🕥 Минуты чтения - 34

Peter Schlemihls wundersame Geschichte - 1

Каждый столб представляет процент слов на 1000 наиболее распространенных слов
Общее количество слов 4417
Общее количество уникальных слов составляет 1572
40.8 слов входит в 2000 наиболее распространенных слов
54.3 слов входит в 5000 наиболее распространенных слов
60.3 слов входит в 8000 наиболее распространенных слов
  Peter Schlemihls
   wundersame Geschichte.
   Mitgeteilt
   von
   Adelbert von Chamisso.
  
   Leipzig
   Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
  
   * * * * *
  
  An meinen alten Freund Peter Schlemihl.
  
   Da fällt nun deine Schrift nach vielen Jahren
   Mir wieder in die Hand, und -- wundersam! --
   Der Zeit gedenk' ich, wo wir Freunde waren,
   Als erst die Welt uns in die Schule nahm.
   Ich bin ein alter Mann in grauen Haaren,
   Ich überwinde schon die falsche Scham,
   Ich will mich deinen Freund wie eh'mals nennen
   Und mich als solchen vor der Welt bekennen.
   Mein armer, armer Freund, es hat der Schlaue
   Mir nicht, wie dir, so übel mitgespielt;
   Gestrebet hab' ich und gehofft ins Blaue,
   Und gar am Ende wenig nur erzielt;
   Doch schwerlich wird berühmen sich der Graue,
   Daß er mich jemals fest am Schatten hielt;
   Den Schatten hab' ich, der mir angeboren,
   Ich habe meinen Schatten nie verloren.
   Mich traf, obgleich unschuldig wie das Kind,
   Der Hohn, den sie für deine Blöße hatten. --
   Ob wir einander denn so ähnlich sind?! --
   Sie schrien mir nach: Schlemihl, wo ist dein Schatten?
   Und zeigt' ich den, so stellten sie sich blind
   Und konnten gar zu lachen nicht ermatten.
   Was hilft es denn! man trägt es in Geduld,
   Und ist noch froh, fühlt man sich ohne Schuld.
   Und was ist denn der Schatten? möcht' ich fragen,
   Wie man so oft mich selber schon gefragt,
   So überschwenglich hoch es anzuschlagen,
   Wie sich die arge Welt es nicht versagt?
   Das gibt sich schon nach neunzehntausend Tagen,
   Die, Weisheit bringend, über uns getagt;
   Die wir dem Schatten _Wesen_ sonst verliehen,
   Sehn Wesen jetzt als _Schatten_ sich verziehen.
   Wir geben uns die Hand darauf, Schlemihl,
   Wir schreiten zu und lassen es beim alten;
   Wir kümmern uns um alle Welt nicht viel,
   Es desto fester mit uns selbst zu halten;
   Wir gleiten so schon näher unserm Ziel,
   Ob jene lachten, ob die andern schalten,
   Nach allen Stürmen wollen wir im Hafen
   Doch ungestört gesunden Schlafes schlafen.
   _Berlin_, August 1834.
  
  
  An Julius Eduard Hitzig von Adelbert von Chamisso.
  
