Der Neffe als Onkel - 1

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Friedrich Schiller.
Der Neffe als Onkel.
Lustspiel in drei Aufzügen.
Aus dem Französischen des Picard.


Personen.
Oberst von Dorsigny. Frau von Dorsigny. Sophie, ihre Tochter.
Franz von Dorsigny, ihr Neffe. Frau von Mirville, ihre Nichte.
Lormeuil, Sophiens Bräutigam. Valcour, Freund des jungen Dorsigny.
Champagne, Bedienter des jungen Dorsigny. Ein Notar. Zwei
Unterofficiere. Ein Postillon. Jasmin, Diener in Dorsigny's Hause.
Drei Lakaien.


Erster Aufzug.

Erster Auftritt.
Valcour tritt eilfertig herein, und nachdem er sich überall umgesehen,
ob Niemand zulegen, tritt er zu einem von den Wachslichtern, die
vorn auf einem Schreibtisch brennen, und liest ein Billet.

"Herr von Valcour wird ersucht, diesen Abend um sechs Uhr sich im
Gartensaal des Herrn von Dorsigny einzufinden. Er kann zu dem
kleinen Pförtchen herein kommen, das den ganzen Tag offen ist.
"--Keine Unterschrift!--Hm! Hm! Ein seltsames Abenteuer--Ist's
vielleicht eine hübsche Frau, die mir hier ein Rendezvous geben
will?--Das wäre allerliebst.--Aber still! Wer sind die beiden
Figuren, die eben da eintreten, wo ich hereingekommen bin?

Zweiter Auftritt.
Franz von Dorsigny und Champagne, beide in Mäntel eingewickelt.
Valcour.

Dorsigny (seinen Mantel an Champagne gebend). Ei, guten Abend,
lieber Valcour!
Valcour. Was? Bist du's, Dorsigny? Wie kommst du hieher? Und wozu
diese sonderbare Ausstaffierung--diese Perrücke und diese Uniform,
die nicht von deinem Regiment ist?
Dorsigny. Meiner Sicherheit wegen.--Ich habe mich mit meinem
Obristlieutenant geschlagen; er ist schwer verwundet, und ich komme,
mich in Paris zu verbergen. Weil man mich aber in meiner eigenen
Uniform gar zu leicht erkennt, so habe ich's fürs sicherste gehalten,
das Kostüm meines Onkels anzunehmen. Wir sind so ziemlich von einem
Alter, wie du weißt, und einander an Gestalt, an Größe, an Farbe bis
zum Verwechseln ähnlich und führen überdies noch einerlei Namen. Der
einzige Unterschied ist, daß der Oberst eine Perrücke trägt, und ich
meine eignen Haare--Jetzt aber, seitdem ich mir seine Perrücke und
die Uniform seines Regiments zulegte, erstaune ich selbst über die
große Aehnlichkeit mit ihm. In diesem Augenblick komme ich an und
bin erfreut, dich so pünktlich bei dem Rendezvous zu finden.
Valcour. Bei dem Rendezvous? Wie? Hat sie dir auch was davon
vertraut?
Dorsigny. Sie? Welche sie?
Valcour. Nun, die hübsche Dame, die mich in einem Billet hieher
beschieden? Du bist mein Freund, Dorsigny, und ich habe nichts
Geheimes vor dir.
Dorsigny (lachend). Die allerliebste Dame!
Valcour. Worüber lachst du?
Dorsigny. Ich bin die schöne Dame, Valcour.
Valcour. Du?
Dorsigny. Das Billet ist von mir.
Valcour. Ein schönes Quiproquo, zum Teufel!--Was fällt dir aber ein,
deine Briefe nicht zu unterzeichnen?--Leute von meinem Schlag können
sich bei solchen Billets auf etwas ganz anders Rechnung machen--Aber
da es so steht, gut! Wir nehmen einander nichts übel, Dorsigny--Also
ich bin dein gehorsamer Diener.
Dorsigny. Warte doch! Warum eilst du so hinweg? Es lag mir viel
daran, dich zu sprechen, ehe ich mich vor Jemand anderem sehen ließ.
Ich brauche deines Beistands; wir müssen Abrede mit einander nehmen.
Valcour. Gut--Du kannst auf mich zählen; aber jetzt laß mich, ich
habe dringende Geschäfte-Dorsigny. So? Jetzt, da du mir einen
Dienst erzeigen sollst?--Aber zu einem galanten Abenteuer hattest du
Zeit übrig.
Valcour. Das nicht, lieber Dorsigny. Aber ich muß fort, man
erwartet mich.
Dorsigny. Wo?
Valcour. Beim l'Hombre.
Dorsigny. Die große Angelegenheit!
Valcour. Scherz bei Seite! Ich habe dort Gelegenheit, die Schwester
deines Obristlieutenants zu sehen--Sie hält was auf mich; ich will
dir bei ihr das Wort reden.
Dorsigny. Nun, meinetwegen. Aber thu' mir den Gefallen, meiner
Schwester, der Frau von Mirville, im Vorbeigehen wissen zu lassen,
daß man sie hier im Gartensaale erwarte--Nenne mich aber nicht, hörst
du?
Valcour. Da sei außer Sorgen. Ich habe keine Zeit dazu und will es
ihr hinauf sagen lassen, ohne sie nur einmal zu sehen. Uebrigens
behalte ich mir's vor, bei einer andern Gelegenheit ihre nähere
Bekanntschaft zu machen. Ich schätze den Bruder zu sehr, um die
Schwester nicht zu lieben, wenn sie hübsch ist, versteht sich. (Ab.)

