Maaß für Maaß - 2

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Gnaden haben wol auch solche Teller gesehen, es sind keine
Porcellan-Teller, aber sehr gute Teller.
Escalus.
Weiter, weiter, es ist am Teller nichts gelegen--
Harlequin.
Nein, in der That nicht, Gnädiger Herr, in diesem Stük hat Euer
Gnaden recht: Aber zur Sache zu kommen; wie ich sagte, diese Madam
Ellbogen gieng mit dem Kind, und hatte, wie ich sagte, schon einen
ziemlich grossen Bauch, und gelüstete, wie ich sagte, nach Pflaumen,
und es waren nur noch zwey auf dem Teller, wie ich sagte; denn
dieser Herr von Schaum hier, dieser Junker, der hier steht, hatte
die übrigen gegessen, wie ich sagte, und er bezahlte sie ehrlich,
das muß ich sagen; denn, wie ihr wißt, Junker Schaum, ich konnte
euch nicht drey Kreuzer herausgeben--
Schaum.
Nein, in der That.
Harlequin.
Das muß wahr seyn; ihr waret eben daran, wenn ihr euch noch
erinnert, die Steine von den vorbesagten Pflaumen aufzuknaken.
Schaum.
Ja, das that ich, in der That.
Escalus.
Fort, ihr seyd ein langweiliger Narr, zur Sache; was that man denn
Ellbogens seinem Weib, daß er Ursach zu klagen hat? Kommt auf das,
was man ihr that.
Harlequin.
Gnädiger Herr, Euer Gnaden kan noch nicht auf das kommen.
Escalus.
Das ist auch nicht meine Absicht.
Harlequin.
Aber Euer Gnaden soll darauf kommen, mit Euer Gnaden Erlaubniß; und
ich bitte euch, sehet einmal diesen Junker Schaum an, Gnädiger Herr,
einen Mann von achtzig Pfund Renten des Jahrs, dessen Vater an
aller Heiligen Tag gestorben ist. War es nicht aller Heiligen Tag,
Junker Schaum?
Schaum.
Aller Heiligen Abend.
Harlequin.
Gut, gut; ich hoffe, das ist ein Mann dem man glauben muß. Er saß
eben, Gnädiger Herr, wie ich sagte, in einem niedern Sessel,
Gnädiger Herr; es war in der Traube, wo ihr in der That so gerne zu
sizen pflegt; nicht wahr?
Schaum.
Es ist so, weil es eine hübsche offne Stube ist, und gut für den
Winter.
Harlequin.
Das heißt gesprochen, wie es sich gehört; ich hoffe, hier ist ein
Mann, der Glauben finden wird.
Angelo.
Das wird eine Rußische Nacht auswähren, wenn die Nächte am längsten
sind. Ich will mich beurlauben und es euch überlassen, die Sache
zu untersuchen, in der Hoffnung, ihr werdet gute Ursache finden,
ihnen allerseits den Staupbesen geben zu lassen.
(Geht ab.)

Dritte Scene.
(Die Vorigen.)

