Maaß für Maaß - 4

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unbesonnen; oder wenn es nicht aus Mangel an Einsicht geschieht, so
verrathet ihr viel Bosheit.
Lucio.
Herr, ich kenn' ihn und ich lieb' ihn.
Herzog.
Ihr würdet ihn besser lieben wenn ihr in kenntet, und ihn besser
kennen wenn ihr ihn liebtet.
Lucio.
Gut, Herr, ich weiß was ich weiß.
Herzog.
Ich kan es schwerlich glauben, da ihr nicht wißt was ihr redet.
Wofern aber der Herzog wieder zurükkommt, so gestattet daß ich von
euch begehre, euch bey ihm zu verantworten. Habt ihr die Wahrheit
gesagt, so werdet ihr auch Herz haben, sie zu behaupten; meine
Schuldigkeit ist, euch dazu aufzufordern, und ich bitte euch
deßwegen um euern Namen.
Lucio.
Herr, mein Name ist Lucio, der Herzog kennt ihn wohl.
Herzog.
Er wird euch noch besser kennen lernen, wenn ich so lange lebe, ihm
Nachricht von euch geben zu können.
Lucio.
Ich fürchte euch nicht.
Herzog.
O! ihr hoft, der Herzog werde nicht wieder kommen, oder ihr bildet
euch ein ich sey ein Gegner, der euch nicht schaden könne; und in
der That, ich werde euch wenig schaden, denn ihr werdet alles was
ihr hier gesagt habt, wieder abschwören.
Lucio.
Erst will ich mich hängen lassen; du kennst mich nicht, Frater.
Doch nichts weiter hievon. Kanst du sagen, ob Claudio morgen
stirbt oder nicht?
Herzog.
Warum sollt' er sterben, mein Herr?
Lucio.
In der That ist es hart, einem darum den Kopf zu nehmen, weil er
die Hosen herunter gelassen hat; denn das ist doch zulezt alles,
was er gethan hat. Ich wollte, der Herzog von dem wir reden, wäre
wieder da; dieser unvermögende Statthalter wird das ganze Land
durch Enthaltsamkeit entvölkern. Er leidet nicht, daß die
Sperlinge in seinem Hause nisten, weil sie Liebhaber vom Paaren
sind. Der Herzog würde Dinge, die im Finstern geschehen, auch im
Finstern ausmachen; er würde sie gewiß nicht ans Licht ziehen. Ich
wollt' er wäre wieder da! Leb' wohl, mein guter Frater; ich bitte
um dein Gebet. Der Herzog, ich sag dir's noch einmal, macht sich
nichts daraus, an einem Freytag von einer Schöpskeule zu essen;
seine Zeit ist noch nicht vorbey; ich versichre dich, er würde eine
Bettlerin schnäbeln, wenn sie gleich nach schwarz Brot und
Knoblauch röche. Sag, ich hab' es gesagt, und gehab dich wohl.
(Lucio geht ab.)
Herzog.
Weder Macht noch Hoheit kan dem Tadel entgehen, und die hinterrüks
verwundende Verläumdung scheuet sich nicht, die weisseste Tugend
anzugeifern.

Siebende Scene.
(Escalus, Kerkermeister, Kupplerin, und Stadtbediente.)

