Woyzeck - 2

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ANDRES: Schlaf, Narr! - [Er schläft wieder ein.]
WOYZECK: Immer zu! Immer zu!

Der Hof des Doktors
[Studenten und Woyzeck unten, der Doktor am Dachfenster.]
DOKTOR: Meine Herren, ich bin auf dern Dach wie David, als er
die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der
Mädchenpension im Garten trocknen. Meine Herren, wir sind an der
wichtigen Frage über das Verhältnis des Subjekts zum Objekt. Wenn
wir nur eins von den Dingen nehmen, worin sich die organische
Selbstaffirmation des Göttlichen, auf einem so hohen Standpunkte,
manifestiert, und ihre Verhältnisse zum Raum, zur Erde, zum
Planetarischen untersuchen, meine Herren, wenn ich diese Katze zum
Fenster hinauswerfe: wie wird diese Wesenheit sich zum centrum
gravitationis gemäß ihrem eigenen Instinkt verhalten? - He, Woyzeck -
[brüllt] -, Woyzeck!
WOYZECK [fängt die Katze auf]: Herr Doktor, sie beißt!
DOKTOR: Kerl, Er greift die Bestie so zärtlich an, als wär's seine
Großmutter. - [Er kommt herunter.]
WOYZECK: Herr Doktor, ich hab's Zittern.
DOKTOR [ganz erfreut]: Ei, ei! Schön, Woyzeck! - Reibt sich die Hände.
[Er nimmt die Katze:] Was seh' ich, meine Herren, die neue Spezies
Hasenlaus, eine schöne Spezies ... - [Er zieht eine Lupe heraus,
die Katze läuft fort.] - Meine Herren, das Tier hat keinen
wissenschaftlichen Instinkt ... Die können dafür was anders sehen.
Sehen Sie: der Mensch, seit einem Vierteljahr ißt er nichts als
Erbsen; bemerken Sie die Wirkung, fühlen Sie einmal: Was ein
ungleicher Puls! Der und die Augen!
WOYZECK: Herr Doktor, es wird mir dunkel! - [Er setzt sich.]
DOKTOR: Courage, Woyzeck! Noch ein paar Tage, und dann ist's fertig.
Fühlen Sie, meine Herren, fühlen Sie! - [Sie betasten ihm Schläfe,
Puls und Busen.] - Apropos, Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die
Ohren! Ich hab' es Ihnen schon zeigen wollen, zwei Muskeln sind bei
ihm tätig. Allons, frisch!
WOYZECK: Ach, Herr Doktor!
DOKTOR: Bestie, soll ich dir die Ohren bewegen? Willst du's machen
wie die Katze? So, meine Herren! Das sind so Übergänge zum Esel,
häufig auch die Folge weiblicher Erziehung und die Muttersprache.
Wieviel Haare hat dir die Mutter zum Andenken schon ausgerissen aus
Zärtlichkeit? Sie sind dir ja ganz dünn geworden seit ein paar Tagen.
Ja, die Erbsen, meine Herren!

Kasernenhof
WOYZECK: Hast nix gehört?
ANDRES: Er is da, noch mit einem Kameraden.
WOYZECK: Er hat was gesagt.
ANDRES: Woher weißt du's? Was soll ich's sagen? Nu, er lachte, und
dann sagt er: Ein köstlich Weibsbild! Die hat Schenkel, und alles so
heiß!
WOYZECK [ganz kalt]: So, hat er das gesagt? Von was hat mir doch heut
nacht geträumt? War's nicht von einem Messer? Was man doch närrische
Träume hat!
ANDRES: Wohin, Kamerad?
WOYZECK: Meim Offizier Wein holen. - Aber, Andres, sie war dach ein
einzig Mädel.
ANDRES: Wer war?
WOYZECK: Nix. Adies! - [Ab.]

