Das Haidedorf - 2

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[67] daß er schon manchen Getreidesack, aufladen, und mit schönen Ochsen
fortführen konnte, wofür er dann einige Thaler Geldes, und Neuigkeiten von
der Welt draußen heimbrachte. Einmal kam auch ein Schreinergeselle mit
seinem Wanderpacke [68] zu Vater Niklas, dem Haidebauer, und brachte einen
Gruß und einen Brief von Felix, und sagte, daß derselbe in der großen,
weit entfernten Hauptstadt ein schmucker, fleißiger Student sei, daß ihn
Alles liebe, und daß er gar eines Tages Kaplan in der großen Domkirche
werden könnte. Der Schreinergeselle wurde über Nacht im Haidehause gut
gehalten, und ließ eitel Freude [69] zurück, als er des andern Tages in
entgegengesetzter Richtung von dannen zog. [70] So kam es, daß jedes Jahr
ein- oder zweimal ein Wandersmann den Umweg über die Haide machte, dem
schönen, freundlichen, handsamen Jünglinge zu Liebe, der gern einen Gruß
an sein liebes Mütterchen schicken wollte. Ja sogar einesmals kam Einer
geschritten, und conterfeite das Häuschen sammt dem Brunnen und Flieder-
und Apfelbaume.
Auch andere Veränderungen begannen auf der Haide. Es kamen einmal viele
Herren und vermaßen ein Stück Haideland, das seit Menschengedenken keines
Herrn Eigenthum gewesen war, und es kam ein alter Bauersmann, und zimmerte
mit vielen Söhnen und Leuten ein Haus darauf, und fing an, den vermessenen
Fleck urbar zu machen. Er hatte fremdes Korn gebracht, das auf dem
Haideboden gut anschlug, [71] und im nächsten Jahre wogte ein grüner
Aehrenwald zunächst an Vater Niklas Besitzungen, wo noch im vorigen
Frühlinge nur Schlehen und Liebfrauenschuh geblüht hatten. Der alte Bauer
war ein freundlicher Mann, ein Mann vieler Kenntnisse, und teilte gerne
seinen Rath und sein Wissen und seine Hülfe an die frühern Haidebewohner,
und hielt gute Nachbarschaft mit Vater Niklas. Sie fuhren nun Beide gar in
die Stadt, verkauften dort ihr Getreide weit besser, und am Getreidemarkt
im goldenen Rosse waren die Haidebauern wohl gekannt und wohlgelitten.
Nach und nach kamen neue Ansiedler; auch eine Straße wurde von der
Grundherrschaft [72] über die Haide gebahnt, so daß nun manchmal des Weges
ein vornehmer Wagen kam, deßgleichen man noch nie auf der Haide gesehen.
Auch des alten Bauers Söhne bauten sich an, [73] und einer, sagte man sich
in's Ohr, werde wohl schön Marthens Bräutigam werden. Und so, ehe sieben
Jahre in's Land gegangen, standen schon fünf Häuser mit Ställen und
Scheunen, mit Giebeln und Dächern um das kleine, alte, graue Haidehaus,
und Felder und Wiesen und Wege und Zäune gingen fast bis auf eine
Viertelstunde Weges gegen den Roßberg, der aber noch immer so einsam war,
wie sonst;--und am Pankratiustage hatte Vater Niklas die Freude, zum
Richter des Haidedorfes gewählt zu werden,--er der Erste seit der
Erschaffung der Welt, der solch Amt und Würde auf diesem Flecke
bekleidete.
