Die Witwe von Pisa - 3

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irgend einem stillen Mann abgeschnitten haben wird, wissen bis jetzt
sehr wenige. Ihre trauernde Witwe hat sie nur den nächsten
Teilnehmenden gezeigt. Im übrigen--was ist da zu lachen, wenn ein
glücklicher Familienvater vor lärmenden Kindern und Haustieren die
Flucht ergreift, um irgendwo in der Stille ein unsterbliches Werk zu
schaffen? Freilich ist es nachgerade Zeit, daß Sie nach Hause kommen;
denn Ihre schöne Frau wird natürlich umworben, wie weiland Penelope,
und wenn Sie länger tot bleiben-Herr, sagte er und faßte mich
erschrocken am Arm, Sie wollen doch nicht etwa sagen-Nicht das
geringste, was Ihrer Ehre zu nahe treten könnte, fuhr ich eilig fort.
In ganz Pisa kann niemand Ihrer Frau etwas Böses nachsagen, und daß
sie mir eines ihrer überflüssigen Zimmer abgetreten, kann sie vor
ihrem Gewissen verantworten. Ich habe eine Braut in Deutschland und
gebe Ihnen meine heiligste Versicherung, daß mir in Pisa nichts ferner
lag als Liebesaffären.
Er sah mich mit einem forschenden Blicke an, der mich überzeugte, daß
seine alte Leidenschaft für diese Frau durchaus noch nicht erloschen
sei. Als ich ihm aber von meinem Werk über den Schiefbau erzählte,
beruhigte er sich, da er mich nun für einen ausgemachten Narren hielt.
Ich will Ihnen glauben, sagte er. Aber was soll ich jetzt beginnen?
Raten Sie mir! Ich war mein Lebtag ein ganz unpraktischer Mensch und
habe nur für meine Kunst gelebt.
Wissen Sie was? sagte ich. Das beste wird sein, ich fahre sogleich
nach Pisa zurück und bereite Ihre Frau auf Ihr Wiedererscheinen vor.
Wenn Sie plötzlich unangemeldet ins Zimmer träten, könnte die
zärtliche Seele den Tod vor Schrecken haben, oder doch zum wenigsten
ein Nervenfieber. Sie packen indes Ihre Oper ein und folgen mir
morgenden Tages nach.
Das schien denn auch dem guten Mann, der ziemlich kopflos und
tiefsinnig immer noch auf dem Bette saß, das zweckmäßigste, und so
nahmen wir kurz Abschied voneinander; ich bezahlte mein Mittagessen
und wanderte die schmale Gasse hinunter, die jetzt schon recht kühl
und dämmrig war. Nun erst konnte ich stille für mich in Lachen
ausbrechen und mich an dem tiefen Sinn in diesem kindischen Spiel
ergötzen. je mehr ich drüber nachdachte, je mehr mußte ich der
Menschenkenntnis des Neapolitaners Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Denn daß Frau Lucrezia mit gelinderen Mitteln nicht zu bewegen gewesen
wäre, auf ihren Carlo zehn Monate zu verzichten, stand auch mir
felsenfest. Das Lustige an der ganzen Posse war mir aber der Vorgenuß
der Schadenfreude, mit der ich in mein Zimmer in Pisa zu treten dachte,
auf einmal wieder ein freier Mann und ohne Gefahr, "sin' all' ore,
all' ore estreme" im Schatten des schiefen Turmes für das "zweite
Lebensglück" meiner schönen Wirtin haften zu müssen.
Was aber geschieht? Wie ich schon das verfallene Tor durchschritten
habe und um die Ecke biege, um unten an dem Landungsplatz meinen alten
Schiffer wieder aufzutreiben, sehe ich eine verschleierte Dame mir
entgegenkommen, die eben aus einem Nachen gestiegen war und bei meinem
Anblick einen unverständlichen Ausruf tut. Ich achte nicht weiter
darauf, da ich immer nur Pisa im Kopfe habe, und will spornstreichs an
ihr vorbei. Plötzlich ergreift sie mich beim Arm, schlägt den
Schleier zurück und ruft mit dem Tone sittlicher Entrüstung: Ha,
Verräter, meint Ihr mir auch hier zu entrinnen?--Meinen Schrecken
können Sie sich denken. Lucrezia! rief ich und weiter konnte ich
nichts sagen, denn ich überlegte im Nu, wie sehr sie ihre Lage durch
diesen Geniestreich verschlimmerte. Was sagen Sie aber dazu? War mir
dieses unentrinnbare Frauenzimmer richtig nachgereist und machte Miene,
mich zu Lande und zu Wasser, lebend und tot, wieder einzufangen. Um
des Himmels willen! rief ich und zog sie in der ersten Bestürzung in
den dunklen Torbogen, was fällt Ihnen ein, Lucrezia? Wissen Sie
denn--O Ferdinando, unterbrach sie mich mit sehr erhabener Gebärde,
ich flüchte mich zu Euch vor der Bosheit der Menschen. Der Oheim ist
aus Florenz zurück. Er ist wie rasend und hat geschworen, mich
umzubringen, wenn der Fremde, der hinter seinem Rücken sich bei mir
eingeschlichen habe, meine Ehre nicht wiederherstelle, wie es einem
Galantuomo gezieme. Die Tante hat ihn vergebens zu besänftigen
gesucht, er will von nichts hören; er sagt nur immer, daß er Euch
nacheilen und Genugtuung von Euch verlangen oder Euch niederschießen
wolle, wie einen Räuber und Mörder. Was sollte ich tun, ich Ärmste?
