Das Mädchen von Treppi - 1

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Das Mädchen von Treppi
Paul Heyse
Novelle
(1855)

Auf der Höhe des Apennin, wo er sich zwischen Toskana und dem
nördlichen Teil des Kirchenstaats hinzieht, liegt ein einsames
Hirtendorf, Treppi genannt. Die Pfade, die hinaufführen, sind für
Wagen unzugänglich. Viele Stunden weiter nach Süden in großem Umweg
überschreitet die Straße der Posten und Vetturine* das Gebirge.
Treppi vorüber ziehen nur Bauern, die mit den Hirten zu handeln haben,
selten ein Maler oder ein landstraßenscheuer Fußwanderer, und in den
Nächten die Schmuggler mit ihren Saumtieren, die das öde Dorf, wo sie
kurze Rast machen, auf noch viel rauheren Felswegen zu erreichen
wissen, als alle andern.
{ed. * Wagen}
Es war erst gegen die Mitte Oktobers, eine Zeit, wo die Nächte in
dieser Höhe noch von großer Klarheit zu sein pflegen. Heute aber
hatte sich nach dem sonnenheißen Tage ein feiner Nebel aus den
Schluchten heraufgewälzt und breitete sich langsam über die
edelgeformten nackten Felszüge des Hochlandes. Es mochte gegen neun
Uhr abends sein. In den zerstreuten niedrigen Steinhütten, die über
Tag nur von den ältesten Weibern und jüngsten Kindern bewacht werden,
glommen nur noch schwache Feuerscheine. Um die Herde, über denen die
großen Kessel wankten, lagen die Hirten mit ihren Familien und
schliefen; die Hunde hatten sich in die Asche gestreckt; eine
schlaflose Großmutter saß wohl noch auf einem Haufen Felle und bewegte
mechanisch die Spindel hin und her, Gebete murmelnd, oder ein unruhig
schlafendes Kind im Korbe schaukelnd. Die Nachtluft zog feucht und
herbstlich durch die handgroßen Lücken in der Mauer, und der Rauch der
ruhig ausbrennenden Herdflamme, der jetzt vom Nebel gedrängt wurde,
schlug schwerfällig zurück und floß an der Decke der Hütte hin, ohne
daß es der Alten beschwerlich ward. Hernach schlief auch sie mit
offenen Augen, soviel sie konnte.
Nur in einem Hause war noch Bewegung. Es hatte auch nur ein Stockwerk
wie die andern; aber die Steine waren besser gefugt, die Tür breiter
und höher, und an das weite Viereck, das die eigentliche Wohnung
ausmachte, lehnten sich mancherlei Schuppen, angebaute Kammern, Ställe
und ein gut gemauerter Backofen. Vor der Haustür stand ein Trupp
beladener Pferde, denen ein Bursch eben die geleerten Krippen wegriß,
während sechs bis sieben bewaffnete Männer aus dem Hause traten, in
den Nebel hinaus, und eilig ihre Tiere rüsteten. Ein uralter Hund,
der neben der Tür lag, bewegte nur leicht den Schweif, als sie
aufbrachen. Dann erhob er sich müde von der Erde und ging langsam in
das Innere der Hütte, wo das Feuer noch hell brannte. Am Herde stand
seine Herrin, dem Feuer zugewendet, die stattliche Gestalt regungslos,
die Arme an den Hüften herabhangend. Als der Hund mit der Schnauze
sanft gegen ihre Hand rührte, wandte sie sich, als schrecke sie aus
Träumen auf. "Fuoco", sagte sie, "mein armes Tier, geh schlafen, du
bist krank!"--Der Hund winselte und bewegte den Schweif dankbar. Dann
kroch er auf ein altes Fell neben dem Herd und streckte sich hustend
und winselnd nieder.
Indessen waren auch einige Knechte hereingekommen und hatten sich um
den großen Tisch an die Schüssel gesetzt, welche die abziehenden
Schmuggler soeben verlassen hatten. Eine alte Magd füllte sie aus dem
großen Kessel von neuem mit Polenta, und setzte sich nun ebenfalls mit
ihrem Löffel zu den andern. Während sie aßen, wurde kein Wort laut;
die Flamme knisterte, der Hund stöhnte heiser aus dem Schlaf, das
ernsthafte Mädchen saß auf den Steinplatten des Herdes, ließ das
Schüsselchen mit der Polenta, das ihr die Magd besonders hingestellt
hatte, unberührt und sah in der Halle umher, ohne Gedanken in sich
versunken. Vor der Tür stand der Nebel jetzt schon wie eine weiße
Wand. Aber zugleich ging der halbe Mond eben hinter dem Rand des
Felsens in die Höhe.
