Lieder von Lessing - 1

Total number of words is 4279
Total number of unique words is 1400
39.0 of words are in the 2000 most common words
51.6 of words are in the 5000 most common words
58.9 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Lieder von Lessing
Gotthold Ephraim Lessing

alphabetisch nach Titeln sortiert
Alexander
An Amor
An den Anakreon
An den Horaz
An den Wein
An die J. L***
An die Kunstrichter
An die Leier
An die Schwalbe
An eine kleine Schöne
Antwort eines trunknen Dichters
Auf sich selbst
Das Alter
Das Bild an Hrn. H.
Das Erdbeben
Das Leben
Das Paradies
Das Schäferleben
Das Umwechseln
Das aufgehobene Gebot
Der Donner
Der Faule
Der Fehler
Der Fehler der Natur an Hr. M.
Der Flor
Der Genuß
Der Geschmack der Alten
Der Handel
Der Irrtum
Der Regen
Der Schiffbruch
Der Schlaf
Der Sommer
Der Sonderling
Der Tabak
Der Tausch an Hr. W.
Der Tod
Der Verlust
Der Vetter und die Muhme
Der Wunsch
Der alte und der junge Wein
Der bescheidene Wunsch
Der größte Mann
Der müßige Pöbel
Der neue Welt-Bau
Der philosophische Trinker
Der schwörende Liebhaber
Der trunkne Dichter lobt den Wein
Die 47ste Ode Anakreons
Die Abwechslung
Die Antwort
Die Beredsamkeit
Die Betrübnis
Die Biene
Die Diebin
Die Einwohner des Mondes
Die Ente
Die Faulheit
Die Gespenster
Die Gewißheit
Die Haushaltung
Die Küsse
Die Küsse
Die Kunstrichter und der Dichter
Die Liebe
Die Musik
Die Mutter
Die Namen
Die Planetenbewohner
Die Redlichkeit
Die Schöne von hinten
Die Sparsamkeit
Die Stärke des Weins
Die Türken
Die Versteinerung
Die Wetterprophezeiung
Die drei Reiche der Natur
Die lügenhafte Phyllis
Die lehrende Astronomie
Die schlafende Laura
Die schlimmste Frau
Die verschlimmerten Zeiten
Die wider den Cäsar verschworne Helden
Eine Gesundheit
Für wen ich singe
Heldenlied der Spartaner
Ich
Jungfer Lieschens Knie
Küssen und Trinken
Lied
Lied aus dem Spanischen
Lob der Faulheit
Nach der 15. Ode Anakreons
Niklas
Phillis
Phyllis an Damon
Phyllis lobt den Wein
Refutatio Papatus
Salomon
Trinklied
Wem ich zu gefallen suche, und nicht suche
[Aus einem Abschiedsgedicht an Mylius]


Alexander
Der Weise sprach zu Alexandern.
"Dort, wo die lichten Welten wandern,
Ist manches Volk, ist manche Stadt."
Was tut der Mann von tausend Siegen?
Die Memme weint, daß dort zu kriegen,
Der Himmel keine Brücken hat.
Ists wahr, was ihn der Weise lehret,
Und finden, was zur Welt gehöret,
Daselbst auch Wein und Mädchen statt:
So lasset, Brüder, Tränen fließen,
Daß dort zu trinken und zu küssen,
Der Himmel keine Brücken hat.

An Amor
Amor, soll mich dein Besuch
Einst erfreuen--
O so lege dein Gefieder
Und die ganze Gottheit nieder.
Diese möchte mich erschrecken,
Jenes möchte Furcht erwecken,
Furcht, nach flatterhaften Küssen,
Meine Phyllis einzubüßen.
Komm auch ohne Pfeil und Bogen,
Ohne Fackel angezogen...
Stelle dich, um mir lieb zu sein,
Als ein junger Satyr ein.

An den Anakreon
Anakreon singt, alles fühlet:
Und alles gähnt wenn Codrus spielet.
Anakreon, sprich, wie man spielt,
Daß niemand gähnt, daß alles fühlt.
Du schweigst? Doch mit beredtern Blicken,
Die mich in Bacchus Laube schicken,
Sprichst du: Mein Lehrer war der Wein.
Wohl! Wohl! Er soll auch meiner sein!