Dritter Auftritt.
Dorsigny. Champagne.

Dorsigny. Zum Glück brauche ich seinen Beistand so gar nöthig
nicht--Es ist mir weniger um das Verbergen zu thun--denn vielleicht
fällt es Niemand ein, mich zu verfolgen--, als um meine liebe Cousine
Sophie wieder zu sehen.
Champagne. Was Sie für ein glücklicher Mann sind, gnädiger Herr!
--Sie sehen Ihre Geliebte wieder, und ich (seufzt) meine Frau! Wann
geht's wieder zurück ins Elsaß--Wir lebten wie die Engel, da wir
fünfzig Meilen weit von einander waren.
Dorsigny. Still! Da kommt meine Schwester!

Vierter Auftritt.
Vorige. Frau von Mirville.

Fr. v. Mirville. Ah! Sind Sie es? Sei'n Sie von Herzen willkommen!
Dorsigny. Nun, das ist doch ein herzlicher Empfang!
Fr. v. Mirville. Das ist ja recht schön, daß Sie uns so überraschen!
Sie schreiben, daß Sie eine lange Reise vorhätten, von der Sie
frühestens in einem Monat zurück sein könnten, und vier Tage darauf
sind Sie hier.
Dorsigny. Geschrieben hätt' ich und an wen?
Fr. v. Mirville. An meine Tante! (Sieht den Champagne, der seinen
Mantel ablegt.) Wo ist denn aber Herr von Lormeuil?
Dorsigny. Wer ist der Herr von Lormeuil?
Fr. v. Mirville. Ihr künftiger Schwiegersohn.
Dorsigny. Sage mir, für wen hältst du mich?
Fr. v. Mirville. Nun, doch wohl für meinen Onkel!
Dorsigny. Ist's möglich! Meine Schwester erkennt mich nicht!
Fr. v. Mirville. Schwester? Sie--mein Bruder?
Dorsigny. Ich--dein Bruder.
Fr. v. Mirville. Das kann nicht sein. Das ist nicht möglich. Mein
Bruder ist bei seinem Regiment zu Straßburg, mein Bruder trägt sein
eigenes Haar, und das ist auch seine Uniform nicht--und so groß auch
sonst die Aehnlichkeit-Dorsigny. Eine Ehrensache, die aber sonst
nicht viel zu bedeuten haben wird, hat mich genöthigt, meine Garnison
in aller Geschwindigkeit zu verlassen; um nicht erkannt zu werden,
steckte ich mich in diesen Rock und diese Perrücke.
Fr. v. Mirville. Ist's möglich?--O so laß dich herzlich umarmen,
lieber Bruder--Ja, nun fange ich an, dich zu erkennen! Aber die
Aehnlichkeit ist doch ganz erstaunlich.
Dorsigny. Mein Onkel ist also abwesend?
Fr. v. Mirville. Freilich, der Heirath wegen.
Dorsigny. Der Heirath?--Welcher Heirath?
Fr. v. Mirville. Sophiens, meiner Cousine.
Dorsigny. Was hör' ich? Sophie soll heirathen?
Fr. v. Mirville. Ei freilich! Weißt du es denn nicht?
Dorsigny. Mein Gott! Nein!
Champagne (nähert sich). Nicht ein Wort wissen wir.
Fr. v. Mirville. Herr von Lormeuil, ein alter Kriegskamerad des
Onkels, der zu Toulon wohnt, hat für seinen Sohn um Sophien
angehalten--Der junge Lormeuil soll ein sehr liebenswürdiger Mann
sein, sagt man; wir haben ihn noch nicht gesehen. Der Onkel holt ihn
zu Toulon ab; dann wollen sie eine weite Reise zusammen machen, um
ich weiß nicht welche Erbschaft in Besitz zu nehmen. In einem Monat
denken sie zurück zu sein, und wenn du alsdann noch da bist, so
kannst du zur Hochzeit mit tanzen.
Dorsigny. Ach, liebe Schwester!--Redlicher Champagne! Rathet, helft
mir! Wenn ihr mir nicht beisteht, so ist es aus mit mir, so bin ich
verloren.
Fr. v. Mirville. Was hast du denn, Bruder? Was ist dir?
Champagne. Mein Herr ist verliebt in seine Cousine.
Fr. v. Mirville. Ah, ist es das?
Dorsigny. Diese unglückselige Heirath darf nun und nimmermehr zu
Stand kommen.
Fr. v. Mirville. Es wird schwer halten, sie rückgängig zu machen.
Beide Väter sind einig. das Wort ist gegeben, die Artikel sind
aufgesetzt, und man erwartet bloß noch den Bräutigam, sie zu
unterzeichnen und abzuschließen.
Champagne. Geduld!--Hören Sie!--(Tritt zwischen Beide). Ich habe
einen sublimen Einfall!
Dorsigny. Rede!
Champagne. Sie haben einmal den Anfang gemacht, Ihren Onkel
vorzustellen! Bleiben Sie dabei! Führen Sie die Rolle durch.
Fr. v. Mirville. Ein schönes Mittel, um die Nichte zu heirathen.
Champagne. Nur gemach! Lassen Sie mich meinen Plan entwickeln,--Sie
spielen also Ihren Onkel! Sie sind nun Herr hier im Hause, und Ihr