Escalus.
Nun, Monsieur, zur Hauptsache; was that man Ellbogens Weib?
Harlequin.
Was man ihr that, Gnädiger Herr? Nichts, gar nichts, mit Euer
Gnaden Erlaubniß.
Ellbogen.
Ich bitte Euer Gnaden, fragt ihn, was dieser Mann hier meinem Weibe
gethan hat?
Harlequin.
Ich bitte Euer Gnaden, fragt mich.
Escalus.
Gut, Herr, was that ihr dann dieser Edelmann?
Harlequin.
Ich bitte Euer Gnaden, schauet diesem Edelmann ins Gesicht; Junker
Schaum, sehet den Gnädigen Herrn an; es geschieht aus keiner bösen
Absicht; beobachtet Euer Gnaden seine Physionomie?
Escalus.
Ja, Herr, sehr wohl.
Harlequin.
Nun, ich bitte euch, beobachtet es nur wol.
Escalus.
Das thu ich.
Harlequin.
Kan Euer Gnaden etwas gefährliches darinn entdeken?
Escalus.
Nein.
Harlequin.
Nun will ich auf ein Buch schwören, daß sein Gesicht das schlimmste
Ding an seiner ganzen Person ist; wohlan dann, wenn sein Gesicht
das schlimmste an ihm ist, wie konnte Jkr. Schaum des Ellbogens
Weib etwas zuleide thun? Das möcht ich von Euer Gnaden hören.
Escalus.
Er hat recht; Herr Commiß, was sagt ihr dazu?
Ellbogen.
Fürs Erste, so ist das Haus, mit Euer Gnaden Erlaubniß, ein
respectirtes Haus; Zweytens, ist das ein respectirter Bursche, und
seine Frau ein respectirtes Weib.
Harlequin.
Bey dieser Hand, Gnädiger Herr, sein Weib ist die respectirteste
Person unter uns allen.
Ellbogen.
Schurke, du lügst; du lügst, du Schurke du; die Zeit soll noch
kommen, da sie jemals mit einem Mann, Weib oder Kind respectirt
gewesen--
Harlequin.
Gnädiger Herr, er war mit ihr respectirt; eh er sie heurathete.
Escalus.
Ist das wahr, Ellbogen?
Ellbogen.
O du Galgenschwengel! o du Schurke! du gottloser Hannibal! Ich,
respectirt mit ihr, eh ich sie heurathete? Wenn ich jemals mit ihr
respectirt war, oder sie mit mir, so soll Euer Gnaden mich nicht
für des armen Herzogs Beamten halten; beweis es, du verruchter
Hannibal, oder ich will eine Injurien-Actie gegen dich anstellen.
Was ist Euer Gnaden Befehl, daß ich mit diesem gottlosen
Galgenbuben anfangen soll?
Escalus.
Im Ernst, Herr Commiß, weil er ein und anders angestellt hat, das
du gern entdeken möchtest wenn du könntest, so laß ihn seinen Weg
fortgehen, bis du weist was es ist.
Ellbogen.
Sapperment; ich danke Euer Gnaden davor; da siehst du, du
leichtfertiger Schurke, wo es mit dir hinkommt; du darfst nur so
fortmachen, du Schurke, du darfst nur so fortmachen--
Escalus (zu Schaum.)
Wo seyd ihr gebohren, guter Freund?
Schaum.
Hier, in Wien.
Escalus.
Habt ihr achtzig Pfund Renten, Herr?
Schaum.
Ja, mit Euer Gnaden Erlaubniß.
Escalus.
So.
(Zum Harlequin)
was ist eure Profession, Meister--
Harlequin.
Ein Bierzapfer, einer armen Wittfrauen Bierzapfer.
Escalus.
Wie heißt eure Frau?
Harlequin.
Frau Overdon.
Escalus.
Hat sie mehr als einen Mann gehabt?
Harlequin.
Neune, Gnädiger Herr, Overdon war der lezte.
Escalus.
Neune? tretet näher her, Junker Schaum; Junker Schaum, ich sehe
nicht gerne daß ihr mit Bierzapfern so wohl bekannt seyd; sie
zapfen euch euer Geld ab, Junker Schaum, und ihr bringt sie an den
Galgen. Gehet euers Weges, und laßt mich nichts mehr von euch
hören.
Schaum.
Ich danke Euer Gnaden; ich für meinen Theil bin noch nie in keiner
Bierschenke gesessen, da ich nicht hineingezogen worden wäre.
Escalus.
Genug, und nichts weiter mehr von dieser Art, Junker Schaum, gehabt
euch wohl. --
(Schaum geht ab.)

Vierte Scene.

