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Der Weinhüter - 1

Härber sızık iñ yış oçrıy torgan 1000 süzlärneñ protsentnı kürsätä.
Süzlärneñ gomumi sanı 4445
Unikal süzlärneñ gomumi sanı 1768
36.1 süzlär 2000 iñ yış oçrıy torgan süzlärgä kerä.
49.4 süzlär 5000 iñ yış oçrıy torgan süzlärgä kerä.
55.7 süzlär 8000 iñ yış oçrıy torgan süzlärgä kerä.
  Der Weinhüter
  Paul Heyse
  (1862-63)
  
  
  
  Im September eines Jahres, dessen Stadt- und Dorfgeschichten aus
  Menschengedenken schon entschwunden sind, saß um die schwüle
  Mittagszeit ein junger Bursch mitten in dem wuchernden Rebenwald, der,
  dicht an die Stadt Meran herantretend, die Südabhänge des Küchelberges
  bedeckt. Die übermannshohen Laubengänge, in denen hier der Wein
  gezogen wird, waren mit dem Segen dieses Jahres so beladen, daß ein
  dunkelgrünes Zwielicht durch die langen lautlosen Gassen schwebte,
  zugleich eine träge stockende Glut, in der kein Luftzug Wellen schlug.
  Kaum wo die kleinen Felstreppen zwischen den einzelnen Weingütern
  schroff bergan laufen, spürte man, daß man ins Freie auftauchte. Denn
  das Meer von Siedeglut, das in dem weiten Talkessel wogte, schlug hier
  doppelt schwer über dem unbeschützten Haupte zusammen. Auch sah man
  selten einen Menschen des Weges wandern. Nur zahllose Eidechsen
  liefen feuerfest treppauf treppab und raschelten durch das zähe
  Efeugestrüpp, das die Grundmauern der Rebenäcker reichlich umrankt.
  Die dunkelblauen Trauben mit den großen dickschaligen Beeren hingen
  dichtgedrängt oben an der Wölbung der Laubengitter, und ein seltsam
  perlender Ton ward in der tiefen Mittagsstille dann und wann hörbar,
  als kreise vernehmlich der Saft und koche am Sonnenfeuer in dem edlen
  Gewächs.
  Der Bursch aber, der in halber Höhe des Berges einsam unter den Reben
  saß, schien für diese geheimnisvolle Naturstimmung taub und ganz
  seinen eignen düstern Gedanken hingegeben. Er trug die uralte
  abenteuerliche Tracht der Weinhüter oder "Saltner", die lederne Joppe,
  ärmellos, mit breiten Achselklappen, an denen über den Hemdsärmeln die
  ledernen Manschetten durch schmale Riemen oder silberne Kettchen
  festgehalten werden, Kniehosen und Hosenträger ebenfalls von Leder und
  mit dem breiten, daumdicken Gurt umgürtet, auf dem in weißer Stickerei
  der Namenszug des Eigners steht, die weißen Stutzenstrümpfe mit
  durchbrochenem Muster, um den Hals allerlei Zierat von Kettchen, Eber-
  und Murmeltierzähnen. Aber die Hauptstücke seiner Amtstracht lagen
  neben ihm im Grase: der hohe dreieckige Trutzhut, über und über mit
  Hahnen- und Pfauenfedern, Fuchs- und Eichhornschwänzen verbrämt, keine
  kleine Last zur Zeit der Traubenreife, und die lange wuchtige
  Hellebarde, mit der die Saltner ihrer drohenden Erscheinung Nachdruck
  zu verleihen wissen, wenn ein unbefugter Eindringling in ihr Gebiet
  nicht gutwillig das Pfandgeld erlegen will.
  Tag und Nacht, ohne Ablösung, ohne Sonntagsruhe und Kirchgang, um
  einen mäßigen Lohn durchstreifen diese "lebendigen Vogelscheuchen"
  jeder das ihm zugewiesene Revier, von der Mitte des Juli, wo die
  ersten Beeren süß werden, bis die letzte Traube in die Kelter
  gewandert ist. Ihr saurer Dienst in Hitze und Nässe, obdachlos bis
  auf den kümmerlichen Schutz ihres Maisstrohschuppens, ist dennoch ein
  Ehrenamt, zu dem nur die rechtschaffensten Burschen ausersehen werden.
  Auch haben die gelinden sternklaren Nächte in der freien Höhe,
  während in den Häusern die Tagesschwüle kaum je verdampft, ihren Reiz,
  und die Besitzer der Weingüter lassen sich's angelegen sein, die
  Wächter mit Wein und Speisen reichlich zu versorgen, um sie bei
  Kräften und guter Laune zu erhalten.