Ich habe mit vielen Tränen und Bitten eine Frist von drei Tagen
erlangt; eine innere Stimme sagte mir, daß ich Euch finden und das
Schlimmste noch verhüten würde. Im "Nettuno"erfuhr ich, Ihr seiet
nach La Spezia. Dort hatten sie Euch nach Portovenere fahren sehen.
Und nun, Ferdinando-Ihr kommt wie gerufen, sagte ich. Ihr spart mir
einen Weg. Denn ich war eben im Begriff, wieder umzukehren und Euch
die Nachricht zu bringen, daß Eure Witwenschaft zu Ende ist.
Wirklich? So ist es gut, so laßt uns eilig wieder in den Kahn steigen,
sagte sie. Ich wußte es ja, Ihr würdet ein alleinstehendes Weib
nicht so schwer kompromittieren, wenn Ihr es nicht gut und ehrlich mit
ihr meintet.
Halt! sagte ich. Ihr wißt noch nicht alles. Die Toten stehn wieder
auf. Euer Seliger sitzt droben im Wirtshaus und läßt Euch grüßen. Er
ist frisch und gesund und im Besitz seiner sämtlichen Ohren, die Ihr
von jetzt an hoffentlich etwas schonender behandeln werdet.
Nun war die Reihe zu versteinern an ihr. Während sie mich aber
anstarrte, als ob ich ihr ein Märchen aus Tausend und einer Nacht
erzählte, verlor ich keine Zeit, sondern berichtete ihr im Auszuge
alles, was ich selber wußte. Und damit Ihr nun seht, schloß ich, daß
ich es wirklich gut und ehrlich mit Euch meine, will ich Euch einen
Rat geben, wie Ihr alles noch ganz herrlich wieder in Ordnung bringen
könnt. Ihr geht jetzt auf der Stelle zu Eurem Seligen und erzählt ihm,
daß ein unbestimmtes Gerücht, er halte sich hier in Portovenere
versteckt, Euch von Pisa weggelockt habe. Der treffliche Mann, der
Euch trotz mancher kleiner Schattenseiten noch immer blindlings zu
lieben scheint, wird Euch nicht allzu scharf examinieren. Ein paar
Zeilen, die Ihr an den Oheim vorausschickt, werden auch diesen
Biedermann in die rechte Stimmung bringen, und wenn Ihr sonstiges
Gerede der Nachbarn scheut, so macht eine kleine Hochzeitsreise längs
der Riviera und kehrt erst heim, wenn die Schwätzer stille geworden
sind. Auf meine Diskretion könnt Ihr Euch natürlich verlassen. Ich
werde Euch ewig dankbar sein, daß Ihr mich nicht unwürdig gefunden
habt, Euch ein zweites Lebensglück begründen zu helfen.
Während ich ihr diesen langen Sermon hielt, belustigte es mich sehr,
den Wechsel der Gemütsbewegungen auf ihrem Gesicht zu beobachten.
Aber das Spaßhafteste war der Ausdruck von zeremonieller Kälte, den
sie zum Schutz gegen mich annahm, als sie sich von der Furcht vor
allen verdrießlichen Folgen dieses Abenteuers durch meine weisen Winke
befreit sah. Va bene, sagte sie. Ich wünsche Ihnen eine glückliche
Reise, mein Herr!--Damit nickte sie mir huldvoll wie einem völlig
Fremden meine Entlassung zu, zog den Schleier wieder über das Gesicht
und ging majestätisch, als hätte sie sich eben nur bei einem
Vorübergehenden nach dem Wege erkundigt, die Gasse hinauf, dem
Wiedersehen mit ihrem Carlo entgegen. Ich zweifle nicht, daß sie den
Auferstandenen aufs zärtlichste begrüßt und aufs unbefangenste belogen
haben wird. O die Weiber! Sie sind niemals größer, furchtbarer,
erfinderischer und bezaubernder, als wenn sie ein schlechtes Gewissen
haben!
Dies ist mein Abenteuer mit der Witwe von Pisa, sagte mein Nachbar und
zündete eine frische Zigarre an. Was sagen Sie dazu? Wollen Sie
nicht eine Novelle daraus machen?
Behüte mich der Himmel! rief ich. Ich würde mich schön damit
"kompromittieren". Welcher deutsche Leser glaubte mir diese tolle
Geschichte?
Mag sein, sagte er. Aber daran wären Sie selber schuld. Warum haben
Sie die Meinung verbreitet, die Frauenzimmer jenseits der Alpen (wir
waren nämlich schon über die Höhe des Mont Cenis gekommen und rollten
nach Savoyen hinunter) seien aus ganz besonderem Stoff und von dem
schönen Geschlecht in Deutschland grundverschieden? Könnte diese
Geschichte nicht ebensogut in unserem teueren Vaterlande sich
zugetragen haben?
Was? rief ich erstaunt, Sie glauben im Ernst-Bis auf das Intermezzo
mit den beiden Ohren, sagte er feierlich. Denn gottlob, wir leben in
wohlpolizierten Verhältnissen, und die Spitzbuben schneiden höchstens
Beutel und Zöpfe ab. Was aber die Witwen betrifft-Hier hielt die
Diligence vor einem Stationshause, und eine Tasse Kaffee unterbrach
unser Gespräch, da es eben drohte, eine sehr bedenkliche Wendung zu
nehmen.
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