Escalus.
Kommt zu mir her, Meister Bierzapfer, wie ist euer Name, Meister
Bierzapfer?
Harlequin.
Pompey.
Escalus.
Meister Pompey, ihr seyd ein Stük von einem H** Wirth, ob ihr es
gleich hinter dem Bierzapfer versteken wollt. Seyd ihr's nicht?
Kommt, sagt mir die Wahrheit, es wird euch nicht desto schlimmer
gehen.
Harlequin.
In gutem Ernst, Gnädiger Herr, ich bin ein armer Kerl, der gerne
leben möchte.
Escalus.
Wie wollt ihr leben, Pompey? Von der H** Wirthschaft? Was dünkt
euch zu dieser Handthierung? Ist es eine gesezmäßige
Begangenschaft?
Harlequin.
Wenn das Gesez sie gestattet, Gnädiger Herr.
Escalus.
Aber das Gesez gestattet sie nicht, Pompey; dazu soll es in Wien
nimmermehr kommen.
Harlequin.
Hat Euer Gnaden vielleicht im Sinn, alle jungen Leute in der Stadt
verschneiden zu lassen?
Escalus.
Nein, Pompey.
Harlequin.
Wahrhaftig, gnädiger Herr, so werden sie nach meiner einfältigen
Meynung nicht davon abzuhalten seyn; wenn Euer Gnaden den H** und
den lüderlichen Mannsleuten wehren wird, so habt ihr nicht nöthig
die Kuppler und Kupplerinnen zu fürchten.
Escalus.
Dafür sind hübsche Anstalten im Werk; es ist nur um Köpfen und
Hängen zu thun.
Harlequin.
Wenn ihr nur zehn Jahre nach einander alle die sich in diesem Stüke
verfehlen, köpfen und hängen lassen wollt, so werdet ihr in Zeiten
Commißion für mehr Köpfe geben müssen; wenn dieses Gesez zehen
Jahre in Wien gehalten wird, so will ich das schönste Haus in der
Stadt das Stokwerk für drey Kreuzer miethen; wenn ihr so lang lebt,
das zu erleben, so sagt, Pompey hab es euch vorher gesagt.
Escalus.
Grossen Dank, Pompey, und, um eure Propheceyung zu erwiedern, so
sag ich euch hiemit gleichfalls, laßt mich keine Klage mehr wider
euch hören, worüber es seyn mag, auch nicht über längern Aufenthalt
in dem Hause, wo ihr gewesen seyd; hör ich das mindeste, Pompey, so
will ich euch in euer Lager zurük schlagen, und ein strenger Cäsar
gegen euch seyn; aufrichtig zu sprechen, Pompey, ihr hättet
verdient, daß ich euch ein wenig abpeitschen liesse; und hiemit,
Pompey, gehabt euch für dißmal wohl.
Harlequin.
Ich danke Euer Gnaden für den guten Rath; ich werde ihm folgen, wie
das Schiksal, und Fleisch und Blut es erlauben werden--
(für sich)
Sapperment! Ein dapfrer Mann läßt sich nicht sogleich aus seinem
Handwerk peitschen.
(Geht ab.)

Fünfte Scene.

Escalus.
Kommt zu mir hieher, Meister Ellbogen; kommt her, Herr Commis; wie
lang ist es, daß ihr dieses Amt in euerm Quartier verwaltet?
Ellbogen.
Sieben und ein halb Jahr, Gnädiger Herr.
Escalus.
Ich dachte, nach euerer Fertigkeit in diesem Amte zu urtheilen, ihr
hättet es schon eine gute Zeit getrieben. Sieben ganze Jahre, sagt
ihr?
Ellbogen.
Und ein halbes, Gnädiger Herr.
Escalus.
Es wird euch viele Mühe gemacht haben, mein guter Mann; sie meynen
es nicht gut mit euch, daß sie euch so oft dazu anstrengen; hat es
denn keine Leute in euerm Kirchspiel, die im Stande wären es zu
versehen?
Ellbogen.
Mein Treu, Gnädiger Herr, nicht viele die den Verstand zu solchen
Geschäften haben; wenn sie gewählt werden, so ist es ihnen immer
eine Gefälligkeit, wenn ich den Dienst für sie versehe; sie
bezahlen mich dafür, und so trag ich eben das Amt für alle.
Escalus.
Seht ihr, bringt mir die Namen von sechs oder sieben, die die
tauglichsten in euerm Kirchspiel sind.
Ellbogen.
In Euer Gnaden Haus?
Escalus.
In mein Haus; behüt euch Gott.
(Ellbogen geht ab.)
(Zum Richter.)
Wie viel denkt ihr daß die Gloke ist?
Richter.
Eilfe, Gnädiger Herr.
Escalus.
Ich bitte euch, kommt mit mir zum Mittag-Essen.
Richter.
Ich danke euer Gnaden unterthänig.
Escalus.
Ich kränke mich herzlich über Claudios Tod; aber es ist nicht zu
helfen.
Richter.
Der Freyherr Angelo ist streng.
Escalus.
Es ist nur allzu nöthig; Güte hört auf es zu seyn, wenn sie immer
die gleiche Mine macht; und Nachsicht ist allemal die Mutter neuer
Verbrechen. Und doch--armer Claudio! Es ist nicht zu helfen!--
Folget mir, mein Herr.
(Gehen ab.)

