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Maaß für Maaß - 1

Härber sızık iñ yış oçrıy torgan 1000 süzlärneñ protsentnı kürsätä.
Süzlärneñ gomumi sanı 4128
Unikal süzlärneñ gomumi sanı 1338
41.1 süzlär 2000 iñ yış oçrıy torgan süzlärgä kerä.
52.7 süzlär 5000 iñ yış oçrıy torgan süzlärgä kerä.
59.2 süzlär 8000 iñ yış oçrıy torgan süzlärgä kerä.
  Maaß für Maaß,
  oder:
  Wie einer mißt, so wird ihm wieder gemessen.
  William Shakespeare
  Ein Lustspiel.
  Übersetzt von Christoph Martin Wieland
  
  Personen des Lustspiels.
  Vincentio, Herzog zu Wien.
  Angelo, Stadthalter in Abwesenheit des Herzogs.
  Escalus, ein alter Herr von Stande, dem Angelo in Verwaltung der
  Regierung beygefügt.
  Claudio, ein junger Edelmann.
  Lucio, ein Libertiner.
  Zwey Edelleute.
  Varrius, einer von den Hofleuten des Herzogs.
  Thomas und Peter, zwey Franciscaner-Mönche.
  Ein Richter.
  Kerkermeister.
  Ellbogen, ein Policey-Aufseher in einem Quartier der Stadt.
  Schaum, ein närrischer Junker.
  Harlequin, Diener der Frau Overdone.
  Abhorson, ein Nachrichter.
  Bernardin, ein ruchloser Gefangner.
  Isabella, Claudios Schwester.
  Mariane, mit Angelo versprochen.
  Juliette, Claudios Liebste.
  Francisca, eine Nonne.
  Frau Overdone, eine Kupplerin.
  Wache, Stadtbediente, und andre aufwartende Personen.
  Der Schauplaz ist in Wien.
  Die Geschichte ist aus Cinthios* Novellen genommen.
  {ed.-* "Epitia" von Giambattista Giraldi, gen. Cintio (Cinzio),
  1504--1573.}
  
  
  Erster Aufzug.
  
  Erste Scene.
  (Des Herzogs Palast.)
  (Der Herzog, Escalus, und einige Herren vom Hofe.)
  
  Herzog.
  Escalus--
  Escalus.
  Gnädigster Herr--
  Herzog.
  Es würde eine unzeitige Sucht zu reden an mir scheinen, wenn ich
  euch die Eigenschaften einer klugen Regierungsart entfalten wollte,
  da mir bekannt ist, daß eure Wissenschaft hierinn alle Erinnerungen,
  die ich euch geben könnte, überflüssig macht; es bleibt mir also
  nichts übrig, als euch die Gelegenheit zu geben, diese
  Geschiklichkeit im Werke zu zeigen. Fleiß und Erfahrung hat euch
  den Character unsers Volkes, die Geseze unsrer Stadt, und die
  allgemeinen Regeln der Gerechtigkeit so bekannt gemacht, daß wir
  niemand kennen, der euch hierinn übertreffe. Hier ist unser
  Auftrag, welchem wir pünctlich nachgelebt wissen wollen--Man rufe
  den Angelo hieher--Wie meynt ihr, daß er unsre Stelle vertreten
  werde? Denn ihr müßt wissen, daß wir ihn mit besonderer Vollmacht
  ersehen haben, unsre Abwesenheit zu ersezen; ihm haben wir unsre
  volle Macht zu strafen und gutes zu thun geliehen; sagt, was denkt
  ihr hiezu?
  Escalus.
  Wenn jemand in Wien eines solchen Vertrauens, und einer so hohen
  Ehre würdig ist, so ist es Angelo.
  
  Zweyte Scene.
  (Angelo zu den Vorigen.)
  
