Belagerung von Mainz - 2

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Fallbrücke reichte nicht bis ans trockene Land, die kleine Garnison
mußte daher erst durchs Wasser waten, bis sie den Kreis ihrer Gegner
erreichten. Es waren vierundsechzig Mann, zwei Offiziere und zwei
Kanonen, sie wurden gut empfangen, sodann nach Mainz und zuletzt ins
preußische Lager zur Auswechselung gebracht.
Nach meiner Rückkehr verfehlte ich nicht, von diesem unerwarteten
Ereignis Nachricht zu geben; niemand wollt' es glauben, wie ich ja
selbst meinen Augen nicht getraut hatte. Zufällig befanden sich Ihro
Königliche Hoheit der Kronprinz in des Herzogs von Weimar Gezelt, ich
ward gerufen und mußte den Vorfall erzählen; ich tat es genau, aber
ungern, wohl wissend, daß man dem Boden der Hiobspost immer etwas von
der Schuld des Unglücks, das er erzählt, anzurechnen pflegt.
Unter den Täuschungen mancher Art, die uns bei unerwarteten
Vorfällen in einem ungewohnten Zustande betreffen mögen, gibt es gar
viele, gegen die man sich erst im Augenblick waffnen kann. Ich war
gegen Abend ohne den mindesten Anstoß den gewöhnlichen Fußpfad nach
der Weißenauer Schanze geritten; der Weg ging durch eine kleine
Vertiefung, wo weder Wasser noch Sumpf, noch Graben, noch irgend
ein Hindernis sich bemerken ließ; bei meiner Rückkehr war die Nacht
eingebrochen, und als ich eben in jene Vertiefung hereinreiten
wollte, sah ich gegenüber eine schwarze Linie gezogen, die sich von
dem verdüsterten braunen Erdreich scharf abschnitt. Ich mußt' es für
einen Graben halten, wie aber ein Graben in der kurzen Zeit über
meinen Weg her sollte gezogen sein, war nicht begreiflich. Mir blieb
daher nichts übrig als drauf los zu reiten.
Als ich näher kam, blieb zwar der schwarze Streif unverrückt, aber
es schien mir vor demselbigen sich einiges hin und wider zu bewegen,
bald auch ward ich angerufen und befand mich sogleich mitten unter
wohlbekannten Kavallerie-offizieren. Es war des Herzogs von Weimar
Regiment, welches, ich weiß nicht zu welchem Zwecke ausgerückt, sich
in dieser Vertiefung aufgestellt hatte, da denn die lange Linie
schwarzer Pferde mir als Vertiefung erschien, die meinen Fupfad
zerschnitt. Nach wechselseitigem Begrüßen eilte ich sodann
ungehindert zu den Zelten.
Und so war nach und nach das innere grenzenlose Unglück einer Stadt,
außen und in der Umgegend, Anlaß zu einer Lustpartie geworden.
Die Schanze über Weißenau, welche die herrlichste Übersicht
gewährte, täglich von einzelnen besucht, die sich von der Lage einen
Begriff machen und, was in dem weiten übersehbaren Kreis vorginge,
bemerken wollten, war sonn- und feiertags der Sammelplatz einer
unzählbaren Menge Landleute, die sich aus der Nachbarschaft
herbeigezogen. Dieser Schanze konnten die Franzosen wenig anhaben:
Hochschüsse waren sehr ungewiß und gingen meist drüber weg. Wenn die
Schildwache, auf der Brustwehr, hin und wider gehend, bemerkte, daß
die Franzosen das hieher gerichtete Geschütz abfeuerten, so rief sie:
"Buck!" und sodann ward von allen innerhalb der Batterie befindlichen
Personen erwartet, daß sie sich auf die Knie wie aufs Angesicht
niederwürfen, um durch die Brustwehr gegen eine niedrig ankommende
Kugel geschützt zu sein.