  Es schien jedoch dieses Mittel bei dem finstern Burschen, dem wir uns
  genähert haben, nicht anzuschlagen. Er hatte den Krug mit rotem Wein,
  das Brot und die großen Schnitte geräucherten Fleisches, die ihm eben
  erst zur Mittagskost ein kleiner Knabe heraufgeschleppt hatte,
  unberührt neben sich stehen auf dem platten Stein, der seinen Tisch
  vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem
  Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und trübsinnig verbiß er die
  Zähne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt
  sein, der Bart krauste sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen
  Züge des Gesichts deuteten auf frühe Leidenschaften; die Stirn aber
  war, nach der Landessitte, von den Haaren verhängt, die, früh schon
  dicht über den Augenbrauen abgeschnitten, sich in einzelne Locken
  gewöhnt hatten und um Schläfe und Nacken ebenfalls gelockt herabhingen.
  Das gab dem Kopf alle Jugendfrische zurück, die ihm die Schatten
  unter den dunklen Augen zu nehmen drohten.
  Ein langsamer Schritt, der sich unten auf dem Fußsteige näherte,
  machte, daß er plötzlich aufstarrte, den Hut aufsetzte und die
  Hellebarde ergriff. Man konnte jetzt sehen, daß sein Wuchs hinter dem
  landüblichen etwas zurückgeblieben war, immer noch stattlich genug und
  durch das schönste Ebenmaß der gewölbten Brust und der straffen
  Schenkel auffallend auf den ersten Blick. Nur der Kopf schien fast zu
  klein geraten und Hände und Füße gar mit einem Weibe ausgetauscht.
  Geräuschlos glitt die schmiegsame Gestalt unter den Gewölbgittern
  entlang, ohne auch nur eine Traube zu streifen, und spähte vom
  nächsten Felsenvorsprung hinunter auf den Weg.
  Eine schmale, schwarzröckige Figur mit hohem, sehr abgetragenem
  Filzhut kam die breite Gasse zwischen Weinberg und Wiese
  dahergewandelt, im Schatten der Weidenbäume, ein offnes Buch in den
  gefalteten Händen, über das hinaus der Blick zufrieden und
  unbegehrlich nach den schönen Trauben schweifte. Auch ohne den langen
  Rock, der fast zu den Knöcheln der schwarzen Strümpfe herabreichte,
  hätte jeder in dem bedächtigen Spaziergänger alsbald die geistliche
  Person erkannt, und zwar an einigen der liebenswürdigsten Züge, die
  der großen und mannigfaltigen Gattung unter gewissen Himmelsstrichen
  eigen sind. Damals war der heftige Parteienhader zu Gunsten der
  Glaubenseinheit in dem gelobten Lande Tirol, wo die Milch des Glaubens
  und der Honig des Aberglaubens so lauter fließen, noch eine unerhörte
  Sache, und selbst die Hauptstadt des alten Burggrafenamts Meran, in
  der vorzeiten mancherlei Regungen eines neuen Geistes unliebsam die
  Ruhe gestört hatten, war wieder in tiefen Frieden zurückgesunken.
  Also hatten die Diener der Kirche keine Ursach, ihren Hirtenstab als
  Waffe zu schwingen, und konnten mit aller Gemütsruhe die idyllischen
  Tugenden ihres Standes pflegen. Damals begegnete man nicht selten
  jenen bescheidenen geistlichen Gesichtern, auf denen eine gewisse
  Verlegenheit über ihre eigene Würde deutlich zu lesen war, eine stete
  Sorge, der Majestät des lieben Gottes, dessen Kleid sie trugen, nichts
  zu vergeben, und doch ihren ungeweihten Mitgeschöpfen nicht allzu
  unnahbar feierlich gegenüberzustehn.
  Der freundliche kleine Herr im schäbigen Hut war nun auch freilich
  keines der hohen Kirchenlichter, sondern nur ein Hilfspriester an der
  Pfarrkirche von Meran, der täglich um zehn Uhr eine Messe zu lesen
  hatte und dafür, außer einem Stübchen in der Laubengasse und einigen
  andern Emolumenten, einen Gulden täglicher Einkünfte besaß. Das Volk,
  das ihn seines milden Gemütes wegen sehr in Ehren hielt und nächst den
  Kapuzinern ihm das größte Vertrauen zuwendete, nannte ihn nicht anders
  als den "Zehnuhrmesser" und bewies ihm auf mannigfache Art seine Gunst.