Da kam es wie Hufschlag und Menschentritte die Straße herauf.--"Pietro!"
rief die junge Hausherrin mit ruhig erinnerndem Ton. Ein langer
Bursch stand augenblicklich vom Tisch auf und verschwand im Nebel.
Man hörte jetzt die Schritte und Stimmen näher, endlich hielt das
Pferd am Hause. Noch eine Weile, dann erschienen drei Männer unter
der Tür und traten mit kurzem Gruß ein. Pietro näherte sich dem
Mädchen, das teilnahmlos in die Flamme sah. "Es sind zwei von
Porretta", sagte er ihr, "Ohne Waren; sie führen einen Signore über
die Berge, der seine Pässe nicht in Ordnung hat."
"Nina!" rief das Mädchen. Die alte Magd stand auf und kam an den Herd.
"Das ist's nicht allein, daß sie essen wollen, Padrona", fuhr der
Bursch fort. "Ob der Herr ein Lager haben kann für die Nacht. Er
will nicht weiter vor Tagesanbruch."
"Mach ihm eine Streu in der Kammer." Pietro nickte und ging wieder an
den Tisch.
Die drei hatten Platz genommen, ohne daß die Knechte sie einer
besondern Aufmerksamkeit würdigten. Es waren zwei Contrabbandieri,
wohlbewaffnet, die Jacken leicht übergeworfen, die Hüte tief über die
Stirn gedrückt. Sie nickten den andern zu wie guten Bekannten, und
nachdem sie ihrem Begleiter einen guten Platz eingeräumt hatten,
schlugen sie das Kreuz und aßen.
Der Signore, der mit ihnen gekommen, aß nicht. Er nahm den Hut von
der hohen Stirn, strich mit der Hand durchs Haar und ließ die Augen
über den Ort und die Gesellschaft schweifen. An den Wänden las er die
mit Kohle gemalten, frommen Sprüche, sah im Winkel das Madonnenbild
mit dem Lämpchen, daneben die Hühner, die auf der Stange schliefen,
dann die Maiskolben, die, auf Schnüre gereiht, an der Decke hingen,
ein Brett mit Krügen und Korbflaschen, übereinandergeschichtete Felle
und Körbe. Das Mädchen am Herd fesselte endlich seine unruhigen Augen.
Das dunkle Profil zeichnete sich streng und schön gegen das
flackernde Rot des Herdfeuers, ein großes Nest schwarzer Flechten lag
tief auf dem Nacken, die Hände hatte sie ineinanderverschränkt auf das
eine Knie gelegt, während der andere Fuß auf dem Felsboden des Gemachs
ruhte. Wie alt sie sein mochte, konnte er nicht erraten. Doch sah er
an ihrem Gebaren, daß sie die Wirtin des Hauses war.
"Habt Ihr Wein im Hause, Padrona?" fragte er endlich. Er hatte diese
Worte kaum gesagt, als das Mädchen wie vom Blitz gestreift emporfuhr
und aufrecht neben dem Herde stand, mit beiden Armen sich auf die
Platten stützend. In demselben Augenblick fuhr der Hund aus dem
Schlafe auf. Ein wildes Murren brach aus seiner keuchenden Brust vor.
Der Fremde sah plötzlich vier funkelnde Augen auf sich gerichtet.
"Darf man nicht fragen, ob Ihr Wein im Hause habt, Padrona?"
wiederholte er jetzt. Noch aber hatte er das letzte Wort nicht
geendet, als der Hund in unerklärlicher Wut laut heulend auf ihn
zusprang, ihm den Mantel mit den Zähnen von der Schulter riß und von
neuem gegen ihn losgesprungen wäre, wenn nicht ein scharfer Ruf seiner
Herrin ihn gebändigt hätte.
"Zurück, Fuoco, zurück! Friede, Friede!"--Der Hund stand mitten im
Zimmer, heftig mit dem Schweife schlagend, den Fremden unverwandt im
Auge.--"Schließ ihn in den Stall, Pietro!" sagte das Mädchen halblaut.