Escalus.
Geht, führt sie ins Gefängniß.
Kupplerin.
Ach, Gnädiger Herr, schonet meiner; Euer Gnaden wird von jedermann
für einen so mitleidigen Herrn gehalten! Ach mein gütiger Herr!
Escalus.
Doppelt, dreyfach gewarnt werden, und doch immer in dem gleichen
Verbrechen fortzufahren--das könnte die Gnade selbst zum Tyrannen
machen.
Kerkermeister.
Eine H** Wirthin, die das Handwerk eilf ganzer Jahre hinter
einander treibt, mit Euer Gnaden Erlaubniß.
Kupplerin.
Gnädiger Herr, das geschieht alles auf Anstiften eines gewissen
Lucio; Jungfer Käthchen Legdich wurde schwanger von ihm, in des
Herzogs Zeiten; er versprach ihr die Ehe; sein Kind ist auf
nächsten Philippi und Jacobi fünf Virtheil Jahr alt; ich hab es
selbst unterhalten, und das ist nun der Dank den er mir davor giebt.
Escalus.
Dieser Lucio ist ein sehr ausgelassener Bursche; laßt ihn vor uns
ruffen. Weg mit ihr ins Gefängniß; fort, fort, keine Worte mehr.
(Sie gehen mit der Kupplerin ab.)
Kerkermeister, mein Bruder Angelo läßt sich nicht überreden;
Claudio muß morgen sterben, versorget ihn mit Geistlichen, und mit
allem was er zu seiner Vorbereitung nöthig hat. Wenn mein
Mitleiden ihm etwas helfen könnte, sollte es nicht so seyn.
Kerkermeister.
Dieser Franciscaner ist bey ihm gewesen, und hat ihn zum Tod
vorbereitet.
Escalus.
Guten Abend, Vater.
Herzog.
Heil und Segen sey mit euch!
Escalus.
Woher seyd ihr?
Herzog.
Nicht aus diesem Land, ob es mich gleich getroffen hat, eine
Zeitlang mich darinn aufzuhalten; ich bin ein Bruder aus einem
gesegneten Orden, und vor kurzem mit einem besondern Auftrag von
seiner Heiligkeit über das Meer gekommen.
Escalus.
Was giebt es Neues in der Welt?
Herzog.
Nichts, als eine Neuigkeit die so alt ist als die Welt, und die
doch die Neuigkeit jedes Tages ist, daß die Tugend siech und das
Laster munter, und daß es leichter ist, das Böse zu strafen als
selbst unverwerflich zu seyn. Ich bitte euch, mein Herr, von was
für einer Denkungsart war der Herzog?
Escalus.
Von einer, die sich nichts angelegner seyn läßt, als sich selbst zu
kennen.
Herzog.
Was für einem Vergnügen war er ergeben?
Escalus.
Wenn er sich über etwas freute, so war es mehr über die Freude
andrer Leute, als daß er an irgend etwas, das ihn belustigen wollte,
eine sonderliche Lust gehabt hätte. Doch wir wollen ihn seinen
Geschäften überlassen, und nur bitten, daß sie glüklich seyn mögen;
erlaubet mir euch zu fragen, wie findet ihr den Claudio
vorbereitet? Ich höre, daß ihr ihn besucht habt.
Herzog.
Er bekennt, daß ihm sein Richter nicht zuviel gethan habe, und
ergiebt sich mit gelaßner Demuth in den Willen der Gerechtigkeit;
doch hat er Schwachheit genug gehabt, sich allerley betrügliche
Hoffnungen zum Leben zu machen, die ich ihm aber so benommen habe,
daß er izt entschlossen ist zu sterben.
Escalus.
Ihr habt gegen den Himmel und den Gefangnen die Pflichten euers
Berufs erfüllt. Ich habe mir für den armen Edelmann so viel Mühe
gegeben, als es die Bescheidenheit zuließ; allein ich habe meinen
Collegen Angelo so strenge gefunden, daß er mich genöthiget hat ihm
zu sagen, er sey in der That die Gerechtigkeit selbst.
Herzog.
Wenn sein eignes Leben mit der Strenge seines Richter-Amts
übereinstimmt, wird es ihm wohl bekommen; wo nicht, so hat er sich
selbst das Urtheil gesprochen.
Escalus.
Ich gehe den Gefangnen zu besuchen; lebet wohl.
(Er geht ab.)

Achte Scene.
(Der Herzog allein.)

Herzog.
Wer das Schwerdt des Himmels tragen will, soll eben so heilig und
unverwerflich seyn als er streng ist. Schaam über den, dessen
tyrannische Hand die Verbrechen an andern bestraft, die er sich
selbst nachsieht; dreyfache Schaam über Angelo, der andrer Laster
ausreutet, und die seinigen wachsen läßt. O! was für Unrath kan
in einem Menschen verborgen seyn, wenn er von aussen gleich ein
Engel scheint! Wie leicht ist's dem Laster, unter dieser Gestalt,
die Welt und die Zeit selbst zu betrügen, und mit schwachen
Spinnenfaden die gewichtigsten Dinge, Reichthum, Macht und Ehre, an
sich zu ziehen. Ich muß List gegen Laster gebrauchen. Diese Nacht
soll seine ehmalige verlaßne und verschmähte Braut bey dem Angelo
ligen, um durch einen unschuldigen Betrug die keusche Unschuld zu
befreyen, und einen alten Eheverspruch gültig zu machen.


