🕥 Минуты чтения - 31

Die Träger des deutschen Idealismus - 01

Каждый столб представляет процент слов на 1000 наиболее распространенных слов
Общее количество слов 4024
Общее количество уникальных слов составляет 1404
40.7 слов входит в 2000 наиболее распространенных слов
53.4 слов входит в 5000 наиболее распространенных слов
60.0 слов входит в 8000 наиболее распространенных слов
  Männer und Völker
  
  
   Die Träger
   des deutschen Idealismus
  
  
   Die Träger
   des deutschen Idealismus
   Von
   Rudolf Eucken
   Weihnachten 1915
   Verlag Ullstein & Co, Berlin
   Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
   Amerikanisches Copyright 1915 by Ullstein & Co Berlin.
  
  
   Meinen lieben Söhnen
   Arnold und Walter,
   die beide im Felde stehen
  
  
  Zum Geleit
  
  Dies Buch will kein Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung sein,
  es möchte allen Gliedern des deutschen Volkes dienen, welche die
  Erfahrungen unserer gewaltigen Zeit mit voller Seele teilen. Ungeheures
  geht bei uns vor, Ungeheures müssen wir wirken und leiden, Ungeheures
  fordert von uns die eherne Gegenwart. Um dem gewachsen zu sein,
  bedürfen wir nicht nur seelischer Kraft, sondern auch eines freudigen
  Vertrauens auf unser Volk, auf seine Tüchtigkeit und seine Größe. Kann
  nun überhaupt die Vergegenwärtigung dessen, was an Großem bei uns und
  von uns geschah, solches Vertrauen stärken, so gebührt dabei auch den
  Denkern ein Platz, welche wir als Träger des deutschen Idealismus
  verehren. In schweren Zeiten haben sie vom Grunde ihrer Seele her eine
  geistige Welt entwickelt, welche bei aller Sorge für die Menschheit an
  erster Stelle deutsche Überzeugung und deutsche Gesinnung bekundet, sie
  zeigen uns deutlich die Tiefe und den Reichtum des deutschen Wesens,
  sie zeigen nicht minder deutlich, daß es darauf gerichtet ist, das
  Ganze des menschlichen Lebens zu heben, mehr aus dem Menschen zu
  machen, ihn durch die Entfaltung einer Innenwelt auch dem All enger zu
  verbinden. Ihr nun, die ihr kämpft, und auch ihr, die ihr leidet, ihr
  sollt sehen und wissen, daß das, wofür ihr kämpft und leidet, etwas
  Großes, etwas Einzigartiges, etwas Unentbehrliches ist, ihr sollt das
  erkennen nicht aus lehrhaften Reden, sondern aus dem Bilde der Männer
  selbst, die ihr Leben an höchste Ziele setzten, die auf ihrem Gebiet
  ebenfalls tapfere Kämpfer waren, und denen das Streben nach Wahrheit
  eine viel zu ernste, viel zu aufregende Sache war, als daß Sorge und
  Schmerz sie hätten verschonen können. Möchte die Vergegenwärtigung
  ihrer Lebensarbeit euch in eurem Ringen wohltuend sein, möchte sie euch
  in dem Vertrauen bestärken, daß unsere deutsche Sache mit all dem Hohen
  und Heiligen, was sie enthält, zum Siege gelangen muß. Auch werdet ihr
  sehen, daß jene Männer den Kampf für das Vaterland vollauf zu würdigen
  wußten; ihr seid ihre Erben, ihr dürft euch ihnen innerlich nahe fühlen.
   * * * * *
  Dies unserer Arbeit gesteckte Ziel entscheidet auch über ihre Wege,
  es setzt der Erörterung bestimmte Grenzen sowohl in der Auswahl
  des Stoffes als in der Art der Behandlung. Über das Nähere dieser
  Abgrenzung läßt sich verschiedener Meinung sein, darüber streiten wir
  nicht, wir geben nichts anderes als unsere eigene Überzeugung von
  diesen Dingen, indem wir meinen, daß eine solche Schrift entweder
  persönlicher Art sein muß oder überhaupt keine Berechtigung hat. So sei
  denn dieses Bild der Hauptträger des deutschen Idealismus kämpfenden
  und suchenden Seelen zu freundlicher Betrachtung empfohlen.
