Die Witwe von Pisa - 1

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Die Witwe von Pisa
Paul Heyse
(1865)

Überhaupt scheint mir, daß Sie von den italienischen Frauen eine zu
günstige Meinung haben.
Wieso? fragte ich.
Ich habe einige Ihrer Novellen gelesen. Nun, daß diese Arrabbiatas
und Anninas doch auch im Süden etwas dünner gesäet sind, als der
geneigte Leser sich einbildet, werden Sie selber zugeben. Beiläufig,
und ganz unter uns: sind es Geschöpfe Ihrer Phantasie, oder Studien
nach dem Leben?
Frei nach dem lieben Herrgott, der schwerlich finden wird, daß seine
Originale durch meine Bearbeitung gewonnen haben.
Mag sein! Aber Sie leugnen doch nicht, daß Sie sich absichtlich immer
die besten Exemplare ausgesucht haben? Da dürfen Sie sich denn nicht
beklagen, wenn man Sie zu den Idealisten rechnet.
Beklagen? Wie sollte ich wohl! Ich finde mich da in so guter
Gesellschaft, daß ich froh bin, wenn ich darin geduldet werde.
Ebenfalls im tiefsten Vertrauen, Verehrtester: Ich habe nie eine Figur
zeichnen können, die nicht irgend etwas Liebenswürdiges gehabt hätte,
vollends nie einen weiblichen Charakter, in den ich nicht bis zu einem
gewissen Grade verliebt gewesen wäre. Was mir schon im Leben
gleichgültig war, oder gar widerwärtig, warum sollte ich mich in der
Poesie damit befassen? Es gibt genug andere, die es vorziehn, das
Häßliche zu malen. Sehe jeder, wie er's treibe!
Schön! Und vielleicht sogar richtig! Ich verstehe diese Dinge nicht.
Aber ich habe immer sagen hören, die Poesie solle das Leben
widerspiegeln. Nun denn, das Leben hat doch auch seine Kehrseite.
Und zur Wahrheit gehört Licht und Schatten. Glauben Sie nicht, daß
Sie es der Wahrheit schuldig sind, auch von den minder liebenswürdigen
Figuren, die zum Beispiel in Italien herumlaufen, Notiz zu nehmen?
Sobald ich ein Buch über den italienischen Volkscharakter
ankündige--gewiß! Aber ich gebe Geschichten. Wenn ich lieber
Gcschichten schreibe, die mir selbst gefallen, als Schattenrisse von
der Kehrseite der Natur, wen betrüge ich, als solche, die ihr
Interesse dabei finden, sich betrügen zu lassen? Aber Sie haben mich
auf die vielberufene Kehrseite neugierig gemacht. Was verstehen Sie
darunter?
Hin! Das ist leicht gesagt. Wenn ich nicht sehr irre, ist es die
unverfälschte Naturkraft, die Sie an diesen Weibern anzieht, der
Mangel der zahmen und lahmen Pensionats- und Institutserziehung, das
Wildwüchsige mit einem Wort.
Und die edle Rasse, nicht zu vergessen; eben jene reiche Anlage, die
man viel getroster sich selbst überlassen darf als eine von Hause aus
dürftigere Natur--schaltete ich ein.
Einverstanden! Und ich gebe Ihnen auch das noch zu, daß die
Leidenschaften unter diesem Himmel sich in einem gewissen großen Stil,
in einer natürlichen Erhabenheit austoben, selbst die
allerverrücktesten; daß sogar die Hauptleidenschaft des
Geschlechts--diesseits wie Jenseits der Berge--bei aller Komik hier
etwas Grandioses behält.
Eine, Hauptleidenschaft?
Ich meine die Sucht, einen Mann zu bekommen. Sie lachen? Ich kann
Ihnen sagen, daß mir die Sache außer Spaß ist, seit ich Gelegenheit
gehabt habe, über diesen Punkt nähere Studien zu machen.
Auf die ich begierig wäre.