  Angelo.
  Ich komme, Euer Durchlaucht Befehle zu vernehmen.
  Herzog.
  Angelo, dein Leben entdekt dem aufmerksamen Beobachter die ganze
  Gestalt deines Characters. Die Ausübung jeder Tugend ist durch
  eine lange Uebung deine Natur geworden. Wir zünden keine Fakeln an,
  damit sie sich selbst leuchten; so macht es der Himmel mit uns;
  wofern unsre Tugenden nicht ausser uns würken, so wäre es gleich
  viel, wenn wir sie gar nicht hätten. Geister werden nur zu grossen
  Endzweken vollkommner von der Natur ausgebildet, und diese sparsame
  Göttin leyht nicht das kleinste Quintchen von ihrer Vortreflichkeit,
  ohne die Absicht, Dank und Interesse davon zu ziehen. Doch ich
  rede dieses zu einem, der mich selbst in dem Amt, das ich ihm
  auftrage, unterrichten könnte. Sey also in unsrer Abwesenheit der
  Vertreter unsres völligen Selbst in dieser Stadt; Leben und Tod,
  Angelo, hange von deinen Lippen ab; der alte Escalus, ob gleich der
  erste deiner Räthe, ist nur der zweyte nach dir. Hier ist deine
  Commißion.
  Angelo.
  Nein, mein gnädigster Herr; laßt mein Metall vorher auf irgend eine
  schärfere Probe gesezt werden, eh eine so edle und grosse Figur
  darauf gestempelt wird.
  Herzog.
  Kommt, keine Ausflüchte mehr; wir haben euch mit wohlbedachter Wahl
  hiezu ersehen; übernehmt also unsre Stelle. Unsre Abreise von hier
  wird so schleunig seyn, daß wir Sachen von Wichtigkeit
  unentschieden zurüklassen müssen. Wir werden euch, so viel Zeit
  und Umstände zulassen, von unserm Befinden Nachricht geben, und uns
  erkundigen, wie es hier stehe. Lebet also wohl; ich überlasse euch
  der hoffnungsvollen Ausführung unsrer Aufträge.
  Angelo.
  Erlaubet wenigstens, gnädigster Herr, daß wir euch einige Umstände--
  Herzog.
  Wir können keinen Augenblik länger verziehen. Auch habt ihr, bey
  meiner Ehre, nicht nöthig euch das mindeste Bedenken zu machen.
  Euer Werk ist, wie das unsrige, die Geseze so einzurichten und in
  Würksamkeit zu sezen, wie ihr es am besten achtet. Gebt mir eure
  Hand, ich werde in geheim abreisen. Ich liebe das Volk, aber ich
  seze mich ihm nicht gern zur Schau aus; ob es gleich wohl thut, so
  bin ich doch kein Liebhaber ihres lauten Zujauchzens, und habe
  keine grosse Meynung von der Bescheidenheit derjenigen, die
  dergleichen Dinge lieben. Noch einmal, lebet wohl.
  Angelo.
  Der Himmel befördere euer Vorhaben.
  Escalus.
  Und bringe euch glüklich zurük.
  Herzog.
  Ich danke euch, lebet wohl.
  (Er geht ab.)
  Escalus.
  Ich muß euch, mein Herr, um Erlaubniß bitten, eine freye
  Unterredung mit euch zu haben. Es ist mir daran gelegen, mein Amt
  recht zu kennen. Ich habe eine Gewalt; aber ich bin nicht belehrt,
  wie weit sie sich erstrekt.
  Angelo.
  Es geht mir eben so; wir wollen uns mit einander hinwegbegeben, und
  durch Vergleichung unsrer Instructionen uns ins Klare sezen.
  Escalus.
  Ich werde Euer Gnaden folgen.
  (Sie gehen ab.)
  
  Dritte Scene.
  (Eine Straasse.)
  (Lucio und zween Edelleute.)
  
  Lucio.
  Wenn der Herzog, und die übrigen Herzoge sich mit dem König von
  Ungarn nicht vergleichen können, so werden sich alle Herzoge wider
  den König vereinigen.
  1. Edelmann.
  Der Himmel geb uns seinen Frieden, aber nicht des Königs in Ungarn
  seinen.
  2. Edelmann.
  Amen!
  Lucio.
  Du betest wie jener andächtiger Seeräuber, der mit den zehen
  Gebotten zu Schiffe stieg, aber eines aus der andern Tafel
  auskrazte.
  2. Edelmann.
  Du sollt nicht stehlen--
  Lucio.
  Eben das.
  1. Edelmann.
  Hatte er nicht Ursache? Das ist ein Gebott, das seine Leute von
  ihrer Schuldigkeit abgehalten hätte; denn sie schiften sich ein, um
  zu stehlen. Es ist nicht einer unter uns Soldaten, dem in dem
  Gebet vor dem Essen, die Bitte für den Frieden gefiele.
  2. Edelmann.
  Ich habe doch nie keinen Soldaten gehört, der sie mißbilligt hätte.
  Lucio.
  Das glaub ich dir; du bist vermuthlich nie dabey gewesen, wenn man
  das Tischgebet gesprochen hat.
  2. Edelmann.
  Nie? wenigstens ein duzendmal.
  1. Edelmann.
  Wie? In Reimen?
  Lucio.
  In allen Reim-Arten und in allen Sprachen.
  1. Edelmann.
  Und auch in allen Religionen denk' ich.
  Lucio.
  Warum das nicht?--Aber seht, seht, hier kommt Madam Gutherzigkeit.
  1. Edelmann.
  Wahrhaftig, die Krankheiten, die ich unter ihrem Dach aufgelesen
  habe, kommen mich--
  2. Edelmann.
  Wie hoch, wenn ich bitten darf?
  1. Edelmann.
  Rathet?
  2. Edelmann.
  Dreytausend Thaler jährlich?
  1. Edelmann.
  Ja, und mehr.
  Lucio.
  Eine französische Crone mehr.
  