   +Jena+, im zweiten Jahre des großen Krieges.
   +Rudolf Eucken.+
  
  
  Inhalt
  
   Seite
   Zum Geleit 9
   Von Meister Eckhart bis Kant 15
   Kant 27
   Fichte 73
   Die Romantik 111
   Schelling 123
   Schleiermacher 161
   Hegel 189
   Zeitgenossen Hegels 227
   Rückblick und Ausblick 233
   Sachregister 249
  
  
  Von Meister Eckhart bis Kant
  
  Den Ausgangspunkt unserer Untersuchung hat Kant zu bilden. Denn so viel
  Schätzbares schon vor ihm auch in der Philosophie geleistet war, es ist
  uns das heute mehr ein Gegenstand gelehrter Forschung als ein Quell
  ursprünglichen Lebens.
  [Randnotiz: Meister Eckhart]
  Kant vornehmlich hat die geistige Atmosphäre geschaffen, innerhalb
  derer der deutsche Idealismus seine eigentümliche Gestalt und seine
  hinreißende Kraft gewonnen hat; alles Spätere hat sich an ihm und von
  ihm aus entwickelt. Immerhin bedarf es einiger Worte der Erinnerung
  daran, daß die Denkarbeit der Deutschen nicht eine Leistung von
  gestern auf heute ist, wie unsere Gegner oft sagen, daß sie vielmehr
  von der Höhe des Mittelalters her an der Kulturbewegung einen
  stattlichen Anteil genommen hat. Dabei ist namentlich wertvoll, daß
  sie auch auf das Ganze unseres Lebens von alters her erhöhend gewirkt
  hat. Es geschah das vornehmlich nach zwiefacher Richtung: in einer
  geistigen Durchleuchtung und seelischen Annäherung der Religion, und
  in einer hohen Fassung und Schätzung des Erkennens selbst; beides
  hängt eng miteinander zusammen und entspringt derselben Hochhaltung
  der Innerlichkeit als der Hauptstätte von Leben und Wirken. Eine
  Verinnerlichung der Religion war das leitende Ziel der Mystik, diese
  aber findet ihre Höhe in der philosophischen Arbeit Meister Eckharts (†
  1327). All sein Denken ist darauf gerichtet, die Seele Gott unmittelbar
  zu verbinden, sie ganz und gar auf ihren göttlichen Ursprung als auf
  ihr wahres Wesen zurückzuführen, ihr in Ablegung aller unterscheidenden
  Besonderheit eine unvergleichliche Größe und Seligkeit zu erringen.
  Dazu aber bedarf es energischer Erkenntnisarbeit. Denn wohl hängt unser
  Wesen daran, daß Gott uns nahe und gegenwärtig ist, aber zur vollen
  Einigung mit ihm bedarf es der Arbeit des Erkennens. »Nicht schon davon
  sind wir selig, daß Gott in uns ist, sondern daß wir ihn erfassen
  und erkennen, wie nahe er uns ist. Denn was hülfe es einem Menschen,
  wenn er König wäre und wüßte es nicht?« Die dazu nötige Umwälzung
  aber, die Eckhart mit gewaltiger Kraft und in wunderbarer, deutscher
  Sprache anregt, ist nicht möglich ohne eine mutige Losreißung von allem
  Äußeren und eine völlige Wendung des Lebens ins Innere. »Will die Seele
  Frieden und Freiheit des Herzens in einer stillen Ruhe finden, so muß
  sie wieder heimrufen allen ihren Kräften und sie sammeln von allen
  zerstreuten Dingen in ein inwendiges Wirken.« So hat denn auch das
  Wort »Gemüt« als Bezeichnung für das innerste Heiligtum der Seele, die
  Abgeschiedenheit von aller Außenwelt, das »Fünklein« Gottes in uns, den
  auszeichnenden Sinn erhalten, in dem Fichte die Deutschen das Volk
  des Gemütes genannt hat. Diese Innerlichkeit erhebt die Religion über
  alle äußeren Formen und Einrichtungen, aber sie soll diese nach Eckhart
  nicht zerstören, sie wirkt bei ihm innerhalb der kirchlichen Ordnung,
  nicht gegen sie; dabei aber bleibt es, daß alles Äußere nur als Gefäß
  des inneren Lebens irgendwelchen Wert besitzt, und daß bei ihm volle
  Freiheit der Gestaltung herrschen muß. Denn nicht allen Menschen ist
  derselbe Weg gewiesen, »was des einen Leben, das ist des anderen Tod«.
