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Ein Hungerkünstler

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  EIN HUNGERKÜNSTLER
   Erzählung von
   FRANZ KAFKA
  
  In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an Hungerkünstlern sehr
  zurückgegangen. Während es sich früher gut lohnte, große derartige
  Vorführungen in eigener Regie zu veranstalten, ist dies heute völlig
  unmöglich. Es waren andere Zeiten. Damals beschäftigte sich die ganze
  Stadt mit dem Hungerkünstler; von Hungertag zu Hungertag stieg die
  Teilnahme; jeder wollte den Hungerkünstler zumindest einmal täglich
  sehn; an den spätern Tagen gab es Abonnenten, welche tagelang vor dem
  kleinen Gitterkäfig saßen; auch in der Nacht fanden Besichtigungen
  statt, zur Erhöhung der Wirkung bei Fackelschein; an schönen Tagen wurde
  der Käfig ins Freie getragen, und nun waren es besonders die Kinder,
  denen der Hungerkünstler gezeigt wurde; während er für die Erwachsenen
  oft nur ein Spaß war, an dem sie der Mode halber teilnahmen, sahen die
  Kinder staunend, mit offenem Mund, der Sicherheit halber einander bei
  der Hand haltend, zu, wie er bleich, im schwarzen Trikot, mit mächtig
  vortretenden Rippen, sogar einen Sessel verschmähend, auf hingestreutem
  Stroh saß, einmal höflich nickend, angestrengt lächelnd Fragen
  beantwortete, auch durch das Gitter den Arm streckte, um seine
  Magerkeit befühlen zu lassen, dann aber wieder ganz in sich selbst
  versank, um niemanden sich kümmerte, nicht einmal um den für ihn so
  wichtigen Schlag der Uhr, die das einzige Möbelstück des Käfigs war,
  sondern nur vor sich hinsah mit fast geschlossenen Augen und hie und da
  aus einem winzigen Gläschen Wasser nippte, um sich die Lippen zu
  feuchten.
  Außer den wechselnden Zuschauern waren auch ständige, vom Publikum
  gewählte Wächter da, merkwürdigerweise gewöhnlich Fleischhauer,
  welche, immer drei gleichzeitig, die Aufgabe hatten, Tag und Nacht
  den Hungerkünstler zu beobachten, damit er nicht etwa auf irgendeine
  heimliche Weise doch Nahrung zu sich nehme. Es war das aber lediglich
  eine Formalität, eingeführt zur Beruhigung der Massen, denn die
  Eingeweihten wußten wohl, daß der Hungerkünstler während der Hungerzeit
  niemals, unter keinen Umständen, selbst unter Zwang nicht, auch das
  Geringste nur gegessen hätte; die Ehre seiner Kunst verbot dies.
  Freilich, nicht jeder Wächter konnte das begreifen, es fanden sich
  manchmal nächtliche Wachgruppen, welche die Bewachung sehr lax
  durchführten, absichtlich in eine ferne Ecke sich zusammensetzten und
  dort sich ins Kartenspiel vertieften, in der offenbaren Absicht, dem
  Hungerkünstler eine kleine Erfrischung zu gönnen, die er ihrer Meinung
  nach aus irgendwelchen geheimen Vorräten hervorholen konnte. Nichts
  war dem Hungerkünstler quälender als solche Wächter; sie machten ihn
  trübselig; sie machten ihm das Hungern entsetzlich schwer; manchmal
  überwand er seine Schwäche und sang während dieser Wachzeit, solange
  er es nur aushielt, um den Leuten zu zeigen, wie ungerecht sie ihn
  verdächtigten. Doch half das wenig; sie wunderten sich dann nur über
  seine Geschicklichkeit, selbst während des Singens zu essen. Viel lieber
  waren ihm die Wächter, welche sich eng zum Gitter setzten, mit der
  trüben Nachtbeleuchtung des Saales sich nicht begnügten, sondern ihn mit
  den elektrischen Taschenlampen bestrahlten, die ihnen der Impresario
  zur Verfügung stellte. Das grelle Licht störte ihn gar nicht, schlafen
  konnte er ja überhaupt nicht und ein wenig hindämmern konnte er immer,
  bei jeder Beleuchtung und zu jeder Stunde, auch im übervollen, lärmenden
  Saal. Er war sehr gerne bereit, mit solchen Wächtern die Nacht gänzlich
