Das Mädchen von Treppi - 3

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noch, da ich mit Qualen in der Irre laufe und die Sonne mir alles Hirn
schmilzt? Triumphierst du, daß ich dich noch einmal sehen muß, um
dich noch einmal zu verfluchen? Wenn ich dich gefunden habe, beim
allmächtigen Gott, so hab ich dich doch nicht gesucht, und du sollst
mich dennoch verlieren."
Sie schüttelte seltsam lächelnd den Kopf. "Es zieht dich ohne daß
du's weißt", sagte sie. "Du fändest mich, wenn alle Berge der Welt
zwischen uns wären, denn ich mischte sieben Tropfen von dem Herzblut
des Hundes in deinen Wein. Armer Fuoco! Er liebte mich und haßte
dich. So wirst du den Filippo hassen, der du früher warst, als du
mich verstießest, und nur ruhig sein in dir, wenn du mich liebst.
Filippo, siehst du nun, daß ich endlich dich erobert habe? Komm, nun
will ich dir wieder die Wege zeigen, nach Genua zu, mein Geliebter,
mein Mann, mein Holder!"
Damit stand sie auf und wollte mit beiden Armen ihn umfangen, als sie
plötzlich vor seinem Gesicht erschrak. Er war wie mit einem Schlage
totenblaß geworden, nur das Weiße in seinen Augen rot, seine Lippen
bewegten sich lautlos, der Hut war vom Haupt gefallen, mit den Händen
wehrte er heftig jede Annäherung ab.
"Ein Hund! ein Hund!" waren die ersten mühsam vorbrechenden Worte.
"Nein, nein, nein! du sollst nicht siegen--Dämon! Besser ein toter
Mann, als ein lebendiger Hund!"--Darauf erscholl ein furchtbares
Lachen von seinen Lippen, und langsam, wie wenn er sich gewaltsam
jeden Schritt erkämpfte, die Augen stier auf das Mädchen geheftet,
wich er taumelnd zurück und stürzte rücklings in die Schlucht hinab,
die er eben verlassen hatte.-Vor ihren Augen wurde es Nacht, mit
beiden Händen fuhr sie sich ans Herz und stieß einen Schrei aus, der
wie ein Falkenschrei über die Schlucht klang, als sie die hohe Gestalt
hinter dem Rande des Felsens verschwinden sah. Ein paar wankende
Schritte tat sie, dann stand sie fest und aufrecht, immer die Hände
gegen das Herz gepreßt. "Madonna!", sagte sie, ohne etwas zu denken.
Immer vor sich niedersehend, näherte sie sich jetzt rasch der Schlucht
und begann die steinige Wand zwischen den Tannen hinabzuklimmen.
Worte ohne Sinn murmelten ihre heftig atmenden Lippen, mit der einen
Hand hielt sie das Herz fest, mit der andern half sie sich an den
Steinen und Zweigen hinab. So kam sie bis an die Wurzeln der
Tannen--da lag er. Er hatte die Augen geschlossen, Stirn und Haar von
Blut überströmt, den Rücken wider einen Stamm gelehnt. Der Rock war
zerrissen und das rechte Bein schien auch verwundet. Ob er lebe,
konnte sie nicht unterscheiden. Sie lud ihn auf ihre beiden Arme, da
empfand sie, daß er sich noch regte. Der Mantel, den er über den
Schultern dicht gefaltet trug, schien die Gewalt des Falles gebrochen
zu haben. "Gelobt sei Jesus!" sagte sie aufatmend. Es war, als
wüchsen ihr Riesenkräfte, wie sie, den hülflosen Mann an ihrer Brust,
die Steile wieder hinaufzuklimmen begann. Es dauerte lange, viermal
legte sie ihn nieder zwischen Moos und Felsen, noch immer schlief das
Leben in ihm.