Wirtshaus
[Tambourmajor. Woyzeck. Leute.]
TAMBOURMAJOR: Ich bin ein Mann! - [Schlägt sich auf die Brust:] Ein
Mann, sag' ich. Wer will was? Wer kein be- soffner Herrgott ist, der
laß sich von mir. Ich will ihn die Nas ins Arschloch prügeln! Ich
will - [Zu Woyzeck:] Du Kerl, sauf! Ich wollt' die Welt wär' Schnaps,
Schnaps - der Mann muß saufen! - [Woyzech pfeift.] - Kerl, soll ich
dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwickeln? -
Sie ringen, Woyzeck verliert. - Soll ich dir noch so viel Atem lassen
als 'en Altweiberfurz, soll ich? - [Woyzech setzt sich erschöpft
zitternd auf eine Bank.] - Der Kerl soll dunkelblau pfeifen.
Branndewein, das ist mein Leben;
Branndwein gibt Courage!
EINE: Der hat sein Fett.
ANDRE: Er blut'.
WOYZECK: Eins nach dem andern.

Kramladen
[Woyzeck. Der Jude.]
WOYZECK: Das Pistolchen ist zu teuer.
JUDE: Nu, kauft's oder kauft's nit, was is?
WOYZECK: Was kost' das Messer?
JUDE: 's ist ganz grad. Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden? Nu,
was is es? Ich geb's Euch so wohlfeil wie ein andrer. Ihr sollt Euern
Tod wohlfeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll ein
ökonomischer Tod haben.
WOYZECK: Das kann mehr als Brot schneiden -
JUDE: Zwee Grosche.
WOYZECK: Da! - Geht ab.
JUDE: Da! Als ob's nichts wär! Und es is doch Geld. - Du Hund!

Mariens Kammer
NARR [liegt und erzählt sich Märchen an den Fingern]: Der hat die
goldne Kron, der Herr König ... Morgen hol' ich der Frau Königin ihr
Kind ... Blutwurst sagt: komm, Leber- wurst ...
MARIE [blättert in der Bibel]: "Und ist kein Betrug in seinem Munde
erfunden": ... Herrgott, Herrgott! Sieh mich nicht an! - [Blättert
weiter:] "Aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruch
begriffen, und stelleten sie ins Mittel dar ... Jesus aber sprach:
So verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht
mehr!" - [Schlägt die Hände zusammen:] Hergott! Hergott! Ich kann
nicht! - Herrgott, gib mir nur so viel, daß ich beten kann. - [Das
Kind drängt sich an sie.] - Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz.
- [Zum Narrn:] Karl! Das brüst' sich in der Sonne! - [Narr nimmt das
Kind und wird still.] - Der Franz ist nit gekommen, gestern nit,
heut nit. Es wird heiß hier! - [Sie macht das Fenster auf und liest
wieder:] "Und trat hinten zu seinen Füßen und weinete, und fing an,
seine Füße zu netzen mit Tränen und mit den Haaren ihres Hauptes
zu trocknen, und küssete seine Füße und salbete sie mit Salbe ..."
[Schlägt sich auf die Brust:] Alles tot! Heiland! Heiland! ich möchte
dir die Füße salben! -

Kaserne
[Andres. Woyzeck kramt in seinen Sachen.]
WOYZECK: Das Kamisolchen, Andres, ist nit zur Montur: du kannst's
brauchen, Andres.
ANDRES [ganz starr, sagt zu allem]: Jawohl.
WOYZECK: Das Kreuz meiner Schwester und das Ringlein.
ANDRES: Jawohl.
WOYZECK: Ich hab' auch noch ein Heiligen, zwei Herze und schön Gold -
es lag in meiner Mutter Bibel, und da steht:
Herr, wie dein Leib war rot und wund,
so laß mein Herz sein aller Stund.
Mein Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Händ scheint -
das tut nix.
ANDRES: Jawohl.
WOYZECK [zieht ein Papier hervor]: Friedrich Johann Franz Woyzeck,
Wehrmann, Füsilier im 2. Regiment, 2. Bataillion 4. Kompanie, geboren
Mariä Verkündigung, den 20. Juli. - Ich bin heut alt 30 Jahr, 7 Monat
und 12 Tage.
ANDRES: Franz, du kommst ins Lazarett. Armer, du mußt Schnaps trinken
und Pulver drin, das töt' das Fieber.
WOYZECK: Ja, Andres, wenn ein Schreiner die Hobelspäne sammelt, es
weiß niemand, wer seinen Kopf drauflegen wird.

