Belagerung von Mainz - 3

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Reitenden in die Zügel zu fallen. Sonderbarerweise war einer davon
jener Perückenmacher, den ich gestern schon gewarnt, indem ich ihm
Gutes erzeigte. -- "Wie!" rief ich ihm entgegen, "habt Ihr schon
vergessen, was wir gestern zusammen gesprochen? Habt Ihr nicht
darüber nachgedacht, daß man durch Selbstrache sich schuldig macht,
daß man Gott und seinen Oberen die Strafe der Verbrecher überlassen
soll, wie man ihnen das Ende dieses Elends zu bewirken auch
überlassen mußte", und was ich sonst noch kurz und bündig, aber laut
und heftig sprach.
Der Mann, der mich gleich erkannte, trat zurück, das Kind schmiegte
sich an den Vater und sah freundlich zu mir herüber; schon war das
Volk zurückgetreten und hatte den Platz freier gelassen, auch der Weg
durch den Schlagbaum war wieder offen. Die beiden Figuren zu Pferde
wußten sich kaum zu benehmen. Ich war ziemlich weit in den Platz
hereingetreten; der Mann ritt an mich heran und sagte: er wünsche
meinen Namen zu wissen, zu wissen, wem er einen so großen Dienst
schuldig sei, er werde es zeitlebens nicht vergessen und gern
erwidern. Auch das schöne Kind näherte sich mir und sagte das
Verbindlichste. Ich antwortete, daß ich nichts als meine Schuldigkeit
getan und die Sicherheit und Heiligkeit dieses Platzes behauptet
hätte; ich gab einen Wink, und sie zogen fort. Die Menge war nun
einmal in ihrem Rachesinn irre gemacht, sie blieb stehen; dreißig
Schritte davon hätte sie niemand gehindert. So ist's aber in der
Welt: wer nur erst über einen Anstoß hinaus ist, kommt über tausend.
_Chi scampa d'un punto, scampa di mille._
Als ich nach meiner Expedition zu Freund Gore hinaufkam, rief er mir
in seinem Englisch-Französisch entgegen: "Welche Fliege sticht Euch,
Ihr habt Euch in einen Handel eingelassen, der übel ablaufen
konnte."
"Dafür war mir nicht bange", versetzte ich; "und findet Ihr nicht
selbst hübscher, daß ich Euch den Platz vor dem Hause so rein
gehalten habe? Wie säh' es aus, wenn das nun alles voll Trümmer läge,
die jedermann ärgerten, leidenschaftlich aufregten und niemand
zugute kämen? mag auch jener den Besitz nicht verdienen, den er
wohlbehaglich fortgeschleppt hat!"
Indessen aber ging der Auszug der Franzosen gelassen unter unserm
Fenster vorbei; die Menge, die kein Interesse weiter daran fand,
verlief sich; wer es möglich machen konnte, suchte sich einen Weg, um
in die Stadt zu schleichen, die Seinigen und was von ihrer Habe
allenfalls gerettet sein konnte, wiederzufinden und sich dessen zu
erfreuen. Mehr aber trieb sie die höchst verzeihliche Wut, ihre
verhaßten Feinde, die Klubisten und Komitisten, zu strafen, zu
vernichten, wie sie mitunter bedrohlich genug ausriefen.
Indessen konnte sich mein guter Gore nicht zufrieden geben, daß
ich, mit eigener Gefahr, für einen unbekannten, vielleicht
verbrecherischen Menschen so viel gewagt habe. Ich wies ihn immer
scherzhaft auf den reinen Platz vor dem Hause und sagte zuletzt
ungeduldig: "Es liegt nun einmal in meiner Natur: ich will lieber
eine Ungerechtigkeit begehen, als Unordnung ertragen."
Den 26. und 27. Juli. Den 26. gelang es uns schon, mit einigen
Freunden zu Pferd in die Stadt einzudringen; dort fanden wir
den bejammernswertesten Zustand. In Schutt und Trümmer war
zusammengestürzt, was Jahrhunderten aufzubauen gelang, wo in der
schönsten Lage der Welt Reichtümer von Provinzen zusammenflossen und
Religion das, was ihre Diener besaßen, zu befestigen und zu vermehren
trachtete. Die Verwirrung, die den Geist ergriff, war höchst
schmerzlich, viel trauriger, als wäre man in eine durch Zufall
eingeäscherte Stadt geraten.