Vierter Aufzug.

Erste Scene.
(Eine Scheuer.)
(Mariane und ein kleiner Knabe treten singend auf.
Der Herzog als ein Franciscaner-Mönch kommt dazu.)

Mariane.
Hör auf zu singen, und begieb dich eilends hinweg. Hier kommt ein
Mann des Trostes, dessen Zuspruch schon oft meinen murrenden Kummer
gestillet hat--
(Zum Herzog.)
Ich bitte euch um Vergebung, mein ehrwürdiger Herr, und wünschte,
daß ihr mich hier nicht so musicalisch angetroffen hättet;
entschuldiget mich und glaubet mir, diese erzwungne Frölichkeit ist
nur ein schwaches Lindrungsmittel meines Schmerzens.
Herzog.
Es ist gut; obgleich die Musik oft eine so zaubrische Kraft hat,
daß sie das Böse gut und das Gute böse machen kan. Ich bitte euch,
hat niemand hier nach mir gefragt; es wird schon über die Zeit seyn,
da ich versprochen habe, mit jemand an diesem Orte zusammen zu
kommen.
Mariane.
Es hat niemand bey mir nach euch gefragt, ob ich gleich den ganzen
Tag hier gesessen bin. (Isabella kommt.)
Herzog.
Ich glaube euch in allen Sachen;--Die Zeit ist gekommen, eben izt--
Ich muß euch um ein wenig Geduld bitten; ich werde euch sogleich
wieder zurük rufen, um von einer Sache mit euch zu sprechen, die zu
euerm Besten abgezielt ist.
Mariane.
Ich werde euern Befehl erwarten.
(Sie geht ab.)

Zweyte Scene.

Herzog.
Willkommen, Isabella, ihr haltet euer Wort genau; was giebt es
Neues von dem ehrlichen Stadthalter?
Isabella.
Er hat einen Garten, der mit einer Mauer von Ziegelsteinen
eingeschlossen ist, und an der West-Seite an einen Weinberg stößt;
hier ist der Schlüssel, der das Thor in diesen Weinberg aufschließt;
und hier ein andrer, der eine kleine Thür öffnet, die aus dem
Weinberg in den Garten führt. Hier habe ich versprochen, in der
finstern Mitternacht ihm einen Besuch zu geben.
Herzog.
Aber seyd ihr auch gewiß, den Weg zu finden?
Isabella.
Er hat mir denselben mit einer so grossen Sorgfalt zu wiederholten
malen gezeigt, daß ich ihn ganz genau angeben kan.
Herzog.
Sind keine andre Verabredungen zwischen euch genommen worden, die
das Frauenzimmer wissen muß, das eure Stelle vertreten wird?
Isabella.
Keine andre, als daß die Zusammenkunft im Finstern geschehen soll;
und daß ich ihm beygebracht, mein Aufenthalt könne nur sehr kurz
seyn, indem ich mit einer Magd kommen werde, die, in der Meynung,
daß ich eine heimliche Zusammenkunft mit meinem Bruder habe, auf
mich warten solle.
Herzog.
Das ist wohl ausgesonnen. Aber ich habe Marianen noch kein Wort
von der Sache entdekt. Ha! kommt heraus, wenn es euch beliebt!

Dritte Scene.
(Mariane zu den Vorigen.)
Herzog (zu Isabella.)
Ich bitte euch, macht Bekanntschaft mit diesem jungen Frauenzimmer;
sie kommt, euch Gutes zu thun.
Isabella.
Ich wünsche, daß es zu ihrem eignen Besten ausschlage.
Herzog (zu Mariane.)
Seyd ihr überzeugt, daß ich euch hoch schäze?
Mariane.
Mein gütiger Vater, ich bin vollkommen überzeugt, und habe Proben
davon.
Herzog.
So nehmt dann diese eure Freundin bey der Hand, und höret die
Geschichte, die sie euch zu erzählen hat; ich will hier auf eure
Zurükkunft warten; aber beschleuniget euch; die Nacht bricht an.
(Mariane und Isabella gehen ab.)
Herzog (allein.)
* O Macht und Grösse. Millionen falscher Augen sind auf dich
geheftet; ganze Bände voll unächter und widersprechender
Nachrichten verfälschen deine Thaten; und tausend halbkluge
Wizlinge machen dich zum Vater ihrer müssigen Träume, und foltern
dich in ihrer Einbildung--Willkommen! Wie versteht ihr euch mit
einander?
{ed.-* Diese Rede, die augenscheinlicher Weise keinen
begreiflichen Zusammenhang mit dem Inhalt dieser Scene hat, gehört,
nach des Dr. Warbürtons Meynung, zum Schluß der Scene zwischen
Lucio und dem Herzog in dem vorigen Aufzug; und ist, wie er glaubt,
von den Schauspielern, die es nicht so genau zu nehmen pflegen,
hieher versezt worden, damit der Herzog in der Abwesenheit der
beyden Damen keine lange Weile habe.}