Ich will Ihnen das Abenteuer nicht vorenthalten, obwohl es für einen
Idealisten, wie Sie sind, kein dankbarer Stoff sein wird. Nur soll
mir unser Kondukteur erst etwas Feuer geben. Un po' di fuoco, s'il
vous plaît, Monsieur?-Dieses Gespräch wurde in einer schönen
Sommernacht hoch oben in der Imperiale einer französischen Diligence
geführt, die von zwei Pferden und vierzehn Maultieren in kurzem Trabe
die breite Straße des Mont Cenis hinaufgeschleppt wurde. Obwohl der
Himmel herrlich ausgestirnt war, lag doch nur ein schwacher Schein auf
den Tälern zur Seite des Weges, aus denen die schweren Wipfel der
Kastanien heraufragten, so daß man auf den Genuß der Aussicht
verzichten mußte. Und da Peitschenknall, Zuruf der Maultiertreiber,
die neben ihren langgespannten Tieren bergan liefen, und das
hundertfache Schellengeläute auch einen gesunden Schlaf nicht
aufkommen ließen, mußte ein deutscher Schriftsteller noch zufrieden
sein, wenn er dreitausend Fuß über dem Meeresspiegel einen so
wohlwollenden Rezensenten neben sich fand, wie mein Coupénachbar bei
aller Meinungsverschiedenheit zu sein schien. Wir waren schon von
Turm aus die Bahnstrecke bis ans Gebirge zusammen gefahren, schweigsam
jeder in einen Winkel gedrückt. Erst der Namensaufruf bei der
Verteilung der Plätze hatte das Eis gebrochen, da wir uns beide nicht
ganz fremd waren.
Kennen Sie Pisa? fragte er, nachdem er seine Zigarre an der Pfeife des
Franzosen angezündet hatte.
Ich erzählte ihm, daß ich erst vor kurzem volle vierzehn Tage in
dieser stillsten aller Universitätsstädte der Welt Studierens halber
zugebracht hätte.
Nun, dann kennen Sie am Ende meine Witwe vom Sehen oder doch vom Hören.
Sind Sie nie in der breiten Straße, die der Borgo heißt, an einem
Hause mit grünen Jalousien vorbeigekommen und haben aus einem Fenster
des ersten Stockwerkes eine schmetternde Sopranstimme jenes Duett aus
der "Norma" singen hören: Ah sin' all' ore all' ore estreme--?
Ich verneinte.
Danken Sie Ihrem Schöpfer, sagte er mit einem Seufzer, der aus einer
hartgeprüften Brust zu kommen schien. Sehen Sie, diese Stimme war
mein Verderben. Ich bin leider ganz unmusikalisch, sonst hätte sie
mich vielleicht gewarnt, statt mich ins Netz zu locken. Aber wenn man
in ein paar Dutzend unsäuberlichen Studentenwohnungen herumgekrochen
ist--die besseren möblierten Zimmer waren, mitten im Semester, schon
längst vergeben--, und hört dann aus einem reinlichen Hause, an dem
der Mietszettel hängt, eine Frauenstimme flöten, so werden Sie
begreifen, daß man eine Stimme des Himmels zu vernehmen glaubt, auch
wenn man ein besserer Musikus ist als ich. Ich muß aber erst
voranschicken, was ich eigentlich in Pisa zu suchen hatte. Sehen Sie,
das hängt so zusammen. Ich bin Architekt, wie Sie wissen. In dem
kleinen deutschen Raubstaat, den ich als mein engeres, leider viel zu
enges Vaterland pflichtschuldigst liebe und ehre, bin ich, ohne Ruhm
zu melden, so ziemlich der einzige meines Faches, der etwas zu bauen
versteht, was über die landläufigen Menschenställe von drei
Stockwerken hinausgeht. Wenn Sie einmal durch N. kommen sollten,
versäumen Sie nicht, unser neues Zeughaus anzusehen, worin die sieben
Landeskanonen sorgfältig unter Schloß und Riegel gehalten werden,
damit sie nicht über die Landesgrenze wegschießen. Dieses Arsenal
habe ich gebaut und mir dadurch nicht nur den Dank des Vaterlandes,
sondern auch die besondere Gunst unseres Serenissimus erworben. Wenn
er noch einmal seinen Lieblingsplan ausführt, eine Mauer um sein Land
aufführen zu lassen nach dem Muster der chinesischen, kann ich dieses
ruhmreichen Auftrages sicher sein. Vorläufig hat er mir seine Huld
auf eine unscheinbarere, aber mir angenehmere Weise bezeigt, indem er