Sie stand noch immer wie erstarrt am Herde und wiederholte den Befehl,
als Pietro zauderte. Denn seit langen Jahren war der nächtliche
Platz des alten Tiers neben dem Herde gewesen. Die Knechte flüsterten
untereinander, der Hund folgte widerwillig, und sein Heulen und
Winseln drang schauerlich von draußen herein, bis es vor Erschöpfung
nachzulassen schien.
Indessen hatte die Magd auf einen Wink der Wirtin Wein gebracht. Der
Fremde trank, reichte den Becher seinen Begleitern und sann im stillen
über den wunderlichen Aufruhr nach, den er unwissentlich angestiftet.
Ein Knecht nach dem andern legte den Löffel nieder und ging mit einem
"Gute Nacht, Padrona!" hinaus. Zuletzt waren die drei mit der Wirtin
und der alten Magd allein.
"Die Sonne geht um vier Uhr auf", sagte der eine Schmuggler halblaut
zu dem Fremden. "Eccellenza braucht nicht früher aufzubrechen, um bei
guter Zeit in Pistoja zu sein. Es ist auch wegen des Pferdes, das
seine sechs Stunden stehen muß."
"Es ist gut, meine Freunde. Geht und schlaft!"
"Wir werden Euch wecken, Eccellenza."
"Auf alle Fälle", erwiderte der Fremde. "Obwohl die Madonna weiß, daß
ich nicht oft sechs Stunden in einem Strich schlafe. Gute Nacht,
Carlone; gute Nacht, Meister Giuseppe!"
Die Leute rückten ehrerbietig die Hüte und standen auf. Der eine ging
nach dem Herd und sagte: "Ich habe einen Gruß, Padrona, vom Costanzo
aus Bologna, und ob es bei Euch war, wo er sein Messer hat liegen
lassen letzten Samstag."
"Nein", sagte sie kurz und ungeduldig.
"Ihr hättet's ihm wohl wieder mitgeschickt", sagte ich ihm, "wenn's
hier gewesen wäre. Und dann--"
"Nina", unterbrach sie ihn, "zeige ihnen den Weg in die Kammer, wenn
sie ihn vergessen haben."
Die Magd stand auf. "Ich wollte nur noch sagen, Padrona", fuhr der
Mann mit großer Ruhe und leisem Zwinkern der Augen fort, "daß dieser
Herr dort das Geld nicht ansähe, wenn Ihr ihm ein sanfteres Bett
machtet, als unsereinem. Das wollt' ich Euch sagen, Padrona, und nun
schenk' Euch die Madonna eine gute Nacht, Signora Fenice!"
Damit wandte er sich zu seinem Gesellen, neigte sich, wie dieser, vor
dem Bilde in der Ecke, kreuzte sich und beide verließen mit der Magd
das Gemach. "Gute Nacht, Nina!" rief das Mädchen. Die Alte wandte
sich noch auf der Schwelle und machte ein fragendes Zeichen, zog dann
aber rasch und gehorsam die Tür hinter sich zu.

Sie waren kaum allein, als Fenice eine Messinglampe, die seitwärts am
Herde stand, ergriff und hastig anzündete. Das Herdfeuer erlosch mehr
und mehr, die drei roten Flämmchen der Lampe erhellten nur einen
kleinen Teil des weiten Raumes. Es schien, als habe die Dunkelheit
den Fremden schläfrig gemacht, denn er saß am Tische, den Kopf auf die
Arme gelegt, den Mantel dicht um sich gezogen, als gedenke er so die
Nacht zuzubringen. Da hörte er seinen Namen rufen und sah empor. Die
Lampe brannte vor ihm auf dem Tisch, ihm gegenüber stand die junge
Padrona, die ihn gerufen hatte. Ihr Blick traf den seinen mit großer
Gewalt.
"Filippo", sagte sie, "kennt Ihr mich nicht mehr?"
Er sah eine Zeitlang forschend in das schöne Gesicht, das vom Schein
der Lampe und mehr noch von der Angst zu glühen schien, welche Antwort
ihrer Frage werden würde. Das Gesicht war wohl des Wiedererinnerns
wert. Die weichen langen Augenwimpern sänftigten, wie sie langsam auf
und nieder gingen, die Strenge der Stirn und der schmalgeformten Nase.