erstes Geschäft ist, die bewußte Heirath wieder aufzuheben--Sie haben
den jungen Lormeuil nicht mitbringen können, weil er--weil er
gestorben ist--Unterdessen erhält Frau von Dorsigny einen Brief von
Ihnen, als dem Neffen, worin Sie um die Cousine anhalten--Das ist
mein Amt! Ich bin der Courier, der den Brief von Straßburg
bringt--Frau von Dorsigny ist verliebt in ihren Neffen; sie nimmt
diesen Vorschlag mit der besten Art von der Welt auf; sie theilt ihn
Ihnen als ihrem Eheherrn mit, und Sie lassen sich's, wie billig,
gefallen. Nun stellen Sie sich, als wenn Sie aufs eiligste verreisen
müßten; Sie geben der Tante unbedingte Vollmacht, diese Sache zu Ende
zu bringen. Sie reisen ab, und den andern Tag erscheinen Sie in
Ihren natürlichen Haaren und in der Uniform Ihres Regiments wieder,
als wenn Sie eben spornstreichs von Ihrer Garnison herkämen. Die
Heirath geht vor sich; der Onkel kommt stattlich angezogen mit seinem
Bräutigam, der den Platz glücklich besetzt findet und nichts Besseres
zu thun hat, als umzukehren und sich entweder zu Toulon oder in
Ostindien eine Frau zu holen.
Dorsigny. Glaubst du, mein Onkel werde das so geduldig-Champagne. O
er wird aufbrausen, das versteht sich! Es wird heiß werden am
Anfang--Aber er liebt Sie! er liebt seine Tochter! Sie geben ihm die
besten Worte, versprechen ihm eine Stube voll artiger Enkelchen, die
ihm alle so ähnlich sehen sollen, wie Sie selbst. Er lacht,
besänftigt sich, und alles ist vergessen.
Fr. v. Mirville. Ich weiß nicht, ist es das Tolle dieses Einfalls,
aber er fängt an, mich zu reizen-Champagne. O er ist himmlisch, der
Einfall!
Dorsigny. Lustig genug ist er, aber nur nicht ausführbar--Meine
Tante wird mich wohl für den Onkel ansehen!-Fr. v. Mirville. Habe
ich's doch!
Dorsigny. Ja, im ersten Augenblicke.
Fr. v. Mirville. Wir müssen ihr keine Zeit lassen, aus der
Täuschung zu kommen. Wenn wir die Zeit benutzen, so brauchen wir
auch nur einen Augenblick--Es ist jetzt Abend, die Dunkelheit kommt
uns zu Statten; diese Lichter leuchten nicht hell genug, um den
Unterschied bemerklich zu machen. Den Tag brauchst du gar nicht zu
erwarten--du erklärst zugleich, daß du noch in der Nacht wieder
fortreisen müssest, und morgen erscheinst du in deiner wahren Person.
Geschwind ans Werk! Wir haben keine Zeit zu verlieren--Schreibe den
Brief an unsre Tante, den dein Champagne als Courier überbringen soll,
und worin du um Sophien anhältst.
Dorsigny (an den Schreibtisch gehend.) Schwester! Schwester! du
machst mit mir, was du willst.
Champagne (sich die Hände reibend). Wie freue ich mich über meinen
klugen Einfall! Schade, daß ich schon eine Frau habe; ich könnte
hier eine Hauptrolle spielen, anstatt jetzt bloß den Vertrauten zu
machen.
Fr. v. Mirville. Wie das, Champagne?
Champagne. Ei nun, das ist ganz natürlich. Mein Herr gilt für
seinen Onkel, ich würde den Herrn von Lormeuil vorstellen, und wer
weiß, was mir am Ende nicht noch blühen könnte, wenn meine verdammte
Heirath-Fr. v. Mirville. Wahrhaftig, meine Cousine hat Ursache,
sich darüber zu betrüben!
Dorsigny (siegelt den Brief und gibt ihn an Champagne). Hier ist der
Brief. Richt' es nun ein, wie du willst! Dir überlass' ich mich.
Champagne. Sie sollen mit mir zufrieden sein--In wenig Augenblicken
werde ich damit als Courier von Straßburg ankommen, gespornt und
gestiefelt, triefend von Schweiß.--Sie, gnädiger Herr, halten sich
wacker.--Muth, Dreistigkeit, Unverschämtheit, wenn' s nöthig ist.
--Den Onkel gespielt, die Tante angeführt, die Nichte geheirathet und,
wenn alles vorbei ist, den Beutel gezogen und den redlichen Diener
gut bezahlt, der Ihnen zu allen diesen Herrlichkeiten verholfen hat.
(Ab.)
Fr. v. Mirville. Da kommt die Tante. Sie wird dich für den Onkel
ansehen. Thu', als wenn du nothwendig mit ihr zu reden hättest, und
schick' mich weg.
Dorsigny. Aber was werd' ich ihr denn sagen?
Fr. v. Mirville. Alles, was ein galanter Mann seiner Frau nur
Artiges sagen kann.