mich mit einem wissenschaftlichen Auftrage nach Italien schickte. Wir
besitzen nämlich als eine der Hauptsehenswürdigkeiten unserer Residenz
mitten im Schloßpark einen schiefen Turm. Böswillige, unpatriotische
Menschen behaupten, es sei mit dieser künstlerischen Merkwürdigkeit
sehr natürlich zugegangen, da ein später angelegter Karpfenteich in
der Nähe dieses ehemaligen Wachttürmchens den Boden ringsumher
aufgeweicht und so die Senkung verursacht habe. Man kann unseren
Landesvater nicht stärker beleidigen, als wenn man diese
hochverräterische Meinung äußert. Als er daher eines Tages auch mich
um mein sachverständiges Urteil befragte, war ich Diplomat genug, zu
antworten, ich sei, da ich Italien nicht kenne, außerstande,
nachzuweisen, in welchem historischen Zusammenhange unser schiefer
Turm mit den berühmteren von Pisa, Bologna, Modena u.s.w. stehen
möchte. Nur ein umfassendes Studium des gesamten mittelalterlichen
Schiefbaues könne zu einer gerechten Würdigung unserer heimatlichen
monumentalen Romantik das Material liefern. Das wirkte. Schon Tags
darauf erhielt ich durch Kabinettsschreiben den allerhöchsten Auftrag,
eine Kunstreise nach Italien auf ein ganzes Jahr anzutreten, um auf
Kosten der Kabinettskasse Studien zu einem umfassenden Werk über die
schiefen Türme Italiens und Deutschlands zu machen. Ich ging um so
freudiger darauf ein, weil ich mich vor kurzem verlobt hatte und ohne
eine solche höhere Mission mich schwerlich so bald losgerissen hätte,
das gelobte Land endlich mit Augen zu sehen, was ich doch meinem Beruf
längst schuldig gewesen wäre.
Erlauben Sie mir zu bemerken, sagte ich, daß nach diesen Mitteilungen
Ihre Erfahrungen mit italienischen Mädchen und Frauen mir nicht mehr
so beweiskräftig scheinen wie vorher. Ein deutscher Bräutigam, der
besonders auf alles Schiefgewachsene sein Augenmerk zu richten hat-Im
allerhöchsten Auftrage! fiel er mir lachend ins Wort. Aber ein Jahr
ist lang, und sowohl der Herr des Landes als die Herrin meines Herzens
werden es verzeihlich finden, daß ich mich in den Mußestunden auch mit
geradegewachsenen Schönheiten beschäftigt habe. Nein, hören Sie erst
meine Pisaner Fata. Diese Stadt hatte ich mir für den Rückweg
aufgespart. Den Kampanile des Pisaner Doms-den hebt mir auf, Daß ich
zuletzt ihn speise!-sagte ich bei mir selbst und dachte volle vier
Wochen in Pisa meinen Messungen obzuliegen und vielleicht schon ein
Stück meines Buches über den Schiefbau hier in der Stille
niederzuschreiben, damit ich außer Rissen und Zeichnungen Serenissimo
auch etwas zu lesen mitbringen könnte. Nun aber, wie gesagt, hatte
ich es fast schon aufgegeben, eine anständige Privatwohnung zu finden,
als ich todmüde am schwülen Mittag durch den Borgo schlendere und da
auf einmal wie vom Himmel herab aus einem Fenster gerade über dem
"Camere da affittare" den schmetternden Gesang höre. Hinaufstürzen,
anpochen und dein Aschenputtel von Küchenmädchen meine obdachlose Lage
schildern, war, wie geistreiche Erzähler sagen, das Werk eines
Augenblicks. Das Ding musterte mich von der Hutkrempe bis zu den
Schuhen. Dabei lachte sie und schüttelte den Kopf. Nein, nein, sagte
sie, hier wird nichts vermietet.--Aber der Zettel? sagt' ich. Und es
steht doch deutlich darauf: Im ersten Stock!--ja, aber nicht per gli
uomini! meinte sie und wollte schon die Türe wieder zuschlagen.--Was?
rief ich, nicht für Menschen? Nun beim Himmel, so sollt ihr erleben,
daß selbst ein geduldiger Deutscher zu einer Bestie werden kann, wenn
nur die Bestien in Pisa ein menschliches Quartier finden!--Chè, chè
sagte sie, und wollte sich ausschütten vor Lachen, so sei es nicht
gemeint. Nur an männliche Menschen würden die Zimmer nicht vergeben.
