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Die Einsamen - 1

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  Die Einsamen
  Paul Heyse
  (1857)
  
  Mehrere Tage lang hatten heftige Südstürme das Meer erschüttert, auf
  dem hohen Felsenufer Sorrents mit Frühlingsungestüm den Saft in den
  Feigenbäumen aufgerüttelt und den Boden mit fruchtbaren Regenschauern
  gepflügt. Manche wollten ein gärendes Murren im Innern des Vesuv
  vernommen haben und weissagten einen nahen Ausbruch. Auch schienen
  öfters die Häuser bis in die Grundfesten zu wanken, und nachts hörte
  man ein drohendes Klirren der Geräte, die im Schrank nahe beieinander
  standen. Als aber am letzten April die Sonne endlich über den Aufruhr
  Herr wurde, standen die kleinen Städte auf der Ebene von Sorrent
  unversehrt zwischen ihren Wein- und Orangengärten, der Felsengrund
  hatte sich nicht aufgetan, sie zu verschlingen, und dem tosenden Meer
  war das Ufer dennoch zu hoch gewesen, um hinaufbrandend alles, was
  Menschen seit Jahrhunderten gepflanzt, in die Tiefe zu reißen.
  Am Nachmittage dieses letzten April, der zugleich ein Sonntag war,
  verließ ein deutscher Poet--sein Name tut nichts zur Sache--das Haus,
  in dem er sehr wider seine Neigung durch den Sturm war gefangen
  gehalten worden. Tagelang hatte er vom Fenster aus über das Meer
  gestarrt, den Mantel um die Knie geschlagen, denn der Steinboden
  seines Zimmers hauchte eine empfindliche Kälte aus, den Hut auf dem
  Kopf, ein Glas Wein nach dem anderen hinabschlürfend, ohne ein
  Wärmegefühl in sich erwecken zu können. Der kleine Büchervorrat, der
  ihn auf der Reise begleitete, war in Neapel zurückgeblieben, und im
  Hause seines Wirts war außer dem Kalender und einem Meßbuch kein
  gedrucktes Blatt aufzutreiben. Wie oft hatte er sich vermessen, daß
  ihn in der Einsamkeit Langeweile nie anwandeln solle. Aber so viel
  und sehnsüchtig er die Muse zur Gesellschaft heranflehte, der Wind
  verschlang seinen Ruf, und die Kälte ließ endlich keinen anderen
  Gedanken in ihm aufkommen als den Wunsch, die Sonne wiederzusehen.
  Sie war denn auch durchgebrochen, und er hatte die Hälfte dieses
  gesegneten Tages redlich damit verbracht, auf dem Altan sitzend sie
  sich auf die Haut scheinen zu lassen. Und als er vollends nach Tische
  den Bergweg hinaufstieg, wurden alle erstarrten Gefühle in ihm mit
  Macht wieder lebendig. So groß, so golden und gewaltig hatte er die
  siegreiche Frühlingssonne nie gesehen, so erfrischend war ihm der
  Hauch des Meeres nie ins Mark gedrungen. Diese Blätter da an den
  Feigenbäumen waren in einer Nacht fingerlang hervorgeschossen. Die
  Büsche dort hat die Sonne eines halben Tages in weiße Blüten gebracht.
  Und wo nur der Wanderer, vom Duft gelockt, den Boden näher untersucht,
  dunkeln ihm unabsehliche Veilchenbeete entgegen. Die Luft wimmelt
  von Schmetterlingen, die nicht älter sind als dieser Tag; alle Pfade
  ringsum sind von Menschen zu Fuß oder in sausenden kleinen Wagen
  belebt. Dazu die Glockenstimmen der Kirchen und Kapellen auf vier
  Stunden Wegs, das Jauchzen der Burschen, die bergan zogen, um ein
  Kirchenfest in Sant' Agata, einem Dorfe auf dem Grat des Berges,
  mitzufeiern, und die langgezogenen Ritornelle der Weiber, die Hand in
  Hand zur Vesper wandelten, oder auf den sonnigen Dächern stehend ins
  Meer hinausblickten.