  Du vergissest niemanden, du wirst dich noch eines gewissen _Peter
  Schlemihls_ erinnern, den du in früheren Jahren ein paarmal bei mir
  gesehen hast, ein langbeiniger Bursch', den man ungeschickt glaubte,
  weil er linkisch war, und der wegen seiner Trägheit für faul galt. Ich
  hatte ihn lieb -- du kannst nicht vergessen haben, _Eduard_, wie er uns
  einmal in unsrer grünen Zeit durch die Sonette lief, ich brachte ihn mit
  auf einen der poetischen Tees, wo er mir noch während des Schreibens
  einschlief, ohne das Lesen abzuwarten. Nun erinnere ich mich auch eines
  Witzes, den du auf ihn machtest. Du hattest ihn nämlich schon, Gott weiß
  wo und wann, in einer alten schwarzen Kurtka gesehen, die er freilich
  damals noch immer trug, und sagtest: »Der ganze Kerl wäre glücklich zu
  schätzen, wenn seine Seele nur halb so unsterblich wäre, als seine
  Kurtka.« -- So wenig galt er bei euch. -- Ich hatte ihn lieb. -- Von
  diesem _Schlemihl_ nun, den ich seit langen Jahren aus dem Gesicht
  verloren hatte, rührt das Heft her, das ich dir mitteilen will. -- Dir
  nur, _Eduard_, meinem nächsten, innigsten Freunde, meinem beßren Ich, vor
  dem ich kein Geheimnis verwahren kann, teil' ich es mit, nur dir und, es
  versteht sich von selbst, unserm _Fouqué_, gleich dir in meiner Seele
  eingewurzelt -- aber in ihm teil' ich es bloß dem Freunde mit, nicht dem
  Dichter. -- Ihr werdet einsehen, wie unangenehm es mir sein würde, wenn
  etwa die Beichte, die ein ehrlicher Mann im Vertrauen auf meine
  Freundschaft und Redlichkeit an meiner Brust ablegt, in einem
  Dichterwerke an den Pranger geheftet würde, oder nur wenn überhaupt
  unheilig verfahren würde, wie mit einem Erzeugnis schlechten Witzes, mit
  einer Sache, die das nicht ist und sein darf. Freilich muß ich selbst
  gestehen, daß es um die Geschichte schad' ist, die unter des guten
  Mannes Feder nur albern geworden, daß sie nicht von einer geschickteren
  fremden Hand in ihrer ganzen komischen Kraft dargestellt werden kann. --
  Was würde nicht _Jean Paul_ daraus gemacht haben! -- Übrigens, lieber
  Freund, mögen hier manche genannt sein, die noch leben; auch das will
  beachtet sein. --
  Noch ein Wort über die Art, wie diese Blätter an mich gelangt sind.
  Gestern früh bei meinem Erwachen gab man sie mir ab -- ein wunderlicher
  Mann, der einen langen grauen Bart trug, eine ganz abgenützte schwarze
  Kurtka anhatte, eine botanische Kapsel darüber umgehangen, und bei dem
  feuchten, regnichten Wetter Pantoffeln über seine Stiefel, hatte sich
  nach mir erkundigt und dieses für mich hinterlassen; er hatte aus Berlin
  zu kommen vorgegeben. -- -- --
   _Kunersdorf_, den 27. September 1813.
   _Adelbert von Chamisso_.
  #P. S.# Ich lege dir eine Zeichnung bei, die der kunstreiche _Leopold_, der
  eben an seinem Fenster stand, von der auffallenden Erscheinung entworfen
  hat. Als er den Wert, den ich auf diese Skizze legte, gesehen hat, hat
  er sie mir gerne geschenkt.[1]
  
  
  An Ebendenselben von Fouqué.
  
  Bewahren, _lieber Eduard_, sollen wir die Geschichte des armen _Schlemihl_,
  dergestalt bewahren, daß sie vor Augen, die nicht hineinzusehen haben,
  beschirmt bleibe. Das ist eine schlimme Aufgabe. Es gibt solcher Augen
  eine ganze Menge, und welcher Sterbliche kann die Schicksale eines
  Manuskriptes bestimmen, eines Dinges, das beinah noch schlimmer zu hüten
  ist als ein gesprochenes Wort. Da mach' ich's denn wie ein
  Schwindelnder, der in der Angst lieber gleich in den Abgrund springt:
  ich lasse die ganze Geschichte drucken.
  Und doch, _Eduard_, es gibt ernstere und bessere Gründe für mein Benehmen.
  Es trügt mich alles oder in unserm lieben Deutschland schlagen der
  Herzen viel, die den armen _Schlemihl_ zu verstehen fähig sind und auch
  wert, und über manch eines echten Landsmannes Gesicht wird bei dem
  herben Scherz, den das Leben mit ihm, und bei dem arglosen, den er mit
  sich selbst treibt, ein gerührtes Lächeln ziehn. Und du, mein _Eduard_,
  wenn du das grundehrliche Buch ansiehst und dabei denkst, daß viele
  unbekannte Herzensverwandte es mit uns lieben lernen, fühlst auch
  vielleicht einen Balsamtropfen in die heiße Wunde fallen, die dir und
  allen, die dich lieben, der Tod geschlagen hat.
  Und endlich: es gibt -- ich habe mich durch mannigfache Erfahrung davon
  überzeugt -- es gibt für die gedruckten Bücher einen Genius, der sie in
  die rechten Hände bringt und, wenn nicht immer, doch sehr oft die
  unrechten davon abhält. Auf allen Fall hat er ein unsichtbares
  Vorhängschloß vor jedwedem echten Geistes- und Gemütswerke und weiß mit
  einer ganz untrüglichen Geschicklichkeit auf- und zuzuschließen.
  Diesem Genius, mein sehr lieber _Schlemihl_, vertraue ich dein Lächeln und
  deine Tränen an, und somit Gott befohlen!
   _Nennhausen_, Ende Mai 1814.
   _Fouqué_.
  