  Vierte Scene.
  (Die Kupplerin, die Vorigen.)
  
  1. Edelmann.
  Wie gehts, Mutter, auf welcher Seite habt ihr das Hüftweh am
  nachdrüklichsten?
  Kupplerin.
  Gut, gut, dort wird einer ins Gefängniß geführt, der fünftausend
  wie ihr seyd werth ist.
  1. Edelmann.
  Wer ist das, ich bitte dich?
  Kupplerin.
  Zum Henker, Junker, es ist Claudio; Signor Claudio.
  1. Edelmann.
  Claudio ins Gefängniß? das kan nicht seyn.
  Kupplerin.
  Ich weiß aber daß es ist; ich sah, wie er angehalten wurde; ich sah
  ihn wegführen, und was noch mehr ist, in den nächsten drey Tagen
  wird ihm der Kopf abgeschlagen werden.
  Lucio.
  Das stünde mir gar nicht an; bist du dessen gewiß?
  Kupplerin.
  Nur allzugewiß; und das alles, weil er der Fräulein Juliette ein
  Kind gemacht hat.
  Lucio.
  Glaubt mir, es kan seyn; er versprach mir, vor zwey Stunden mich
  hier anzutreffen, und er war immer genau sein Wort zu halten.
  1. Edelmann.
  Und überdas stimmt dieser Bericht mit dem öffentlichen Ausruf ein.
  Lucio.
  Kommt, wir wollen sehen, was an der Sache ist.
  
  Fünfte Scene.
  (Die Kupplerin, Harlequin.)
  
  Kupplerin.
  Was bringst du neues?
  Harlequin.
  Seht ihr nicht den Mann dort, den man ins Gefängniß führt?
  Kupplerin.
  Was hat er denn gemacht?
  Harlequin.
  Eine Frau.
  Kupplerin.
  Ich frage, was ist sein Verbrechen?
  Harlequin.
  Daß er in einem fremden Bache Dreuschen gefangen hat.
  Kupplerin.
  Wie? geht ein Mädchen mit einem Kind von ihm?
  Harlequin.
  Nein, aber ein Weib geht mit einem Mädchen von ihm. Ihr habt den
  Ausruf nicht gehört, habt ihr?
  Kupplerin.
  Was für einen Ausruf, Mann?
  Harlequin.
  Alle Häuser in den Vorstädten von Wien sollen niedergerissen werden.
  Kupplerin.
  Und was soll aus denen in der Stadt werden?
  Harlequin.
  Die läßt man zum Saamen stehen; sie hätten auch weg sollen, aber
  einige weise Bürger haben sich für sie ins Mittel geschlagen.
  Kupplerin.
  So sollen also alle unsre Schenk- und Spiel-Häuser in den
  Vorstädten niedergerissen werden?
  Harlequin.
  Bis auf den Grund, Madam.
  Kupplerin.
  Wahrhaftig, es geht eine grosse Veränderung im gemeinen Wesen vor;
  was wird aus mir werden?
  Harlequin.
  O, dafür macht euch keine Sorgen: gute Rathgeber haben nie Mangel
  an Clienten; wenn ihr schon euern Plaz ändert, so braucht ihr
  deßwegen nicht euer Gewerbe zu ändern; ich will immer euer treuer
  Diener bleiben. Habt nur gut Herz, man wird Mitleiden mit euch
  haben; ihr, die ihr eure Augen im Dienst des gemeinen Wesens
  beynahe aufgebraucht habt, ihr werdet in Betrachtung gezogen werden.
  Kupplerin.
  Was giebts hier, Thomas, wir wollen uns zurük ziehen.
  (Sie gehen ab.)
  
  Sechste Scene.
  (Der Kerkermeister, Claudio, Juliette, und Stadtbediente.)
  (Lucio, und zwey Edelleute.)
  