Als sie endlich auf der Höhe war mit ihrer unseligen Last, brach sie
selber in die Kniee und lag einen Moment in völliger Vergessenheit und
Ohnmacht. Dann stand sie auf und entfernte sich nach der Richtung, in
der die Hütte des Hirten lag. Als sie hinlänglich nahe war, ließ sie
einen gellenden Ruf über die Weite des Tals erschallen. Das Echo
antwortete zuerst, bald eine Menschenstimme. Sie rief zum zweiten Mal
und wandte sich dann, ohne die Antwort abzuwarten. Als sie wieder bei
dem leblosen Mann anlangte, stöhnte sie heftig auf und trug ihn dann
in den Schatten des Felsens, wo sie selbst vorher gesessen und ihn
erwartet hatte.
Dort fand er sich noch, als ihm das Bewußtsein schwach zurückkehrte
und er die Augen zuerst wieder aufschlug. Er sah zwei Hirten neben
sich, einen Alten und einen Burschen von siebzehn Jahren. Sie
sprengten ihm Wasser ins Gesicht und rieben ihm die Schläfe. Sein
Kopf ruhte weich, er wußte nicht, daß er auf dem Schoß des Mädchens
lag.
Er schien sie überhaupt ganz vergessen zu haben. Er tat einen Atemzug,
der ihn bis in die Fußspitzen erschütterte und schloß dann wieder die
Augen. Endlich bat er mit stockender Stimme: "Einer von euch, brave
Leute, möge hinuntergehen--rasch, nach Pistoja. Man wartet auf mich.
Gottes Barmherzigkeit lohne es dem, der dem Wirt zur Fortuna sagt--wie
es um mich steht. Ich heiße--" da schwanden ihm wieder Stimme und
Bewußtsein.
"Ich werde gehen", sagte das Mädchen, "ihr tragt den Herrn indessen
nach Treppi und legt ihn in das Bett, das die Nina euch zeigen wird.
Sie soll die Chiaruccia rufen, die Alte, und den Herrn von ihr heilen
und verbinden lassen. Hebt ihn auf, du an den Schultern, Tommaso, du,
Bippo, an den Beinen. Wenn ihr bergan geht, mußt du voran, Tommaso.
So, hebt ihn! Sanft, sanft! Und halt--das taucht ihr in Wasser und
legt es auf seine Stirn, und netzt es wieder an jeder Quelle. Habt
ihr verstanden?"
Sie riß ein großes Stück von ihrem leinenen Kopftuch herunter, tauchte
es ein und wand es um die blutigen Haare Filippos. Dann ward er
aufgehoben, die Männer trugen ihn nach Treppi zu, und das Mädchen,
nachdem es ihnen mit völlig erloschenen Blicken nachgesehen, schürzte
sich hastig und stieg auf rauhen Pfaden das Gebirg hinab.
Es war gegen drei Uhr nachmittags, als sie Pistoja erreichte. Die
Schenke zur Fortuna lag einige hundert Schritte vor der Stadt und zu
dieser Stunde der Siesta war wenig Leben in ihr. Im Schatten des
weiten Vordachs standen ausgeschirrte Wagen, die Fuhrleute schliefen
auf den Polstern, in der großen Schmiede gegenüber ruhte die Arbeit
und durch die dickbestaubten Bäume längs der Landstraße rührte sich
kein Luftzug. Fenice trat an den Brunnen vor dem Hause, dessen Strahl,
allein geschäftig, in den großen Steintrog niederrauschte, und
erfrischte sich Hände und Gesicht. Dann trank sie langsam und lange,
um Durst und Hunger zugleich zu stillen, und trat in die Schenke.
Der Wirt erhob sich schläfrig von der Bank in der Schenkstube und
legte sich wieder hin, als er sah, daß es ein Mädchen von den Bergen
war, die seine Ruhe störte.
"Was willst du?" fuhr er sie an. "Wenn du zu essen haben willst oder
Wein, geh in die Küche."
"Ihr seid der Wirt?" fragte sie ruhig.
"Wer anders als ich? Man kennt mich, sollt' ich denken, Baldassare
Tizzi von der Fortuna. Was bringst du mir, schöne Tochter?"
"Eine Botschaft vom Signor Avvocato Filippo Mannini."
"Eh, eh, ist's das? Ja, das ist freilich was anders", und er stand
eilig auf. "Kommt er nicht selber, Kind? Es sind Herren da, die ihn
erwarten."
"So bringt mich zu ihnen."
"Ei ei, die Heimliche! darf man nicht wissen, was er den Herren sagen
läßt?"