Nun war es sonntags und feiertags lustig anzusehen, wenn die große
Menge geputzter Bauersleute, oft noch mit Gebetbuch und Rosenkranz,
aus der Kirche kommend die Schanze füllten, sich umsahen, schwatzten
und schäkerten, auf einmal aber die Schildwache "Buck!" rief und sie
sämtlich flugs vor dieser gefährlich-hochwürdigen Erscheinung
niederfielen und ein vorüberfliegendes göttlich-sausendes Wesen
anzubeten schienen; bald aber nach geschwundener Gefahr sich wieder
aufrafften, sich wechselsweise verspotteten und bald darauf, wenn es
den Belagerten gerade beliebte, abermals niederstürzten. Man konnte
sich dieses Schauspiel sehr bequem verschaffen, wenn man sich auf der
nächsten Höhe etwas seitwärts außer der Richtung der Kugel stellte,
unter sich dieses wunderliche Gewimmel sah und die Kugel an sich
vorbeisausen hörte.
Aber eine solche über die Schanze weggehende Kugel verfehlte nicht
Zweck noch Absicht. Auf dem Rücken dieser Höhen zog sich der Weg von
Frankfurt her, so daß man die Prozession von Kutschen und Chaisen,
Reitern und Fußgängern aus Mainz sehr gut beobachten und also
zugleich die Schanze und die Wallfahrtenden in Schrecken setzen
konnte. Auch wurde bei einiger Aufmerksamkeit des Militärs der
Eintritt einer solchen Menge gar bald verboten, und die Frankfurter
nahmen einigen Umweg, auf welchem sie unbemerkt und unerreicht in das
Hauptquartier gelangten.
Ende Juni. -- In einer unruhigen Nacht unterhielt ich mich,
aufzuhorchen auf die mannigfaltigen fern und nah erregten Töne,
und konnte folgende genau unterscheiden:
"Werda!" der Schildwache vorm Zelt.
"Werda!" der Infanterieposten.
"Werda!", wenn die Runde kam.
Hin- und Widergehen der Schildwache.
Geklappere des Säbels auf dem Sporn.
Bellen der Hunde fern.
Knurren der Hunde nahe.
Krähen der Hähne.
Scharren der Pferde.
Schnauben der Pferde.
Häckerlingschneiden.
Singen, Diskurieren und Zanken der Leute.
Kanonendonner.
Brüllen des Rindviehs.
Schreien der Maulesel.
* * * * *
Lücke.
Daß eine solche hier einfällt, möchte wohl kein Wunder sein.
Jede Stunde war unglücksträchtig; man sorgte jeden Augenblick für
seinen verehrten Fürsten, für die liebsten Freunde, man vergaß an
eigene Sicherheit zu denken. Von der wilden, wüsten Gefahr angezogen,
wie von dem Blick einer Klapperschlange, stürzte man sich unberufen
in die tödlichen Räume, ging, ritt durch die Trancheen, ließ die
Haubitzgranten über dem Kopfe dröhnend zerspringen, die Trümmer neben
sich niederstürzen; manchem Schwerblessierten wünschte man baldige
Erlösung von grimmigen Leiden, und die Toten hätte man nicht ins
Leben zurückgerufen.
Wie Verteidiger und Angreifende nunmehr aber gegeneinander standen,
davon wäre im allgemeinen hier so viel zu sagen. Die Franzosen hatten
bei androhender Gefahr sich zeitig vorgesehen und vor die Hauptwerke
hinaus kleinere Schanzen kunstgemäß angelegt, um die Blockierenden in
gewisser Ferne zu halten, die Belagerung aber zu erschweren. Alle
diese Hindernisse mußten nun weggeräumt werden, wenn die dritte
Parallele eröffnet, fortgesetzt und geschlossen werden sollte, wie
im nachfolgenden einzeln aufgezeichnet ist. Wir aber indessen, mit
einigen Freunden, obgleich ohne Ordre und Beruf, begaben uns an die
gefährlichsten Posten. Weißenau war in deutschen Händen, auch die
flußabwärts liegende Schanze schon erobert; man besuchte den
zerstörten Ort, hielt in dem Gebeinhause Nachlese von krankhaften
Knochen, wovon das Beste schon in die Hände der Wundärzte mochte
gelangt sein. Indem nun aber die Kugeln der Karlsschanze immer in die
Überreste der Dächer und Gemäuer schlugen, ließen wir uns durch einen
Mann des dortigen Wachtpostens, gegen ein Trinkgeld, an eine bekannte
bedeutende Stelle führen, wo mit einiger Vorsicht gar vieles zu
übersehen war. Man ging mit Behutsamkeit durch Trümmer und Trümmer
und ward endlich eine stehen gebliebene steinerne Wendeltreppe hinauf
an das Balkonffenster eines freistehenden Giebels geführt, das
freilich in Friedenszeiten dem Besitzer die herrlichste Aussicht
gewährt haben mußte. Hier sah man den Zusammenfluß des Main- und
Rheinstroms, und also die Main- und Rheinspitze, die Blei-Au, das
befestigte Kastel, die Schiffbrücke und am linken Ufer sodann die
herrliche Stadt: zusammengebrochene Turmspitzen, lückenhafte Dächer,
rauchende Stellen untröstlichen Anblicks.
