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Abhandlungen über die Fabel - 1

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  Abhandlungen über die Fabel
  Gotthold Ephraim Lessing
  
  
  
  Inhalt:
   I. Von dem Wesen der Fabel
   II. Von dem Gebrauche der Tiere in der Fabel
  III. Von der Einteilung der Fabeln
   IV. Von dem Vortrage der Fabeln
   V. Von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen
  
  
  I. Von dem Wesen der Fabel
  
  Jede Erdichtung, womit der Poet eine gewisse Absicht verbindet, heißt
  seine Fabel. So heißt die Erdichtung, welche er durch die Epopee,
  durch das Drama herrschen läßt, die Fabel seiner Epopee, die Fabel
  seines Drama.
  Von diesen Fabeln ist hier die Rede nicht. Mein Gegenstand ist die
  sogenannte (aesopische) Fabel. Auch diese ist eine Erdichtung, eine
  Erdichtung, die auf einen gewissen Zweck abzielet.
  Man erlaube mir, gleich anfangs einen Sprung in die Mitte meiner
  Materie zu tun, um eine Anmerkung daraus herzuholen, auf die sich eine
  gewisse Einteilung der aesopischen Fabel gründet, deren ich in der
  Folge zu oft gedenken werde und die mir so bekannt nicht scheinet, daß
  ich sie, auf gut Glück, bei meinen Lesern voraussetzen dürfte.
  Aesopus machte die meisten seiner Fabeln bei wirklichen Vorfällen.
  Seine Nachfolger haben sich dergleichen Vorfälle meistens erdichtet
  oder auch wohl an ganz und gar keinen Vorfall, sondern bloß an diese
  oder jene allgemeine Wahrheit, bei Verfertigung der ihrigen, gedacht.
  Diese begnügten sich folglich, die allgemeine Wahrheit, durch die
  erdichtete Geschichte ihrer Fabel, erläutert zu haben; wenn jener noch
  über dieses die Ähnlichkeit seiner erdichteten Geschichte mit dem
  gegenwärtigen wirklichen Vorfalle faßlich machen und zeigen mußte, daß
  aus beiden, sowohl aus der erdichteten Geschichte als dem wirklichen
  Vorfalle, sich ebendieselbe Wahrheit bereits ergebe oder gewiß ergeben
  werde.
  Und hieraus entspringt die Einteilung in (einfache) und
  (zusammengesetzte) Fabeln.
  (Einfach) ist die Fabel, wenn ich aus der erdichteten Begebenheit
  derselben bloß irgendeine allgemeine Wahrheit folgern lasse.--"Man
  machte der Löwin den Vorwurf, daß sie nur ein Junges zur Welt brächte.
  Ja, sprach sie, nur eines, aber einen Löwen."[1]--Die Wahrheit, welche
  in dieser Fabel liegt, oti to kalon ouk en plhJei, all' aerth,
  leuchtet sogleich in die Augen; und die Fabel ist (einfach), wenn ich
  es bei dem Ausdrucke dieses allgemeinen Satzes bewenden lasse.
  {Fussnote 1: Fabul. Aesop. 216. Edit. Hauptmannianae.}
  (Zusammengesetzt) hingegen ist die Fabel, wenn die Wahrheit, die sie
  uns anschauend zu erkennen gibt, auf einen wirklich geschehenen oder
  doch als wirklich geschehen angenommenen Fall weiter angewendet wird.
  --"Ich mache, sprach ein höhnischer Reimer zu dem Dichter, in einem
  Jahre sieben Trauerspiele, aber du? In sieben Jahren eines! Recht,
  nur eines! versetzte der Dichter, aber eine (Athalie)!"--Man mache
  dieses zur Anwendung der vorigen Fabel, und die Fabel wird
  (zusammengesetzt). Denn sie besteht nunmehr gleichsam aus zwei Fabeln,
  aus (zwei) einzeln Fällen, in welchen beiden ich die Wahrheit
  ebendesselben Lehrsatzes bestätiget finde.
  Diese Einteilung aber--kaum brauche ich es zu erinnern--beruhet nicht
  auf einer wesentlichen Verschiedenheit der Fabeln selbst, sondern bloß
  auf der verschiedenen Bearbeitung derselben. Und aus dem Exempel
  schon hat man es ersehen, daß ebendieselbe Fabel bald (einfach), bald
  (zusammengesetzt) sein kann. Bei dem (Phaedrus) ist die Fabel (von
  dem kreisenden Berge) eine (einfache) Fabel.
  --- Hoc scriptum est tibi,
  Qui magna cum minaris, extricas nihil.
  