Der Mund blühte in der rötesten Jugend; nur hatte er, wenn er schwieg,
einen Zug von Entsagung, Schmerz und Wildheit, dem die schwarzen
Augen nicht widersprachen. Jetzt erst, als sie am Tische stand,
zeigte sich auch der herbe Reiz der Gestalt, besonders die Schönheit
des Nackens und Halses. Und dennoch sprach Filippo nach einigem
Besinnen:
"Ich kenne Euch wahrlich nicht, Padrona!"
"Es ist nicht möglich", sagte sie mit einem wunderbar tiefen Ton der
Gewißheit. "Ihr habt ja sieben Jahre Zeit gehabt, mich zu behalten.
Das ist lang; da kann ein Bild sich schon einprägen."
Das seltsame Wort schien ihn jetzt erst völlig aus seinen besondern
Gedanken loszumachen. "Ja, Mädchen", sagte er, "wer sieben Jahre zu
nichts anderm braucht, als einem schönen Mädchenkopf nachzudenken, der
muß ihn wohl zuletzt auswendig wissen."
"Ja", sagte sie nachdenklich, "so ist es, so sagtet Ihr auch damals,
daß Ihr an nichts anderes denken würdet."
"Vor sieben Jahren? So war ich noch ein scherzhafter Mensch vor
sieben Jahren. Und du hast das im Ernst geglaubt?"
Sie nickte dreimal sehr ernsthaft. "Warum sollte ich nicht? Ich habe
es ja an mir selbst erfahren, daß Ihr recht hattet."
"Kind", sagte er mit einer gutmütigen Miene, die seinen entschiedenen
Zügen wohl stand, "das tut mir leid. Vor sieben Jahren dacht' ich
wohl noch, es wüßten es alle Weiber, daß zärtliche Männerworte nicht
viel mehr wert sind als Spielmarken, die man freilich gelegentlich
gegen klingendes Geld umwechselt, wenn es ausdrücklich ausgemacht ist.
Was dacht' ich nicht alles vor sieben Jahren von euch Weibern! Jetzt
denk ich, ehrlich gesagt, selten an euch. Liebes Kind, man hat so
viel Wichtigeres zu denken."
Sie schwieg, als ob sie das alles nicht verstünde und ruhig abwarten
wollte, bis er etwas sagte, was sie wirklich anging.
"Es dämmert jetzt freilich in mir auf", sagte er nach einigem Sinnen,
"daß ich diesen Teil des Gebirges schon einmal durchwandert habe. Ich
hätte auch vielleicht das Dorf und dieses Haus wieder erkannt, ohne
den Nebel. Ja, ja, es war allerdings vor sieben Jahren, wo mich der
Arzt in die Berge schickte, und ich wie ein Narr die steilsten Wege
auf und ab stürmte."
"Ich wußte es wohl", sagte sie, und ein rührender Glanz der Freude
erschien auf den Lippen, "ich wußte es wohl, Ihr könnt es nicht
vergessen haben. Hat es doch der Hund, der Fuoco, nicht vergessen,
auch nicht seinen alten Haß auf Euch von damals,--noch ich--meine alte
Liebe."
Das sagte sie mit so großer Festigkeit und Heiterkeit, daß er immer
erstaunter zu ihr aufsah. "Ich besinne mich nun auch auf ein Mädchen",
sagte er, "das ich einmal auf der Höhe des Apennin traf, und das mich
zu seinen Eltern nach Hause brachte. Ich hätte sonst die Nacht auf
den Klippen zubringen müssen. Ich weiß auch, daß es mir gefiel--"
"Ja", unterbrach sie ihn, "sehr!"
"Aber ich gefiel dem Mädchen nicht. Ich hatte ein langes Gespräch mit
ihr, zu dem sie nicht viel über zehn Worte beisteuerte. Als ich ihr
endlich das schlafende finstre Mündchen mit einem Kuß aufzuwecken
dachte--ich sehe sie noch, wie sie von mir weg auf die Seite sprang
und mit jeder Hand einen Stein aufhob, daß ich kaum ungesteinigt
davonkam. Wenn du jenes Mädchen bist, wie kannst du von deiner alten
Liebe zu mir reden?"
"Ich war funfzehn Jahr', Filippo, und schämte mich sehr. Ich war
immer so trotzig gewesen und allein, und wußte mich nicht auszudrücken.