Wieder waren Jahre um Jahre vergangen, die Obstbaumsetzlinge, zarte
Stangen, wie sie der alte Nachbarsbauer gebracht und an Niklas mitgeteilt
hatte, standen nun schon als wirthliche Bäume da, und brachten reiche
Frucht, und manchen Sonntagstrunk an Obstwein.--Marthe war an Nachbars
Benedikt verheirathet, und sie trieben eigene Wirthschaft. [74]--Die Haide
war weiß und wieder grün geworden; aber des Vaters Haare b l i e b e n
weiß, und die Mutter fing bereits an, der Großmutter ähnlich zu werden,
welche Großmutter allein unverwüstlich und unveränderlich blieb, immer und
ewig am Hause sitzend, ein träumerisches Ueberbleibsel, gleichsam, als
warte sie auf Felixens Rückkehr. Aber Felix schien, wie einst Jacobus,
verschollen zu sein aus der Haide. Seit drei Jahren kam keine Kunde und
kein Wandersmann.--In der Hauptstadt, wohin gar Benedikt gegangen, um ihn
zu suchen, war er nicht zu finden, und im Amte sagten ihm die
Kanzleiherren [75] aus einem großen Buche, er sei außer Landes gegangen,
vielleicht gar über das Meer. Der Vater hörte schon auf, von ihm zu reden;
Marthe hatte ein Kindlein und dachte nicht an ihn, die Haidedörfler
kannten ihn nicht, und liebten ihn auch nicht, als einen, der da einmal
davongegangen; die Großmutter fragte nur bisweilen nach Jacobus:--aber das
Mutterherz trug ihn unverwischt und schmerzhaft in sich, seit dem Tage,
als er von dannen gezogen und an ihrem Busen geweint hatte--und das
Mutterherz trug ihn Abends in das Haus, und Morgens auf die Felder--und
das Mutterherz war es auch allein, das ihn erkannte, als einmal am
Pfingstsamstage durch die Abendröthe ein wildfremder sonnverbrannter Mann
gewandert kam, den Stab in der Hand, das Ränzlein auf dem Rücken, und
stehen blieb vor dem Haidehause.
"Felix"--"Mutter!"
Ein Schrei und ein Sturz an das Herz.
Das Mutterherz ist der schönste und unverlierbarste Platz des Sohnes,
selbst wenn er schon graue Haare trägt--und jeder hat im ganzen Weltall
nur ein e i n z i g e s solches Herz.
Das alte Weib brach an ihm fast nieder vor Schluchzen, und er, vielleicht
seit Jahren keiner Thräne mehr gewohnt, ließ den Bach seiner Augen
strömen, und hob sie zu sich auf, und drückte sie, und streichelte ihre
grauen Haare, nicht sehend, daß Vater und Schwester, und das halbe Dorf um
sie Beide standen.
"Felix, mein Felix, wo kommst Du denn her?" fragte sie endlich.
"Von Jerusalem, Mutter, und von der Haide des Jordans.--Gott grüß' Euch,
Vater, und Gott grüße Euch, Großmutter! Jetzt bleib' ich lange bei Euch,
und geliebt [76] es Gott, auf immer."
Er schloß den zitternden Vater an's Herz, und dann die alte Großmutter,
die fast schamhaft und demüthig bei Seite stand--und dann noch einmal den
Vater, den schönen, alten, braunen Mann mit den schneeweißen Haaren, den
er mit noch dichten dunkeln Locken verlassen hatte, und der doppelt
liebenswerth da stand durch die unbehülfliche Verlegenheit, in die er dem
stattlichen Sohne gegenüber gerieth;--das Mutterherz aber, sich immer
ihres unverjährbaren Ranges bewußt, zeigte nichts dem Aehnliches; sie [77]
sah nicht seine Gestalt und seine Kleider, sondern ihr Auge hing die ganze
Zeit über an seinem Angesichte, und es glänzte und funkelte, und schäumte
fast über vor Freude und vor Stolz, daß Felix so schön geworden, und so
herrlich.
Endlich, als sich sein Herz etwas gesättigt, fiel ihm klein Marthe bei
[78]; er fragte nach ihr, und sein Auge suchte am Boden umher--allein die
Mutter führte ihm ein blühendes Weib vor, mit hellen blauen Augen, ein
Kind auf dem Arme, wie eine Madonna, deren er in Welschland [79] auf
Bildern gesehen--er erkannte im K i n d e klein Marthe, die Mutter des
Kindes getraute er sich aber nicht zu küssen, und auch sie stand blöde vor
ihm, und sah ihn bloß liebreich an--endlich grüßten und küßten sie sich
herzinnig als Geschwister und der ehrliche Benedikt reichte ihm die Hand
und sagte, wie er ihn vor zwei Jahren so emsig in der ungeheuersten
Entfernung gesucht habe.
"Da war ich im Lande Egypten," sagte Felix, "und Ihr hättet mich auch dort
kaum erfragt; denn ich war in der Wüste."