  
  An Fouqué von Hitzig.
  
  Da haben wir denn nun die Folgen deines verzweifelten Entschlusses, die
  Schlemihlshistorie, die wir als ein bloß _uns_ anvertrautes Geheimnis
  bewahren sollten, drucken zu lassen, daß sie nicht allein Franzosen und
  Engländer, Holländer und Spanier übersetzt, Amerikaner aber den
  Engländern nachgedruckt, wie ich dies alles in meinem gelehrten Berlin
  des breiteren gemeldet; sondern daß auch für unser liebes Deutschland
  eine neue Ausgabe, mit den Zeichnungen der englischen, die der berühmte
  _Cruikshank_ nach dem Leben entworfen, veranstaltet wird, wodurch die
  Sache unstreitig noch viel mehr herumkommt. Hielte ich dich nicht für
  dein eigenmächtiges Verfahren (denn mir hast du 1814 ja kein Wort von
  der Herausgabe des Manuskripts gesagt) hinlänglich dadurch bestraft, daß
  unser _Chamisso_ bei seiner Weltumsegelei, in den Jahren 1815 bis 1818,
  sich gewiß in Chili und Kamtschatka und wohl gar bei seinem Freunde, dem
  seligen _Tameiamaia_ auf O-Wahu, darüber beklagt haben wird, so fordere
  ich noch jetzt öffentlich Rechenschaft darüber von dir.
  Indes -- auch hievon abgesehn -- geschehn ist geschehn und recht hast du
  auch darin gehabt, daß viele, viele Befreundete in den dreizehn
  verhängnisvollen Jahren, seit es das Licht der Welt erblickte, das
  Büchlein mit uns liebgewonnen. Nie werde ich die Stunde vergessen, in
  der ich es _Hoffmann_ zuerst vorlas. Außer sich vor Vergnügen und
  Spannung, hing er an meinen Lippen, bis ich vollendet hatte; nicht
  erwarten konnte er, die persönliche Bekanntschaft des Dichters zu machen
  und, sonst jeder Nachahmung so abhold, widerstand er doch der Versuchung
  nicht, die Idee des verlornen Schattens in seiner Erzählung: Die
  Abenteuer der Silvesternacht,[2] durch das verlorne Spiegelbild des
  Erasmus Spikher, ziemlich unglücklich zu variieren. Ja -- unter die
  Kinder hat sich unsre wundersame Historie ihre Bahn zu brechen gewußt;
  denn als ich einst, an einem hellen Winterabend, mit ihrem Erzähler die
  Burgstraße hinaufging und er einen über ihn lachenden, auf der
  Glitschbahn beschäftigten Jungen unter seinen dir wohlbekannten
  Bärenmantel nahm und fortschleppte, hielt dieser ganz stille; da er aber
  wieder auf den Boden niedergesetzt war und in gehöriger Ferne von den,
  als ob nichts geschehen wäre, Weitergegangenen, rief er mit lauter
  Stimme seinem Räuber nach: »Warte nur, Peter Schlemihl!«
  So, denke ich, wird der ehrliche Kauz auch in seinem neuen, zierlichen
  Gewande viele erfreuen, die ihn in der einfachen Kurtka von 1814 nicht
  gesehen; diesen und jenen aber es außerdem noch überraschend sein, in
  dem botanisierenden, weltumschiffenden, ehemals wohlbestallten königlich
  preußischen Offizier, auch Historiographen des berühmten Peter
  Schlemihl, nebenher einen Lyriker kennen zu lernen,[3] der, er möge
  malaiische oder litauische Weisen anstimmen, überall dartut, daß er das
  poetische Herz auf der rechten Stelle hat.
  Darum, lieber Fouqué, sei dir am Ende denn doch noch herzlich gedankt
  für die Veranstaltung der ersten Ausgabe, und empfange mit unsern
  Freunden meinen Glückwunsch zu dieser zweiten.
   _Berlin_, im Januar 1827.
   _Eduard Hitzig_.
  
