lauter ankündigen als die enthüllte Schönheit
selbst thun könnte. Aber höret mich, um besser verstanden zu
werden, will ich deutlicher reden; euer Bruder muß sterben.
Isabella.
So.
Angelo.
Und wegen eines Verbrechens, worauf das Gesez diese Strafe gelegt
hat.
Isabella.
Es ist wahr.
Angelo.
Gesezt, es wäre kein ander Mittel ihm das Leben zu retten (ich sage
nicht, daß ich es gelten lassen würde, sondern nur um den Fall zu
sezen) als daß ihr, seine Schwester, wofern jemand euer begehrte,
den sein eigner Plaz oder sein Ansehen bey dem Richter in den Stand
sezte, euern Bruder aus den Fesseln des Gesezes zu befreyen, und
daß kein andres Mittel ihn zu retten wäre, als ihr müßtet entweder
diesem vorausgesezten den Genuß eurer Schönheit überlassen, oder
euern Bruder leiden sehen, was würdet ihr thun?*
{ed.-* Die unrichtige Construction dieser Rede ist im Original,
und man hat sie beybehalten, weil sie die Verwirrung ausdrukt,
worinn sich Angelo in diesem Augenblik befinden mußte.}
Isabella.
Soviel für meinen armen Bruder, als für mich selbst; das ist, wär
ich zum Tode verurtheilt, so wollt ich die Striemen scharfer
Geisseln wie Rubinen tragen, und mich auf die Marterbank mit der
Sehnsucht eines Kranken wie auf ein Ruhbette werfen, eh ich meinen
Leib der Schande preiß geben wollte.
Angelo.
So müßte euer Bruder sterben.
Isabella.
Besser, daß ein Bruder einen einzigen Augenblik sterbe, als daß die
Schwester, um ihn zu retten, ewig sterbe.
Angelo.
Wäret ihr in diesem Falle nicht eben so grausam als das Urtheil,
das ihr so genennt habt?
Isabella.
So wie eine schändliche Ranzion, und eine freye Begnadigung von
zweyerley Häusern sind; so ist auch ganz gewiß nicht die mindeste
Verwandtschaft zwischen einer gesezmäßigen Barmherzigkeit, und
einer lasterhaften Erlösung.
Angelo.
Ihr schienet lezthin das Gesez für einen Tyrannen, und den
Fehltritt euers Bruders eher für eine Kurzweil als für ein
Verbrechen anzusehen.
Isabella.
Verzeihet mir Gnädiger Herr; um zu erhalten was wir suchen, sind
wir oft genöthiget nicht zu sagen, was wir denken. Aus Liebe zu
einem unglüklichen Bruder wünschte ich die That entschuldigen zu
können, die ich verabscheue.
Angelo.
Wir sind alle gebrechlich.
Isabella.
Wär' es nicht so, so möchte mein Bruder immerhin sterben.
Angelo.
Die Weiber sind auch gebrechlich.
Isabella.
Ja, wie die Spiegel, worinn sie sich beschauen; die Weiber! Der
Himmel stehe ihnen bey! Die Männer verderben ihre angebohrne
Unschuld zum Vortheil ihrer Leidenschaften; ja, nennet uns zehenmal
gebrechlich, denn wir sind sanft wie unsre Bildung, und weich genug
jeden fremden Eindruk anzunehmen.
Angelo.
So denke ich auch; und durch das Zeugniß euers eignen Geschlechts
laßt mich kühner werden. Ich halte euch bey euern Worten. Seyd
was ihr seyd, ein Weib; wenn ihr mehr seyd, seyd ihr keines. Seyd
ihr's, wie diese Gestalt auf eine so reizende Art es bezeuget, so
zeiget es izt, indem ihr diese geweyhte Liverey ableget.
Isabella.
Ich habe nur eine Zunge; ich bitte Euer Gnaden, deutlich zu
sprechen.
Angelo.
Ich liebe euch.
Isabella.
Mein Bruder liebte die Juliette, und ihr sagt mir, daß er dafür
sterben müsse.
Angelo.
Er soll nicht sterben, wenn ihr meine Liebe begünstiget.
Isabella.