  ohne Schlaf zu verbringen; er war bereit, mit ihnen zu scherzen, ihnen
  Geschichten aus seinem Wanderleben zu erzählen, dann wieder ihre
  Erzählungen anzuhören, alles nur um sie wachzuhalten, um ihnen immer
  wieder zeigen zu können, daß er nichts Eßbares im Käfig hatte und daß
  er hungerte, wie keiner von ihnen es könnte. Am glücklichsten aber war
  er, wenn dann der Morgen kam, und ihnen auf seine Rechnung ein
  überreiches Frühstück gebracht wurde, auf das sie sich warfen mit dem
  Appetit gesunder Männer nach einer mühevoll durchwachten Nacht. Es
  gab zwar sogar Leute, die in diesem Frühstück eine ungebührliche
  Beeinflussung der Wächter sehen wollten, aber das ging doch zu weit, und
  wenn man sie fragte, ob etwa sie nur um der Sache willen ohne Frühstück
  die Nachtwache übernehmen wollten, verzogen sie sich, aber bei ihren
  Verdächtigungen blieben sie dennoch.
  Dieses allerdings gehörte schon zu den vom Hungern überhaupt nicht zu
  trennenden Verdächtigungen. Niemand war ja imstande, alle die Tage und
  Nächte beim Hungerkünstler ununterbrochen als Wächter zu verbringen,
  niemand also konnte aus eigener Anschauung wissen, ob wirklich
  ununterbrochen, fehlerlos gehungert worden war; nur der Hungerkünstler
  selbst konnte das wissen, nur er also gleichzeitig der von seinem
  Hungern vollkommen befriedigte Zuschauer sein. Er aber war wieder aus
  einem andern Grunde niemals befriedigt; vielleicht war er gar nicht
  vom Hungern so sehr abgemagert, daß manche zu ihrem Bedauern den
  Vorführungen fern bleiben mußten, weil sie seinen Anblick nicht
  ertrugen, sondern er war nur so abgemagert aus Unzufriedenheit mit sich
  selbst. Er allein nämlich wußte, auch kein Eingeweihter sonst wußte das,
  wie leicht das Hungern war. Es war die leichteste Sache von der Welt.
  Er verschwieg es auch nicht, aber man glaubte ihm nicht, hielt ihn
  günstigstenfalls für bescheiden, meist aber für reklamesüchtig oder gar
  für einen Schwindler, dem das Hungern allerdings leicht war, weil er es
  sich leicht zu machen verstand, und der auch noch die Stirn hatte, es
  halb zu gestehn. Das alles mußte er hinnehmen, hatte sich auch im Laufe
  der Jahre daran gewöhnt, aber innerlich nagte diese Unbefriedigtheit
  immer an ihm, und noch niemals, nach keiner Hungerperiode -- dieses
  Zeugnis mußte man ihm ausstellen -- hatte er freiwillig den Käfig
  verlassen. Als Höchstzeit für das Hungern hatte der Impresario vierzig
  Tage festgesetzt, darüber hinaus ließ er niemals hungern, auch in den
  Weltstädten nicht, und zwar aus gutem Grund. Vierzig Tage etwa konnte
  man erfahrungsgemäß durch allmählich sich steigernde Reklame das
  Interesse einer Stadt immer mehr aufstacheln, dann aber versagte das
  Publikum, eine wesentliche Abnahme des Zuspruches war festzustellen;
  es bestanden natürlich in dieser Hinsicht kleine Unterschiede zwischen
  den Städten und Ländern, als Regel aber galt, daß vierzig Tage die
  Höchstzeit war. Dann also am vierzigsten Tage wurde die Tür des mit
  Blumen umkränzten Käfigs geöffnet, eine begeisterte Zuschauerschaft
  erfüllte das Amphitheater, eine Militärkapelle spielte, zwei Ärzte
  betraten den Käfig, um die nötigen Messungen am Hungerkünstler
  vorzunehmen, durch ein Megaphon wurden die Resultate dem Saale
  verkündet, und schließlich kamen zwei junge Damen, glücklich darüber,
  daß gerade sie ausgelost worden waren, und wollten den Hungerkünstler
  aus dem Käfig ein paar Stufen hinabführen, wo auf einem kleinen
  Tischchen eine sorgfältig ausgewählte Krankenmahlzeit serviert war. Und
  in diesem Augenblick wehrte sich der Hungerkünstler immer. Zwar legte
  er noch freiwillig seine Knochenarme in die hilfsbereit ausgestreckten
  Hände der zu ihm hinabgebeugten Damen, aber aufstehen wollte er nicht.