"Nein."
"Nun nun, schon gut Kind, schon gut. Es hat jeder seine eignen
Geheimnisse, dieser hübsche Trotzkopf da so gut wie der harte Schädel
des alten Baldassare. Eh, eh, er kommt also nicht; das wird den
Herren sehr unangenehm sein; sie scheinen wichtige Geschäfte mit ihm
zu haben."
Er schwieg und sah das Mädchen blinzelnd von der Seite an. Als sie
aber nicht Miene machte, ihn weiter ins Vertrauen zu ziehn, sondern
die Tür öffnete, stülpte er den Strohhut auf und ging kopfschüttelnd
mit ihr.
Ein kleiner Weingarten lag hinter dem Hofe, den durchschritten sie,
der Alte in fortwährenden Fragen und Ausrufungen, auf die das Mädchen
keine Silbe erwiderte. Am Ende des mittelsten Laubenganges lag ein
unscheinbares Gartenhaus, die Läden waren verschlossen und innen
hinter der Glastür hing ein dichter Vorhang herab. Einige Schritte
vor diesem Pavillon hieß der Wirt Fenice stehenbleiben und ging allein
nach der Tür, die auf sein Klopfen geöffnet wurde. Fenice sah, wie
der Vorhang dann zurückgeschoben wurde und ein Paar Augen nach ihr
heraussahen. Dann kam der Alte wieder zu ihr und sagte, daß die
Herren sie sprechen wollten.
Als Fenice in den Pavillon trat, erhob sich ein Mann, der am Tisch mit
dem Rücken nach der Tür gesessen hatte, und richtete einen
durchdringenden kurzen Blick auf sie. Zwei andere blieben auf den
Stühlen sitzen. Auf dem Tische sah sie Weinflaschen und Gläser.
"Der Signor Avvocato kommt nicht, wie er versprochen?"--sagte der Mann,
vor dem sie stand. "Wer bist du und was hast du zur Beglaubigung
deiner Botschaft?"
"Eine Jungfrau aus Treppi bin ich, Fenice Cattaneo, Herr.
Beglaubigung? Ich habe keine, als daß ich die Wahrheit sage."
"Warum kommt der Signor Avvocato nicht? Wir dachten, er sei ein
Ehrenmann."
"Er ist es nicht minder, weil er einen Sturz vom Felsen getan und sich
Stirn und Bein verwundet hat, daß er das Bewußtsein verloren."
Der Frager wechselte Blicke mit den andern Männern und sagte dann
wieder:
"Du sagst allerdings die Wahrheit, Fenice Cattaneo, weil du schlecht
zu lügen verstehst. Wenn er das Bewußtsein verlor, wie kann er dich
hieherschicken, es uns ansagen zu lassen?"
"Die Sprache kam ihm wieder auf Augenblicke. Da sagte er, daß er in
der Fortuna erwartet werde; man solle es dort zu wissen tun, was ihm
begegnet."
Ein trocknes Lachen ward von einem der andern Männer hörbar. "Du
siehst", sagte der Sprecher, "auch diese Herren hier glauben nicht
sonderlich an dein Märchen. Es ist freilich bequemer, den Poeten zu
machen als den Ehrenmann."
"Wenn das heißen soll, Signor, daß Signor Filippo aus Feigheit nicht
hergekommen ist, so ist dies eine abscheuliche Lüge, die Euch der
Himmel anrechnen möge", sagte sie fest und sah alle drei nach der
Reihe an.
"Du wirst warm, Kleine", höhnte der Mann. "Du bist wohl die gute
Freundin des Herrn Avvocato, he?"
"Nein, die Madonna weiß es!" sagte sie mit ihrer tiefsten Stimme. Die
Männer flüsterten untereinander und sie hörte, wie einer sagte: "Das
Nest ist noch toskanisch."--"Ihr glaubt doch nicht im Ernst an diese
Schliche?" fiel ihm der dritte ein. "Der liegt sowenig in Treppi,
wie--"
"Kommt und seht ihn selbst!" unterbrach Fenice das Geflüster. "Aber
Waffen dürft ihr nicht tragen, wenn ich euch führen soll."