Ihre Herrin sei eine Witwe und beherberge nur Damen. Indessen wolle
sie erst einmal anfragen; ich möchte nur eintreten.--So führte sie
mich, immer lachend, durch die Küche in ein sehr sauberes Gemach, wo
ein großes, vierschläfriges Himmelbett stand, eine alte Kommode und
einige Rohrstühle, der Steinboden mit geflochtenen Matten sorgfältig
belegt; aber was mir am meisten ins Auge stach: ein mächtiger
viereckiger Tisch mitten im Zimmer, gerade so einer, wie er meine
Sehnsucht war, um Reißbretter und Mappen bequem darauf ausbreiten zu
können. Hier bleibst du! rief eine Stimme in mir, und wenn es um den
Preis wäre, daß du dein Geschlecht verleugnen und am Rocken dieser
Omphale Garn spinnen müßtest. Indem höre ich, wie nebenan der Gesang
und das Klavierspiel plötzlich abgebrochen wird und Aschenputtel seine
Botschaft unter beständigem Kichern ausrichtet. Ich hatte kaum Zeit,
mir eine herzbewegende Rede einzustudieren, da geht die Türe auf und
meine Witwe tritt herein, in einem Nachtgewande von verdächtiger Weiße,
aber unzweifelhafter Sittsamkeit, die starken, schwarzen Haare in
Papilloten, mit einer Haltung und Miene, daß ich sogleich wußte: die
war schon einmal auf den Brettern! Aber sie war gar nicht übel, kann
ich Ihnen sagen. Etwas Anlage zum Fettwerden, die Nase für meinen
Geschmack vielleicht ein wenig zu stumpf, nicht mehr die allererste
Frische, aber für eine Witwe äußerst wohlkonserviert, und ein Paar
große, schwarze Augen im Kopf, wie--nun Sie können sich selbst ein
passendes Gleichnis dazu suchen; wofür sind Sie Poet?
Ich, als bildender Künstler, hatte auf den ersten Blick alle Vorzüge
dieser Dame weg; aber selbst wenn sie zum Titelkupfer für mein Werk
über den Schiefbau getaugt hätte: der schöne große Tisch hätte sie mir
reizend erscheinen lassen. Ich glaube, ich habe in meinem Leben keine
größere Beredsamkeit in einer fremden Sprache entwickelt als jetzt, wo
es galt, ihre tugendhaften Vorurteile zu besiegen. Ich sei zwar,
sagt' ich, allerdings eine Mannsperson (persona maschia--ausgesuchtes
Italienisch, nicht wahr?); aber von einer so weiblichen Gemütsart, daß
ich sogar in meiner Jugend von einer schönen Frau das Filetstricken
gelernt hätte. Niemand im ganzen Stadtviertel werde mich jemals
betrunken nach Hause kommen sehn, und sittenlose Bekanntschaften hier
in Pisa zu machen, liege mir fern. Sogar des Rauchens wolle ich mich
enthalten, wenn es ihr unangenehm sei, und gern jeden Preis, den sie
für das Quartier fordere, unbedenklich vorauszahlen.
Sie hörte mich ruhig an, und meine rührende Beschwörung schien
Eindruck auf sie zu machen. Wenigstens sagte sie endlich, sie selbst
habe gar nichts dagegen, aber sie sei eine junge Witwe, und ihr Oheim,
der Vormund ihrer Kinder, wünsche nicht, daß sie ihren Ruf in Gefahr
bringe, indem sie die jetzt überflüssig gewordenen Zimmer an Herren
vermiete. Ich fragte sogleich nach der Wohnung dieses klugen Mannes
und hörte zu meinem Schrecken, daß ich nicht hoffen durfte, auch an
ihm meine Überredungskünste zu versuchen, da er gerade nach Florenz
gereist sei.--So muß ich denn wirklich verzweifeln? rief ich mit so
unverstelltem Kummer (ich hatte eben wieder mit dem Tisch
geliebäugelt), daß die gute, ohnehin nicht sehr steinerne Witwenseele
zu schmelzen anfing. Kommen Sie nachmittags wieder, sagte sie; ich
will sehen, ob es, zu machen ist. Erminia, begleite den Herrn hinaus!
