Das Haidedorf - 3

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Wässerlein ging nur mehr wie ein dünner Seidenfaden über die graue Fläche,
und das Korn und die Gerste im Dorfe standen fahlgrün und wesenlos in die
Luft, [95] und erzählten bei dem Hauche derselben mit leichtfertigem
Rauschen ihre innere Leere. Die Baumfrüchte lagen klein und mißreif auf
der Erde, die Blätter waren staubig und von Blümlein war nichts mehr auf
dem Rasen, der sich selber wie rauschend Papier zwischen den Feldern
hinzog.
Es war die äußerste Zeit. Man flehte mit Inbrunst zu dem verschlossenen
Gewölbe des Himmels. Wohl stand wieder mancher Wolkenberg tagelang am
südlichen Himmel, und nie noch wurde ein so stoffloses Ding wie eine
Wolke, von so vielen Augen angeschaut, so sehnsüchtig angeschaut, als
hier--aber wenn es Abend wurde, erglühte der Wolkenberg purpurig [96]
schön, zerging, lösete sich in lauter wunderschöne zerstreute Rosen am
Firmamente auf, und verschwand--und die Millionen freundlicher Sterne
besetzten den Himmel.
So war der Freitag vor Pfingsten gekommen; die weiche blaue Luft war ein
blanker Felsen geworden. Vater Niklas war Nachmittags über die Haide
gekommen, das Bächlein war nun auch versiecht, [97] das Gras bis auf eine
Decke von schalgrauem [98] Filze verschwunden, nicht Futter gebend für ein
einzig Kaninchen; nur der unverwüstliche und unverderbliche Haidesohn, der
mißhandelte und verachtete Strauch, der Wachholder, stand mit eiserner
Ausdauer da, der einzige lebhafte Feldbusch, das grüne Banner der
Hoffnung; denn er bot freiwillig gerade heuer eine solche Fülle der
größten blauen Beeren, so überschwenglich, wie sich keines Haidebewohners
Gedächtniß, entsinnen konnte.--Eine plötzliche Hoffnung ging in Niklas
Haupte auf, und er dachte als Richter mit den Aeltesten des Dorfes darüber
zu rathen, wenn es nicht morgen oder übermorgen sich änderte. Er ging weit
und breit und betrachtete die Ernte, die keiner gesäet, und auf die keiner
gedacht, und er fand sie immer ergiebiger und reicher, sich, weiß Gott, in
welche Ferne erstreckend--aber da fielen ihm die armen tausend Thiere ein,
[99] die dadurch werden in Nothstand versetzt sein, wenn man die Beeren
sammle: allein er dachte, Gott der Herr wird ihnen schon eingeben, wohin
der Krammetsvogel fliegen, das Reh laufen müsse, um andere Nahrung zu
finden.
Da er heimwärts in die Felder kam, nahm er eine Scholle und zerdrückte
sie; aber sie ging unter seinen Händen wie Kreide auseinander--und das
Getreide, vor der Zeit Greis, fing schon an, sich zu einer tauben Ernte
[100] zu bleichen. Wohl standen Wolken am Himmel, die in langen
milchweißen Streifen tausendfarbig und verwaschen die Bläue
durchstreiften, sonst immer Vorboten des Regens; aber er traute ihnen
nicht, weil sie schon drei Tage da waren, und immer wieder verschwanden,
als würden sie eingesogen von der unersättlichen Bläue. Auch manch anderer
Hausvater ging händeringend zwischen den Feldern und als es Abend
geworden, und selbst zerstückte Gewitter um den Rand des Horizontes
standen, und sich gegenseitig Blitze zusandten,--sah ein von der Stadt
heimfahrender Bauer selbst die halbgestorbene [101] Großmutter mitten im
Felde knien, und mit emporgehobenen Händen beten, als sei sie durch die
allgemeine Noth zu Bewußtsein und Kraft gelangt, und als sei sie die
Person im Dorfe, deren Wort vor allen Geltung haben müsse im Jenseits.
Die Wolken wurden dichter, aber blitzten nur und regneten nicht.
Wie Vater Niklas zwischen die Zäune bog, begegnete er seinem Sohne und
siehe, dieser ging mit traurigem Angesichte einher, mit weit traurigerem,
als jeder Andere im Dorfe.
"Guten Abend, Felix," sagte der Vater zu ihm, "giebst Du denn die Hoffnung
ganz auf?"
"Welche Hoffnung, Vater?"
"Giebt es denn eine andere, als die Ernte?"