   Fußnoten:
   [1] Das hier erwähnte Bild befand sich bei den ersten Ausgaben des
   Schlemihl.
   [2] Phantasiestücke in Callots Manier, im letzten Teil. Vgl. auch:
   Aus Hoffmanns Leben und Nachlaß. Bd. #II#, S. 112.
   [3] Die zweite Ausgabe des Peter Schlemihl hatte einen Anhang von
   Liedern und Balladen des Dichters, worauf sich dies bezog.
  
  Peter Schlemihls wundersame Geschichte.
  1.
  
  Nach einer glücklichen, jedoch für mich sehr beschwerlichen Seefahrt
  erreichten wir endlich den Hafen. Sobald ich mit dem Boote ans Land kam,
  belud ich mich selbst mit meiner kleinen Habseligkeit, und durch das
  wimmelnde Volk mich drängend, ging ich in das nächste, geringste Haus
  hinein, vor welchem ich ein Schild hängen sah. Ich begehrte ein Zimmer,
  der Hausknecht maß mich mit einem Blick und führte mich unters Dach. Ich
  ließ mir frisches Wasser geben und genau beschreiben, wo ich den Herrn
  _Thomas John_ aufzusuchen habe: -- »Vor dem Nordertor, das erste Landhaus
  zur rechten Hand, ein großes, neues Haus, von rot und weißem Marmor mit
  vielen Säulen.« Gut. -- Es war noch früh an der Zeit, ich schnürte
  sogleich mein Bündel auf, nahm meinen neu gewandten schwarzen Rock
  heraus, zog mich reinlich an in meine besten Kleider, steckte das
  Empfehlungsschreiben zu mir, und setzte mich alsbald auf den Weg zu dem
  Manne, der mir bei meinen bescheidenen Hoffnungen förderlich sein
  sollte.
  Nachdem ich die lange Norderstraße hinaufgestiegen und das Tor erreicht,
  sah ich bald die Säulen durch das Grüne schimmern -- also hier, dacht'
  ich. Ich wischte den Staub von meinen Füßen mit meinem Schnupftuch ab,
  setzte mein Halstuch in Ordnung, und zog in Gottes Namen die Klingel.
  Die Tür sprang auf. Auf dem Flur hatt' ich ein Verhör zu bestehn, der
  Portier ließ mich aber anmelden, und ich hatte die Ehre, in den Park
  gerufen zu werden, wo Herr _John_ mit einer kleinen Gesellschaft sich
  erging. Ich erkannte gleich den Mann am Glanze seiner wohlbeleibten
  Selbstzufriedenheit. Er empfing mich sehr gut, wie ein Reicher einen
  armen Teufel, wandte sich sogar gegen mich, ohne sich jedoch von der
  übrigen Gesellschaft abzuwenden, und nahm mir den dargehaltenen Brief
  aus der Hand. -- »So, so! von meinem Bruder, ich habe lange nichts von
  ihm gehört. Er ist doch gesund? -- Dort,« fuhr er gegen die Gesellschaft
  fort, ohne die Antwort zu erwarten, und wies mit dem Brief auf einen
  Hügel, »dort lasse ich das neue Gebäude aufführen.« Er brach das Siegel
  auf und das Gespräch nicht ab, das sich auf den Reichtum lenkte. »Wer
  nicht Herr ist wenigstens einer Million,« warf er hinein, »der ist, man
  verzeihe mir das Wort, ein Schuft!« -- »O wie wahr!« rief ich aus mit
  vollem überströmenden Gefühl. Das mußte ihm gefallen, er lächelte mich
  an und sagte: »Bleiben Sie hier, lieber Freund, nachher hab' ich
  vielleicht Zeit, Ihnen zu sagen, was ich hiezu denke,« er deutete auf
  den Brief, den er sodann einsteckte, und wandte sich wieder zu der
  Gesellschaft. -- Er bot einer jungen Dame den Arm, andre Herren bemühten
  sich um andre Schönen, es fand sich, was sich paßte, und man wallte dem
  rosenumblühten Hügel zu.
  Ich schlich hinterher, ohne jemandem beschwerlich zu fallen, denn keine
  Seele bekümmerte sich weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr
  aufgeräumt, es ward getändelt und gescherzt, man sprach zuweilen von
  leichtsinnigen Dingen wichtig, von wichtigen öfters leichtsinnig, und
  gemächlich erging besonders der Witz über abwesende Freunde und deren
  Verhältnisse. Ich war da zu fremd, um von alledem vieles zu verstehen,
