Belagerung von Mainz - 1

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Belagerung von Mainz
Goethe

Montag den 26. Mai 1793 von Frankfurt nach Höchst und Flörsheim;
hier stand viel Belagerungsgeschütz. Der alte freie Weg nach Mainz
war gesperrt, ich mußte über die Schiffbrücke bei Rüsselsheim; in
Ginsheim ward gefüttert; der Ort ist sehr zerschossen; dann über die
Schiffbrücke auf die Nonnenaue, wo viele Bäume niedergehauen lagen,
sofort auf dem zweiten Teil der Schiffbrücke über den größern
Arm des Rheins. Ferner auf Bodenheim und Oberulm, wo ich mich
kantonierungsmäßig einrichtete und sogleich mit Hauptmann Vent nach
dem rechten Flügel über Hechtsheim ritt, mir die Lage besah von
Mainz, Kastel, Kostheim, Hochheim, Weißenau, der Mainspitze und den
Rheininseln. Die Franzosen hatten sich der einen bemächtigt und sich
dort eingegraben; ich schlief nachts in Oberulm.
Dienstag den 27. Mai eilte ich, meinen Fürsten im Lager bei
Marienborn zu verehren, wobei mir das Glück ward, dem Prinzen
Maximilian von Zweibrücken, meinem immer gnädigen Herrn, aufzuwarten;
vertauschte dann sogleich gegen ein geräumiges Zelt in der Fronte des
Regiments mein leidiges Kantonierungsquartier. Nun wollt' ich auch
die Mitte des Blockadehalbkreises kennen lernen, ritt auf die
Schanze vor dem Chausseehaus, übersah die Lage der Stadt, die neue
französische Schanze bei Zahlbach und das merkwürdig-gefährliche
Verhältnis des Dorfes Bretzenheim. Dann zog ich mich gegen das
Regiment zurück und war bemüht, einige genaue Umrisse aufs Papier zu
bringen, um mir die Bezüge und die Distanzen der landschaftlichen
Gegenstände desto besser zu imprimieren.
Ich wartete dem General Grafen Kalckreuth in Marienborn auf, und
war abends bei demselben; da denn viel über eine Märe gesprochen
wurde, daß in dem Lager der anderen Seite vergangene Nacht der
Lärm entstanden, als sei ein deutscher General zu den Franzosen
übergegangen, worüber sogar das Feldgeschrei verändert worden und
einige Bataillons ins Gewehr getreten.
Ferner unterhielt man sich über das Detail der Lage überhaupt,
über Blockade und künftige Belagerung. Viel ward gesprochen über
Persönlichkeiten und deren Verhältnisse, die gar mancherlei wirken,
ohne daß sie zur Sprache kommen. Man zeigte daraus, wie unzuverlässig
die Geschichte sei, weil kein Mensch eigentlich wisse, warum oder
woher dieses und jenes geschehe.
Mittwoch den 28. Mai bei Obrist von Stein auf dem Forsthause, das
äußerst schön liegt; ein höchst angenehmer Aufenthalt! Man fühlte,
welch eine behagliche Stelle es gewesen, Landjägermeister eines
Kurfürsten von Mainz zu sein. Von da übersieht man den großen
landschaftlichen Kessel, der sich bis Hochheim hinüber erstreckt, wo
in der Urzeit Rhein und Main sich wirbelnd drehten und restagnierend
die besten Äcker vorbereiteten, ehe sie bei Bieberich westwärts zu
fließen völlige Freiheit fanden.
Ich speiste im Hauptquartier; der Rückzug aus der Champagne ward
besprochen; Graf Kalckreuth ließ seiner Laune gegen die Theoristen
freien Lauf.
Nach der Tafel ward ein Geistlicher hereingebracht, als
revolutionärer Gesinnungen verdächtig. Eigentlich war er toll, oder
wollte so scheinen; er glaubte Turenne und Conde gewesen, und nie von
einem Weibe geboren zu sein; durch das Wort werde alles gemacht! Er
war guter Dinge und zeigte in seiner Tollheit viel Konsequenz und
Gegenwart des Geistes.
