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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - 23

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  alten Mauern, die 1791 ihre Feuerprobe bestanden, durch das neue Kleid
  hindurch.
  Die innere Einrichtung bietet nichts Besonderes; hier und dort begegnet
  man noch einem zurückgebliebenen Stück aus der „historischen Zeit“:
  Möbel aus den Tagen des ersten Empire, Büsten, Bilder, englische und
  französische Stiche. Das baulich Interessanteste ist die doppelte
  Keller-Anlage, die dem französischen Chasseur so verderblich wurde;
  man blickt die Stufen hinunter wie in einen Schacht. In den oberen
  Geschossen schieben sich Treppen und Verschläge, Schrägbalken und
  Rauchfänge bunt durcheinander und schaffen eine Lokalität, wie sie
  nicht besser gedacht werden kann für ein Herrenhaus, „drin es umgeht“.
  Die Sonne geht nieder; zwischen den Platanen des Parkes schimmert es
  wie Gold; das ist die beste Zeit zu einem Gange am „Schlänitz“ hin.
  Unser Weg, in Schlängellinien, führt uns zunächst an der _Gruft_,
  dann an der _Geistergrotte_, an den beiden historischen Punkten des
  Parkes, vorbei. Die Gruft ist wie ein großes Gartenbeet, ein mit Efeu
  und Verbenen überwachsenes Rondell; nur das griechische Kreuz in der
  Mitte, das die ursprüngliche Urne ablöste, deutet auf die Bestimmung
  des Platzes.
  Weiterhin liegt die _Grotte_. Der Aufgang zu ihr ist mit den blauen
  Schlacken eingefaßt, die einst mosaikartig das ganze Innere des Baues
  ausfüllten. Jetzt ist dieser, weil er den Einsturz drohte, offengelegt.
  Durch ein Versehen (der Besitzer war abwesend) wurde bei dieser
  Gelegenheit die Innenmauer niedergerissen und dadurch der sichtbare
  Beweis zerstört, daß diese Grotte eine doppelte Wand und zwischen den
  Wänden einen mannsbreiten Gang hatte. Nur die äußeren Mauern, mit
  Ausnahme der Frontwand, sind stehen geblieben und schieben sich in den
  Akazien-Hügel ein. Strauchwerk zieht sich jetzt darüber hin.
  Nun stehen wir am Schlänitz-See, über der Kirche von Phöben hängt
  der Sonnenball; ein roter Streifen schießt über die leis gekräuselte
  Fläche. Der Abendwind wird wach; ein leises Frösteln überläuft uns; an
  Grotte und Gruft vorbei kehren wir in das alte Herrenhaus zurück.
  Hier ist Dämmerung schon. Es ist die Minute, wo das Licht des Tages
  erloschen und das Licht des Hauses noch nicht gezündet ist. Wir stehen
  allein; dort sind die Stufen, die in Souterrain und Keller führen;
  im Dunkel steigt es draus herauf. Im Hause alles still. In der Ferne
  klappt eine Tür, eine zweite, eine dritte; jetzt ist es, als würde es
  dunkler; es rauscht vorbei, es schlurrt vorüber. Die alte „Gräfin“ geht
  um.
  [36] In der Nähe dieses Baumes, auf einem Gras-Rondell, steht ein
  leichtes österreichisches _Feldgeschütz_, wie jedes Bataillon in alten
  Tagen eins aufzuweisen hatte. Es wurde in einer der Schlachten des
  siebenjährigen Krieges von den Preußen genommen. Friedrich II. schenkte
  es dem Grafen Pinto auf Mettkau; durch dessen Witwe, „die Gräfin“, kam
  es nach Marquardt. An gewissen Tagen wird ein Schuß daraus abgefeuert.
  Jedesmal vorm Laden schüttet der Gärtner Pulver ins Zündloch und
  zündet es an, um das Geschütz auszubrennen. Als es das letzte Mal
  geschah, flogen, zu heiterer Überraschung aller Umstehenden, nicht
  nur Eierschalen aus der Mündung heraus, sondern mit den Eierschalen
  zugleich ein halbverbranntes Wiesel, das in dem Kanonenrohr Quartier
  genommen und von hier aus den Hühnerstall geplündert hatte.
  
  
  Geheime Gesellschaften im achtzehnten Jahrhundert
  
  
  1. Schwindel-Orden
   Was sagt sie uns für Unsinn vor?
   Es wird mir gleich den Kopf zerbrechen.
   Mich dünkt, ich hör' ein ganzes Chor
   Von hunderttausend Narren sprechen.