  zu bekümmert und in mich gekehrt, um den Sinn auf solche Rätsel zu
  haben.
  Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die schöne _Fanny_, wie es schien die
  Herrin des Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden Zweig selbst
  brechen, sie verletzte sich an einem Dorn, und wie von den dunklen
  Rosen, floß Purpur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereignis brachte die
  ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wurde englisch Pflaster gesucht. Ein
  stiller, dünner, hagerer, länglichter, ältlicher Mann, der neben
  mitging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, steckte sogleich die Hand
  in die knapp anliegende Schoßtasche seines altfränkischen, grautaftenen
  Rockes, brachte eine kleine Brieftasche daraus hervor, öffnete sie und
  reichte der Dame mit devoter Verbeugung das Verlangte. Sie empfing es
  ohne Aufmerksamkeit für den Geber und ohne Dank, die Wunde ward
  verbunden, und man ging weiter den Hügel hinan, von dessen Rücken man
  die weite Aussicht über das grüne Labyrinth des Parkes nach dem
  unermeßlichen Ozean genießen wollte.
  Der Anblick war wirklich groß und herrlich. Ein lichter Punkt erschien
  am Horizont zwischen der dunklen Flut und der Bläue des Himmels. »Ein
  Fernrohr her!« rief _John_, und noch bevor das auf den Ruf erscheinende
  Dienervolk in Bewegung kam, hatte der graue Mann, bescheiden sich
  verneigend, die Hand schon in die Rocktasche gesteckt, daraus einen
  schönen Dollond hervorgezogen und es dem Herrn _John_ eingehändigt.
  Dieser, es sogleich an das Aug' bringend, benachrichtigte die
  Gesellschaft, es sei das Schiff, das gestern ausgelaufen, und das
  widrige Winde im Angesicht des Hafens zurückhielten. Das Fernrohr ging
  von Hand zu Hand, und nicht wieder in die des Eigentümers; ich aber sah
  verwundert den Mann an, und wußte nicht, wie die große Maschine aus der
  winzigen Tasche herausgekommen war; es schien aber niemandem aufgefallen
  zu sein, und man bekümmerte sich nicht mehr um den grauen Mann, als um
  mich selber.
  Erfrischungen wurden gereicht, das seltenste Obst aller Zonen in den
  kostbarsten Gefäßen. Herr _John_ machte die Honneurs mit leichtem Anstand
  und richtete da zum zweitenmal ein Wort an mich: »Essen Sie nur; das
  haben Sie auf der See nicht gehabt.« Ich verbeugte mich, aber er sah es
  nicht, er sprach schon mit jemand anderm.
  Man hätte sich gern auf den Rasen, am Abhange des Hügels, der
  ausgespannten Landschaft gegenüber gelagert, hätte man die Feuchtigkeit
  der Erde nicht gescheut. Es wäre göttlich, meinte wer aus der
  Gesellschaft, wenn man türkische Teppiche hätte, sie hier auszubreiten.
  Der Wunsch war nicht sobald ausgesprochen, als schon der Mann im grauen
  Rock die Hand in der Tasche hatte, und mit bescheidener, ja demütiger
  Gebärde einen reichen, golddurchwirkten türkischen Teppich daraus zu
  ziehen bemüht war. Bediente nahmen ihn in Empfang, als müsse es so sein,
  und entfalteten ihn am begehrten Orte. Die Gesellschaft nahm ohne
  Umstände Platz darauf; ich wiederum sah betroffen den Mann, die Tasche,
  den Teppich an, der über zwanzig Schritte in der Länge und zehn in der
  Breite maß, und rieb mir die Augen, nicht wissend, was ich dazu denken
  sollte, besonders da niemand etwas Merkwürdiges darin fand.
  Ich hätte gern Aufschluß über den Mann gehabt und gefragt, wer er sei,
  nur wußt' ich nicht, an wen ich mich richten sollte, denn ich fürchtete
  mich fast noch mehr vor den Herren Bedienten, als vor den bedienten
  Herren. Ich faßte endlich ein Herz, und trat an einen jungen Mann heran,
  der mir von minderem Ansehen schien, als die andern, und der öfter