Ich weiß daß eure Tugend die Freyheit hat, ein wenig schlimmer zu
scheinen als sie ist, um andre auf die Probe zu sezen.
Angelo.
Glaubt mir, auf meine Ehre, meine Worte erklären meine Absicht.
Isabella.
Ha! was für eine Ehre? und was für eine Absicht? O! Schein!
Schein! Ich will dich ausruffen, Angelo; siehe zu! Unterzeichne
mir diesen Augenblik die Begnadigung meines Bruders, oder ich will
so laut als ich schreyen kan, der Welt sagen, was für ein Mann du
bist.
Angelo.
Wer wird dir glauben, Isabella? Mein unbeflekter Name, mein
strenges Leben, mein Ansehen im Staat, mein blosses Zeugniß wider
dich, werden deine Anklage so sehr überwiegen, daß du in deiner
eignen Aussage erstiken und nach Verläumdung stinken wirst. Der
erste Schritt ist gethan, und nun will ich meinem sinnlichen Theil
den Zügel lassen. Bereite dich meiner erhizten Begierde
nachzugeben, lege alle Sprödigkeit, alle diese verzögernden
Erröthungen ab, die das verbannen warum sie bitten; erlöse deinen
Bruder, indem du deinen Leib meinem Willen überlassest; oder er muß
nicht nur den Tod sterben, sondern deine Sprödigkeit soll seinen
Tod durch langsame Martern verlängern. Bringe mir morgen die
Antwort, oder, bey der Leidenschaft, die mich izt beherrschst, ich
will ein Tyrann gegen ihn werden. Was euch betrift, sagt was ihr
könnt; meine Lügen überwiegen eure Wahrheiten.
(Er geht ab.)
Isabella.
Gegen wen soll ich mich beklagen? Würd' ich diß erzählen, wer
würde mir glauben? Ich will zu meinem Bruder gehen. Ob er gleich
durch Antrieb des wallenden Blutes gefallen ist, so hat er doch so
viel Empfindung von Ehre, daß wenn er auch zwanzig Häupter auf
zwanzig Blöke hinzustreken hätte, er eher sie alle hingeben würde,
eh seine Schwester ihren Leib zu einer so schändlichen Beflekung
mißbrauchen lassen sollte. Leb' also keusch, Isabella, und stirb
du, Bruder; unsre Keuschheit ist mehr als unser Bruder; inzwischen
will ich ihm das Zumuthen dieses Angelo kund machen, und ihn
sterben lehren, damit seine Seele leben möge.


Dritter Aufzug.

Erste Scene.
(Das Gefängniß.)
(Der Herzog, Claudio und Kerkermeister treten auf.)

Herzog.
Ihr hofft also Begnadigung von dem Stadthalter Angelo?
Claudio.
Die Unglüklichen haben keine andre Arzney als Hoffnung: Ich hoffe
zu leben, und bin bereitet zum Sterben.
Herzog.
Stellt euch als gewiß vor, daß ihr sterben müßt; Tod oder Leben
wird euch dadurch nur desto süsser werden. Redet so mit dem Leben:
Verliehr ich dich, so verliehr ich ein Ding, das nur von Thoren
hochgeachtet wird; was bist du als ein Hauch, allen Einflüssen der
Elemente unterwürffig, welche diese Wohnung, worinn du dich
aufhältst, stündlich beunruhigen; du bist nichts anders als des
Todes Narr,* du arbeitest, ihm durch deine Flucht zu entgehn, und
rennst ihm immer entgegen; du bist nicht edel, denn du nährst dich
von den verächtlichsten Dingen; du bist nicht dapfer, denn du
fürchtest die kleine und schwache Zange eines armen Wurms; dein
bester Theil ist der Schlaf, du liebest ihn, und fürchtest doch den
Tod, der nichts mehr ist. Du bist nichts Selbstbeständiges, denn
du bestehst durch viele tausend Körner, die aus einem Staub
hervorkeimen; glüklich bist du nicht, denn immer bestrebst du dich,
was du nicht hast zu gewinnen, und zu vergessen was du hast; du
bist nicht gewiß, denn dein Zustand wechselt, wie der Mond; wenn du
reich bist, bist du doch arm, denn du trägst gleich einem mit
Silberstangen beladnen Esel deinen schweren Reichthum nur eine
Tagreise, und der Tod ladet dich ab; Freunde hast du keine, denn
deine eigene Eingeweide, die dich Vater nennen, fluchen dem Podagra,
der Gicht und dem Aussaz, daß sie dir nicht bälder ein Ende machen.