Ich suchte mir die Erlaubnis, Lieutenant von Itzenplitz zu besuchen,
welcher am 9. Mai in einer Affäre vor Mainz mit Schuß und Schub
verwundet und endlich gefangen genommen worden. Feindlicherseits
betrug man sich auf das schonendste gegen ihn und gab ihn bald wieder
heraus. Reden durft' er noch nicht, doch erfreute ihn die Gegenwart
eines alten Kriegskameraden, der manches zu erzählen wußte.
Gegen Abend fanden sich die Offiziere des Regiments beim Marketender,
wo es etwas mutiger herging als vorm Jahr in der Champagne: denn wir
tranken den dortigen schäumenden Wein, und zwar im Trocknen beim
schönsten Wetter. Meiner vormaligen Weissagung ward auch gedacht; sie
wiederholten meine Worte: "Von hier und heute geht eine neue Epoche
der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen."
Wunderbar genug sah man diese Prophezeiung nicht etwa nur dem
allgemeinen Sinn, sondern dem besondern Buchstaben nach genau
erfüllt, indem die Franzosen ihren Kalender von diesen Tagen an
datierten.
Wie aber der Mensch überhaupt ist, besonders aber im Kriege, daß er
sich das Unvermeidliche gefallen läßt und die Intervalle zwischen
Gefahr, Not und Verdruß mit Vergnügen und Lustbarkeit auszufüllen
sucht: so ging es auch hier; die Hautboisten von Thadden spielten ca
ira und den Marseiller Marsch, wobei eine Flasche Champagner nach der
andern geleert wurde.
Abends 8 Uhr kanonierte man stark von den Batterien des rechten
Flügels.
Donnerstag den 29. Mai früh 9 Uhr Viktoria wegen des Siegs der
Östreicher bei Famars. Dieses allgemeine Abfeuern nützte mir, die
Lage der Batterien und die Stellung der Truppen kennen zu lernen;
zugleich war ein ernstlicher Handel bei Bretzenheim, denn freilich
hatten die Franzosen alle Ursache, uns aus diesem so nahe gelegenen
Dorfe zu vertreiben.
Inzwischen erfuhr man, woher das Märchen der gestrigen Desertion
entstanden: durch seltsam zufällige Kombinationen, so abgeschmackt
als möglich, aber doch einige Zeit umherlaufend.
Ich begleitete meinen gnädigsten Herrn nach dem linken Flügel,
wartete dem Herrn Landgrafen von Darmstadt auf, dessen Lager
besonders zierlich mit kiefernen Lauben ausgeputzt war, dessen Zelt
jedoch alles, was ich je in dieser Art gesehen, übertraf, wohl
ausgedacht, vortrefflich gearbeitet, bequem und prächtig.
Gegen Abend war uns, mir aber besonders, ein liebenswürdiges
Schauspiel bereitet; die Prinzessinnen von Mecklenburg hatten im
Hauptquartier zu Bodenheim bei Ihro Majestät dem Könige gespeist und
besuchten nach Tafel das Lager. Ich heftelte mich in mein Zelt ein
und durfte so die hohen Herrschaften, welche unmittelbar davor ganz
vertraulich auf und nieder gingen, auf das genauste beobachten. Und
wirklich konnte man in diesem Kriegsgetümmel die beiden jungen Damen
für himmlische Erscheinungen halten, deren Eindruck auch mir niemals
verlöschen wird.
Freitag den 30. Mai. Früh hörte man hinter dem Lager
Kleingewehrfeuer, welches einige Apprehension gab; dies klärte sich
dahin auf, daß die Bauern den Fronleichnam gefeiert. Ferner ward
Viktoria geschossen aus Kanonen und kleinem Gewehr, jenes glücklichen
Ereignisses in den Niederlanden wegen; dazwischen scharf aus der
Stadt und hinein. Nachmittag ein Donnerwetter.
Holländische Artillerie-flottille ist angekommen, liegt bei Ebenheim.
In der Nacht vom 30. zum 31. Mai schlief ich, wie gewöhnlich ganz
angezogen, ruhig im Zelte, als ich vom Platzen eines kleinen
Gewehrfeuers aufgeweckt wurde, das nicht allzu entfernt schien.