  Die mystische Bewegung konnte unmöglich die Höhe Eckharts dauernd
  behaupten, aber sie hat als ein, wenn auch oft verborgener Nebenstrom
  das deutsche Leben durch die Jahrhunderte treu begleitet und
  durchgängig zur Freiheit und Verinnerlichung gewirkt, sie hat auch auf
  protestantischem Boden Wurzel geschlagen und hier die merkwürdige,
  ja rührende Gestalt Jakob Böhmes (1575--1624) hervorgebracht, der
  als schlichter Schuhmachermeister schwerste Probleme in einer Weise
  behandelt hat, die immer von neuem tiefsinnige Geister zu ihm
  zurückrief. Schwer ringen sich bei ihm die Gedanken zu voller Klarheit
  auf; wo das aber gelingt, da erscheint eine großartige Kraft und
  Einfalt. Sein philosophisches Hauptproblem ist der Ursprung des Bösen,
  und wenn ihn dies Problem zu höchst gewagten Spekulationen führt, so
  hat es ihn die Gegensätze der Welt vollauf würdigen und in großen Zügen
  schildern lassen. So heißt es z. B.: »Um die Morgenröte scheidet
  sich der Tag von der Nacht und wird ein jedes in seiner Art und Kraft
  erkannt. Denn ohne Gegensatz wird nichts offenbar, kein Bild erscheint
  im klaren Spiegel, so eine Seite nicht verfinstert wird. Wer weiß von
  Freuden zu sagen, der kein Leid empfunden, oder vom Frieden, der keinen
  Streit gesehen oder erfahren hat?«
  Dieselbe Gesinnung aber, welche aus der Seele eines schlichten
  Mannes quillt, fand auf der Höhe der wissenschaftlichen Arbeit
  volle Schätzung. Wir denken hier vornehmlich an Leibniz. Er, der
  weltumspannende und weltdurchdringende Forscher, nähert sich in
  tiefster Seele der Mystik, wie das namentlich seine deutschen Schriften
  zeigen. Aus ihrer Denkweise stammen z. B. die Worte: »Gott ist das
  Leichteste und Schwerste, so zu erkennen, das Erste und Leichteste in
  dem Lichtweg, das Schwerste und Letzte in dem Weg des Schattens.«
   * * * * *
  [Randnotiz: Deutsche und englische Denkart]
  Es stellt sich aber die deutsche Philosophie über die Mystik hinaus
  eigentümlich zur Religion, wesentlich darin verschieden von der
  Philosophie benachbarter Völker. Die englische Philosophie neigt
  dahin, Religion und Wissenschaft voneinander gänzlich zu trennen, sie
  gestattet es, hier und dort grundverschiedene Richtungen einzuschlagen;
  die französische stellt beide Gebiete leicht in schroffsten Gegensatz
  und zwingt, zwischen ihnen zu wählen; die deutsche möchte jedem sein
  Recht zuerkennen, beide aber in eine innere Verbindung bringen und
  das eine durch das andere fördern. Diese Denkart mag manche Gefahren
  enthalten, aber sie wirkt dahin, die Religion ins Weite, Freie und
  Innerliche zu bilden, in die Philosophie aber die Sorge um die höchsten
  Wesens- und Lebensfragen der Menschheit einzuschließen.