  Ein jeder, ohne Unterschied, der große und fürchterliche Anstalten
  einer Nichtswürdigkeit wegen macht, der sehr weit ausholt, um einen
  sehr kleinen Sprung zu tun, jeder Prahler, jeder vielversprechende Tor,
  von allen möglichen Arten, siehet hier sein Bild! Bei unserm
  (Hagedorn) aber wird ebendieselbe Fabel zu einer (zusammengesetzten)
  Fabel, indem er einen gebärenden schlechten Poeten zu dem besondern
  Gegenbilde des kreisenden Berges macht.
  Ihr Götter rettet! Menschen flieht!
  Ein schwangrer Berg beginnt zu kreisen,
  Und wird itzt, eh man sich's versieht,
  Mit Sand und Schollen um sich schmeißen etc.
  -------
  Suffenus schwitzt und lärmt und schäumt:
  Nichts kann den hohen Eifer zähmen;
  Er stampft, er knirscht; warum? er reimt,
  Und will itzt den Homer beschämen etc.
  -------
  Allein gebt acht, was kömmt heraus?
  Hier ein Sonett, dort eine Maus.
  
  Diese Einteilung also, von welcher die Lehrbücher der Dichtkunst ein
  tiefes Stillschweigen beobachten, ohngeachtet ihres mannigfaltigen
  Nutzens in der richtigern Bestimmung verschiedener Regeln: diese
  Einteilung, sage ich, vorausgesetzt, will ich mich auf den Weg machen.
  Es ist kein unbetretener Weg. Ich sehe eine Menge Fußtapfen vor mir,
  die ich zum Teil untersuchen muß, wenn ich überall sichere Tritte zu
  tun gedenke. Und in dieser Absicht will ich sogleich die vornehmsten
  Erklärungen prüfen, welche meine Vorgänger von der Fabel gegeben haben.
  