  Es war kein Haus weit und breit, wo, wenn er ansprach, nicht der
  Weinkrug und irgend ein Imbiß auf den Tisch gestellt wurde, so daß es
  dem wackeren Mann gelungen war, im Laufe der Zeit zwar nicht die
  natürliche Hagerkeit seines Wuchses zu verbessern, aber wenigstens der
  Würde seiner Erscheinung durch ein schüchternes Bäuchlein aufzuhelfen.
  Dasselbe nahm sich, da es sich mit dem übrigen Zuschnitt der Figur
  nur um Gotteswillen vertrug, für ein profaneres Auge spaßhaft aus, wie
  es schief und ängstlich unter dem dünnen Rocke festgeknöpft saß. Aber
  zu dem bescheidenen Ausdruck des Gesichts stimmte die verlegentliche
  Bürde ganz wohl, und es fiel keinem seiner Beichtkinder ein, diesen
  Spätling der Natur zu belächeln. Auch wußte niemand dem Herrn
  Zehnuhrmesser eine Unmäßigkeit nachzusagen, es sei denn etwa im
  Almosenspenden. Denn daß man allerorten sich beeilte, ihn mit dem
  Besten aus dem eigenen Weinberg zu bewirten, lag zum Teil an dem Rufe,
  dessen er genoß, als sei viele Stunden weit keine weltliche oder
  geistliche Zunge besser imstande, die Güte des Weins zu schätzen,
  seine Dauerhaftigkeit zu bestimmen, und in Fällen, wo ihm durch ein
  kleines Mittelchen aufzuhelfen war, das richtige anzugeben. "Eine
  Weinzunge haben wie der Zehnuhrmesser", war noch geraume Zeit das
  Ehrenvollste, was man von einem Kenner zu rühmen wußte.
  Unter den mancherlei Gaben und Tugenden unseres Ehrenmannes war aber
  der Mut nicht eben die stärkste. Seine Nerven, obwohl er aus einer
  Bauernfamilie im Passeier stammte, die zu Hofers Kriegen manchen
  tapfern Schützen geliefert hatte, ließen seine leicht erschütterte
  Seele bei jeder unversehenen Probe im Stich, außer wo es eine fremde
  Seele zu retten oder sonst eine hohe Gewissenspflicht zu erfüllen galt.
  Auch dann zog er es vor, seiner moralischen Kraft erst mit einer
  physischen Stärkung nachzuhelfen, und sorgte dafür, daß ein mäßiges
  Fäßchen voll weißem Terlaner, dem er am meisten begeisternde Wirkungen
  zuschrieb, im Keller seines Hauses niemals ganz versiegte. Heute nun,
  da er von einem Krankenbesuch im Dorf Algund ohne Labung zurückkehren
  mußte, war er keiner starken Prüfung gewachsen und erschrak aufs
  heftigste, als plötzlich dicht neben ihm eine dunkle Gestalt hoch von
  der Weinbergsmauer herabsprang und auf ihn zustürzend seine Hand
  ergriff.
  Gelobt sei Jesus Christus! sagte er, am ganzen Leibe zitternd.
  In Ewigkeit! antwortete der Bursch.
  Du bist's, Andree, mein Sohn? Hab' ich doch gemeint, der böse Feind
  komme mir mit Macht über den Hals, der ja im Weinberge des Herrn
  herumschleicht, zu sehen, wen er verschlinge. Nun, nun, wenn man so
  in Gedanken und Meditationen schwebt, kann's einem schon begegnen, daß
  euer Hut einem wie das Hörnerhaupt des Leibhaftigen vorkommt. Bist
  also hier, Andree? Das ist ja wohl dein eigener Grund und Boden, den
  du hütest, ich meine, deiner Mutter?
  Des Burschen Augen wurden finsterer, und das Blut stieg ihm ins
  Gesicht. Da sei Gott vor, sagte er, daß ich den Fuß setzte in die
  Güter meiner Mutter. Seit sie mir zu Lichtmeß den Schlag ins Gesicht
  gegeben hat, weil sie meint', ich hätte Feuer im Stadel angelegt, bin
  ich nimmer ihr Sohn und betrete ihre Schwelle weder bei Tag noch bei
  Nacht.
  Der geistliche Herr besann sich jetzt erst, daß er einen wunden Fleck
  berührt hatte. Er schüttelte ernsthaft und mitleidig den Kopf und
  sagte: Ei, Andree, du sprichst, wie es keinem guten Christen geziemt.