Du hast weder Jugend noch Alter; beydes ist nur ein Traum in
einem nachmittäglichen Schlaf; denn kaum ist das Feuer deiner
Jugend verrochen, so steht sie ab, und bettelt Almosen von dem
gichtbrüchigen Alter; und wenn du alt und reich bist, so hast du
weder Güte, noch Hize, Trieb und Glieder, deines Reichthums froh zu
werden. Was ist denn in diesem allem, das den Namen des Lebens
trägt? Und doch ligen in diesem Leben zehentausend Tode verborgen;
und wir fürchten den Tod, der alle diese seltsamen Dinge eben macht?
{ed.-* Dieses ist eine Anspielung auf gewisse Schauspiele, die in den
barbarischen Zeiten unter dem Namen (Moralitys) in England üblich
waren, worinn die lustige Person und der Tod die Hauptpersonen
waren, und die erste alle nur ersinnliche Kunstgriffe anwenden
mußte, dem lezten, dem sie alle Augenblike in die Hände lief, zu
entgehen.}
Claudio.
Ich danke euch; nun find ich, daß ich, wenn ich zu leben wünsche,
zu sterben suche; und wenn ich den Tod suche, das Leben finde: Laß
es kommen. (Isabella zu den Vorigen.)
Isabella.
Wie? Friede sey mit dieser guten Gesellschaft.
Kerkermeister.
Wer ist da? herein--der Wunsch verdient einen Willkomm.
Herzog.
Mein lieber Herr, ich werde euch in kurzem wieder besuchen.
Claudio.
Ich danke euch, heiliger Vater.
Isabella.
Mein Geschäfte besteht in einem oder zwey Worten mit Claudio.
Kerkermeister.
Von Herzen willkommen. Sehet, mein Herr, hier ist eure Schwester.
Herzog.
Kerkermeister, ein Wort mit euch.
Kerkermeister.
Soviele als euch beliebt.
Herzog (leise.)
Bringet mich an einen Ort, wo ich sie hören kan, ohne daß sie mich
sehen.
(Herzog und Kerkermeister gehen ab.)

Zweyte Scene.

Claudio.
Nun, Schwester, was für einen Trost bringt ihr?
Isabella.
Wie sie alle zu seyn pflegen; einen sehr guten in der That; der
Freyherr Angelo, welcher Geschäfte im Himmel hat, ist entschlossen
euch zu seinem Abgesandten dahin zu machen; macht euch also ohne
Verzug reisefertig, morgen sollt ihr übersezen.
Claudio.
Ist denn kein Mittel?
Isabella.
Keines als solch ein Mittel, das, um einen Kopf zu retten, ein Herz
entzwey brechen würde.
Claudio.
Aber ist denn eines?
Isabella.
Ja, Bruder, ihr könnt bey Leben bleiben; es ist ein Mittel--Aber
eines, daß wenn ihr fähig wäret es zu billigen, eure Ehre sich von
diesem Rumpf, den ihr tragt, abstreifen, und euch nakend lassen
würde.
Claudio.
Und was ist es denn?
Isabella.
O, ich fürchte dich, Claudio, ich fürchte du möchtest, um ein
fieberhaftes Leben zu verlängern, sechs oder sieben Winter theurer
schäzen als eine immerwährende Ehre--Hast du den Muth zu sterben?
Die Empfindung des Todes ist das fürchterlichste an ihm; der arme
Käfer, auf den wir treten, leidet so viel als ein sterbender Riese.
Claudio.
Warum denkst du so schmählich von mir? Haltst du mich für so
schwach, daß ich keiner männlichen Entschliessung fähig seyn
sollte? Wenn ich sterben muß, so will ich der Finsterniß wie einer
Braut entgegen gehn, und sie in meine Arme drüken.
Isabella.