   * * * * *
  In anderer Richtung wirkte die deutsche Denkarbeit zur Erhöhung des
  Lebens durch die Art, wie sie das Erkennen selbst verstand. Es gilt ihr
  nicht als ein Mittel für außer ihm liegende Zwecke, sondern als ein
  völliger Selbstzweck, es trägt reinste Freude und Befriedigung in sich
  selbst, es liegt nicht in einer Reihe mit anderen Tätigkeiten, sondern
  es bildet die beherrschende Höhe des ganzen Lebens, von der nach
  allen Seiten hin Erleuchtung und Kräftigung ausgeht. Hier erscheint
  ein starker Gegensatz deutscher und englischer Art. Die englischen
  Denker neigen dahin, das Wissen als bloßes Mittel und Werkzeug für
  das praktische Leben zu behandeln, es genügt ihnen ein Erkennen, das
  dem Handeln gangbare Wege zeigt, so fehlt ihnen auch ein Antrieb, es
  über diese Grenze hinaus zu verfolgen, sie haben eine starke Scheu vor
  aller Metaphysik. Das schützt sie vor manchen Gefahren, aber es raubt
  ihnen zugleich die Größe eines Denkens, das die Menschenseele mit dem
  Ganzen der Welt und seiner Unendlichkeit ringen läßt und sie in solchem
  Ringen über das bloße Alltagsleben hinaushebt. Die Deutschen dagegen
  sehen eben in dem, was die Engländer eine Überspannung menschlichen
  Vermögens schelten, die tiefste Seele der Forschung, sie können nicht
  ruhen und rasten, bevor sie einen inneren Zusammenhang des Menschen mit
  dem All ergründet haben; so ist der Deutsche von Haus aus Metaphysiker,
  und er bleibt es selbst da, wo er eine Kritik an der überkommenen
  Metaphysik übt, wie das vornehmlich bei Kant geschieht.
   * * * * *
  [Randnotiz: Nikolaus von Kues--Kepler]
  Diese deutsche Schätzung des Erkennens teilen alle Höhen
  philosophischer Arbeit. Gleich bei demjenigen deutschen Denker, der
  die Philosophie der Neuzeit überhaupt eröffnet, bei Nikolaus von
  Kues (1401--1464) erscheint sie in klaren Zügen. Hier heißt es:
  »Immer möchte der Mensch was er erkennt mehr erkennen und was er
  liebt mehr lieben, und die ganze Welt genügt ihm nicht, weil sie sein
  Erkenntnisverlangen nicht stillt.« Eine ähnliche Denkweise beherrscht
  Keplers Streben und läßt ihn seinem astronomischen System eine
  philosophische und künstlerische Grundlage geben; läßt sich endlich
  höher vom Erkennen denken, als es Leibniz tut, wenn er meint, »die
  ganze Erde könne unserer wahren Vollkommenheit nicht dienen, es sei
  denn, daß sie uns Gelegenheit gibt, ewige und allgemeine Wahrheiten zu
  finden, so in allen Weltkugeln, ja in allen Zeiten und mit einem Wort
  bei Gott selbst gelten müssen, von dem sie auch beständig herfließen«?
  So nur einige hervorragende Stimmen aus der Reihe der deutschen Denker.
  Solcher Schätzung ist untrennbar verbunden eine eigentümliche
  Gestaltung der Erkenntnisarbeit. Sie wird nicht darauf beschränkt,
  die Eindrücke der Umgebung aufzunehmen, zu ordnen und aufzuschichten,
  sondern sie erzeugt eine Bewegung von innen heraus und besteht darauf,
  alle Wirklichkeit in diese Bewegung hineinzuziehen; so will sie die
  Dinge von innen her fassen und bis zum tiefsten Grunde durchleuchten;
  in solchem Streben schafft sie große Gedankenwelten, in denen
  die Bewegung vom Ganzen zum Einzelnen geht und eine durchgehende
  Entwicklung alle Mannigfaltigkeit zusammenhält. Ohne Zweifel liegen
  große Gefahren auf diesem Wege, aber es sind Gefahren der Größe, nicht
  der Kleinheit.