"Närrchen", sagte der erste Sprecher, "meinst du, daß wir einer so
schmucken Kreatur, wie du bist, ans Leben wollen?"
"Nein, aber ihm; ich weiß es."
"Hast du sonst noch etwas dir auszubedingen, Fenice Cattaneo?"
"Ja, daß ein Wundarzt mitgehe. Ist er schon unter euch, Signori?"
Sie erhielt keine Antwort. Statt dessen steckten die drei Männer die
Köpfe zusammen. "Als wir kamen, sah ich ihn zufällig vorn im Hause;
hoffentlich ist er noch nicht nach der Stadt zurück", sagte der eine
und verließ dann den Pavillon. Er kam nach kurzer Zeit mit einem
vierten wieder, der die Gesellschaft nicht zu kennen schien.
"Ihr erweist uns wohl die Gefälligkeit, mit uns nach Treppi
hinaufzugehen?" redete ihn der Sprecher an. "Man wird Euch inzwischen
unterrichtet haben, um was es sich handelt."
Der andere verneigte sich schweigend, und alle verließen den Pavillon.
Als sie an der Küche vorbeigingen, ließ sich Fenice ein Brot geben
und nahm einige Bissen davon. Dann ging sie wieder der Gesellschaft
voran und schlug den Weg in die Berge ein. Sie gab unterwegs nicht
acht auf ihre Begleiter, die eifrig miteinander redeten, sondern eilte,
soviel sie konnte, und mußte zuweilen angerufen werden, damit man sie
nicht aus den Augen verlor. Dann stand sie und wartete, und sah in
hoffnungslosem Brüten ins Leere hinaus, die Hand fest ans Herz gepreßt.
So ward es Abend, bis sie die Höhen erreichten.
Das Dorf Treppi sah nicht lebendiger aus, als gewöhnlich. Nur einige
Kindergesichter fuhren neugierig an die offnen Fenster, und einige
Weiber traten unter die Türen, als Fenice mit ihrer Begleitung
vorüberging. Sie sprach mit niemand, sondern näherte sich, den
Nachbarn ihren Gruß mit kurzem Händewinken erwidernd, ihrem Hause.
Hier stand eine Gruppe von Männern im Gespräch vor der Tür, Knechte
waren mit bepackten Pferden beschäftigt, und Contrabbandieri gingen ab
und zu. Als man die Fremden kommen sah, wurde es still unter den
Leuten. Sie traten beiseit und ließen die Gesellschaft vorüber.
Fenice wechselte einige Worte mit Nina in dem großen Gemach und
öffnete dann die Tür ihrer Kammer.
Man sah drin in der Dämmerung den Verwundeten auf dem Bett
ausgestreckt, neben ihm auf der Erde hockend ein uraltes Weib aus
Treppi.
"Wie steht's, Chiaruccia?" fragte Fenice.
"Nicht schlecht, die Madonna sei gepriesen!" antwortete die Alte und
musterte mit raschen Blicken die Herren, die hinter dem Mädchen
eintraten.
Filippo fuhr aus einem Halbschlaf auf und sein blasses Gesicht glühte
plötzlich. "Du bist's!" sagte er.
"Ja, ich bringe den Herrn, mit dem Ihr den Kampf vorhattet, damit er
selbst sehe, daß Ihr nicht kommen konntet. Und da ist auch ein
Wundarzt."
Das matte Auge des Liegenden glitt langsam über die vier fremden
Gesichter. "Er ist nicht darunter", sagte er. "Ich kenne keinen von
diesen Herren."
Als er das gesprochen und schon wieder das Auge schließen wollte, trat
der Sprecher unter den dreien vor und sagte: "Es genügt, daß man Euch
kennt, Signor Filippo Mannini. Wir hatten Befehl, Euch zu erwarten
und zu verhaften. Es sind Briefe von Euch aufgefangen, aus denen
hervorgeht, daß Ihr nicht allein um das Duell auszumachen Toskana
wieder betreten habt, sondern um gewisse Verbindungen wieder
anzuknüpfen, die Eurer Partei in Bologna Vorschub leisten sollen. Ihr
seht den Kommissär der Polizei vor Euch und hier meine Instruktion."