An den Horaz
Horaz, wenn ich mein Mädchen küsse,
Entflammt von unserm Gott, dem Wein,
Dann seh ich, ohne kritsche Schlüsse,
Dich tiefer als zehn Bentleys ein.
Dann fühl ich sie, die süßen Küsse,
Die ein barbarscher Biß verletzt,
Sie, welche Venus, nebst dem Bisse,
Mit ihres Nektars Fünfteil netzt.*
Dann fühl ich, mehr als ich kann sagen
Die Göttin, durch die Laura küßt,
Wie sie sich Amathunts entschlagen,
Und ganz in mich gestürzet ist.**
Sie herrscht im Herzen, sie gebietet;
Und Laura löscht die Phyllis aus.
Sie herrscht im Herzen? nein, sie wütet;
Denn Laura hält mich ab vom Schmaus.
*--dulcia barbare
Laedentem oscula, quae Venus
Quincta parte sui Nectaris imbuit.
**–-in me tota ruens Venus
Cyprum deseruit.

An den Wein
Wein, wenn ich dich itzo trinke,
Wenn ich dich als Jüngling trinke,
Sollst du mich in allen Sachen
Dreist und klug, beherzt und weise,
Mir zum Nutz, und dir zum Preise,
Kurz, zu einem Alten machen.
Wein, werd ich dich künftig trinken,
Werd ich dich als Alter trinken,
Sollst du mich geneigt zum Lachen,
Unbesorgt für Tod und Lügen,
Dir zum Ruhm, mir zum Vergnügen,
Kurz, zu einem Jüngling machen.

An die J. L***
Natürlichs Ebenbild der Liebe!
Nimm hier dein künstlich Ebenbild;
Das, wenn man dich auch drüber schriebe,
Doch seines Meisters Schwäche schilt.
Dem Maler laß es nicht entgelten,
Wenn dir dies Bild zu wenig gleicht:
Nur auf das Urbild mußt du schelten,
Wenn dich sein Pinsel nicht erreicht.
Dich, ähnlichstes von allen Bildern,
Hat die Natur hervorgebracht:
Jedoch wie kann ein Künstler schildern,
Was die Natur vollkommen macht?

An die Kunstrichter
Schweigt, unberauschte, finstre Richter!
Ich trinke Wein, und bin ein Dichter.
Tut mir es nach, und trinket Wein,
So seht ihr meine Schönheit ein.
Sonst wahrlich, unberauschte Richter,
Sonst wahrlich seht ihr sie nicht ein!

An die Leier
Töne, frohe Leier,
Töne Lust und Wein!
Töne, sanfte Leier,
Töne Liebe drein!
Wilde Krieger singen,
Haß und Rach und Blut
In die Laute singen,
Ist nicht Lust, ist Wut.
Zwar der Heldensänger
Sammelt Lorbeern ein;
Ihn verehrt man länger;
Lebt er länger? Nein.
Er vergräbt im Leben
Sich in Tiefsinn ein:
Um erst dann zu leben,
Wann er Staub wird sein.
Lobt sein göttlich Feuer,
Zeit und Afterzeit!
Und an meiner Leier
Lobt die Fröhlichkeit.

An die Schwalbe
Die 12te Ode Anakreons.
Schwatzhafteste der Schwalben, sprich,
Was tu ich dir? wie straf ich dich?
Soll ich dich um die Schwingen
Mit meiner Schere bringen?
Soll ich, zu deiner Pein,
Ein andrer Tereus sein?
Und willst du gern der Progne gleichen?
Mußt du, zu frühe Schwätzerin,
Mußt du von meiner Schäferin
Mir meinen schönen Traum verscheuchen?

An eine kleine Schöne
Kleine Schöne, küsse mich.
Kleine Schöne, schämst du dich?
Küsse geben, Küsse nehmen,
Darf dich itzo nicht beschämen.
Küsse mich noch hundertmal!
Küß und merk der Küsse Zahl.
Ich will dir, bei meinem Leben!
Alle zehnfach wiedergeben,
Wenn der Kuß kein Scherz mehr ist,
Und du zehn Jahr älter bist.

Antwort eines trunknen Dichters
Ein trunkner Dichter leerte
Sein Glas auf jeden Zug;
Ihn warnte sein Gefährte:
Hör auf! du hast genug.
Bereit vom Stuhl zu sinken,
Sprach der: Du bist nicht klug;
Zu viel kann man wohl trinken,
Doch nie trinkt man genug.