  Je weiter der Deutsche, einer mäßig ansteigenden Straße folgend, sich
  dem Feiertagsjubel entzog, desto mehr beklemmte es ihm das Herz, daß
  er dem Dank für die Fülle der Wunder, die auf ihn eindrang, mit nichts
  Luft zu machen vermochte. Am liebsten hätte er dort auf dem Felsen
  stehend in die weite Landschaft hinausgesungen, ein Lied ohne Worte,
  einen bloßen Widerhall aller Frühlingsstimmen um ihn her. Aber er
  hatte einigen Grund, seiner Stimme zu mißtrauen, daß sie eine würdige
  Heroldin seines Gefühls sein würde. Wie neidisch dachte er an jenen
  Tenor zurück, der in Rom ihn manchen Abend entzückt hatte! Mit dieser
  Stimme hier die Weite auszufüllen! Wie armselig, stumm wie ein Dieb,
  klanglos wie der Stock in seiner Hand kam er sich vor, als er durch
  alle singende und klingende Wonne der Natur hindurchschritt.
  Was rühmen sie die Poesie als die höchste Kunst? rief er zornig aus.
  Kann sie eine Brust von der Übermacht eines solchen Eindrucks
  befreien? Ruft mir die Größten her, die jemals über melodische Worte
  zu gebieten hatten, ob sie nicht dem Unermeßlichen gegenüber
  verstummen gleich mir armem Nachgeborenen. Womit wollen sie Licht und
  Äther und Meer und die Düfte, die aus jenem Orangenhain heraufwehen,
  nur von ferne würdig verherrlichen? Sogar der letzte unter allen, die
  sich noch einer Muse rühmen, ein Tänzer selbst könnte es ihnen hier
  zuvortun. Kann er nicht das Streben in den Himmel hinauf, ins All
  hinein, wenigstens mit Zeichen und Gebärden andeuten, mit seiner
  ganzen Person und vom Wirbel bis zur Zehe seine Trunkenheit
  ausströmen? Und nun ein Maler vollends! Der unbedeutendste und
  einfältigste, wenn er nur gelernt hat, die Linie des Berges dort und
  das Kloster am äußersten Rande, dahinter den Wald, die Grenze des
  Meeres, im Vordergrunde den frisch vom Winde geknickten Baum auf ein
  Blatt zu bringen--wie glücklich muß es ihn machen! Und wenn er gar
  ein Meister ist und die zitternde Helle über der gelben Bergwand in
  Farben widerstrahlen kann, dort in der Tiefe die See, die noch immer
  wühlt und die Wellen wirft wie Fetzen eines silberdurchwirkten
  Gewandes, den Duft drüben am Vesuv, die weißen Glockentürme zwischen
  dem jungen Laub der Kastanien--ich könnte ihn geradezu umbringen vor
  Neid!
  In dieser seltsam aufgeregten Verfassung setzte er sich auf einen
  Stein am Wege nieder und sah finster um sich her. Und er hatte es
  halb und halb verdient, daß ihm durch die Erkenntnis seiner
  Unzulänglichkeit die reine Stimmung zerstört wurde. Er war mit der
  festen trotzigen Überzeugung ausgegangen, draußen der langentbehrten
  Muse zu begegnen. Ein Heft Papier hatte er zu sich gesteckt, und
  hinter jedem Felsenvorsprung, jeder Wald- oder Gartenecke rechnete er
  gespannt darauf, ein lyrisches Motiv zu finden. Denn der sehr
  törichte und eitle Wunsch beseelte ihn, wo alles im Werden war, auch
  von seinem geringen Dasein irgend ein Zeugnis abzulegen. Und wohl
  jeder hat es schon einmal an sich selbst erfahren, daß ihn das große
  Werk der sich erneuenden Natur in eine Spannung versetzt, in der er
  die unerhörtesten Dinge wirken und wagen möchte, in eine ziellose
  Unruhe, irgend etwas zu gestalten und nicht der einzig Untätige und
  Erstorbene zu sein, während alles Blüten treibt? Schade nur, daß
  dieses Frühlingsfieber meist, anstatt irgend einer Tat, Erschöpfung
  und Verzicht zur Folge zu haben pflegt.