Und dann hatte ich Furcht vor den Eltern, die lebten damals noch,
wie Ihr wissen werdet. Mein Vater hatte die vielen Hirten und Herden,
und hier die Schenke. Es ist seitdem nicht viel anders geworden. Nur,
daß er nicht mehr hier schaltet und schilt--seine Seele sei im
Paradiese! Und vor der Mutter schämte ich mich am meisten. Wißt Ihr
noch, gerade an demselben Fleck saßet Ihr damals, Ihr lobtet noch den
Wein, den wir von Pistoja hatten. Mehr hörte ich nicht, die Mutter
sah mich scharf an, da ging ich hinaus und stellte mich hinter das
Fenster, um Euch noch betrachten zu können. Ihr waret jünger,
natürlich, aber nicht schöner. Ihr habt noch heut dieselben Augen,
mit denen Ihr damals gewinnen konntet, wen Ihr wolltet; und dieselbe
dunkle Stimme, die den Hund so aufbrachte vor Eifersucht, armes Tier!
Bisher hatte ich ihn allein geliebt. Er merkte wohl, daß ich Euch
mehr liebte, er merkte es besser als Ihr selbst.
"Richtig", sagte er, "er war in jener Nacht wie unsinnig. Eine
wunderliche Nacht! Du hattest mir's doch sehr angetan, Fenice. Ich
weiß, daß ich keine Ruhe hatte, als du gar nicht wieder ins Haus
zurückkommen wolltest, daß ich aufstand und dich draußen suchte. Dein
weißes Kopftuch sah ich, und dann nichts mehr von dir, denn du
sprangst in die Kammer neben dem Stall."
"Das war meine Schlafkammer, Filippo. Da durftet Ihr doch nicht
hinein."
"Aber ich wollt' es. Ich weiß noch, wie lange ich stand und pocht'
und bettelte, der schlechte Gesell, der ich war, und meinte, der Kopf
müsse mir springen, wenn ich dich nicht noch einmal sähe."
"Der Kopf? Nein, das Herz, sagtet Ihr. Ich weiß sie noch alle wohl,
die Worte, alle!"
"Und wolltest doch damals nichts von ihnen wissen."
"Mir war zumut wie zum Sterben. Ich stand im hintersten Winkel und
dachte, wenn ich mir nur das Herz fassen könnte, an die Tür zu
schleichen, den Mund an die Spalte zu legen, durch die Ihr spracht,
daß ich den Hauch empfunden hätte."
"Törichte verliebte Jugend! Wäre deine Mutter nicht gekommen, ich
stände wohl noch da; du hättest denn inzwischen aufgemacht. Ich
schäme mich jetzt beinahe, wie ich im hellen Ärger und Grimm davonging
und die Nacht hindurch einen langen Traum von dir hatte."
"Ich habe im Finstern gesessen und gewacht", sagte sie. "Gegen Morgen
überfiel mich ein Schlaf, und als ich auffuhr und in die Sonne sah--wo
wart Ihr? Es sagte mir's keiner und fragen konnt' ich nicht. Ich
hatte einen solchen Haß, ein menschliches Gesicht zu sehen, als hätten
sie Euch umgebracht, damit ich Euch nur nicht mehr sähe. Ich lief
fort, wie ich ging und stand, die Berge auf und ab, zuweilen schrie
ich nach Euch, zuweilen verwünschte ich Euch, denn um Euch konnte ich
nun keinen Menschen mehr lieben. Am Ende kam ich unten in der Ebene
an, da erschrak ich und kehrte wieder um. Zwei Tage war ich weg
gewesen. Der Vater schlug mich, als ich wiederkam, und die Mutter
sprach nicht mit mir. Sie wußten wohl, warum ich weggelaufen war.
Nur der Hund war mit mir gewesen, der Fuoco; aber wenn ich Euern Namen
rief in der Einsamkeit, heulte er."
Es entstand eine Pause, in der die Blicke der beiden Menschen
aufeinander ruhten. Dann sagte Filippo: "Wie lange sind deine Eltern
nun tot?"
"Drei Jahr'. Sie starben in derselben Woche--ihre Seelen seien im
Paradiese! Dann bin ich nach Florenz gegangen."
"Nach Florenz?"