Auf sich selbst
Ich habe nicht stets Lust zu lesen.
Ich habe nicht stets Lust zu schreiben.
Ich habe nicht stets Lust zu denken;
Kurzum, nicht immer zu studieren.
Doch hab ich allzeit Lust zu scherzen.
Doch hab ich allzeit Lust zu lieben.
Doch hab ich allzeit Lust zu trinken;
Kurz, allezeit vergnügt zu leben.
Verdenkt ihr mirs, ihr sauern Alten?
Ihr habt ja allzeit Lust zu geizen;
Ihr habt ja allzeit Lust zu lehren;
Ihr habt ja allzeit Lust zu tadeln.
Was ihr tut, ist des Alters Folge.
Was ich tu, will die Jugend haben.
Ich gönn euch eure Lust von Herzen.
Wollt ihr mir nicht die meine gönnen?

Das Alter
Nach der 11ten Ode Anakreons.
Euch, lose Mädchen, hör ich sagen:
"Du bist ja alt, Anakreon.
Sieh her! du kannst den Spiegel fragen,
Sieh, deine Haare schwinden schon;
Und von den trocknen Wangen
Ist Blüt und Reiz entflohn."--
Wahrhaftig! ob die Wangen
Noch mit dem Lenze prangen,
Wie, oder ob den Wangen
Der kurze Lenz vergangen,
Das weiß ich nicht; doch was ich weiß,
Will ich euch sagen: daß ein Greis,
Sein bißchen Zeit noch zu genießen,
Ein doppelt Recht hat, euch zu küssen.

Das Bild an Hrn. H.
Das, Maler, ist dein Meisterstücke!
Ja, H**, ja; an Anmut reich,
Sieht dies Kind meinem Kinde gleich.
Das ist sein Haar; dies seine Blicke;
Das ist sein Mund; das ist sein Kinn.
O Freund, o laß dichs nicht verdrüssen,
Und sieh auf jene Seite hin:
Ich muß, ich muß das Bildchen küssen.
Wie zärtlich nimmts den Kuß nicht an:
Nur schade, daß es ihn nicht wiedergeben kann.

Das Erdbeben
Bruder, Bruder, halte mich!
Warum kann ich denn nicht stehen?
Warum kannst du denn nicht gehen?
Bruder geh, ich führe dich.
Sachte Bruder, stolperst du?
Was? Du fällst mir gar zur Erden?
Halt! ich muß dein Retter werden.
Nu? Ich falle selbst dazu?
Sieh doch Bruder! Siehst du nicht,
Wie die lockern Wände schwanken?
Sieh, wie Tisch und Flasche wanken!
Greif doch zu! das Glas zerbricht!
Himmel, bald, bald werden wir
Nicht mehr trinken, nicht mehr leben!
Fühlst du nicht? des Grunds Erbeben
Droht es Bruder mir und dir.
Limas Schicksal bricht herein!
Bruder, Bruder, wenn wir sterben,
Soll der Wein auch mit verderben?
Der auf heut bestimmte Wein?
Nein, die Sünde wag ich nicht.
Bruder, wolltest du sie wagen?
Nein, in letzten Lebenstagen
Tut man gerne seine Pflicht.
Sieh, dort sinket schon ein Haus!
Und hier auch! Nun muß man eilen!
Laß uns noch die Flasche teilen!
Hurtig! Hurtig! trink doch aus!

Das Leben
Sechs Tage kannt ich sie,
Und liebte sie sechs Tage.
Am siebenten erblaßte sie,
Dem ersten meiner ewgen Klage.
Noch leb ich, zauderndes Geschick!
Ein pflanzengleiches Leben.
O Himmel, ist für den kein Glück,
Dem du Gefühl und Herz gegeben!
Oh! nimm dem Körper Wärm und Blut,
Dem du die Seele schon genommen!
Hier, wo ich wein, und wo sie ruht,
Hier laß den Tod auf mich herab gebeten kommen!
Was hilft es, daß er meine Jahre
Bis zu des Nestors Alter spare?
Ich habe, trotz der grauen Haare,
Womit ich dann zur Grube fahre,
Sechs Tage nur geliebt,
Sechs Tage nur gelebt.

Das Paradies
Sein Glück für einen Apfel geben,
O Adam, welche Lüsternheit!
Statt deiner hätt ich sollen leben,
So wär das Paradies noch heut.--
Wie aber, wenn alsdann die Traube
Die Probefrucht gewesen wär?
Wie da, mein Freund?--Ei nun, ich glaube--
Das Paradies wär auch nicht mehr.