Auch die Bauern und ihre Weiber und Kinder, die sich vor Niklas Hause
eingefunden hatten, und ehrbar neugierig umherstanden, grüßte er alle
freundlich, lüftete den Reisehut, und reichte ihnen, obwohl unbekannt, die
Hand.
Endlich ging man in das Haus und nach Haidesitte gingen viele Nachbarn
mit, und waren dabei, wie er Geschenke und Berichte auspackte. Auf der
Gasse wurde es stille, die Menschen suchten nach dortigem Gebrauche zeitig
ihre Schlafstellen, und die rothen Pfingstwolken leuchteten noch lange
über dem Dorfe.


IV.

Der Haidebewohner.

Und als des andern Tages die ersten Sonnenstrahlen glänzten, und die
Haidedorfbewohner bereits im Festputze gerüstet waren, um zur fernen
Kirche zu gehen: so war einer der Bewohner mehr, und einer der Kirchgänger
mehr. Die Nacht hatte es Manchem verwischt, [80] daß er gekommen, aber der
Morgen brachte ihnen wieder neu den neuen Besitz, damit sie sich daran
ergötzten: Die Einen mit ihrer Neugierde, die Andern mit ihrer Liebe--Alle
aber hatten eine unsichere Scheu, selbst die Eltern, was es denn wäre, das
ihnen an ihm zurückgebracht worden sei, und ob er nicht ein fremdes Ding
in der übrigen Gleichheit und Einerleiheit [81] des Dorfes wäre.
Er aber stand schon angekleidet, Und zwar in dem leinenen Haidekleide und
dem breiten Hute im Freien, und schaute mit den großen, glänzenden,
sanften Augen um sich, als die Mutter zu ihm trat und ihn fragte, ob er
auch in die Kirche gehen werde, oder ob er müde sei, und Gott zu Hause
verehren wolle.
"Ich bin nicht müde," antwortete er freundlich, "und ich werde mit Euch
gehen;" denn er sah, daß die Mutter zum Kirchengehen angezogen war, und
daß auch der Vater in seinem Sonntagsrocke aus dem Hause komme.
Festliche Gruppen zeigten sich hie und da auf dem Anger des Dorfes; Manche
traten näher und grüßten, Andere hielten sich verschämt zurück, besonders
die Mädchen, und wieder andere, welche zu Hause blieben, und in der
Festtagseinsamkeit das Dorf hüten mußten, standen unter den Hausthüren
oder sonst wo, und schauten zu.
Und als noch Pfingstthau auf den Haidegräsern funkelte und glänzte, und
als die Morgenkühle wehte, setzte sich schon Alles in Bewegung, um zu
rechter Zeit anzulangen--und so führte denn Felix das alte Weib an seiner
Hand, und leitete sie so zärtlich um den sanften Haidebühel [82] hinan,
wie sie einstens ihn, da er noch ein schwacher Knabe war und Sonntags
Vormittags die Ziegen und Schafe zu Hause lassen durfte, damit er
hinausgehe und das Wort Gottes höre. Der Vater ging innerlich erfreut
daneben, die Andern theils voran, theils hinten. Endlich war die letzte
Gruppe hinter dem Bühel verschwunden, die Nachschauenden traten in ihre
Häuser zurück, und kurz darauf war jene funkelnde Einsamkeit über den
Dächern, die so gern an heitern Sonntagvormittagen in den verlassenen
Dörfern ist;--die Stunden rückten trockener und heißer vor, eine dünne
blaue Rauchsäule stieg hie und da auf, und mitten in dem Garten des
Haidehauses kniete die hagere Großmutter und betete.--Und wie endlich nach
stundenlanger Stille durch die dünne, weiche ruhende Luft, wie es sich
zuweilen an ganz besonders schweigenden Tagen zutrug, der ferne feine Ton
eines Glöckleins kam, da kniete manche Gestalt auf den Rasen nieder, und
klopfte an die Brust;--dann war es wieder stille und blieb stille----die
Sonnenstrahlen sanken auf die Häuser nieder, mehr und mehr senkrecht, dann
wieder schräge, daß die Schatten auf der andern Seite waren--endlich kam
der Mittag, und mit ihm alle Kirchgänger--sie legten die schönsten Kleider
und Tücher von dem erhitzten Körper, thaten leichtere an, und jedes Haus
verzehrte sein vorgerichtetes Pfingstmahl.