  De La Motte
  
  Dieser Mann, welcher nicht sowohl ein großes poetisches Genie als ein
  guter, aufgeklärter Kopf war, der sich an mancherlei wagen und überall
  erträglich zu bleiben hoffen durfte, erklärt die Fabel durch eine
  unter die Allegorie einer Handlung versteckte Lehre [1].
  {Fussnote 1: La Fable est une instruction deguisée sous l'allegorie
  d'une action. Discours sur la fable.}
  Als sich der Sohn des stolzen Tarquinius bei den Gabiern nunmehr
  festgesetzt hatte, schickte er heimlich einen Boten an seinen Vater
  und ließ ihn fragen, was er weiter tun solle? Der König, als der Bote
  zu ihm kam, befand sich eben auf dem Felde, hub seinen Stab auf,
  schlug den höchsten Mahnstängeln die Häupter ab und sprach zu dem
  Boten: Geh, und erzähle meinem Sohne, was ich itzt getan habe! Der
  Sohn verstand den stummen Befehl des Vaters und ließ die Vornehmsten
  der Gabier hinrichten. [2]--Hier ist eine allegorische Handlung--hier
  ist eine unter die Allegorie dieser Handlung versteckte Lehre: aber
  ist hier eine Fabel? Kann man sagen, daß Tarquinius seine Meinung dem
  Sohne durch eine Fabel habe wissen lassen? Gewiß nicht!
  {Fussnote 2: Florus. lib. I. cap. 7.}
  Jener Vater, der seinen uneinigen Söhnen die Vorteile der Eintracht an
  einem Bündel Ruten zeigte, das sich nicht anders als stückweise
  zerbrechen lasse, machte der eine Fabel? [3]
  {Fussnote 3: Fabul. Aesop. 171.}
  Aber wenn ebenderselbe Vater seinen uneinigen Söhnen erzählt hätte,
  wie glücklich drei Stiere, solange sie einig waren, den Löwen von sich
  abhielten und wie bald sie des Löwen Raub wurden, als Zwietracht unter
  sie kam und jeder sich seine eigene Weide suchte [4]: alsdenn hätte
  doch der Vater seinen Söhnen ihr Bestes in einer Fabel gezeigt? Die
  Sache ist klar.
  {Fussnote 4: Fab. Aesop. 297.}
  Folglich ist es ebenso klar, daß die Fabel nicht bloß eine
  allegorische Handlung, sondern die Erzählung einer solchen Handlung
  sein kann. Und dieses ist das erste, was ich wider die Erklärung des
  de La Motte zu erinnern habe.
  Aber was will er mit seiner Allegorie?--Ein so fremdes Wort, womit nur
  wenige einen bestimmten Begriff verbinden, sollte überhaupt aus einer
  guten Erklärung verbannt sein.--Und wie, wenn es hier gar nicht einmal
  an seiner Stelle stünde? Wenn es nicht wahr wäre, daß die Handlung
  der Fabel an sich selbst allegorisch sei? Und wenn sie es höchstens
  unter gewissen Umständen nur werden könnte?
  Quintilian lehret: Allhgoria, quam Inversionem interpretamur, aliud
  verbis, aliud sensu ostendit, ac etiam interim contrarium [5]. Die
  Allegorie sagt das nicht, was sie nach den Worten zu sagen scheinet,
  sondern etwas anders. Die neuern Lehrer der Rhetorik erinnern, daß
  dieses etwas andere auf etwas anderes Ähnliches einzuschränken sei,
  weil sonst auch jede Ironie eine Allegorie sein würde [6]. Die
  letztern Worte des Quintilians, ac etiam interim contrarium, sind
  ihnen hierin zwar offenbar zuwider, aber es mag sein.
  {Fussnote 5: Quinctilianus lib. VIII. cap. 6.}
  {Fussnote 6: Allegoria dicitur, quia allo men agoreuei, allo de noei.
  Et istud allo restringi debet ad aliud simile, alias etiam omnis
  Ironia Allegoria esset.}
  Die Allegorie sagt also nicht, was sie den Worten nach zu sagen
  scheinet, sondern etwas Ähnliches. Und die Handlung der Fabel, wenn
  sie allegorisch sein soll, muß das auch nicht sagen, was sie zu sagen
  scheinet, sondern nur etwas Ähnliches?
  Wir wollen sehen!--"Der Schwächere wird gemeiniglich ein Raub des
  Mächtigern." Das ist ein allgemeiner Satz, bei welchem ich mir eine
  Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer stärker ist als das andere,
  die sich also, nach der Folge ihrer verschiednen Stärke,
  untereinander aufreiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer wird
  lange und gern den öden Begriff eines Dinges denken, ohne auf dieses