Ich sprang auf und heraus und fand schon alles in Bewegung; es war
offenbar, daß Marienborn überfallen sei. Bald darauf feuerten unsere
Kanonen von der Batterie vor dem Chausseehaus, dies mußte also einem
herandringenden Feinde gelten. Das Regiment des Herzogs, von dem eine
Schwadron hinter dem Chausseehaus gelagert war, ruckte aus; der
Moment war kaum erklärbar. Das kleine Gewehrfeuer in Marienborn, im
Rücken unserer Batterien, dauerte fort, und unsere Batterien schossen
auch. Ich setzte mich zu Pferde und ritt weiter vor, wo ich, nach
früher genommener Kenntnis, ob es gleich Nacht war, die Gegend
beurteilen konnte. Ich erwartete jeden Augenblick, Marienborn in
Flammen zu sehen, und ritt zu unseren Zelten zurück, wo ich die Leute
des Herzogs beschäftigt fand, ein- und aufzupacken, auf alle Fälle.
Ich empfahl ihnen meinen Koffer und Portefeuille und besprach unsern
Rückzug. Sie wollten auf Oppenheim zu; dorthin konnte ich leicht
folgen, da mir der Fußpfad durch das Fruchtfeld bekannt war, doch
wollt' ich den Erfolg erst abwarten und mich nicht eher entfernen,
bis das Dorf brennte und der Streit sich hinter demselben weiter
heraufzöge.
In solcher Ungewißheit sah ich der Sache zu, aber bald legte sich
das kleine Gewehrfeuer, die Kanonen schwiegen, der Tag fing an, zu
grauen, und das Dorf lag ganz ruhig vor mir. Ich ritt hinunter. Die
Sonne ging auf mit trübem Schein, und die Opfer der Nacht lagen neben
einander. Unsere riesenhaften, wohlgekleideten Kürassiere machten
einen wunderlichen Kontrast mit den zwergenhaften, schneiderischen,
zerlumpten Ohnehosen; der Tod hatte sie ohne Unterschied hingemäht.
Unser guter Rittmeister La Viere war unter den ersten geblieben,
Rittmeister von Voß, Adjutant des Grafen Kalckreuth, durch die Brust
geschossen, man erwartete seinen Tod. Ich war veranlaßt, eine kurze
Relation dieses wunderbaren und unangenehmen Vorfalls aufzusetzen,
welche ich hier einschalte und sodann noch einige Partikularitäten
hinzufüge.
* * * * *
Von dem Ausfall der Franzosen in der Nacht auf Marienborn vermelde
ich folgendes:
Das Hauptquartier Marienborn liegt in der Mitte des Halbkreises von
Lagern und Batterien, die am linken Ufer des Rheins oberhalb Mainz
anfangen, die Stadt nicht gar in der Entfernung einer halben Stunde
umgeben und unterhalb derselben sich wieder an den Fluß anschließen.
Die Kapelle zum heiligen Kreuz, die Dörfer Weißenau, Hechtsheim,
Marienborn, Drais, Gunzenheim, Mombach werden von diesem Kreise
entweder berührt oder liegen nicht weit außerhalb desselben. Die
beiden Flügel bei Weißenau und Mombach wurden vom Anfang der Blockade
an von den Franzosen öfters angegriffen und ersteres Dorf abgebrannt,
die Mitte hingegen blieb ohne Anfechtung. Niemand konnte vermuten,
daß sie dahin einen Ausfall richten würden, weil sie in Gefahr kamen,
von allen Seiten ins Gedränge zu geraten, abgeschnitten zu werden,
ohne irgend etwas von Bedeutung auszurichten. Indessen waren die
Vorposten um Bretzenheim und Dalheim, Orte, die vor Marienborn in
einem Grunde liegen, der sich nach der Stadt zieht, immer aneinander,
und man behauptete Bretzenheim diesseits um so eifriger, als die
Franzosen bei Zahlbach, einem Kloster nahe bei Dalheim, eine Batterie
errichtet hatten und damit das Feld und die Chaussee bestrichen.