  Und so hatte denn auch unser Freund bald verzichtet, ohne darum die
  Mißgunst auf andere Sterbliche los zu werden, die, wie er meinte,
  besser daran seien als er. Nun kommen sie aus ihren Löchern hervor,
  murmelte er ingrimmig, und machen das Land unsicher mit Mappen und
  Schirmen und Feldstühlen und setzen sich an den gedeckten Tisch der
  Mutter Natur. Sie brauchen nur zuzugreifen, so haben sie alle Hände
  voll. Und wenn sich ihre Sinne satt geschwelgt haben, tragen sie wie
  ein Gastgeschenk von dem Fest, wie den Becher, aus dem sie getrunken
  haben, ihre Studien und Skizzen heim, die ihnen die Erinnerung und
  Stimmung erneuen, sooft sie danach Verlangen tragen. Sie haben wohl
  recht, in den Süden zu pilgern; für sie ist hier offene Tafel. Aber
  wir? Aber ich? Haben mich schadenfrohe Götter hierher gelockt, um
  mich recht tief zu demütigen? War's nicht schon genug, daß ich in Rom
  alle meine Verse auf die Frascatanerin verbrannte, als ich ihr Bild
  auf der Ausstellung gesehen? Was wäre der ganze Petrark gegen eine
  Leinwand, auf der ein Tizian das Bild von Madonna Laura festgehalten
  hätte? Als man noch nicht malen konnte, da war die rechte Zeit zum
  Dichten. Denn was ist das Dichten anders als ein ewig wiederholtes
  Bekenntnis, daß Worte arme Schächer sind, die nicht den Saum am
  Gewande der Mutter Natur zu fassen vermögen? Im Norden, wo keine
  Farben und keine Formen sind, da mag sich die Poesie die Königin
  dünken. Eine Bettlerin ist sie hier!
  Während dieses frevelhaften Selbstgesprächs hatte er unverwandt auf
  das Meer geblickt, das sich mit jeder Viertelstunde tiefer färbte und
  nur mit langen helleren Streifen glänzend durchschossen blieb. Es
  fiel dem fieberhaften Toren nicht ein, daß auch ein Maler hier
  verzweifelt seine Pinsel weggeworfen hätte. Denn ein großer Teil des
  unsäglichen Reizes lag eben im Wechsel und Spiel der Töne, in dem
  lebendigen Wandel der Elemente. Sollen wir gar die anderen
  überspannten Anklagen entkräften, die der Verblendete gegen seine Muse
  schleuderte? Aber wir wissen ja, mit wem wir es zu tun haben, mit
  einem von jenem "reizbaren Geschlecht", dem das Wort nur darum
  verliehen zu sein scheint, um sich selber damit ewig zu widersprechen.
  Und vielleicht erleben wir es, daß er noch am Abend dieses Tages die
  Zerknirschung, in der er sich viele Meilen weg wünschte, feierlich
  abbüßt und mit dem heiligen Lukas selbst den Tausch nicht eingehen
  würde.
  Was aber dort zur Linken den Weg heraufkommt, ist freilich nicht dazu
  angetan, seine Desperation zu dämpfen; vielmehr schlägt sie erst recht
  in helle Flammen auf. Nur den Umriß! wütete er vor sich hin, ein paar
  Dutzend Linien nur! Wie sie auf dem Eselchen einhertrabt, das eine
  Bein über dem Rücken des Tieres, flach und sicher ruhend, das andere
  mit der Spitze des Fußes fast den Boden streifend; und den rechten
  Ellenbogen auf das ruhende Knie niedergestützt, die Hand leicht unter
  dem Kinn, mit der Halskette spielend, das Gesicht hinausgewendet nach
  dem Meer; welche Last schwarzer Flechten im Nacken! Es leuchtet rot
  darin; ein Korallenschmuck--nein, frische Granatblüten. Der Wind
  spielt mit dem lose umgeknüpften Tuch; wie dunkel brennt die Wange und
  wieviel dunkler das Auge! Könnt' ich nur zu ihr treten und sie bitten,
  eine halbe Stunde stillzuhalten, ganz so wie sie da ist, und trüge
  nur einen schwachen Schattenriß dieser herrlichen Figur davon, es wäre
  doch für ewig ein Besitz zum Beneiden. Statt dessen, wenn ich leer zu
  Menschen zurückkomme und es ihnen sagen will, wie schön das war, werde
  ich hören müssen: Wer das gemalt hätte!--Nein, und es ist doch nicht
  festzuhalten, diese Anmut des Ruhens und Bewegens, die reife
  Jugendfülle, die stattlichen Züge, auf und ab nickend, wie des Tieres
  Schritt sich bewegt, und zu der königlichen Würde der Gestalt das
  Füßchen, das kindlich hin und her baumelt--kommt her, ihr Pinsel alle,
  und zaubert mir's wieder.
