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Emilia Galotti - 1

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  EMILIA GALOTTI
  von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
  Personen:
  Emilia Galotti
  Odoardo und Claudia Galotti, Eltern der Emilia
  Hettore Gonzaga, Prinz von Guastalla
  Marinelli, Kammerherr des Prinzen
  Camillo Rota, einer von des Prinzen Räten
  Conti, Maler
  Graf Appiani
  Gräfin Orsina
  Angelo und einige Bediente
  
  
  Erster Aufzug
  Die Szene: ein Kabinett des Prinzen.
  
  Erster Auftritt
  Der Prinz (an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere,
  deren einige er durchläuft). Klagen, nichts als Klagen!
  Bittschriften, nichts als Bittschriften!--Die traurigen Geschäfte; und
  man beneidet uns noch!--Das glaub ich; wenn wir allen helfen könnten:
  dann wären wir zu beneiden.--Emilia? (Indem er noch eine von den
  Bittschriften aufschlägt und nach dem unterschriebenen Namen sieht.)
  Eine Emilia?--Aber eine Emilia Bruneschi--nicht Galotti. Nicht Emilia
  Galotti!--Was will sie, diese Emilia Bruneschi? (Er lieset.) Viel
  gefodert, sehr viel.--Doch sie heißt Emilia. Gewährt! (Er
  unterschreibt und klingelt, worauf ein Kammerdiener hereintritt.) Es
  ist wohl noch keiner von den Räten in dem Vorzimmer?
  
  Der Kammerdiener. Nein.
  Der Prinz. Ich habe zu früh Tag gemacht.--Der Morgen ist so schön.
  Ich will ausfahren. Marchese Marinelli soll mich begleiten. Laßt ihn
  rufen. (Der Kammerdiener geht ab.)--Ich kann doch nicht mehr arbeiten.
  --Ich war so ruhig, bild ich mir ein, so ruhig--Auf einmal muß eine
  arme Bruneschi Emilia heißen:--weg ist meine Ruhe, und alles!--Der
  Kammerdiener (welcher wieder hereintritt). Nach dem Marchese ist
  geschickt. Und hier, ein Brief von der Gräfin Orsina.
  Der Prinz. Der Orsina? Legt ihn hin.
  Der Kammerdiener. Ihr Läufer wartet.
  Der Prinz. Ich will die Antwort senden; wenn es einer bedarf.--Wo ist
  sie? In der Stadt? oder auf ihrer Villa?
  Der Kammerdiener. Sie ist gestern in die Stadt gekommen.
  Der Prinz. Desto schlimmer--besser, wollt' ich sagen. So braucht der
  Läufer um so weniger zu warten. (Der Kammerdiener geht ab.) Meine
  teure Gräfin! (Bitter, indem er den Brief in die Hand nimmt) So gut,
  als gelesen! (und ihn wieder wegwirft.)--Nun ja; ich habe sie zu
  lieben geglaubt! Was glaubt man nicht alles? Kann sein, ich habe sie
  auch wirklich geliebt. Aber--ich habe!
  Der Kammerdiener (der nochmals hereintritt). Der Maler Conti will die
  Gnade haben-Der Prinz. Conti? Recht wohl; laßt ihn hereinkommen.
  --Das wird mir andere Gedanken in den Kopf bringen. (Steht auf.)
  
  Zweiter Auftritt
  Conti. Der Prinz.
  
  Der Prinz. Guten Morgen, Conti. Wie leben Sie? Was macht die Kunst?
  Conti. Prinz, die Kunst geht nach Brot.
  Der Prinz. Das muß sie nicht; das soll sie nicht--in meinem kleinen
  Gebiete gewiß nicht.--Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.
  Conti. Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen
  kann ihn um den Namen Künstler bringen.
  Der Prinz. Ich meine nicht vieles, sondern viel; ein weniges, aber
  mit Fleiß.--Sie kommen doch nicht leer, Conti?
  Conti. Ich bringe das Porträt, welches Sie mir befohlen haben,
  gnädiger Herr. Und bringe noch eines, welches Sie mir nicht befohlen:
  aber weil es gesehen zu werden verdient.
  Der Prinz. Jenes ist?--Kann ich mich doch kaum erinnern.
  Conti. Die Gräfin Orsina.
  Der Prinz. Wahr!--Der Auftrag ist nur ein wenig von lange her.
  Conti. Unsere schönen Damen sind nicht alle Tage zum Malen. Die
  Gräfin hat, seit drei Monaten, gerade einmal sich entschließen können
  zu sitzen.
  Der Prinz. Wo sind die Stücke?
  Conti. In dem Vorzimmer, ich hole sie.
  