Und was war es denn, was ihnen an Felix zurückgebracht worden war, und
warum ist er denn so lange nicht gekommen, und wo ist er denn gewesen?
Sie wußten es nicht.
In der Kirche war er mit gewesen;--fast so kindlich andächtig, wie einst,
hatte er auf die Worte des Priesters gehorcht, sanftmüthig war er neben
der Mutter nach Hause gekehrt, und wenn dann bei Tische der Vater das Wort
nahm, so brach Felix das seine aufmerksam ab, und hörte zu--und gegen
Abend saß er mit der Großmutter im Schatten des Hollunderbusches, und
redete mit ihr, die ihm ganz sonderbare und unverständliche Geschichten
vorlallte [83]---und wenn dann so den Tag über die Neugier der Mutter in
sein Auge blickte, halb selig, halb schmerzenreich, wenn sie nach den
einstigen weichen Zügen forschte--ihren ehemaligen heitern, treuherzigen,
schönen Haideknaben suchte sie----und siehe, sie fand ihn auch: in leisen
Spuren war das Bild des gutherzigen Knaben geprägt in dem Antlitze des
Mannes, aber unendlich schöner--so schön, daß sie oft einen Augenblick
dachte, sie könne nicht seine Mutter sein;--wenn er den ruhigen Spiegel
seiner Augen gegen sie richtete, so verständig und so gütig--oder wenn sie
die Wangen ansah, fast so jung, wie einst, nur noch viel dunkler gebräunt,
daß dagegen die Zähne wie Perlen leuchteten, dieselben Zähne, die schon an
dem Haidebuben so unschuldig und gesund geglänzt--und um sie herum noch
dieselben lieblichen Lippen, die aber jetzt reif und männlich waren, und
so schön, als sollte sogleich ein süßes Wort daraus hervorgehen, sei's der
Liebe, sei's der Belehrung----
"Er ist gut geblieben," jauchzte in ihr dann das Mutterherz; "er ist gut
geblieben, wenn er auch viel vornehmer ist, als wir."
Und in der That, es war ein solcher Glanz keuscher Reinheit um den Mann,
daß er selbst von dem rohen Herzen des Haideweibes erkannt und geehrt
wurde.
Was lebte denn in ihm, das ihn unangerührt durch die Welt getragen, daß er
seinen Körper als einen Tempel wiederbrachte, wie er ihn einst aus der
Einsamkeit fortgenommen?----
Sie wußten es nicht; nur immer heiterer und fast einfältiger legte sich
sein Herz dar, [84]so wie die Stunden des ruhigen Festtages nach und nach
verflossen.
Spät Abends erzählte er ihnen, da alle um den weißen buchenen Tisch saßen,
und auch Marthe mit ihrem Kinde da war, und Benedikt und andere Nachbarn--
er erzählte ihnen von dem gelobten Lande, wie er dort gewesen, wie er
Jerusalem und Bethlehem gesehen habe, wie er auf dem Tabor gesessen, sich
in dem Jordan gewaschen;----den Sinai habe er gesehen, den furchtbar
zerklüfteten Berg, und in der Wüste sei er gewandelt.--Er sagte ihnen, wie
seine gezimmerten Truhen mit dem Postboten kommen würden; dann werde er
ihnen Erde zeigen, die er aus den heiligen Ländern mitgebracht--auch
getrocknete Blumen habe er, und Kräuter, aus jenem Lande und Fußtritte des
Herrn, und was nur immer dort das Erdreich erzeuge und bringe--und viel
heiliger, viel heißer und viel einsamer seien je [85] Haiden und Wüsten,
als die hiesige, die eher ein Garten zu nennen----und wie er so redete,
sahen alle auf ihn, und horchten--und sie vergaßen, daß es Schlafenszeit
vorüber, daß die Abendröthe längst verglommen, daß die Sterne
emporgezogen, und in dichter Schaar über den Dächern glänzten.
Von Städten, den Menschen und ihrem Treiben hatte er nichts gesagt, und
sie hatten nicht gefragt. Die Worte seines Mundes thaten so wohl, daß
ihnen gerade das, was er sagte, das Rechte däuchte, und sie nicht nach
Anderem fragten.