Sechste Scene.
(Der Kerkermeister, ein Bedienter.)

Bedienter.
Er giebt nur einer Partey Gehör; er wird gleich kommen: Ich will
ihm sagen, daß ihr hier seyd.
Kerkermeister.
Ich bitte euch, thut es; ich möchte wissen, was sein Wille ist;
vielleicht ihn wieder frey zu lassen--Ach! Er hat kaum mehr als in
einem Traum gesündiget; alle Stände, alle Alter riechen nach diesem
Laster--und er soll dafür sterben. (Angelo zu den Vorigen.)
Angelo.
Nun, was giebt es, Kerkermeister?
Kerkermeister.
Ist es Euer Gnaden Wille, daß Claudio morgen sterben solle?
Angelo.
Sagt' ich dir nicht schon, ja? Hast du nicht Befehl? Wozu
brauchst du noch einmal zu fragen?
Kerkermeister.
Aus Furcht, ich möchte zu rasch seyn. Mit Euer Gnaden Erlaubniß,
ich habe den Fall schon erlebt, da der Richter nach der Vollziehung
sein Urtheil gerne wiederruffen hätte.
Angelo.
Thu du deine Pflicht, und laß das meine Sorge seyn; thu deine
Pflicht, oder gieb dein Amt auf; und es soll dir keine Mühe mehr
gemacht werden.
Kerkermeister.
Ich bitt' unterthänig um Verzeihung, Gnädiger Herr--Und was soll
ich mit der winselnden Juliette anfangen? Sie ist ihrer Entbindung
sehr nahe.
Angelo.
Bringe sie an einen bequemem Ort, und das unverzüglich.
Der Bediente.
Gnädiger Herr, hier ist die Schwester des verurtheilten Manns, und
bittet vor Euer Gnaden gelassen zu werden.
Angelo.
Hat er eine Schwester?
Kerkermeister.
Ja, Gnädiger Herr, eine sehr tugendhafte junge Person, die im
Begriff ist eine Klosterfrau zu werden, wenn sie es nicht schon ist.
Angelo.
Gut; laß sie herein kommen.
(Bedienter geht ab.)
Sorgt ihr davor, daß die Hure in einen andern Ort gebracht werde;
laßt ihr bloß die nothdürftige, und keine überflüssige Unterhaltung
geben; es soll Befehl deshalb ertheilt werden.

Siebende Scene.
(Lucio und Isabella, zu den Vorigen.)
(Kerkermeister will abtreten.)