Straße
[Marie mit Mädchen vor der Haustür, Großmutter; später Woyzeck]
MÄDCHEN:
Wie scheint die Sonn am Lichtmeßtag
und steht das Korn im Blühn.
Sie gingen wohl die Wiese hin,
sie gingen zu zwein und zwein.
Die Pfeifer gingen voran,
die Geiger hinterdrein,
sie hatten rote Socken an ...
ERSTES KIND: Das ist nit schön.
ZWEITES KIND: Was willst du auch immer!
ERSTES KIND: Marie, sing du uns!
MARIE: Ich kann nit.
ERSTES KIND: Warum?
MARIE: Darum.
ZWEITES KIND: Aber warum darum?
DRITTES KIND: Großmutter, erzähl!
GROSSMUTTER: Kommt, ihr kleinen Krabben! - Es war einmal ein arm Kind
und hatt' kein Vater und keine Mutter, war alles tot, und war niemand
mehr auf der Welt. Alles tot, und es is hingangen und hat gesucht Tag
und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt's in Himmel
gehn, und der Mond guckt es so freundlich an; und wie es endlich zum
Mond kam, war's ein Stück faul Holz. Und da is es zur Sonn gangen, und
wie es zur Sonn kam, war's ein verwelkt Sonneblum. Und wie's zu den
Sternen kam, waren's kleine goldne Mücken, die waren angesteckt, wie
der Neuntöter sie auf die Schlehen steckt. Und wie's wieder auf die
Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen. Und es war ganz
allein. Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch
und is ganz allein.
WOYZECK [erscheint]: Marie!
MARIE [erschreckt]: Was is?
WOYZECK: Marie, wir wollen gehn. 's is Zeit.
MARIE: Wohin?
WOYZECK: Weiß ich's?

Waldsaum am Teich
[Marie und Woyzeck.]
MARIE: Also dort hinaus is die Stadt. 's is finster.
WOYZECK: Du sollst noch bleiben. Komm, setz dich!
MARIE: Aber ich muß fort.
WOYZECK: Du wirst dir die Füße nit wund laufe.
MARIE: Wie bist du nur auch!
WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es jetzt is, Marie?
MARIE: Am Pfingsten zwei Jahr.
WOYZECK: Weißt du auch, wie lang es noch sein wird?
MARIE: Ich muß fort, das Nachtessen richten.
WOYZECK: Friert's dich, Marie? Und doch bist du warm. Was du heiße
Lippen hast! Heiß, heißen Hurenatem! Und doch möcht' ich den Himmel
geben, sie noch einmal zu küssen. - Friert's dich? Wenn man kalt is,
so friert man nicht mehr. Du wirst vom Morgentau nicht frieren.
MARIE: Was sagst du?
WOYZECK: Nix.
[Schweigen.]
MARIE: Was der Mond rot aufgeht!
WOYZECK: Wie ein blutig Eisen.
MARIE: Was hast du vor, Franz, du bist so blaß. - [Er holt mit dem
Messer aus.] - Franz halt ein! Um des Himmels willen, Hilfe, Hilfe!
WOYZECK [sticht drauflos:] Nimm das und das! Kannst du nicht sterben?
So! So! - Ha, sie zuckt noch; noch nicht? Noch nicht? Immer noch. -
[Stößt nochmals zu.] - Bist du tot! Tot! Tot! - [Er läßt das Messer
fallen und läuft weg.]