--Damit machte sie mir eine Reverenz wie eine Fürstin, die einen
Ambassadeur empfangen hat, und ich war in Huld und Gnaden entlassen.
Sie können sich denken, daß ich in einer nicht geringen Aufregung
meinen Risotto in jener Mustertrattorie Italiens, dem "Nettuno" am
Lungarno, verzehrte und gerade das Doppelte meiner gewöhnlichen
Weinration dazu trank. Ich mußte mich stärken für den Fall, an den
ich nur mit Schrecken denken konnte, daß ich einen solchen Tisch in
Pisa wissen und mich doch wieder, wie schon so oft, jämmerlich mit
einem aus Stühlen, Stock und Regenschirm gezimmerten Notgestell
behelfen müßte.
Und wie ich so gegen drei Uhr wieder die steinerne Treppe hinaufstieg,
klopfte mir ordentlich das Herz, als ob es sich nicht um ein Stück
Holz, sondern um die Besitzerin selbst handelte und ich sollte mir
eben Bescheid auf einen viel bedenklicheren Antrag holen. Diesmal kam
sie mir, schwarz angetan, in etwas gewählterer Haartracht entgegen und
schien ebenfalls nicht ganz unbefangen. Ich legte mir das zu meinen
Gunsten aus und erschrak nicht wenig, als sie mir ohne viel Vorreden
eröffnete, sie habe in Abwesenheit des Onkels die Tante befragt, die
ebenfalls meine, diesen Schritt nicht wohl verantworten zu können.
Eine junge Witwe--und dabei senkte sie mit recht täuschender
Verschämtheit ihre schwarzen Augen--noch dazu wenn sie Künstlerin
war--und in den Jahren, wo man noch nicht auf ein neues Lebensglück
verzichtet--Sie werden begreifen, daß es Rücksichten gibt, die man den
Seinigen schuldig ist, und der Wunsch meines Oheims, mich wieder
vermählt zu sehen--ein Galantuomo wie Sie, mein Herr, wird dem Glück
einer einzelstehenden jungen Frau nichts in den Weg legen wollen.
Ganz im Gegenteil, meine beste Dame, rief ich lebhaft aus--immer die
Augen auf meinen schönen Tisch geheftet--, vielmehr würde ich
überglücklich sein, Ihnen beweisen zu können, wie sehr ich Ihre
Zurückhaltung schätze, wie sehr ich Sie wegen der Reize, Talente und
Tugenden, die Ihre Person schmücken, bewundere und verehre. Ja, Sie
haben recht, und Ihr würdiger Oheim hat recht: ein Wesen wie Sie ist
geschaffen, glücklich zu sein und glücklich zu machen. Der Ärmste,
der dieses Glück nur so kurze Zeit genossen hat! Wie lange ist er
Ihnen schon entrissen?
Zehn Monate, sagte sie, ohne daß die Erinnerung sie besonders
anzugreifen schien. Er reiste nach Neapel, fiel unter die
Briganten--und kam nicht wieder. Soll ich Ihnen seine Photographie
zeigen?
Damit ging sie mir voran in das Nebenzimmer, das etwas reichlicher
möbliert war und offenbar als eine Art Salon benützt wurde. Hier
stand der Flügel, ein eleganter Schreibtisch nahe am Fenster, einige
bunte Vogelkäfige hingen von der Decke herab, und die Wände waren mit
Porträts berühmter Theatergrößen bedeckt. Im unscheinbarsten Rahmen
über dem Sofa, mit einem verstaubten Lorbeerkranz umgeben, sah ich das
Bild eines ernsten Mannes in mittleren Jahren, den sie mir als ihren
Seligen vorstellte. Auch jetzt konnte ich keine Spur einer
Gemütsbewegung auf ihrem Gesicht entdecken. Die Kanarienvögel schrien,
ein kleines Wachtelhündchen kroch unter dem Sofa hervor und fing an
zu bellen, Aschenputtel hörte ich durchs Schlüsselloch hereinkichern,
und mitten in diesem Tumult stand meine Schöne und sprach ganz
gelassen von einem neuen Lebensglück, wobei sie mich einlud, auf dem
Sofa neben ihr Platz zu nehmen.
Ich äußerte ihr meine Verwunderung, daß sie schon zehn Monate allein
stehe, ohne von allen Seiten umworben zu werden.--Ich bin wählerisch,
sagte sie. Ich war zu glücklich mit meinem Carlo, um mich der Gefahr
auszusetzen, mich an jemand zu binden, der mich weniger liebte als er.