Unser Führer hieß bedächtig sein, nur einzeln um die Fensterpfosten
herumschauen, weil von der Karlsschanze her gleich eine Kugel würde
geflogen kommen, und er Verdruß hätte, solche veranlaßt zu haben.
Nicht zufrieden hiermit schlich man weiter gegen das Nonnenkloster,
wo es freilich auch wild genug aussah, wo unten in den Gewölben für
billiges Geld Wein geschenkt wurde, indes die Kugeln von Zeit zu
Zeit rasselnde Dächer durchlöcherten.
Aber noch weiter trieb der Vorwitz; man kroch in die letzte Schanze
des rechten Flügels, die man unmittelbar über den Ruinen der
Favorite und der Kartause tief ins Glacis der Festung eingegraben
hatte und nun hinter einem Bollwerk von Schanzkörben auf ein paar
hundert Schritte Kanonenkugeln wechselte; wobei es denn freilich
darauf ankam, wer dem andern zuerst Schweigen aufzulegen das Glück
hatte.
Hier fand ich es nun, aufrichtig gestanden, heiß genug, und man nahm
sich's nicht übel, wenn irgend eine Anwandlung jenes Kanonenfiebers
sich wieder hervortun wollte; man drückte sich nun zurück, wie man
gekommen war, und kehrte doch, wenn es Gelegenheit und Anlaß gab,
wieder in gleiche Gefahr.
Bedenkt man nun, daß ein solcher Zustand, wo man sich, die Angst zu
übertäuben, jeder Vernichtung aussetzte, bei drei Wochen dauerte, so
wird man uns verzeihen, wenn wir über diese schrecklichen Tage wie
über einen glühenden Boden hinüber zu eilen trachten.
* * * * *
Den 1. Juli war die dritte Parallele in Tätigkeit und sogleich die
Bocksbatterie bombardiert.
Den 2. Juli. Bombardement der Zitadelle und Karlsschanze.
Den 3. Juli. Neuer Brand in der Sankt-Sebastians-Kapelle; benachbarte
Häuser und Paläste gehen in Flammen auf.
Den 6. Juli. Die sogenannte Klubistenschanze, welche den rechten
Flügel der dritten Parallele nicht zustande kommen ließ, mußte
weggenommen werden; allein man verfehlte sie und griff vorliegende
Schanzen des Hauptwalles an, da man denn freilich zurückgeschlagen
wurde.
Den 7. Juli. Endliche Behauptung dieses Terrains; Kostheim wird
angegriffen, die Franzosen geben es auf.
* * * * *
Den 13. Juli nachts. Das Rathaus und mehrere öffentliche Gebäude
brennen ab.
Den 14. Juli. Stillstand auf beiden Seiten, Freuden- und Feiertag;
der Franzosen, wegen der in Paris geschlossenen Nationalkonföderation,
der Deutschen, wegen Eroberung von Conde; bei den letzten Kanonen- und
Kleingewehrfeuer, bei jenen ein theatralisches Freiheitsfest, wovon
man viel zu hören hatte.
Nachts vom 14. zum 15. Juli. Die Franzosen werden aus einer Batterie
vor der Karlsschanze getrieben; fürchterliches Bombardement.
Von der Mainspitze über den Main brachte man das Benediktinerkloster
auf der Zitadelle in Flammen. Auf der andern Seite entzündet sich das
Laboratorium und fliegt in die Luft. Fenster, Läden und Schornsteine
dieser Stadtseite brechen ein und stürzen zusammen.