Er zog ein Blatt aus der Tasche und hielt es Filippo vors Gesicht.
Der aber starrte darauf, als habe er von allem nichts verstanden, und
fiel wieder in seine schlafähnliche Betäubung zurück.
"Untersucht die Wunden, Herr Dottore", wandte sich nun der Kommissär
an den Arzt. "Wenn der Zustand es irgend erlaubt, müssen wir diesen
Herrn unverzüglich hinunterschaffen. Ich habe draußen Pferde gesehn.
Wir tun zwei gesetzliche Taten auf einmal, wenn wir uns derselben
bemächtigen, denn sie sind mit Schleichwaren beladen. Es ist gut, daß
man weiß, welches Volk dies Treppi besucht, wenn man es einmal wissen
will."
Während er dies sagte und der Arzt sich Filippo näherte, war Fenice
aus der Kammer verschwunden. Die alte Chiaruccia blieb ruhig sitzen
und murmelte vor sich hin. Man hörte Stimmen draußen und eine
seltsame Unruhe von Kommenden und Gehenden, und zu dem Mauerloch sahen
Gesichter herein, die rasch wieder verschwanden.--"Es ist möglich",
sagte jetzt der Wundarzt, "daß wir ihn hinunterschaffen, wenn er fest
und doppelt verbunden ist. Schneller würde er freilich wieder
aufkommen, ließe man ihn hier in der Ruhe, und in der Pflege dieser
alten Hexe, deren Wundkräuter den besten gelernten Arzt zuschanden
machen. Es kann das Wundfieber unterwegs ihm ans Leben treten, und
eine Verantwortung übernehme ich keinesfalls, Signor Commissario."
"Unnötig, unnötig", erwiderte der andere. "Wie man ihn los wird, kann
nicht in Betracht kommen. Legt ihm Euern Verband an, so fest Ihr
vermögt, damit nichts versäumt werde, und dann vorwärts. Wir haben
Mondschein und nehmen einen Burschen mit. Geht indessen hinaus, Molza,
und versichert Euch der Pferde."
Der eine der Sbirren*, dem dieser Befehl galt, öffnete rasch die
Kammertür und wollte hinaus, als ein unerwarteter Anblick ihn
versteinerte. Das Gemach nebenan war mit einer Schar von Dorfleuten
besetzt, an deren Spitze zwei Contrabbandieri standen. Fenice hatte
noch mit ihnen gesprochen, als die Tür sich öffnete. Nun trat sie an
die Schwelle der Kammer und sagte mit großem Nachdruck:
{ed. * Scherge, Häscher}
"Ihr verlaßt diese Kammer unverzüglich, Signori, und ohne den
Verwundeten, oder ihr seht Pistoja nicht wieder. In diesem Hause ist
noch kein Blut geflossen, solange Fenice Cattaneo seine Herrin ist,
und die Madonna verhüte solchen Greuel in alle Zukunft. Versucht auch
nicht wiederzukommen, etwa mit mehreren. Ihr habt die Stelle noch im
Sinn, wo man einzeln die Felstreppe zwischen den Wänden hinaufklimmt.
Ein Kind kann diesen Paß verteidigen, wenn es die Steine den Abhang
herabrollt, die droben wie gesät liegen. Wir werden dort eine Wache
stellen, bis dieser Herr in Sicherheit ist. Nun geht und rühmt euch
der Heldentat, daß ihr ein Mädchen betrogen habt und einen verwundeten
Mann ermorden wolltet."
Die Gesichter der Sbirren entfärbten sich mehr und mehr und es
entstand eine Pause nach den letzten Worten. Dann zogen alle drei wie
auf Kommando bisher verborgene Pistolen aus der Tasche, und der
Kommissär sagte kaltblütig: "Wir kommen im Namen des Gesetzes. Wenn
ihr selbst es nicht respektiert, wollt ihr auch noch andere hindern,
es zu vollziehn? Es kann sechsen von euch das Leben kosten, wenn ihr
uns zwingt, dem Gesetz mit Gewalt Achtung zu verschaffen."