Bei aufgelöster polizeilicher Ordnung hatte sich zum traurigen
Schutt noch aller Unrat auf den Straßen gesammelt; Spuren der
Plünderung ließen sich bemerken in Gefolg innerer Feindschaft.
Hohe Mauern drohten den Einsturz, Türme standen unsicher, und was
bedarf es einzelner Beschreibungen, da man die Hauptgebäude
nacheinander genannt, wie sie in Flammen aufgingen. Aus alter
Vorliebe eilte ich zur Dechanei, die mir noch immer als ein kleines
architektonisches Paradies vorschwebte; zwar stand die Säulenvorhalle
mit ihrem Giebel noch aufrecht, aber ich trat nur zu bald über den
Schutt der eingestürzten schöngewölbten Decken; die Drahtgitter
lagen mir im Wege, die sonst netzweise von oben erleuchtende Fenster
schützten; hie und da war noch ein Rest alter Pracht und Zierlichkeit
zu sehen, und so lag denn auch diese Musterwohnung für immer
zerstört. Alle Gebäude des Platzes umher hatten dasselbige Schicksal;
es war die Nacht vom 27. Juni, wo der Untergang dieser Herrlichkeiten
die Gegend erleuchtete.
Hierauf gelangt' ich in die Gegend des Schlosses, dem sich niemand
zu nähern wagte. Außen angebrachte bretterne Angebäude deuteten auf
die Verunreinigung jener fürstlichen Wohnung; auf dem Platze davor
standen, gedrängt ineinander geschoben, unbrauchbare Kanonen, teils
durch den Feind, teils durch eigene hitzige Anstrengung zerstört.
Wie nun von außen her durch feindliche Gewalt so manches herrliche
Gebäude mit seinem Inhalt vernichtet worden, so war auch innerlich
vieles durch Roheit, Frevel und Mutwillen zugrunde gerichtet.
Der Palast Ostheim stand noch in seiner Integrität, allein
zur Schneiderherberge, zu Einquartierungs- und Wachstuben
verwandelt -- eine Umkehrung, verwünscht anzusehen! Säle voll Lappen
und Fetzen, dann wieder die gips-marmornen Wände mit Haken und großen
Nägeln zerspengt, Gewehre dort aufgehangen und umher gestellt.
Das Akademiegebäude nahm sich von außen noch ganz freundlich aus,
nur eine Kugel hatte im zweiten Stock ein Fenstergewände von
Sömmerrings Quartier zersprengt. Ich fand diesen Freund wieder
daselbst, ich darf nicht sagen eingezogen, denn die schönen Zimmer
waren durch die wilden Gäste aufs schlimmste behandelt. Sie hatten
sich nicht begnügt, die blauen reinlichen Papiertapeten, so weit sie
reichen konnten, zu verderben; Leitern, oder übereinander gestellte
Tische und Stühle mußten sie gebraucht haben, um die Zimmer bis an
die Decke mit Speck oder sonstigen Fettigkeiten zu besudeln. Es
waren dieselbigen Zimmer, wo wir vorm Jahr so heiter und traulich
zu wechselseitigem Scherz und Belehrung freundschaftlich beisammen
gesessen. Indes war bei diesem Unheil doch auch noch etwas
Tröstliches zu zeigen; Sömmerring hatte seinen Keller uneröffnet und
seine dahin geflüchteten Präparate durchaus unbeschädigt gefunden.
Wir machten ihnen einen Besuch, wogegen sie uns zu belehrendem
Gespräch Anlaß gaben.
Eine Proklamation des neuen Gouverneurs hatte man ausgegeben. Ich
fand sie in eben dem Sinne, ja fast mit den gleichen Worten meiner
Anmahnung an jenen ausgewanderten Perückenmacher; alle Selbsthülfe
war verboten; dem zurückkehrenden Landesherrn allein sollte das
Recht zustehen, zwischen guten und schlechten Bürgern den Unterschied
zu bezeichnen. Sehr notwendig war ein solcher Erlaß, denn bei der
augenblicklichen Auflösung, die der Stillstand vor einigen Tagen
verursachte, drangen die kühnsten Ausgewanderten in die Stadt und
veranlaßten selbst die Plünderung der Klubistenhäuser, indem sie die
hereinziehenden Belagerungssoldaten anführten und aufregten. Jene
Verordnung war mit den mildesten Ausdrücken gefaßt, um, wie billig,
den gerechten Zorn der grenzenlos beleidigten Menschen zu schonen.