  Claudio.
  Guter Freund, warum führst du mich so zur Schau herum? führe mich
  in das Gefängniß, wohin ich verurtheilet bin.
  Kerkermeister.
  Ich thu es nicht aus bösem Willen, sondern auf ausdrüklichen Befehl
  des Herrn Stadthalters.
  Claudio.
  So kan der Halbgott, Authorität, uns das volle Gewicht unsrer
  Uebertretungen bezahlen machen. So sind die Urtheile des Himmels;
  wem er verzeihen will, dem will er; wem er nicht will, will er
  nicht, und ist doch immer gerecht.
  Lucio.
  Wie, was ist dieses, Claudio? Warum befindet ihr euch in solchen
  Umständen? Was ist euer Verbrechen?
  Claudio.
  Nur davon zu reden, würde ein neues Verbrechen seyn.
  Lucio.
  Wie, ist es eine Mordthat?
  Claudio.
  Nein.
  Lucio.
  Unzucht?
  Claudio.
  Wenn ihr es so nennen wollt.
  Kerkermeister.
  Fort, mein Herr, ihr müßt gehen.
  Claudio.
  Nur ein Wort, guter Freund Lucio, ein Wort mit euch.
  Lucio.
  Hundert, wenn sie euch etwas nüzen können; wird Unzucht so hart
  angesehen?
  Claudio.
  Diß ist mein Fall: Auf ein beydseitiges Eheversprechen hin nahm ich
  Besiz von Juliettens Bette; (ihr kennet sie;) sie ist mein wahres
  Eheweib, ausser daß uns die Ceremonien mangeln, wodurch unsre
  Heurath öffentlich gemacht worden wäre. Die einzige Ursache warum
  wir sie unterliessen, war ein Erbe, das noch in den Kisten ihrer
  Verwandten ligt, denen wir unsre Liebe noch so lange zu verbergen
  gedachten, bis die Zeit sie uns günstiger gemacht haben würde.
  Allein das Unglük wollte, daß das Geheimniß unsrer Vertraulichkeit
  vor der Zeit verrathen würde--es ist mit zu grossen Buchstaben an
  Julietten geschrieben.
  Lucio.
  Mit einem Kind, vielleicht?
  Claudio.
  Leider! und der neue Stadthalter des Herzogs (ob es daher kommt,
  daß der Staatskörper ein Pferd ist, welches der Stadthalter
  zureiten soll, und dem er, das erste mal, die Sporren stärker zu
  fühlen giebt, damit es wisse, daß er seiner meister ist; oder ob
  die Tyranney in dem Plaz oder in demjenigen ist, der ihn einnimmt?
  kan ich nicht entscheiden:) Kurz, der neue Stadthalter erwekt bey
  meinem Anlas alle die veralteten Straffen, die gleich einer
  ungepuzten Rüstung, so lange an der Wand gehangen, bis neunzehn
  Zodiaci sich umgewälzt haben, ohne daß sie in einem einzigen
  gebraucht worden; und um eines Namens willen, wekt er das vergeßne
  tiefeingeschlafne Gesez wider mich auf; in der That, um eines
  Namens willen.
  Lucio.
  Du hast recht, es ist nicht anders; und dein Kopf steht so schwach
  auf deinen Schultern, daß ihn ein verliebtes Milchmädchen
  wegseufzen könnte. Schikt dem Herzog nach, und appellirt an ihn.
  Claudio.
  Ich hab es gethan; aber man kan ihn nirgends finden. Ich bitte
  dich, Lucio, thu mir diesen Liebesdienst; ich hab eine Schwester im
  Kloster, die an diesem Tag ihre Probzeit enden soll. Gieb ihr
  Nachricht von der Gefahr worinn ich bin; bitte sie in meinem Namen,
  daß sie Freunde an den strengen Stadthalter schike; bitte sie, daß
  sie in eigner Person einen Anfall auf ihn thue; von dem leztern
  macht' ich mir die meiste Hoffnung. Eine junge Person wie sie, hat
  eine Art von sprachloser Beredsamkeit, der die Männer selten
  widerstehen können; und ausserdem, so ist sie auch geschikt genug,
  wenn sie durch Gründe und Vorstellungen überreden will.
  Lucio.
  Ich wünsche, daß sie es könne; sowol zum Trost Aller die sich in
  ähnlichen Umständen befinden, als um deines Lebens willen; es würde
  mich sehr verdriessen, wenn es wegen eines Spiels Trictrak so
  närrischer Weise verlohren gehen sollte. Ich will zu ihr.
  Claudio.
  Habe Dank, mein guter Freund, Lucio.
  Lucio.
  Binnen zwo Stunden--
  Claudio.
  Kommt, Kerkermeister, wir wollen gehen.
  (Sie gehen ab.)
  