  oder jenes besondere Ding zu fallen, dessen Eigenschaften ihm ein
  deutliches Bild gewähren? Ich will also auch hier anstatt dieser
  Reihe von unbestimmten Dingen eine Reihe bestimmter, wirklicher Dinge
  annehmen. Ich könnte mir in der Geschichte eine Reihe von Staaten
  oder Königen suchen; aber wie viele sind in der Geschichte so
  bewandert, daß sie, sobald ich meine Staaten oder Könige nur nennte,
  sich der Verhältnisse, in welchen sie gegeneinander an Größe und Macht
  gestanden, erinnern könnten? Ich würde meinen Satz nur wenigen
  faßlicher gemacht haben, und ich möchte ihn gern allen so faßlich als
  möglich machen. Ich falle auf die Tiere, und warum sollte ich nicht
  eine Reihe von Tieren wählen dürfen, besonders wenn es allgemein
  bekannte Tiere wären? Ein Auerhahn--ein Marder--ein Fuchs--ein
  Wolf--Wir kennen diese Tiere, wir dürfen sie nur nennen hören, um
  sogleich zu wissen, welches das stärkere oder das schwächere ist.
  Nunmehr heißt mein Satz: der Marder frißt den Auerhahn, der Fuchs den
  Marder, den Fuchs der Wolf. Er frißt? Er frißt vielleicht auch nicht.
  Das ist mir noch nicht gewiß genug. Ich sage also: er fraß. Und
  siehe, mein Satz ist zur Fabel geworden!
  Ein Marder fraß den Auerhahn,
  Den Marder würgt ein Fuchs, den Fuchs des Wolfes Zahn. [7]
  {Fussnote 7: von Hagedorn: Fabeln und Erzehlungen, erstes Buch. S. 77.}
  Was kann ich nun sagen, daß in dieser Fabel für eine Allegorie liege?
  Der Auerhahn, der Schwächste; der Marder, der Schwache; der Fuchs, der
  Starke; der Wolf, der Stärkste. Was hat der Auerhahn mit dem
  Schwächsten, der Marder mit dem Schwachen usw. hier Ähnliches?
  Ähnliches! Gleichet hier bloß der Fuchs dem Starken und der Wolf
  dem Stärksten, oder ist jener hier der Starke so wie dieser der
  Stärkste? Er ist es.--Kurz, es heißt die Worte auf eine kindische Art
  mißbrauchen, wenn man sagt, daß das Besondere mit seinem Allgemeinen,
  das Einzelne mit seiner Art, die Art mit ihrem Geschlechte eine
  Ähnlichkeit habe. Ist dieser Windhund einem Windhunde überhaupt, und
  ein Windhund überhaupt einem Hunde ähnlich? Eine lächerliche Frage!
  --Findet sich nun aber unter den bestimmten Subjekten der Fabel, und
  den allgemeinen Subjekten ihres Satzes keine Ähnlichkeit, so kann auch
  keine Allegorie unter ihnen statthaben. Und das nämliche läßt sich
  auf die nämliche Art von den beiderseitigen Prädikaten erweisen.
  Vielleicht aber meiner jemand, daß die Allegorie hier nicht auf der
  Ähnlichkeit zwischen den bestimmten Subjekten oder Prädikaten der
  Fabel und den allgemeinen Subjekten oder Prädikaten des Satzes,
  sondern auf der Ähnlichkeit der Arten, wie ich ebendieselbe Wahrheit
  itzt durch die Bilder der Fabel und itzt vermittelst der Worte des
  Satzes erkenne, beruhe. Doch das ist soviel als nichts. Denn käme
  hier die Art der Erkenntnis in Betrachtung und wollte man bloß wegen
  der anschauenden Erkenntnis, die ich vermittelst der Handlung der
  Fabel von dieser oder jener Wahrheit erhalte, die Handlung allegorisch
  nennen: so würde in allen Fabeln ebendieselbe Allegorie sein, welches
  doch niemand sagen will, der mit diesem Worte nur einigen Begriff
  verbindet.
  Ich befürchte, daß ich von einer so klaren Sache viel zuviel Worte
  mache. Ich fasse daher alles zusammen und sage: die Fabel als eine
  einfache Fabel kann unmöglich allegorisch sein.
  Man erinnere sich aber meiner obigen Anmerkung, nach welcher eine jede
  einfache Fabel auch eine zusammengesetzte werden kann. Wie, wenn sie
  alsdenn allegorisch würde? Und so ist es. Denn in der
  zusammengesetzten Fabel wird ein Besonderes gegen das andre gehalten;
  zwischen zwei oder mehr Besondern, die unter ebendemselben Allgemeinen
  begriffen sind, ist die Ähnlichkeit unwidersprechlich, und die
  Allegorie kann folglich stattfinden. Nur muß man nicht sagen, daß die