Das Wirtshaus
WOYZECK: Tanzt alle, immer zu! Schwitzt und stinkt! Er holt euch doch
einmal alle! - [Singt:]
Ach. Tochter, lieb Tochter
was hast du gedenkt,
daß du dich an die Landkutscher
und die Fuhrleut haßt gehenkt.
[Er tanzt:] So, Käthe, setz dich! Ich hab' heiß heiß! - [Er zieht den
Rock aus.] - Es ist einmal so, der Teufel holt die eine und läßt die
andre laufen. Käthe, du bist heiß! Warum denn? Käthe, du wirst auch
noch kalt werden. Sei vernünftig. - Kannst du nicht singen?
KÄTHE [singt]:
Ins Schwabenland, das mag ich nicht,
und lange Kleider trag' ich nicht,
denn lange Kleider, spitze Schuh,
die kommen keiner Dienstmagd zu.
WOYZECK: Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Höll
gehn.
KÄTHE [singt]:
O pfui mein Schatz, das war nicht fein,
behalt dein Taler und schlaf allein.
WOYZECK: Ja, wahrhaftig, ich möcte mich nicht blutig machen.
KÄTHE: Aber was hast du an deiner Hand?
WOYZECK: Ich? Ich?
KÄTHE: Rot! Blut!
[Es stellen sich Leute um sie.]
WOYZECK: Blut? Blut?
WIRT: Uu - Blut!
WOYZECK: Ich glaub', ich hab' mich geschnitten, da an der rechten
Hand.
WIRT: Wie kommt's aber an den Ellenbogen?
WOYZECK: Ich hab's abgewischt.
WIRT: Was, mit der rechten Hand an den rechten Ellenbogen Ihr seid
geschickt!
NARR: Und da hat der Ries gesagt: Ich riech', ich riech'
Menschenfleisch. Puh, das stinkt schon!
WOYZECK: Teufel, was wollt ihr? Was geht's euch an? Platz, oder der
erste - Teufel! Meint ihr, ich hätt' jemand umgebracht? Bin ich ein
Mörder? Was gafft ihr? Guckt euch selbst an! Platz da! - [Er läuft
hinaus.]

Am Teich
WOYZECK [allein]: Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab' es da
gelassen. Es verrät mich! Näher, noch näher! Was is das für ein
Platz? Was hör' ich? Es rührt sich was. Still. - Da in der Nähe.
Marie? Ha, Marie! Still. Alles still! Was bist du so bleich, Marie?
Was hast du eine rote Schnur um den Hals? Bei wem hast du das Halsband
verdient mit deinen Sünden? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab' ich
dich gebleicht? Was hängen deine Haare so wild? Hast du deine Zöpfe
heute nicht geflochten? ... - Das Messer, das Messer! Hab' ich's?
So! - [Er läuft zum Wasser.] So, da hinunter! - [Er wirft das Messer
hinein.] - Es taucht in das dunkle Wasser wie ein Stein. - Nein, es
liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden. - [Er geht in den Teich und
wirft weit.] - So, jetzt - aber im Sommer, wenn sie tauchen nach
Muscheln? - Bah, es wird rostig, wer kann's erkennen. - Hätt' ich es
zerbrochen! - - Bin ich noch blutig? Ich muß mich waschen. Da ein
Fleck, und da noch einer ...
[Es kommen Leute.]
ERSTE PERSON: Halt!
ZWEITE PERSON: Hörst du? Still! Dort!
ERSTE: Uu! Da! Was ein Ton!
ZWEITE: Es ist das Wasser, es ruft: Schon lang ist niemand ertrunken.
Fort! Es ist nicht gut, es zu hören!
ERSTE: Uu! Jetzt wieder! - Wie ein Mensch, der stirbt!
ZWEITE: Es ist unheimlich! So dunstig, allenthalben Nebelgrau - und
das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken. Fort!
ERSTE: Nein. zu deutlich, zu laut! Da hinauf! Komm mit!
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