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Ausgewählte Schriften - 01

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  Ausgewählte Schriften
  Heinrich von Kleist
  Gesammelte Kleine Werke
  Inhalt:
  Das Bettelweib von Locarno
  Das Erdbeben in Chili
  Der Findling
  Der Zweikampf
  Die heilige Cäcilie
  Die Marquise von O...
  Die Verlobung in St. Domingo
  Geistererscheinung
  Michael Kohlhaas
  
  Das Bettelweib von Locarno
  
  Am Fuße der Alpen bei Locarno im oberen Italien befand sich ein altes,
  einem Marchese gehöriges Schloß, das man jetzt, wenn man vom St.
  Gotthard kommt, in Schutt und Trümmern liegen sieht: ein Schloß mit
  hohen und weitläufigen Zimmern, in deren einem einst auf Stroh, das
  man ihr unterschüttete, eine alte kranke Frau, die sich bettelnd vor
  der Tür eingefunden hatte, von der Hausfrau aus Mitleiden gebettet
  worden war. Der Marchese, der bei der Rückkehr von der Jagd zufällig
  in das Zimmer trat, wo er seine Büchse abzusetzen pflegte, befahl der
  Frau unwillig, aus dem Winkel, in welchem sie lag, aufzustehn und
  sich hinter den Ofen zu verfügen. Die Frau, da sie sich erhob,
  glitschte mit der Krücke auf dem glatten Boden aus und beschädigte
  sich auf eine gefährliche Weise das Kreuz; dergestalt, daß sie zwar
  noch mit unsäglicher Mühe aufstand und quer, wie es ihr
  vorgeschrieben war, über das Zimmer ging, hinter dem Ofen aber unter
  Stöhnen und Ächzen niedersank und verschied.
  Mehrere Jahre nachher, da der Marchese durch Krieg und Mißwachs in
  bedenkliche Vermögensumstände geraten war, fand sich ein
  florentinischer Ritter bei ihm ein, der das Schloß seiner schönen
  Lage wegen von ihm kaufen wollte. Der Marchese, dem viel an dem
  Handel gelegen war, gab seiner Frau auf, den Fremden in dem
  obenerwähnten leerstehenden Zimmer, das sehr schön und prächtig
  eingerichtet war, unterzubringen. Aber wie betreten war das Ehepaar,
  als der Ritter mitten in der Nacht verstört und bleich zu ihnen
  herunterkam, hoch und teuer versichernd, daß es in dem Zimmer spuke,
  indem etwas, das dem Blick unsichtbar gewesen, mit einem Geräusch,
  als ob es auf Stroh gelegen, im Zimmerwinkel aufgestanden mit
  vernehmlichen Schritten langsam und gebrechlich quer über drei Zimmer
  gegangen und hinter dem Ofen unter Stöhnen und Ächzen niedergesunken
  sei.
  Der Marchese, erschrocken, er wußte selbst nicht recht warum, lachte
  den Ritter mit erkünstelter Heiterkeit aus und sagte, er wolle
  sogleich aufstehen und die Nacht zu seiner Beruhigung mit ihm in dem
  Zimmer zubringen. Doch der Ritter bat um die Gefälligkeit, ihm zu
  erlauben, daß er auf einem Lehnstuhl in seinem Schlafzimmer
  übernachte; und als der Morgen kam, ließ er anspannen, empfahl sich
  und reiste ab.