Fünfter Auftritt.
Frau von Mirville. Frau von Dorsigny. Franz von Dorsigny.

Fr. v. Mirville. kommen Sie doch, liebe Tante! Geschwind! der Onkel
ist angekommen.
Fr. v. Dorsigny. Wie? Was? Mein Mann?--Ja wahrhaftig, da ist er!
--Herzlich willkommen, lieber Dorsigny--So bald erwartete ich Sie
nicht--Nun! Sie haben doch eine glückliche Reise gehabt?--Aber wie
so allein? Wo sind Ihre Leute? Ich hörte doch Ihre Kutsche
nicht--Nun wahrhaftig--ich besinne mich kaum--ich zittre vor
Ueberraschung und Freude-Fr. v. Mirville (heimlich zu ihrem Bruder).
Nun, so rede doch! Antworte frisch weg!
Dorsigny. Weil ich nur auf einen kurzen Besuch hier bin, so komm'
ich allein und in einer Miethkutsche--Was aber die Reise betrifft,
liebe Frau--die Reise--ach! die ist nicht die glücklichste gewesen.
Fr. v. Dorsigny. Sie erschrecken mich!--Es ist Ihnen doch kein
Unglück zugestoßen?
Dorsigny. Nicht eben mir! mir nicht!--Aber diese Heirath--(Zu Frau
von Mirville.) Liebe Nichte, ich habe mit der Tante-Fr. v. Mirville.
Ich will nicht stören, mein Onkel. (Ab.)

Sechster Auftritt.
Frau von Dorsigny. Franz von Dorsigny.