  Hat nicht unser Herr am Kreuz seinen blutigen Feinden verziehen, und
  ein Sohn sollt' es seiner Mutter nachtragen, wenn sie ihn auch
  ungerecht gezüchtigt hat? Ich weiß wohl, daß es dir hart ankommen mag,
  und daß jenes Mal, wo die Mutter sich vergessen hat, nicht das erste
  Mal war. Aber sieben mal siebenzigmal sollen wir verzeihen, Andree.
  Hast du das schon vergessen seit der Kinderlehre?
  Nein, Hochwürden, erwiderte der Jüngling fest. Ich hab' mir's auch
  angelobt, an jenen Tag nimmer zu denken und kann's über mich bringen,
  solang ich vom Hause fernbleibe. Aber wenn ich zurückkäme, würde mich
  die Mutter selbst daran mahnen, weil sie mich haßt und nur darauf
  sinnt, wie sie mich plagen und tratzen mag. Sie wird mir auch mein
  Erbe entziehen im Testament, selbiges weiß ich gewiß, und frage nicht
  viel danach. Ich werd' auch ohne das nicht verkommen, und gönn' es
  wohl meiner Schwester. Aber geschieden sind wir, und da kann keiner
  was dazu tun. Ich hab' mich beim Steirer verdungen, drüben in Gratsch,
  als Großknecht, und heuer mach' ich den Saltner und hab' mein
  Auskommen, ohne einen Kreuzer von Haus. Aber die Mutter könnte mir
  sieben Boten schicken und mich mit vier Rossen zurückholen wollen, ich
  ginge nicht. Es hat alles einmal ein End'.
  Der kleine Priester sah nachdenklich vor sich hin und schien der
  Meinung, daß es geratener sei, die Dinge gehen zu lassen, anstatt noch
  weiter mit geistlicher Mahnung einzugreifen. Er betrachtete jetzt mit
  kundigen Augen die Reben oben über der Mauer und sagte:
  Der Steirer hat wohlgetan, statt der Bratreben, die sonst hier standen,
  die Hertlinger anzupflanzen. Sie sind noch jung, aber im nächsten
  Jahr werden sie das Doppelte tragen.
  Die stehen nur hier am Rande, erwiderte der Bursch. Droben ist meist
  roter Farnatsch und einiges von Geißaugen dazwischen. Was er drüben
  hat, unterhalb Dorf Tirol, sind rote Ferseilen, aber er wird sie heuer
  ausnehmen und Setzlinge pflanzen, denn sie haben sich schier zu Tod
  getragen.
  Auf wieviel Uhren rechnet ihr beiläufig?
  Einhundertundvierzig bis--siebenzig immerhin.
  Wie steht dir das Saltnern an, Andree? Es mag hart werden auf die,
  Länge.
  Ha, es passiert, Hochwürden. Noch spür' ich's nicht in den Gliedern.
  Hast auch bei Nacht fein die Augen offen?
  Die meinigen wohl. Aber sind nur zwei, und ich müßt' ein Dutzend
  haben, um allerorten zugleich nachzuschauen. Die Weißröcke fangen
  wieder an, bei Nacht herumzufuragieren; die Weinbeeren sind ihnen grad
  saftig genug, um ihr Kommißbrot anzufeuchten. Und es kommen ihrer
  immer viele auf einmal, aber einzeln, und wenn wir einen fassen, haben
  indes die andern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm
  Hauptmann ist doch kein Recht zu erlangen.
  Die Stadt sollte sich beklagen.
  Ja die Stadt! Da müßten wir Zeugen und Beweise schaffen. Aber wer
  will's beschwören, wenn wir am Morgen ganze Strecken lang die besten
  Trauben gestohlen und links und rechts die Reben wie ein Unkraut mit
  dem Säbel zerhauen finden aus Wüstheit und Schadenfreude, daß das nur
  die Soldaten getan haben können? Fassen wir einen am Kragen, so weiß
  er so wenig von Weinbeeren wie's Kind im Mutterleib. Da bleibt nichts,
  als ihn auf eigene Faust Spießruten laufen zu lassen, daß er's
  Wiederkommen vergißt. Den nächsten aber, den hängen wir, mein Eid! an
  den Beinen auf, da mag er bis an den lichten Morgen in der Luft
  exerzieren.
  Es sind arme Teufel, Andree, und die Versuchung ist groß. Ihr
  solltet's menschlich mit ihnen machen.