  Warum jetzt gerade nach vierzig Tagen aufhören? Er hätte es noch lange,
  unbeschränkt lange ausgehalten; warum gerade jetzt aufhören, wo er im
  besten, ja noch nicht einmal im besten Hungern war? Warum wollte man
  ihn des Ruhmes berauben, weiter zu hungern, nicht nur der größte
  Hungerkünstler aller Zeiten zu werden, der er ja wahrscheinlich schon
  war, aber auch noch sich selbst zu übertreffen bis ins Unbegreifliche,
  denn für seine Fähigkeit zu hungern fühlte er keine Grenzen. Warum hatte
  diese Menge, die ihn so sehr zu bewundern vorgab, so wenig Geduld mit
  ihm; wenn er es aushielt, noch weiter zu hungern, warum wollte sie es
  nicht aushalten? Auch war er müde, saß gut im Stroh und sollte sich nun
  hoch und lang aufrichten und zu dem Essen gehn, das ihm schon allein
  in der Vorstellung Übelkeiten verursachte, deren Äußerung er nur mit
  Rücksicht auf die Damen mühselig unterdrückte. Und er blickte empor in
  die Augen der scheinbar so freundlichen, in Wirklichkeit so grausamen
  Damen und schüttelte den auf dem schwachen Halse überschweren Kopf. Aber
  dann geschah, was immer geschah. Der Impresario kam, hob stumm -- die
  Musik machte das Reden unmöglich -- die Arme über dem Hungerkünstler,
  so als lade er den Himmel ein, sich sein Werk hier auf dem Stroh einmal
  anzusehn, diesen bedauernswerten Märtyrer, welcher der Hungerkünstler
  allerdings war, nur in ganz anderem Sinn; faßte den Hungerkünstler um
  die dünne Taille, wobei er durch übertriebene Vorsicht glaubhaft machen
  wollte, mit einem wie gebrechlichen Ding er es hier zu tun habe; und
  übergab ihn -- nicht ohne ihn im geheimen ein wenig zu schütteln, so daß
  der Hungerkünstler mit den Beinen und dem Oberkörper unbeherrscht hin
  und her schwankte -- den inzwischen totenbleich gewordenen Damen. Nun
  duldete der Hungerkünstler alles; der Kopf lag auf der Brust, es war,
  als sei er hingerollt und halte sich dort unerklärlich; der Leib war
  ausgehöhlt; die Beine drückten sich im Selbsterhaltungstrieb fest in den
  Knien aneinander, scharrten aber doch den Boden, so als sei es nicht der
  wirkliche, den wirklichen suchten sie erst; und die ganze, allerdings
  sehr kleine Last des Körpers lag auf einer der Damen, welche
  hilfesuchend, mit fliegendem Atem -- so hatte sie sich dieses Ehrenamt
  nicht vorgestellt -- zuerst den Hals möglichst streckte, um wenigstens
  das Gesicht vor der Berührung mit dem Hungerkünstler zu bewahren, dann
  aber, da ihr dies nicht gelang und ihre glücklichere Gefährtin ihr nicht
  zu Hilfe kam, sondern sich damit begnügte, zitternd die Hand des
  Hungerkünstlers, dieses kleine Knochenbündel, vor sich herzutragen,
  unter dem entzückten Gelächter des Saales in Weinen ausbrach und von
  einem längst bereitgestellten Diener abgelöst werden mußte. Dann kam
  das Essen, von dem der Impresario dem Hungerkünstler während eines
  ohnmachtähnlichen Halbschlafes ein wenig einflößte, unter lustigem
  Plaudern, das die Aufmerksamkeit vom Zustand des Hungerkünstlers
  ablenken sollte; dann wurde noch ein Trinkspruch auf das Publikum
  ausgebracht, welcher dem Impresario angeblich vom Hungerkünstler
  zugeflüstert worden war; das Orchester bekräftigte alles durch einen
  großen Tusch; man ging auseinander und niemand hatte das Recht, mit dem
  Gesehenen unzufrieden zu sein, niemand, nur der Hungerkünstler, immer
  nur er.