Fr. v. Dorsigny. Nun, lieber Mann! diese Heirath-Dorsigny. Aus
dieser Heirath wird--nichts.
Fr. v. Dorsigny. Wie? Haben wir nicht das Wort des Vaters?
Dorsigny. Freilich wohl! Aber der Sohn kann unsere Tochter nicht
heirathen.
Fr. v. Dorsigny. So? Und warum denn nicht?
Dorsigny (mit starkem Ton). Weil--weil er--todt ist.
Fr. v. Dorsigny. Mein Gott, welcher Zufall!
Dorsigny. Es ist ein rechter Jammer. Dieser junge Mann war, was die
meisten jungen Leute sind, so ein kleiner Wüstling. Einen Abend bei
einem Balle fiel's ihm ein, einem artigen hübschen Mädchen--den Hof
zu machen; ein Nebenbuhler mischte sich drein und erlaubte sich
beleidigende Scherze. Der junge Lormeuil, lebhaft, aufbrausend, wie
man es mit zwanzig Jahren ist, nahm das übel; zum Unglück war er an
einen Raufer von Profession gerathen, der sich nie schlägt, ohne
seinen Mann--zu tödten. Und diese böse Gewohnheit behielt auch jetzt
die Oberhand über die Geschicklichkeit seines Gegners; der Sohn
meines armen Freundes blieb auf dem Platz, mit drei
tödtlichen--Stichen im Leibe.
Fr. v. Dorsigny. Barmherziger Himmel! Was muß der Vater dabei
gelitten haben!
Dorsigny. Das können Sie denken! Und die Mutter!
Fr. v. Dorsigny. Wie? Die Mutter! Die ist ja im letzten Winter
gestorben, so viel ich weiß.
Dorsigny. Diesen Winter--ganz recht! Mein armer Freund Lormeuil!
Den Winter stirbt ihm seine Frau, und jetzt im Sommer muß er den Sohn
in einem Duell verlieren!--Es ist mir auch schwer angekommen, ihn in
seinem Schmerz zu verlassen! Aber der Dienst ist jetzt so scharf!
Auf den zwanzigsten müssen alle Offiziere--beim Regiment sein! Heut
ist der neunzehnte, und ich habe nur einen Sprung nach Paris gethan
und muß schon heute Abend wieder--nach meiner Garnison zurückreisen.
Fr. v. Dorsigny. Wie? So bald?
Dorsigny. Das ist einmal der Dienst! Was ist zu machen? Jetzt auf
unsere Tochter zu kommen-Fr. v. Dorsigny. Das liebe Kind ist sehr
niedergeschlagen und schwermüthig, seitdem Sie weg waren.
Dorsigny. Wissen Sie, was ich denke? Diese Partie, die wir ihr
ausgesucht, war--nicht nach ihrem Geschmack.
Fr. v. Dorsigny. So? Wissen Sie?
Dorsigny. Ich weiß nichts--Aber sie ist fünfzehn Jahre alt--Kann sie
nicht für sich selbst schon gewählt haben, eh wir es für sie thaten?
Fr. v. Dorsigny. Ach Gott ja! Das begegnet alle Tage.
Dorsigny. Zwingen möchte ich ihre Neigung nicht gern.
Fr. v. Dorsigny. Bewahre uns Gott davor!

Siebenter Auftritt.
Die Vorigen. Sophie.