Mehrere haben um mich angehalten, noch erst vorgestern ein junger
Graf; den hätte ich auch wohl genommen, aber er war zu jung für mich,
erst neunzehn Jahre, und ich bin doch schon dreiundzwanzig. Der arme
Mensch dauerte mich freilich; aber was wollen Sie? Man kann doch
nicht alle heiraten, die vor Liebe zu einem den Verstand verlieren.
Freilich nicht, erwiderte ich. Was wollten Sie auch mit einem solchen
Kinde anfangen? Nur ein reiferer Mann, der das Leben schon kennt,
würde Ihren Wert ganz zu schätzen wissen und Ihnen einigermaßen den
Verlorenen ersetzen.
Sie seufzte. O die Männer! sagte sie. Alle sind sie Egoisten! Nur
die Jugend hat noch Hingebung und Begeisterung für das Schöne. Die
Reiferen werden kalt und sind nicht mehr fähig, glücklich zu machen.
Es käme auf den Versuch an, sagte ich, halb arglos, halb um sie zu
vcrsuchen; denn ich merkte nun wohl, wie die Dinge standen, und daß
die Tante unter gewissen Voraussetzungen ihr Veto gern zurückziehen
würde. Dabei kam mir das ganze Abenteuer so drollig vor, daß der
Übermut sich in mir regte, die Posse noch etwas weiter zu spielen.
Schöne Frau, sagte ich, wie heißen Sie eigentlich?
Lucrezia, erwiderte sie und sah mich mit unbeweglichen Augen forschend
an.
Schöne Lucrezia, fuhr ich fort, vielleicht ist es ein Werk der
Vorsehung, daß ich jetzt auf diesem Sofa sitze. Ich bin viel
herumgeschweift (ich meinte: in Pisa, nach Wohnungen; sie verstand: in
der Welt) und habe nirgends gefunden, was ich suchte. Erst in diesem
Hause--und dabei schielte ich wieder durch die Türe nach dem schönen
Zeichentisch--ja, Madonna Lucrezia, erst hier fühle ich den Drang, zu
bleiben und Hütten zu bauen. Sie kennen mich nicht und ich kenne Sie
nicht, und es wäre voreilig, heute schon über die Zukunft entscheiden
zu wollen. Chi va piano, va sano.
Aber auch lontano, schaltete sie ein. Sie reisen wieder nach Hause?
Es kommt ganz auf Euch an, wie lange ich Pisas Lüfte atmen werde,
sagte ich mit schamloser Doppelzüngigkeit und antwortete ebenso
hinterhältig auf ihre Frage, ob ich schon eine Frau habe: nein, noch
nicht, aber ich sei entschlossen, kein halbes Jahr mehr ein
Junggeselle zu bleiben.--Da beschämte mich diese große Seele mit dem
offenen Geständnis, sie habe vier Kinder; die zwei jüngsten seien über
Tag meist bei der Tante, die beiden älteren, von fünf und vier Jahren,
in Florenz bei der Mutter ihres Seligen.--Schön, sagte ich, ich hoffe,
ich lerne die kleinen Engel bald kennen; ich habe eine wahre Passion
für alle Haustiere, Kinder, Hunde und Kanarienvögel.--O Sie sind eine
Ausnahme! rief sie schwärmerisch; mein Carlo wollte immer aus der Haut
fahren, wenn die Kinder schrien und die Vögel zwitscherten und ich
dazwischen Solfeggien sang. Sie sind gewiß ein Engländer, die haben
immer so einen aparten Geschmack.--Nur ein Deutscher, sagte ich; aber
auch bei uns gibt es Narren genug, die es entweder schon sind, oder
doch für ein Paar schöne Augen sich nicht lange besinnen, es zu werden.
Also meinen Koffer darf ich herbringen lassen?
Ich begleitete diese Frage mit einem ehrerbietigen Handkuß, stand auf
und empfahl mich so eilig, als ich höflicherweise konnte, um meinen
Sieg nicht wieder aufs Spiel zu setzen. Denn wenn sie mir einen
Mietsvertrag vorgelegt hätte, um mich in Paragraph Eins ausdrücklich
zum Heiraten zu verpflichten, wäre meine ganze Doppelzüngigkeit zu
Schanden geworden.--Ich drückte dem Aschenputtel Erminia ein paar
Franken in die Hand, und schon eine Stunde nachher war ich mit Sack
und Pack wieder vor der Tür und hielt triumphierend meinen Einzug.