  Er war aufgestanden und erwartete die Reiterin, die, unbekümmert um
  den fremden Wanderer, in ihrer Stellung blieb und nur das Tier mit
  einem Schlag des Zügels ermunterte. Jetzt ritt sie an ihm vorüber,
  jedoch am Rande des Weges, so daß er seinen Gruß, den er ihr hinter
  dem Rücken zurufen mußte, nur durch ein gemessenes Nicken ihres
  Hinterhaupts belohnt sah. Dabei hob sie freilich das
  vielverschlungene Nest des schwarzen Haars von dem schönsten Nacken.
  Ein ganz besonderer Hauch von Ruhe umgab die ganze Erscheinung, und
  wie sie nun ihres Weges weiterritt, ließ keine Miene des Gesichts
  darauf schließen, daß ihr die Begegnung mit dem Fremden auch nur so
  viel Neugier und Reiz erweckt habe, wie es natürlich ist, wenn in
  einsamer Stunde, auf verlassenem Bergpfade ein junger Mann und ein
  schönes Weib sich unvermutet antreffen. Ob sie eine Frau oder ein
  Mädchen sei, konnte der Wanderer weder aus ihrer Kleidung noch aus
  ihrem Betragen enträtseln. Zwar schien die erste Jugend vergangen;
  aber wenn auch kein Zug von mädchenhafter Erwartung, Verheißung und
  Verschlossenheit in dem gleichmütigen Gesicht zu entdecken war, so
  belebte doch eine Frische und Reinheit den Umriß dieser Wangen, wie
  sie den verheirateten Frauen in jener Gegend selten eigen sind. Ihre
  Tracht war halb städtisch, nur der seidene Rock kürzer und das Mieder
  tief in den Nacken ausgeschnitten. Die knappen Ärmel hatte sie
  aufgestreift, die Stirn war von keinem Tuch gegen die Sonne geschützt,
  und ein breiter Strohhut hing müßig am Sattel des Tiers.
  Erst als sie dem Fremden um die Windung des Weges zu entschwinden
  drohte, besann er sich und ging mit starken Schritten ihr nach. Bald
  war er neben ihr, aber eigensinnig wie zuvor wanderte das Tier am
  Rande des Abhanges weiter und ließ ihm nur einen schmalen Raum
  zwischen dem Strohhut und der Wand des Berges. Auch während des
  Gesprächs, das er nun anknüpfte, drehte sich die Reiterin keinen
  Augenblick nach ihm um. Ihre Stimme klang tief; ihr Dialekt war
  schlechtes Neapolitanisch. Allein so kurz sie antwortete, lag doch in
  ihrem Ton weder der Wunsch, den Frager abzufertigen, noch ihn durch
  neckischen Trotz zu fesseln.
  Ihr kommt von Sorrent, schöne Einsame? fragte er.
  Nein, von Meta.
  Ihr habt Freunde dort besucht?
  In der Kirche war ich.
  Und reitet nach Sant' Agata hinauf zum Fest?
  Nein, Herr.
  Dies aber ist der Weg, der hinaufführt?
  Nein, Herr.
  So tut mir den Gefallen, mir den rechten zu zeigen.
  Ihr müßt zurückgehen, sagte sie, noch immer ohne sich umzusehen, und
  den nächsten Steig, der links hinaufführt, verfolgen, so kommt Ihr auf
  die Fahrstraße.
  Wenn ich zurück muß, lasse ich lieber das Fest fahren als das
  Vergnügen, noch so lang es Euch nicht lästig wird, neben Euch
  herzugehen.
  Wie Ihr wollt, der Weg ist nicht für mich allein gebahnt worden.
  Wißt Ihr, daß es freundlich von Euch wäre, wenn Ihr das Gesicht einmal
  zu mir hinkehrtet?
  Sie tat es gelassen, ohne eine Miene zu bewegen. Was ist? fragte sie,
  was habt Ihr mir zu zeigen?
  Ich denke, Ihr habt mir etwas zu zeigen.
  Ich?
  Ihr seid schön. So zeigt mir Eure Augen.
  Das Meer ist noch schöner als ich, und Ihr tätet klüger, es anzusehen,
  als Augen, die Euch nichts zu sagen haben.
  Das Meer? Ich sehe es alle Tage von meinem Altan aus.
  Aber ich nicht. Erlaubt denn, daß ich die Gelegenheit benutze!--Und
  sie wandte sich wieder ab.
  Sieht man das Meer nicht überall von diesen Bergen aus? fragte er.
  Meines Bruders Mühle liegt tief drüben in der Schlucht; der Felsen
  tritt weit davor und das Gestrüpp oben hat die letzte Aussicht
  überwachsen.