Angelo.
Bleibt noch ein wenig--
(Zu Isabella.)
Seyd willkommen; was ist euer Begehren?
Isabella.
Ich bin eine bekümmerte Person, die eine Bitte an Euer Gnaden thun
möchte, wenn es euch gefiele mich anzuhören.
Angelo.
Gut; was ist eure Bitte?
Isabella.
Es ist ein Laster, das ich von Herzen verabscheue; das ich gestraft
zu sehen wünsche, und für welches ich keine Fürbitte thun würde,
wenn ich nicht müßte.
Angelo.
Gut, zur Sache.
Isabella.
Ich habe einen Bruder der zum Tod verurtheilt ist; ich bitte euch,
laßt das Urtheil auf sein Verbrechen, und nicht auf meinen Bruder
fallen.
Kerkermeister (leise.)
Der Himmel gebe dir die Gnade, ihn zu rühren;
Angelo.
Das Verbrechen verurtheilen, und nicht den Thäter? Ein jedes
Verbrechen ist schon verurtheilt, eh es gethan wird. Was würde
mein Amt seyn, wenn ich die Verbrechen fände, deren Strafe die
Geseze bestimmt haben, und die Thäter gehen liesse?
Isabella.
O! allzugerechtes wiewohl strenges Gesez!--Ich habe also keinen
Bruder mehr--
(Sie will fortgehen.)
Lucio (leise.)
Gebt nicht so gleich auf; versucht es noch einmal, bittet ihn,
fallt auf die Knie, hängt euch an seinen Rok; ihr seyd zu kalt;
wenn ihr eine Steknadel nöthig hättet, könntet ihr sie mit keiner
gleichgültigern Art verlangen. Noch einmal an ihn, sag' ich.
Isabella (zu Angelo.)
Muß er denn nothwendig sterben?
Angelo.
Mädchen, dafür ist kein Mittel.
Isabella.
Ey ja, ich denke ihr könntet ihm Gnade widerfahren lassen; weder
der Himmel noch die Menschen mißbilligen es, wenn man Gnade vor
Recht gehen läßt.
Angelo.
Ich will aber nicht.
Isabella.
Könntet ihr, wenn ihr wolltet?
Angelo.
Seht, was ich nicht will, das kan ich auch nicht.
Isabella.
Aber könntet ihr es thun, ohne daß die Welt einen Schaden davon
hätte, wenn euer Herz das Mitleiden des meinigen gegen ihn fühlte?
Angelo.
Sein Urtheil ist gesprochen; es ist zu spät.
Lucio (leise.)
Ihr seyd zu kalt.
Isabella.
Zu spät? Warum? nein; ich kan ja ein Wort wiederruffen, das ich
gesprochen habe: Glaubet nur, den König ziert seine Crone, den
Statthalter sein Schwerdt, den Marschall sein Stab, und den Richter
sein Rok nicht halb so sehr als Gnade; wäret ihr an seinem Plaze
gewesen und er an euerm, ihr würdet gestrauchelt haben, wie er;
aber er würde nicht so strenge gewesen seyn.
Angelo.
Ich bitte euch, geht.
Isabella.
Wollte der Himmel, ich hätte eure Macht, und ihr wäret Isabella; es
sollte nicht so seyn.
Lucio.
Nur weiter--das ist der rechte Ton--
Angelo.
Das Gesez hat euern Bruder verurtheilt; alle eure Worte sind
verschwendet.
Isabella.
Ach! gnädiger Himmel! wie? Alle Seelen hatten einst gesündigt,
und waren vom Gesez verurtheilt. Aber der, der sie mit bestem Fug
straffen konnte, fand ein Mittel aus. Wenn er euch richten wollte,
wie ihr seyd? O! denkt an das! und Gnade wird, gleich dem
neuerschaffnen Menschen, aus euern Lippen athmen.
Angelo.
Gebt euch zufrieden, schönes Mädchen; das Gesez verurtheilt euern
Bruder, nicht ich. Wär' er mein Verwandter, mein Bruder, mein Sohn,
so würd' es ihm nicht anders ergehen; morgen stirbt er.
Isabella.
Morgen? O! das ist zu schnell. Schonet seiner, gebt ihm noch
Frist; er ist nicht zum Sterben bereitet. Wir tödten ja das
Geflügel für unsre Küche nicht eher, bis es Zeit ist; sollen wir
den Himmel schlechter bedienen, als den gröbsten Theil von uns
selbst? O! mein gütiger Herr, bedenkt euch: Wenn ist jemals einer
für diß Vergehen gestorben. Es sind manche, die es begangen haben.
Lucio (leise.)
Gut, wohl gesprochen!
Angelo.
Das Gesez ist nicht todt gewesen, ob es gleich geschlaffen hat.
Diese (Manche) hätten sich nicht unterstanden zu sündigen, wenn der
erste, der das Gesez übertrat, gestraft worden wäre. Izt, ist es
aufgewacht, erkundigt sich dessen was gethan wird, und sieht,
gleich einem Wahrsager, in einem Spiegel, alle die künftigen