  Dritter Auftritt
  Der Prinz. Ihr Bild!--mag!--Ihr Bild, ist sie doch nicht selber.--Und
  vielleicht find ich in dem Bilde wieder, was ich in der Person nicht
  mehr erblicke.--Ich will es aber nicht wiederfinden.--Der
  beschwerliche Maler! Ich glaube gar, sie hat ihn bestochen.--Wär' es
  auch! Wenn ihr ein anderes Bild, das mit andern Farben, auf einen
  andern Grund gemalet ist--in meinem Herzen wieder Platz machen will:
  --Wahrlich, ich glaube, ich wär' es zufrieden. Als ich dort liebte,
  war ich immer so leicht, so fröhlich, so ausgelassen.--Nun bin ich von
  allem das Gegenteil.--Doch nein; nein, nein! Behäglicher oder nicht
  behäglicher: ich bin so besser.
  
  Vierter Auftritt
  Der Prinz. Conti mit den Gemälden, wovon er das eine verwandt gegen
  einen Stuhl lehnet.
  
  Conti (indem er das andere zurechtstellet). Ich bitte, Prinz, daß Sie
  die Schranken unserer Kunst erwägen wollen. Vieles von dem
  Anzüglichsten der Schönheit liegt ganz außer den Grenzen derselben.
  --Treten Sie so!
  Der Prinz (nach einer kurzen Betrachtung).
  Vortrefflich, Conti--ganz vortrefflich!--Das gilt Ihrer Kunst, Ihrem
  Pinsel.--Aber geschmeichelt, Conti; ganz unendlich geschmeichelt!
  Conti. Das Original schien dieser Meinung nicht zu sein. Auch ist es
  in der Tat nicht mehr geschmeichelt, als die Kunst schmeicheln muß.
  Die Kunst muß malen, wie sich die plastische Natur--wenn es eine
  gibt--das Bild dachte: ohne den Abfall, welchen der widerstrebende
  Stoff unvermeidlich macht; ohne den Verderb, mit welchem die Zeit
  dagegen ankämpfet.
  Der Prinz. Der denkende Künstler ist noch eins soviel wert.--Aber das
  Original, sagen Sie, fand demungeachtet.
  Conti. Verzeihen Sie, Prinz.
  Das Original ist eine Person, die meine Ehrerbietung fodert. Ich habe
  nichts Nachteiliges von ihr äußern wollen.
  Der Prinz. Soviel als Ihnen beliebt!--Und was sagte das Original?
  Conti. Ich bin zufrieden, sagte die Gräfin, wenn ich nicht häßlicher
  aussehe.
  Der Prinz. Nicht häßlicher?--O das wahre Original!
  Conti. Und mit einer Miene sagte sie das--von der freilich dieses ihr
  Bild keine Spur, keinen Verdacht zeiget.
  Der Prinz. Das meint' ich ja; das ist es eben, worin ich die
  unendliche Schmeichelei finde.--Oh! ich kenne sie, jene stolze,
  höhnische Miene, die auch das Gesicht einer Grazie entstellen würde!
  --Ich leugne nicht, daß ein schöner Mund, der sich ein wenig spöttisch
  verziehet, nicht selten um so viel schöner ist. Aber, wohl gemerkt,
  ein wenig: die Verziehung muß nicht bis zur Grimasse gehen, wie bei
  dieser Gräfin. Und Augen müssen über den wollüstigen Spötter die
  Aufsicht führen--Augen, wie sie die gute Gräfin nun gerade gar nicht
  hat. Auch nicht einmal hier im Bilde hat.
  Conti. Gnädiger Herr, ich bin äußerst betroffen.
  Der Prinz. Und worüber? Alles, was die Kunst aus den großen,
  hervorragenden, stieren, starren Medusenaugen der Gräfin Gutes machen
  kann, das haben Sie, Conti, redlich daraus gemacht.--Redlich, sag ich?
  --Nicht so redlich, wäre redlicher. Denn sagen Sie selbst, Conti,
  läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen?
  Und das sollte doch. Stolz haben Sie in Würde, Hohn in Lächeln,
  Ansatz zu trübsinniger Schwärmerei in sanfte Schwermut verwandelt.
  Conti (etwas ärgerlich). Ah, mein Prinz--wir Maler rechnen darauf,
  daß das fertige Bild den Liebhaber noch ebenso warm findet, als warm
  er es bestellte. Wir malen mit Augen der Liebe: und Augen der Liebe
  müßten uns auch nur beurteilen.
  Der Prinz. Je nun, Conti--warum kamen Sie nicht einen Monat früher
  damit?--Setzen Sie weg.--Was ist das andere Stück?
  Conti (indem er es holt und noch verkehrt in der Hand hält). Auch ein
  weibliches Porträt.
  Der Prinz. So möcht' ich es bald--lieber gar nicht sehen. Denn dem
  Ideal hier (mit dem Finger auf die Stirne)--oder vielmehr hier (mit
  dem Finger auf das Herz) kömmt es doch nicht bei.--Ich wünschte, Conti,
  Ihre Kunst in andern Vorwürfen zu bewundern.
  Conti. Eine bewundernswürdigere Kunst gibt es, aber sicherlich keinen
  bewundernswürdigern Gegenstand als diesen.
  Der Prinz. So wett ich, Conti, daß es des Künstlers eigene Gebieterin
  ist.--(Indem der Maler das Bild umwendet.) Was seh ich? Ihr Werk,
  Conti? oder das Werk meiner Phantasie?--Emilia Galotti!