  Ihr lebt bei Eurem Bruder?
  Ja, Herr.
  Aber Ihr werdet nicht mehr lange dort leben, oder die jungen Männer in
  Meta haben keine Augen.
  Mögen sie doch Augen haben. Was gehen mich ihre Blicke an? Ich bin
  glücklicher bei meinem Bruder als alle Frauen auf der Ebene von
  Sorrent und bis hin nach Neapel.
  Habt Ihr nie Verdruß mit der Frau Eures Bruders?
  Er hat keine und wird nie eine haben. Er und ich, ich und er--was
  bedürfen wir mehr, außer dem Schutz der heiligsten Madonna?
  Und seid Ihr so sicher, daß es immer so bleibt, daß ihm niemals ein
  Mädchen gefallen wird?
  So gewiß wie ich lebe. Aber was kümmert's Euch?--Und sie trieb mit
  einem Schlag der Hand den Esel an, daß er die Ohren schüttelte.
  Warum ist Euer Bruder nicht mit Euch in Meta gewesen? fragte der
  Deutsche wieder, obwohl auch das ihn im Grunde nicht zu kümmern
  brauchte.
  Er verläßt die Mühle nie, nur wenn er beichten geht, droben in Deserta.
  Ist er krank?
  Er mag keine Menschen sehen, außer mir. Und der Anblick des Meeres
  tut ihm weh, seit er damals--aber wer seid Ihr, daß Ihr mich ausfragt?
  Seid Ihr ein Prete? oder von der Polizei in Neapel?
  Er mußte lachen. Keins von beiden, sagte er; aber zwingt Ihr mich
  nicht selbst zu fragen? Wenn Ihr mir das Gesicht zukehrtet, würde ich
  das Sprechen bald vergessen. Nun muß ich mich durch Eure Stimme zu
  entschädigen suchen.
  Sie maß ihn mit einem ernsthaften Blick und fragte dann: Was habt Ihr
  immer mit meinem Gesicht? Seid Ihr ein Maler?
  Er schwieg einen Augenblick, und der alte neidische Verdruß rührte
  sich wieder in ihm, daß es nur den Malern verstattet sein sollte,
  einer Schönheit nachzugehen. Freilich, wer darf ihnen übelnehmen, was
  zu ihrem Handwerk gehört? Die Glücklichen, die mit diesem Freipaß
  durch die Welt reisen! Denn daß auch er kraft seiner Art und Kunst
  ein Recht habe, sich in die Züge dieses Mädchens zu vertiefen, wie
  konnte er ihr das klarmachen, die sicherlich von der edlen Zunft der
  Poeten keine Ahnung hatte.
  Du willst es auch einmal so gut haben, dachte er bei sich und
  antwortete mit dreister Stirn: Allerdings, ein Maler bin ich, und wenn
  Ihr erlaubt--aber wie heißt Ihr denn?
  Teresa.
  Wenn Ihr erlaubt, schöne Teresa, begleite ich Euch gern in Eure Mühle,
  um ein Bild von Euch in meinem Skizzenbuch zu entwerfen.
  Er tat diese leichtsinnige Bitte unbedenklich, da es ihn stark
  gelüstete, auch den Bruder zu sehen und einen Blick in die
  Häuslichkeit der einsamen Geschwister zu werfen. Wenn es dann zum
  Treffen kam, so sollte sich schon irgend ein Ausweg finden. Und war
  seine Lüge nicht auch eine Notlüge? Tat es ihm nicht aufrichtig not,
  noch länger in Teresas Augen zu sehen?
  Sie besann sich ein Weilchen. Dann sagte sie: Wenn Ihr ein Maler seid,
  so macht ein Bild von mir, das ich meinem Bruder geben kann. Sterb'
  ich einmal, so hat er mich immer vor Augen, wie bei meinem Leben.
  --Seht Ihr den breiten Bach, der dort aus der Schlucht vorspringt und
  sich über den Weg in die Tiefe stürzt? Er treibt unsere Mühle, und
  wir müssen rechts einbiegen und ihn verfolgen. Der Regen hat ihn sehr
  angeschwellt, und der schmale Pfad in der Schlucht ist nicht zu
  passieren. Wartet! Ihr sollt Euch auf den Esel setzen und
  hinaufreiten, während ich ihn führe.
  Ihr ihn führen, zu Fuß? Nimmermehr, Teresa!