Am 15. Juli besuchten wir Herrn Gore in Klein-Wintersheim und fanden
Rat Krause beschäftigt, ein Bildnis des werten Freundes zu malen,
welches ihm gar wohl gelang. Herr Gore hatte sich stattlich
angezogen, um bei fürstlicher Tafel zu erscheinen, wenn er vorher
sich in der Gegend abermals würde umgeschaut haben. Nun saß er,
umgeben von allerlei Haus- und Feldgerät, in der Bauernkammer eines
deutschen Dörfchens, auf einer Kiste, den angeschlagenen Zuckerhut
auf einem Papiere neben sich; er hielt die Kaffeetasse in der einen,
die silberne Reißfeder, statt des Löffelchens, in der andern Hand;
und so war der Engländer der ganz anständig und behaglich auch in
einem schlechten Kantonierungsquartier vorgestellt, wie er uns noch
täglich zu angenehmer Erinnerung vor Augen steht.
Wenn wir nun dieses Freundes allhier gedenken, so verfehlen wir
nicht, etwas mehreres über ihn zu sagen. Er zeichnete sehr glücklich
in der Camera obscura und hatte, Land und See bereisend, sich auf
diese Weise die schönsten Erinnerungen gesammelt. Nun konnte er, in
Weimar wohnhaft, angewohnter Beweglichkeit nicht entsagen, blieb
immer geneigt, kleine Reisen vorzunehmen, wobei ihn denn gewöhnlich
Rat Krause zu begleiten pflegte, der mit leichter, glücklicher
Fassungsgabe die vorstehenden Landschaften zu Papier brachte,
schattierte, färbte, und so arbeiteten beide um die Wette.
Die Belagerung von Mainz, als ein seltener, wichtiger Fall, wo das
Unglück selbst malerisch zu werden versprach, lockte die beiden
Freunde gleichfalls nach dem Rhein, wo sie sich keinen Augenblick
müßig verhielten.
Und so begleiteten sie uns denn auch auf einem Gefahrzug nach
Weißenau, wo sich Herr Gore ganz besonders gefiel. Wir besuchten
abermals den Kirchhof, in Jagd auf pathologische Knochen; ein Teil
der nach Mainz gewendeten Mauer war eingeschossen, man sah über
freies Feld nach der Stadt. Kaum aber merkten die auf den Wällen
etwas Lebendiges in diesem Raume, so schossen sie mit Prellschüssen
nach der Lücke; nun sah man die Kugel mehrmals aufspringen und
Staub erregend herankommen, da man sich denn zuletzt hinter die
stehengebliebene Mauer oder in das Gebeingewölbe zu retten wußte
und der den Kirchhof durchrollenden Kugel heiter nachschaute.
Die Wiederholung eines solchen Vergnügens schien dem Kammerdiener
bedenklich, der, um Leben und Glieder seines alten Herrn besorgt,
uns allen ins Gewissen sprach und die kühne Gesellschaft zum Rückzug
nötigte.
Der 16. Juli war mir ein bänglicher Tag, und zwar bedrängte mich die
Aussicht auf die nächste, meinen Freunden gefährliche Nacht; damit
verhielt es sich aber folgendermaßen. Eine der vorgeschobenen kleinen
feindlichen Schanzen, vor der sogenannten Welschen Schanze, leistete
völlig ihre Pflicht; sie war das größte Hindernis unserer vordern
Parallele und mußte, was es auch kosten möchte, weggenommen werden.
Dagegen war nun nichts zu sagen, allein es zeigte sich ein
bedenklicher Umstand. Auf Nachricht, oder Vermutung: die Franzosen
ließen hinter dieser Schanze und unter dem Schutz der Festung
Kavallerie kampieren, wollte man zu diesem Aus- und Überfalle auch
Kavallerie mitnehmen. Was das heiße: aus der Tranchee heraus,
unmittelbar vor den Kanonen der Schanze und der Festung, Kavallerie
zu entwickeln und sich, in düsterer Nacht, damit auf dem feindlich
besetzten Glacis herumzutummeln, wird jedermann begreiflich finden;
mir aber war es höchst bänglich, Herrn von Oppen, als den Freund, der
mir vom Regiment zunächst anlag, dazu kommandiert zu wissen. Gegen
Einbruch der Nacht mußte jedoch geschieden sein, und ich eilte zur
Schanze Nr. 4, wo man jene Gegend ziemlich im Auge hatte. Daß es
losbrach und hitzig zuging, ließ sich wohl aus der Ferne bemerken,
und daß mancher wackere Mann nicht zurückkehren würde, war
vorauszusehen.