  Machen sie's denn nicht wie die Bestien? Da seht, Hochwürden--und er
  wies auf eine Rebe, die glatt mitten durchgeschnitten war, daß das
  Laub schon welk und gelb an den Ranken hing--das Herz blutet einem, so
  ein gesundes, friedliches Gewächs, das nur auf der Welt ist, um seinem
  Herrn das Faß zu füllen, von den Hundsföttern verheert zu sehen, aus
  purer Niedertracht, uns zum Possen. Find' ich einen einmal beim Werk,
  so gnad' ihm Gott!
  Er schüttelte, in der Richtung nach der Stadt, drohend die Hellebarde
  und bohrte sie darin heftig in den Sand.
  Der geistliche Herr schrak leicht zusammen, vergaß aber seiner Würde
  nicht und sagte: Ich will mit dem Hauptmann sprechen, heute noch, daß
  er strenger drauf sieht, nach dem Zapfenstreich keinen Mann aus der
  Kaserne zu lassen. Du aber bezähme deine Hitze, mein Sohn, und
  bedenke, daß du hier im Dienste der Obrigkeit stehest und das Gericht
  ihr überlassen sollst. Behüt dich Gott, Andree. Ich gehe heute wohl
  auf Goyen hinauf, zum Hirzer. Hast mir was aufzutragen an den Franz
  oder die Rosina? Einen Gruß etwa?
  Nein, Hochwürden. 's ist immer noch beim alten zwischen dem Bauern und
  mir. Er will nichts von uns wissen, so frag' ich ihm nichts nach.
  Die andern sind ganz rechtschaffen, möcht' ihnen beim Vater keinen
  Verdruß machen, indem ich sie grüßen ließ'. Aber wenn Ihr etwa meiner
  Schwester begegnet--nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Einfall.
  Rasch, wie um seine Verwirrung zu verbergen, bückte er sich nach der
  Hand des Priesters, küßte sie ehrerbietig und schwang sich an dem
  langen Hellebardenschaft auf die Mauer zurück, wo er sogleich hinter
  dichtem Rebenlaub verschwand.
  Kopfschüttelnd setzte der Zehnuhrmesser seinen Weg fort, und das
  Gespräch mit dem Jüngling beschäftigte sein menschenfreundliches Gemüt
  noch eine geraume Zeit. Aber die lange, tägliche Übung einer
  ausgebreiteten Seelsorge und die geistliche Pflicht, das Öl der Geduld
  in eigene und fremde Stürme zu träufeln, hatten den schärfsten Stachel
  des Mitgefühls bereits abgestumpft. Es ahnte ihm nicht von fern, wie
  es jetzt im Innern des Burschen aussah, der oben bei seiner Maishütte
  lag, das Gesicht gegen den Felsboden gedrückt, als wollte er sich bei
  lebendigem Leibe in den Schoß der Mutter Erde vergraben, um vor einem
  übergroßen Kummer Zuflucht zu finden,
  Eine volle Stunde mochte er so gelegen haben, zuletzt durch einen
  mitleidigen Halbschlaf von seinen hilflosen Gedanken erlöst, als ein
  helles Lachen, das unten am Weg erscholl, ihn jählings erweckte.
  Einen Augenblick lag er still, sich zu besinnen, ob er's nicht etwa
  geträumt habe. Aber eine helle Stimme drang zu ihm herauf und
  dasselbe unschuldig trillernde und girrende Mädchenlachen, das sich
  von fern fast wie der Gesang eines Vogels ausnahm. Im Nu war der
  Jüngling aufgesprungen und an ein Lugloch gestürzt, das den Blick
  hinunter freiließ. Auf dem nämlichen Weg unter den Weiden, den der
  geistliche Herr vorhin gewandelt war, kam, diesmal aber von der
  Stadtseite, ein Mädchen, das nicht über siebzehn Jahr sein konnte,
  blond, eher klein als groß, in der dunklen, schwerfälligen
  Landestracht. Aber die Bewegungen der zierlichen Gestalt, so langsam
  und behaglich sie einherschritt, waren so leicht und anmutig, daß
  jedes Auge ihr unwillkürlich folgen mußte. Sie hatte die Hände ruhig
  ineinandergelegt, wie es die Art der Mädchen hier zu Lande ist, wenn
  sie nichts zu tragen haben. Der runde Kopf aber blieb keinen
  Augenblick still auf dem schlanken Nacken, sondern wendete sich wie
  bei einem Vogel rastlos nach allen Seiten, am häufigsten freilich zu
  ihrem Begleiter, über dessen scherzhafte Reden sie beständig in ein
  neues Lachen ausbrach. Das war ein gewandter, rühriger Gesell, dem
  die leinene Soldatenjacke, die enganschließenden blauen Hosen und die
  schiefe blaue Kappe ohne Schirm nicht übel standen. Sein dunkles
  Gesicht und die schwarzen Augen verrieten das welsche Blut. Auch
  hatte er große Mühe, sich dem Mädchen in seinem gebrochenen Deutsch
  verständlich zu machen. Aber schon der Klang seiner verstümmelten und
  verwelschten Worte schien sie höchlich zu belustigen. Mehrmals warf
  er forschende Blicke in der Gegend umher. Einen Bauern, der ein Kalb
  mit Hilfe seines Hundes nach dem nächsten Dorfe trieb, ließ er mit
  absichtlichem Zögern vorankommen, und jetzt, da derselbe um die Ecke
  des Weges verschwunden war, rüstete er sich offenbar, mit dem Mädchen
  etwas handgreiflicher anzubinden, als sein spähendes Auge plötzlich
  die drohende Gestalt des Weinhüters entdeckte, der aus der Öffnung des
  Weinganges herausgetreten war und mit erhobener Waffe, noch sprachlos,
  hinunterwinkte.