  So bleibt Ihr eben unten; denn wenn Ihr auch barfuß hinaufstieget
  durch das Wasser wie ich, Ihr kennt das Bett und den Weg nicht und
  stürztet bei jedem Schritt.
  Sie hatte das Tier schon angehalten und sich leicht hinabgeschwungen.
  Während er noch zaudernd stand und der Gedanke, daß er sie täuschte,
  ihn denn doch beunruhigte, hatte sie schon Schuh und Strümpfe von den
  schönen Füßen gestreift und faßte nun, ihn ruhig anblickend, den Zaum
  des Esels.
  Mag es denn sein! sagte er halb lachend. Obwohl ich eine wenig
  ritterliche Figur machen werde, wenn ich Euch das schlimmere Teil
  überlasse.
  Er saß auf und sie zogen dem Bache zu, das Mädchen voran, den Zügel um
  ihren Arm geschlungen. Als sie an die Schlucht kamen, warf sie noch
  einen letzten langen Blick über das Meer; dann lenkte sie, des Wassers,
  das sie umrauschte, nicht achtend, rechtsab in den Bach hinein, der
  sich um große Steine wälzte und die ganze Breite der Schlucht
  ausfüllte. Hier war es kühl und dämmerhaft nach der Tageshelle
  draußen, und das Gesträuch hing tief zu beiden Seiten der Felsenenge
  herein. Der Deutsche, während das Tier ihn vorsichtig von Stein zu
  Stein trug und der Gischt ihm bis an die Knie spritzte, sah aufwärts
  und gewahrte einige hundert Schritt in der Höhe die Mühle, gefährlich
  in das Gestein eingebaut, grau wie der Felsen neben ihr. Das Rad war
  gehemmt, des Sonntags wegen; kein anderer Laut übertönte das Getöse
  des Bachs als der Schrei eines Sperbers, der über die Schlucht
  schwebend sich die Brust an dem heraufsteigenden Wasserdunst zu kühlen
  schien. Indessen schritt Teresa auf der einen Seite dicht am Felsen
  hin. Dann und wann wurde der Weg unter ihren Füßen sichtbar, während
  andere Strecken völlig überflutet waren. Sie sprach nichts. Auch war
  es nicht leicht, sich in dem Lärm der Wellen verständlich zu machen,
  der den Hohlweg entlang hundertfach in sich selbst widerhallte. Erst
  in der Nähe des Hauses traten die Felswände breiter auseinander, der
  Weg hob sich aus dem Wasser heraus, und der Reiter, sobald er festen
  Grund unter seinem Tiere sah, sprang auf seine Füße, im stillen froh,
  daß wenigstens kein dritter den abenteuerlichen Zug mit angesehen habe.
  Denn die Mühle lag wie ausgestorben; ja selbst als er schon davor
  stand, war der Deutsche fast versucht, sie für eine Kulisse zu halten.
  Die Fensterläden waren geschlossen, die braune Tür in der grauen Wand
  hatte keinen Griff und schien gar nicht praktikabel, der Schatten
  unter dem Dachvorsprung konnte ebensogut gemalt sein. Indessen
  öffnete das Mädchen das Gitter zu einem in den Felsen gesprengten
  Stall und ließ den grauen Freund hinein. Dann stieß sie die Haustür
  mit leichtem Druck nach innen auf und trat dem Fremden voran über die
  Schwelle.
  Ein Blick genügte, um den Deutschen mit allen Räumen des Innern
  bekannt zu machen. In der Mitte ein ziemlich breites Gemach, das die
  ganze Tiefe des Hauses einnahm; der Herd an der Seite, ein schwerer
  Tisch und hölzerne Stühle in der Mitte, in einem Wandschrank Hausgerät,
  zur Rechten nach der Seite des Felsens eine Kammer mit einem Bett,
  links die Mahlkammer mit dem Radwerk. Eine Tür in der Hinterwand des
  Hauses stand ebenfalls offen, und man sah in einen freien grünen Platz
  hinaus, auf den ein einzelner breiter Sonnenstreif fiel. Er mochte
  einige Morgen im Gevierte haben und war hoch genug über dem Bach
  gelegen, daß ein Gärtchen dort hätte gepflanzt werden können. Aber
  der Bergkessel, der den Grund umschloß, war zu hoch, die Luft zu kühl,
  um der Blumenzucht günstig zu sein. Und so wucherte denn nur das Gras
  auf dem Platz und eine Ziege weidete am Ufer des Wassers. Dort aber,
  wo durch einen Riß des Berges jener einzelne Sonnenblick hereindrang,
  standen, wie ein schönes Wunder, zwei einzelne Orangenbäume mitten auf
  der Wiese, zwar spärlich mit Früchten behangen, doch in voller Frische.