   „Faust“
  
  Das vorige Jahrhundert war ein Jahrhundert der Geheimen Gesellschaften.
  Der Absolutismus behinderte jede Kraftentwickelung, die Miene machte,
  selbständige Wege einschlagen zu wollen; die Kirche war starr; was
  Wunder, wenn der individuelle Ehrgeiz, der kein legitimes Feld fand,
  sich geltend zu machen, auf Abwege geriet und im Dunkeln und Geheimen
  nach Macht suchte.
  Wie im zwölften Jahrhundert alles nach dem heiligen Grabe, im
  sechzehnten nach Wittenberg oder nach der neuen Welt drängte, so
  im achtzehnten Jahrhundert nach _Geheimbündelei_. Alchymie und
  Geistererscheinungen, Dinge, die sich ihnen vielfach gesellten, oft in
  den Vordergrund traten, waren nur Zugaben, Hilfsmittel, starke Dosen,
  zu denen man griff; das Wesen der Sache lag darin: Macht zu äußern in
  einer Zeit, wo das Individuum machtlos war.
  Zwei Strömungen wurden alsbald erkennbar, die, neben einem starken
  Beisatz von Egoismus und Menschlichkeit, einen prinzipiellen Gehalt
  und einen prinzipiellen Gegensatz repräsentierten. Alle diese
  Gesellschaften indes, die einen derartig ideellen Kern andauernd und
  in _Wahrheit_ und nicht nur dem Namen nach hatten, bildeten weitaus
  die Minorität, -- das meiste lief auf Herrschsucht und Eitelkeit, auf
  Täuschung und unmittelbaren Betrug hinaus. Mit dieser _letztern_ Gruppe
  der Geheimen Gesellschaften, die trotz ihres quantitativen Übergewichts
  kamen und gingen, ohne eine Spur zu hinterlassen, die nichts waren als
  Modetorheit oder Modekrankheit, beschäftigen wir uns zuerst.
  Die Zahl dieser Gesellschaften, unglaublich zu sagen, ging vielleicht
  über Hundert hinaus. Die meisten befanden sich in Bayern und am Rhein.
  Regensburg, die alte Reichstagsstadt, war Mittelpunkt, und einer Anzahl
  von Aufsätzen, die in dem letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in
  der Reichstags-Zeitung veröffentlicht wurden, verdanken wir, mehr als
  irgend einer andern Quelle, Material, das uns Einblick gönnt in das
  Verbindungs- und Ordenswesen jener Zeit. Die genannte Zeitung schrieb
  in den achtziger Jahren: „Nie hat sich der Sektengeist tätiger gezeigt
  als in unsern Tagen, welche man die aufgeklärten nennt.... Der immer
  allgemeiner werdende Hang zum Aberglauben, der uns in die Zeiten des
  Mittelalters zurückwirft, wird durch den alle Kräfte der Erwerbung
  übersteigenden _Luxus_ und durch das _geschwächte Nervensystem_ der
  jetzigen Generation (also auch schon 1785!) ungemein befördert. Unsere
  Großen suchen den Stein der Weisen, um unsterblich zu werden, und
  erhoffen von den Geheimnissen der Alchymie die Mittel zur Befriedigung
  ihrer Neigungen.“
  Die Reichstags-Zeitung fährt dann fort: „An keinem Orte der Welt sind
  mehr Verehrer solcher neuen Wissenschaften anzutreffen, als an dem
  Wohnsitze des Reichstages, in Regensburg selbst. Hier befinden sich:
  Loyolisten im gestickten Kleid, im Chorgewand und im einfachen Kittel;
  Gasnerianer und Mesmerianer; Kabbalisten und Somnambulisten; Magier
  der verschiedensten Stufen und Namen; Cagliostro-Anhänger, die den
  Stein der Weisen suchen, und „Lammsbrüder, die sich vom inneren Stolze
  nähren“ -- Vereinigungen, die samt und sonders schwarze und weiße Magie
  treiben, aus Zahlen, Buchstaben und Worten die Geheimnisse der Natur
  und der Staaten prophezeien, die ewige Jugend suchen, vor allem aber
  den echtesten Grundsatz aller Schwärmer üben: sich untereinander zu
  verfolgen.“
  So die Reichstags-Zeitung. Die Orden, die wir vorstehend aufgeführt,
  wie sie nur einen ganz kleinen Teil der in Regensburg vertretenen,
  geschweige denn der in ganz Deutschland damals verbreiteten
  Ordensgesellschaften bildeten, waren andererseits immer noch
  Grenznachbarn, oft wirkliche Abzweigungen jener zwei großen
  Körperschaften, der „_Aufklärer_“ und der „_Dunkelmänner_“, die ihren
  Kern in der _Idee_ hatten und auf die wir zurückkommen. Es gab aber
  andere, die sich absolut von jedem ideellen Gehalt entfernt hatten,
  oder das Ideelle doch bloß als ein nervenanregendes Komödienspiel
  trieben.