Eine Absicht, die man dem Feinde nicht zutraute, bewog ihn endlich zu
einem Ausfall gegen das Hauptquartier. Die Franzosen wollten -- so
ist man durch die Gefangenen überzeugt -- den General Kalckreuth, der
in Marienborn, den Prinzen Ludwig, Ferdinands Sohn, der auf dem
Chausseehause einige hundert Schritte vom Dorfe in Quartier lag,
entweder gefangen fortführen oder tot zurücklassen. Sie wählten die
Nacht vom 30. zum 31., zogen sich, vielleicht 3000 Mann, aus dem
Zahlbacher Grunde, schlängelnd über die Chaussee und durch einige
Gründe bis wieder an die Chaussee, passierten sie wieder und eilten
auf Marienborn los. Sie waren gut geführt und nahmen ihren Weg
zwischen den östreichischen und preußischen Patrouillen durch, die
leider, wegen geringen Wechsels von Höhen und Tiefen, nicht an
einander stießen. Auch kam ihnen noch ein Umstand zu Hülfe.
Tags vorher hatte man Bauern beordert, das Getreide, das gegen die
Stadt zu steht, in dieser Nacht abzumähen; als diese nach vollendeter
Arbeit zurückgingen, folgten ihnen die Franzosen, und einige
Patrouillen wurden dadurch irre gemacht. Sie kamen unentdeckt
ziemlich weit vorwärts, und als man sie bemerkte und auf sie schoß,
drangen sie in der größten Eile nach Marienborn vor und erreichten
das Dorf gegen 1 Uhr, wo man sorglos entweder schlief oder wachte.
Sie schossen sogleich in die Häuser, wo sie Licht sahen, drängten
sich durch die Straße und umringten den Ort und das Kloster, in
welchem der General lag. Die Verwirrung war groß, die Batterien
schossen, das Infanterieregiment Wegner rückte gleich vor, eine
Schwadron des Herzogs von Weimar, die hinter dem Orte lag, war bei
der Hand, die sächsischen Husaren desgleichen. Es entstand ein
verwirrtes Gefecht.
Indessen hörte man im ganzen Umkreis des blockierenden Lagers das
Feuern von falschen Attacken, jeder wurde auf sich aufmerksam
gemacht, und niemand wagte, dem andern zu Hülfe zu eilen.
Der abnehmende Mond stand am Himmel und gab ein mäßiges Licht. Der
Herzog von Weimar nahm den übrigen Teil seines Regiments, das eine
Vietelstunde hinter Marienborn auf der Höhe lag, und eilte hinzu,
Prinz Ludwig führte die Regimenter Wegner und Thadden, und nach
einem anderthalbstündigen Gefechte trieb man die Franzosen gegen die
Stadt. An Toten und Blessierten ließen sie 30 Mann zurück, was sie
mit sich geschleppt, ist unbekannt.
Der Verlust der Preußen an Toten und Blessierten mag 90 Mann sein.
Major La Viere von Weimar ist tot; Rittmeister und Adjutant von
Voß tödlich verwundet. Ein unglücklicher Zufall vermehrte den
diesseitigen Verlust: denn als sich die Feldwachen von Bretzenheim
auf Marienborn zurückziehen wollten, kamen sie unter die Franzosen
und wurden zugleich mit ihnen von unsern Batterien beschossen.
Als es Tag ward, fand man Pechkränze und mit Pech überzogene
Birkenwellen an allen Enden des Dorfes; sie hatten die Absicht, wenn
der Coup gelänge, zuletzt das Dorf anzuzünden.
Man erfuhr, daß sie zu gleicher Zeit versucht hatten, eine Brücke
von einer Rheininsel an der Mainspitze, in die sie sich seit einiger
Zeit genistet, auf die nächste Insel zu schlagen, wahrscheinlich in
der Absicht, gegen die Schiffbrücken bei Ginsheim etwas vorzunehmen.
Das zweite Treffen der Kette ward näher an das erste herangezogen,
und des Herzogs Regiment steht nah bei Marienborn.
Man weiß, daß beim Ausfall Nationaltruppen vorangingen, dann
Linien-, dann wieder Nationaltruppen folgten; es mag daher das
Gerücht entstanden sein, die Franzosen seien in drei Kolonnen
ausgezogen.
* * * * *
Den 1. Juni rückte das Regiment näher nach Marienborn; der Tag ging
hin mit Veränderung des Lagers; auch die Infanterie veränderte ihre
Stellung und man traf verschiedene Verteidigungsanstalten.