  Der Bruder ist nicht zu Haus, Teresa, sagte der Deutsche.
  Sie ließ das Auge ruhig über den Wiesengrund schweifen und sagte dann:
  Seht Ihr ihn nicht drüben, wo die Schlucht sich wieder schließt? Der
  Bach hat an der Mauer gerüttelt, die ihn dort in sein richtiges Bette
  zwingt. Nun wirft er einen Erddamm hinter die Steine, daß die Wiese
  nicht überschwemmt wird. Er denkt an alles, mein Bruder, und kann
  alles; Ihr könnt tausend Jahr suchen und findet keinen, der mehr Genie
  hat.
  Warum verschwendet er's aber hier in der Einsamkeit?
  Weil er will.
  Und seid Ihr hier in der Mühle aufgewachsen, Ärmste, und habt nie mehr
  Sonne gesehen, als dort in die Orangenzweige scheint? Ich kann es
  nicht glauben; Eure Wangen sind schwerlich auf dem kurzen Ritt
  sonntags in die Kirche so dunkel geworden.
  Nein, sagte sie; es ist noch nicht volle vier Jahr, daß wir hier
  wohnen und Tommaso die Mühle gekauft hat. Wollt Ihr's glauben? Er
  hatte vorher, wo wir in Neapel waren und er seine Fischerei trieb,
  keinen Gedanken, was ein Mühlrad sei und wie die Steine umlaufen. Und
  am ersten Tag, als wir hier heraufgekommen waren--der alte Müller war
  eben gestorben--, brachte er's in Gang, als hätte er's von klein auf
  getan. O ein Mensch wie Tomà, am Hof des Königs ist kein Klügerer!
  Während dieser Worte gelang es dem Fremden nicht, das Gesicht des
  Mannes zu sehen, der am äußersten Ende des Wiesenlandes rüstig an
  seiner Arbeit war und sich nach der Mühle nicht umwandte. Er erkannte
  nur eine hohe Gestalt, schwarzes krauses Haar unter dem grauen Hut,
  eine Jacke von dunkler Farbe lose über der Schulter hängend.--Was hat
  ihm nur die Stadt und das Meer und sein schönes Gewerbe verleidet?
  fragte er jetzt die Schwester, die neben ihm stand.
  Sie schien die Frage überhört zu haben. Wißt Ihr was? sagte sie,
  setzt Euch und fangt das Bild an, damit es fertig ist, wenn mein
  Bruder wieder ins Haus kommt. Dann frag' ich ihn, wer es sei, und
  erkennt er's, so gibt er Euch, was Ihr wollt dafür, denn wir sind
  nicht arm, müßt Ihr wissen. Als wir in Neapel lebten, hatte mein
  Bruder sieben Fischer unter sich und fuhr in drei Kähnen ins Meer, und
  hätte auch wohl ein Landgut kaufen können, statt der Mühle hier. Was
  hilft ihm nun sein Geld bei seinem schweren Herzen!--Setzt Euch, Herr;
  ich will nicht mehr schwatzen, Ihr sollt den Mund ganz still und
  richtig aufs Papier malen und die Augen und alles.
  Unser Freund stand in nicht geringer Verlegenheit, als er sah, daß es
  ernst werden sollte. Es ist etwas dunkler hier, sagte er mit
  klopfendem Herzen.
  So gehen wir auf die Wiese.
  Dort ist es wieder zu hell, Teresa. Ihr wißt nicht, wie schwierig es
  ist, das rechte Licht zu finden.
  Wartet, sagte sie, und öffnete rasch die Fensterläden. Ich meine, es
  ist nun ein hübsches Licht im Hause. Ich wenigstens, wenn ich's
  gelernt hätte, ich wollt' Euch hier aufs Haar an die Wand zeichnen.
  Nun denn, sagte er kecklich, so fangen wir an.
  Er schob zwei Stühle an das eine Fenster, das die Schlucht hinunter
  den ganzen Lauf des Baches übersah, und bat sie, niederzusitzen. Jene
  Blätter, die er zu sich gesteckt, um irgend eine Eingebung der Muse
  darauf festzuhalten, zog er hervor und legte sie auf sein Knie, den
  Stift in der Rechten. Eine tiefe Röte überflammte die braunen Wangen
  des Mädchens, als sie nun seinen Blick gespannt auf sich ruhen fühlte.