  Allegorie zwischen der Fabel und dem moralischen Satze sich befinde.
  Sie befindet sich zwischen der Fabel und dem wirklichen Falle, der zu
  der Fabel Gelegenheit gegeben hat, insofern sich aus beiden
  ebendieselbe Wahrheit ergibt.--Die bekannte Fabel vom Pferde, das sich
  von dem Manne den Zaum anlegen ließ und ihn auf seinen Rücken nahm,
  damit er ihm nur in seiner Rache, die es an dem Hirsche nehmen wollte,
  behülflich wäre: diese Fabel sage ich, ist sofern nicht allegorisch,
  als ich mit dem Phaedrus [8] bloß die allgemeine Wahrheit daraus ziehe:
  {Fussnote 8: Lib. IV. fab. 3.}
  Impune potius laedi, quam dedi alteri.
  Bei der Gelegenheit nur, bei welcher sie ihr Erfinder Stesichorus
  erzählte, ward sie es. Er erzählte sie nämlich, als die Himerenser
  den Phalaris zum obersten Befehlshaber ihrer Kriegsvölker gemacht
  hatten und ihm noch dazu eine Leibwache geben wollten. "O ihr
  Himerenser, rief er, die ihr so fest entschlossen seid, euch an euren
  Feinden zu rächen; nehmet euch wohl in acht, oder es wird euch wie
  diesem Pferde ergehen! Den Zaum habt ihr euch bereits anlegen lassen,
  indem ihr den Phalaris zu eurem Heerführer mit unumschränkter Gewalt
  ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine Leibwache geben, wollt ihr ihn
  aufsitzen lassen, so ist es vollends um eure Freiheit getan."
  [9]--Alles wird hier allegorisch! Aber einzig und allein dadurch, daß
  das Pferd hier nicht auf jeden Beleidigten, sondern auf die
  beleidigten Himerenser; der Hirsch nicht auf jeden Beleidiger, sondern
  auf die Feinde der Himerenser; der Mann nicht auf jeden listigen
  Unterdrücker, sondern auf den Phalaris; die Anlegung des Zaums nicht
  auf jeden ersten Eingriff in die Rechte der Freiheit, sondern auf die
  Ernennung des Phalaris zum unumschränkten Heerführer; und das
  Aufsitzen endlich nicht auf jeden letzten tödlichen Stoß, welcher der
  Freiheit beigebracht wird, sondern auf die dem Phalaris zu
  bewilligende Leibwache gezogen und angewandt wird.
  {Fussnote 9: Aristoteles Rhetor. lib. II. cap. 20.}
  Was folgt nun aus alle dem? Dieses: da die Fabel nur alsdenn
  allegorisch wird, wenn ich dem erdichteten einzeln Falle, den sie
  enthält, einen andern ähnlichen Fall, der sich wirklich zugetragen hat,
  entgegenstelle, da sie es nicht an und für sich selbst ist, insofern
  sie eine allgemeine moralische Lehre enthält, so gehöret das Wort
  Allegorie gar nicht in die Erklärung derselben.--Dieses ist das zweite,
  was ich gegen die Erklärung des de La Motte zu erinnern habe.
  Und man glaube ja nicht, daß ich es bloß als ein müßiges,
  überflüssiges Wort daraus verdrängen will. Es ist hier, wo es steht,
  ein höchst schädliches Wort, dem wir vielleicht eine Menge schlechter
  Fabeln zu danken haben. Man begnüge sich nur, die Fabel, in Ansehung
  des allgemeinen Lehrsatzes, bloß allegorisch zu machen, und man kann
  sicher glauben, eine schlechte Fabel gemacht zu haben. Ist aber eine
  schlechte Fabel eine Fabel?--Ein Exempel wird die Sache in ihr
  völliges Licht setzen. Ich wähle ein altes, um ohne Mißgunst recht
  haben zu können. Die Fabel nämlich von dem Mann und dem Satyr. "Der
  Mann bläset in seine kalte Hand, um seine Hand zu wärmen, und bläset
  in seinen heißen Brei, um seinen Brei zu kühlen. Was? sagt der Satyr,
  du bläsest aus einem Munde warm und kalt? Geh, mit dir mag ich nichts
  zu tun haben!" [10]--Diese Fabel soll lehren, oti dei jeugein hmaV taV
  jiliaV, wn amjiboloV estin h diaJesiV; die Freundschaft aller
  Zweizüngler, aller Doppelleute, aller Falschen zu fliehen. Lehrt sie
  das? Ich bin nicht der erste, der es leugnet und die Fabel für
  schlecht ausgibt.
  {Fussnote 10: Fab. Aesop. 126}
  Richer [11] sagt, sie sündige wider die Richtigkeit der Allegorie; ihre
  Moral sei weiter nichts als eine Anspielung und gründe sich auf eine