Verbrechen vor, die durch eine längere Nachsicht veranlaßt würden,
und auf keine andere Art verhindert werden können, als wenn sie vor
ihrer Geburt getödtet werden.
Isabella.
Laßt wenigstens einiges Mitleiden sehen.
Angelo.
Ich kan es nicht besser sehen lassen, als wenn ich Gerechtigkeit
sehen lasse; denn alsdann hab' ich sogar Mitleiden mit denen, die
ich nicht kenne, indem ich verhindere, daß ein ungestraftes
Verbrechen sie nicht zur Nachfolge reize; ja mit dem Verbrecher
selbst, der wenn er für eine böse That büssen muß, nicht lebt um
die zweyte zu begehen. Gebt euch zufrieden; euer Bruder stirbt
morgen; gebt euch zufrieden.
Isabella.
So müßt ihr also der erste seyn, der ein solches Urtheil spricht,
und er der erste, der dadurch leidet. O! es ist vortrefflich, die
Stärke eines Riesen zu haben; aber es ist tyrannisch, sie wie ein
Riese zu gebrauchen.
Lucio (leise.)
Das ist wohl gesprochen.
Isabella.
Könnten die Grossen der Welt donnern wie Jupiter, so würde Jupiter
selbst keine Ruhe vor ihnen haben; denn bis auf den kleinsten
ledernen Officianten würde ein jeder seinen Himmel zum donnern
brauchen wollen. Nichts als donnern--Gütiger Himmel! dein
scharfer schweflichter Keil zersplittert lieber die harte und
knottichte Eiche als die sanfte Myrrthe: O! nur der Mensch, der
stolze Mensch, für etliche Augenblike in ein wenig Ansehen
gekleidet, vergißt was er am gewissesten wissen kan, seiner
zerbrechlichen Natur; und spielt, gleich einem erboßen Affen, so
phantastische Streiche vor den Augen des Himmels, daß die Engel
darüber weinen, die, wenn sie unsre Milz* hätten, sich alle
sterblich lachen müßten.
{ed.-* Die Alten schrieben ein unmäßiges Gelächter der Grösse der Milz
zu. Warbürton.}
Lucio (leise.)
Weiter, weiter, Mädchen--das wird würken--es kömmt ihm, ich merk'
es.
Kerkermeister.
Wollte Gott, sie möchte ihn gewinnen!
Isabella.
Ich darf meinen Bruder nicht gegen euch abwägen; grosse Herren
dürfen mit Heiligen scherzen; an ihnen ist Wiz, was an geringem
Gottlosigkeit wäre.
Lucio.
Du hast recht, Mädchen; mehr dergleichen--
Isabella.
An dem Hauptmann ist das nur ein hastiges Wort, was an dem gemeinen
Soldaten eine platte Lästerung ist.
Angelo.
Wozu sagt ihr diese Dinge mir?
Isabella.
Weil das höchste Ansehn, ob es gleich dem Irrthum eben so sehr
unterworffen ist als andre Leute, doch immer eine Art von Arzney
bey sich führt, die seine Vergehungen sogleich wieder zuheilt; geht
in euch selbst; klopft an euerm Busen an, und fragt euer Herz, was
es sich bewußt ist, das meines Bruders Fehler ähnlich ist; und wenn
es euch wenigstens die Fähigkeit gesteht, eben so zu sündigen wie
er, so erlaubt ihm keinen Gedanken gegen meines Bruders Leben auf
eure Zunge zu tönen.
Angelo (für sich.)
Sie spricht mit einem Verstand, der den meinigen überwältiget--
Lebet wohl--
(Er will weggehen.)
Isabella.
O! mein Gnädiger Herr, kehret zurük.
Angelo.
Ich will mich bedenken; kommt morgen wieder.
Isabella.
Höret doch, wie ich euch bestechen will; mein gütiger Herr, kehret
zurück.
Angelo.
Wie? Mich bestechen?
Isabella.
Ja, mit solchen Geschenken, die der Himmel mit euch theilen soll.
Lucio (leise.)
Gut, sonst hättet ihr alles verdorben.
Isabella.
Nicht mit Gold oder Steinen, die nur werth sind, was die Einbildung
sie gelten läßt, sondern mit unschuldigen Fürbitten, die zum Himmel
aufsteigen, und durch ihn eindringen sollen, eh die Sonne wieder
aufgeht; mit Fürbitten von unbeflekten Seelen, von fastenden
Jungfrauen, deren Herzen zu nichts Zeitlichem geweihet sind.
Angelo.
Gut, kommt morgen wieder.
Lucio (leise.)
Geht izt, es ist genug--weg.
Isabella.
Der Himmel erhalte Euer Gnaden gesund. Um welche Zeit soll ich
morgen Euer Gnaden aufwarten?
Angelo.
Vor Mittag, wenn ihr wollt.
(Isabella geht ab mit Lucio und Kerkermeister.)