Ein Murren durchlief die Schar der andern. "Still, Freunde!" rief das
entschlossene Mädchen. "Sie wagen es nicht. Sie wissen, daß jeder,
den sie erschießen, dem Mörder einen sechsfachen Tod einbringt. Ihr
redet wie ein Tor", wandte sie sich wieder an den Kommissär. "Die
Furcht, die auf euern Stirnen sitzt, redet wenigstens klüger. Tut,
was sie euch anrät. Der Weg ist offen, Signori!"
Sie trat zurück und wies mit der Linken nach der Tür des Hauses. Die
in der Kammer flüsterten wenige Worte zusammen, dann schritten sie mit
leidlicher Haltung durch die aufgeregte Schar, die ihnen immer lautere
und lautere Verwünschungen mit auf den Weg gab. Der Wundarzt war
unschlüssig, ob er folgen dürfe; aber auf einen gebieterischen Wink
des Mädchens schloß er sich seinen Begleitern eilfertig an.
Diese ganze Szene hatte der Kranke in der Kammer halb aufgerichtet mit
großen Augen mitangesehn. Jetzt trat die Alte wieder zu ihm und
rückte ihm das Kissen. "Still liegen, mein Sohn!" sagte sie. "Es ist
keine Gefahr. Schlafen, schlafen, armer Sohn! die alte Chiaruccia
wacht, und daß Ihr sicher seid, dafür sorgt unsre Fenice, das
benedeite Kind! Schlaft, schlaft!"
Sie summte ihn dann mit eintönigen Liedern ein wie ein Kind. Er aber
nahm den Namen Fenice mit in seine Träume.
Filippo war zehn Tage droben im Gebirg und in der Pflege der Alten,
schlief viel in den Nächten und genoß am Tage, vor der Tür sitzend,
die reine Luft und die Einsamkeit. Sobald er wieder schreiben konnte,
schickte er einen Boten mit einem Brief nach Bologna und erhielt am
andern Tage Antwort, ob erwünscht oder unerwünscht, war auf seinem
blassen Gesicht nicht zu lesen. Außer mit seiner Pflegerin und den
Kindern von Treppi sprach er mit niemand, und Fenice sah er nur des
Abends, wenn sie am Herde schaltete. Denn sie verließ das Haus mit
Sonnenaufgang und blieb über Tag im Gebirg. Das war sonst anders
gewesen, wie er aus zufälligen Äußerungen entnahm. Aber auch wenn sie
zu Hause war, fand sich nie eine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.
Sie tat überhaupt, als merke sie seine Anwesenheit gar nicht, und
schien das Leben wie früher zu tragen. Doch war ihr Gesicht wie
steinern geworden und ihre Augen wie erstorben.
Als Filippo eines Tages, von dem herrlichen Wetter gelockt, weiter als
sonst sich vom Hause entfernte und zum erstenmal wieder im Gefühl
neuer Kraft eine sanfte Höhe hinabstieg, erschrak er, als er um einen
Felsen bog und unerwartet Fenice im Moos neben einer Quelle sitzen sah.
Sie hatte Wocken und Spindel in Händen und schien während des
Spinnens sehr in sich vertieft. Bei Filippos Schritten sah sie auf,
sprach aber kein Wort, noch veränderte sich der Ausdruck ihres
Gesichts, und rasch erhob sie sich samt ihrem Gerät. Dann ging sie,
ohne auf seinen Ruf zu achten, davon und war ihm bald aus den Augen.
Am Morgen nach dieser Begegnung war er eben aufgestanden und seine
ersten Gedanken gingen wieder zu ihr, als die Tür seiner Kammer
geöffnet wurde und das Mädchen ruhig zu ihm eintrat. Sie blieb an der
Schwelle stehen und winkte ihm gebieterisch mit der Hand, als er vom
Fenster ihr näher eilen wollte.
"Ihr seid wieder geheilt", sagte sie kalt. "Ich habe mit der Alten
gesprochen. Sie meint, Ihr hättet wieder die Kraft zu reisen, in
kleinen Tagereisen und zu Pferde. Ihr werdet morgen früh Treppi
verlassen und nie dahin zurückkehren. Dies Versprechen fordre ich von
Euch."
"Ich verspreche es, Fenice, unter einer Bedingung."