Das Schäferleben
Komm Freund! wir wollen Schäfer werden.
Dies stille Volk besitzet noch
Die süße Ruh, das Glück der Erden.
Was zauderst du? Komm Freund! komm doch!
Dort blüht bei aufgeräumten Sinnen
Noch alte Treu und Redlichkeit,
Auch in den schönsten Schäferinnen.
Dort, dort ist noch die güldne Zeit.
Wird dir es schwer, die Stadt zu lassen,
Wo nichts als falsche Mägdchen sind?
Bedenke, Phyllis will mich hassen,
Das flatterhafte böse Kind.
Auch Phyllis kann die Treue brechen,
Und windet sich aus meiner Hand.
Ja, diese Falschheit muß ich rächen.
Komm mit! Ich geh ins Schäferland.
Du schwärmst, mein Freund. Laß mich zufrieden.
Was geht mich deine Phyllis an.
Dem ist ein größer Glück beschieden,
Der sich gleich mir betrinken kann.
Wo hast du den Verstand gelassen?
Du hast gewiß noch keinen Rausch?
Den Wein, den Wein für Milch zu hassen?
Den Wein für Milch? Das wär ein Tausch.
Recht Freund! verzeih mir diese Possen.
Wie albern denkt und redt man nicht,
Wenn man noch keinen Wein genossen,
Wenn folglich der Verstand gebricht.
Drum eile, Freund! mir einzuschenken.
Trink mir es zu, und mach mich klug.
Nun lern ich wieder richtig denken.
Nun seh ich meinen Selbstbetrug.
O schade für die falschen Kinder!
Laßt sie nur unbeständig sein.
Ich lache nun, und bins nicht minder.
Den Rat, den Rat gibt mir der Wein.
Nun soll mich Phyllis nicht betrüben,
Laßt sie nur unbeständig sein,
Von nun an will ich auch so lieben.
Den Rat, den Rat gibt mir der Wein.

Das Umwechseln
Der Bruder
Liebe Schwester, wer ist die?
Deine Freundin? darf ich küssen?
O wie frei, wie schön ist sie!
Liebe Schwester darf ich küssen?
Die Schwester
Pfui! Ihr Bruder ist ja hier.
Willst du, daß ers sieht, sie küssen?
Schäm dich! diesesmal wird dir
Wohl die Lust vergehen müssen.
Der Bruder
Schwester, geh zum Bruder hin;
Laß dich von dem Bruder küssen;
Dann, weil ich dein Bruder bin,
Darf ich seine Schwester küssen.

Das aufgehobene Gebot
Elise.
Siehst du Wein im Glase blinken,
Lerne von mir deine Pflicht:
Trinken kannst du, du kannst trinken;
Doch betrinke dich nur nicht.
Lysias.
Wallt dein Blut von Jugendtrieben,
Lerne von mir deine Pflicht:
Lieben kannst du, du kannst lieben;
Doch verliebe dich nur nicht.
Elise.
Bruder! ich mich nicht verlieben?
Lysias.
Schwester! ich mich nicht betrinken?
Elise.
Wie verlangst du das von mir?
Lysias.
Wie verlangst du das von mir?
Elise.
Lieber mag ich gar nicht lieben.
Lysias.
Lieber mag ich gar nicht trinken.
Beide.
Geh nur, ich erlaub es dir.

Der Donner
Es donnert!--Freunde, laßt uns trinken!
Der Frevler und der Heuchler Heer
Mag knechtisch auf die Kniee sinken.
Es donnert!--Macht die Gläser leer!
Laßt Nüchterne, laßt Weiber zagen!
Zeus ist gerecht, er straft das Meer:
Sollt er in seinen Nektar schlagen?

Der Faule
Rennt dem scheuen Glücke nach!
Freunde, rennt euch alt und schwach!
Ich nehm teil an eurer Müh:
Die Natur gebietet sie.
Ich, damit ich auch was tu,--
Seh euch in dem Lehnstuhl zu.

Der Fehler
Angelika ist jung und reich.
An Schönheit meiner Phyllis gleich.
Ich kann nichts Schöners nennen;
Das wissen die, die Phyllis kennen.
Sie redet ungezwungen rein;
Sie scherzt empfindlich und doch fein;
Ihr biegsam redlich Herze fühlt;
Sie tanzt, sie singt, sie spielt.
Wenn meine Phyllis untreu wird--
O werde sie es nie!
Wenn sie es aber wird,
So lieb ich keine sonst als sie.
Doch--hab ichs auch bedacht?
Nein, einen Fehler treff ich an,
Der alles nichtig macht.
Sie liebet ihren Mann.