Marthe trug endlich das schlafende Kind fort, Benedikt ging auch, die
Nachbarn entfernten sich--und noch seliger und noch freudenreicher, als
gestern gingen die Eltern zu Bette, und selbst der Vater dachte, Felix sei
ja fast wie ein Prediger und Priester des Herrn.
Auch auf die Haide war er gleich nach den Feiertagen gegangen, auf seiner
Rednerbühne war er gesessen; die Käfer, die Fliegen, die Falter, die
Stimme der Haidelerche und die Augen der Feldmäuschen waren die nämlichen.
Er schweifte herum, die Sonnenstrahlen spannen,--dort dämmerte das Moor,
und ein Zittern und Zirpen und Singen----und wie der Vater ihn so wandeln
sah, mußte er sich über die dünnen grauen Haare fahren, und mit der
schwielenvollen Hand über die Runzeln des Angesichts streichen, damit er
nicht glaube, sein K n a b e gehe noch dort, und es fehlen nur die Ziegen
und Schafe, daß es sei wie einst, und daß die lange, lange Zeit nur ein
Traum gewesen sei. Auch die Nachbarn, wie er so Tag nach Tag unter ihnen
wandelte, wie ihn schon alle Kinder kannten, wie er jedem derselben, auch
mit dem häßlichen, so freundlich redete, und wie er so im Linnenkleide
durch die neuen Felder ging--glaubten ganz deutlich, er sei einer von
ihnen, und doch war es auch wieder ganz deutlich, wie er ein weit anderer
sei, als sie.
Eine That müssen wir erzählen, ehe wir weiter gehen, und von seinem Leben
noch entwickeln, was vorliegt--eine That, die eigentlich geheim bleiben
sollte, aber ausgebreitet wurde, und ihm mit eins alle Herzen der
Haidebewohner gewann.
Als endlich die gezimmerten Truhen mit dem Postboten in die Stadt, und von
da durch Getreidewagen auf die Haide gekommen waren, als er daraus die
Geschenke hervorgesucht und ausgetheilt, als er tausenderlei Merkwürdiges
gezeigt, Blumen, Federn, Steine, Waffen--und alles genug bewundert worden
war,--trat er desselben Tages Abends zu dem Vater in die hintere Kammer,
als er gesehen hatte, daß derselbe hineingegangen, und, wie er gern that,
sich in den hineinfallenden Fliederschatten gesetzt hatte--er trat
beklommen hinein und sagte fast mit bebender Stimme: "Vater, Ihr habt mich
auferzogen, und mir Liebes gethan, seit ich lebe--ich aber habe es
schlecht vergolten; denn ich bin fortgegangen, daß Ihr keinen Gehülfen
Eurer Arbeit hattet, und Eurer Sorge für Mutter und Großmutter--und als
ich gekommen, warfet Ihr mir nichts vor, sondern waret nur freundlich und
lieb; ich kann es nicht vergelten, als daß ich Euch nicht mehr verlassen
und Euch noch mehr verehren und lieben will, als sonst. So viel Jahre
mußtet Ihr sein, ohne in mein Auge schauen zu können, wie es Eurem Herzen
wohlgethan hätte;--aber ich bleibe jetzt immer, immer bei Euch.--Allein
weil mich Euch Gott auch zur Hülfe geboren werden ließ, so lernte ich
draußen allerlei Wissenschaft, wodurch ich mir mein Brot verdiente, und da
ich wenig brauchte, so blieb Manches für Euch übrig. Ich bringe es nun,
daß Ihr es auf Euer Haus wendet, [86] und im Alter zu Gute bekommet, [87]
und ich bitte Euch, Vater, nehmt es mit Freundlichkeit an."