  Dieser Vorfall, der außerordentliches Aufsehen machte, schreckte auf
  eine dem Marchese höchst unangenehme Weise mehrere Käufer ab;
  dergestalt, daß, da sich unter seinem eignen Hausgesinde, befremdend
  und unbegreiflich, das Gerücht erhob, daß es in dem Zimmer zur
  Mitternachtstunde umgehe, er, um es mit einem entscheidenden
  Verfahren niederzuschlagen, beschloß, die Sache in der nächsten Nacht
  selbst zu untersuchen. Demnach ließ er beim Einbruch der Dämmerung
  sein Bett in dem besagten Zimmer aufschlagen und erharrte, ohne zu
  schlafen, die Mitternacht. Aber wie erschüttert war er, als er in
  der Tat mit dem Schlage der Geisterstunde das unbegreifliche Geräusch
  wahrnahm; es war, als ob ein Mensch sich von Stroh, das unter ihm
  knisterte, erhob, quer über das Zimmer ging, und hinter dem Ofen
  unter Geseufz und Geröchel niedersank. Die Marquise, am andern
  Morgen, da er herunterkam, fragte ihn, wie die Untersuchung
  abgelaufen; und da er sich mit scheuen und ungewissen Blicken umsah
  und, nachdem er die Tür verriegelt, versicherte, daß es mit dem Spuk
  seine Richtigkeit habe: so erschrak sie, wie sie in ihrem Leben nicht
  getan und bat ihn, bevor er die Sache verlauten ließe, sie noch
  einmal in ihrer Gesellschaft einer kaltblütigen Prüfung zu
  unterwerfen. Sie hörten aber samt einem treuen Bedienten, den sie
  mitgenommen hatten, in der Tat in der nächsten Nacht dasselbe
  unbegreifliche, gespensterartige Geräusch; und nur der dringende
  Wunsch, das Schloß, es koste was es wolle, loszuwerden, vermochte sie,
  das Entsetzen, das sie ergriff, in Gegenwart ihres Dieners zu
  unterdrücken und dem Vorfall irgendeine gleichgültige und zufällige
  Ursache, die sich entdecken lassen müsse, unterzuschieben. Am Abend
  des dritten Tages, da beide, um der Sache auf den Grund zu kommen,
  mit Herzklopfen wieder die Treppe zu dem Fremdenzimmer bestiegen,
  fand sich zufällig der Haushund, den man von der Kette losgelassen
  hatte, vor der Tür desselben ein; dergestalt daß beide, ohne sich
  bestimmt zu erklären, vielleicht in der unwillkürlichen Absicht,
  außer sich selbst noch etwas Drittes, Lebendiges, bei sich zu haben,
  den Hund mit sich in das Zimmer nahmen. Das Ehepaar, zwei Lichter
  auf dem Tisch, die Marquise unausgezogen, der Marchese Degen und
  Pistolen, die er aus dem Schrank genommen, neben sich, setzen sich
  gegen elf Uhr jeder auf sein Bett; und während sie sich mit
  Gesprächen, so gut sie vermögen, zu unterhalten suchen, legt sich der
  Hund, Kopf und Beine zusammengekauert, in der Mitte des Zimmers
  nieder und schläft ein, Drauf, in dem Augenblick der Mitternacht,
  läßt sich das entsetzliche Geräusch wieder hören; jemand, den kein
  Mensch mit Augen sehen kann, hebt sich auf Krücken im Zimmerwinkel
  empor; man hört das Stroh, das unter ihm rauscht; und mit dem ersten
  Schritt: tapp! tapp! erwacht der Hund, hebt sich plötzlich, die Ohren
  spitzend, vom Boden empor, und knurrend und bellend, grad' als ob ein
  Mensch auf ihn eingeschritten käme, rückwärts gegen den Ofen weicht
  er aus. Bei diesem Anblick stürzt die Marquise mit sträubenden
  Haaren aus dem Zimmer; und während der Marchese, der den Degen
  ergriffen: "Wer da?" ruft, und, da ihm niemand antwortet, gleich
  einem Rasenden nach allen Richtungen die Luft durchhaut, läßt sie
  anspannen, entschlossen, augenblicklich nach der Stadt abzufahren.
  Aber ehe sie noch nach Zusammenraffung einiger Sachen aus dem Tore
  herausgerasselt, sieht sie schon das Schloß ringsum in Flammen
  aufgehen. Der Marchese, von Entsetzen überreizt, hatte eine Kerze
  genommen und dasselbe, überall mit Holz getäfelt wie es war, an allen
  vier Ecken, müde seines Lebens, angesteckt. Vergebens schickte sie
  Leute hinein, den Unglücklichen zu retten; er war auf die
  elendiglichste Weise bereits umgekommen; und noch jetzt liegen, von
  den Landleuten zusammengetragen, seine weißen Gebeine in dem Winkel
  des Zimmers, von welchem er das Bettelweib von Locarno hatte
  aufstehen heißen.