Vierte Scene.
(Mariane und Isabella kommen zurük.)

Isabella.
Sie will die Verrichtung auf sich nehmen, wenn ihr nichts dawider
einzuwenden habt, Vater.
Herzog.
Ich gebe nicht nur meine Einwilligung, sondern ich bitte euch darum.
Isabella.
Wenn ihr euch wieder wegbegebet, so braucht ihr ihm nichts zu sagen,
als mit leiser Stimme: ("Erinnert euch nun meines Bruders.")
Mariane.
Seyd unbekümmert--
Herzog.
Auch seyd ihr es nicht um euer selbst willen, meine liebe Tochter.
Ein gültiger Eheverspruch macht ihn zu euerm Gemahl, und es ist
also keine Sünde euch so zusammen zu bringen, indem die
Gerechtigkeit euers Anspruchs an ihn den Betrug unschuldig macht.
Kommt, laßt uns gehen; wir haben das wichtigste noch vor uns.
(Sie gehen ab.)

Fünfte Scene.
(Das Gefängniß.)
(Der Kerkermeister und Harlequin.)

Kerkermeister.
Hieher, Bursche, könnt ihr einem Mann den Kopf abschlagen?
Harlequin.
Wenn der Mann ein Junggeselle ist, Herr, so kan ich's; wenn er aber
ein Ehemann ist, so ist er seines Weibes Haupt; und ich kan
unmöglich einem Weibsbild den Kopf abschlagen.*
{ed.-* Der Spaß ligt hier in einem Wortspiel, das
sich nicht übersezen läßt.}
Kerkermeister.
Laßt eure Schäkereyen, Herr, und gebt mir eine gescheidte Antwort.
Morgen früh sollen Claudio und Bernardin sterben; wir haben hier in
diesem Gefängniß einen öffentlichen Scharfrichter, der einen
Gehülfen nöthig hat; wenn ihr euch entschliessen wollt, dieser
Gehülfe zu seyn, so wird es euch von euern Fesseln frey machen; wo
nicht, so macht euch gefaßt eure volle Zeit im Gefängniß
auszuhalten, und bey eurer Entlassung eine unbarmherzige Tracht
Prügel mit auf den Weg zu bekommen; denn ihr wißt, daß ihr ein
stadtkündiger H** Wirth gewesen seyd.
Harlequin.
Herr, ich bin ein unehrlicher H** Wirth gewesen; doch, das ist nun
vorbey, und man redt nicht gerne davon; ich bin es zufrieden, nun
ein ehrlicher Henker zu werden; es wird mir ein Vergnügen seyn,
einigen Unterricht von meinem Herrn Collegen zu erhalten.
Kerkermeister.
Holla, Abhorson! Wo ist Abhorson? (Abhorson kommt.)
Abhorson.
Ruft ihr mir, mein Herr?
Kerkermeister.
Hier ist ein Kerl, der euch morgen bey Hinrichtung der
Verurtheilten helfen will; wenn ihr es gut findet, so vergleicht
euch mit ihm für ein Jahr, und behaltet ihn hier bey euch; wo nicht,
so braucht ihn für diesesmal, und laßt ihn wieder seines Weges
gehen. Er kan sich nicht beschweren, daß er mit euch in die
gleiche Linie gestellt wird; er ist ein H** Wirth gewesen.
Abhorson.
Ein H** Wirth, mein Herr? Pfui, er wird unsre Kunst in einen bösen
Ruf bringen.
Kerkermeister.
Geht, geht, und macht euch keinen Scrupel; ihr wägt gleich viel;
eine Feder würde die Wagschalen verrüken.
(Er geht ab.)
Harlequin (zu Abhorson.)
Ich bitte euch, mein Herr, mit eurer Erlaubniß, nennt ihr eure
Beschäftigung eine Kunst?
Abhorson.
Ja, Herr, eine Kunst.
Harlequin.
Mahlen, Herr, hab ich sagen gehört, ist eine Kunst, und da eure H**,
welche sich sehr gut auf das Mahlen verstehen, Mitglieder meiner
Zunft sind, so ist also bewiesen, daß meine Beschäftigung eine
Kunst ist; aber was für eine Kunst--im Hängen seyn sollte, wenn ich
gehenkt würde, kan ich mir nicht vorstellen--
** (Der Kerkermeister kommt zurük.)
{ed.-** Hier ist, nach Herrn Warbürtons Anmerkung, eine ziemliche
Lüke im Original, welche auch die zwey Reden, die noch übrig sind,
ganz unverständlich macht. Es verlohnt sich der Mühe nicht, diese
Scene ergänzen zu wollen, da sie selbst nach Warbürtons darauf
übelangewandter Arbeit ein abgeschmaktes Gewebe von albernen
Wortspielen bleibt.}
Kerkermeister.
Seyd ihr mit einander übereingekommen?
Harlequin.
Herr, ich bin entschlossen, sein Knecht zu seyn; denn es däucht
mich, ein Henker zu seyn ist ein bußfertigeres Gewerbe als ein H**
Wirth zu seyn; er bittet öfter um Verzeihung.
Kerkermeister.
Macht euern Blok und euer Beil zu rechte, bis morgen um vier Uhr.
Abhorson.
Komme mit, H**bube, ich will dir zeigen wie du dich zu deinem neuen
Handwerk anschiken must; folge mir.
Harlequin.
Ich bin sehr lehrbegierig, Herr; und ich hoffe, wenn ihr etwann
Gelegenheit bekommen solltet, mich für euch selbst zu gebrauchen,
ihr werdet mich eifrig finden; Eure Gewogenheit für mich verdient
wahrhaftig keine geringere Dankbarkeit von meiner Seiten.
(Sie gehen ab.)
Kerkermeister.
Ruft Claudio und Bernardin hieher; mit dem einen hab' ich Mitleiden;
mit dem andren, der ein Mörder ist, nicht ein Jot, und wenn er
mein Bruder wäre.