Der Alte aber, hochroth, zitternd vor Scham und vor Freude, war
aufgesprungen und wies mit beiden Händen die dargebotenen Papiere von
sich, indem er sagte: "Was kommt Dir bei, [88] Felix? Ich bin so
erschrocken,--da sei Gott vor, [89] daß ich die Arbeit und Mühe meines
Kindes nehme--ach, mein Gott, ich habe Dir ja nichts geben können, nicht
einmal eine andere Erziehung, als die Dir der Herr auf der Haide gab,
nicht einmal das fromme Herz, das Dir von selber gekommen.--Du bist mir
nichts schuldig--die Kinder sind eine Gottesgabe, daß wir sie erziehen,
wie es ihnen frommt, nicht wie es uns nützt;--verzeihe mir nur, ich habe
Dich nicht erziehen können, und doch scheint es mir, bist Du so gut
geworden, so gut, daß ich vor Freuden weinen möchte."----
Und kaum hatte er das Wort heraus, so brach er in lautes Weinen aus, und
tastete ungeschickt nach Felix Hand--Dieser reichte sie; er konnte sich
nicht helfen, er mußte sein Antlitz gegen die Schulter des Vaters drücken,
und das grobe Tuch des Rockes mit seinen heißesten Thränen netzen. Der
Vater war gleich wieder still, und sich gleichsam schämend und beruhigend
sagte er die Worte: "Du bist verständiger als wir, Felix. Wenn Du bei uns
bleibst, arbeite, was Du willst; ich verlange nicht, daß Du mir hilfst--da
ist ja Benedikt und seine Knechte, wenn es noth thäte; auch habe ich schon
ein Erspartes, daß ich mir im Alter einen Knecht nehmen kann.--Du aber
wirst etwas arbeiten, wie es Gott gefällig und wie es recht ist."
Felix aber dachte in seinem Herzen, er werde doch in Zukunft, wenn es
nötig sei, lieber in der That selbst, und durch Leistung des eben
Mangelnden beistehen, damit ihm das Herz nicht so weh thäte, wenn er dem
Vater gar nichts Gutes bringen könnte. Ach, das Beste hat er ja schon
gebracht, und wußte es nicht, das gute, das überquellende Herz, das jedem,
selbst dem gehärtetsten Vater ein freudigeres Kleinod ist, als alle Güter
der Erde, weil es nicht Lohn nach außen ist, sondern Lohn in der tiefsten,
innersten Seele.
Der Vater that nun gleichgültig [90] und machte sich mit diesem und jenem
im Zimmer zu thun [91]; kaum aber war Felix hinaus, so lief er eiligst zur
Mutter und erzählte ihr, was der Sohn hatte thun wollen--sie aber faltete
die Hände, lief vor die Heiligenbilder der Stube und that ein Gebet, das
halb ein Frevel stürmenden Stolzes, halb ein Dank der tiefsten Demuth war.
Dann aber ging sie hin und breitete es aus.
Das war nun klar, daß er gut war, daß er sanft, treu und weich war, und
das sahen sie auch, daß er schön und herrlich war;--des Weiteren forschten
sie nicht, was es sei, und was es sein werde.
Er aber ging her, und ließ sich weit draußen von dem Dorfe entlegen, auf
der Haide ein Stück Landes zumessen, und begann mit vielen Arbeitern ein
steinernes Haus zu errichten.--Daß es größer werde, als er a l l e i n
brauche, fiel Allen auf; aber als es im Herbste fertig war, als es
eingerichtet und geschmückt war, bezog er es gleichwohl allein, und so
verging der Winter. Es kam der blüthenreiche Frühling--und Felix saß in
seinem Hause auf der Haide, und herrschte, wie einst, über alle ihre
Geschöpfe, und über all die hohen stillen Gestalten, die sie jetzt
bevölkerten.
Was war es denn aber, was den Eltern und Nachbarn an ihm zurückgebracht
worden ist?
Sie wußten es nicht.
Ich aber weiß es. Ein Geschenk ist ihm geworden, das den Menschen hoch
stellt, und ihn doch verkannt macht unter seinen Brüdern--das einzige
Geschenk auf dieser Erde, das kein Mensch von sich weisen kann. Auf der
Haide hatte es begonnen, auf die Haide mußte er es zurücktragen. Bei wem
eine Göttin eingekehrt ist, lächelnden Antlitzes, schöner als alles
Irdische, der kann nichts anders thun, als ihr in Demuth dienen.