Achte Scene.

Angelo (allein.)
Von dir? Von deiner Tugend selbst? Was ist das? Was ist das?
Ist es deine Schuld oder meine? Wer sündiget am meisten, der
Versucher, oder der Versuchte? Nicht sie, denn sie denkt nur nicht
daran mich versuchen zu wollen; ich bin es, der neben dem Veilchen
in der Sonne ligend, gleich einem Aaß, nicht wie die Blume, von der
holden Frühlings-Wärme faule. Ists möglich, daß die Sittsamkeit
eines Weibes unsern Sinnen gefährlicher seyn soll, als ihre
Schlüpfrigkeit? Sollen wir, da wir genug unnüzen Boden haben,
einen Tempel niederreissen, um unsre Laster hinein zu steken?--O
pfui, pfui, pfui! Was thust du, oder was bist du, Angelo? O laß
ihren Bruder leben: Diebe haben Entschuldigung für ihre Räubereyen,
wenn die Richter selbst stehlen. Wie? lieb ich sie, daß ich so
begierig bin, sie wieder zu hören, und mich an ihren Augen zu
weiden? Was war diß was ich träumte? O! listiger Teufel, der, um
Heilige zu fangen, eine Heilige an deinen Angel stekst! Die
gefährlichste Versuchung ist, die uns durch die Liebe zur Tugend
zur Sünde reizt. Nimmermehr könnt ein feiles Weibsbild, mit aller
ihrer verdoppelten Stärke, mit allen Reizungen der Natur und Kunst,
meine Sinnen nur einen Augenblik aufrührisch machen; aber dieses
tugendhafte Mädchen überwältiget mich ganz, mich, der bis auf
diesen Augenblik, wenn ich von verliebten Mannsleuten hörte,
lächelte, und nicht begreiffen konnte, wie sie es seyn könnten.
(Geht ab.)

Neunte Scene.
(Verwandelt sich in ein Gefängniß.)
(Der Herzog in einem Mönchshabit, und der Kerkermeister, treten
auf.)

Herzog.
Gott grüsse euch, Kerkermeister; denn das seyd ihr, denke ich.
Kerkermeister.
Ich bin's; was ist euer Wille, mein guter Pater?
Herzog.
Von Christlicher Liebe getrieben, und nach den Pflichten meines
Ordens komm' ich, die betrübten Seelen in diesem Gefängniß zu
besuchen; laßt mich sie sehen, damit ich die Natur ihrer Sünden
erkundigen, und nach Befinden mein Amt bey ihnen verrichten könne.
Kerkermeister.
Ich wollte noch mehr thun als das, wenn es nöthig wäre. (Juliette
tritt auf.)
Kerkermeister.
Seht, hier kommt eine von meinen Gefangnen, ein Fräulein, die in
die Flammen ihrer eignen Jugend gefallen ist, und ihren guten Namen
darinn versengt hat: Sie ist schwanger, und der Vater ihres Kinds
ist zum Tode verurtheilt; ein junger Mann, der bereiter ist, noch
eine solche Sünde zu begehen, als für diese zu sterben.
Herzog.
Wenn soll er sterben?
Kerkermeister.
Ich denke, morgen.
(Zu Juliette.)
Ich habe Vorsehung für euch gethan, bleibt eine Weile, und ihr
sollt weggeführt werden.
Herzog.
Bereuet ihr, schönes Kind, die Sünde, die ihr begangen habt?
Juliette.
Ich bereue sie und trage die Schmach gedultig.
Herzog.
Ich will euch lehren, wie ihr euer Gewissen prüfen könnt, um zu
erfahren, ob eure Busse aufrichtig ist oder nicht.
Juliette.
Ich will es gerne lernen.
Herzog.
Liebt ihr den Mann, der euch zu Falle gebracht hat?
Juliette.
Ja, so sehr als ich die Weibsperson liebe, die ihn zu Falle
gebracht hat.
Herzog.
Es scheint also, ihr habt aus beydseitigem Einverständniß
gesündiget.
Juliette.
So ist es.
Herzog.
Also war eure Sünde von einer schwerern Art, als die Seinige.
Juliette.
Ich bekenn' und bereu' es, mein Vater.
Herzog.
Es ist billig, meine Tochter; aber bereut ihr eure Sünde vielleicht
nur darum, weil sie euch in diese Schmach gebracht hat, anstatt aus
Betrübniß daß ihr den Himmel beleidiget habt? Eine gewöhnliche Art
von Reue, wodurch wir beweisen, daß wir den Himmel nicht suchen
weil wir ihn lieben, sondern nur wenn wir seine Strafen fürchten.
Juliette.
Es reut mich, in so fern es ein Uebel ist, und ich ertrage die
Schmach mit Freuden.
Herzog.
Bleibet bey dieser Gesinnung. Euer Mitschuldiger muß, wie ich höre,
morgen sterben, und ich gehe izt zu ihm, ihn vorzubereiten. Also
geb ich euch meinen Segen.
(Er geht ab.)