Sechste Scene.
(Claudio kommt herein.)

Kerkermeister.
Siehe hier, Claudio, dein Todesurtheil; es ist izt Mitternacht, und
bis morgen um acht Uhr must du unsterblich gemacht werden. Wo ist
Bernardin?
Claudio.
So stark vom Schlaf gefesselt als ob er unschuldig wäre, und nichts
zu befürchten hätte. Er wird nicht aufzuweken seyn.
Kerkermeister.
Und was würd' es ihm auch helfen; er ist ein verhärteter Bube--Gut,
begebt euch wieder weg und bereitet euch.
(Claudio geht ab.)
Still! was für ein Getöse ist das?--der Himmel stärke euch!--Ich
komme--Hoffentlich ist es Begnadigung, oder doch einiger Aufschub
für den wakern Claudio--Willkommen, Vater. (Der Herzog kommt
herein.)
Herzog.
Die besten und heilsamsten Geister der Nacht steigen auf euch herab,
wakrer Kerkermeister! Wer klopfte seit einiger Zeit hier an?
Kerkermeister.
Niemand, seitdem die Nachtgloke geläutet worden.
Herzog.
Nicht Isabella?
Kerkermeister.
Nein.
Herzog.
So wird sie doch nicht lange mehr ausbleiben.
Kerkermeister.
Was für Hoffnung haben wir für den Claudio?
Herzog.
Es ist noch nicht alle verlohren.
Kerkermeister.
Der Statthalter ist ein harter Mann.
Herzog.
Nicht so, nicht so; sein Leben lauft mit seiner strengen
Gerechtigkeit in gleicher Linie: Mit der Enthaltung eines Heiligen
bezwingt er den Trieb in ihm selbst, dessen Ausschweiffungen sein
Amt an andern strafen muß. Ja, dann wenn er selbst ausübte, was er
an andern straft, dann wär' er tyrannisch; aber so wie er ist, ist
er gerecht--Nun kommen sie.
(Man hört an der Thüre klopfen. Der Kerkermeister geht hinaus.)
Dieser Kerkermeister ist ein wakrer Mann; es ist etwas seltnes an
einem Mann von seinem Beruf, ein Menschenfreund zu seyn. Aber was
giebts? Was für ein Getöse? Das muß ein hastiger Geist seyn, der
so ungestüm an der Thüre pocht. (Der Kerkermeister kommt zurük.)
Kerkermeister.
Er kan warten, bis der Wächter wieder kommt, der ihn hineinführen
soll; er ist abgeruffen worden.
Herzog.
Habt ihr noch keinen Gegenbefehl wegen des Claudio? Muß er morgen
sterben?
Kerkermeister.
Keinen, ehrwürdiger Herr, keinen.
Herzog.
Es fängt schon an zu dämmern, Kerkermeister; ihr werdet, eh es
Morgen seyn wird, mehr hören.
Kerkermeister.
Wie glüklich wär's, wenn ihr etwas wißtet; aber ich fürchte, es
kommt kein Gegenbefehl; wir haben kein solch Exempel; und zudem, so
hat der Stadthalter, auf dem Thron der Gerechtigkeit selbst, und
vor den Ohren des ganzen Volks das Gegentheil versichert.