Der Fehler der Natur an Hr. M.
Freund! du erforschest die Natur.
Sprich! Ists nicht wahr, sie spielt nicht nur,
Sie fehlt auch oft in ihren Werken.
Ja, ja sie fehlt. Oft in der Eil
Versetzt sie dies und jenes Teil.
Ich selbst kann meinen Satz bestärken.
Denn hätt sich ihre Götterhand,
Als sie mich baute, nicht verloren;
So wär ich an der Mosel Strand,
Wo nicht doch in Burgund geboren.
O Mosler, o Burgunderwein,
Ich, ich sollt euer Landsmann sein!

Der Flor
O Reize voll Verderben!
Wir sehen euch, und sterben.
O Augen, unser Grab!
O Chloris, darf ich flehen?
Dich sicher anzusehen,
Laß erst den Flor herab!

Der Genuß
So bringst du mich um meine Liebe,
Unseliger Genuß? Betrübter Tag für mich!
Sie zu verlieren,--meine Liebe,--
Sie zu verlieren, wünscht ich dich?
Nimm sie, den Wunsch so mancher Lieder,
Nimm sie zurück, die kurze Lust!
Nimm sie, und gib der öden Brust,
Der ewig öden Brust, die beßre Liebe wieder!

Der Geschmack der Alten
Ob wir, wir Neuern, vor den Alten
Den Vorzug des Geschmacks erhalten,
Was lest ihr darum vieles nach,
Was der und jener Franze sprach?
Die Franzen sind die Leute nicht,
Aus welchen ein Orakel spricht.
Ich will ein neues Urteil wagen.
Geschmack und Witz, es frei zu sagen,
War bei den Alten allgemein.
Warum? sie tranken alle Wein.
Doch ihr Geschmack war noch nicht fein;
Warum? sie mischten Wasser drein.

Der Handel
Des wuchernden Tumultes satt,
Freund, fliehst du aus der vollen Stadt?
Flieh nur allein; ich bleib zurücke,
Die Messe wag ich noch mein Glücke.
Nun handl ich auch: doch soll allein
Mein Handel mit den Schönen sein.
Itzt, Mägdchens, ist mir alles feil,
Mein Vater--und mein Mutterteil,
Haus, Bücher, Garten, Wald und Felder.
Kommt nur, und bringt die rechten Gelder!
Kommt nur und fangt den Handel an;
Glaubt, daß ich euch nicht trügen kann.
Ihr kommt? _Wie teuer ist dein Feld?_
Mein Feld verkauf ich nicht für Geld.
Dir, Mägdchen, biet ichs hundert Küsse.
_Und deinen Wald?_ Zweihundert Küsse.
_Und dieses Buch?_ Für einen Kuß.
_Und dieses Lied?_ Für einen Kuß.
Wenn ich mit Schönen handeln muß,
Gilt alles bei mir einen Kuß.
Denn Küsse sind die besten Gelder.
Nicht nur Haus, Garten, Wald und Felder;
Mein Vater--und mein Mutterteil,
Ich selber bin für Küsse feil!
L.

Der Irrtum
Den Hund im Arm, mit bloßen Brüsten,
Sah Lotte frech herab.
Wie mancher ließ sichs nicht gelüsten,
Daß er ihr Blicke gab.
Ich kam gedankenvoll gegangen,
Und sahe steif heran.
Ha! denkt sie, der ist auch gefangen,
Und lacht mich schalkhaft an.
Allein, gesagt zur guten Stunde,
Die Jungfer irrt sich hier.
Ich sah nach ihrem bunten Hunde:
Es ist ein artig Tier.

Der Regen
Der Regen hält noch immer an!
So klagt der arme Bauersmann;
Doch eher stimm ich nicht mit ein,
Es regne denn in meinen Wein.