   * * * * *
  So lebte er mit regelmäßigen kleinen Ruhepausen viele Jahre, in
  scheinbarem Glanz, von der Welt geehrt, bei alledem aber meist in trüber
  Laune, die immer noch trüber wurde dadurch, daß niemand sie ernst zu
  nehmen verstand. Womit sollte man ihn auch trösten? Was blieb ihm zu
  wünschen übrig? Und wenn sich einmal ein Gutmütiger fand, der ihn
  bedauerte und ihm erklären wollte, daß seine Traurigkeit wahrscheinlich
  von dem Hungern käme, konnte es, besonders bei vorgeschrittener
  Hungerzeit, geschehn, daß der Hungerkünstler mit einem Wutausbruch
  antwortete und zum Schrecken aller wie ein Tier an dem Gitter zu rütteln
  begann. Doch hatte für solche Zustände der Impresario ein Strafmittel,
  das er gern anwandte. Er entschuldigte den Hungerkünstler vor
  versammeltem Publikum, gab zu, daß nur die durch das Hungern
  hervorgerufene, für satte Menschen nicht ohne weiteres begreifliche
  Reizbarkeit das Benehmen des Hungerkünstlers verzeihlich machen könne;
  kam dann im Zusammenhang damit auch auf die ebenso zu erklärende
  Behauptung des Hungerkünstlers zu sprechen, er könnte noch viel länger
  hungern, als er hungere; lobte das hohe Streben, den guten Willen, die
  große Selbstverleugnung, die gewiß auch in dieser Behauptung enthalten
  seien; suchte dann aber die Behauptung einfach genug durch Vorzeigen von
  Photographien, die gleichzeitig verkauft wurden, zu widerlegen, denn auf
  den Bildern sah man den Hungerkünstler an einem vierzigsten Hungertag,
  im Bett, fast verlöscht vor Entkräftung. Diese dem Hungerkünstler zwar
  wohlbekannte, immer aber von neuem ihn entnervende Verdrehung der
  Wahrheit war ihm zuviel. Was die Folge der vorzeitigen Beendigung
  des Hungerns war, stellte man hier als die Ursache dar! Gegen diesen
  Unverstand, gegen diese Welt des Unverstandes zu kämpfen, war unmöglich.
  Noch hatte er immer wieder in gutem Glauben begierig am Gitter dem
  Impresario zugehört, beim Erscheinen der Photographien aber ließ er
  das Gitter jedesmal los, sank mit Seufzen ins Stroh zurück, und das
  beruhigte Publikum konnte wieder herankommen und ihn besichtigen.