Wie schwer ist es, eine bewegte Menge wieder zur Ruhe zu bringen!
Auch noch in unserer Gegenwart geschahen solche Unregelmäßigkeiten.
Der Soldat ging in einen Laden, verlangte Tabak, und indem man ihn
abwog, bemächtigte er sich des Ganzen. Auf das Zetergeschrei der
Bürger legten sich unsere Offiziere ins Mittel, und so kam man über
eine Stunde, über einen Tag der Unordnung und Verwirrung hinweg.
Auf unseren Wanderungen fanden wir eine alte Frau an der Türe eines
niedrigen, fast in die Erde gegrabenen Häuschens. Wir verwunderten
uns, daß sie schon wieder zurückgekehrt, worauf wir vernahmen, daß
sie gar nicht ausgewandert, ob man ihr gleich zugemutet, die Stadt zu
verlassen. "Auch zu mir", sagte sie, "sind die Hanswürste gekommen
mit ihren bunten Schärpen, haben mir befohlen und gedroht; ich habe
ihnen aber tüchtig die Wahrheit gesagt: Gott wird mich arme Frau in
dieser meiner Hütte lebendig und in Ehren erhalten, wenn ich euch
schon längst in Schimpf und Schande sehen werde. Ich hieß sie mit
ihren Narreteien weiter gehen. Sie fürchteten, mein Geschrei möchte
die Nachbarn aufregen, und ließen mich in Ruhe. Und so hab' ich die
ganze Zeit teils im Keller, teils im Freien zugebracht, mich von
wenigem genährt, und lebe noch Gott zu Ehren; jenen aber wird es
schlecht ergehen."
Nun deutete sie uns auf ein Eckhaus gegenüber, um zu zeigen, wie nahe
die Gefahr gewesen. Wir konnten in das untere Eckzimmer eines
ansehnlichen Gebäude hineinschauen, das war ein wunderlicher Anblick!
Hier hatte seit langen Jahren eine alte Sammlung von Kuriositäten
gestanden, Figuren von Porzellain und Bildstein, chinesische Tassen,
Teller, Schüsseln und Gefäße; an Elfenbein und Bernstein mocht'
es auch nicht gefehlt haben, so wie an anderem Schnitz- und
Drechselwerk, aus Moos, Stroh und sonst zusammengesetzten Gemälden
und was man sich in einer solchen Sammlung denken mag. Das alles war
nur aus den Trümmern zu schließen: denn eine Bombe, durch alle
Stockwerke durchschlagend, war in diesem Raume geplatzt; die
gewaltsame Luftausdehnung, indem sie inwendig alles von der Stelle
warf, schlug die Fenster herauswärts, mit ihnen die Drahtgitter,
die sonst das Innere schirmten und nun zwischen den eisernen
Stangengittern bauchartig herausgebogen erschienen. Die gute Frau
versicherte, daß sie bei dieser Explosion selbst mit unterzugehen
geglaubt habe.
Wir fanden unser Mittagsmahl an einer großen Wirtstafel; bei vielen
Hin- und Widerreden schien uns das beste, zu schweigen. Wundersam
genug fiel es aber auf, daß man von den gegenwärtigen Musikanten den
Marseiller Marsch und das _Ça ira_ verlangte; alle Gäste schienen
einzustimmen und erheitert.
Bei unserm folgenden Hin- und Herwandern wußten wir den Platz, wo die
Favorite gestanden, kaum zu unterscheiden. Im August vorigen Jahrs
erhub sich hier noch ein prächtiger Gartensaal; Terrassen, Orangerie,
Springwerke machten diesen unmittelbar am Rhein liegenden Lustort
höchst vergnüglich. Hier grünten die Alleen, in welchen, wo der
Gärtner mir erzählte, sein gnädigster Kurfürst die höchsten Häupter
mit allem Gefolge an unübersehbaren Tafeln bewirtet; und was der gute
Mann nicht alles von damastnen Gedecken, Silberzeug und Geschirr zu
erzählen hatte. Geknüpft an jene Erinnerung, machte die Gegenwart nur
noch einen unerträglichern Eindruck.