Izt sprach mein Bruder, und eine Stimme stieg aus meines Vaters
Grab empor. Ja, du mußt sterben; du bist zu edel, ein Leben durch
niederträchtige Gefälligkeiten zu erkauffen. Dieser, mit
Heiligkeit übertünchte Stadthalter, dessen gesezte Mine und
wohlbedächtliche Rede der Jugend die Klauen in den Kopf schlägt,
und ihre Thorheiten berupft, wie der Falke die Eule, ist doch nur
ein Teufel, dessen Herz einen Abgrund von Unrath, so tief als die
Hölle, in sich hat.
Claudio.
Der priesterliche Angelo?
Isabella.
O das ist die betrügerische Liverey der Hölle, den verdammtesten
Körper in priesterliches Gewand einzuhüllen. Kanst du glauben,
Claudio, daß wenn ich ihm meine Jungfrauschaft überlassen wollte,
du frey werden könntest?
Claudio.
O Himmel! das kan nicht seyn.
Isabella.
So ist es; diese Nacht ist die Zeit, da ich thun soll, was ich zu
nennen verabscheue, oder morgen stirbst du.
Claudio.
Du sollst es nicht thun.
Isabella.
O! wär' es nur mein Leben, ich wollt es für deine Befreyung so
willig hinwerfen, als eine Steknadel.
Claudio.
Ich danke dir, meine theurste Isabella.
Isabella.
Bereite dich also morgen zu sterben, Claudio.
Claudio.
Ja. So hat er auch solche Begierden, die das Gesez in die Nase
beissen, wenn er es übertreten will--Gewißlich, es ist keine Sünde,
oder es ist doch wenigstens von den sieben Todsünden die lezte.
Isabella.
Was ist die lezte?
Claudio.
Wenn es so verdammlich wäre, würde er, der ein so weiser Mann ist,
um die Lust eines Augenbliks ewig verdammt seyn wollen? O Isabella
--
Isabella.
Was sagt mein Bruder?
Claudio.
Tod ist ein fürchterliches Ding.
Isabella.
Und ein schändliches Leben ein hassenswürdiges.
Claudio.
Ja, aber sterben, und gehn wo man nicht weiß wohin; in kalter
Erstarrung da ligen und verfaulen; diese warme gefühlvolle Bewegung
zum starren Kloz werden, indeß daß der wollustgewohnte Geist sich
in feurigen Fluthen badet, oder in Gegenden von aufgehäuftem Eyß
erstarret, oder in unsichtbare Winde eingekerkert mit rastloser
Gewalt rund um die schwebende Welt getrieben wird; oder noch
unseliger ist als das unseligste, was zügellose und schwärmende
Gedanken heulend sich vorbilden--Das ist entsezlich! Das
armseligste Leben, mit allem Ungemach belastet, was Alter,
Krankheit, Dürftigkeit und Gefangenschaft der Natur auflegen können,
ist ein Paradies gegen das, was wir auf den Tod fürchten.
Isabella.
O weh!
Claudio.
Liebste Schwester, laß mich leben. Wenn das Sünde seyn kan,
wodurch du deines Bruders Leben erkaufst, so spricht die Natur so
nachdrüklich für eine solche That, daß sie zur Tugend wird.
Isabella.
O! du Thier! O! du ehrlose Memme! O! du schändlicher Elender!
Willt du durch mein Verbrechen zum Menschen gemacht werden? Ist es
nicht eine Art von Blutschande, dein Leben von deiner eignen
Schwester Schaam zu empfangen? Was muß ich denken? Möge der
Himmel verhütet haben, daß meine Mutter meinem Vater untreu gewesen;
ein so niederträchtiges Unkraut konnte nicht aus seinem Blut
entstehen. Stirb, vergeh Elender! Könnt ich dich durch einen
blassen Kniefall vom Tod erretten, ich wollt es nicht thun. Ich
will tausend Gebette für deinen Tod sprechen, und nicht ein Wort,
dich zu retten.
Claudio.
Nein, höre mich, Isabella.
Isabella.
O Pfui, Pfui, Pfui, deine Sünde, izt seh ichs, ist kein Fall,
sondern ein Handwerk; Gnade gegen dich würde selbst zur Kupplerin
werden; das beste ist, du sterbest ungesäumt.