  Wenn die Zeugen solcher Szenen ein paar Jahre später daran
  zurückdachten, wurden sie sich oft selbst unverständlich. Denn
  inzwischen war jener erwähnte Umschwung eingetreten; fast plötzlich
  war das geschehen; es mochte tiefere Gründe haben, aber wem lag
  daran, sie aufzufinden; jedenfalls sah sich eines Tages der verwöhnte
  Hungerkünstler von der vergnügungssüchtigen Menge verlassen, die lieber
  zu anderen Schaustellungen strömte. Noch einmal jagte der Impresario mit
  ihm durch halb Europa, um zu sehn, ob sich nicht noch hie und da das
  alte Interesse wiederfände; alles vergeblich; wie in einem geheimen
  Einverständnis hatte sich überall geradezu eine Abneigung gegen das
  Schauhungern ausgebildet. Natürlich hatte das in Wirklichkeit nicht
  plötzlich so kommen können, und man erinnerte sich jetzt nachträglich
  an manche zu ihrer Zeit im Rausch der Erfolge nicht genügend beachtete,
  nicht genügend unterdrückte Vorboten, aber jetzt etwas dagegen zu
  unternehmen, war zu spät. Zwar war es sicher, daß einmal auch für das
  Hungern wieder die Zeit kommen werde, aber für die Lebenden war das kein
  Trost. Was sollte nun der Hungerkünstler tun? Der, welchen Tausende
  umjubelt hatten, konnte sich nicht in Schaubuden auf kleinen Jahrmärkten
  zeigen, und um einen andern Beruf zu ergreifen, war der Hungerkünstler
  nicht nur zu alt, sondern vor allem dem Hungern allzu fanatisch ergeben.
  So verabschiedete er denn den Impresario, den Genossen einer Laufbahn
  ohnegleichen, und ließ sich von einem großen Zirkus schnell engagieren;
  um seine Empfindlichkeit zu schonen, sah er die Vertragsbedingungen gar
  nicht an.
  Ein großer Zirkus mit seiner Unzahl von einander immer wieder
  ausgleichenden und ergänzenden Menschen und Tieren und Apparaten kann
  jeden und zu jeder Zeit gebrauchen, auch einen Hungerkünstler, bei
  entsprechend bescheidenen Ansprüchen natürlich, und außerdem war es
  ja in diesem besonderen Fall nicht nur der Hungerkünstler selbst, der
  engagiert wurde, sondern auch sein alter berühmter Name, ja man konnte
  bei der Eigenart dieser im zunehmenden Alter nicht abnehmenden Kunst
  nicht einmal sagen, daß ein ausgedienter, nicht mehr auf der Höhe seines
  Könnens stehender Künstler sich in einen ruhigen Zirkusposten flüchten
  wolle, im Gegenteil, der Hungerkünstler versicherte, daß er, was
  durchaus glaubwürdig war, eben so gut hungere wie früher, ja er
  behauptete sogar, er werde, wenn man ihm seinen Willen lasse, und dies
  versprach man ihm ohne weiteres, eigentlich erst jetzt die Welt in
  berechtigtes Erstaunen setzen, eine Behauptung allerdings, die mit
  Rücksicht auf die Zeitstimmung, welche der Hungerkünstler im Eifer
  leicht vergaß bei den Fachleuten nur ein Lächeln hervorrief.
  Im Grunde aber verlor auch der Hungerkünstler den Blick für die
  wirklichen Verhältnisse nicht und nahm es als selbstverständlich hin,
  daß man ihn mit seinem Käfig nicht etwa als Glanznummer mitten in
  die Manege stellte, sondern draußen an einem im übrigen recht gut
  zugänglichen Ort in der Nähe der Stallungen unterbrachte. Große, bunt
  gemalte Aufschriften umrahmten den Käfig und verkündeten, was dort
  zu sehen war. Wenn das Publikum in den Pausen der Vorstellung zu den
  Ställen drängte, um die Tiere zu besichtigen, war es fast unvermeidlich,
  daß es beim Hungerkünstler vorüberkam und ein wenig dort haltmachte, man