"Ja, Ihr sagtet ja, Ihr wäret aus Florenz. Die Frau des Caffetiere
draußen bei San Miniato, an die wiesen mich welche von den
Contrabbandieri. Einen Monat hab ich da gelebt und sie alle Tage in
die Stadt geschickt, nach Euch zu fragen. Abends ging ich selbst
hinunter und suchte Euch. Am Ende hörten wir, daß Ihr längst
fortgezogen, keiner wollte recht wissen, wohin."
Filippo stand auf und ging mit starken Schritten durch das Gemach.
Fenice wandte sich nach ihm, ihr Blick folgte ihm, doch verriet sie
keine Spur einer ähnlichen Unruhe, wie sie ihn umhertrieb. Er kam
endlich auf sie zu, sah sie eine Weile an und sagte dann: "Und wozu
gestehst du mir das alles, la Poveretta*?"
{ed. * Du Ärmste}
"Ich habe sieben Jahre Zeit gehabt, mir einen Mut dazu zu fassen. Ach,
wenn ich es Euch damals gestanden hätte, es hätte mich nicht so
unglücklich gemacht, dieses feige Herz. Aber ich wußte, daß Ihr
wiederkommen mußtet, Filippo; nur daß es so lange dauerte, das hatte
ich nicht gedacht, das tat mir weh.--Ein Kind bin ich, so zu sprechen.
Was kümmert mich, was nun vorüber ist? Filippo, da seid ihr, und
hier bin ich und bin Euer, ewig, ewig!"-"Liebes Kind!" sagte er leise,
und verschwieg dann wieder, was er auf der Zunge hatte. Sie empfand
es aber nicht, daß er so nachdenklich und schweigsam vor ihr stand und
über ihre Stirn weg auf die Wand starrte. Sie sprach ruhig weiter; es
war, als wären ihr ihre Worte seit lange bekannt, als habe sie sich
tausendmal im stillen vorgestellt: Er wird kommen, und das und das
wirst du ihm sagen.
"Ich habe schon viele heiraten sollen, hier oben, und als ich in
Florenz war. Ich wollte nur dich. Wenn mich einer bat und sagte mir
süße Reden, gleich war deine Stimme da, aus jener Nacht, deine Reden,
die süßer waren, als alle Worte unterm Monde. Seit manchem Jahr
lassen sie mich in Ruh, obwohl ich noch nicht alt bin, und so schön
wie ich immer war. Es ist als ob sie alle wüßten, daß du nun bald
kommen würdest."--Dann wieder:
"Wo willst du mich nun hinführen? Willst du hier oben bleiben? Nein,
es taugt nicht für dich. Seit ich in Florenz war, weiß ich, daß es
traurig auf dem Gebirge ist. Wir wollen das Haus und die Herden
verkaufen, dann bin ich reich. Ich habe das wilde Wesen mit den
Leuten hier satt. In Florenz mußten sie mich alles lehren, was eine
Städterin braucht, und sie verwunderten sich, wie rasch ich jedes
begriff. Freilich, ich hatte nicht viel Zeit und alle Träume sagten
mir, daß es hier oben sein würde, wo du mich zu suchen kämest.--Ich
habe auch eine Zauberin gefragt, und auch das ist alles eingetroffen."
"Und wenn ich nun schon eine Frau hätte?"
Sie sah ihn groß an. "Du willst mich versuchen, Filippo! Du hast
keine. Auch das hat mir die Strega* gesagt. Aber wo du wohnest, das
wußte sie nicht."
{ed. * Hexe}
"Sie hat recht gehabt, Fenice, ich habe kein Weib. Aber woher weiß
sie oder du, daß ich je eins haben will?"
"Wie könntest du mich nicht wollen?" sagte sie mit unerschütterlichem
Vertrauen.
"Setz dich hier zu mir her, Fenice! Ich habe dir viel zu sagen. Gib
mir deine Hand; versprich mir, daß du mich verständig anhören willst
bis zu Ende, meine arme Freundin!" Als sie nichts von dem allen tat,
fuhr er mit klopfendem Herzen fort, vor ihr stehenbleibend und das
Auge traurig auf sie geheftet, während das ihrige wie in Ahnungen, die
ihr ans Leben gingen, bald geschlossen war, bald am Boden hinirrte.
"Ich habe schon vor Jahren aus Florenz fliehen müssen", erzählte er.