  Siebende Scene.
  (Ein Kloster.)
  (Der Herzog und Bruder Thomas.)
  
  Herzog.
  Nein, heiliger Vater, laßt diesen Gedanken fahren: Glaubet nicht,
  daß der schmuzige Pfeil der Liebe einen männlichen Busen
  durchdringen könne. Die Ursache, warum ich euch um eine geheime
  Beherbergung bitte, ist wichtiger und ernsthafter, als die
  ausschweiffenden Absichten der glühenden Jugend.
  Bruder.
  Kan Eure Durchlaucht davon reden--
  Herzog.
  Mein ehrwürdiger Vater, niemand weiß besser als ihr, wie sehr ich
  immer das abgesonderte Leben geliebt, und wie wenig ich an den
  Gesellschaften, wo Jugend, Verschwendung, und fröliche Thorheit
  sich vereinigen, Geschmak gehabt habe. Ich habe dem Freyherrn
  Angelo, einem Mann von strengen Sitten und geübter Enthaltsamkeit,
  meine ganze unumschränkte Gewalt in Wien übertragen; und er ist in
  der Einbildung, daß ich nach Polen gereißt sey; denn so hab' ich
  unter die Leute streuen lassen, und so ist es angenommen: Nun, mein
  frommer Herr, werdet ihr mich fragen, warum ich das thue?
  Bruder.
  Wenn es erlaubt ist, Gnädigster Herr.
  Herzog.
  Wir haben strenge Geseze, (ein nothwendiges Gebiß für unbändige
  Unterthanen) die wir diese neunzehn Jahre her haben schlaffen
  lassen, gleich einem überfüllten Löwen, der in seiner Höle ligen
  bleibt, und nicht auf Beute ausgeht. Wie es nun zu begegnen pflegt,
  daß wenn allzu zärtliche Väter die Ruthe nicht zum Gebrauch,
  sondern nur zum Schreken, ihren Kindern vor die Augen steken, sie
  in kurzer Zeit mehr verlacht als gefürchtet wird; so ist es unsern
  Gesezen gegangen: Anstatt den Verbrechern den Tod zu geben, sind
  sie selbst todt; die ungebundne Freyheit zieht die Gerechtigkeit
  bey der Nase, der Säugling schlägt die Amme, und alle Anständigkeit
  der Sitten geht verlohren.
  Bruder.
  Es hieng nur von Euer Durchlaucht ab, diese gefesselte
  Gerechtigkeit wieder los zu lassen, und es würde an Euch
  furchtbarer geschienen haben, als an Angelo.
  Herzog.
  Ich besorge, nur allzu furchtbar. Da es mein Fehler war, dem Volk
  so viel Freyheit zu lassen, so würde es Tyranney gewesen seyn, sie
  für das zu strafen, was ich selbst ihnen zu thun befahl. Denn wir
  befehlen Böses zu thun, wenn wir den Uebelthaten statt der Straffe
  ihren freyen Lauf lassen. Dieses ist der wahre Grund, mein Vater,
  warum ich dieses Amt dem Angelo aufgetragen habe, der unter dem
  schüzenden Ansehen meines Namens straffen kan, ohne daß, so lange
  meine Person nicht gesehen wird, der Tadel auf mich fällt. Um aber
  selbst ein Augenzeuge von dieser Regierung zu seyn, will ich unter
  dem Namen eines Bruders von euerm Orden, sowol den Regenten als das
  Volk besuchen. Ich bitte dich also, schaffe mir einen Habit, und
  unterrichte mich, damit ich die vollständige Person eines ächten
  Franciscaner-Mönchs spielen könne. Noch mehr Gründe für diese
  Handlung will ich bey mehrerer Musse eröffnen; einer davon ist
  dieser: Angelo ist strenge; steht gegen jeden Tadel auf der Hut,
  gesteht kaum, daß sein Blut fließt, oder daß er zu Brot mehr
  Appetit hat als zu Stein. Wir können vielleicht bey dieser
  Gelegenheit lernen, wie viel man sich auf diese strengen Tugenden
  verlassen kan.
  (Sie gehen ab.)
  
  Achte Scene.
  (Ein Frauen-Kloster.)
  (Isabella, und Francisca.)
  