Damals war er fortgegangen, er wußte nicht, was er werden würde--eine
Fülle von Wissen hatte er in sich gesogen: es war der n ä c h s t e Durst
gewesen, aber er war nicht gestillt; er ging unter Menschen, er suchte sie
völkerweise--er hatte Freunde--er strebte fort, er hoffte, wünschte und
arbeitete für ein unbekanntes Ziel--selbst nach Gütern der Welt und nach
Besitz trachtete er: aber durch alles Erlangte,--durch Wissen, Arbeiten,
Menschen, Eigenthum war es immer, als schimmere weit zurückliegend etwas,
wie eine glänzende Ruhe, wie eine sanfte Einsamkeit----hatte sein Herz die
Haide, die unschuldsvolle, liebe Kindheitshaide mitgenommen? oder war es
selber eine solche liebe, stille, glänzende Haide?----Er suchte die Wüsten
und die Einöden des Orients, nicht brütend, nicht trauernd, sondern
einsam, ruhig, heiter, dichtend.--Und so trug ihn dieses sanfte, stille
Meer zurück in die Einsamkeit, und auf die Haide seiner Kindheit----und
wenn er nun so saß auf der Rednerbühne, wie einst, wenn die Sonnenfläche
der Haide vor ihm zitterte und sich füllte mit einem Gewimmel von
Gestalten, wie einst, und manche daraus ihn anschauten mit den stillen
Augen der Geschichte, andere mit den seligen der Liebe, andere den weiten
Mantel großer Thaten über die Haide schleifend--und wenn sie erzählten von
der Seele und ihrem Glücke, von dem Sterben und was nachher sei, und von
Anderem, was die Worte nicht sagen können--und wenn es ihm tief im
Innersten so fromm wurde, daß er oft meinte, als sehe er weit in der Oede
draußen Gott selbst stehen, eine ruhige silberne Gestalt: dann wurde es
ihm unendlich groß im Herzen, er wurde selig, daß er denken könne, was er
dachte--und es war ihm, [92] daß es nun so gut sei, wie es sei.
Die blödsinnige Großmutter war die erste gewesen, die ihn erkannt hatte.
"Es sind der Gaben eine Unendlichkeit über diese Erde ausgestreut worden,"
hatte sie eines Tages gerufen, "die Halmen der Getreide, das Sonnenlicht
und die Winde der Gebirge--da sind Menschen, die den Segen der Gewächse
erziehen, und ihn ausführen in die Theile der Erde; es sind, die da
Straßen ziehen, Häuser bauen, dann sind andere, die das Gold ausbreiten,
das in den Herzen der Menschen wächst, das Wort, und die Gedanken die Gott
aufgehen läßt in den Seelen. Er ist geworden, wie einer der alten Seher
und Propheten, und ist er ein solcher, so hab' ich es vorausgewußt, und
ich habe ihn dazu gemacht, weil ich die Körner des Buches der Bücher in
ihn geworfen; denn er war immer weich wie Wachs, und hochgesinnt, wie
einer der Helden."
Die Großmutter war es aber auch, mit der er sich allein mehr beschäftigte,
als alle Andern mit ihr; er war der Einzige, der sie zu flüssigen Reden
bringen konnte, und der Einzige, der ihre Reden verstand; er las ihr oft
aus einem Buche vor, und die hundertjährige Schülerin horchte emsig auf,
und in ihrem Angesichte waren Sonnenlichter, als verstände sie das
Gelesene.
So war der Frühling vergangen, so waren wieder Pfingsten gekommen:--aber
wie waren es dießmal a n d e r e Pfingsten, als vor einem Jahre. Eine
doppelte furchtbare Schwüle lag auf beiden, auf dem Dorfe und auf Felix;
und bei beiden lösete sich die Schwüle am Pfingsttage--aber wie
verschieden bei beiden!
Ich will noch, ehe wir von seinem einfachen Leben scheiden, dieses letzte
Ergebniß, daß ich weiß, erzählen.