  bloße Zweideutigkeit. Richer hat richtig empfunden, aber seine
  Empfindung falsch ausgedrückt. Der Fehler liegt nicht sowohl darin,
  daß die Allegorie nicht richtig genug ist, sondern darin, daß es
  weiter nichts als eine Allegorie ist. Anstatt daß die Handlung des
  Mannes, die dem Satyr so anstößig scheinet, unter dem allgemeinen
  Subjekte des Lehrsatzes wirklich begriffen sein sollte, ist sie ihm
  bloß ähnlich. Der Mann sollte sich eines wirklichen Widerspruchs
  schuldig machen, und der Widerspruch ist nur anscheinend. Die Lehre
  warnet uns vor Leuten, die von ebenderselben Sache ja und nein sagen,
  die ebendasselbe Ding loben und tadeln: und die Fabel zeiget uns einen
  Mann, der seinen Atem gegen verschiedene Dinge verschieden braucht,
  der auf ganz etwas anders itzt seinen Atem warm haucht, und auf ganz
  etwas anders ihn itzt kalt bläset.
  {Fussnote 11:--contre la justesse de l'allegorie.--Sa morale n' est
  qu'une allusion, et n'est fondée que sur un jeu de mots équivoque.
  Fables nouvelles, Preface, p. 10.}
  Endlich, was läßt sich nicht alles allegorisieren! Man nenne mir das
  abgeschmackte Märchen, in welches ich durch die Allegorie nicht einen
  moralischen Sinn sollte legen können!--"Die Mitknechte des Aesopus
  gelüstet nach den trefflichen Feigen ihres Herrn. Sie essen sie auf,
  und als es zur Nachfrage kömmt, soll es der gute Aesop getan haben.
  Sich zu rechtfertigen, trinket Aesop in großer Menge laues Wasser, und
  seine Mitknechte müssen ein Gleiches tun. Das laue Wasser hat seine
  Wirkung, und die Näscher sind entdeckt."--- Was lehrt uns dieses
  Histörchen? Eigentlich wohl weiter nichts, als daß laues Wasser, in
  großer Menge getrunken, zu einem Brechmittel werde? Und doch machte
  jener persische Dichter [12] einen weit edlern Gebrauch davon. "Wenn
  man euch", spricht er, "an jenem großen Tage des Gerichts, von diesem
  warmen und siedenden Wasser wird zu trinken geben: alsdenn wird alles
  an den Tag kommen, was ihr mit so vieler Sorgfalt vor den Augen der
  Welt verborgen gehalten; und der Heuchler, den hier seine Verstellung
  zu einem ehrwürdigen Manne gemacht hatte, wird mit Schande und
  Verwirrung überhäuft dastehen!"--Vortrefflich!
  {Fussnote 12: Herbelot Bibl. Orient. p. 516. Lorsque l'on vous
  donnera à boire de cette eau chaude et brulante, dans la question du
  Jugement dernier, tout ce que vous avez caché avec tant de soin,
  paroitra aux yeux de tout le monde, et celui qui aura acquis de
  l'estime par son hypocrisie et par son deguisement, sera pour lors
  couvert de honte er de confusion.}
  Ich habe nun noch eine Kleinigkeit an der Erklärung des de La Motte
  auszusetzen. Das Wort Lehre (instruction) ist zu unbestimmt und
  allgemein. Ist jeder Zug aus der Mythologie, der auf eine physische
  Wahrheit anspielet oder in den ein tiefsinniger Baco wohl gar eine
  transzendentalische Lehre zu legen weiß, eine Fabel? Oder wenn der
  seltsame Holberg erzählet: "Die Mutter des Teufels übergab ihm
  einsmals vier Ziegen, um sie in ihrer Abwesenheit zu bewachen. Aber
  diese machten ihm so viel zu tun, daß er sie mit aller seiner Kunst
  und Geschicklichkeit nicht in der Zucht halten konnte. Diesfalls
  sagte er zu seiner Mutter nach ihrer Zurückkunft: Liebe Mutter, hier
  sind Eure Ziegen! Ich will lieber eine ganze Compagnie Reuter
  bewachen als eine einzige Ziege!"--Hat Holberg eine Fabel erzählet?
  Wenigstens ist eine Lehre in diesem Dinge. Denn er setzet selbst mit
  ausdrücklichen Worten dazu: "Diese Fabel zeiget, daß keine Kreatur
  weniger in der Zucht zu halten ist als eine Ziege." [13]--Eine wichtige
  Wahrheit! Niemand hat die Fabel schändlicher gemißhandelt als dieser
  Holberg!--Und es mißhandelt sie jeder, der, eine andere als moralische
  Lehre darin vorzutragen, sich einfallen läßt.
  {Fussnote 13: Moralische Fabeln des Baron von Holbergs, S. 103.}
  