  Conti. Wie, mein Prinz? Sie kennen diesen Engel?
  Der Prinz (indem er sich zu fassen sucht, aber ohne ein Auge von dem
  Bilde zu verwenden). So halb!--um sie eben wiederzukennen.--Es ist
  einige Wochen her, als ich sie mit ihrer Mutter in einer Vegghia traf.
  --Nachher ist sie mir nur an heiligen Stätten wieder vorgekommen--wo
  das Angaffen sich weniger ziemet.--Auch kenn ich ihren Vater. Er ist
  mein Freund nicht. Er war es, der sich meinen Ansprüchen auf
  Sabionetta am meisten widersetzte.--Ein alter Degen, stolz und rauh,
  sonst bieder und gut!
  Conti. Der Vater! Aber hier haben wir seine Tochter.
  Der Prinz. Bei Gott! wie aus dem Spiegel gestohlen! (Noch immer die
  Augen auf das Bild geheftet.) Oh, Sie wissen es ja wohl, Conti, daß
  man den Künstler dann erst recht lobt, wenn man über sein Werk sein
  Lob vergißt.
  Conti. Gleichwohl hat mich dieses noch sehr unzufrieden mit mir
  gelassen.--Und doch bin ich wiederum sehr zufrieden mit meiner
  Unzufriedenheit mit mir selbst.--Ha! daß wir nicht unmittelbar mit den
  Augen malen! Auf dem langen Wege, aus dem Auge durch den Arm in den
  Pinsel, wieviel geht da verloren!--Aber, wie ich sage, daß ich es weiß,
  was hier verlorengegangen und wie es verlorengegangen und warum es
  verlorengehen müssen: darauf bin ich ebenso stolz und stolzer, als ich
  auf alles das bin, was ich nicht verlorengehen lassen. Denn aus jenem
  erkenne ich, mehr als aus diesem, daß ich wirklich ein großer Maler
  bin, daß es aber meine Hand nur nicht immer ist.--Oder meinen Sie,
  Prinz, daß Raffael nicht das größte malerische Genie gewesen wäre,
  wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden? Meinen Sie,
  Prinz?
  Der Prinz (indem er nur eben von dem Bilde wegblickt). Was sagen Sie,
  Conti? Was wollen Sie wissen?
  Conti. O nichts, nichts!--Plauderei! Ihre Seele, merk ich, war ganz
  in Ihren Augen. Ich liebe solche Seelen und solche Augen.
  Der Prinz (mit einer erzwungenen Kälte). Also, Conti, rechnen Sie
  doch wirklich Emilia Galotti mit zu den vorzüglichsten Schönheiten
  unserer Stadt?
  Conti. Also? mit? mit zu den vorzüglichsten? und den vorzüglichsten
  unserer Stadt?--Sie spotten meiner, Prinz. Oder Sie sahen die ganze
  Zeit ebensowenig, als Sie hörten.
  Der Prinz. Lieber Conti--(die Augen wieder auf das Bild gerichtet,)
  wie darf unsereiner seinen Augen trauen? Eigentlich weiß doch nur
  allein ein Maler von der Schönheit zu urteilen.
  Conti. Und eines jeden Empfindung sollte erst auf den Ausspruch eines
  Malers warten?--Ins Kloster mit dem, der es von uns lernen will, was
  schön ist! Aber das muß ich Ihnen doch als Maler sagen, mein Prinz:
  eine von den größten Glückseligkeiten meines Lebens ist es, daß Emilia
  Galotti mir gesessen. Dieser Kopf, dieses Antlitz, diese Stirne,
  diese Augen, diese Nase, dieser Mund, dieses Kinn, dieser Hals, diese
  Brust, dieser Wuchs, dieser ganze Bau, sind, von der Zeit an, mein
  einziges Studium der weiblichen Schönheit.--Die Schilderei selbst,
  wovor sie gesessen, hat ihr abwesender Vater bekommen. Aber diese
  Kopie.
  Der Prinz (der sich schnell gegen ihn kehret). Nun, Conti? ist
  doch nicht schon versagt?
  Conti. Ist für Sie, Prinz, wenn Sie Geschmack daran finden.
  Der Prinz. Geschmack!--(Lächelnd.) Dieses Ihr Studium der weiblichen
  Schönheit, Conti, wie könnt' ich besser tun, als es auch zu dem
  meinigen zu machen?--Dort, jenes Porträt nehmen Sie nur wieder
  mit--einen Rahmen darum zu bestellen.
  Conti. Wohl!
  Der Prinz. So schön, so reich, als ihn der Schnitzer nur machen kann.
  Es soll in der Galerie aufgestellet werden.--Aber dieses bleibt hier.
  Mit einem Studio macht man soviel Umstände nicht: auch läßt man das
  nicht aufhängen, sondern hat es gern bei der Hand.--Ich danke Ihnen,
  Conti; ich danke Ihnen recht sehr.--Und wie gesagt: in meinem Gebiete
  soll die Kunst nicht nach Brot gehen--bis ich selbst keines habe.
  --Schicken Sie, Conti, zu meinem Schatzmeister, und lassen Sie, auf
  Ihre Quittung, für beide Porträte sich bezahlen--was Sie wollen.
  Soviel Sie wollen, Conti.
  Conti. Sollte ich doch nun bald fürchten, Prinz, daß Sie so noch
  etwas anders belohnen wollen als die Kunst.
  Der Prinz. O des eifersüchtigen Künstlers! Nicht doch!--Hören Sie,
  Conti; soviel Sie wollen. (Conti geht ab.)
  