Ich besuchte Rittmeister von Voß, den ich ohne Hoffnung fand; er saß
aufrecht im Bette und schien seine Freunde zu kennen, zu sprechen
vermocht' er nicht. Auf einen Wink des Chirurgen begaben wir uns weg;
und ein Freund machte mich unterwegs aufmerksam, daß vor einigen
Tagen in demselben Zimmer ein heftiger Streit entstanden, indem einer
gegen viele hartnäckig behauptet: Marienborn, als Hauptquartier,
liege viel zu nahe an der blockierten und zu belagernden Stadt, man
habe sich gar wohl eines Überfalls zu versehen.
Weil aber überhaupt eine heftige Widerrede gegen alles, was von
obenherein befohlen und veranstaltet war, zur Tagesordnung gehörte,
so ging man drüber hinaus und ließ diese Warnung, so wie manche
andere, verhallen.
Den 2. Juni ward ein Bauer aus Oberulm gehangen, der beim Überfall
die Franzosen angeführt hatte: denn ohne die genauste Kenntnis des
Terrains wäre das schlängelnde Heranziehen nicht denkbar gewesen; zum
Unglück für ihn wußte er nicht ebenso gut mit den Rückkehrenden die
Stadt zu erreichen und wurde von den ausgesandten Patrouillen, die
alles auf das sorgfältigste durchsuchten, eingefangen.
Ward Major La Viere mit allen militärischen Ehren vor den Standarten
begraben. Starb Rittmeister von Voß. Waren Prinz Ludwig, General
Kalckreuth und mehrere bei dem Herzog zur Tafel. Abends Feuern an der
Rheinspitze.
Den 3. Juni große Mittagstafel bei Herrn von Stein auf dem
Jägerhause; herrliches Wetter, unschätzbare Aussicht, ländlicher
Genuß, durch Szenen des Todes und Verderbens getrübt. Abends wurde
Rittmeister von Voß neben La Viere niedergesenkt.
Den 5. Juni. Man fährt fort, an der Verschanzung des Lagers ernstlich
zu arbeiten.
Große Attacke und Kanonade an der Mainspitze.
Den 6. Juni war die preußische und östreichische Generalität bei
Serenissimo zu Tafel, in einem großen, von Zimmerwerk zu solchen
Festen auferbauten Saale. Ein Obristlieutenant vom Regiment Wegner,
schief gegen mir über sitzend, betrachtete mich gewissermaßen mehr
als billig.
Den 7. Juni schrieb ich früh viel Briefe. Bei Tafel im Hauptquartier
schwadronierte ein Major viel über künftige Belagerung und redete
sehr frei über das Benehmen bisher.
Gegen Abend führte mich ein Freund zu jenem beobachtenden
Obristlieutenant, der vor einigen Tagen meine Bekanntschaft zu machen
gewünscht hatte. Wir fanden keine sonderliche Aufnahme; es war Nacht
geworden, es erschien keine Kerze. Selterswasser und Wein, das man
jedem Besuchenden anbot, blieb aus, die Unterhaltung war null. Mein
Freund, welcher diese Verstimmung dem Umstande zuschrieb, daß wir zu
spät gekommen, blieb nach dem Abschiede einige Schritte zurück, um
uns zu entschuldigen, jener aber versetzte zutraulich, es habe gar
nichts zu sagen: denn gestern bei Tafel habe er schon an meinen
Gesichtszügen gesehen, daß ich gar der Mann nicht sei, wie er sich
ihn vorgestellt habe. Wir scherzten über diesen verunglückten Versuch
neuer Bekanntschaft.
Den 8. Juni setzte ich meine Arbeit an 'Reineke Fuchs' fleißig fort,
ritt mit durchlauchtigstem Herzog nach dem darmstädtischen Lager, wo
ich den Herrn Landgrafen als meinen vieljährigen unabänderlich
gnädigsten Herrn mit Freuden verehrte.
Abends kam Prinz Maximilian von Zweibrücken mit Obrist von Stein zu
Serenissimo; da ward manches durchgesprochen; zuletzt kam das
offenbare Geheimnis der nächstkünftigen Belagerung an die Reihe.
Den 9. Juni glückte den Franzosen ein Ausfall auf Heiligkreuz; es
gelang ihnen, Kirche und Dorf unmittelbar vor den östreichischen
Batterien anzuzünden, einige Gefangene zu machen und sich nicht ohne
Verlust hierauf zurückzuziehen.