  wäre vielleicht länger bei ihm geblieben, wenn nicht in dem schmalen
  Gang die Nachdrängenden, welche diesen Aufenthalt auf dem Weg zu den
  ersehnten Ställen nicht verstanden, eine längere ruhige Betrachtung
  unmöglich gemacht hätten. Dieses war auch der Grund, warum der
  Hungerkünstler vor diesen Besuchszeiten, die er als seinen Lebenszweck
  natürlich herbeiwünschte, doch auch wieder zitterte. In der ersten Zeit
  hatte er die Vorstellungspausen kaum erwarten können; entzückt hatte er
  der sich heranwälzenden Menge entgegengesehn, bis er sich nur zu bald
  -- auch die hartnäckigste, fast bewußte Selbsttäuschung hielt den
  Erfahrungen nicht stand -- davon überzeugte, daß es zumeist der Absicht
  nach, immer wieder, ausnahmslos, lauter Stallbesucher waren. Und dieser
  Anblick von der Ferne blieb noch immer der schönste. Denn wenn sie bis
  zu ihm herangekommen waren, umtobte ihn sofort Geschrei und Schimpfen
  der ununterbrochen neu sich bildenden Parteien, jener, welche -- sie
  wurde dem Hungerkünstler bald die peinlichere -- ihn bequem ansehen
  wollte, nicht etwa aus Verständnis, sondern aus Laune und Trotz, und
  jener zweiten, die zunächst nur nach den Ställen verlangte. War der
  große Haufe vorüber, dann kamen die Nachzügler, und diese allerdings,
  denen es nicht mehr verwehrt war, stehen zu bleiben, solange sie nur
  Lust hatten, eilten mit langen Schritten, fast ohne Seitenblick,
  vorüber, um rechtzeitig zu den Tieren zu kommen. Und es war kein allzu
  häufiger Glücksfall, daß ein Familienvater mit seinen Kindern kam, mit
  dem Finger auf den Hungerkünstler zeigte, ausführlich erklärte, um
  was es sich hier handelte, von früheren Jahren erzählte, wo er bei
  ähnlichen, aber unvergleichlich großartigeren Vorführungen gewesen war,
  und dann die Kinder, wegen ihrer ungenügenden Vorbereitung von Schule
  und Leben her, zwar immer noch verständnislos blieben -- was war ihnen
  Hungern? -- aber doch in dem Glanz ihrer forschenden Augen etwas von
  neuen, kommenden, gnädigeren Zeiten verrieten. Vielleicht, so sagte sich
  der Hungerkünstler dann manchmal, würde alles doch ein wenig besser
  werden, wenn sein Standort nicht gar so nahe bei den Ställen wäre. Den
  Leuten wurde dadurch die Wahl zu leicht gemacht, nicht zu reden davon,
  daß ihn die Ausdünstungen der Ställe, die Unruhe der Tiere in der Nacht,
  das Vorübertragen der rohen Fleischstücke für die Raubtiere, die Schreie
  bei der Fütterung sehr verletzten und dauernd bedrückten. Aber bei der
  Direktion vorstellig zu werden, wagte er nicht; immerhin verdankte er
  ja den Tieren die Menge der Besucher, unter denen sich hie und da auch
  ein für ihn Bestimmter finden konnte, und wer wußte, wohin man ihn
  verstecken würde, wenn er an seine Existenz erinnern wollte und damit
  auch daran, daß er, genau genommen, nur ein Hindernis auf dem Weg zu den
  Ställen war.
  Ein kleines Hindernis allerdings, ein immer kleiner werdendes Hindernis.
  Man gewöhnte sich an die Sonderbarkeit, in den heutigen Zeiten
  Aufmerksamkeit für einen Hungerkünstler beanspruchen zu wollen, und mit
  dieser Gewöhnung war das Urteil über ihn gesprochen. Er mochte so gut
  hungern, als er nur konnte, und er tat es, aber nichts konnte ihn mehr
  retten, man ging an ihm vorüber. Versuche, jemandem die Hungerkunst zu
  erklären! Wer es nicht fühlt, dem kann man es nicht begreiflich machen.