Indessen verkündigte der Morgen, die Sache sei gelungen, man habe
die Schanze erobert, geschleift und sich ihr gegenüber gleich so
festgesetzt, daß ihre Wiederherstellung dem Feinde wohl unmöglich
bleiben sollte. Freund Oppen kehrte glücklich zurück; die Vermißten
gingen mich so nah nicht an; nur bedauerten wir den Prinzen
Ludwig, der als kühner Anführer eine, wo nicht gefährliche, doch
beschwerliche Wunde davontrug und in einem solchen Augenblick den
Kriegsschauplatz sehr ungern verließ.
Den 17. Juli ward nun derselbe zu Schiffe nach Mannheim gebracht;
der Herzog von Weimar bezog dessen Quartier im Chauseehause; es war
kein anmutigerer Aufenthalt zu denken.
Nach herkömmlicher Ordnungs- und Reinlichkeitsliebe ließ ich den
schönen Platz davor kehren und reinigen, der bei dem schnellen
Quartierwechsel mit Stroh und Spänen und allerlei Abwürflingen eines
eilig verlassenen Kantonnements übersäet war.
Den 18. Juli nachmittags auf große, fast unerträgliche Hitze
Donnerwetter, Sturm und Regenguß, dem Allgemeinen erquicklich, den
Eingegrabenen als solchen freilich sehr lästig.
Der Kommandant tut Vergleichsvorschläge, welche zurückgewiesen
werden.
Den 19. Juli. Das Bombardement geht fort, die Rheinmühlen werden
beschädigt und unbrauchbar gemacht.
Den 20. Juli. Der Kommandant General d'Oyré überschickt eine
Punktation, worüber verhandelt wird.
Nachts vom 21. auf den 22. Juli. Heftiges Bombardement, die
Dominikanerkirche geht in Flammen auf, dagegen fliegt ein preußisches
Laboratorium in die Luft.
Den 22. Juli. Als man vernahm, der Stillstand sei wirklich
geschlossen, eilte man nach dem Hauptquartier, um die Ankunft des
französischen Kommandanten d'Oyré zu erwarten. Er kam: ein großer
wohlgebauter, schlanker Mann von mittlern Jahren, sehr natürlich in
seiner Haltung und Betragen. Indessen die Unterhaltung im Innern
vorging, waren wir alle aufmerksam und hoffnungsvoll; da es aber
ausgesprochen ward, daß man einig geworden und die Stadt den
folgenden Tag übergeben werden sollte, da entstand in mehreren das
wunderbare Gefühl einer schnellen Entledigung von bisherigen Lasten,
von Druck und Bangigkeit, daß einige Freunde sich nicht erwehren
konnten, aufzusitzen und gegen Mainz zu reiten. Unterwegs holten wir
Sömmerring ein, der gleichfalls mit einem Gesellen nach Mainz eilte,
freilich auf stärkere Veranlassung als wir, aber doch auch die Gefahr
einer solchen Unternehmung nicht achtend. Wir sahen den Schlagbaum
des äußersten Tores von fern und hinter demselben eine große Masse
Menschen, die sich dort auflehnten und andrängten. Nun sahen wir
Wolfsgruben vor uns, allein unsere Pferde, dergleichen schon gewohnt,
brachten uns glücklich zwischen durch. Wir ritten unmittelbar bis vor
den Schlagbaum; man rief uns zu: was wir brächten? Unter der Menge
fanden sich wenig Soldaten, alles Bürger, Männer und Frauen; unsere
Antwort, daß wir Stillstand und wahrscheinlich morgen Freiheit und
Öffnung versprächen, wurde mit lautem Beifall aufgenommen. Wir gaben
einander wechselsweise so viel Aufklärung, als einem jeden beliebte,
und als wir eben von Segenswünschen begleitet wieder umkehren
wollten, traf Sömmering ein, der sein Gespräch an das unsrige
knüpfte, bekannte Gesichter fand, sich vertraulicher unterhielt und
zuletzt verschwand, ehe wir's uns versahen; wir aber hielten für
Zeit, umzukehren.