  Richer
  
  Richer ist ein andrer französischer Fabulist, der ein wenig besser
  erzählet als de La Motte, in Ansehung der Erfindung aber weit unter
  ihm stehet. Auch dieser hat uns seine Gedanken über diese
  Dichtungsart nicht vorenthalten wollen und erklärt die Fabel durch ein
  kleines Gedicht, das irgendeine unter einem allegorischen Bilde
  versteckte Regel enthalte [1].
  {Fussnote 1: La Fable est un petit Poeme qui contient un precepte
  caché sous une image allegorique. Fables nouvelles, Preface, p. 9.}
  Richer hat die Erklärung des de La Motte offenbar vor Augen gehabt.
  Und vielleicht hat er sie gar verbessern wollen. Aber das ist ihm
  sehr schlecht gelungen.
  Ein kleines Gedicht (Poeme)?--Wenn Richer das Wesen eines Gedichts in
  die bloße Fiktion setzet: so bin ich es zufrieden, daß er die Fabel
  ein Gedicht nennet. Wenn er aber auch die poetische Sprache und ein
  gewisses Silbenmaß als notwendige Eigenschaften eines Gedichtes
  betrachtet: so kann ich seiner Meinung nicht sein.--Ich werde mich
  weiter unten hierüber ausführlicher erklären.
  Eine Regel (Precepte)?--Dieses Wort ist nichts bestimmter als das Wort
  Lehre des de La Motte. Alle Künste, alle Wissenschaften haben Regeln,
  haben Vorschriften. Die Fabel aber stehet einzig und allein der Moral
  zu. Von einer andern Seite hingegen betrachtet, ist Regel oder
  Vorschrift hier sogar noch schlechter als Lehre; weil man unter Regel
  und Vorschrift eigentlich nur solche Sätze verstehet, die unmittelbar
  auf die Bestimmung unsers Tuns und Lassens gehen. Von dieser Art aber
  sind nicht alle moralische Lehrsätze der Fabel. Ein großer Teil
  derselben sind Erfahrungssätze, die uns nicht sowohl von dem, was
  geschehen sollte, als vielmehr von dem, was wirklich geschiehet,
  unterrichten. Ist die Sentenz:
  In principatu commutando civium
  Nil praeter domini nomen mutant pauperes
  
  eine Regel, eine Vorschrift? Und gleichwohl ist sie das Resultat
  einer von den schönsten Fabeln des Phaedrus [2]. Es ist zwar wahr, aus
  jedem solchen Erfahrungssatze können leicht eigentliche Vorschriften
  und Regeln gezogen werden. Aber was in dem fruchtbaren Satze liegt,
  das liegt nicht darum auch in der Fabel. Und was müßte das für eine
  Fabel sein, in welcher ich den Satz mit allen seinen Folgerungen auf
  einmal anschauend erkennen sollte?
  {Fussnote 2: Libri I. Fab. 15.}
  Unter einem allegorischen Bilde?--Über das Allegorische habe ich mich
  bereits erkläret. Aber Bild (Image)! Unmöglich kann Richer dieses
  Wort mit Bedacht gewählt haben. Hat er es vielleicht nur ergriffen,
  um von de La Motte lieber auf Geratewohl abzugehen, als nach ihm recht
  zu haben?--Ein Bild heißt überhaupt jede sinnliche Vorstellung eines
  Dinges nach einer einzigen ihm zukommenden Veränderung. Es zeigt mir
  nicht mehrere oder gar alle mögliche Veränderungen, deren das Ding
  fähig ist, sondern allein die, in der es sich in einem und
  ebendemselben Augenblicke befindet. In einem Bilde kann ich zwar also
  wohl eine moralische Wahrheit erkennen, aber es ist darum noch keine
  Fabel. Der mitten im Wasser dürstende Tantalus ist ein Bild, und ein
  Bild, das mir die Möglichkeit zeiget, man könne auch bei dem größten
  Überflusse darben. Aber ist dieses Bild deswegen eine Fabel? So auch
  folgendes kleine Gedicht:
  Cursu veloci pendens in novacula,
  Calvus, comosa fronte, nudo corpore,
  Quem si occuparis, teneas; elapsum semel
  Non ipse possit Jupiter reprehendere;
  Occasionem rerum significat brevem.
  Effectus impediret ne segnis mora,
  Finxere antiqui talem effigiem temporis.
  