Siebende Scene.
(Ein Bote zu den Vorigen.)

Herzog.
Dieses ist einer von Sr. Gnaden Bedienten.
Kerkermeister.
Und hier kommt Claudios Begnadigung.
Bote.
Mein Gnädiger Herr überschikt euch diesen schriftlichen Befehl, und
durch mich diesen mündlichen Zusaz, daß ihr nicht von dem kleinsten
Theil desselben abweichen sollt, weder was die Zeit, noch die
andern Umstände betrift. Guten Morgen, denn ich denke, es ist
beynahe Tag.
Kerkermeister.
Ich werde gehorchen.
(Der Bote geht.)
Herzog (für sich.)
Diß ist seine Begnadigung; Angelo findet billig eine Sünde zu
vergeben die er selbst begeht--Nun, mein Herr, was habt ihr Neues?
Kerkermeister.
Was ich euch sagte; Angelo, der mich vermuthlich für nachläßig in
meinem Dienst ansieht, erwekt mich durch dieses ungewöhnliche
Betreiben; ich begreiffe nicht was es zu bedeuten hat; denn er hat
es noch niemals so gemacht.
Herzog.
Ich bitte euch, laßt mich's hören.
Der Kerkermeister (lißt den Befehl.)
"Alles was ihr auch diesem meinem Befehl widersprechendes hören
möget, ungeachtet, lasset den Claudio morgen um vier Uhr hinrichten,
und des Nachmittags den Bernardin; und zu meiner bessern
Versicherung sorget dafür, daß mir der Kopf des Claudio um fünf Uhr
zugeschikt werde. Laßt dieses gehörig vollzogen werden, und
beobachtet hierinn eine noch grössere Sorgfalt als wir euch
anbefohlen. Eure eigne Gefahr soll uns für die Ausübung eurer
Pflicht Bürge seyn." Was sagt ihr hiezu, mein Herr?
Herzog.
Wer ist dieser Bernardin, der Nachmittags hingerichtet werden soll?
Kerkermeister.
Ein gebohrner Zigeuner, der aber hier zu Lande erzogen worden, und
schon neun Jahre gefangen ligt.
Herzog.
Wie kam es, daß der abwesende Herzog ihn nicht entweder in Freyheit
sezte, oder hinrichten ließ? Ich hörte, es sey allezeit sein
Gebrauch gewesen, es so zu machen.
Kerkermeister.
Seine Freunde würkten immer einen Aufschub nach dem andern aus; und
in der That, kam sein Verbrechen, bis izo in der Regierung des
Freyherrn Angelo, zu keinem vollständigen Beweis.
Herzog.
Es ist also nun erwiesen?
Kerkermeister.
Vollkommen erwiesen, und von ihm selbst nicht geläugnet.
Herzog.
Wie hat er sich im Gefängniß aufgeführt? Scheint er gerührt zu
seyn?
Kerkermeister.
Er ist ein Mann, der sich nicht mehr vor dem Tod fürchtet, als vor
einem trunknen Schlaf; ohne Reue, ohne Kummer und ohne Furcht vor
irgend etwas Vergangnem, Gegenwärtigen oder Zukünftigen,
unempfindlich gegen die Unsterblichkeit, und auf eine viehische Art
sterblich.
Herzog.
Es mangelt ihm an Unterricht.
Kerkermeister.
Er nimmt keinen an; er hat im Gefängniß allezeit viel Freyheit
gehabt; man könnte ihm erlauben, zu entwischen, ohne daß er es thun
würde; er ist die meiste Zeit vom Tag, und oft ganze Tage
hintereinander betrunken. Wir haben ihn oft aufgewekt, als ob wir
ihn zur Hinrichtung führen wollten, und ihm alle Zurüstungen dazu
gezeigt, ohne daß es ihn im mindesten bewegt hat.
Herzog.
Hernach ein mehrers von ihm. Kerkermeister, Redlichkeit und
Standhaftigkeit sind auf eure Stirne geschrieben; wenn ich nicht
recht lese, so betrügt mich eine Kunst, in der ich einige
Erfahrenheit habe. Ich will mich selbst auf diese gute Meynung hin