Die benachbarte Kartause war ebenfalls wie verschwunden, denn man
hatte die Steine dieser Gebäude sogleich zur bedeutenden Weißenauer
Schanze vermauert. Das Nonnenklösterchen stand noch in frischen, kaum
wieder herzustellenden Ruinen.
Die Freunde Gore und Krause begleitete ich auf die Zitadelle. Da
stand nun Drusus' Denkmal ohngefähr noch ebenso, wie ich es als
Knabe gezeichnet hatte, auch diesmal unerschüttert, so viel
Feuerkugeln daran mochten vorbeigeflogen sein, ja daraufgeschlagen
haben.
Herr Gore stellte seine tragbare dunkle Kammer auf dem Walle
sogleich zurechte, in Absicht, eine Zeichnung der ganzen durch die
Belagerung entstellten Stadt zu unternehmen, die auch von der Mitte,
vom Dom aus, gewissenhaft und genau zustande kam, gegen die Seiten
weniger vollendet, wie sie uns in seinen hinterlassenen, schön
geordneten Blättern noch vor Augen liegt.
Endlich wendeten sich auch unsere Wege nach Kastel; auf der
Rheinbrücke holte man noch frischen Atem wie vor alters und betrog
sich einen Augenblick, als wenn jene Zeit wiederkommen könnte.
An der Befestigung von Kastel hatte man während der Belagerung
immerfort gemauert; wir fanden einen Trog frischen Kalks, Backsteine
daneben und eine unfertige Stelle; man hatte nach ausgesprochenem
Stillstand und Übergabe alles stehn und liegen lassen.
So merkwürdig aber als traurig anzusehen war der Verhau rings um die
Kasteler Schanzen; man hatte dazu die Fülle der Obstbäume der
dortigen Gegend verbraucht. Bei der Wurzel abgesägt, die äußersten
zarten Zweige weggestutzt, schob man nun die stärkeren, regelmäßig
gewachsenen Kronen ineinander und errichtete dadurch ein
undurchdringliches letztes Bollwerk, es schienen zu gleicher Zeit
gepflanzte Bäume, unter gleich günstigen Umständen erwachsen, nunmehr
zu feindseligen Zwecken benutzt, dem Untergang überlassen.
Lange aber konnte man sich einem solchen Bedauern nicht hingeben,
denn Wirt und Wirtin und jeder Einwohner, den man ansprach, schienen
ihren eigenen Jammer zu vergessen, um sich in weitläufigere
Erzählungen des grenzenlosen Elends herauszulassen, in welchem die
zur Auswanderung genötigten Mainzer Bürger zwischen zwei Feinde, den
innern und äußern, sich geklemmt sahen. Denn nicht der Krieg allein,
sondern der durch Unsinn aufgelöste bürgerliche Zustand hatte ein
solches Unglück bereitet und herbeigeführt.
Einigermaßen erholte sich unser Geist von alle dem Trübsal und
Jammer, bei Erzählung mancher heroischen Tat der tüchtigen
Stadtbürger. Erst sah man mit Schrecken das Bombardement als ein
unvermeidliches Elend an, die zerstörende Gewalt der Feuerkugeln war
zu groß, das anrückende Unglück so entschieden, daß niemand glaubte,
entgegenwirken zu können; endlich aber, bekannter mit der Gefahr,
entschloß man sich, ihr zu begegnen. Eine Bombe, die in ein Haus
fiel, mit bereitem Wasser zu löschen, gab Gelegenheit zu kühnem
Scherz; man erzählte Wunder von weiblichen Heldinnen dieser Art,
welche sich und andre glücklich gerettet. Aber auch der Untergang von
tüchtigen wackern Menschen war zu bedauern. Ein Apotheker und sein
Sohn gingen über dieser Operation zugrunde.