  Fünfter Auftritt
  Der Prinz. Soviel er will!--(Gegen das Bild.) Dich hab ich für jeden
  Preis noch zu wohlfeil.--Ah! schönes Werk der Kunst, ist es wahr, daß
  ich dich besitze?--Wer dich auch besäße, schönres Meisterstück der
  Natur!--Was Sie dafür wollen, ehrliche Mutter! Was du willst, alter
  Murrkopf! Fodre nur! Fodert nur!--Am liebsten kauft' ich dich,
  Zauberin, von dir selbst!--Dieses Auge voll Liebreiz und
  Bescheidenheit! Dieser Mund!--Und wenn er sich zum Reden öffnet! wenn
  er lächelt! Dieser Mund!--Ich höre kommen.--Noch bin ich mit dir zu
  neidisch. (Indem er das Bild gegen die Wand drehet.) Es wird
  Marinelli sein. Hätt' ich ihn doch nicht rufen lassen! Was für einen
  Morgen könnt' ich haben!
  
  Sechster Auftritt
  Marinelli. Der Prinz.
  
  Marinelli. Gnädiger Herr, Sie werden verzeihen.--Ich war mir eines so
  frühen Befehls nicht gewärtig.
  Der Prinz. Ich bekam Lust, auszufahren. Der Morgen war so schön.
  --Aber nun ist er ja wohl verstrichen; und die Lust ist mir vergangen.
  --(Nach einem kurzen Stillschweigen.) Was haben wir Neues, Marinelli?
  Marinelli. Nichts von Belang, das ich wüßte.--Die Gräfin Orsina ist
  gestern zur Stadt gekommen.
  Der Prinz. Hier liegt auch schon ihr guter Morgen (auf ihren Brief
  zeigend) oder was es sonst sein mag! Ich bin gar nicht neugierig
  darauf.--Sie haben sie gesprochen?
  Marinelli. Bin ich, leider, nicht ihr Vertrauter?--Aber, wenn ich es
  wieder von einer Dame werde, der es einkömmt, Sie in gutem Ernste zu
  lieben, Prinz: so.
  Der Prinz. Nichts verschworen, Marinelli!
  Marinelli. Ja? In der Tat, Prinz? Könnt' es doch kommen?--Oh! so
  mag die Gräfin auch so unrecht nicht haben.
  Der Prinz. Allerdings, sehr unrecht!--Meine nahe Vermählung mit der
  Prinzessin von Massa will durchaus, daß ich alle dergleichen Händel
  fürs erste abbreche.
  Marinelli. Wenn es nur das wäre: so müßte freilich Orsina sich in ihr
  Schicksal ebensowohl zu finden wissen als der Prinz in seines.
  Der Prinz. Das unstreitig härter ist als ihres. Mein Herz wird das
  Opfer eines elenden Staatsinteresse. Ihres darf sie nur zurücknehmen,
  aber nicht wider Willen verschenken.
  Marinelli. Zurücknehmen? Warum zurücknehmen? fragt die Gräfin: wenn
  es weiter nichts als eine Gemahlin ist, die dem Prinzen nicht die
  Liebe, sondern die Politik zuführet? Neben so einer Gemahlin sieht
  die Geliebte noch immer ihren Platz. Nicht so einer Gemahlin fürchtet
  sie aufgeopfert zu sein, sondern.
  Der Prinz. Einer neuen Geliebten. --Nun denn? Wollten Sie mir daraus
  ein Verbrechen machen, Marinelli?
  Marinelli. Ich?--Oh! vermengen Sie mich ja nicht, mein Prinz, mit der
  Närrin, deren Wort ich führe--aus Mitleid führe. Denn gestern,
  wahrlich, hat sie mich sonderbar gerühret. Sie wollte von ihrer
  Angelegenheit mit Ihnen gar nicht sprechen. Sie wollte sich ganz
  gelassen und kalt stellen. Aber mitten in dem gleichgültigsten
  Gespräche entfuhr ihr eine Wendung, eine Beziehung über die andere,
  die ihr gefoltertes Herz verriet. Mit dem lustigsten Wesen sagte sie
  die melancholischsten Dinge: und wiederum die lächerlichsten Possen
  mit der allertraurigsten Miene. Sie hat zu den Büchern ihre Zuflucht
  genommen; und ich fürchte, die werden ihr den Rest geben.
  Der Prinz. So wie sie ihrem armen Verstande auch den ersten Stoß
  gegeben.--Aber was mich vornehmlich mit von ihr entfernt hat, das
  wollen Sie doch nicht brauchen, Marinelli, mich wieder zu ihr
  zurückzubringen?--Wenn sie aus Liebe närrisch wird, so wäre sie es,
  früher oder später, auch ohne Liebe geworden--Und nun, genug von ihr.
  --Von etwas andern!--Geht denn gar nichts vor in der Stadt?
  Marinelli.
  So gut wie gar nichts.--Denn daß die Verbindung des Grafen Appiani
  heute vollzogen wird--ist nicht viel mehr als gar nichts.
  Der Prinz. Des Grafen Appiani? und mit wem denn?--Ich soll ja noch
  hören, daß er versprochen ist.
  Marinelli. Die Sache ist sehr geheimgehalten worden. Auch war nicht
  viel Aufhebens davon zu machen.--Sie werden lachen, Prinz.--Aber so
  geht es den Empfindsamen! Die Liebe spielet ihnen immer die
  schlimmsten Streiche. Ein Mädchen ohne Vermögen und ohne Rang hat ihn
  in ihre Schlinge zu ziehen gewußt--mit ein wenig Larve, aber mit
  vielem Prunke von Tugend und Gefühl und Witz--und was weiß ich?
  Der Prinz. Wer sich den Eindrücken, die Unschuld und Schönheit auf
  ihn machen, ohne weitere Rücksicht, so ganz überlassen darf--ich
  dächte, der wäre eher zu beneiden als zu belachen.--Und wie heißt denn
  die Glückliche? Denn bei alledem ist Appiani--ich weiß wohl, daß Sie,
  Marinelli, ihn nicht leiden können; ebensowenig als er Sie--, bei
  alledem ist er doch ein sehr würdiger junger Mann, ein schöner Mann,
  ein reicher Mann, ein Mann voller Ehre. Ich hätte sehr gewünscht, ihn
  mir verbinden zu können. Ich werde noch darauf denken.
  Marinelli. Wenn es nicht zu spät ist.--Denn soviel ich höre, ist sein
  Plan gar nicht, bei Hofe sein Glück zu machen.--Er will mit seiner
  Gebieterin nach seinen Tälern von Piemont--Gemsen zu jagen, auf den
  Alpen, und Murmeltiere abzurichten.--Was kann er Besseres tun? Hier
  ist es durch das Mißbündnis, welches er trifft, mit ihm doch aus. Der
  Zirkel der ersten Häuser ist ihm von nun an verschlossen.
  Der Prinz. Mit euren ersten Häusern!--in welchen das Zeremoniell, der
  Zwang, die Langeweile und nicht selten die Dürftigkeit herrschet.--Aber
  so nennen Sie mir sie doch, der er dieses so große Opfer bringt.
  Marinelli. Es ist eine gewisse Emilia Galotti.
  Der Prinz. Wie, Marinelli? eine gewisse.
  Marinelli. Emilia Galotti.
  Der Prinz. Emilia Galotti?--Nimmermehr!