  
  
  Das Erdbeben in Chili
  
  In St. Jago, der Hauptstadt des Königreichs Chili, stand gerade in
  dem Augenblicke der großen Erderschütterung vom Jahre 1647, bei
  welcher viele tausend Menschen ihren Untergang fanden, ein junger,
  auf ein Verbrechen angeklagter Spanier, namens Jeronimo Rugera, an
  einem Pfeiler des Gefängnisses, in welches man ihn eingesperrt hatte,
  und wollte sich erhenken. Don Henrico Asteron, einer der reichsten
  Edelleute der Stadt, hatte ihn ungefähr ein Jahr zuvor aus seinem
  Hause, wo er als Lehrer angestellt war, entfernt, weil er sich mit
  Donna Josephe, seiner einzigen Tochter, in einem zärtlichen
  Einverständnis befunden hatte. Eine geheime Bestellung, die dem
  alten Don, nachdem er die Tochter nachdrücklich gewarnt hatte, durch
  die hämische Aufmerksamkeit seines stolzen Sohnes verraten worden war,
  entrüstete ihn dergestalt, daß er sie in dem Karmeliterkloster
  unsrer lieben Frauen vom Berge daselbst unterbrachte.
  Durch einen glücklichen Zufall hatte Jeronimo hier die Verbindung von
  neuem anzuknüpfen gewußt, und in einer verschwiegenen Nacht den
  Klostergarten zum Schauplatze seines vollen Glückes gemacht. Es war
  am Fronleichnamsfeste, und die feierliche Prozession der Nonnen,
  welchen die Novizen folgten, nahm eben ihren Anfang, als die
  unglückliche Josephe, bei dem Anklange der Glocken, in Mutterwehen
  auf den Stufen der Kathedrale niedersank.
  Dieser Vorfall machte außerordentliches Aufsehn; man brachte die
  junge Sünderin, ohne Rücksicht auf ihren Zustand, sogleich in ein
  Gefängnis, und kaum war sie aus den Wochen erstanden, als ihr schon,
  auf Befehl des Erzbischofs, der geschärfteste Prozeß gemacht ward.
  Man sprach in der Stadt mit einer so großen Erbitterung von diesem
  Skandal, und die Zungen fielen so scharf über das ganze Kloster her,
  in welchem er sich zugetragen hatte, daß weder die Fürbitte der
  Familie Asteron, noch auch der Wunsch der Äbtissin selbst, welche das
  junge Mädchen wegen ihres sonst untadelhaften Betragens liebgewonnen
  hatte, die Strenge, mit welcher das mit welcher das klösterliche
  Gesetz sie bedrohte, mildern konnte. Alles, was geschehen konnte,
  war, daß der Feuertod, zu dem sie verurteilt wurde, zur großen
  Entrüstung der Matronen und Jungfrauen von St. Jago, durch einen
  Machtspruch des Vizekönigs, in eine Enthauptung verwandelt ward.
  Man vermietete in den Straßen, durch welche der Hinrichtungszug gehen
  sollte, die Fenster, man trug die Dächer der Häuser ab, und die
  frommen Töchter der Stadt luden ihre Freundinnen ein, um dem
  Schauspiele, das der göttlichen Rache gegeben wurde, an ihrer
  schwesterlichen Seite beizuwohnen.
  Jeronimo, der inzwischen auch in ein Gefängnis gesetzt worden war,
  wollte die Besinnung verlieren, als er diese ungeheure Wendung der
  Dinge erfuhr. Vergebens sann er auf Rettung: überall, wohin ihn auch
  der Fittig der vermessensten Gedanken trug, stieß er auf Riegel und
  Mauern, und ein Versuch, die Gitterfenster zu durchfeilen, zog ihm,
  da er entdeckt ward, eine nur noch engere Einsperrung zu. Er warf
  sich vor dem Bildnisse der heiligen Mutter Gottes nieder, und betete
  mit unendlicher Inbrunst zu ihr, als der einzigen, von der ihm jetzt
  noch Rettung kommen könnte.
  Doch der gefürchtete Tag erschien, und mit ihm in seiner Brust die
  Überzeugung von der völligen Hoffnungslosigkeit seiner Lage. Die
  Glocken, welche Josephen zum Richtplatz begleiteten, ertönten, und
  Verzweiflung bemächtigte sich seiner Seele. Das Leben schien ihm
  verhaßt, und er beschloß, sich durch einen Strick, den ihm der Zufall
  gelassen hatte, den Tod zu geben. Eben stand er, wie schon gesagt,
  an einem Wandpfeiler und befestigen den Strick, der ihn dieser
  jammervollen Welt entreißen sollte, an eine Eisenklammer, die an dem
  Gesimse derselben eingefugt war; als plötzlich der größte Teil der
  Stadt, mit einem Gekrache, als ob das Firmament einstürzte, versank,
  und alles, was Leben atmete, unter seinen Trümmern begrub. Jeronimo
  Rugera war starr vor Entsetzen; und gleich als ob sein ganzes
  Bewußtsein zerschmettert worden wäre, hielt er sich jetzt an dem
  Pfeiler, an welchem er hatte sterben wollen, um nicht umzufallen.