Wenn man nun, das Unglück bedauernd, sich und andern Glück wünschte,
das Ende der Leiden zu sehen, so verwunderte man sich zugleich, daß
die Festung nicht länger gehalten worden. In dem Schiffe des Doms,
dessen Gewölbe sich erhalten hatten, lag eine große Masse
unangetasteter Mehlsäcke, man sprach von andern Vorräten und von
unerschöpflichem Weine. Man hegte daher die Vermutung, daß die letzte
Revolution in Paris, wodurch die Partei, wozu die Mainzer
Kommissarien gehörten, sich zum Regiment aufgeschwungen, eigentlich
die frühere Übergabe der Festung veranlaßt. Merlin von Thionville,
Reubel und andere wünschten gegenwärtig zu sein, wo, nach überwundnen
Gegnern, nichts mehr zu scheuen und unendlich zu gewinnen war. Erst
mußte man sich inwendig festsetzen, an dieser Veränderung teilnehmen,
sich zu bedeutenden Stellen erheben, großes Vermögen ergreifen,
alsdann aber bei fortgesetzter äußerer Fehde auch da wieder mitwirken
und, bei wahrscheinlich ferner zu hoffendem Kriegsglück, abermals
ausziehen, die regen Volksgesinnungen über andere Länder
auszubreiten, den Besitz von Mainz, ja von weit mehr wieder zu
erringen trachten.
Für niemand war nun Bleibens mehr in dieser verwüsteten öden
Umgebung. Der König mit den Garden zog zuerst, die Regimenter
folgten. Weiteren Anteil an den Unbilden des Krieges zu nehmen, ward
nicht mehr verlangt; ich erhielt Urlaub, nach Hause zurückzukehren,
doch wollt' ich vorher noch Mannheim wieder besuchen.
Mein erster Gang war, Ihro Königlichen Hoheit dem Prinzen Louis
Ferdinand aufzuwarten, den ich ganz wohlgemut auf seinem Sofa
ausgestreckt fand, nicht völlig bequem, weil ihn die Wunde am Liegen
eigentlich hinderte; wobei er auch die Begierde nicht verbergen
konnte, baldmöglichst auf dem Kriegsschauplatz persönlich wieder
aufzutreten.
Darauf begegnete mir im Gasthofe ein artiges Abenteuer. An der
langen, sehr besetzten Wirtstafel saß ich an einem Ende, der
Kämmerier des Königs, von Rietz, an dem andern, ein großer,
wohlgebauter, starker, breitschultriger Mann; eine Gestalt, wie sie
dem Leibdiener Friedrich Wilhelms gar wohl geziemte. Er mit seiner
nächsten Umgebung waren sehr laut gewesen und standen frohen Mutes
von Tafel auf; ich sah Herrn Rietz auf mich zukommen, er begrüßte
mich zutraulich, freute sich meiner lang' gewünschten, endlich
gemachten Bekanntschaft, fügte einiges Schmeichelhafte hinzu und
sagte sodann: ich müsse ihm verzeihen, er habe aber noch ein
persönliches Interesse, mich hier zu finden und zu sehen. Man habe
ihm bisher immer behauptet: schöne Geister und Leute von Genie müßten
klein und hager, kränklich und vermüfft aussehen, wie man ihm denn
dergleichen Beispiele genug angeführt. Das habe ihn immer verdrossen,
denn er glaube doch auch nicht auf den Kopf gefallen zu sein, dabei
aber gesund und stark und von tüchtigen Gliedmaßen; aber nun freue er
sich, an mir einen Mann zu finden, der doch auch nach etwas aussehe,
und den man deshalb nicht weniger für ein Genie gelten lasse. Er
freue sich dessen und wünsche uns beiden lange Dauer eines solchen
Behagens.
Ich erwiderte gleichfalls verbindliche Worte; er schüttelte mir die
Hand, und ich konnte mich trösten, daß, wenn jener wohlgesinnte
Obristlieutenant meine Gegenwart ablehnte, welcher wahrscheinlich
auch eine vermüffte Person erwartet hatte, ich nunmehr, freilich in
einer ganz entgegengesetzten Kategorie, zu Ehren kam.
In Heidelberg, bei der alten treuen Freundin Delph, begegnete ich
meinem Schwager und Jugendfreund Schlosser. Wir besprachen gar
manches, auch er mußte einen Vortrag meiner Farbenlehre aushalten.