Den 10. Juni wagten die Franzosen einen Tagesüberfall auf
Gunzenheim, der zwar abgeschlagen ward, aber uns doch wegen des
linken Flügels, und besonders wegen des Darmstädter Lagers, einige
Zeit in Verlegenheit und Sorge setzte.
Den 11. Juni. Das Lager Ihro Majestät des Königs war nun etwa 1000
Schritte über Marienborn bestimmt und angelegt, gerade an dem
Abhange, wo der große Kessel, in welchem Mainz liegt, sich endigt, in
aufsteigenden Lehmwänden und Hügeln; dieses gab zu den anmutigsten
Einrichtungen Gelegenheit. Das leicht zu behandelnde Erdreich bot
sich den Händen geschickter Gärtner dar, welche die gefälligste
Parkanlage mit wenig Bemühung bildeten: die abhängige Seite ward
geböscht und mit Rasen belegt, Lauben gebaut, auf- und absteigende
Kommunikationsgänge gegraben, Flächen planiert, wo das Militär in
seiner ganzen Pracht und Zierlichkeit sich zeigen konnte, anstoßende
Wäldchen und Büsche mit in den Plan gezogen, so daß man bei der
köstlichsten Aussicht nichts mehr wünschen konnte, als diese
sämtlichen Räume ebenso bearbeitet zu sehen, um des herrlichsten
Parks von der Welt zu genießen. Unser Krause zeichnete sorgfältig die
Aussicht mit allen ihren gegenwärtigen Eigentümlichkeiten.
Den 14. Juni. Eine kleine Schanze, welche die Franzosen unterhalb
Weißenau errichtet hatten und besetzt hielten, stand der Eröffnung
der Parallele im Weg; sie sollte nachts eingenommen werden, und
mehrere davon unterrichtete Personen begaben sich auf diesseitigen
Schanzen unseres rechten Flügels, von wo man die ganze Lage übersehen
konnte. In der sehr finstern Nacht erwartete man nunmehr, da man die
Stelle recht gut kannte, wohin unsere Truppen gesendet waren, Angriff
und Widerstand sollten durch ein lebhaftes Feuer ein bedeutendes
Schauspiel geben. Man harrte lang, man harrte vergebens; statt dessen
gewahrte man aber eine weit lebhaftere Erscheinung. Alle Posten
unserer Stellung mußten angegriffen sein, denn in dem ganzen Kreis
derselben erblickte man ein lebhaftes Feuern, ohne daß man dessen
Veranlassung irgend begreifen konnte; auf der Stelle aber, von der
eigentlich die Rede sein sollte, blieb alles tot und stumm.
Verdrießlich gingen wir nach Hause, besonders Herr Gore, als auf
solche Feuer- und Nachtgefechte der Begierigste. Der folgende Tag
gab uns die Auflösung dieses Rätsels. Die Franzosen hatten sich
vorgenommen, in dieser Nacht alle unsere Posten anzugreifen,
und deshalb ihre Truppen aus den Schanzen weg und zum Angriff
zusammengezogen. Unsere Abgesendeten daher, die mit der größten
Vorsicht an die Schanze herangingen, fanden weder Waffen noch
Widerstand; sie erstiegen die Schanze und fanden sie leer, einen
einzigen Kanonier ausgenommen, der sich über diesen Besuch höchlich
verwunderte. Während des allgemeinen Feuerns, das nur sie nicht
betraf, hatten sie gute Zeit, die Wälle zu zerstören und sich
zurückzuziehen. Jener allgemeine Angriff hatte auch keine weitern
Folgen; die alarmierten Linien beruhigten sich wieder mit dem
Einbruch des Tags.
Den 16. Juni. Die immer besprochene und dem Feind verheimlichte
Belagerung von Mainz nahte sich denn doch endlich; man sagte sich
ins Ohr, heute nacht solle die Tranchee eröffnet werden. Es war
sehr finster, und man ritt den bekannten Weg nach der Weißenauer
Schanze; man sah nichts, man hörte nichts, aber unsere Pferde
stutzten auf einmal, und wir wurden unmittelbar vor uns einen kaum zu
unterscheidenden Zug gewahr. Östreichische, grau gekleidete Soldaten,
mit grauen Faschinen auf den Rücken, zogen stillschweigend dahin,
kaum daß von Zeit zu Zeit der Klang aneinander schlagender Schaufeln
und Hacken irgend eine nahe Bewegung andeutete. Wunderbarer und
gespensterhafter läßt sich kaum eine Erscheinung denken, die sich
halb gesehen immer wiederholte, ohne deutlicher gesehen zu werden.