Sie schwieg.
"Daß du mit mir gehst, Fenice!" sprach er in großer, unverhaltener
Bewegung.
Ein dunkler Zorn überflog ihre Brauen. Doch hielt sie an sich und
sagte, den Türgriff fassend: "Womit habe ich Spott verdient? Ihr
verspreche es ohne Bedingung, von Eurer Ehre erwarte ich's, Signor."
"Willst du mich so verstoßen, nachdem du mir den Liebestrank bis ins
innerste Mark geflößt und mich für immer dir zu eigen gemacht hast,
Fenice?"
Sie schüttelte ruhig das Haupt. "Es ist hinfort kein Zauber mehr
zwischen uns", sagte sie dumpf. "Ihr habt Blut verloren, ehe der
Trank gewirkt hatte, der Bann ist gelöst. Und es ist gut so, denn ich
habe unrecht getan. Laßt uns nicht mehr davon reden und sagt nur, daß
Ihr gehen werdet. Ein Pferd wird bereit sein und ein Führer, wohin
Ihr wollt."
"Wenn es denn dieser Zauber nicht mehr sein kann, der mich an dich
bindet, so muß es wohl ein anderer sein, für den du nicht kannst,
Mädchen. So wahr mir Gott gnade--"
"Still!" unterbrach sie ihn und schürzte finster die Lippe. "Ich bin
taub für solche Worte, wie Ihr sie sagen wollt. Wenn Ihr meint, mir
etwas schuldig zu sein, und Euch mein erbarmen möchtet--so geht, und
die Rechnung ist damit ausgeglichen. Ihr sollt nicht denken, daß
dieser mein armer Kopf nichts lernen kann. Ich weiß jetzt, daß man
einen Menschen nicht erkaufen kann, sowenig mit armseligen Diensten,
die sich von selbst verstehen, als mit sieben Jahren des Wartens--die
sich auch von selbst verstehen vor Gott. Ihr sollt nicht denken, daß
Ihr mich elend gemacht habt Ihr habt mich geheilt! Geht! und nehmt
meinen Dank mit Euch!"
"Antworte mir vor Gott!" rief er außer sich und trat ihr näher, "habe
ich dich auch geheilt von deiner Liebe?"
"Nein", sagte sie fest. "Was fragt Ihr danach? Sie ist mein, Ihr
habt kein Recht und keine Macht über sie. Geht!"
Damit trat sie zurück und über die Schwelle. Im nächsten Augenblick
lag er hingestürzt auf den Steinen zu ihren Füßen und umfaßte ihre
Kniee.
"Wenn es wahr ist, was du sagst", rief er im höchsten Schmerz, "so
rette mich, so nimm mich an, nimm mich auf zu dir, oder dieser Kopf,
den ein Wunder in seinen Fugen erhalten hat, wird in Scherben gehen
samt diesem Herzen, das du verstoßen willst. Meine Welt ist leer,
mein Leben eine Beute des Hasses, meine alte und meine neue Heimat
verbannt mich, was soll ich noch leben, wenn ich auch dich verlieren
muß!"
Da sah er auf zu ihr und sah aus den geschlossenen Augen helle Ströme
brechen. Noch war ihr Antlitz regungslos, dann atmete sie tief auf,
ihre Augen öffneten sich, ihre Lippen bewegten sich, noch ohne Worte;
das Leben blühte wie auf einen Schlag in ihr auf. Sie beugte sich
herab zu ihm, ihre kräftigen Arme hoben ihn auf--"du bist mein!" sagte
sie bebend. "So will ich dein sein!"-Als die Sonne des andern Tages
aufging, sah sie das Paar auf dem Wege nach Genua, wohin Filippo vor
den Nachstellungen seiner Feinde sich zurückzuziehen beschlossen hatte.
Der hohe blasse Mann ritt auf einem sicheren Pferde, das seine Braut
am Zügel führte. Zu beiden Seiten zogen sich Höhen und Gründe des
schönen Apennin in der Klarheit des Herbstes, die Adler kreisten über
den Schluchten und fern blitzte das Meer. Und still und leuchtend wie
dort das Meer, lag vor den Wanderern die Zukunft.
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