Claudio.
O höre mich, Isabella.

Dritte Scene.
(Der Herzog und der Kerkermeister zu den Vorigen.)

Herzog.
Ein Wort mit euch, junge Schwester, nur ein Wort.
Isabella.
Was ist euer Begehren?
Herzog.
Wenn eure Zeit es zuliesse, so möcht ich eine kleine Unterredung
mit euch haben, deren Inhalt zu euerm eignen Besten abzielt.
Isabella.
Ich habe keine überflüßige Zeit; ich muß mein Verweilen andern
Geschäften stehlen; aber doch will ich noch eine Weile hier bleiben,
euch anzuhören.
Herzog.
Sohn, ich habe gehört was zwischen euch und eurer Schwester
vorgegangen ist. Angelo hat nie den Vorsaz gehabt sie zu verführen;
seine Absicht war nur, ihre Tugend auf die Probe zu stellen, und
er ist erfreut daß sie ihn so muthig abgewiesen hat. Ich bin des
Angelo Beichtiger, und weiß daß diß wahr ist; bereitet euch also
zum Tode. Entkräftet eure Entschlossenheit nicht durch betrügliche
Hoffnungen; morgen müßt ihr sterben; auf eure Knie nieder, und
bereitet euch zu!
Claudio.
Laßt mich meine Schwester um Verzeihung bitten. Die Liebe zum
Leben ist mir so vergangen, daß ich froh seyn werde, davon los zu
kommen.
(Claudio geht ab.)
Herzog.
Gehabt euch wohl. Kerkermeister, ein Wort mit euch.
Kerkermeister.
Was ist euer Wille, Vater?
Herzog.
Daß ihr euch ein wenig entfernen sollt; laßt mich eine Weile bey
dieser Schwester; mein Habit und mein Character sind euch Bürge,
daß sie von meiner Gesellschaft nichts zu besorgen hat.
Kerkermeister.
Das kan wohl geschehen.
(Geht ab.)
Herzog.
Das Glük hat es so gefügt, daß ich von dem Anfall, den Angelo auf
eure Tugend gethan hat, benachrichtiget worden bin; und wenn diese
Gebrechlichkeit nicht durch andre Beyspiele begreiflich gemacht
würde, so würde sie mich an Angelo wundern: aber was wollt ihr thun,
diesen Statthalter zu befriedigen, und euern Bruder zu retten?
Isabella.
Ich bin im Begriff ihm meinen Entschluß zu melden; ich will lieber,
mein Bruder sterbe durch das Gesez, als mein Sohn werde gegen das
Gesez gebohren. Aber, o! wie sehr hat sich der gute Herzog in
diesem Angelo betrogen! Wenn er jemals wieder zurük kömmt, und ich
vor ihn kommen kan, so will ich die Sprache verliehren, oder ihm
diese schändliche Regierung entdeken.
Herzog.
Das wird nicht übel gethan seyn; aber so wie die Sache izt steht,
wird Angelo eure Anklage unkräftig machen; er wird sagen, er habe
euch nur auf die Probe gesezt. Höret also meinen Rath; meine
Begierde Gutes zu thun, giebt mir ein Mittel ein: Mich däucht, ihr
könntet auf die unschuldigste Art und zu gleicher Zeit einem armen
beleidigten Frauenzimmer einen Dienst leisten den sie verdient,
euerm Bruder das Leben retten, und euch dem abwesenden Herzog nicht
wenig gefällig machen, wenn er jemals wiederkommen, und von dieser
Sache hören sollte.
Isabella.
Redet weiter; ich habe Muth genug alles zu unternehmen, wovon mein
Herz mir nicht sagt, daß es unrecht ist.
Herzog.
Die Tugend ist herzhaft, und die Güte niemals furchtsam. Habt ihr
nicht von einer gewissen Mariana gehört, einer Schwester des
Schiffhauptmann Friedrichs der auf dem Meer verunglükte?
Isabella.
Ich habe viel Gutes von diesem Frauenzimmer sagen gehört.
Herzog.