Wenn er so manchmal von der Haide kam und durch das Dorf ging, Geschenke
für die Kinder seiner Schwester tragend, Steinchen, Muscheln,
Schneckenhäuser und dergleichen, die Locken um die hohe Stirne geworfen,
wie ein Kriegsgott, und doch die schwarzen Augen so sehnsuchtsvoll und
schmachtend: dann war er so schön, und es trug ihn wohl manche Dirne der
Haide als heimlichen Abgott im Herzen verborgen, aber er selber hatte
einen Abgott im Herzen;--einen einzigen Punkt süßen heimlichen Glückes
hatte er aus der Welt getragen, als er ihre Aemter und Reichthümer ließ--
einen einzig süßen Punkt durch alle Wüsten--und heute, morgen, dieser Tage
sollte es sich zeigen, ob er sein Haus für sich allein gebaut, oder
nicht.--Alle Kraft seiner Seele hatte er zu der Bitte aufgeboten, und mit
Angst harrte er der Antwort, die ewig, ewig zögerte.
Wohl kam Pfingsten näher und näher, aber zu der Schwüle, die unbekannt und
unsichtbar über des Jünglings Herzen hing, gesellte sich noch eine andere
über dem ganzen Dorfe drohend, ein Gespenst, das mit unhörbaren Schritten
nahte;--nämlich jener glänzende Himmel, zu dem Felix sein inbrünstiges
Auge erhoben, als er jene schwere Bitte abgesandt hatte, jener glänzende
Himmel, zu dem er vielleicht damals ganz allein emporgeblickt, war seit
der Zeit w o c h e n l a n g ein glänzender geblieben, und wohl hundert
Augen schauten nun zu ihm ängstlich auf. Felix, in seiner Erwartung
befangen, hatte es nicht bemerkt; aber eines Nachmittags, da er gerade von
der Haide dem Dorfe zuging, fiel ihm auf, [93] wie denn heuer gar so
schönes Wetter sei; denn eben stand über der verwelkenden Haide eine jener
prächtigen Erscheinungen, wie er wohl öfters, auch in morgenländischen
Wüsten, aber nie so schön gesehen, nämlich das Wasserziehen der Sonne
[94]:--aus der ungeheuren Himmelsglocke, die über der Haide lag, wimmelnd
von glänzenden Wolken, schossen an verschiedenen Stellen majestätische
Ströme des Lichtes, und, auseinanderfahrende Straßen am Himmelszelte
bildend, schnitten sie von der gedehnten Haide blendend goldne Bilder
heraus, während das ferne Moor in einem schwachen milchigten Höhenrauche
verschwamm.
So war es dieser Tage oft gewesen, und der heutige schloß sich wie seine
Vorgänger; nämlich zu Abends war der Himmel gefegt, und zeigte eine blanke
hochgelb schimmernde Kuppel.
Felix ging zu der Schwester, und als er spät Abends in sein Haus
zurückkehrte, bemerkte er auch, wie man im Dorfe geklagt, daß die Halme
des Kornes so dünne standen, so zart, die wolligen Aehren pfeilrecht empor
streckend, wie ohnmächtige Lanzen.
Am andern Tage war es schön, und immer schönere Tage kamen und schönere.
Alles und jedes Gefühl verstummte endlich vor der furchtbaren Angst, die
täglich in den Herzen der Menschen stieg. Nun waren auch gar keine Wolken
mehr am Himmel, sondern ewig blau und ewig mild lächelte er nieder auf die
verzweifelnden Menschen. Auch eine andere Erscheinung sah man jetzt oft
auf der Haide, die sich wohl früher auch mochte ereignet haben, jedoch von
Niemand beachtet; aber jetzt, wo viele tausend und tausend Blicke täglich
nach dem Himmel gingen, wurden sie als unglückweissagender Spuk
betrachtet: nämlich ein Waldes- und Höhenzug, jenseits der Haide gelegen,
und von ihr aus durchaus nicht sichtbar, stand nun öfters sehr deutlich am
Himmel, das ihn nicht nur Alles sah, sondern daß man sich die einzelnen
Rücken und Gipfel zu nennen und zu zeigen vermochte--und wenn es im Dorfe
hieß, es sei wieder zu sehen, so ging Alles hinaus, und sah es an, und es
blieb manchmal stundenlang stehen, bis es schwankte, sich in Längen- und
Breitenstreifen zog, sich zerstückte, und mit eins verschwand.
Die Haidelerche war verstummt; aber dafür tönte den ganzen Tag, und auch
in den warmen thaulosen Nächten das ewige einsame Zirpen und Wetzen der
Heuschrecken über die Haide, und der Angstschrei des Kibitz. Das Flinke
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