"Ja, Vater, es giebt eine andere;--die der Ernte wird in Erfüllung gehen,
die andere nicht. Ich will es Euch sagen, ich selber habe etwas für Euch
und das Dorf gethan. Ich habe zu der Obrigkeiten der fernen Hauptstadt
geschrieben, und ihnen der Stand der Dinge gemeldet; ich habe Freunde dort
und manche haben mich lieb gehabt,--sie werden Euch helfen, daß ihr keinen
Hauch von Noth empfindet sollet, und auch ich werde so viel helfen, als in
meiner Kraft ist. Aber tröstet Euch und tröstet das Dorf: alle Hilfe von
Menschen werdet Ihr nicht brauchen; ich habe den Himmel und seine Zeichen
auf meinen Wanderungen kennen gelernt, und er zeigt, daß es morgen regnen
werde.--Gott macht ja immer Alles, Alles gut, und es wird auch dort gut
sein, wo er Schmerz und Entsagung sendet."
"Möge Dein Wort in Erfüllung gehen, Sohn, daß wir zusammen glückliche
Festtage feiern."
"Amen," sagte der Sohn, "ich begleite Euch zur Mutter; wir wollen
glückliche Festtage feiern."
Pfingstsamstags-Morgen war angebrochen und der ganze Himmel hing voll
Wolken; aber noch war kein Tropfen gefallen. So ist der Mensch. Gestern
gab jeder die Hoffnung der Ernte auf, und heute glaubte jeder, mit einigen
Tropfen wäre ihr geholfen. Die Weiber und Mägde standen auf dem Dorfplatze
und hatten Fässer und Geschirr hergebracht, um, wenn es regne, und der
Dorfbach sich fülle, doch auch heuer wie sonst, ihre Festtagsreinigungen
vornehmen zu können und feierliche Pfingsten zu halten. Aber es wurde
Nachmittag, und noch kein Tropfen war gefallen, die Wolken wurden zwar
nicht dünner--aber es kam auch Abend, und kein Tropfen war gefallen.
Spät Nachts war der Bote zurückgekommen, den Felix in die Stadt zur Post
gesendet, und brachte einen Brief für ihn. Er lohnte [102] den Boten,
trat, als er allein war, vor die Lampe seines Tisches, und entsiegelte die
wohlbekannte Handschrift: "Es macht mir vielen Kummer, in der That,
s c h w e r e n Kummer, daß ich Ihre Bitte abschlagen muß. Ihre
selbstgewählte Stellung in der Welt macht es unmöglich zu willfahren;
meine Tochter sieht ein, daß so nichts sein kann, und hat nachgegeben. Sie
wird den Sommer und Winter in Italien zubringen, um sich zu erholen, und
sendet Ihnen durch mich die besten Grüße. Sonst ihr treuer, ewiger
Freund."
Der Mann, als er gelesen, trat mit schneebleichem Angesichte und mit
zuckenden Lippen von dem Tische weg--an den Wimpern zitterten Thränen vor.
Er ging ein paarmal auf und ab, legte endlich das erhaltene Schreiben
langsam auf den Tisch, schritt mit dem Lichte gegen einen Schrein, nahm
ein Päckchen Briefe heraus, legte sie schön zusammen, umwickelte sie mit
einem feinen Umschlage, und siegelte sie zu--dann legte er sie wieder in
den Schrein.
"Es ist geschehen," sagte er athmend, und trat an's Fenster, sein Auge an
den dicken finstern Nachthimmel legend. Unten stand ein verwelkter
Garten--die Haide schlummerte--und auch das entfernte Dorf lag in
hoffnungsvollen Träumen.
Es war eine lange, lange Stille.
"Meine selbstgewählte Stellung," sagte er endlich sich emporrichtend--und
im tiefen, tiefen Schmerze war es wie eine zuckende Seligkeit, die ihn
lohnte. Dann löschte er das Licht aus und ging zu Bette.
Des andern Morgens, als sich die Augen aller Menschen öffneten, war der
ganze Haidehimmel grau, und ein dichter sanfter Landregen träufelte
nieder.
Alles, alles war nun gelöset; die freudigen Festgruppen der Kirchgänger
rüsteten sich, und ließen gern das köstliche Naß durch ihre Kleider
sinken, um nur zum Tempel Gottes zu gehen und zu danken--auch Felix ließ
es durch seine Kleider sinken, ging mit und dankte mit, und Keiner wußte,
was seine sanften, ruhigen Augen bargen.
So weit geht unsere Wissenschaft von Felix, dem Haidebewohner.--Von seinem
Wirken und dessen Früchten liegt nichts vor: aber sei es so oder so--trete
nur getrost dereinst vor deinen Richter, du reiner Mensch, und sage:
"Herr, ich konnte nicht anders, als dein Pfund pflegen, das du mir
anvertraut hast," und wäre dann selbst dein Pfund zu leicht gewesen, der
Richter wird gnädiger richten als die Menschen.
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