wagen. Claudio, zu dessen Hinrichtung ihr hier einen Befehl habt,
ist kein grösserer Sünder gegen das Gesez als Angelo, der ihn
verurtheilt hat. Um euch hievon durch eine augenscheinliche Probe
zu überzeugen, verlange ich nur vier Tage Zeit; für welche ich euch
um eine eben so verbindliche als gefährliche Gefälligkeit ersuche.
Kerkermeister.
Und worinn besteht sie, ich bitte euch.
Herzog.
Den Tod des Claudio aufzuschieben.
Kerkermeister.
Aber wie kan ichs, da mir die Stunde vorgeschrieben, und der
ausdrükliche Befehl bey angedrohter Straffe gegeben ist, sein Haupt
dem Angelo vor Augen zu bringen? Die Ueberschreitung des kleinsten
Umstands könnte mir das Schiksal des Claudio zuziehen.
Herzog.
Bey meinem Ordens-Gelübde, ich steh euch für alles, wenn ihr meinem
Rath Gehör geben wollt. Laßt diesen Bernardin morgen hingerichtet
werden, und schiket dem Angelo seinen Kopf statt Claudios.
Kerkermeister.
Angelo hat beyde gesehen, und wird den Betrug entdeken.
Herzog.
O! besorget das nicht, der Tod ist ein Meister im Verstellen, und
ihr könnt ihm noch helfen, die Unkenntlichkeit vollkommen zu machen;
scheert ihm den Kopf glatt und den Bart weg, und sagt, der arme
Sünder hab' es vor seinem Ende so haben wollen; ihr wißt, daß es
gewöhnlich ist. Wenn ihr irgend etwas anders davon haben werdet,
als Dank und gutes Glük, so will ich, bey dem Heiligen, von dessen
Familie ich bin, es mit meinem Leben von euch abwenden.
Kerkermeister.
Verzeihet mir, mein guter Vater, es ist wider meinen Eid.
Herzog.
Habt ihr dem Herzog geschworen, oder seinem Stadthalter?
Kerkermeister.
Dem Herzog, und allen die seine Stelle vertreten würden.
Herzog.
Wollt ihr glauben, daß ihr euch nicht vergehet, wenn der Herzog
diese Handlung billiget?
Kerkermeister.
Wie kan er das, da er abwesend ist?
Herzog.
Er kan es, weil er es würklich thut; da ich sehe daß ihr so
furchtsam seyd, daß weder mein Habit, noch meine Redlichkeit, noch
meine Ueberredung euch bewegen können, so will ich weiter gehen,
als ich im Sinn hatte, um alle Furcht in euch auszureuten. Sehet,
mein Herr, hier ist des Herzogs Hand und Sigel; ihr kennt ohne
Zweifel seine Hand, und das Signet wird euch auch nicht fremde seyn.
Kerkermeister.
Ich erkenne beydes.
Herzog.
Der Inhalt dieses Briefs ist die Wiederkunft des Herzogs. Ihr
sollt ihn hernach bey Musse ganz durchlesen, ihr werdet finden, daß
er binnen diesen zween Tagen hier seyn wird. Diß ist ein Umstand,
den Angelo nicht weiß, denn diesen heutigen Tag erhält er Briefe
von seltsamem Inhalt; vielleicht von des Herzogs Tod; vielleicht
daß er in ein Kloster gegangen sey; aber, zum Glük, nichts von dem
was hier geschrieben ist. Seht, der Morgen bricht schon an.
Hänget der Verwundrung nicht nach, wie diese Dinge zugehen; alle
Schwierigkeiten sind nur leicht, wenn man sie kennt. Ruft euern
Nachrichter, und weg mit Bernardins Kopf; ich will sogleich seine
Beichte hören, und ihm dann an einen bessern Ort Anweisung geben.
Ich sehe daß ihr noch erstaunt seyd, aber dieses hier muß euch
schlechterdings zum Entschluß bringen. Kommt mit mir, es ist schon
beynahe heitrer Tag.