Sophie (beim Anblick Dorsigny's stutzend). Ah! mein Vater-Fr. v.
Dorsigny. Nun, was ist dir? Fürchtest du dich, deinen Vater zu
umarmen?
Dorsigny (nachdem er sie umarmt, für sich). Sie haben's doch gar gut,
diese Väter! Alles umarmt sie!
Fr. v. Dorsigny. Du weißt wohl noch nicht,. Sophie, daß ein
unglücklicher Zufall deine Heirath getrennt hat?
Sophie. Welcher Zufall?
Fr. v. Dorsigny. Herr von Lormeuil ist todt.
Sophie. Mein Gott!
Dorsigny (hat sie mit den Augen fixiert). Ja, nun--was sagst du dazu,
meine Sophie?
Sophie. Ich, mein Vater?--Ich beklage diesen unglücklichen Mann von
Herzen--aber ich kann es nicht anders als für ein Glück ansehen,
daß--daß sich der Tag verzögert, der mich von Ihnen trennt.
Dorsigny. Aber, liebes Kind! wenn du gegen diese Heirath--etwas
einzuwenden hattest, warum sagtest du uns nichts davon? Wir denken
ja nicht daran, deine Neigung zwingen zu wollen.
Sophie. Das weiß ich, lieber Vater--aber die Schüchternheit-Dorsigny.
Weg mit der Schüchternheit! Rede offen! Entdecke mir dein Herz.
Fr. v. Dorsigny. Ja, mein Kind! Höre deinen Vater! Er meint es
gut, er wird dir gewiß das Beste rathen.
Dorsigny. Du haßtest also diesen Lormeuil zum Voraus--recht herzlich?
Sophie. Das nicht--aber ich liebte ihn nicht.
Dorsigny. Und du möchtest Keinen heirathen, als den du wirklich
liebst?
Sophie. Das ist wohl natürlich.
Dorsigny. Du liebst also--einen Andern?
Sophie. Das habe ich nicht gesagt.
Dorsigny. Nun, nun, beinahe doch--Heraus mit der Sprache! Laß mich
alles wissen.
Fr. v. Dorsigny. Fasse Muth, mein Kind! Vergiß, daß es dein Vater
ist, mit dem du redest.
Dorsigny. Bilde dir ein, daß du mit deinem besten, deinem
zärtlichsten Freunde sprächest--und Der, den du liebst. weiß er, daß
er geliebt wird?
Sophie. Behüte der Himmel! Nein.
Dorsigny. Ist's noch ein junger Mensch?
Sophie. Ein sehr liebenswürdiger junger Mann, und der mir darum
doppelt werth ist, weil Jedermann findet, daß er Ihnen gleicht--ein
Verwandter von uns, der unsern Namen führt--Ach! Sie müssen ihn
errathen.
Dorsigny. Noch nicht ganz, liebes Kind!
Fr. v. Dorsigny. Aber ich errathe ihn! Ich wette, es ist ihr
Vetter, Franz Dorsigny.
Dorsigny. Nun, Sophie, du antwortest nichts?
Sophie. Billigen Sie meine Wahl?
Dorsigny (seine Freude unterdrückend, für sich). Wir müssen den
Vater spielen--Aber mein Kind--das müssen wir denn doch bedenken.
Sophie. Warum bedenken? Mein Vetter ist der beste,
verständigste-Dorsigny. Der? Ein Schwindelkopf ist er, ein Wildfang,
der in den zwei Jahren, daß er weg ist, nicht zweimal an seinen
Onkel geschrieben hat.
Sophie. Aber mir hat er desto fleißiger geschrieben, mein Vater!
Dorsigny. So? hat er das? Und du hast ihm wohl--frischweg
geantwortet? Hast du? Nicht?
Sophie. Nein, ob ich gleich große Lust dazu hatte.--Nun, Sie
versprachen mir ja diesen Augenblick, daß Sie meiner Neigung nicht
entgegen sein wollten--Liebe Mutter, reden Sie doch für mich.
Fr. v. Dorsigny. Nun, nun, gib nach, lieber Dorsigny--Es ist da
weiter nichts zu machen--und gesteh nur, sie hätte nicht besser
wählen können.
Dorsigny. Es ist wahr, es läßt sich Manches dafür sagen--Das
Vermögen ist von beiden Seiten gleich, und gesetzt, der Vetter hätte
auch ein bißchen leichtsinnig gewirthschaftet, so weiß man ja, die
Heirath bringt einen jungen Menschen--schon in Ordnung--Wenn sie ihn
nun überdies lieb hat-Sophie. O recht sehr, lieber Vater!--Erst in
dem Augenblicke, da man mir den Herrn von Lormeuil zum Gemahl
vorschlug, merkte ich, daß ich dem Vetter gut sei--so was man gut
sein nennt--Und wenn mir der Vetter nun auch wieder gut wäre-Dorsigny.
(feurig). Und warum sollte er das nicht, meine theuerste--(sich
besinnend) meine gute Tochter!--Nun wohl! Ich bin ein guter Vater
und ergebe mich.
Sophie. Ich darf also jetzt an den Vetter schreiben?
Dorsigny. Was du willst--(Für sich.) Wie hübsch spielt sich's den
Vater, wenn man so allerliebste Geständnisse zu hören bekommt.

Achter Auftritt.
Vorige. Frau von Mirville. Champagne, als Postillon mit der
Peitsche klatschend.