  allein gestanden hatte. Ich bat ihn leise, mir zu sagen, wer der
  gefällige Mann sei dort im grauen Kleide. -- »Dieser, der wie ein Ende
  Zwirn aussieht, der einem Schneider aus der Nadel entlaufen ist?« --
  »Ja, der allein steht.« -- »Den kenn' ich nicht,« gab er mir zur
  Antwort, und, wie es schien, eine längere Unterhaltung mit mir zu
  vermeiden, wandt' er sich weg und sprach von gleichgültigen Dingen mit
  einem andern.
  Die Sonne fing jetzt stärker zu scheinen an und ward den Damen
  beschwerlich; die schöne _Fanny_ richtete nachlässig an den grauen Mann,
  den, soviel ich weiß, noch niemand angeredet hatte, die leichtsinnige
  Frage: ob er nicht auch vielleicht ein Zelt bei sich habe? Er
  beantwortete sie durch eine so tiefe Verbeugung, als widerführe ihm eine
  unverdiente Ehre, und hatte schon die Hand in der Tasche, aus der ich
  Zeuge, Stangen, Schnüre, Eisenwerk, kurz alles, was zu dem
  prachtvollsten Lustzelt gehört, herauskommen sah. Die jungen Herren
  halfen es ausspannen, und es überhing die ganze Ausdehnung des Teppichs
  -- und keiner fand noch etwas Außerordentliches darin. --
  Mir war schon lange unheimlich, ja graulich zumute, wie ward mir
  vollends, als beim nächst ausgesprochenen Wunsch ich ihn noch aus seiner
  Tasche drei Reitpferde, ich sage dir, drei schöne, große Rappen mit
  Sattel und Zeug herausziehen sah! -- denke dir, um Gottes willen! drei
  gesattelte Pferde noch aus derselben Tasche, woraus schon eine
  Brieftasche, ein Fernrohr, ein gewirkter Teppich, zwanzig Schritte lang
  und zehn breit, ein Lustzelt von derselben Größe, und alle dazu
  gehörigen Stangen und Eisen herausgekommen waren! -- Wenn ich dir nicht
  beteuerte, es selbst mit eignen Augen angesehen zu haben, würdest du es
  gewiß nicht glauben. --
  So verlegen und demütig der Mann selbst zu sein schien, so wenig
  Aufmerksamkeit ihm auch die andern schenkten, so ward mir doch seine
  blasse Erscheinung, von der ich kein Auge abwenden konnte, so
  schauerlich, daß ich sie nicht länger ertragen konnte.
  Ich beschloß, mich aus der Gesellschaft zu stehlen, was bei der
  unbedeutenden Rolle, die ich darinnen spielte, mir ein leichtes schien.
  Ich wollte nach der Stadt zurückkehren, am andern Morgen mein Glück beim
  Herrn John wieder versuchen und, wenn ich den Mut dazu fände, ihn über
  denselben grauen Mann befragen. -- Wäre es mir nur so zu entkommen
  geglückt!
  Ich hatte mich schon wirklich durch den Rosenhain, den Hügel hinab,
  glücklich geschlichen, und befand mich auf einem freien Rasenplatz, als
  ich aus Furcht, außer den Wegen durchs Gras gehend angetroffen zu
  werden, einen forschenden Blick um mich warf. -- Wie erschrak ich, als
  ich den Mann im grauen Rock hinter mir her und auf mich zu kommen sah.
  Er nahm sogleich den Hut vor mir ab, und verneigte sich so tief, als
  noch niemand vor mir getan hatte. Es war kein Zweifel, er wollte mich
  anreden, und ich konnte, ohne grob zu sein, es nicht vermeiden. Ich nahm
  den Hut auch ab, verneigte mich wieder, und stand da in der Sonne mit
  bloßem Haupt wie angewurzelt. Ich sah ihn voller Furcht stier an und war
  wie ein Vogel, den eine Schlange gebannt hat. Er selber schien sehr
  verlegen zu sein; er hob den Blick nicht auf, verbeugte sich zu
  verschiedenen Malen, trat näher und redete mich an mit leiser,
  unsicherer Stimme, ungefähr im Tone eines Bettelnden.
  »Möge der Herr meine Zudringlichkeit entschuldigen, wenn ich es wage,
  ihn so unbekannterweise aufzusuchen, ich habe eine Bitte an ihn.
  Vergönnen Sie gnädigst --« -- »Aber um Gottes willen, mein Herr!« brach
  ich in meiner Angst aus, »was kann ich für einen Mann tun, der --« wir