Achte Scene.
(Harlequin tritt auf.)

Harlequin.
Ich bin hier so bekannt als ob ich daheim wäre; einer möchte denken,
es wäre Frau Overdons eignes Haus, soviel von ihren alten
Kundsleuten trift man hier an. Fürs erste ist hier der junge Herr
Rasch, wegen einer Kleinigkeit von braunem Pfeffer und altem Ingwer,
hundert und sieben und neunzig Pfund, aus denen er fünf Mark
baares Geld gemacht hat: Meiner Six, der Ingwer muß damals nicht
viel Abgang gefunden haben; die alten Weiber müssen alle todt
gewesen seyn. Hernach ist hier ein gewisser Herr Caper, auf
Ansuchen Meister Three-Pile, des Krämers, wegen etlicher Stüke
Pfersichblüthfarbnen Atlas, welche Herr Caper umsonst gekauft haben
möchte. Ferner der junge Schwindel, der junge Herr Kupfersporn,
und Monsieur Hungerdarm der Klopffechter, und der junge Herr
Lüderlich, der den braven Pudding erschlug, und Hr. Schüzen, der
grosse Wanderer, und der wilde Halbkanne, der den Pott' erstochen
hat, und ich denke, noch vierzig andre, lauter grosse Männer in
unsrer Profession, die izt hier sind, und sehen mögen, wie sie
wieder heraus kommen. (Abhorson kommt herein.)
Abhorson.
Fort, Kerl, Bring den Bernardin hieher.
Harlequin.
Monsieur Bernardin, ihr sollt aufwachen und euch hängen lassen;
Monsieur Bernardin!
Abhorson.
Holla, ho, Bernardin.
Bernardin (hinter der Scene.)
Daß ihr die Kränke kriegt, ihr Hunde! Was für einen Lerm macht ihr
da? Wer seyd ihr?
Harlequin.
Herr, euer guter Freund, der Henker; ihr sollt so gut seyn, Herr,
und aufstehen und euch erdrosseln lassen.
Bernardin (hinter der Scene.)
Geh zum T** du Schurke, geh, sag ich; ich bin schläfrig.
Abhorson.
Sag ihm, er müsse aufstehen, und das nur gleich.
Harlequin.
Ich bitte euch, Monsieur Bernardin, wacht nur auf, bis ihr gehenkt
seyd, und schlaft denn wieder so lang ihr wollt.
Abhorson.
Geh zu ihm hinein, und schaff ihn heraus.
Harlequin.
Er kommt, Herr, er kommt; ich höre das Stroh rascheln. (Bernardin
zu den Vorigen.)
Abhorson.
Ligt das Beil auf dem Blok, Kerl?
Harlequin.
Ja, Herr.
Bernardin.
Wie gehts, Abhorson? Was habt ihr Neues?
Abhorson.
In gutem Ernst, Herr, ich wollte ihr würdet hurtig euer Gebet
verrichten; denn, seht hier, der Befehl für eure Execution ist da.
Bernardin.
Ihr Schurke, ich habe die ganze Nacht durch gesoffen, es ist mir
izt ungelegen.
Harlequin.
O, desto besser, Herr; einer der die ganze Nacht trinkt, und des
Morgens bey Zeiten gehenkt wird, kan den ganzen nächsten Tag desto
ruhiger schlafen. (Der Herzog zu den Vorigen.)
Abhorson.
Seht, Herr, hier kommt euer geistlicher Vater; meynt ihr noch, daß
es nur Spaß sey?
Herzog.
Mein Herr, da ich gehört habe, wir schnell ihr die Welt verlassen
sollt, so komm ich aus Christlicher Liebe bewogen, euch
vorzubereiten, zu trösten, und mit euch zu beten.
Bernardin.
Frater, ich nicht; Ich habe die ganze Nacht stark getrunken, und
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