  Ihr Auge, über dem die dichte Wimper wie die Schwinge eines schwarzen
  Falters auf und nieder ging, war starr hinaus gerichtet und in wenig
  Augenblicken feucht umwölkt durch die Spannung des Blicks. Er bat sie,
  frei sich zu bewegen, es werde darum nicht schlechter werden. Auch
  konnte er es sich nicht versagen, an ihrem starken Haar sich ein wenig
  zu schaffen zu machen. Teresa--! sagte er.
  Was ist?
  Nichts.--Es war ihm unmöglich, dem großen Blick ihrer Augen gegenüber
  etwas Zärtliches oder Fades zu sagen. Wie fest und breit und eben war
  die Stirn, die Brauen wie ruhig geschweift! Er hatte sich jetzt
  entschlossen, eine halbe Stunde lang eifrig zu tun, als sei er im
  besten Werk begriffen, und dabei des Anblicks sich zu erfreuen; dann
  aber das Blatt rasch zu zerreißen, auf seinen schlechten Tag und sein
  verwirrtes Auge zu schelten und sich zu verabschieden.
  Als er nun eben ruhig seine Stellung gewählt hatte und die Miene des
  Anfangs machte, bemerkte er in der Schlafkammer drüben an der Wand ein
  männliches Bildnis in schwarzem Rahmen, das ihm einen willkommenen
  Vorwand gab, noch einmal inne zu halten.
  Ihr habt da ein schönes Bild Eures Bruders, sagte er und stand auf, es
  näher zu betrachten. Wer hat es gemalt? In der Tat, eine treffliche
  Arbeit. Welch ein sanftes und feuriges Gesicht! Es macht mich immer
  neugieriger, ihn selber zu sehen.
  Den dieses Bild vorstellt, sagte sie zögernd, werdet Ihr nie mehr
  lebend sehen.
  So ist es nicht Euer Bruder?
  Es war sein Freund. Er starb jung, und viele haben ihn beweint.
  Es tut Euch weh, Teresa, davon zu sprechen; verzeiht, daß ich so viel
  zudringliche Fragen tue. Er nahm seinen Platz am Fenster wieder ein.
  Die Röte war von ihrem Gesicht verschwunden, und ihre Augen sahen
  erloschen aus. Nach einer Pause, in der nur das Rauschen von der
  Schlucht herauf an ihr Ohr drang, fing sie von selbst wieder an: Ihr
  habt recht, sanft und feurig war er, ein Kind konnte ihn betrügen, und
  doch für die, die er liebte, hätte er sich in den Vesuv gestürzt, wenn
  sie es verlangt hätten. Die Männer sind alle schlecht, sagt Tommaso.
  Aber ihn nahm er aus und hatte recht. Wer ihn ansah, wußte, keine
  reinere Seele atmete die Luft unterm Monde. Ist es ein Wunder, daß
  Tommaso das Meer haßt, welches ihm einen solchen Freund verschlungen
  hat? Daß er ein schweres Herz hat seit jenem Tag, wo er mit ihm
  hinausfuhr zum Fischen und ohne ihn wiederkam? Niemand hat es ihm
  verdacht, daß er tiefsinnig ward von Stund an und sein Gewerbe ihm
  verleidet war.
  Er war auch ein Fischer, wie Euer Bruder?
  Er war ein Sänger, Herr, aber ein armes Fischerkind; seine Eltern
  leben noch heut. Schon als Knabe in den Kirchen schmolz er allen das
  Herz, wenn er zu singen anfing. Ein reicher Onkel von ihm, der eine
  Trattoria am Strande hatte, ließ ihn dann lernen bei einem Singmeister;
  er sollte zur Oper gehen. Und nun stellt Euch vor, am Tage vor
  seinem ersten Auftreten, wo ganz Neapel schon von nichts anderm sprach,
  kommt er so gegen Abend zu meinem Bruder; denn sie kannten sich von
  Kind an und hielten noch immer zusammen. Tomà, sagte er, wollen wir
  noch eine Meerfahrt machen? Ich habe zu tun, Nino, sagt mein Bruder;
  die Netze müssen herein, und der Beppo, sagt er, der Knecht muß mit.
  --Laß ihn zu Hause, Tomà, ich helfe dir schon, ich hab's nicht
  verlernt über dem Notenlesen.--Und so fahren sie beide hinaus, ich
  
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