  Marinelli. Zuverlässig, gnädiger Herr.
  Der Prinz. Nein, sag ich; das ist nicht, das kann nicht sein.--Sie
  irren sich in dem Namen.--Das Geschlecht der Galotti ist groß.--Eine
  Galotti kann es sein: aber nicht Emilia Galotti, nicht Emilia!
  Marinelli. Emilia--Emilia Galotti!
  Der Prinz. So gibt es noch eine, die beide Namen führt.--Sie sagten
  ohnedem, eine gewisse Emilia Galotti--eine gewisse. Von der rechten
  kann nur ein Narr so sprechen.
  Marinelli. Sie sind außer sich,
  gnädiger Herr.--Kennen Sie denn diese Emilia?
  Der Prinz. Ich habe zu fragen, Marinelli, nicht Er.--Emilia Galotti?
  Die Tochter des Obersten Galotti, bei Sabionetta?
  Marinelli. Ebendie.
  Der Prinz. Die hier in Guastalla mit ihrer Mutter wohnet?
  Marinelli. Ebendie.
  Der Prinz. Unfern der Kirche Allerheiligen?
  Marinelli. Ebendie.
  Der Prinz. Mit einem Worte--(Indem er nach dem Porträte springt und
  es dem Marinelli in die Hand gibt.) Da!--Diese? Diese Emilia
  Galotti?--Sprich dein verdammtes "Ebendie" noch einmal und stoß mir
  den Dolch ins Herz!
  Marinelli. Ebendie!
  Der Prinz. Henker!--Diese?--Diese Emilia Galotti wird heute.
  Marinelli.
  Gräfin Appiani!--(Hier reißt der Prinz dem Marinelli das Bild wieder
  aus der Hand und wirft es beiseite.) Die Trauung geschiehet in der
  Stille, auf dem Landgute des Vaters bei Sabionetta. Gegen Mittag
  fahren Mutter und Tochter, der Graf und vielleicht ein paar Freunde
  dahin ab.
  Der Prinz (der sich voll Verzweiflung in einen Stuhl wirft). So bin
  ich verloren!--So will ich nicht leben!
  Marinelli. Aber was ist Ihnen, gnädiger Herr?
  Der Prinz (der gegen ihn wieder aufspringt). Verräter!--was mir
  ist?--Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an. Mögt ihr es doch wissen!
  Mögt ihr es doch längst gewußt haben, alle ihr, denen ich der tollen
  Orsina schimpfliche Fesseln lieber ewig tragen sollte!--Nur daß Sie,
  Marinelli, der Sie so oft mich Ihrer innigsten Freundschaft
  versicherten--O ein Fürst hat keinen Freund! kann keinen Freund haben!
  --, daß Sie, Sie, so treulos, so hämisch mir bis auf diesen Augenblick
  die Gefahr verhehlen dürfen, die meiner Liebe drohte: wenn ich Ihnen
  jemals das vergebe--so werde mir meiner Sünden keine vergeben!
  Marinelli. Ich weiß kaum Worte zu finden, Prinz--wenn Sie mich auch
  dazu kommen ließen--, Ihnen mein Erstaunen zu bezeigen.--Sie lieben
  Emilia Galotti!--Schwur dann gegen Schwur: Wenn ich von dieser Liebe
  das geringste gewußt, das geringste vermutet habe, so möge weder Engel
  noch Heiliger von mir wissen!--Ebendas wollt' ich in die Seele der
  Orsina schwören. Ihr Verdacht schweift auf einer ganz andern Fährte.
  Der Prinz. So verzeihen Sie mir, Marinelli--(indem er sich ihm in die
  Arme wirft) und bedaueren Sie mich.
  Marinelli. Nun da, Prinz! Erkennen Sie da die Frucht Ihrer
  Zurückhaltung!--"Fürsten haben keinen Freund! können keinen Freund
  haben!"--Und die Ursache, wenn dem so ist?--Weil sie keinen haben
  wollen.--Heute beehren sie uns mit ihrem Vertrauen, teilen uns ihre
  geheimsten Wünsche mit, schließen uns ihre ganze Seele auf: und morgen
  sind wir ihnen wieder so fremd, als hätten sie nie ein Wort mit uns
  gewechselt.
  Der Prinz. Ah! Marinelli, wie konnt' ich Ihnen vertrauen, was ich
  mir selbst kaum gestehen wollte?
  Marinelli. Und also wohl noch weniger der Urheberin Ihrer Qual
  gestanden haben?
  Der Prinz. Ihr?--Alle meine Mühe ist vergebens gewesen, sie ein
  zweites Mal zu sprechen.
  Marinelli. Und das erstemal.
  Der Prinz.
  Sprach ich sie--Oh, ich komme von Sinnen! Und ich soll Ihnen noch
  lange erzählen?--Sie sehen mich einen Raub der Wellen: was fragen Sie
  viel, wie ich es geworden? Retten Sie mich, wenn Sie können: und
  fragen Sie dann.
  Marinelli. Retten? ist da viel zu retten?--Was Sie versäumt haben,
  gnädiger Herr, der Emilia Galotti zu bekennen, das bekennen Sie nun
  der Gräfin Appiani. Waren, die man aus der ersten Hand nicht haben
  kann, kauft man aus der zweiten:--und solche Waren nicht selten aus
  der zweiten um so viel wohlfeiler.
  Der Prinz. Ernsthaft, Marinelli, ernsthaft, oder--
  Marinelli. Freilich, auch um so viel schlechter.
  Der Prinz. Sie werden unverschämt!
  Marinelli. Und dazu will der Graf damit aus dem Lande.--Ja, so müßte
  man auf etwas anders denken.
  Der Prinz. Und auf was?--Liebster, bester Marinelli, denken Sie für
  mich. Was würden Sie tun, wenn Sie
  an meiner Stelle wären?
  Marinelli. Vor allen Dingen eine Kleinigkeit als eine Kleinigkeit
  ansehen--und mir sagen, daß ich nicht vergebens sein wolle, was ich
  bin--Herr!
  Der Prinz. Schmeicheln Sie mir nicht mit einer Gewalt, von der ich
  hier keinen Gebrauch absehe.--Heute, sagen Sie? schon heute?
  Marinelli. Erst heute--soll es geschehen. Und nur geschehenen Dingen
  ist nicht zu raten.--(Nach einer kurzen Überlegung.) Wollen Sie mir
  freie Hand lassen, Prinz? Wollen Sie alles genehmigen, was ich tue?
  Der Prinz. Alles, Marinelli, alles, was diesen Streich abwenden kann.
  Marinelli. So lassen Sie uns keine Zeit verlieren.--Aber bleiben Sie
  nicht in der Stadt. Fahren Sie sogleich nach Ihrem Lustschlosse, nach
  Dosalo. Der Weg nach Sabionetta geht da vorbei. Wenn es mir nicht
  gelingt, den Grafen augenblicklich zu entfernen: so denk ich--Doch,
  doch; ich glaube, er geht in diese Falle gewiß. Sie wollen, Prinz,
  wegen Ihrer Vermählung einen Gesandten nach Massa schicken? Lassen
  Sie den Grafen dieser Gesandte sein; mit dem Bedinge, daß er noch
  heute abreiset.--Verstehen Sie?
  Der Prinz. Vortrefflich!--Bringen Sie ihn zu mir heraus. Gehen Sie,
  eilen Sie. Ich werfe mich sogleich in den Wagen. (Marinelli geht ab.)
  