  Der Boden wankte unter seinen Füßen, alle Wände des Gefängnisses
  rissen, der ganze Bau neigte sich, nach der Straße zu einzustürzen,
  und nur der, seinem langsamen Fall begegnende, Fall des
  gegenüberstehenden Gebäudes verhinderte, durch eine zufällige Wölbung,
  die gänzliche Zubodenstreckung desselben. Zitternd, mit sträubenden
  Haaren, und Knieen, die unter ihm brechen wollten, glitt Jeronimo
  über den schiefgesenkten Fußboden hinweg, der Öffnung zu, die der
  Zusammenschlag beider Häuser in die vordere Wand des Gefängnisses
  eingerissen hatte.
  Kaum befand er sich im Freien, als die ganze, schon erschütterte
  Straße auf eine zweite Bewegung der Erde völlig zusammenfiel.
  Besinnungslos, wie er sich aus diesem allgemeinen Verderben retten
  würde, eilte er, über Schutt und Gebälk hinweg, indessen der Tod von
  allen Seiten Angriffe auf ihn machte, nach einem der nächsten Tore
  der Stadt. Hier stürzte noch ein Haus zusammen, und jagte ihn, die
  Trümmer weit umherschleudernd, in eine Nebenstraße; hier leckte die
  Flamme schon, in Dampfwolken blitzend, aus allen Giebeln, und trieb
  ihn schreckenvoll in eine andere; hier wälzte sich, aus seinem
  Gestade gehoben, der Mapochofluß auf ihn heran, und riß ihn brüllend
  in eine dritte. Hier lag ein Haufen Erschlagener, hier ächzte noch
  eine Stimme unter dem Schutte, hier schrieen Leute von brennenden
  Dächern herab, hier kämpften Menschen und Tiere mit den Wellen, hier
  war ein mutiger Retter bemüht, zu helfen; hier stand ein anderer,
  bleich wie der Tod, und streckte sprachlos zitternde Hände zum Himmel.
  Als Jeronimo das Tor erreicht, und einen Hügel jenseits desselben
  bestiegen hatte, sank er ohnmächtig auf demselben nieder.
  Er mochte wohl eine Viertelstunde in der tiefsten Bewußtlosigkeit
  gelegen haben, als er endlich wieder erwachte, und sich, mit nach der
  Stadt gekehrtem Rücken, halb auf dem Erdboden erhob. Er befühlte
  sich Stirn und Brust, unwissend, was er aus seinem Zustande machen
  sollte, und ein unsägliches Wonnegefühl ergriff ihn, als ein Westwind,
  vom Meere her, sein wiederkehrendes Leben anwehte, und sein Auge
  sich nach allen Richtungen über die blühende Gegend von St. Jago
  hinwandte. Nur die verstörten Menschenhaufen, die sich überall
  blicken ließen, beklemmten sein Herz; er begriff nicht, was ihn und
  sie hiehergeführt haben konnte, und erst, da er sich umkehrte, und
  die Stadt hinter sich versunken sah, erinnerte er sich des
  schrecklichen Augenblicks, den er erlebt hatte. Er senkte sich so
  tief, daß seine Stirn den Boden berührte, Gott für seine wunderbare
  Errettung zu danken; und gleich, als ob der eine entsetzliche
  Eindruck, der sich seinem Gemüt eingeprägt hatte, alle früheren
  daraus verdrängt hätte, weinte er vor Lust, daß er sich des
  lieblichen Lebens, voll bunter Erscheinungen, noch erfreue.