Sie sollte dieser Angelo geheurathet haben, er hatte sich mit ihr
versprochen, und der Hochzeit-Tag war schon angesezt: Allein
während der Zwischenzeit hatte Friedrich das Unglük, in einem
Schiffbruch sein Vermögen, seiner Schwester Erbtheil, und sein
Leben zu verliehren. Die arme Fräulein verlor dadurch einen edeln
und angesehnen Bruder der sie zärtlichst liebte, mit ihm ihr
Heurathgut, und mit beyden ihren Bräutigam, diesen scheinbaren
Angelo.
Isabella.
Ist das möglich? Angelo verließ sie?
Herzog.
Verließ sie in Thränen, und troknete nicht eine derselben mit
seinem Trost ab, brach sein Gelübde unter dem Vorwand einige Fleken
an ihrer Ehre entdekt zu haben; kurz, überließ sie ihrem Elend, und
den Schmerzen die sie um seinetwillen leidet--

Isabella.
Wie wohl würde der Tod thun, wenn er dieses arme Mädchen aus der
Welt nähme! Und wie ungerecht ist dieses Leben, daß es einen
solchen Mann leben läßt! Aber wie kan ihr geholfen werden?
Herzog.
Es ist ein Bruch, den ihr leicht heilen könnet; und die Heilung
desselben rettet nicht nur euern Bruder, sondern macht auch daß ihr
ihn ohne Verlezung eurer Ehre retten könnet.
Isabella.
Wie kan das geschehen, mein guter Vater?
Herzog.
Die vorbenannte Person hegt noch immer ihre erste Leidenschaft;
sein ungerechter Kaltsinn, der ihre Liebe billig ausgelöscht haben
sollte, hat sie, gleich einem Hinderniß das dem Lauf eines Stroms
entgegensieht, nur heftiger und unordentlicher gemacht. Geht ihr
zu Angelo, antwortet seinem Begehren durch den Verspruch eines
verstellten Gehorsams; gestehet ihm die Hauptsache zu, nur behaltet
euch diese Bedingungen vor, daß ihr euch nicht lange bey ihm
verweilen müsset, daß die Zeit von Dunkelheit und Stillschweigen
begleitet sey, und der Ort die Bequemlichkeiten habe, die ein
Geheimniß erfodert. Gesteht er euch dieses zu, so geht alles nach
unserm Wunsche; wir unterrichten alsdenn dieses beleidigte Mädchen,
sich zur gesezten Stunde an euern Plaz zu stehlen; dieses kan, wenn
die Wahrheit sich in der Folg' entdekt, ihn nöthigen ihr
Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, euer Bruder kommt dadurch in
Freyheit, eure Ehre bleibt unbeflekt, die arme Mariana wird
versorgt, und dem Stadthalter wird die Larve abgezogen. Ich nehm'
es über mich, das gute Mädchen dazu vorzubereiten; wenn euch dieser
Entwurf sonst gefällt, so braucht ihr euch kein Bedenken zu machen;
das dreyfache Gute das daraus entspringt, macht den Betrug
untadelhaft. Was dünkt euch hiezu?
Isabella.
Die Vorstellung davon beruhigt mich bereits und ich hoffe der
Ausgang werde erfreulich seyn.
Herzog.
Es kommt alles auf euern Beytrag an; eilet unverzüglich zu Angelo;
wenn er euch um diese Nacht bittet, so sagt es ihm zu, unter den
Bedingungen, die wir abgeredt haben. Ich will indessen zu Marianen
gehen; fraget mir bey St. Lucas wieder nach, und macht daß ihr von
Angelo bald zurükkommt.
Isabella.
Ich danke euch für diesen Beystand; lebet wohl indessen, mein guter
Vater.
(Sie gehen ab.)

Vierte Scene.
(Die Straasse.)
(Der Herzog als ein Mönch, Ellbogen, Harlequin, und Stadtbediente.)

Ellbogen.
Was wird noch aus der Welt werden, wenn man euch das Handwerk nicht
legt, Männer und Weiber wie das liebe Vieh zu verkauffen? Fort,
fort, euers Weges--He! Gott grüß euch, guter Pater Bruder.
Herzog.
Und euch, guter Bruder Vater, was hat dieser Mann begangen, mein
Herr?