Der Schiffbruch
"Gewagt! Freund, komm mit mir aufs Meer!
Das Trinken macht den Beutel leer,
Drum hol ich mir in fernen Landen,
Die unsre Väter niemals fanden,
Gold, Silber, Berlen, Edelstein;
Und folglich Wein."
Nein Freund! nein Freund, dies wag ich nicht.
Gesetzt, daß unser Schiff zerbricht,
So müssen wir ins Wasser sinken,
Und Wasser wohl gezwungen trinken.
Und Wasser, Wasser schmecket schlecht.
Hab ich nicht recht?
Ja, wär im Meere lauter Wein,
So gäng ich, Freund, die Schiffahrt ein.
O Freund! o Freund, mit Freuden
Wollt ich gar Schiffbruch leiden.
Doch dies ist nicht. Drum bleibe hier.
Man borget dir.

Der Schlaf
Ich trinke bis um Mitternacht.
Wenn neben mir der Geizhals wacht,
Und mit bekümmertem Verlangen
Forscht, ob dem Schatze nichts entgangen?
Da trink ich noch, und freue mich,
Und trinkend Bacchus lob ich dich.
Da flieht der Durst! da flieht der Kummer!
Doch wärst du nicht, du süßer Schlummer,
Wenn sollt ich wieder durstig werden?
Und würd ich nicht mehr durstig sein,
So tränk ich ja auch nicht mehr Wein.
O Schlaf, welch Gut bist du der Erden!

Der Sommer
_Brüder! lobt die Sommerszeit!_
Ja, dich, Sommer, will ich loben!
Wer nur deine Munterkeit,
Deine bunte Pracht erhoben,
Dem ist wahrlich, dem ist nur,
Nur dein halbes Lob gelungen,
Hätt er auch, wie Brocks, gesungen,
Brocks, der Liebling der Natur.
Hör ein größer Lob von mir,
Sommer! ohne stolz zu werden.
Brennst du mich, so dank ichs dir,
Daß ich bei des Strahls Beschwerden,
Bei der durstgen Mattigkeit,
Lechzend nach dem Weine frage,
Und gekühlt den Brüdern sage:
_Brüder! lobt die durstge Zeit!_
L.

Der Sonderling
Sobald der Mensch sich kennt,
Sieht er, er sei ein Narr;
Und gleichwohl zürnt der Narr,
Wenn man ihn also nennt.
Sobald der Mensch sich kennt,
Sieht er, er sei nicht klug;
Doch ists ihm lieb genug,
Wenn man ihn weise nennt.
Ein jeder, der mich kennt,
Spricht: Welcher Sonderling!
Nur diesem ists _ein_ Ding,
Wie ihn die Welt auch nennt.

Der Tabak
Dich, Tabak, lobt der Medikus,
Weil uns dein fleißiger Genuß
An Zahn und Augen wohl kurieret,
Und Schleim und Kolster von uns führet.
Dich lobet der Philosophus,
Wenn er scharf meditieren muß;
Weil er, so lang er dich genießet,
Des Geistes Flatterkeit vermisset.
Dich lobet der Theologus
Durch einen homiletschen Schluß,
Wenn er in deinem Rauch entzücket
Ein Bild der Eitelkeit erblicket.
Ich lob an dir als ein Jurist,
Was rechtens an dir löblich ist;
Daß, wenigstens wie mir es dünket,
Man mehr und öfter bei dir trinket.
L.

Der Tausch an Hr. W.
Ein Mägdchen, das Verstand und Geist
Gemeiner Schönen Zahl entreißt,
Ein Mägdchen, das bei Büchern schwitzet,
Wenn Phyllis vor dem Spiegel sitzet,
Das ihrer Seelen Schönheit bessert,
Wenn die die leibliche vergrößert,
Das gründlich denkt und gründlich scherzt,
Platonisch liebt, platonisch herzt:
Freund, so ein Mägdchen ist für dich,
Und nicht für mich.
Ein Mägdchen, dessen zärtlich Bild
Mit Zärtlichkeit die Herzen füllt,
Ein Mägdchen mit beredten Blicken,
Mit Füßen, die versteckt entzücken,
Mit Händen, die liebkosend schlagen,
Und drückend, dich nur lieb ich, sagen,
Mit schwarzem Haar, mit voller Brust,
Gemacht zu dauerhafter Lust:
Freund, so ein Mägdchen ist für mich,
Und nicht für dich.
Das Glück ist ungerecht und blind;
Wenn nicht die Dichter Lügner sind.
Wie oft hat es mit deinem Hoffen,
Wie oft mit meinem eingetroffen?
Wie wenn es, dich und mich zu kränken,
Dir mein, und mir dein Kind wird schenken?
O Freund, was soll die Rache sein?
Der Tausch, o Freund, der Tausch allein.
Doch gibst du, geb ich meine dir,
Auch deine mir?