  Der Welsche stand unschlüssig still. Auch das Mädchen hermmte den
  gleichmütigen Schritt und sah hinauf. Guten Nachmittag, Andree! rief
  sie ohne jede Verlegenheit. Es ist mein Bruder, setzte sie, zu dem
  Soldaten gewendet, hinzu. Macht, daß Ihr fortkommt; er versteht
  keinen Spaß.
  Der Soldat schien den wohlgemeinten Rat vollkommen zu würdigen, aber
  durch die Entfernung seines Feindes sich einstweilen noch sicher zu
  fühlen. Nix Furcht, Fralla, sagte er; ihm geben Kreizer a comprar
  tabacco; dann still sein, gut Freund.-Er griff in die Tasche und holte
  eben seine geringe Barschaft heraus, als er die donnernde Stimme des
  Burschen droben vernahm: Zurück, Soldat, oder der Spieß fliegt dir an
  den Kopf, daß du bei Nacht und Tag das Wiederkommen vergißt.
  Der Welsche stand wie angewurzelt und maß den Weinhüter mit einem
  wütenden Blick.
  Deutsche Bär! murmelte er zwischen den Zähnen. Maledetto!--Aber noch
  konnte er sich nicht entschließen, umzukehren und sich vor den Augen
  seiner Schönen in so nachteiligem Licht zu zeigen. Diese stand,
  offenbar durch seine heftigen und ohnmächtigen Gebärden ergötzt,
  gelassen neben ihm und lachte ohne jede Schonung. Aber dem Burschen
  oben erschien der Auftritt nichts weniger als lustig. In raschen
  Sätzen sprang er, durch schmale Öffnungen der Lauben sich windend, den
  Abhang hinab, und ehe der Welsche sich besinnen konnte, sahen zwei
  funkelnde Augen unter dem wehenden Trutzhut ihm in das entfärbte
  Gesicht.
  Hast du Ohren, Kamerad? herrschte der Zornglühende ihn an. Weißt
  nicht, daß der Weg hier für deinesgleichen verboten ist? Soll ich dir
  die Jacke vom Leibe reißen, um ein Pfand zu behalten, welscher Fuchs?
  Hast wohl Weinbeeren vergessen zu Nacht, und kommst nun zur Marend,
  sie zu holen? Den Augenblick scher dich heim, oder-Die Hand weg!
  knirschte der Welsche, da er sich ungestüm gepackt und geschüttelt
  flühlte. Hätt' ich mein' sdégena-Wurm! rief der Jüngling. Bring nur
  deinen Degen mit das nächste Mal, und dein Gewehr dazu; es wär' doch
  ein Pfand, das der Müh' verlohnte. Aber nun beim Kreuz! fort mit dir,
  oder ich spieße dich auf wie einen Frosch, und werfe dich in deinen
  Kasernenhof zurück, daß du das letzte Stoßgebet nimmer zu Ende beten
  sollst.
  Damit schleuderte er den langen Gesellen einige Schritte weit fort,
  daß er, über einen Stein strauchelnd, in die Knie fiel. Im Augenblick
  war er wieder auf den Füßen, und mit beiden Fäusten wie ein Weib gegen
  den Feind drohend und eine Flut von welschen Flüchen hervorsprudelnd,
  wich er der Gewalt und trollte hinkend und oft zurückblickend im
  Schutz der Weiden dem nahen Stadttor zu.