   * * * * *
  [Randnotiz: Leibniz]
  In einer Umgebung, die eine hohe Schätzung des Erkennens und einen
  festen Glauben an die Macht des Denkens in sich trug, ist Immanuel Kant
  (1724--1804) aufgewachsen. Es war der Geist Leibnizens, der, durch
  Wolff schulmäßig auf Flaschen gezogen und dabei vielfach verdünnt,
  die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts beherrschte. Diese Philosophie
  bildet die wissenschaftliche Höhe der gesamten Aufklärungszeit. Sie
  teilt mit dieser Zeit das unbedingte Vertrauen auf das Vermögen der
  Vernunft, aber sie faßt die Vernunft möglichst weit, so daß nichts
  von ihr unberührt bleibt, und daß sich die schroffsten Gegensätze
  durch ihr ausgleichendes Wirken versöhnen. Leibniz ist ein Denker des
  Sowohl -- als auch, nicht des Entweder--oder. Durch und durch moderner
  Mensch, möchte er zugleich allen früheren Epochen volle Gerechtigkeit
  widerfahren lassen, Vernunft und Geschichte verbleiben ihm nicht in
  vorgefundener Entzweiung, sondern der Gesamtbefund der Geschichte wird
  als ein Werk der Vernunft verstanden, auch Religion und Vernunft werden
  zu engem Bündnis verknüpft. Indem er den Kern der Wirklichkeit in das
  Innenleben setzt und geistige Macht die Welt beherrschen läßt, wahrt
  er zugleich vollauf die selbständige Art der Natur; die unendliche
  Vielheit der Welt entzückt und beschäftigt ihn, aber zugleich bleibt
  sein Streben fest auf eine allumfassende Einheit gerichtet; er deckt
  überall Leben und Bewegung auf, aber er sucht zugleich eine ewige
  Wahrheit, die alle Bewegung trägt und zusammenhält. Um das Denken der
  Überwindung so schroffer Gegensätze für fähig zu halten, muß er sein
  Vermögen aufs höchste schätzen; indem er die kühnste Behauptung nicht
  scheut, ja am Spiel der logischen Phantasie aufrichtige Freude hat,
  erscheint er als der Hauptdenker der Barockzeit, als ein Ausdruck ihres
  schrankenlosen Kraftgefühls, ihrer Lust an gewagten Konstruktionen,
  aber auch ihrer unbegrenzten Bewegungsfülle. Sein ganzes System läuft
  in eine künstliche Hypothese aus, in die Hypothese der prästabilierten
  Harmonie, wonach Gott die Welt so eingerichtet habe, daß jedes Wesen
  sich lediglich aus sich selbst entwickele, sein Vorstellungsreich
  aus sich selbst erzeuge, daß dieses Vorstellungsreich aber ganz und
  gar dem wirklichen Weltgeschehen und der Stellung des Einzelwesens
  in ihm entspreche. Solche Künstlichkeit hat Leibniz viel Widerspruch
  eingetragen und die Wirkung seiner Gedanken gehemmt, aber die
  künstlichen Bildungen waren hier oft Hebel großer und fruchtbarer
  Wahrheit. Hier nämlich entspringen die Grundgedanken, welche das
  Schaffen unserer großen Dichter tragen, von hier aus wirkt die Idee
  einer in sich selbst gegründeten und zugleich weltumspannenden
  Persönlichkeit als eines Ebenbildes Gottes, von hier aus die einer
  Entwicklung von innen heraus und eines stetigen Fortschritts ins
  Unendliche, von hier aus wirkt ein fester Glaube an die Vernunft der
  Wirklichkeit und zugleich ein freudiges Lebensgefühl, eine Lust am
  Wirken und Schaffen, die einen verklärenden Glanz auch auf die Welt
  um uns wirft und ihr Ganzes als die beste aller möglichen Welten
  erscheinen läßt. Der wissenschaftlichen Arbeit aber hat Leibniz
  zusammen mit dem Zuge ins Weite einen starken Antrieb zu gründlicher
  Klärung und eindringender Analyse gegeben, seine Forschung zuerst
  hat die Unendlichkeit des Kleinen zur Geltung gebracht. Es ist viel
  logische Zucht von ihm ausgegangen; wie diese Zucht das 18. Jahrhundert
  durchdrang, so ist auch Kant in ihr aufgewachsen und ohne sie nicht zu
  denken.