"Du weißt, da waren jene politischen Tumulte, die so lange hin und her
schwankten. Ich bin Advokat und kenne eine Menge Menschen, und
schreibe und empfange einen großen Haufen Briefe das Jahr hindurch.
Zudem war ich unabhängig, sagte meine Meinung, wo es not tat, und
wurde verhaßt, obwohl ich die Hände bei ihrem heimlichen Spiel nie
haben mochte. Am Ende mußte ich auswandern, wenn ich nicht in
endloses Verhör und Gefängnis gehen wollte, ohne Nutz und Zweck. Ich
bin nach Bologna gezogen und habe für mich gelebt, meine Prozesse
geführt, und wenig Menschen gesehen, am wenigsten Weiber; denn von dem
tollen Burschen, dem du vor sieben Jahren das Herz schwer machtest,
ist nichts mehr an mir geblieben, als daß mir noch immer der Kopf,
oder wenn du lieber willst, das Herz springen will, wenn ich irgendwas
nicht bezwingen kann, freilich heutzutage andere Dinge, als den Riegel
an der Kammertür eines schönen Mädchens.--Du hast vielleicht gehört,
daß es auch in Bologna in der letzten Zeit unruhig geworden ist. Man
hat angesehene Männer verhaftet, darunter einen, dessen Wege und Stege
ich seit langem kenne, und weiß, daß seine Seele diesen Dingen sehr
fern war. Denn eine schlechte Regierung bessern sie damit so wenig,
als wenn eine Krankheit unter euern Schafen ist und ihr schicktet den
Wolf in den Stall. Aber was soll das hier? Genug, mein Freund bat
mich, sein Advokat zu sein und ich verhalf ihm zur Freiheit. Es war
das kaum bekannt worden, als mich eines Tages ein elender Mensch auf
der Straße anrannte und mich mit Beleidigungen überhäufte. Ich konnte
mich nicht anders von ihm losmachen, als durch einen Stoß gegen die
Brust, denn er war berauscht und keiner Erwiderung wert. Kaum hatte
ich mich aus dem Menschenschwarm herausgewunden und war in ein Café
getreten, so kam mir schon ein Verwandter jenes Menschen nach,
nüchtern von Wein, aber trunken von Gift und Zorn, und stellte mich
zur Rede, daß ich wie ein Ehrloser auf Worte mit Fäusten geantwortet
hätte, statt zu tun, was jeder Galant'uomo* getan haben würde. Ich
antwortete so gemäßigt, wie ich konnte, denn schon durchschaute ich's,
daß alles eine Veranstaltung der Regierung war, mich durch einen
Zweikampf unschädlich zu machen. Doch gab ein Wort das andere und die
Feinde hatten endlich das Spiel gewonnen. Der andere gab vor, daß er
ins Toskanische hinüber müsse, und drang darauf, die Sache drüben
auszumachen. Ich ging darauf ein, denn es war Zeit, daß einer von uns
Besonnenen den unruhigen Köpfen bewies, nicht Mangel an Mut sei die
Ursache unserer Zurückhaltung, sondern einzig die Hoffnungslosigkeit
aller heimlichen Umtriebe, einer so überlegenen Macht gegenüber. Als
ich aber vorgestern um einen Paß einkam, wurde er mir verweigert, ohne
daß man sich herabließ, mir einen Grund dafür anzugeben; es hieß, so
sei der Befehl der obersten Behörden. Es wurde mir klar, daß sie mir
entweder den Schimpf zuziehen wollten, das Duell vermieden zu haben,
oder mich dazu treiben, mich in irgendwelcher Verkleidung über die
Grenze zu stehlen, wo ich dann sicher von einem Hinterhalt aufgefangen
worden wäre. Dann hätten sie einen Vorwand gehabt, mir den Prozeß zu
machen, und ihn hinzuzerren, solange es ihnen nützlich erschienen wäre."
{ed. * Ehrenmann}
"Die Elenden! die Gottlosen!" unterbrach ihn das Mädchen und ballte
die Faust.
"So blieb nichts übrig, als mich in Porretta den Contrabbandieri
anzuvertrauen. Wir werden morgen, wie sie mir sagen, noch früh
Pistoja erreichen. Nachmittags ist das Duell verabredet, in einem
Garten vor der Stadt."
Sie ergriff plötzlich heftig seine Hand mit ihren beiden. "Geh nicht
hinunter, Filippo", sagte sie. "Sie wollen dich ermorden."