  Du hast's ihm aber arg gemacht, Andree, sagte die Blonde, indem sie
  dem geschlagenen Galan ganz kaltblütig nachblickte. Er hat so
  g'spaßiges Zeug geredt, daß ich immer hab' lachen müssen. Warum bist
  du gleich so wild worden?
  Der Bruder gab keine Antwort, seine Gedanken waren noch bei seinem
  Zorn. 's ist noch nicht aus zwischen uns! sagte er vor sich hin. Er
  kommt mir schon wieder; meinetwegen! so heb' ich's ihm auf.--Moidi,
  fuhr er fort, plötzlich zu dem Mädchen gewendet, und du, immer noch
  das alte Lied? Wer mir aufspielt, dem tanz' ich? Schämst du dich
  nicht, so einem tückischen Teufel das Wort zu gönnen und neben ihm her
  zu gehen? Wenn dir jeder recht ist, der dich lachen macht, so bleib
  weg von mir. Denn du weißt wohl, das Lachen ist rar bei mir, wie der
  Schnee zu Pfingsten.
  Das Mädchen war still geworden und sah mit zerstreutem Blick vor sich
  hin. Sie strich sich mit beiden flachen Händen über das Haar, das von
  allen Seiten glatt über den Kopf zurückgekämmt und im Nacken mit einem
  großen runden Kamm festgesteckt war, und ihr sehr zartgefärbtes
  Gesicht rötete sich vor Verlegenheit. Andree, sagte sie endlich, ohne
  ihn anzusehen, soll ich wieder gehn?
  Nein, bleib! erwiderte er kurz. Bist du meinethalben gekommen?
  Freilich, sagte sie eifrig, und wagte es jetzt erst, seinem Blick zu
  begegnen. Es ist ja schon eine Woche her, daß ich nicht habe abkommen
  können. Du läßt dich ja nimmer sehen. Die Mutter war eingeschlafen,
  es war so heiß in der Küche, da hab' ich gedacht, ich will einen
  Sprung hinaus tun, zu schauen, wie dir's geht. Und da, einen halben
  Weck hab' ich dir mitgebracht; der Hirzerfranz hat ihn mir gekauft, am
  Sonntag gestern, nach der Kirch'. Ich mag ihn nimmer, er ist soviel
  süß.
  Der Hirzerfranz? Was hat der dir zu schenken? Wenn's sein Vater
  wüßte, es gäbe einen Teufelslärm. Hat er dich etwa auch zu lachen
  gemacht?
  Der? Dem lacht's nur in der Tasche, wenn er mit seinen Gulden
  klappert. Auch war meine Mutter dabei, weißt wohl; wen die anschaut,
  dem vergeht der Spaß, wie den Mäusen, wenn sie die Katze spüren. Mich
  wundert's selbst, daß ich noch lustig sein kann. Aber ich wär' längst
  gestorben ohne das Lachen, so grauslich ist mir's manches Mal, mit ihr
  allein droben in der Hütte.
  Sie schwiegen eine Weile.--Magst du den Wecken nicht? sagte das
  Mädchen. So leg' ich ihn da auf die Bank, er kommt schon nicht um.
  Aber da sind noch ein paar Feigen, von unserm Baum droben, die
  reifsten. Ich hab' sie für dich abgebrochen. Da! sie sind gut in der
  Hitze!
  Ich dank' dir, Moidi, erwiderte er. Komm, wir wollen sie zusammen
  essen, droben im Schatten.
  Er schritt voran die Weinbergsstufen hinauf, und sie folgte ihm,
  allerlei plaudernd, worauf er die Antwort schuldig blieb. Auf seinem
  alten Platz unter dem Rebendach warf er sich nieder, und sie setzte
  sich neben ihn auf den breiten Stein und nötigte ihn, die Feigen zu
  kosten. Mit der Zeit, da keine neue Störung kam, schien ihm wohl zu
  werden. Ein leichter Wind machte sich auf und trug den Schall einer
  fernen Mühle an der Etsch und das Geräusch der Passer bis zu ihnen
  herauf, dann und wann auch einen Knall von den Schützen, die im
  Schießstande drüben nach der Scheibe schossen. Die Zeit wurde ihnen
  nicht lang. Er nötigte sie, von seinem Wein zu trinken, was sie bald
  wieder in die alte lustige Laune brachte. Auch die Heimlichkeit des
  schattigen Verstecks reizte ihren Mutwillen, und er, der einsilbig,
  aber nicht mehr unmutig, sie gewähren ließ, verwandte kein Auge von
  ihr. Endlich setzte sie sich gar den schweren Saltnerhut auf, nahm
  den Spieß in die Hand und ging mit großen Schritten die Laubengasse
  hinauf und hinunter, mit der Linken die beiden Fuchsschwänze unter dem
  Kinn zusammenhaltend, daß ihr Gesicht ganz davon eingerahmt war.