  Die schönen Aufschriften wurden schmutzig und unleserlich, man riß sie
  herunter, niemandem fiel es ein, sie zu ersetzen; das Täfelchen mit der
  Ziffer der abgeleisteten Hungertage, das in der ersten Zeit sorgfältig
  täglich erneut worden war, blieb schon längst immer das gleiche, denn
  nach den ersten Wochen war das Personal selbst dieser kleinen Arbeit
  überdrüssig geworden; und so hungerte zwar der Hungerkünstler weiter,
  wie er es früher einmal erträumt hatte, und es gelang ihm ohne Mühe ganz
  so, wie er es damals vorausgesagt hatte, aber niemand zählte die Tage,
  niemand, nicht einmal der Hungerkünstler selbst wußte, wie groß die
  Leistung schon war, und sein Herz wurde schwer. Und wenn einmal in der
  Zeit ein Müßiggänger stehen blieb, sich über die alte Ziffer lustig
  machte und von Schwindel sprach, so war das in diesem Sinn die dümmste
  Lüge, welche Gleichgültigkeit und eingeborene Bösartigkeit erfinden
  konnte, denn nicht der Hungerkünstler betrog, er arbeitete ehrlich, aber
  die Welt betrog ihn um seinen Lohn.
   * * * * *
  Doch vergingen wieder viele Tage, und auch das nahm ein Ende. Einmal
  fiel einem Aufseher der Käfig auf, und er fragte die Diener, warum man
  hier diesen gut brauchbaren Käfig mit dem verfaulten Stroh drinnen
  unbenützt stehen lasse; niemand wußte es, bis sich einer mit Hilfe der
  Ziffertafel an den Hungerkünstler erinnerte. Man rührte mit Stangen das
  Stroh auf und fand den Hungerkünstler darin. »Du hungerst noch immer?«
  fragte der Aufseher, »wann wirst du denn endlich aufhören?« »Verzeiht
  mir alle«, flüsterte der Hungerkünstler; nur der Aufseher, der das Ohr
  ans Gitter hielt, verstand ihn. »Gewiß,« sagte der Aufseher und legte
  den Finger an die Stirn, um damit den Zustand des Hungerkünstlers dem
  Personal anzudeuten, »wir verzeihen dir.« »Immerfort wollte ich, daß ihr
  mein Hungern bewundert«, sagte der Hungerkünstler. »Wir bewundern es
  auch«, sagte der Aufseher entgegenkommend. »Ihr sollt es aber nicht
  bewundern«, sagte der Hungerkünstler. »Nun, dann bewundern wir es also
  nicht,« sagte der Aufseher, »warum sollen wir es denn nicht bewundern?«
  »Weil ich hungern muß, ich kann nicht anders«, sagte der Hungerkünstler.
  »Da sieh mal einer,« sagte der Aufseher, »warum kannst du denn nicht
  anders?« »Weil ich,« sagte der Hungerkünstler, hob das Köpfchen ein
  wenig und sprach mit wie zum Kuß gespitzten Lippen gerade in das Ohr
  des Aufsehers hinein, damit nichts verloren ginge, »weil ich nicht die
  Speise finden konnte, die mir schmeckt. Hätte ich sie gefunden, glaube
  mir, ich hätte kein Aufsehen gemacht und mich vollgegessen wie du und
  alle.« Das waren die letzten Worte, aber noch in seinen gebrochenen
  Augen war die feste, wenn auch nicht mehr stolze Überzeugung, daß er
  weiterhungre.
  »Nun macht aber Ordnung!«, sagte der Aufseher, und man begrub den
  Hungerkünstler samt dem Stroh. In den Käfig aber gab man einen jungen
  Panther. Es war eine selbst dem stumpfsten Sinn fühlbare Erholung, in
  dem so lange öden Käfig dieses wilde Tier sich herumwerfen zu sehn. Ihm
  fehlte nichts. Die Nahrung, die ihm schmeckte, brachten ihm ohne langes
  Nachdenken die Wächter; nicht einmal die Freiheit schien er zu vermissen;
  dieser edle, mit allem Nötigen bis knapp zum Zerreißen ausgestattete
  Körper schien auch die Freiheit mit sich herumzutragen; irgendwo im
  Gebiß schien sie zu stecken; und die Freude am Leben kam mit derart
  starker Glut aus seinem Rachen, daß es für die Zuschauer nicht leicht
  war, ihr standzuhalten. Aber sie überwanden sich, umdrängten den Käfig
  und wollten sich gar nicht fortrühren.
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