Auch hatte ich die ersten Tage keine weiteren Unbequemlichkeiten von
meiner Kriegslist, keine Anfechtungen, weder in meinem Gewissen, noch
in meinen vier Pfählen. Der überrumpelte schöne Feind begnügte sich
offenbar damit, mich zu beobachten; denn bei der Kaltblütigkeit, mit
der das "neue Lebensglück" betrieben wurde, konnte sie sich Zeit
lassen, zu untersuchen, ob sie auch kein schlechtes Geschäft mache mit
diesem wildfremden Zukünftigen. Leider schien das Ergebnis ihrer
Forschungen täglich mehr zu meinen Gunsten auszufallen. Und ich
machte es auch danach! Einen stilleren, geduldigeren, fleißigeren
zweiten Mann, als ich in diesen Tagen darstellte, kann sich keine
junge Witwe wünschen, und wenn ich im Punkte der Zärtlichkeit manches
zu wünschen übrig ließ, so war dies mit der ritterlichen Diskretion zu
entschuldigen, die unsere Zimmernachbarschaft mir zur Pflicht machte.
Kam ich von meinen Vermessungsgeschäften am Kampanile nach Hause, so
pflanzte ich mich sofort hinter den bewußten Tisch, um die Resultate
in meine Zeichnung einzutragen. Währenddessen konnte sie nebenan ihr
"Ah sin' all' ore all' ore estreme" oder eine andere schmelzende
Kazitilene schmettern, so viel sie wollte: Ich pries, zum ersten Male
im Leben, mein stumpfes Ohr, das mir half, dieser Lockung mannhaft zu
widerstehen. Ein paarmal schickte sie mir die Kinder herein, die
einen greulichen Unfug mit meinen Mappen und anderen Habseligkeiten
anstellten, bis ich mit einigen Orangen den Frieden von ihnen erkaufte.
Auch in dieser Prüfung benahm ich mich musterhaft. Ging ich darin
in der Abendkühle am Lungarno spazieren unter dem Schwarm von
Studenten, Pisaner Bürgern mit ihren Familien und einigen wenigen
Stutzern, die auch hier nicht fehlten-nun Sie kennen ja das alles aus
eigener Anschauung-, so begegnete ich regelmäßig einige Male meiner
schönen Hauswirtin, die an der Seite einer Freundin mit züchtigen
Witwenschritten dichtverschleiert lustwandelte und, wie ich merken
konnte, viele Verehrer hatte. Mancher von diesen hätte mich wohl
beneidet, wenn er gewußt hätte, wie bequem es mir gemacht wurde. Ich
aber begnügte mich mit devotem Hutabziehen und kam regelmäßig erst
nach Hause, wenn ich wußte, daß sie schon Nacht gemacht hatte. Das
geschah sehr früh-, denn da sie, wie die meisten Italienerinnen,
völlig ungebildet war und höchstens einen französischen Roman in der
Übersetzung las, so langweilte sie sich entsetzlich, sobald es dunkel
wurde und sie nicht mehr aus dem Fenster sehen und sich bewundern
lassen konnte.
Dieser friedfertige Zustand, der meinen Wünschen sehr entsprach--ein
Leben wie im Paradiese, wo Wolf und Lamm in Unschuld nebeneinander
hausten--, hatte etwa eine Woche gedauert, da merkte ich, daß das Lamm
sich zu wundern anfing, wie zahm der Wolf sich betrage; ja es schien
der armen Unschuld ordentlich gegen die Ehre zu gehen, daß sie noch
immer ungefressen blieb, da sie sich selbst doch appetitlich genug
vorkam. Nun kehrte sich der Naturzustand um, und das Lamm rüstete
sich, den Wolf nach allen Regeln zu belagern. Einige Tage blieb es
bei frischen Blumensträußen, mit denen ich meinen Zeichentisch
geschmückt fand, wenn ich nach Hause kam. Dann fand ich, da meine
Hausschuhe in ziemlich desolatem Zustande waren, abends ein paar warme
türkische Pantoffeln vor meinem Bett, die offenbar dem Seligen, meinem
Vor-Wolf, gehört hatten; übrigens waren sie noch so gut wie neu.