  Andree, sagte sie, mich sollten sie schon fürchten, mein' ich, und
  wenn die Mutter nicht wär', käm' ich alle Nacht zu dir und machte den
  Saltner, während du dich hinlegtest, ein paar Stunden zu schlafen.
  Ich wollt' die Spitzbuben, die Soldaten, schon in Respekt halten, gelt?
  Der Jüngling lachte zum erstenmal. Als sie sah, daß sie das Eis
  seines Trübsinns gebrochen hatte, kam sie rasch zu ihm, setzte Hut und
  Hellebarde beiseit und sagte, dicht neben ihm im Grase kauernd: Nun
  schau, Andree, tausendmal hübscher bist du, wenn du auch einmal lachst
  wie andre Buben, als so alleweil Falten in die Stirn ziehst und
  dreinschaust wie unser Herr Christus am Kreuz. Bist du nicht ein
  junger, lebfrischer Bub und brauchst dich von niemand in den Sack
  stecken zu lassen? Mit der Mutter--ja, das ist freilich eine leide
  Geschicht', aber du hast doch keine Schuld daran, das wissen alle
  Leut', und um mich brauchst du dich auch nicht zu grämen, ich komm' zu
  dir, sooft ich kann, und vor mir darf die Mutter kein bös Wort auf
  dich sagen, wenn sie mich nicht zur Tür hinaustreiben will, das weiß
  sie wohl. Was hast also, daß du alleweil den Kopf hängst und mir
  selber so finstre Augen machst, als wär' ich nicht deine liebe
  Schwester, sondern eine Feindin? Und wenn gar ein andrer Bub mir ein
  Wörtel sagt, so ist gleich Feuer im Dach. Sag, möchtest du eine Nonne
  aus mir machen, oder daß ich bei der Mutter ihr Lebtag die Hennendirn
  abgeben und eine steinalte Jungfer werden soll?
  Sie war ihm während dieser Worte zutraulich nahe gerückt und hatte den
  Arm leicht um seinen Nacken gelegt. Aber wie wenn ein Gespenst ihn
  angefaßt hätte, fuhr er auf und schüttelte ihre Liebkosung ab. Seine
  Brust arbeitete schwer. Laß mich, keuchte er heftig hervor, rühr mich
  nicht an, frag mich nichts, geh fort von mir, so weit du kannst, und
  komm nie wieder!
  Er war aufgesprungen, als wollte er fliehen, aber er konnte sich nicht
  von der Stelle rühren. Er mußte sie ansehen, wie sie, versteinert, im
  Grase kniete, die Hände im Schoß gefaltet, mit einem Blick, der ihm
  ins Herz schnitt. Die Augen schienen größer geworden, der
  halbgeöffnete Mund in einem schmerzlichen Aufschrei erstarrt, die
  feinen Nasenflügel bebten. Es war nicht das erste Mal, daß dieses
  Gesicht ihn an dem Kinde entsetzte. Ja zuweilen mitten in ihrem
  Lachen, das überhaupt oft kindisch klang, ward sie von plötzlichem
  Schrecken überfallen und für eine Zeitlang wie von einem verstörenden
  Krampf entgeistert, der sich dann mehr oder minder heftig zu lösen
  pflegte. Er selbst hatte sich bisher nicht vorzuwerfen, einen solchen
  Auftritt verursacht zu haben. Vielmehr rief man ihn, um den bösen
  Geist zu bannen, und es pflegte ihm ohne Mühe zu gelingen. Als er sie
  aber jetzt in dieser atemlosen Ohnmacht knien sah, durch seine Schuld,
  war ihm einen Augenblick selbst die Besinnung gelähmt.
  Er schlug sich vor die Stirn und stöhnte tief auf. Dann bückte er
  sich zu ihr herab, faßte ihre Hände, die eiskalt geworden waren, und
  sah ihr dicht in die Augen. Ich bin's, Maria, sagte er inständig; der
  Andree ist's; sieh mich an, höre mich, verzeih mir, ich bin ein
  
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