Gleiche Begierde, gleiches Bestreben fühlten eine Anzahl
Ausgewanderte, welche, mit Viktualien versehen, erst in die
Außenwerke, dann in die Festung selbst einzudringen verstanden,
um die Zurückgelassenen wieder zu umarmen und zu erquicken. Wir
begegneten mehreren solcher leidenschaftlichen Wanderer, und es
mochte dieser Zustand so heftig werden, daß endlich, nach
verdoppelten Posten, das strengste Verbot ausging, den Wällen sich
zu nähern; die Kommunikation war auf einmal unterbrochen.
Am 23. Juli. Dieser Tag ging hin unter Besetzung der Außenwerke
sowohl von Mainz als von Kastel. In einer leichten Chaise machte ich
eine Spazierfahrt, in einem so engen Kreis um die Stadt, als es die
ausgesetzten Wachen erlauben wollten. Man besuchte die Trancheen und
besah sich die nach erreichtem Zweck verlassene unnütze Erdarbeit.
Als ich zurückfuhr, rief mich ein Mann mittleren Alters an und bat
mich, seinen Knaben von ungefähr acht Jahren, den er an der Hand mit
fortschleppte, zu mir zu nehmen. Er war ein ausgewanderter Mainzer,
welcher, mit großer Hast und Lust seinen bisherigen Aufenthalt
verlassend, herbeilief, den Auszug der Feinde triumphierend
anzusehen, sodann aber den zurückgelassenen Klubisten Tod und
Verderben zu bringen schwor. Ich redete ihm begütigende Worte zu und
stellte ihm vor: daß die Rückkehr in einen friedlichen und häuslichen
Zustand nicht mit neuem bürgerlichen Krieg, Haß und Rache müsse
verunreinigt werden, weil sich das Unglück ja sonst verewige. Die
Bestrafung solcher schuldigen Menschen müsse man den hohen Alliierten
und dem wahren Landesherrn nach seiner Rückkehr überlassen, und was
ich sonst noch Besänftigendes und Ernstliches anführte; wozu ich ein
Recht hatte, indem ich das Kind in den Wagen nahm und beide mit einem
Trunk guten Weins und Bretzeln erquickte. An einem abgeredeten Ort
setzt' ich den Knaben nieder, da sich denn der Vater schon von weitem
zeigte und mit dem Hut mir tausend Dank und Segen zuwinkte.
Den 24. Juli. Der Morgen ging ziemlich ruhig hin, der Ausmarsch
verzögerte sich, es sollten Geldangelegenheiten sein, die man so bald
nicht abtun könne. Endlich zu Mittag, als alles bei Tisch und Topf
beschäftigt und eine große Stille im Lager sowie auf der Chaussee
war, fuhren mehrere dreispännige Wagen, in einiger Ferne voneinander,
sehr schnell vorbei, ohne daß man sich's versah und darüber nachsann;
doch bald verbreitete sich das Gerücht: auf diese kühne und kluge
Weise hätten mehrere Klubisten sich gerettet. Leidenschaftliche
Personen behaupteten, man müsse nachsetzen, andere ließen es beim
Verdruß bewenden, wieder andere wollten sich verwundern: daß auf dem
ganzen Wege keine Spur von Wache, noch Pikett, noch Aufsicht
erscheine; woraus erhelle, sagten sie, daß man von oben herein durch
die Finger zu sehen und alles, was sich ereignen könnte, dem Zufall
zu überlassen geneigt sei.