  Siebenter Auftritt
  Der Prinz. Sogleich! sogleich!--Wo blieb es?--(Sich nach dem Porträte
  umsehend.) Auf der Erde? das war zu arg! (Indem er es aufhebt.) Doch
  betrachten? betrachten mag ich dich fürs erste nicht mehr.--Warum
  sollt' ich mir den Pfeil noch tiefer in die Wunde drücken? (Setzt es
  beiseite)--Geschmachtet, geseufzet hab ich lange genug--länger als ich
  gesollt hätte: aber nichts getan! und über die zärtliche Untätigkeit
  bei einem Haar alles verloren!--Und wenn nun doch alles verloren wäre?
  Wenn Marinelli nichts ausrichtete?--Warum will ich mich auch auf ihn
  allein verlassen? Es fällt mir ein--um diese Stunde (nach der Uhr
  sehend), um diese nämliche Stunde pflegt das fromme Mädchen alle
  Morgen bei den Dominikanern die Messe zu hören.--Wie, wenn ich sie da
  zu sprechen suchte?--Doch heute, heut an ihrem Hochzeittage--heute
  werden ihr andere Dinge am Herzen liegen als die Messe.--Indes, wer
  weiß?--Es ist ein Gang.--(Er klingelt, und indem er einige von den
  Papieren auf dem Tische hastig zusammenrafft, tritt der Kammerdiener
  herein.) Laßt vorfahren!--Ist noch keiner von den Räten da?
  