  
  
  Kant
  
  Vor einer Befassung mit Kants Gedankenwelt sei mit einigen Worten
  seines Lebenslaufes gedacht, steht er doch in enger Beziehung
  zum Charakter seiner Arbeit. Kant (1724--1804) hat sich aus
  schlichtbürgerlichen Verhältnissen unter mannigfachen Hemmungen
  langsam emporgearbeitet, er hat auch seine geistige Eigentümlichkeit
  weniger als ein Geschenk der Natur empfangen, als sie sich mühsam
  durch Zweifel und Kämpfe hindurch errungen; er entspricht insofern der
  gemeinsamen deutschen Art, deren Größe weniger in leichter und glatter
  Naturbegabung als in treuer Arbeit und in unermüdlichem Vordringen zu
  höchsten Höhen liegt. Auch Kants Leben war Arbeit, harte Arbeit, aber
  eine Arbeit, die in die letzten Tiefen zurückgriff und den Gesamtstand
  des Lebens verändert hat. Sein tägliches Leben verlief in streng
  geordneter und vorsichtig abgemessener Weise; so sehr er ein offenes
  Auge für alle Mitteilung der Zeit und Umgebung hatte, es trieb ihn
  nicht in die Weite, um neue Eindrücke aufzunehmen -- er hat seine
  ostpreußische Heimat nie verlassen --, noch weniger trieb es ihn zum
  Eingreifen in das praktische Leben, sondern all sein Mühen ging in
  höchster Konzentration dahin, die große Umwälzung, die sich seinem
  Denken erschlossen hatte, zu voller Klarheit herauszuarbeiten und nach
  allen Hauptrichtungen durchzubilden. Mag vieles in der Einrichtung
  seines bürgerlichen und häuslichen Lebens dem ersten Anblick klein
  und pedantisch scheinen, es hebt sich durch die Erwägung, daß es
  pflichtgemäß einer großen Aufgabe diente, die unermeßliche Arbeit
  forderte. Beim Eintritt in sein achtzigstes Lebensjahr schrieb Kant in
  sein Tagebuch das Psalmwort: »Des Menschen Leben währet siebzig Jahre,
  und wenn es hoch kommt, achtzig Jahre, und wenn es köstlich ist, so ist
  es Mühe und Arbeit gewesen.«
   * * * * *
  Gewissenhaftigkeit der Arbeit, peinliche Sorgfalt im kleinen, das ist
  auch ein Hauptzug der Kantischen Philosophie. Der völlige Bruch mit
  der Vergangenheit und die Eröffnung neuer Bahnen legte die Versuchung
  nahe, lediglich weite Ausblicke zu entwerfen und sich mit flüchtig
  hingeworfenen Umrissen zu begnügen. Nichts liegt Kant ferner als das.
  Die neuen Gedanken werden nicht bloß skizziert, sondern aufs genaueste
  bis ins einzelne durchgearbeitet und damit zugleich geprüft, alles
  Schwelgen im Allgemeinen, alles prunkhafte Pathos ist Kant so zuwider
  wie nur möglich, mit großer Entschiedenheit verbittet er sich eine
  Bezeichnung seines Systems als eines »höheren« Idealismus. »Beileibe
  nicht der höhere. Hohe Türme und die ihnen ähnlichen metaphysisch
  großen Männer, um welche beide gemeiniglich viel Wind ist, sind
  nicht für mich. Mein Platz ist das fruchtbare Bathos (die fruchtbare
  Niederung) der Erfahrung.« In dem, was einfach scheint, ein schweres
  Problem zu entdecken und dem Schlichten eine Größe zu geben, das ist
  eine besondere Stärke Kants.
   * * * * *
  [Randnotiz: Der Pflichtgedanke]
  Wenn das deutsche Volk heute eines Kant gedenkt und sein Lebenswerk in
  höchsten Ehren hält, so hebt sich aus der Fülle seiner Leistung ein
  Gedanke mit überwältigender Kraft und Klarheit hervor, das ist der
  Gedanke der Pflicht: Kant ist dem deutschen Volke vor allem der Lehrer,
  der Prophet der Pflicht, es entspricht der allgemeinen Überzeugung,
  wenn auf seinem Grabe als bezeichnend für sein Leben und Werk die Worte
  angebracht sind: »Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und
  zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich
  das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das
  moralische Gesetz in mir.«
   * * * * *
  Aber war denn der Pflichtgedanke etwas so Großes und Neues, daß seine
  Verfechtung dem Denker eine so überragende Stellung geben und sein
  Wirken so eindringlich machen konnte? Der Gedanke der Pflicht ist
  von jeher tief in die menschliche Seele eingegraben, und weder an
  wissenschaftlicher Fassung noch an allgemeiner Anerkennung hatte es
  ihm bis dahin gefehlt. Schon vor Jahrtausenden haben die Stoiker den
  Begriff wissenschaftlich formuliert, die Aufklärungszeit hatte ihn neu
  in den Vordergrund gerückt, und eben der Staat, dem Kant angehörte,
  hatte den Pflichtgedanken durch Gesetz und Übung kräftig verkörpert.