Zehnte Scene.
(Der Palast.)
(Angelo tritt auf.)

Angelo.
Wenn ich beten oder mit geistlichen Gedanken mich unterhalten will,
so bete ich, und denke an verschiedne Gegenstände; aber der Himmel
hat nur meine leeren Worte, indeß mein Gemüth, ohne meine Zunge zu
hören, auf Isabellen ankert. Der Himmel ist auf meinen Lippen, und
der mächtige und schwellende Vorsaz der Sünde in meinem Herzen.
Der Staat, worinn ich studirte, ist mir wie ein gutes Buch, das man
so oft gelesen hat, bis man es überdrüßig worden ist; ja, diese
Ernsthaftigkeit, auf die ich (laß niemand es hören) stolz war,
könnt ich mit Aufgabe gegen eine leichte Feder vertauschen, die der
Wind hin und her treibt. O! Plaz, o äusserliches Ansehen! Wie
oft erzwingst du Ehrfurcht von den Thoren, und hintergehest selbst
die weisern Seelen durch deine betrügliche Gestalt! Wir brauchen
nur (guter Engel) auf des Teufels Horn zu schreiben, so ists nicht
mehr des Teufels Horn--
(Ein Bedienter kommt herein.) Was giebts, wer ist da?
Bedienter.
Eine gewisse Isabella, eine Nonne, verlangt vor Euer Gnaden
gelassen zu werden.
Angelo.
Führe sie herein--O Himmel! wie treibt mein Blut zu meinem Herzen,
und entsezt auf einmal alle meine andern Theile ihrer nöthigen
Stärke--So spielt der alberne Hauffe mit einem der in Ohnmacht
sinkt; alle lauffen ihm zu Hülfe, und verstopfen dadurch die Luft,
durch die er wieder aufleben könnte: Und so verlassen die
Unterthanen, einen geliebten König zu sehen, ihre eignen Geschäfte,
und drängen sich in dienstfertiger Zärtlichkeit zu seiner Gegenwart,
wo ihre unbescheidene Liebe einer Beleidigung gleich sehen muß--
(Isabella kommt herein.) Wie geht es, schönes Mädchen?

Eilfte Scene.

Isabella.
Ich komme zu hören, was Euer Gnaden beliebt--
Angelo.
Daß ihr es wissen möchtet, würde mir besser belieben, als daß ihr
darnach fragt. Euer Bruder kan nicht bey Leben bleiben.
Isabella.
Ist es dieses?--Der Himmel erhalte Eu. Gnaden.
(Sie will gehen.)
Angelo.
Und doch möcht' er noch eine Zeitlang leben, und das möchte seyn,
so lang als ihr oder ich; aber er muß sterben.
Isabella.
Durch euer Urtheil?
Angelo.
Ja.
Isabella.
Wenn, ich bitte euch? Laßt ihm wenigstens so viel Zeit als er
nöthig hat, damit seine Seele geheilt werden könne.
Angelo.
Ha? Pfui dieser garstigen Laster! Es wäre eben so gut denjenigen
zu begnadigen, der einen schon gemachten Menschen aus der Natur
weggestohlen hätte, als solchen Leuten, die das Bild des Himmels
auf verbotne Stempel graben, ihre unverschämte Ueppigkeit zu
verzeihen.
Isabella.
So wird im Himmel geurtheilt, aber nicht auf Erden.
Angelo.
Sagt ihr das? Nun will ich euch bald zum Stillschweigen bringen.
Was wolltet ihr lieber, daß das gerechteste Gesez euerm Bruder das
Leben nehme; oder daß ihr, um ihn zu retten, euern Leib eben so
behandeln lassen müßtet, wie diejenige, die er beflekt hat?
Isabella.
Gnädiger Herr, glaubt mir das, ich wollte lieber meinen Leib preiß
geben als meine Seele.
Angelo.
Ich rede nicht von eurer Seele; Sünden, wozu wir genöthiget werden,
stehen nicht auf unsrer Rechnung.
Isabella.
Wie sagt ihr?
Angelo.
Ich will nicht davor gut stehen; denn ich kan vieles gegen das was
ich gesagt habe, einwenden. Antwortet mir nur auf das: Ich, durch
dessen Mund nur das Gesez redet, spreche das Todes-Urtheil wider
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