Ellbogen.
Beym Sapperment, Herr, er hat wider das Gesez gesündiget, und, Herr,
wir glauben er sey ein Dieb dazu, Herr; denn wir haben einen
seltsamen Schlüssel-Haken bey ihm gefunden, Herr, den wir dem
Stadthalter geschikt haben.
Herzog.
Pfui, du Schurke, ein H** Wirth, ein schändlicher H** Wirth! Du
lebst von dem Bösen das du verursachst. Hast du auch einmal daran
gedacht, was das ist, von einem so unflätigen Laster den Magen zu
füllen, oder den Rüken zu kleiden? Sage zu dir selbst: Von ihren
abscheulichen viehischen Betastungen, eß' ich, trink' ich, kleid'
ich mich und lebe. Kanst du das für ein Leben halten, das von
einem so stinkenden Unterhalt abhängt? Geh, beßre dich, beßre dich!
Harlequin.
In der That, es stinkt in gewisser Maasse, Herr; aber doch, Herr,
wollt' ich beweisen können--
Herzog.
Was willt du beweisen? Du bist ein verstokter Bube. Führ ihn in
den Kerker, Commiß; Züchtigung und Unterricht müssen zugleich
würken, um ein so wildes Vieh zahm zu machen.
Ellbogen.
Er muß vor den Stadthalter, Herr; er ist gewarnet worden; der
Stadthalter kan einen H** Wirth nicht leiden. Wenn er ein H**
Wirth ist, und kommt vor den Stadthalter, so wär' es ihm eben so
gut, er wär' eine halbe Stunde weit von ihm.
Harlequin.
Hier kommt ein junger Herr von meinen guten Freunden.

Fünfte Scene.
(Lucio zu den Vorigen.)

Lucio.
Wie gehts, edler Pompey? Wie? in Cäsars Fesseln? Wirst du im
Triumph geführt? Wie? war keine von Pygmalions Statuen, die
kürzlich wieder zu einem Weib gemacht worden*, die man hätte dafür
beym Kopf kriegen können, daß sie die Hand in eine Tasche gestekt,
und eine Faust wieder herausgezogen? He! was sagst du zu dieser
neuen Methode? So gieng es nicht unter der lezten Regierung. Ha?
Was sagst du, Pflastertreter? wie gefällt dir diese neue Welt? Du
wanderst, däucht mich, ins Gefängniß?
{ed.-* Das ist: Die aus der Salivations-Cur gekommen. Warbürton.}
Harlequin.
Ihr habt's errathen, mein Herr.
Lucio.
Das läßt sich hören, Pompey, Glük zu; allenfalls kanst du sagen,
ich habe dich wegen einer Schuld dahin geschikt; oder warum--
Ellbogen.
Weil er ein H** Wirth ist, ein H** Wirth.
Lucio.
Gut, so sezt ihn immer ein; wenn das die Straffe ist die einem H**
Wirth gehört, so geht die Sache in ihrer Ordnung. Ein H** Wirth
ist er, das hat seine Richtigkeit, und das nicht erst von gestern
her; er ist ein gebohrner H** Wirth. Guten Abend, Pompey; mein
Compliment an das Gefängniß, Pompey; ihr werdet nun ein braver
Hausmann werden, Pompey, ihr werdet hübsch das Haus hüten.
Harlequin.
Ich hoffe Euer Gnaden werden Bürge für mich seyn.
Lucio.
Nein, wahrhaftig, das werd ich nicht, Pompey; es verlohnt sich der
Mühe nicht; ich will um die Verlängrung eurer Gefangenschaft bitten;
schikt ihr euch nicht geduldig drein, desto schlimmer für euch;
fahr wohl, ehrlicher Pompey. Guten Abend, Bruder!
Herzog.
Ebenfalls.
Lucio.
Mahlt sich Brigitte noch immer, Pompey? ha?
Ellbogen.
Fort euers Weges, Herr, fort.
Lucio.
Munter, Pompey, es muß schon seyn. Was giebts neues, Frater, was
Neues?
Ellbogen.
Fort, Herr, geht euers Weges.
Lucio.
Geh, in den Stall, Pompey, geh.