"Gewiß, das wollen sie, Kind, nichts Geringeres. Woher weißt du das
aber?"
"Ich sehe es hier und--hier!" Und sie deutete mit dem Finger auf Stirn
und Herz.
"Du bist auch eine Zauberin, eine Strega", fuhr er mit Lächeln fort.
"Jawohl, Kind, sie wollen mich morden. Mein Gegner ist der beste
Schütze in Toskana. Sie haben mir die Ehre angetan, einen stattlichen
Feind gegen mich zu stellen. Nun, ich werde mir auch keine Schande
machen. Wer weiß aber, ob alles mit rechten Dingen zugeht? Wer weiß?
Oder hast du auch Zauberkünste, das vorauszusehen? Was hülf' es,
Kind! damit wäre nichts geändert."
"Du mußt es dir also schon aus dem Sinn schlagen", fuhr er nach
einigem Schweigen fort, "deiner törichten alten Liebe ihren Willen zu
tun. Vielleicht hat alles so kommen müssen, damit ich nicht aus der
Welt ginge, ohne dich frei zu machen, frei von dir selbst und deiner
unseligen Treue, armes Kind. Siehst du, wir hätten auch vielleicht
schlecht für einander getaugt. Du warst einem andern Filippo treu,
einem jungen Fant mit leichtsinnigen Lippen und außer Liebessorgen
sorgenlos. Was hättest du mit dem Grübler, dem Einsiedler anfangen
wollen?"
Nun trat er auf sie zu, da er das letzte halb vor sich hin, auf und ab
gehend, gesprochen hatte, und wollte eben ihre Hand fassen, als er vor
dem Ausdruck ihres Gesichts sich entsetzte. Alle Weichheit war aus
den Zügen gewichen, alle Röte von den Lippen. "Du liebst mich nicht!"
sagte sie langsam und tonlos, als spräche ein andrer aus ihr und sie
horchte hin, um zu erfahren, was eigentlich gemeint sei. Dann stieß
sie seine Hand mit einem Schrei zurück, daß die Flämmchen der Lampe zu
erlöschen drohten, und von draußen auf einmal ein wütendes Wimmern und
Toben des Hundes laut wurde.--"Du liebst mich nicht, nein, nein!" rief
sie wie außer sich. "Kannst du lieber in den Tod wollen, als in meine
Arme? Kannst du nach sieben Jahren kommen, um Abschied zu nehmen?
Kannst du so ruhig von deinem Tode sprechen, als wäre er nicht auch
meiner? So wäre mir besser, diese Augen wären erblindet, eh' sie dich
wieder sahen, und diese Ohren taub geworden, ehe sie die grausame
Stimme hören mußten, durch die ich lebe und sterbe. Warum hat der
Hund dich nicht zerrissen, ehe ich wußte, daß du gekommen bist, mein
Herz zu zerreißen? Warum ist dein Fuß nicht an den Abgründen
ausgeglitten? Wehe, wehe! Siehe meinen Jammer, Madonna!"
Sie stürzte nieder vor dem Bilde, lag mit der Stirn gegen den Boden,
die Hände weit von sich gestreckt, und schien zu beten. Der Mann
hörte den Lärm des Hundes, dazwischen das Murmeln und Stöhnen des
unglücklichen Mädchens, während der Mond nun schon Macht gewann und
das Gemach durchleuchtete. Ehe er aber noch sich fassen und ein Wort
aussprechen konnte, fühlte er schon wieder ihre Arme an seinem Nacken,
ihren Mund an seinem Halse und heiße Tränen über sein Gesicht fließen.
"Geh nicht in den Tod, Filippo!" schluchzte die Arme. "Wenn du bei
mir bleibst, wer will dich finden? Laß sie reden, was sie wollen, das
Mördergesindel, die heimtückischen Elenden, schlimmer als die Wölfe
des Apennin.--Ja", sagte sie und sah durch Tränen strahlend zu ihm auf,
"du bleibst, die Madonna hat dich mir geschenkt, damit ich dich
retten sollte. Filippo, ich weiß nicht, was für böse Worte ich
gesprochen, aber daß sie böse waren, empfand ich an dem eisigen Krampf
hier am Herzen, der sie mir entrissen. Vergib mir das. Es bringt in
die Hölle, zu denken, daß die Liebe vergessen und die Treue zertreten
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