Diese Betrachtungen jedoch wurden durch den wirklichen Auszug
unterbrochen und umgestimmt. Auch hier kamen mir und Freunden die
Fenster des Chausseehauses zustatten. Den Zug sahen wir in aller
seiner Feierlichkeit herankommen. Angeführt durch preußische
Reiterei, folgte zuerst die französische Garnison. Seltsamer war
nichts, als wie sich dieser Zug ankündigte; eine Kolonne Marseiller,
klein, schwarz, buntscheckig, lumpig gekleidet, trappelten heran, als
habe der König Edwin seinen Berg aufgetan und das muntere Zwergenheer
ausgesendet. Hierauf folgten regelmäßigere Truppen, ernst und
verdrießlich, nicht aber etwa niedergeschlagen oder beschämt. Als die
merkwürdigste Erscheinung dagegen mußte jedermann auffallen, wenn die
Jäger zu Pferd heraufritten; sie waren ganz still bis gegen uns
herangezogen, als ihre Musik den Marseiller Marsch anstimmte. Dieses
revolutionäre _Te Deum_ hat ohnehin etwas Trauriges, Ahndungsvolles,
wenn es auch noch so mutig vorgetragen wird; diesmal aber nahmen sie
das Tempo ganz langsam, dem schleichenden Schritt gemäß, den sie
ritten. Es war ergreifend und durchtbar und ein ernster Anblick, als
die Reitenden, lange hagere Männer von gewissen Jahren, die Miene
gleichfalls jenen Tönen gemäß, heranrückten; einzeln hätte man sie
dem Don Quichote vergleichen können, in Masse erschienen sie höchst
ehrwürdig.
Bemerkenswert war nun ein einzelner Trupp, die französischen
Kommissarien. Merlin von Thionville in Husarentracht, durch wilden
Bart und Blick sich auszeichnend, hatte eine andere Figur in gleichem
Kostüm links neben sich; das Volk rief mit Wut den Namen eines
Klubisten und bewegte sich zum Anfall. Merlin hielt an, berief sich
auf seine Würde eines französischen Repräsentanten, auf die Rache,
die jeder Beleidigung folgen sollte: er wolle raten, sich zu mäßigen,
denn es sei das letztemal nicht, daß man ihn hier sehe. Die Menge
stand betroffen, kein einzelner wagte sich vor. Er hatte einige
unserer dastehenden Offiziere angesprochen und sich auf das Wort des
Königs berufen, und so wollte niemand weder Angriff noch Verteidigung
wagen; der Zug ging unangetastet vorbei.
Den 25. Juli. Am Morgen dieses Tags bemerkt' ich, daß leider abermals
keine Anstalten auf der Chaussee und in deren Nähe gemacht waren,
um Unordnungen zu verhüten. Sie schienen heute um so nötiger, als
die armen ausgewanderten, grenzenlos unglücklichen Mainzer, von
entfernteren Orten her nunmehr angekommen, scharenweis die Chaussee
umlagerten, mit Fluch- und Racheworten das gequälte und geängstigte
Herz erleichternd. Die gestrige Kriegslist der Entwischenden gelang
daher nicht wieder. Einzelne Reisewagen rannten abermals eilig die
Straße hin, überall aber hatten sich die Mainzer Bürger in die
Chausseegraben gelagert, und wie die Flüchtigen einem Hinterhalt
entgingen fielen sie in die Hände des andern. Der Wagen ward
angehalten, fand man Franzosen oder Französinnen, so ließ man sie
entkommen, wohlbekannte Klubisten keineswegs.
Ein sehr schöner dreispänniger Reisewagen rollt daher, eine
freundliche junge Dame versäumt nicht, sich am Schlage sehen zu
lassen und hüben und drüben zu grüßen; aber dem Postillion fällt man
in die Zügel, der Schlag wird eröffnet, ein Erz-klubist an ihrer
Seite sogleich erkannt. Zu verkennen war er freilich nicht, kurz
gebaut, dicklich, breiten Angesichts, blatternarbig. Schon ist er bei
den Füßen herausgerissen; man schließt den Schlag und wünscht der
Schönheit glückliche Reise. Ihn aber schleppt man auf den nächsten
Acker, zerstößt und zerprügelt ihn fürchterlich; alle Glieder seines
Leibes sind zerschlagen, sein Gesicht unkenntlich. Eine Wache nimmt
sich endlich seiner an, man bringt ihn in ein Bauernhaus, wo er auf
Stroh liegend zwar vor Tätlichkeiten seiner Stadtfeinde, aber nicht
vor Schimpf, Schadenfreude und Schmähen geschützt war. Doch auch
damit ging es am Ende so weit, daß der Offizier niemand mehr
hineinließ; auch mich, dem er es als einem Bekannten nicht
abgeschlagen hätte, dringend bat: ich möchte diesem traurigsten und
ekelhaftesten aller Schauspiele entsagen.