  Drauf, als er eines Ringes an seiner Hand gewahrte, erinnerte er sich
  plötzlich auch Josephens, und mit ihr seines Gefängnisses, der
  Glocken, die er dort gehört hatte, und des Augenblicks, der dem
  Einsturze desselben vorangegangen war. Tiefe Schwermut erfüllte
  wieder seine Brust; sein Gebet fing ihn zu reuen an, und fürchterlich
  schien ihm das Wesen, das über den Wolken waltet. Er mischte sich
  unter das Volk, das überall, mit Rettung des Eigentums beschäftigt,
  aus den Toren stürzte, und wagte schüchtern nach der Tochter Asterons,
  und ob die Hinrichtung an ihr vollzogen worden sei, zu fragen; doch
  niemand war, der ihm umständliche Auskunft gab. Eine Frau, die auf
  einem fast zur Erde gedrückten Nacken eine ungeheure Last von
  Gerätschaften und zwei Kinder, an der Brust hängend, trug, sagte im
  Vorbeigehen, als ob sie es selbst angesehen hätte: daß sie enthauptet
  worden sei. Jeronimo kehrte sich um; und da er, wenn er die Zeit
  berechnete, selbst an ihrer Vollendung nicht zweifeln konnte, so
  setzte er sich in einem einsamen Walde nieder, und überließ sich
  seinem vollen Schmerz. Er wünschte, daß die zerstörende Gewalt der
  Natur von neuem über ihn einbrechen möchte. Er begriff nicht, warum
  er dem Tode, den seine jammervolle Seele so suchte, in jenen
  Augenblicken, da er ihm freiwillig von allen Seiten rettend erschien,
  entflohen sei. Er nahm sich fest vor, nicht zu wanken, wenn auch
  jetzt die Eichen entwurzelt werden, und ihre Wipfel über ihn
  zusammenstürzen sollten. Darauf nun, da er sich ausgeweint hatte,
  und ihm, mitten unter den heißesten Tränen, die Hoffnung wieder
  erschienen war, stand er auf, und durchstreifte nach allen Richtungen
  das Feld. Jeden Berggipfel, auf dem sich die Menschen versammelt
  hatten, besuchte er; auf allen Wegen, wo sich der Strom der Flucht
  noch bewegte, begegnete er ihnen; wo nur irgend ein weibliches Gewand
  im Winde flatterte, da trug ihn sein zitternder Fuß hin: doch keines
  deckte die geliebte Tochter Asterons. Die Sonne neigte sich, und mit
  ihr seine Hoffnung schon wieder zum Untergange, als er den Rand eines
  Felsens betrat, und sich ihm die Aussicht in ein weites, nur von
  wenig Menschen besuchtes Tal eröffnete. Er durchlief, unschlüssig,
  was er tun sollte, die einzelnen Gruppen derselben, und wollte sich
  schon wieder wenden, als er plötzlich an einer Quelle, die die
  Schlucht bewässerte, ein junges Weib erblickte, beschäftigt, ein Kind
  in seinen Fluten zu reinigen. Und das Herz hüpfte ihm bei diesem
  Anblick: er sprang voll Ahndung über die Gesteine herab, und rief: O
  Mutter Gottes, du Heilige! und erkannte Josephen, als sie sich bei
  dem Geräusche schüchtern umsah. Mit welcher Seligkeit umarmten sie
  sich, die Unglücklichen, die ein Wunder des Himmels gerettet hatte!
  Josephe war, auf ihrem Gang zum Tode, dem Richtplatze schon ganz nahe
  gewesen, als durch den krachenden Einsturz der Gebäude plötzlich der
  ganze Hinrichtungszug auseinander gesprengt ward. Ihre ersten
  entsetzensvollen Schritte trugen sie hierauf dem nächsten Tore zu;
  doch die Besinnung kehrte ihr bald wieder, und sie wandte sich, um
  nach dem Kloster zu eilen, wo ihr kleiner, hülfloser Knabe
  zurückgeblieben war. Sie fand das ganze Kloster schon in Flammen,
  und die Äbtissin, die ihr in jenen Augenblicken, die ihre letzten
  sein sollten, Sorge für den Säugling angelobt hatte, schrie eben, vor
  den Pforten stehend, nach Hülfe, um ihn zu retten. Josephe stürzte
  sich, unerschrocken durch den Dampf, der ihr entgegenqualmte, in das
  von allen Seiten schon zusammenfallende Gebäude, und gleich, als ob
  alle Engel des Himmels sie umschirmten, trat sie mit ihm unbeschädigt
  wieder aus dem Portal hervor. Sie wollte der Äbtissin, welche die
  Hände über ihr Haupt zusammenschlug, eben in die Arme sinken, als
  diese, mit fast allen ihren Klosterfrauen, von einem herabfallenden
  Giebel des Hauses, auf eine schmähliche Art erschlagen ward. Josephe
  bebte bei diesem entsetzlichen Anblicke zurück; sie drückte der
  Äbtissin flüchtig die Augen zu, und floh, ganz von Schrecken erfüllt,
  den teuern Knaben, den ihr der Himmel wieder geschenkt hatte, dem
  Verderben zu entreißen.