  Wer wird diese Zeilen für eine Fabel erkennen, ob sie schon Phaedrus
  als eine solche unter seinen Fabeln mit unterlaufen läßt [3]? Ein
  jedes Gleichnis, ein jedes Emblema würde eine Fabel sein, wenn sie
  nicht eine Mannigfaltigkeit von Bildern, und zwar zu einem Zwecke
  übereinstimmenden Bildern, wenn sie, mit einem Worte, nicht das
  notwendig erforderte, was wir durch das Wort Handlung ausdrücken.
  {Fussnote 3: Lib. V. Fab. 8.}
  Eine Handlung nenne ich eine Folge von Veränderungen, die zusammen ein
  Ganzes ausmachen.
  Diese Einheit des Ganzen beruhet auf der Übereinstimmung aller Teile
  zu einem Endzwecke.
  Der Endzweck der Fabel, das, wofür die Fabel erfunden wird, ist der
  moralische Lehrsatz.
  Folglich hat die Fabel eine Handlung, wenn das, was sie erzählt, eine
  Folge von Veränderungen ist und jede dieser Veränderungen etwas dazu
  beiträgt, die einzeln Begriffe, aus welchen der moralische Lehrsatz
  bestehet, anschauend erkennen zu lassen.
  Was die Fabel erzählt, muß eine Folge von Veränderungen sein. Eine
  Veränderung oder auch mehrere Veränderungen, die nur nebeneinander
  bestehen und nicht aufeinander folgen, wollen zur Fabel nicht
  zureichen. Und ich kann es für eine untriegliche Probe ausgeben, daß
  eine Fabel schlecht ist, daß sie den Namen der Fabel gar nicht
  verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung sich ganz malen läßt. Sie
  enthält alsdenn ein bloßes Bild, und der Maler hat keine Fabel,
  sondern ein Emblema gemalt.--"Ein Fischer, indem er sein Netz aus dem
  Meere zog, blieb der größern Fische, die sich darin gefangen hatten,
  zwar habhaft, die kleinsten aber schlupften durch das Netz durch und
  gelangten glücklich wieder ins Wasser."--Diese Erzählung befindet sich
  unter den aesopischen Fabeln [4], aber sie ist keine Fabel, wenigstens
  eine sehr mittelmäßige. Sie hat keine Handlung, sie enthält ein
  bloßes einzelnes Faktum, das sich ganz malen läßt; und wenn ich dieses
  einzelne Faktum, dieses Zurückbleiben der größern und dieses
  Durchschlupfen der kleinen Fische, auch mit noch so viel andern
  Umständen erweiterte, so würde doch in ihm allein, und nicht in den
  andern Umständen zugleich mit, der moralische Lehrsatz liegen.
  {Fussnote 4: Fab. Aesop. 154}
  Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzählt, eine Folge von
  Veränderungen ist, alle diese Veränderungen müssen zusammen nur einen
  einzigen anschauenden Begriff in mir erwecken. Erwecken sie deren
  mehrere, liegt mehr als ein moralischer Lehrsatz in der vermeinten
  Fabel, so fehlt der Handlung ihre Einheit, so fehlt ihr das, was sie
  eigentlich zur Handlung macht, und kann, richtig zu sprechen, keine
  Handlung, sondern muß eine Begebenheit heißen.--Ein Exempel:
  Lucernam fur accendit ex ara Jovis,
  Ipsumque compilavit ad lumen suum;
  Onustus qui sacrilegio cum discederet,
  Repente vocem sancta misit Religio:
  Malorum quamvis ista fuerint munera,
  Mihique invisa, ut non offendar subripi;
  Tamen, sceleste, spiritu culpam lues,
  Olim cum adscriptus venerit poenae dies.
  Sed ne ignis noster facinori praeluceat,
  Per quem verendos excolit pietas Deos,
  Veto esse tale luminis commercium.
  Ita hodie, nec lucernam de flamma Deûm
  Nec de lucerna fas est accendi sacrum.
  
  Was hat man hier gelesen? Ein Histörchen, aber keine Fabel. Ein
  Histörchen trägt sich zu, eine Fabel wird erdichtet. Von der Fabel
  also muß sich ein Grund angeben lassen, warum sie erdichtet worden, da
  ich den Grund, warum sich jenes zugetragen, weder zu wissen noch
  anzugeben gehalten bin. Was wäre nun der Grund, warum diese Fabel
  erdichtet worden, wenn es anders eine Fabel wäre? Recht billig zu
  urteilen, könnte es kein andrer als dieser sein: der Dichter habe
  einen wahrscheinlichen Anlaß zu dem doppelten Verbote, weder von dem
  heiligen Feuer ein gemeines Licht noch von einem gemeinen Lichte das
  heilige Feuer anzuzünden, erzählen wollen. Aber wäre das eine
  moralische Absicht, dergleichen der Fabulist doch notwendig haben
  soll? Zur Not könnte zwar dieses einzelne Verbot zu einem Bilde des
  allgemeinen Verbots dienen, daß das Heilige mit dem Unheiligen, das
  Gute mit dem Bösen in keiner Gemeinschaft stehen soll. Aber was
  tragen alsdenn die übrigen Teile der Erzählung zu diesem Bilde bei?
  Zu diesem gar nichts, sondern ein jeder ist vielmehr das Bild, der
  einzelne Fall einer ganz andern allgemeinen Wahrheit. Der Dichter hat
  
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