  stutzten beide, und wurden, wie mir deucht, rot.
  Er nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort: »Während
  der kurzen Zeit, wo ich das Glück genoß, mich in Ihrer Nähe zu befinden,
  hab' ich, mein Herr, einigemal -- erlauben Sie, daß ich es Ihnen sage --
  wirklich mit unaussprechlicher Bewunderung den schönen, schönen Schatten
  betrachten können, den Sie in der Sonne, und gleichsam mit einer
  gewissen edlen Verachtung, ohne selbst darauf zu merken, von sich
  werfen, den herrlichen Schatten da zu Ihren Füßen. Verzeihen Sie mir die
  freilich kühne Zumutung. Sollten Sie sich wohl nicht abgeneigt finden,
  mir diesen Ihren Schatten zu überlassen?«
  Er schwieg und mir ging's wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Was sollt' ich
  aus dem seltsamen Antrag machen, mir meinen Schatten abzukaufen? er muß
  verrückt sein, dacht' ich, und mit verändertem Tone, der zu der Demut
  des seinigen besser paßte, erwiderte ich also:
  »Ei, ei! guter Freund, habt Ihr denn nicht an Eurem eignen Schatten
  genug? das heiß' ich mir einen Handel von einer ganz absonderlichen
  Sorte.« Er fiel sogleich wieder ein: »Ich hab' in meiner Tasche manches,
  was dem Herrn nicht ganz unwert scheinen möchte; für diesen
  unschätzbaren Schatten halt' ich den höchsten Preis zu gering.«
  Nun überfiel es mich wieder kalt, da ich an die Tasche erinnert ward,
  und ich wußte nicht, wie ich ihn hatte guter Freund nennen können. Ich
  nahm wieder das Wort und suchte es, wo möglich, mit unendlicher
  Höflichkeit wieder gut zu machen.
  »Aber, mein Herr, verzeihen Sie Ihrem untertänigsten Knecht. Ich
  verstehe wohl Ihre Meinung nicht ganz gut, wie könnt' ich nur meinen
  Schatten -- --« Er unterbrach mich: »Ich erbitte mir nur Dero Erlaubnis,
  hier auf der Stelle diesen edlen Schatten aufheben zu dürfen und zu mir
  zu stecken; wie ich das mache, sei meine Sorge. Dagegen als Beweis
  meiner Erkenntlichkeit gegen den Herrn, überlasse ich ihm die Wahl unter
  allen Kleinodien, die ich in der Tasche bei mir führe: die echte
  Springwurzel, die Alraunwurzel, Wechselpfennige, Raubtaler, das
  Tellertuch von Rolands Knappen, ein Galgenmännlein zu beliebigem Preis;
  doch, das wird wohl nichts für Sie sein: besser, Fortunati
  Wünschhütlein, neu und haltbar wieder restauriert: auch ein
  Glückssäckel, wie der seine gewesen.« -- »Fortunati Glücksseckel,« fiel
  ich ihm in die Rede, und wie groß meine Angst auch war, hatte er mit dem
  einen Wort meinen ganzen Sinn gefangen. Ich bekam einen Schwindel und es
  flimmerte mir wie doppelte Dukaten vor den Augen. --
  »Belieben gnädigst der Herr diesen Säckel zu besichtigen und zu
  erproben.« Er steckte die Hand in die Tasche und zog einen mäßig großen,
  festgenähten Beutel, von starkem Korduanleder, an zwei tüchtigen
  ledernen Schnüren heraus und händigte mir selbigen ein. Ich griff hinein
  und zog zehn Goldstücke daraus, und wieder zehn, und wieder zehn, und
  wieder zehn; ich hielt ihm schnell die Hand hin: »Topp! der Handel gilt,
  für den Beutel haben Sie meinen Schatten.« Er schlug ein, kniete dann
  ungesäumt vor mir nieder, und mit einer bewundernswürdigen
  Geschicklichkeit sah ich ihn meinen Schatten, vom Kopf bis zu meinen
  Füßen, leise von dem Grase lösen, aufheben, zusammenrollen und falten,
  und zuletzt einstecken. Er stand auf, verbeugte sich noch einmal vor
  mir, und zog sich nach dem Rosengebüsche zurück. Mich dünkt', ich hörte
  ihn da leise für sich lachen. Ich aber hielt den Beutel bei den Schnüren
  fest, rund um mich her war die Erde sonnenhell, und in mir war noch
  keine Besinnung.
  