  Sie hatte noch wenig Schritte getan, als ihr auch schon die Leiche
  des Erzbischofs begegnete, die man soeben zerschmettert aus dem
  Schutt der Kathedrale hervorgezogen hatte. Der Palast des Vizekönigs
  war versunken, der Gerichtshof, in welchem ihr das Urteil gesprochen
  worden war, stand in Flammen, und an die Stelle, wo sich ihr
  väterliches Haus befunden hatte, war ein See getreten, und kochte
  rötliche Dämpfe aus. Josephe raffte alle ihre Kräfte zusammen, sich
  zu halten. Sie schritt, den Jammer von ihrer Brust entfernend, mutig
  mit ihrer Beute von Straße zu Straße, und war schon dem Tore nah, als
  sie auch das Gefängnis, in welchem Jeronimo geseufzt hatte, in
  Trümmern sah. Bei diesem Anblicke wankte sie, und wollte
  besinnungslos an einer Ecke niedersinken; doch in demselben
  Augenblick jagte sie der Sturz eines Gebäudes hinter ihr, das die
  Erschütterungen schon ganz aufgelöst hatten, durch das Entsetzen
  gestärkt, wieder auf; sie küßte das Kind, drückte sich die Tränen aus
  den Augen, und erreichte, nicht mehr auf die Greuel, die sie
  umringten, achtend, das Tor. Als sie sich im Freien sah, schloß sie
  bald, daß nicht jeder, der ein zertrümmertes Gebäude bewohnt hatte,
  unter ihm notwendig müsse zerschmettert worden sein.
  An dem nächsten Scheidewege stand sie still, und harrte, ob nicht
  einer, der ihr, nach dem kleinen Philipp, der liebste auf der Welt
  war, noch erscheinen würde. Sie ging, weil niemand kam, und das
  Gewühl der Menschen anwuchs, weiter, und kehrte sich wieder um, und
  harrte wieder; und schlich, viel Tränen vergießend, in ein dunkles,
  von Pinien beschattetes Tal, um seiner Seele, die sie entflohen
  glaubte, nachzubeten; und fand ihn hier, diesen Geliebten, im Tale,
  und Seligkeit, als ob es das Tal von Eden gewesen wäre.
  Dies alles erzählte sie jetzt voll Rührung dem Jeronimo, und reichte
  ihm, da sie vollendet hatte, den Knaben zum Küssen dar.--Jeronimo
  nahm ihn, und hätschelte ihn in unsäglicher Vaterfreude, und
  verschloß ihm, da er das fremde Antlitz anweinte, mit Liebkosungen
  ohne Ende den Mund. Indessen war die schönste Nacht herabgestiegen,
  voll wundermilden Duftes, so silberglänzend und still, wie nur ein
  Dichter davon träumen mag. Überall, längs der Talquelle, hatten
  sich, im Schimmer des Mondscheins, Menschen niedergelassen, und
  bereiteten sich sanfte Lager von Moos und Laub, um von einem so
  qualvollen Tage auszuruhen. Und weil die Armen immer noch jammerten;
  dieser, daß er sein Haus, jener, daß er Weib und Kind, und der dritte,
  daß er alles verloren habe: so schlichen Jeronimo und Josephe in ein
  dichteres Gebüsch, um durch das heimliche Gejauchz ihrer Seelen
  niemand zu betrüben. Sie fanden einen prachtvollen Granatapfelbaum,
  der seine Zweige, voll duftender Früchte, weit ausbreitete; und die
  Nachtigall flötete im Wipfel ihr wollüstiges Lied. Hier ließ sich
  Jeronimo am Stamme nieder, und Josephe in seinem, Philipp in
  Josephens Schoß, saßen sie, von seinem Mantel bedeckt, und ruhten.
  Der Baumschatten zog, mit seinen verstreuten Lichtern, über sie
  hinweg, und der Mond erblaßte schon wieder vor der Morgenröte, ehe
  sie einschliefen. Denn Unendliches hatten sie zu schwatzen vom
  Klostergarten und den Gefängnissen, und was sie um einander gelitten
  hätten; und waren sehr gerührt, wenn sie dachten, wie viel Elend über
  die Welt kommen mußte, damit sie glücklich würden!
  Sie beschlossen, sobald die Erderschütterungen aufgehört haben würden,
  nach La Conception zu gehen, wo Josephe eine vertraute Freundin
  hatte, sich mit einem kleinen Vorschuß, den sie von ihr zu erhalten
  hoffte, von dort nach Spanien einzuschiffen, wo Jeronimos mütterliche
  Verwandten wohnten, und daselbst ihr glückliches Leben zu beschließen.