Der Tod
Gestern, Brüder, könnt ihrs glauben?
Gestern bei dem Saft der Trauben,
(Bildet euch mein Schrecken ein!)
Kam der Tod zu mir herein.
Drohend schwang er seine Hippe,
Drohend sprach das Furchtgerippe:
Fort, du teurer Bacchusknecht!
Fort, du hast genug gezecht!
Lieber Tod, sprach ich mit Tränen,
Solltest du nach mir dich sehnen?
Sieh, da stehet Wein für dich!
Lieber Tod verschone mich!
Lächelnd greift er nach dem Glase;
Lächelnd macht ers auf der Base,
Auf der Pest, Gesundheit leer;
Lächelnd setzt ers wieder her.
Fröhlich glaub ich mich befreiet,
Als er schnell sein Drohn erneuet.
Narre, für dein Gläschen Wein
Denkst du, spricht er, los zu sein?
Tod, bat ich, ich möcht auf Erden
Gern ein Mediziner werden.
Laß mich: ich verspreche dir
Meine Kranken halb dafür.
Gut, wenn das ist, magst du leben:
Ruft er. Nur sei mir ergeben.
Lebe, bis du satt geküßt,
Und des Trinkens müde bist.
Oh! wie schön klingt dies den Ohren!
Tod, du hast mich neu geboren.
Dieses Glas voll Rebensaft,
Tod, auf gute Brüderschaft!
Ewig muß ich also leben,
Ewig! denn beim Gott der Reben!
Ewig soll mich Lieb und Wein,
Ewig Wein und Lieb erfreun!

Der Verlust
Alles ging für mich verloren,
Als ich Sylvien verlor.
Du nur gingst nicht mit verloren,
Liebe, da ich sie verlor!

Der Vetter und die Muhme
O fluche, Freund, nicht alles Wetter
Auf deinen eigensinngen Vetter.
Schmält er manchmal; so laß es sein.
Er hat ja guten Wein.
Auch fluche nicht der alten Muhme.
Man muß ihr Brummen, sich zum Ruhme,
Mit stiller Sanftmut übergehn.
Die Tochter ist ja schön.

Der Wunsch
Wenn ich, Augenlust zu finden,
Unter schatticht kühlen Linden
Schielend auf und nieder gehe,
Und ein häßlich Mädchen sehe,
Wünsch ich plötzlich blind zu sein.
Wenn ich, Augenlust zu finden,
Unter schatticht kühlen Linden
Schielend auf und nieder gehe,
Und ein schönes Mädchen sehe,
Möcht ich lauter Auge sein.

Der alte und der junge Wein
Ihr Alten trinkt, euch jung und froh zu trinken:
Drum mag der junge Wein
Für euch, ihr Alten, sein.
Der Jüngling trinkt, sich alt und klug zu trinken:
Drum muß der alte Wein
Für mich, den Jüngling, sein.

Der bescheidene Wunsch
Der Pfennig, den man andachtsvoll
Dem Priester beichtend geben soll,
Gilt mehr als im gemeinen Leben
Ein Pfennig, den wir Iro geben.
Die Klügsten müssen durch Dukaten
Den Sinn des kleinen Worts erraten.
Man nehm es nicht buchstäblich an,
Der Buchstab bringet Tod und Bann.
"Ach! schenkte mir mein lieber Gott
Nur einst mein liebes bißchen Brot;
Ich wollte mich begnügen lassen
Und keinen Reichen neidisch hassen."
Oh, das ist Staxen leicht zu sagen,
Doch, wollt ihr eine Wette wagen,
Stax schließet Fische, Braten, Wein
Mit in den Wunsch des Brotes ein.
O Liebste! machet dir mein Mund
Den heißen Wunsch nach Küssen kund,
So wisse, daß ich mehr begehret
Als dir mein scheuer Mund erkläret.
Ein Kuß bei mir ist--Soll ichs sagen?
Doch still! Du willst mich heimlich fragen.
Komm! jener Lustwald ruft dir zu:
O Mägdchen! was du tun willst, tu!