Wir blieben auf dem Flecke halten, bis daß sie vorüber waren, denn
von da aus konnten wir wenigstens nach der Stelle hinsehen, wo sie im
Finstern wirken und arbeiten sollten. Da dergleichen Unternehmungen
immer in Gefahr sind, dem Feind verraten zu werden, so konnte man
erwarten, daß von den Wällen aus auf diese Gegend, und wenn auch nur
auf gut Glück, gefeuert werden würde. Allein in dieser Erwartung
blieb man nicht lange, denn gerade an der Stelle, wo die Tranchee
angefangen werden sollte, ging auf einmal Kleingewehrfeuer los, allen
unbegreiflich. Sollten die Franzosen sich herausgeschlichen, bis an
oder gar über unsere Vorposten herangewagt haben? Wir begriffen es
nicht. Das Feuern hörte auf, und alles versank in die allertiefste
Stille. Erst den andern Morgen wurden wir aufgeklärt, daß unsere
Vorposten selbst auf die still heranziehende Kolonne wie auf eine
feindliche gefeuert hatten; diese stutzte, verwirrte sich, jeder warf
seine Faschine weg, Schaufeln und Hacken wurden allenfalls gerettet;
die Franzosen, auf den Wällen aufmerksam gemacht, waren auf
ihrer Hut, man kam unverrichteter Sache zurück, die sämtliche
Belagerungsarmee war in Bestürzung.
Den 17. Juni. Die Franzosen errichten eine Batterie an der Chaussee.
Nachts entsetzlicher Regen und Sturm.
Den 18. Juni. Als man die neulich mißglückte Eröffnung der Tranchee
unter den Sachverständigen besprach, wollte sich finden, daß man viel
zu weit von der Festung mit der Anlage geblieben sei; man beschloß
daher sogleich, die dritte Parallele näher zu rücken und dadurch aus
jenem Unfall entschiedenen Vorteil zu ziehen. Man unternahm es, und
es ging glücklich vonstatten.
Den 24. Juni. Franzosen und Klubisten, wie man wohl bemerken konnte,
daß es Ernst werde, veranstalteten, dem zunehmenden Mangel an
Lebensmitteln Einhalt zu tun, eine unbarmherzige Exportation gegen
Kastel, von Greisen und Kranken, Frauen und Kindern, die ebenso
grausam wieder zurückgewiesen wurden. Die Not wehr- und hülfloser,
zwischen innere und äußere Feinde gequetschter Menschen ging über
alle Begriffe.
Man versäumte nicht, den östreichischen Zapfenstreich zu hören,
welcher alle andere der ganzen alliierten Armee übertraf.
Den 25. Juni nachmittag entstand ein heftiges, allen unbegreifliches
Kanonieren am Ende unsers linken Flügels; zuletzt klärte sich's auf,
das Feuern sei auf dem Rhein, wo die holländische Flotte vor Ihro
Majestät dem Könige manövriere; Höchstdieselben waren deshalb nach
Elfeld gegangen.
Den 27. Juni. Anfang des Bombardements, wodurch die Dechanei sogleich
angezündet war.
Nachts glückte den Unsern der Sturm auf Weißenau und die Schanze
oberhalb der Kartause, freilich unerläßliche Punkte, den rechten
Flügel der zweiten Parallele zu sichern.
Den 28. Juni nachts. Fortgesetztes Bombardement gegen den Dom; Turm
und Dach brennen ab und viele Häuser umher. Nach Mitternacht die
Jesuitenkirche.