  Isabella.
  Und habt ihr Kloster-Frauen keine andern Freyheiten?
  Francisca.
  Sind diese nicht groß genug?
  Isabella.
  Ja, freylich; ich frage nicht, als ob ich mehr wünschte; sondern
  weil ich wünschte, daß die Schwesterschaft der heiligen Clara noch
  enger eingeschränkt seyn möchte. (Lucio läßt seine Stimme hinter
  der Scene hören.)
  Isabella.
  Was ist das? Wer ruft?
  Francisca.
  Es ist eines Mannes Stimme. Meine liebe Isabella, schließt ihr auf,
  und fragt ihn was er will; ihr dürft es thun, ich nicht; ihr habt
  das Gelübde noch nicht gethan; wenn ihr es gethan habt, so dürft
  ihr mit keiner Mannsperson sprechen, ausser in Gegenwart der
  Priorin; und auch dann, wenn ihr redet, dürft ihr euer Gesicht
  nicht zeigen, oder wenn ihr das Gesicht zeigt, dürft ihr nicht
  reden. Er ruft wieder; ich bitte euch, gebt ihm Antwort.
  (Francisca geht ab.)
  Isabella.
  Wer ruft hier?
  (Sie macht die Thüre auf.)
  (Lucio kommt herein.)
  Lucio.
  Heil, Jungfrau, wenn ihr seyd, wofür euch diese Rosenwangen
  ankündigen; wollt ihr so gefällig seyn, und mich vor Isabellen
  bringen, der schönen Schwester des unglüklichen Claudio, die sich
  unter den Probe-Schwestern dieses Hauses befindet.
  Isabella.
  Warum des unglüklichen Claudio, laßt mich zurükfragen, indem ich
  euch sage, daß ich diese Isabella und seine Schwester bin.
  Lucio.
  Holdselige Schöne, euer Bruder grüsset euch; um euch nicht lange
  aufzuhalten, er ligt im Gefängniß.
  Isabella.
  Weh mir! Und warum?
  Lucio.
  Für etwas, wofür er, wenn ich sein Richter wäre, Belohnung statt
  Strafe erhalten sollte; er hat einer guten Freundin ein Kind
  gemacht.
  Isabella.
  Mein Herr, erzählt mir nicht eure eigne Geschichte.
  Lucio.
  Es ist wie ich sage; wenn es gleich meine Schooßsünde ist, den
  Kybizen mit den Mädchen zu spielen, und ihnen zum Spaß Dinge
  vorzusagen, wovon mein Herz nichts weiß, so wollte ich doch nicht
  mit allen Jungfrauen so scherzen. Ich sehe euch für ein
  geheiligtes und dem Himmel geweyhtes Geschöpf an; und, aufrichtig
  zu reden, euer Stand macht euch in meinen Augen schon zu einem
  abgeschiednen seligen Geist.
  Isabella.
  Ihr lästert das Gute, indem ihr meiner spottet.
  Lucio.
  Denket das nicht von mir. In wahrem Ernst, diß ist die Sache: Euer
  Bruder hat seine Liebste in einen Zustand gesezt, der dasjenige was
  zwischen ihnen vorgegangen, unleugbar macht.
  Isabella.
  Ist eine schwanger von ihm?--Meine Base Juliette?
  Lucio.
  Ist sie eure Base?
  Isabella.
  Durch Adoption, durch die Liebe, die wir als Kinder für einander
  gehabt.
  Lucio.
  Sie ist es.
  Isabella.
  O! So kan er sie ja heurathen.
  Lucio.
  Das ist eben der Knoten. Der Herzog hat sich auf eine sehr
  seltsame Art von hier wegbegeben; und manchen Edelmann, worunter
  ich selbst einer bin, in der Hoffnung, einen Antheil an der Staats
  Verwaltung zu bekommen, getäuscht. Allein wenn denjenigen zu
  glauben ist, welche die wahren Nerven des Staats kennen, so ist die
  Bestellung die er gemacht, unendlich weit von seiner würklichen
  Absicht entfernt. Indessen herrschet an seinem Plaz, und mit
  seiner ganzen unumschränkten Gewalt, der Freyherr Angelo, ein Mann
  dessen Blut Schneewasser ist; ein Mann der durch die Stärke seiner
  Seele, durch Studieren und Fasten den Stachel der Natur stumpf
  gemacht hat; der die Bewegung der Sinne, und den Trieb der
  unordentlichen Lust nie gefühlt hat. Dieser, (um den Muthwillen
  und die Ausgelassenheit, die eine lange Zeit um die drohenden
  Geseze, wie Mäuse um Löwen, herumgeschwärmt, in Schreken zu sezen)
  hat ein Gesez hervorgesucht, unter dessen schwerem Inhalt eures
  Bruders Leben der Todesstraffe verfallen ist; er hat ihn also
  gefangen gesezt, und will durch Vollziehung der ganzen Strenge des
  Gesezes, ihn andern zu einem Beyspiel machen. Alle Hoffnung ist
  hin, wofern ihr nicht das Glük habt, durch eure schöne Fürbitte den
  Angelo zu rühren; und dieses ist, warum ich euch in euers Bruders
  Namen bitte.
  Isabella.
  Er will ihm das Leben nehmen, sagt ihr?
  Lucio.
  Er hat das Urtheil schon gesprochen, und der Kerkermeister hat, wie
  ich höre, schon den Befehl wegen der Hinrichtung.
  Isabella.
  Ach Himmel! Was kan ich ihm also helfen?
  Lucio.
  Versucht die Macht, die ihr habt.
  Isabella.
  Meine Macht? Ach! ich zweifle--
  Lucio.
  Unsre Zweifel sind Betrüger, und bringen uns oft um das Gute, das
  wir gewinnen könnten, durch die blosse Furcht vor dem Versuch.
  Geht zu dem Stadthalter, und laßt ihn erfahren lernen, was die
  Bitten, die gebognen Knie und die Thränen der Schönheit über einen
  Mann vermögen.
  Isabella.
  Ich will sehen was ich thun kan.
  Lucio.
  Aber beschleuniget euch.
  Isabella.
  Ich will nicht länger säumen, als um der würdigen Mutter Nachricht
  von meinem Geschäfte zu geben. Ich danke euch von Herzen; grüsset
  meinen Bruder: eh es Nacht ist, will ich ihm von meiner Ausrichtung
  Nachricht geben.
  Lucio.
  Ich beurlaube mich von euch, schöne Schwester--
  Isabella.
  Lebet wohl, mein gütiger Herr.
  (Sie gehen ab.)
  