  Der Kammerdiener. Camillo Rota.
  Der Prinz. Er soll hereinkommen. (Der Kammerdiener geht ab.) Nur
  aufhalten muß er mich nicht wollen. Dasmal nicht!--Ich stehe gern
  seinen Bedenklichkeiten ein andermal um so viel länger zu Diensten.
  --Da war ja noch die Bittschrift einer Emilia Bruneschi.--(Sie suchend.)
  Die ist's.--Aber, gute Bruneschi, wo deine Vorsprecherin Achter
  Auftritt
  Camillo Rota, Schriften in der Hand. Der Prinz.
  Der Prinz. Kommen Sie, Rota, kommen Sie.--Hier ist, was ich diesen
  Morgen erbrochen. Nicht viel Tröstliches!--Sie werden von selbst
  sehen, was darauf zu verfügen.--Nehmen Sie nur.
  Camillo Rota. Gut, gnädiger Herr.
  Der Prinz. Noch ist hier eine Bittschrift einer Emilia Galot..
  Bruneschi will ich sagen.--Ich habe meine Bewilligung zwar schon
  beigeschrieben. Aber doch--die Sache ist keine Kleinigkeit.--Lassen
  Sie die Ausfertigung noch anstehen.--Oder auch nicht anstehen: wie
  Sie wollen.
  Camillo Rota. Nicht wie ich will, gnädiger Herr.
  Der Prinz. Was ist sonst? Etwas zu unterschreiben?
  Camillo Rota. Ein Todesurteil wäre zu unterschreiben.
  Der Prinz. Recht gern.--Nur her! geschwind.
  Camillo Rota (stutzig und den Prinzen starr ansehend). Ein
  Todesurteil--sagt' ich.
  Der Prinz. Ich höre ja wohl.--Es könnte schon geschehen sein. Ich
  bin eilig.
  Camillo Rota (seine Schriften nachsehend). Nun hab ich es doch wohl
  nicht mitgenommen!--Verzeihen Sie, gnädiger Herr.--Es kann Anstand
  damit haben bis morgen.
  Der Prinz. Auch das!--Packen Sie nur zusammen; ich muß fort--Morgen,
  Rota, ein Mehres! (Geht ab.)
  Camillo Rota (den Kopf schüttelnd, indem er die Papiere zu sich nimmt
  und abgeht). Recht gern?--Ein Todesurteil recht gern?--Ich hätt' es
  ihn in diesem Augenblicke nicht mögen unterschreiben lassen, und wenn
  es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte.--Recht gern!
  Recht gern!--Es geht mir durch die Seele dieses gräßliche Recht gern!
  