Zum 25. Juli. Auf dem Chausseehause beschäftigte uns nun der fernere
regelmäßige Auszug der Franzosen. Ich stand mit Herrn Gore daselbst
am Fenster, unten versammelte sich eine große Menge; doch auf dem
geräumigen Platze konnte dem Beobachtenden nichts entgehen.
Infanterie, muntere wohlgebildete Linientruppen, kamen nun heran;
Mainzer Mädchen zogen mit ihnen aus, teils nebenher, teils
innerhalb der Glieder. Ihre eigenen Bekannten begrüßten sie nun mit
Kopfschütteln und Spottreden: "Ei, Jungfer Lieschen, will Sie sich
auch in der Welt umsehen?" und dann: "Die Sohlen sind noch neu, sie
werden bald durchgelaufen sein!" ferner: "Hat Sie auch in der Zeit
Französisch gelernt? -- Glück auf die Reise!" und so ging es
immerfort durch diese Zungenruten; die Mädchen aber schienen alle
heiter und getrost, einige wünschten ihren Nachbarinnen wohl zu
leben, die meisten waren still und sahen ihre Liebhaber an.
Indessen war das Volk sehr bewegt, Schimpfreden wurden ausgestoßen,
von Drohungen heftig begleitet. Die Weiber tadelten an den Männern,
daß man diese Nichtswürdigen so vorbeilasse, die in ihrem Bündelchen
gewiß manches von Hab und Gut eines echten Mainzer Bürgers mit sich
schleppten, und nur der ernste Schritt des Militärs, die Ordnung
durch nebenhergehende Offiziere erhalten, hinderte einen Ausbruch;
die leidenschaftliche Bewegung war furchtbar.
Gerade in diesem gefährlichsten Momente erschien ein Zug, der sich
gewiß schon weit hinweggewünscht hatte. Ohne sonderliche Bedeckung
zeigte sich ein wohlgebildeter Mann zu Pferde, dessen Uniform
nicht gerade einen Militär ankündigte, an seiner Seite ritt in
Mannskleidern ein wohlgebautes und sehr schönes Frauenzimmer, hinter
ihnen folgten einige vierzpännige Wagen mit Kisten und Kasten
bepackt; die Stille war ahndungsvoll. Auf einmal rauscht' es im Volke
und rief: "Haltet ihn an! Schlagt ihn tot! Das ist der Spitzbube von
Architekten, der erst die Domdechanei geplündert und nachher selbst
angezündet hat!" es kam auf einen einzigen entschlossenen Menschen
an, und es war geschehen.
Ohne Weiteres zu überlegen, als daß der Burgfriede vor des Herzogs
Quartier nicht zuletzt werden dürfe, mit dem blitzschnellen
Gedanken, was der Fürst und General bei seiner Nachhausekunft sagen
würde, wenn er über die Trümmer einer solchen Selbsthülfe kaum seine
Tür erreichen könnte, sprang ich hinunter, hinaus und rief mit
gebietender Stimme: "Halt!"
Schon hatte sich das Volk näher herangezogen; zwar den Schlagbaum
unterfing sich niemand herabzulassen, der Weg aber selbst war von der
Menge versperrt. Ich wiederholte mein "Halt!" und die vollkommenste
Stille trat ein. Ich fuhr darauf stark und heftig sprechend fort:
hier sei das Quartier des Herzogs von Weimar, der Platz davor sei
heilig; wenn sie Unfug treiben und Rache üben wollten, so fänden sie
noch Raum genug. Der König habe freien Auszug gestattet, wenn er
diesen hätte bedingen und gewisse Personen ausnehmen wollen, so würde
er Aufseher angestellt, die Schuldigen zurückgewiesen oder gefangen
genommen haben; davon sei aber nichts bekannt, keine Patrouille zu
sehen. Und sie, wer und wie sie hier auch seien, hätten, mitten in
der deutschen Armee, keine andere Rolle zu spielen, als ruhige
Zuschauer zu bleiben; ihr Unglück und ihr Haß gebe ihnen hier kein
Recht, und ich litte ein für allemal an dieser Stelle keine
Gewalttätigkeit.
Nun staunte das Volk, war stumm, dann wogt' es wieder, brummte,
schalt; einzelne wurden heftig, ein paar Männer drangen vor, den
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