Mittags mußte ich mit aller Gewalt ein Fritto von Artischocken und
kleinen Kürbissen kosten, das Madonna Lucrezia selbst bereitet haben
wollte, und ihr mit einem Glase Chianti Bescheid tun. Erminia, die
mit am Tisch aß und die beiden Bimbi fütterte, hatte wieder genug zu
kichern, und nur das Hündchen knurrte mich feindselig an, als einen
Eindringling, der ihm seine Ration zu verkümmern drohte. Dabei
führten wir tiefsinnige Gespräche über deutsche und toskanische
Kochkunst, und ich abtrünniger Sohn meines Vaterlandes verleugnete
sogar das deutsche Sauerkraut gegenüber den italienischen Artischocken.
Das schien ihr bedeutsam genug, um andern Tags einen noch
lebhafteren Sturm zu wagen. Denken Sie, was das verschmitzte Geschöpf
sich einfallen ließ! Ich bin am Vormittag wie gewöhnlich auf meinem
schiefen Turm, nun schon in den obersten Geschossen, und denke an
nichts Arges, da höre ich unten aus der Tiefe zu mir heraufsingen das
nur zu wohlbekannte: "Ah sin' all' ore all' ore estreme", und richtig,
meine schöne Freundin ersteigt herzhaft die langen Wendeltreppen, so
daß an ein Entrinnen nicht zu denken war, ich hätte denn hinter den
Pfeilergalerien Versteckens spielen müssen. Was sie eigentlich
beabsichtigte, ist mir heute noch nicht recht klar; denn von der
obersten Zinne sich, entweder allein, oder Arm in Arm mit mir
hinabzustürzen, wenn ich ihr nicht endlich ein festes
Heiratsversprechen gäbe, dazu war sie ein viel zu praktischer
Charakter, viel zu sehr--Italienerin, hätt' ich beinahe gesagt. Aber
ich will Ihren Idealismus nicht kränken. Am Ende war es auch bloß die
Langeweile, die sie zu mir trieb. Ich natürlich stellte mich sehr
erfreut, machte die Honneurs des Turnies aufs Liebenswürdigste, und da
wir ganz allein waren, hielt ich es für angebracht, ihr wenigstens
wieder einmal die Hand zu küssen. Sie hatte auch gerade ihren guten
Tag. Vom Steigen war ihr wachsbleiches Gesicht etwas gerötet, und wie
sie so die kohlschwarzen Augen über Dom und Baptisterium und Stadt und
fernes Gebirge funkeln ließ, schien sie mir wirklich keine üble Partie.
Notabene für einen Italiener, der keine Gemütsansprüche machte. Ich
sagte ihr sehr viel schöne Dinge, die das arme Lamm, nach der langen
schlechten Behandlung von meiner Seite, mit sichtlichem Behagen
einschlürfte. Natürlich wurde ich durch einige zärtliche Anspielungen
und sehr ermutigende Blicke belohnt. Aber ich hatte nicht nötig,
durch Umdrehung meines Verlobungsringes einen guten Geist zu
beschwören, daß er mich in dieser Versuchung beschütze, denn ich wußte
es ganz deutlich, daß ich ihr bei all ihren kleinen schmachtenden
Manövern im Grunde der Seele so gleichgültig war wie die Marmorstufe,
auf der sie stand. Und so kamen wir denn nach Verlauf einer Stunde
beide ganz wohlbehalten unten auf dem Domplatze wieder an.
Sie aber mußte doch wohl glauben, das Eisen zum Glühen gebracht zu
haben, denn sie verlor keine Zeit, es zu schmieden. Noch denselben
Nachmittag schleppte sie mich in eines der offenen Theater,--ich
glaubte, das sogenannte Politeama war's--Sie werden sich erinnern.
Vergebens wandte ich ein, daß ich sie zu kompromittieren fürchte, wenn
man uns zwei so öffentlich miteinander das Schauspiel besuchen sähe.
--Die Sachen sind nun doch schon so weit gediehn, gab sie ganz
gelassen zur Antwort, daß Sie mich viel stärker, als Sie schon getan,
überhaupt nicht mehr kompromittieren können. Und wird nicht doch
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