Ernst und freundlich nahm er sie auf, ob er gleich von der Denkweise,
die er sich festgesetzt hatte, nicht loskommen konnte und vor allen
Dingen darauf bestand, zu wissen: inwiefern sich meine Bearbeitung
mit der Eulerischen Theorie vereinigen lasse, der er zugetan sei. Ich
mußte leider bekennen, daß auf meinem Wege hiernach gar nicht gefragt
werde, sondern nur, daß darum zu tun sei, unzählige Erfahrungen ins
Enge zu bringen, sie zu ordnen, ihre Verwandtschaft, Stellung
gegeneinander und nebeneinander aufzufinden, sich selbst und andern
faßlich zu machen. Diese Art mochte ihm jedoch, da ich nur wenig
Experimente vorzeigen konnte, nicht ganz deutlich werden.
Da nun hiebei die Schwierigkeit des Unternehmens sich hervortat,
zeigt' ich ihm einen Aufsatz, den ich während der Belagerung
geschrieben hatte, worin ich ausführte: wie eine Gesellschaft
verschiedenartiger Männer zusammen arbeiten und jeder von seiner
Seite mit eingereifen könnte, um ein so schwieriges und weitläufiges
Unternehmen fördern zu helfen. Ich hatte den Philosophen, den
Physiker, Mathematiker, Maler, Mechaniker, Färber und Gott weiß wen
alles in Anspruch genommen; dies hörte er im allgemeinen ganz
geduldig an, als ich ihm aber die Abhandlung im einzelnen vorlesen
wollte, verbat er sich's und lachte mich aus: ich sei, meinte er, in
meinen alten Tagen noch immer ein Kind und Neuling, daß ich mir
einbilde, es werde jemand an demjenigen teilnehmen, wofür ich
Interesse zeige, es werde jemand ein fremdes Verfahren billigen und
es zu dem seinigen machen, es könne in Deutschland irgend eine
gemeinsame Wirkung und Mitwirkung stattfinden!
Ebenso wie über diesen Gegenstand äußerte er sich über andere;
freilich hatte er als Mensch, Geschäftsmann, Schriftsteller gar
vieles erlebt und erlitten, daher denn sein ernster Charakter sich
in sich selbst verschloß und jeder heitern, glücklichen, oft
hülfreichen Täuschung mißmutig entsagte.
Mir aber machte es den unangenehmsten Eindruck, daß ich, aus dem
schrecklichsten Kriegszustand wieder ins ruhige Privatleben
zurückkehrend, nicht einmal hoffen sollte auf eine friedliche
Teilnahme an einem Unternehmen, das mich so sehr beschäftigte und
das ich der ganzen Welt nützlich und interessant wähnte.
Dadurch regte sich abermals der alte Adam; leichtsinnige
Behauptungen, paradoxe Sätze, ironisches Begegnen und was dergleichen
mehr war, erzeugte bald Apprehension und Mißbehagen unter den
Freunden: Schlosser verbat sich dergleichen sehr heftig, die Wirtin
wußte nicht, was sie aus uns beiden machen sollte, und ihre
Vermittlung bewirkte wenigstens, daß der Abschied zwar schneller als
vorgesetzt, doch nicht übereilt erschien.
Von meinem Aufenthalt in Frankfurt wüßte ich wenig zu sagen,
ebensowenig von meiner übrigen Rückreise; der Schluß des Jahrs, der
Anfang des folgenden ließ nur Greueltaten einer verwilderten und
zugleich siegberauschten Nation vernehmen. Aber auch mir stand ein
ganz eigener Wechsel der gewohnten Lebensweise bevor. Der Herzog von
Weimar trat nach geendigter Campagne aus preußischen Diensten; das
Wehklagen des Regiments war groß durch alle Stufen, sie verloren
Anführer, Fürsten, Ratgeber, Wohltäter und Vater zugleich. Auch ich
sollte von eng verbundenen trefflichen Männern auf einmal scheiden;
es geschah nicht ohne Tränen der besten. Die Verehrung des einzigen
Mannes und Führers hatte uns zusammengebracht und gehalten, und wir
schienen uns selbst zu verlieren, als wir seiner Leitung und einem
heiteren verständigen Umgang untereinander entsagen sollten. Die
Gegend um Aschersleben, der nahe Harz, von dort aus so leicht zu
bereisen, erschien für mich verloren, auch bin ich niemals wieder
tief hineingedrungen.
Und so wollen wir schließen, um nicht in Betrachtung der
Weltschicksale zu geraten, die uns noch zwölf Jahre bedrohten, bis
wir von eben denselben Fluten uns überschwemmt, wo nicht verschlungen
gesehen.
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