  2.
  Ich kam endlich wieder zu Sinnen und eilte, diesen Ort zu verlassen, wo
  ich hoffentlich nichts mehr zu tun hatte. Ich füllte erst meine Taschen
  mit Gold, dann band ich mir die Schnüre des Beutels um den Hals fest und
  verbarg ihn selbst auf meiner Brust. Ich kam unbeachtet aus dem Park,
  erreichte die Landstraße und nahm meinen Weg nach der Stadt. Wie ich in
  Gedanken dem Tore zu ging, hört' ich hinter mir schreien: »Junger Herr!
  he! junger Herr! hören Sie doch!« -- Ich sah mich um, ein altes Weib
  rief mir nach: »Sehe sich der Herr doch vor, Sie haben Ihren Schatten
  verloren.« -- »Danke, Mütterchen!« -- ich warf ihr ein Goldstück für den
  wohlgemeinten Rat hin, und trat unter die Bäume.
  Am Tore mußt' ich gleich wieder von der Schildwacht hören: »Wo hat der
  Herr seinen Schatten gelassen?« und gleich wieder darauf von ein paar
  Frauen: »Jesus Maria! der arme Mensch hat keinen Schatten!« Das fing an
  mich zu verdrießen, und ich vermied sehr sorgfältig, in die Sonne zu
  treten. Das ging aber nicht überall an, zum Beispiel nicht über die
  Breitestraße, die ich zunächst durchkreuzen mußte, und zwar, zu meinem
  Unheil, in eben der Stunde, wo die Knaben aus der Schule gingen. Ein
  verdammter buckeliger Schlingel, ich seh' ihn noch, hatte es gleich weg,
  daß mir ein Schatten fehle. Er verriet mich mit großem Geschrei der
  sämtlichen literarischen Straßenjugend der Vorstadt, welche sofort mich
  zu rezensieren und mit Kot zu bewerfen anfing. »Ordentliche Leute
  pflegten ihren Schatten mit sich zu nehmen, wenn sie in die Sonne
  gingen.« Um sie von mir abzuwehren, warf ich Gold zu vollen Händen unter
  sie und sprang in einen Mietswagen, zu dem mir mitleidige Seelen
  verhalfen.
  Sobald ich mich in der rollenden Kutsche allein fand, fing ich
  bitterlich an zu weinen. Es mußte schon die Ahnung in mir aufsteigen,
  daß, um so viel das Gold auf Erden Verdienst und Tugend überwiegt, um so
  viel der Schatten höher als selbst das Gold geschätzt werde; und wie ich
  früher den Reichtum meinem Gewissen aufgeopfert, hatte ich jetzt den
  Schatten für bloßes Gold hingegeben; was konnte, was sollte auf Erden
  aus mir werden!
  Ich war noch sehr verstört, als der Wagen vor meinem alten Wirtshause
  hielt; ich erschrak über die Vorstellung, nur noch jenes schlechte
  Dachzimmer zu betreten. Ich ließ mir meine Sachen herabholen, empfing
  den ärmlichen Bündel mit Verachtung, warf einige Goldstücke hin und
  befahl, vor das vornehmste Hotel vorzufahren. Das Haus war gegen Norden
  gelegen, ich hatte die Sonne nicht zu fürchten. Ich schickte den
  Kutscher mit Gold weg, ließ mir die besten Zimmer vornheraus anweisen
  und verschloß mich darin, sobald ich konnte.
  Was denkst du, daß ich nun anfing! -- O mein lieber _Chamisso_, selbst vor
  dir es zu gestehen, macht mich erröten. Ich zog den unglücklichen Säckel
  aus meiner Brust hervor, und mit einer Art Wut, die, wie eine flackernde
  Feuersbrunst, sich in mir durch sich selbst mehrte, zog ich Gold daraus,
  und Gold, und Gold, und immer mehr Gold, und streute es auf den Estrich,
  und schritt darüber hin, und ließ es klirren, und warf, mein armes Herz
  an dem Glanze, an dem Klange weidend, immer des Metalles mehr zu dem
  Metalle, bis ich ermüdet selbst auf das reiche Lager sank und schwelgend
  darin wühlte, mich darüber wälzte. So verging der Tag, der Abend, ich
  schloß meine Türe nicht auf, die Nacht fand mich liegend auf dem Golde,
  und darauf übermannte mich der Schlaf.
  Da träumt' es mir von dir, es ward mir, als stünde ich hinter der
  
Вы прочитали 1 текст из Немецкий литературы.