  
  Zweiter Aufzug
  Die Szene: ein Saal in dem Hause der Galotti.
  
  Erster Auftritt
  Claudia Galotti. Pirro.
  
  Claudia (im Heraustreten zu Pirro, der von der andern Seite
  hereintritt). Wer sprengte da in den Hof?
  Pirro. Unser Herr, gnädige Frau.
  Claudia. Mein Gemahl? Ist es möglich?
  Pirro. Er folgt mir auf dem Fuße.
  Claudia. So unvermutet?--(Ihm entgegeneilend.) Ach! mein Bester!
  
  Zweiter Auftritt
  Odoardo Galotti und die Vorigen.
  
  Odoardo. Guten Morgen, meine Liebe!--Nicht wahr, das heißt
  überraschen?
  Claudia. Und auf die angenehmste Art!--Wenn es anders
  nur eine Überraschung sein soll.
  Odoardo. Nichts weiter! Sei unbesorgt.--Das Glück des heutigen Tages
  weckte mich so früh; der Morgen war so schön; der Weg ist so kurz; ich
  vermutete euch hier so geschäftig--Wie leicht vergessen sie etwas,
  fiel mir ein.--Mit einem Worte: ich komme, und sehe, und kehre
  sogleich wieder zurück.--Wo ist Emilia? Unstreitig beschäftigt mit
  dem Putze?
  Claudia. Ihrer Seele!--Sie ist in der Messe.--"Ich habe
  heute, mehr als jeden andern Tag, Gnade von oben zu erflehen", sagte
  sie und ließ alles liegen und nahm ihren Schleier und eilte.
  Odoardo.
  Ganz allein?
  Claudia. Die wenigen Schritte
  Odoardo. Einer ist genug zu einem Fehltritt!
  Claudia. Zürnen Sie nicht, mein Bester; und kommen Sie
  herein--einen Augenblick auszuruhen und, wann Sie wollen, eine
  Erfrischung zu nehmen.
  
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