Champagne. He, holla!
Fr. v. Mirville. Platz! da kommt ein Courier.
Fr. v. Dorsigny. Es ist Champagne.
Sophie. Meines Vetters Bedienter!
Champagne. Gnädiger Herr--gnädige Frau! reißen Sie mich aus meiner
Unruhe!--Das Fräulein ist doch nicht schon Frau von Lormeuil?
Fr. v. Dorsigny. Nein, guter Freund, noch nicht.
Champagne. Noch nicht? Dem Himmel sei Dank, ich bin doch noch
zeitig genug gekommen. meinem armen Herrn das Leben zu retten.
Sophie. Wie! Dem Vetter ist doch kein Unglück begegnet?
Fr. v. Dorsigny. Mein Neffe ist doch nicht krank?
Fr. v. Mirville. Du machst mir Angst, was ist meinem Bruder?
Champagne. Beruhigen Sie sich, gnädige Frau! Mein Herr befindet
sich ganz wohl, aber wir sind in einer grausamen Lage--Wenn Sie
wüßten--doch Sie werden alles erfahren. Mein Herr hat sich zusammen
genommen, der gnädigen Frau, die er seine gute Tante nennt, sein Herz
auszuschütten; Ihnen verdankt er alles, was er ist; zu Ihnen hat er
das größte Vertrauen--Hier schreibt er Ihnen, lesen Sie und beklagen
ihn!
Dorsigny. Mein Gott, was ist das?
Fr. v. Dorsigny (liest). "Beste Tante! Ich erfahre so eben, daß
Sie im Begriff sind, meine Cousine zu verheirathen. Es ist nicht
mehr Zeit, zurückzuhalten: ich liebe Sophien.--Ich flehe Sie an,
beste Tante, wenn sie nicht eine heftige Neigung zu ihrem bestimmten
Bräutigam hat, so schenken Sie sie mir! Ich liebe sie so innig, daß
ich gewiß noch ihre Liebe gewinne. Ich folge dem Champagne auf dem
Fuße nach; er wird Ihnen diesen Brief überbringen, Ihnen erzählen,
was ich seit jener schrecklichen Nachricht ausgestanden habe."
Sophie. Der gute Vetter!
Fr. v. Mirville. Armer Dorsigny!
Champagne. Nein, es läßt sich gar nicht beschreiben, was mein armer
Herr gelitten hat! Aber lieber Herr, sagte ich zu ihm, vielleicht
ist noch nicht alles verloren--Geh, Schurke, sagte er zu mir, ich
schneide dir die Kehle ab, wenn du zu spät kommst--Er kann zuweilen
derb sein, Ihr lieber Neffe.
Dorsigny. Unverschämter!
Champagne. Nun, nun, Sie werden ja ordentlich böse, als wenn ich von
Ihnen spräche; was ich sage, geschieht aus lauter Freundschaft für
ihn, damit Sie ihn bessern, weil Sie sein Onkel sind.
Fr. v. Mirville. Der gute, redliche Diener! Er will nichts als das
Beste seines Herrn!
Fr. v. Dorsigny. Geh, guter Freund, ruhe dich aus, du wirst es
nöthig haben.
Champagne. Ja, Ihr Gnaden, ich will mich ausruhen in der Küche. (Ab.)

Neunter Auftritt.
Vorige ohne Champagne.

Dorsigny. Nun, Sophie! was sagst du dazu?
Sophie. Ich erwarte Ihre Befehle, mein Vater!
Dorsigny. Ja, was ist da zu thun?
Fr. v. Dorsigny. Es ist da weiter nichts zu thun; wir müssen sie
ihm ohne Zeitverlust zur Frau geben.
Fr. v. Mirville. Aber der Vetter ist ja noch nicht hier.
Fr. v. Dorsigny. Seinem Briefe nach kann er nicht lang ausbleiben.
Dorsigny. Nun--wenn es denn nicht anders ist--und wenn Sie so meinen,
meine Liebe--so sei's! Ich bin' s zufrieden und will mich so
einrichten, daß der Lärm der Hochzeit--vorbei ist, wenn ich
zurückkomme--He da! Bediente!

Zehnter Auftritt.
Zwei Bediente treten ein und warten im Hintergrunde. Vorige.