  Kein Geringerer als Friedrich der Große hat gesagt, die Wissenschaften
  müßten als Mittel betrachtet werden, um uns fähiger zur Erfüllung
  unsrer Pflichten zu machen (~les sciences doivent être considérées
  comme des moyens qui nous donnent plus de capacité pour remplir nos
  devoirs~).
   * * * * *
  Wie kommt es nun, daß uns beim Pflichtgedanken vornehmlich Kant vor
  Augen tritt, und daß das deutsche Volk den Kern seines Wirkens in der
  Verfechtung dieses Gedankens findet?
  Unsre Antwort darauf ist folgende: Kant hat zunächst den Begriff der
  Pflicht in vollster Schärfe erfaßt, er hat ferner ein schweres Problem
  in ihm entdeckt und es klar herausgestellt, er hat endlich dies Problem
  in durchgreifender Weise gelöst. Dies aber konnte er nicht, ohne ein
  Ganzes der Gedankenwelt auszubilden und die Pflichtidee als die Höhe
  einer das ganze Leben umfassenden Bewegung zu verstehen.
   * * * * *
  [Randnotiz: Pflicht und Neigung]
  Kant hat die Pflichtidee in denkbarster Schärfe gefaßt. Die Pflicht ist
  nur echt, wenn sie völliger Selbstzweck ist, wenn wir sie lediglich
  ihrer selbst wegen tun, sie darf sich nicht auf unsre Neigungen
  gründen, nicht als Mittel für unser Glück behandelt werden. Wo
  immer das geschieht, da ist der Begriff der Pflicht verfälscht, und
  das Handeln kann aus ihm keine Stärkung ziehen. »Die Ehrwürdigkeit
  der Pflicht hat nichts mit Lebensgenuß zu schaffen; sie hat ihr
  eigentümliches Gesetz, auch ihr eigentümliches Gericht, und wenn
  man beide noch so sehr zusammenschütteln wollte, um sie vermischt,
  gleichsam als Arzeneimittel, der kranken Seele zuzureichen, so
  scheiden sie sich doch alsbald von selbst, und tun sie es nicht,
  so wirkt das erste gar nicht.« Deshalb brauchen wir nicht unsere
  Neigungen als schlecht zu verwerfen, aber aus ihnen kann nun und nimmer
  pflichtmäßiges Handeln entspringen, wir müssen auch direkt gegen unsere
  Neigungen handeln können und dürfen erst, wo das geschieht, vollauf der
  Pflichtmäßigkeit unseres Handelns gewiß sein. Die Pflicht muß direkt
  auf unseren Willen wirken, wir aber müssen zu ihr das Verhältnis der
  Achtung haben: »die einzig sittliche Triebfeder ist die Achtung für das
  Sittengesetz«.
   * * * * *
  [Randnotiz: Menschenwürde]
  Läßt sich das alles erwägen und in seiner vollen Stärke anerkennen,
  ohne daß ein schweres Problem darin erscheint? Kant selbst hat es in
  folgende Worte gefaßt.