  Hierauf, unter vielen Küssen, schliefen sie ein.
  Als sie erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und sie
  bemerkten in ihrer Nähe mehrere Familien, beschäftigt, sich am Feuer
  ein kleines Morgenbrot zu bereiten. Jeronimo dachte eben auch, wie
  er Nahrung für die Seinigen herbeischaffen sollte, als ein junger
  wohlgekleideter Mann, mit einem Kinde auf dem Arm, zu Josephen trat,
  und sie mit Bescheidenheit fragte: ob sie diesem armen Wurme, dessen
  Mutter dort unter den Bäumen beschädigt liege, nicht auf kurze Zeit
  ihre Brust reichen wolle? Josephe war ein wenig verwirrt, als sie in
  ihm einen Bekannten erblickte; doch da er, indem er ihre Verwirrung
  falsch deutete, fortfuhr: es ist nur auf wenige Augenblicke, Donna
  Josephe, und dieses Kind hat, seit jener Stunde, die uns alle
  unglücklich gemacht hat, nichts genossen; so sagte sie: "ich
  schwieg--aus einem andern Grunde, Don Fernando; in diesen
  schrecklichen Zeiten weigert sich niemand, von dem, was er besitzen
  mag, mitzuteilen": und nahm den kleinen Fremdling, indem sie ihr
  eigenes Kind dem Vater gab, und legte ihn an ihre Brust. Don
  Fernando war sehr dankbar für diese Güte, und fragte: ob sie sich
  nicht mit ihm zu jener Gesellschaft verfügen wollten, wo eben jetzt
  beim Feuer ein kleines Frühstück bereitet werde? Josephe antwortete,
  daß sie dies Anerbieten mit Vergnügen annehmen würde, und folgte ihm,
  da auch Jeronimo nichts einzuwenden hatte, zu seiner Familie, wo sie
  auf das innigste und zärtlichste von Don Fernandos beiden
  Schwägerinnen, die sie als sehr würdige junge Damen kannte, empfangen
  ward.
  Donna Elvire, Don Fernandos Gemahlin, welche schwer an den Füßen
  verwundet auf der Erde lag, zog Josephen, da sie ihren abgehärmten
  Knaben an der Brust derselben sah, mit vieler Freundlichkeit zu sich
  nieder. Auch Don Pedro, sein Schwiegervater, der an der Schulter
  verwundet war, nickte ihr liebreich mit dem Haupte zu.-In Jeronimos
  und Josephens Brust regten sich Gedanken von seltsamer Art. Wenn sie
  sich mit so vieler Vertraulichkeit und Güte behandelt sahen, so
  wußten sie nicht, was sie von der Vergangenheit denken sollten, vom
  Richtplatze, von dem Gefängnisse, und der Glocke; und ob sie bloß
  davon geträumt hätten? Es war, als ob die Gemüter, seit dem
  fürchterlichen Schlage, der sie durchdröhnt hatte, alle versöhnt
  wären. Sie konnten in der Erinnerung gar nicht weiter, als bis auf
  ihn, zurückgehen. Nur Donna Elisabeth, welche bei einer Freundin,
  auf das Schauspiel des gestrigen Morgens, eingeladen worden war, die
  Einladung aber nicht angenommen hatte, ruhte zuweilen mit
  träumerischem Blicke auf Josephen; doch der Bericht, der über irgend
  ein neues gräßliches Unglück erstattet ward, riß ihre, der Gegenwart
  kaum entflohene Seele schon wieder in dieselbe zurück.
  Man erzählte, wie die Stadt gleich nach der ersten Haupterschütterung
  von Weibern ganz voll gewesen, die vor den Augen aller Männer
  niedergekommen seien; wie die Mönche darin, mit dem Kruzifix in der
  Hand, umhergelaufen wären, und geschrieen hätten: das Ende der Welt
  sei da! wie man einer Wache, die auf Befehl des Vizekönigs verlangte,
  eine Kirche zu räumen, geantwortet hätte: es gäbe keinen Vizekönig
  von Chili mehr! wie der Vizekönig in den schrecklichsten Augenblicken
  hätte müssen Galgen aufrichten lassen, um der Dieberei Einhalt zu tun;
  und wie ein Unschuldiger, der sich von hinten durch ein brennendes
  Haus gerettet, von dem Besitzer aus Übereilung ergriffen, und
  sogleich auch aufgeknöpft worden wäre.