  
  Zweyter Aufzug.
  
  Erste Scene.
  (Der Palast.)
  (Angelo, Escalus, ein Richter, Bediente.)
  
  Angelo.
  Wir müssen kein Schrek-Bild aus dem Gesez machen, das, die
  Raubvögel zu verscheuchen, aufgestellt wird; und ihm so lang
  einerley Gestalt lassen, bis die Gewohnheit macht, das sie sich
  darauf sezen, anstatt davor zu fliehen.
  Escalus.
  Auch ist mein Rath, nur in diesem Fall einige Nachsicht verwalten
  zu lassen. Ach! der junge Mann den ich retten wollte, hatte einen
  sehr edeln Vatter. Ich halte Euer Gnaden für einen Mann von
  strenger Tugend; aber möchtet ihr die Ueberlegung machen, ob ihr
  selbst, wenn Zeit und Gelegenheit euerm Wunsch oder dem Trieb des
  feurigen Blutes günstig gewesen wäre, ob ihr nicht selbst in
  gewissen Augenbliken euers Lebens, in eben diesem Punct, weßwegen
  ihr ihn strafen wollt, gefehlt und das Gesez wider euch gereizt
  hättet.
  Angelo.
  Ein anders ist, versucht werden, Escalus, ein anders, fallen. Ich
  läugne nicht, daß unter den zwölf Geschwornen, die über eines
  Gefangnen Leben sprechen sollen, einer oder zween seyn können, die
  noch grössere Diebe sind, als der den sie verhören. Die
  Gerechtigkeit straft nur die Verbrechen, die ihr bekannt sind. Was
  weiß das Gesez davon, daß Diebe über Diebe urtheilen? Es ist
  natürlich, daß wir bey einem Edelstein, den wir finden, still
  stehen und ihn aufheben, weil wir ihn sehen; aber wenn wir ihn
  nicht sehen, so treten wir auf ihn und denken nicht daran. Ihr
  könnt sein Vergehen dadurch nicht verringern, daß ihr voraussezt,
  ich habe auch solche Fehler machen können; aber dann, wenn ich, der
  ihn bestraft, mich würklich so vergehe, dann redet, und laßt mein
  eignes Urtheil mir den Tod zu erkennen. Mein Herr, er muß sterben!
  (Der Kerkermeister zu den Vorigen.)
  Escalus.
  So sey es, wie eure bessere Einsicht es will.
  Angelo.
  Wo ist der Kerkermeister?
  Kerkermeister.
  Hier, zu Euer Gnaden Befehl.
  Angelo.
  Sorget dafür, daß Claudio bis morgen um neun Uhr gerichtet werde.
  Bringt ihm seinen Beichtiger, laßt ihn vorbereitet werden; denn
  diese Zeit ist alles, was er noch zu leben hat.
  (Kerkermeister geht ab.)
  Escalus (vor sich.)
  Gut, der Himmel verzeihe ihm! und verzeih' uns allen! Einige
  steigen durch Sünde, andre fallen durch Tugend: Einige überwälzen
  sich in Lastern, und werden nur nicht zur Rede gestellet; andre
  müssen für einen einzigen Fehltritt die Straffe des grösten
  Verbrechens leiden.
  