  »Pflicht! Du erhabener großer Name --, welches ist der deiner würdige
  Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft, welche
  alle Verwandtschaft mit Neigungen stolz ausschlägt und von welcher
  Wurzel abzustammen die unnachlaßliche Bedingung desjenigen Wertes
  ist, den sich Menschen allein selbst geben können?« Was bedeutet die
  Pflicht, die so gebieterisch zu uns spricht und so gänzliche Hingebung
  fordert, wie kann sie sich selbst rechtfertigen? Die Pflicht bringt
  an uns ein Gebot, das keinen Widerspruch duldet, aber dies Gebot kann
  unmöglich uns von draußen auferlegt sein, kann unmöglich einen Befehl
  einer außer uns befindlichen Macht bedeuten. Denn ein solcher Befehl
  könnte nur durch die Vorhaltung eines Lohnes oder die Androhung einer
  Strafe wirken; eine daraus entspringende Handlung würde aber lediglich
  durch den Gedanken an ihre Folgen bestimmt sein und damit ihren
  moralischen Charakter verlieren. Wer an Lohn denkt, der hat seinen
  Lohn dahin. So kann das verpflichtende Gesetz nur aus unsrem eignen
  Wesen stammen, wir selbst müssen die Gesetzgeber sein. Aber wenn das
  möglich sein soll, so müssen wir uns selbst völlig anders verstehen,
  als wir es bis dahin taten. Wir dürfen nicht bloß Naturwesen sein und
  den Verkettungen der Natur unterliegen, es muß in uns eine höhere Art,
  ein selbständiges Leben wirken, das sich selbst seine Gesetze gibt
  und in ihrer Durchführung das höchste der Ziele findet. Dies aber ist
  in der Tat der Fall, es erscheint in uns eine praktische Vernunft,
  nicht als etwas von draußen Herangebrachtes, sondern als die Tiefe
  unsres eignen Wesens, als unser wahres Wesen. In dieser Vernunft
  aber liegt die Forderung, daß das Handeln sich ganz unter die Form
  der Allgemeinheit stelle; das Pflichtgebot, nach Kants Ausdruck der
  kategorische Imperativ, lautet: »Handle so, daß die Maxime deines
  Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung
  gelten kann,« oder auch in der Wendung zum Menschen: »Handle so,
  daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person
  eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als
  Mittel brauchst.« Der Mensch gewinnt dadurch nicht bloß einen Wert,
  sondern eine unvergleichliche Würde, daß er in freier Entscheidung
  jenes Gesetz der Vernunft als sein eignes ergreifen und ganz und gar
  als selbständiges Glied einer allgemeinen Ordnung handeln kann. Die
  Freiheit ist die unerläßliche Voraussetzung des Pflichtgebots und aller
  Moral, wir müssen können, wo wir sollen, »du kannst, denn du sollst«.
  Als eine Erweisung der Freiheit und als ein völliger Selbstzweck hebt
  sich damit das moralisch Gute über alle andern Güter unvergleichlich
  hinaus. Aus solcher Gesinnung fließen die Worte: »Es ist überall nichts
  in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was
  ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden als allein ein guter
  Wille.« »Alles Gute, das nicht auf moralisch gute Gesinnung gepfropft
  ist, ist nichts als Schein und schimmerndes Elend.«
   * * * * *
  [Randnotiz: Persönlichkeit]
  So ist es auch das Moralische, das allein den Menschen wesentlich mehr
  sein läßt als das Tier. Denn »über die bloße Tierheit erhebt ihn das
  gar nicht, daß er Vernunft hat, wenn sie ihm nur zum Behuf desjenigen
  dienen soll, was bei Tieren der Instinkt verrichtet«. Wie sich hier von
  der Moral und der ihr eignen Freiheit her das Gesamtbild des Lebens
  vertieft, das zeigen Begriffe wie Persönlichkeit und Charakter; sie
  verdanken die hohe Schätzung, die wir alle ihnen zollen, an erster
  Stelle Kant. Denn Persönlichkeit hatte im Mittelalter und bis in die
  Neuzeit hinein nur die allgemeinere Bedeutung eines vernünftigen
  Einzelwesens (~rationalis naturae individua substantia~), erst Leibniz
  suchte dem Begriff eine präzisere Fassung zu geben, er fand sie in dem
  Vermögen des Menschen, in den verschiedenen Zeitpunkten das Bewußtsein
  der Identität zu bewahren; nur das schien ihm eine moralische und eine
  juristische Verantwortlichkeit möglich zu machen, nur daraus schöpfte
  er die Überzeugung von einer persönlichen Unsterblichkeit. So stand
  hier beim Begriff der Persönlichkeit das Intellektuelle voran, erst
  Kant wendet ihn ins Moralische.
  Persönlichkeit bedeutet ihm nämlich »Freiheit und Unabhängigkeit vom
  Mechanismus der ganzen Natur«, das, »was den Menschen über sich selbst
  (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der
  Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich
  die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch bestimmbare Dasein des
  
Вы прочитали 1 текст из Немецкий литературы.