(Ellbogen, Harlequin und Bediente geben ab.)

Sechste Scene.

Lucio.
Was giebts neues, Frater, vom Herzog?
Herzog.
Ich weiß nichts; wißt ihr etwas?
Lucio.
Einige sagen, er sey bey dem Rußischen Kayser; andre, er sey in Rom;
aber wo meynt ihr, daß er ist?
Herzog.
Das weiß ich nicht, aber wo er auch seyn mag, wünsch' ich ihm Gutes.
Lucio.
Das war ein wunderlicher Einfall von ihm, sich aus dem Staat
wegzustehlen, und auf der Betteley herumzuziehen, die seines
Handwerks nicht ist. Der Herr Angelo hält indessen hübsch Haus, er
beunruhiget die Uebertretung, daß es nicht auszustehen ist.
Herzog.
Daran thut er wohl.
Lucio.
Ein wenig mehr Gelindigkeit gegen die Galanterie möchte nicht
schaden; in diesem Stük ist er ein wenig zu streng, Bruder.
Herzog.
Ein so verführisches Laster kan nur durch Strenge geheilt werden.
Lucio.
Frater, so lang essen und trinken nicht abgeschaft werden kan, wird
es unmöglich seyn, es ganz auszurotten. Man sagt, dieser Angelo
sey nicht durch den ordentlichen Weg der Natur von einem Mann und
einem Weib entstanden; ist es wahr, was däucht euch?
Herzog.
Wie soll er denn entstanden seyn?
Lucio.
Einige erzählen, eine Wassernixe habe ihn gebrutet; andre, er sey
von zwey Stokfischen gezeugt worden. Soviel ist gewiß, daß wenn er
das Wasser abschlägt, sein Urin gleich zu Eis gefriert; ich weiß
daß es wahr ist, und daß er zur Zeugung unfähig ist, daran ist auch
nicht zu zweifeln.
Herzog.
Ihr scherzet, mein Herr--
Lucio.
Zum Henker, was für eine Unbarmherzigkeit ist es von ihm, um der
Empörung eines H*s*nlazes willen einem ehrlichen Kerl das Leben zu
nehmen? Hätte der abwesende Herzog das gethan? Ehe er jemand, und
wenn es auch um hundert Bastarte willen gewesen wäre, hätte hängen
lassen, ehe hätte er für tausend das Kostgeld aus seinem Beutel
bezahlt. Er liebte das Spiel selbst ein wenig, und das machte ihn
gelinde.
Herzog.
Ich habe nie gehört, daß man den abwesenden Herzog mit Weibsleuten
im Verdacht gehabt hätte; seine Neigung gieng nicht dahin.
Lucio.
O mein Herr, ihr betrügt euch sehr.
Herzog.
Es ist nicht möglich.
Lucio.
Wie? der Herzog nicht? Das alte Mensch, das für euch bettelt,
könnte euch davon sagen; er warf ihr nicht umsonst allemal einen
Ducaten in ihre Büchse. Der Herzog hat seine Schliche. Er liebte
auch den Trunk, das könnt ihr mir glauben.
Herzog.
Gewißlich, ihr thut ihm unrecht.
Lucio.
Herr, ich war ein Vertrauter von ihm; ein schlauer Bursche ist der
Herzog, und ich glaube ich weiß warum er sich entfernt hat.
Herzog.
Ich bitte euch, was mag die Ursache seyn?
Lucio.
Um Vergebung, das ist ein Geheimniß, davon sich nicht reden läßt;
aber so viel kan ich euch zu verstehen geben; der gröste Theil
seiner Unterthanen hielt den Herzog für weise?
Herzog.
Weise? wie, es ist wohl keine Frage, ob er es war.
Lucio.
Ein sehr superficieller, unwissender, unbedächtlicher Geselle.
Herzog.
Entweder ist es Neid, oder Narrheit oder Irrthum daß ihr so redet.
Sein ganzes Leben, und alle seine öffentlichen Handlungen geben ihm
ein besseres Zeugniß; und der Neid selbst muß gestehen, daß er
gelehrt, ein Staatsmann und ein Soldat ist. Ihr sprecht also sehr
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