  Zweyte Scene.
  (Ellbogen, Schaum, Harlequin und Gerichtsdiener.)
  
  Ellbogen.
  Kommt, führt sie her; wenn das nüzliche Leute im gemeinen Wesen
  sind, die nichts thun, als das Pflaster treten, und in H** Häusern
  herumschwärmen, so versteh ich nichts vom Gesez. Führt sie her.
  Angelo.
  Was giebts, mein Herr? Wie heißt ihr? Wovon ist die Rede?
  Ellbogen.
  Mit Euer Gnaden Erlaubniß, ich bin des armen Herzogs Policey-
  Aufseher in diesem Quartier, und mein Name ist Ellbogen. Ich
  appelliere an die Justiz, und bringe hier vor Euer Gnaden ein paar
  notorische Beneficanten.
  Angelo.
  Beneficanten? Was haben sie denn Gutes gethan? Du willt
  Maleficanten sagen, vermuthlich.
  Ellbogen.
  Euer Gnaden nehmen mir nicht übel, ich weiß nicht wer sie sind;
  aber ausgemachte Buben sind es, das weiß ich gewiß, und leer an
  aller Profanation, welche gute Christen haben sollten.
  Escalus.
  Das geht gut; das ist ein weiser Official.
  Angelo.
  Zur Sache; von was für einer Gattung Leute sind sie? Ellbogen
  heißt ihr? Warum redst du nicht, Ellbogen?
  Harlequin.
  Er kan nicht, Gnädiger Herr; er hat ein Loch im Ellbogen.
  Angelo.
  Wer seyd ihr, Monsieur?
  Ellbogen.
  Er? Ein Bierzapfer, Gnädiger Herr, ein Schlingel von einem H**
  Wirth, einer der bey einem übelberüchtigten Weibsbild in Diensten
  ist; dessen Haus, Gnädiger Herr, wie die Leute sagen, in den
  Vorstädten nieder gerissen worden ist. Izt hält sie ein Badhaus,
  welches, denk ich, wohl so gut oder nicht besser seyn wird, als ein
  H** Haus.
  Escalus.
  Woher wißt ihr das?
  Ellbogen.
  Mein Weib, Gnädiger Herr, die ich vorm Angesicht des Himmels und
  Euer Gnaden detestire--
  
  Escalus.
  Wie? dein Weib?
  Ellbogen.
  Ja, Gnädiger Herr, Gott sey Dank, sie ist ein ehrliches Weib--
  Escalus.
  Und darum detestirst du sie?
  Ellbogen.
  Ich sage Gnädiger Herr, ich detestire mich selbst sowohl als sie,
  daß dieses Haus, wenn es nicht ein H** Haus ist, so daurt mich ihr
  Leben, denn es ist ein schlimmes Haus.
  Escalus.
  Und woher weist du es denn?
  Ellbogen.
  Sapperment, Gnädiger Herr, von meinem Weib, die, wenn sie ein Weib
  wäre, das den cardinalischen* Lüsten nachhienge, in diesem Haus in
  Hurerey, Ehebruch, und alle Unreinigkeit hätte gerathen können.
  {ed.-* Es braucht kaum der Anmerkung, daß Ellbogen den Fehler hat,
  gerne lateinische Worte einzumengen, die er nicht recht ausspricht;
  er sagt detestiren für attestiren, cardinalisch für carnalisch.
  respectirt für suspect, u.s.w.}
  Escalus.
  Durch dieser Frauen Vorschub?
  Ellbogen.
  Ja, Gnädiger Herr, durch Frau Overdons Vorschub; aber sie spie ihm
  ins Gesicht, wie er sie--
  
  Harlequin.
  Mit Euer Gnaden Erlaubniß, es ist nicht so.
  Ellbogen.
  Beweis es, beweis es vor diesen Schurken, du Ehrenmann! beweis es.
  Escalus.
  Hört ihr, wie er sich verspricht?
  Harlequin.
  Gnädiger Herr, sie gieng mit dem Kind als sie in unser Haus kam,
  und hatte (mit Respect vor Euer Gnaden zu sagen) einen Gelust nach
  gebratnen Pflaumen; Gnädiger Herr, wir hatten nur zwey im Hause,
  und die lagen zu eben derselben Zeit, wie das begegnete, in einem
  Confect-Teller, einem Teller für drey oder vier Groschen; Euer
  
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