  Donna Elvire, bei deren Verletzungen Josephe viel beschäftigt war,
  hatte in einem Augenblick, da gerade die Erzählungen sich am
  lebhaftesten kreuzten, Gelegenheit genommen, sie zu fragen: wie es
  denn ihr an diesem fürchterlichen Tag ergangen sei? Und da Josephe
  ihr, mit beklemmtem Herzen, einige Hauptzüge davon angab, so ward ihr
  die Wollust, Tränen in die Augen dieser Dame treten zu sehen; Donna
  Elvire ergriff ihre Hand, und drückte sie, und winkte ihr, zu
  schweigen. Josephe dünkte sich unter den Seligen. Ein Gefühl, das
  sie nicht unterdrücken konnte, nannte den verfloßnen Tag, so viel
  Elend er auch über die Welt gebracht hatte, eine Wohltat, wie der
  Himmel noch keine über sie verhängt hatte. Und in der Tat schien,
  mitten in diesen gräßlichen Augenblicken, in welchen alle irdischen
  Güter der Menschen zu Grunde gingen, und die ganze Natur verschüttet
  zu werden drohte, der menschliche Geist selbst, wie eine schöne Blume,
  aufzugehn. Auf den Feldern, so weit das Auge reichte, sah man
  Menschen von allen Ständen durcheinander liegen, Fürsten und Bettler,
  Matronen und Bäuerinnen, Staatsbeamte und Tagelöhner, Klosterherren
  und Klosterfrauen: einander bemitleiden, sich wechselseitig Hülfe
  reichen, von dem, was sie zur Erhaltung ihres Lebens gerettet haben
  mochten, freudig mitteilen, als ob das allgemeine Unglück alles, was
  ihm entronnen war, zu einer Familie gemacht hätte.
  Statt der nichtssagenden Unterhaltungen, zu welchen sonst die Welt an
  den Teetischen den Stoff hergegeben hatte, erzählte man jetzt
  Beispiele von ungeheuern Taten: Menschen, die man sonst in der
  Gesellschaft wenig geachtet hatte, hatten Römergröße gezeigt;
  Beispiele zu Haufen von Unerschrockenheit, von freudiger Verachtung
  der Gefahr, von Selbstverleugnung und der göttlichen Aufopferung, von
  ungesäumter Wegwerfung des Lebens, als ob es, dem nichtswürdigsten
  Gute gleich, auf dem nächsten Schritte schon wiedergefunden würde.
  Ja, da nicht einer war, für den nicht an diesem Tage etwas Rührendes
  geschehen wäre, oder der nicht selbst etwas Großmütiges getan hätte,
  so war der Schmerz in jeder Menschenbrust mit so viel süßer Lust
  vermischt, daß sich, wie sie meinte, gar nicht angeben ließ, ob die
  Summe des allgemeinen Wohlseins nicht von der einen Seite um ebenso
  viel gewachsen war, als sie von der anderen abgenommen hatte.
  Jeronimo nahm Josephen, nachdem sich beide in diesen Betrachtungen
  stillschweigend erschöpft hatten, beim Arm, und führte sie mit
  unaussprechlicher Heiterkeit unter den schattigen Lauben des
  Granatwaldes auf und nieder. Er sagte ihr, daß er, bei dieser
  Stimmung der Gemüter und dem Umsturz aller Verhältnisse, seinen
  Entschluß, sich nach Europa einzuschiffen, aufgebe; daß er vor dem
  Vizekönig, der sich seiner Sache immer günstig gezeigt, falls er noch
  am Leben sei, einen Fußfall wagen würde; und daß er Hoffnung habe
  (wobei er ihr einen Kuß aufdrückte), mit ihr in Chili zurückzubleiben.
  Josephe antwortete, daß ähnliche Gedanken in ihr aufgestiegen wären;
  daß auch sie nicht mehr, falls ihr Vater nur noch am Leben sei, ihn
  zu versöhnen zweifle; daß sie aber statt des Fußfalles lieber nach La
  Conception zu gehen, und von dort aus schriftlich das
  Versöhnungsgeschäft mit dem Vizekönig zu betreiben rate, wo man auf
  jeden Fall in der Nähe des Hafens wäre, und für den besten, wenn das
  Geschäft die erwünschte Wendung nähme, ja leicht wieder nach St. Jago
  
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