Fr. v. Dorsigny. Noch Eins! Ihr Pachter hat mir während Ihrer
Abwesenheit zweitausend Thaler in Wechseln ausbezahlt--ich habe ihm
eine Quittung darüber gegeben--Es ist Ihnen doch recht?
Dorsigny. Mir ist alles recht, was Sie thun, meine Liebe! (Während
sie die Wechsel aus einer Schreibtafel hervorholt, zu Frau von
Mirville.) Darf ich das Geld wohl nehmen?
Fr. v. Mirville. Nimm es ja, sonst machst du dich verdächtig.
Dorsigny (heimlich zu ihr). In Gottes Namen! Ich will meine
Schulden damit bezahlen! (Laut, indem er die Wechsel der Frau von
Dorsigny in Empfang nimmt.) Das Geld erinnert mich, daß ein
verwünschter Schelm von Wucherer mich schon seit lange um hundert
Pistolen plagt, die--mein Neffe von ihm geborgt hat--Wie ist's? Soll
ich den Posten bezahlen?
Fr. v. Mirville. Ei, das versteht sich! Sie werden doch meine Base
keinem Bruder Liederlich zur Frau geben wollen, der bis an die Ohren
in Schulden steckt?
Fr. v. Dorsigny. Meine Nichte hat Recht, und was übrig bleibe kann
man zu Hochzeitgeschenken anwenden.
Fr. v. Mirville. Ja, ja, zu Hochzeitgeschenken!
Ein dritter Bedienter (kommt). Die Modehändlerin der Frau von
Mirville.
Fr. v. Mirville. Sie kommt wie gerufen. Ich will gleich den
Brautanzug bei ihr bestellen. (Ab.)

Eilfter Auftritt.
Vorige ohne Frau von Mirville.

Dorsigny (zu den Bedienten). Kommt her!--(Zur Frau von Dorsigny) Man
wird nach dem Herrn Gaspar, unserm Notar, schicken müssen-Fr. v.
Dorsigny. Lassen Sie ihn lieber gleich zum Nachtessen einladen; dann
können wir alles nach Bequemlichkeit abmachen.
Dorsigny. Das ist wahr! (Zu einem von den Bedienten.) Du, geh zum
Juwelier und laß ihn das Neuste herbringen, was er hat--(Zu einem
andern.) Du gehst zum Herrn Gaspar, unserm Notar, ich lass' ihn
bitten, heute mit mir zu Nacht zu essen.--Dann bestellest du vier
Postpferde; Punkt eilf Uhr müssen sie vor dem Hause sein, denn ich
muß in der Nacht noch fort.--(Zu einem dritten.) Für dich, Jasmin,
hab' ich einen kitzlichen Auftrag--du hast Kopf, dir kann man was
anvertrauen.
Jasmin. Gnädiger Herr, das beliebt Ihnen so zu sagen.
Dorsigny. Du weißt, wo Herr Simon wohnt, der Geldmäkler, der sonst
meine Geschäfte machte--der meinem Neffen immer mein eignes Geld
borgte.
Jasmin. Ei ja wohl! Warum sollt' ich ihn nicht kennen! Ich war ja
immer der Postillon des gnädigen Herrn, Ihres Neffen.
Dorsigny. Geh zu ihm, bring ihm diese hundert Pistolen, die mein
Neffe ihm schuldig ist und die ich ihm hiermit bezahle! Vergiß aber
nicht, dir einen Empfangsschein geben zu lassen.
Jasmin. Warum nicht gar--Ich werde doch kein solcher Esel sein!
(Die Bedienten gehen ab.)
Fr. v. Dorsigny. Wie er sich verwundern wird, der gute Junge, wenn
er morgen ankommt und die Hochzeitgeschenke eingekauft, die Schulden
bezahlt findet.
Dorsigny. Das glaub' ich! Es thut mir nur leid, daß ich nicht Zeuge
davon sein kann.

Zwölfter Auftritt.
Vorige. Frau von Mirville.

Fr. v. Mirville (eilt herein, heimlich zu ihrem Bruder). Mach, daß
du fortkommst, Bruder! Eben kommt der Onkel mit einem Herrn an, der
mir ganz so aussieht, wie der Herr von Lormeuil.
Dorsigny (in ein Kabinet fliehend). Das wäre der Teufel!
Fr. v. Dorsigny. Nun, warum eilen Sie denn so schnell fort,
Dorsigny?
Dorsigny. Ich muß--ich habe--Gleich werd' ich wieder da sein.
Fr. v. Mirville (pressiert). Kommen Sie, Tante! Sehen Sie doch die
schönen Mützen an, die man mir gebracht hat.
Fr. v. Dorsigny. Du thust recht, mich zu Rath zu ziehen--ich
verstehe mich darauf. Ich will dir aussuchen helfen.

Dreizehnter Auftritt.
Oberst Dorsigny. Lormeuil. Frau von Dorsigny. Sophie. Frau von
Mirville.

Oberst. Ich komme früher zurück, Madame, als ich gedacht habe, aber
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