Der größte Mann
Laßt uns den Priester Orgon fragen:
Wer ist der größte Mann?
Mit stolzen Mienen wird er sagen.
Wer sich zum kleinsten machen kann.
Laßt uns den Dichter Kriton hören:
Wer ist der größte Mann?
Er wird es uns in Versen schwören:
Wer ohne Mühe reimen kann.
Laßt uns den Hofmann Damis fragen:
Wer ist der größte Mann?
Er bückt sich lächelnd; das will sagen:
Wer lächeln und sich bücken kann.
Wollt ihr vom Philosophen wissen,
Wer ist der größte Mann?
Aus dunkeln Reden müßt ihr schließen:
Wer ihn verstehn und grübeln kann.
Was darf ich jeden Toren fragen:
Wer ist der größte Mann?
Ihr seht, die Toren alle sagen:
Wer mir am nächsten kommen kann.
Wollt ihr den klügsten Toren fragen:
Wer ist der größte Mann?
So fraget mich; ich will euch sagen:
Wer trunken sie verlachen kann.

Der müßige Pöbel
Um einen Arzt und seine Bühne
Stand mit erstaunungsvoller Miene
Die leicht betrogne Menge
In lobendem Gedränge.
Ein weiser Trinker ging vorbei,
Und schriee: welche Polizei!
So müßig hier zu stehen?
Kann nicht das Volk zu Weine gehen?

Der neue Welt-Bau
Der Wein, der Wein macht nicht nur froh,
Er macht auch zum Astronomo.
Ihr kennt doch wohl den großen Geist,
Nach dem der wahre Welt-Bau heißt?
Von diesem hab ich einst gelesen,
Daß er beim Weine gleich gewesen,
Als er der Sonne Stillestand,
Die alte neue Wahrheit fand.
Der Wein, der Wein macht nicht nur froh,
Er macht auch zum Astronomo.
Hört! hört, ihr Sternenfahrer, hört,
Was mir der Wein, der Wein gelehrt!
So kann der Wein den Witz verstärken!
Wir laufen selbst, ohn es zu merken,
Von Osten täglich gegen West!
Die Sonne ruht. Die Welt steht fest!

Der philosophische Trinker
Mein Freund, der Narr vom philosophschen Orden,
Hat sich bekehrt, und ist ein Trinker worden.
Er zecht mit mir und meinen Brüdern,
Und fühlet schon in unsern Liedern
Mehr Weisheit, Witz und Kraft,
Als Jacob Böhm und Newton schafft.
Doch bringt er seine spitzgen Fragen,
Die minder als sie sagen, sagen,
Noch dann und wann hervor,
Und plagt mit Schlüssen unser Ohr.
Jüngst fragt er mich am vollen Tische,
Warum wohl in der Welt der Fische,
In Flüssen und im Meer,
Nicht Wein statt Wassers wär?
Ohn Ursach, sprach er, kann nichts sein.
Die Antwort fiel mir schwer;
Ich dachte hin und her,
Doch endlich fiel mirs ein.
"Die Ursach ist leicht zu erdenken",
Sprach ich mit aufgestemmtem Arm.
Und welche? schrie der ganze Schwarm.
"Damit, wenn Esel davon tränken,
Die Esel, nur verdammt zu Bürden,
Nicht klüger als die Menschen würden."
Die Antwort, schrie man, läßt sich hören.
Drum trinket eins der Weltweisheit zu Ehren!

Der schwörende Liebhaber
Ich schwör es dir, o Laura, dich zu hassen;
Gerechten Haß schwör ich dir zu.
Ich schwör es allen Schönen, sie zu hassen;
Weil alle treulos sind, wie du.
Ich schwör es dir, vor Amors Ohren,
Daß ich--ach! daß ich falsch geschworen.

Der trunkne Dichter lobt den Wein
Mit Ehren, Wein, von dir bemeistert,
Und deinem flüßgen Feur begeistert,
Stimm ich zum Danke, wenn ich kann,
Ein dir geheiligt Loblied an.
Doch wie? in was für kühnen Weisen
You have read 1 text from German literature.
Next - Lieder von Lessing - 2
  • Parts
  • Lieder von Lessing - 1
    Total number of words is 4279
    Total number of unique words is 1400
    39.0 of words are in the 2000 most common words
    51.6 of words are in the 5000 most common words
    58.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Lieder von Lessing - 2
    Total number of words is 4167
    Total number of unique words is 1426
    39.0 of words are in the 2000 most common words
    51.4 of words are in the 5000 most common words
    58.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Lieder von Lessing - 3
    Total number of words is 1269
    Total number of unique words is 574
    43.3 of words are in the 2000 most common words
    53.8 of words are in the 5000 most common words
    58.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.