Wir sahen auf der Schanze vor Marienborn diesem schrecklichen
Schauspiele zu; es war die sternenhellste Nacht, die Bomben schienen
mit den Himmelslichtern zu wetteifern, und es waren wirklich
Augenblicke, wo man beide nicht unterscheiden konnte. Neu war uns das
Steigen und Fallen der Feuerkugeln; denn wenn sie erst mit einem
flachen Zirkelbogen das Firmament zu erreichen drohten, so knickten
sie in einer gewissen Höhe parabolisch zusammen, und die aufsteigende
Lohe verkündigte bald, daß sie ihr Ziel zu erreichen gewußt.
Herr Gore und Rat Krause behandelten den Vorfall künstlerisch und
machten so viele Brandstudien, daß ihnen später gelang, ein
durchscheinendes Nachtstück zu verfertigen, welches noch vorhanden
ist und, wohl erleuchtet, mehr als irgend eine Wortbeschreibung die
Vorstellung einer unselig glühenden Hauptstadt des Vaterlandes zu
überliefern imstande sein möchte.
Und wie deutete nicht ein solcher Anblick auf die traurigste Lage,
indem wir, uns zu retten, uns einigermaßen wieder herzustellen, zu
solchen Mitteln greifen mußten!
Den 29. Juni. Schon längst war von einer schwimmenden Batterie die
Rede gewesen, welche, bei Ginsheim gebaut, auf den Mainkopf und die
zunächst liegenden Inseln und Auen wirken und sie besetzen sollte.
Man sprach so viel davon, daß sie endlich vergessen ward. Auf meinem
gewöhnlichen Nachmittagsritte nach unserer Schanze über Weißenau war
ich kaum dorthin gelangt, als ich auf dem Fluß eine große Bewegung
bemerkte: französische Kähne ruderten emsig nach den Inseln, und
die östreichische Batterie, angelegt, um den Fluß bis dorthin
zu bestreichen, feuerte unausgesetzt in Prellschüssen auf dem
Wasser, -- für mich ein ganz neues Schauspiel. Wie die Kugel zum
erstenmal auf das bewegliche Element aufschlug, entsprang eine
starke, sich viele Fuß in die Höhe bäumende Springwelle; diese war
noch nicht zusammengestürzt, als schon eine zweite in die Höhe
getrieben wurde, kräftig wie die erste, nur nicht von gleicher Höhe,
und so folgte die dritte, vierte, immer ferner abnehmend, bis sie
zuletzt gegen die Kähne gelangte, flächer fortwirkte und den
Fahrzeugen zufällig gefährlich ward.
An diesem Schauspiel konnt' ich mich nicht satt sehen, denn es
folgte Schuß auf Schuß, immer wieder neue mächtige Fontänen, indessen
die alten noch nicht ganz verrauscht hatten.
Auf einmal löste sich drüben auf dem rechten Ufer zwischen Büschen
und Bäumen eine seltsame Maschine los; ein vierecktes, großes, von
Balken gezimmertes Lokal schwamm daher, zu meiner großen
Verwunderung, zu meiner Freude zugleich, daß ich bei dieser
wichtigen, so viel besprochenen Expedition Augenzeuge sein sollte.
Meine Segenswünsche schienen jedoch nicht zu wirken, meine Hoffnung
dauerte nicht lange: denn gar bald drehte die Masse sich auf sich
selbst, man sah, daß sie keinem Steuerruder gehorchte, der Strom zog
sie immer im Drehen mit sich fort. Auf der Rheinschanze oberhalb
Kastel und vor derselben war alles in Bewegung, Hunderte von
Franzosen rannten am Ufer aufwärts und verführten ein gewaltiges
Jubelgeschrei, als dieses trojanische Meerpferd, fern von dem
beabsichtigten Ziel der Landspitze, durch den einströmenden Main
ergriffen und nun zwischen Rhein und Main gelassen und unaufhaltsam
dahinfuhr. Endlich zog die Strömung diese unbehülfliche Maschine
gegen Kastel, dort strandete sie ohnfern der Schiffbrücke auf einem
flachen, noch vom Fluß überströmten Boden. Hier versammelte sich nun
das sämtliche französische Kriegsvolk, und wie ich bisher mit meinem
trefflichen Fernrohr das ganze Ereignis aufs genauste beobachtet,
so sah ich nun auch, leider, die Falltüre, die diesen Raum
verschloß, niedersinken und die darin Versperrten heraus und in
die Gefangenschaft wandern. Es war ein ärgerlicher Anblick: die
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