  Aus der Reihe dieser greifen wir einige Musterbeispiele heraus.
  Da war vorerst die „_Dukaten-Sozietät_“. Sie war schon um 1746
  durch den Grafen Carl Ludwig von Wied-Neuwied gestiftet worden.
  Die Gesellschaft ging aufs _Praktische_ und war deshalb auch in
  der glücklichen Lage, in betreff aller kirchlichen Dinge das Wort
  „Toleranz“ auf ihre Fahne schreiben zu können.
  „Religionsvorurteile können unmöglich bei einer Institution Einfluß
  haben, die sich auf _Tugend und Geselligkeit_ gründet und die _wahre_
  Menschenliebe zu ihrem Wegweiser hat.“
  Die „_wahre_ Menschenliebe“ lernen wir nun aus § 7 der Statuten
  kennen. Es heißt daselbst: „Da jeder monatlich gerne einen _Dukaten_
  zur Sozietätskasse zahlen wird, wenn er hoffen darf, nicht nur dieser
  Bezahlung bald entledigt zu werden, sondern sogar viele Dukaten
  monatlich zu _empfangen_, so wird er für das erste anderweite Mitglied,
  das er seinerseits zum Eintritt engagiert, von der Zahlung befreit; der
  Zweite, den er engagiert, zahlt gleichfalls zur Sozietätskasse; für
  den _Dritten_ aber empfängt er monatlich einen Dukaten _für sich_; der
  Vierte zahlet ebenmäßig zur Sozietätskasse; für den Fünften hingegen
  empfängt er wiederum einen Dukaten monatlich für sich; ferner auch
  für den 7., 9., 11., 13. und so fort für jede ungerade Zahl monatlich
  einen Dukaten. Wer also die Gelegenheit hat, ein Halbhundert Mitglieder
  zu dieser Sozietät zu engagieren, der bekommt monatlich eine Revenue
  von 24 Dukaten.“ Dies leuchtete vielen sofort ein. Vor Ablauf eines
  Jahres hatte der Orden bereits 416 Mitglieder, darunter 1 Protektor, 7
  Seniores, 1 Kassierer, 1 Sekretär, 1 Archivar. Die ersten Mitglieder
  waren fast lauter Offiziere der Garnison Wesel, daran schlossen sich
  Zivilpersonen aus Neuwied. In kürzester Frist hatte sich der Orden
  über ganz Deutschland ausgebreitet. Er bestand aber nicht lange. Die
  Regierungen schritten ein, warnten vor dieser „gefährlichen Sozietät“
  und verboten dieselbe. In betreff von Vergesellschaftungen, die auf
  _Geld_ und Geldeswert ausgingen, waren die Regierungen immer am
  wachsamsten.
  Ein anderer Orden, bei dessen Zeremonien die „Harmonika“ eine große
  Rolle spielte und den wir deshalb den „Harmonikaorden“ nennen wollen,
  hatte im Gegensatz zur „Dukaten-Sozietät“ etwas sinnbestrickend
  Theatralisches und operierte mit dem ganzen Apparat einer romantischen
  Oper. Diesen seltsamen Orden lernt man in seinem Ritual (im Gegensatz
  zu den Statuten) aus einer kleinen Broschüre kennen, die 1787 in Berlin
  erschien und aus der wir folgendes entnehmen.
  „Sie verschafften mir, so schreibt der Held und Harmonika-Virtuose,[37]
  durch Ihre Adresse an Herrn N. eine sehr interessante Bekanntschaft
  ... Die _Harmonika_ erhielt seinen ganzen Beifall; auch sprach er von
  _verschiedenen besonderen Versuchen_, was ich anfänglich nicht recht
  faßte. Nur erst seit gestern ist mir Vieles natürlich.
  Gestern gegen Abend fuhren wir nach seinem Landgute, dessen
  Einrichtung, besonders aber die des Gartens, außerordentlich
  schön getroffen ist. Verschiedene Tempel, Grotten, Wasserfälle,
  labyrinthische Gänge und unterirdische Gewölbe usw. verschaffen dem
  Auge soviel Mannigfaltigkeit und Abwechselung, daß man davon ganz
  bezaubert wird. Nur will mir die hohe, dies alles umschließende Mauer
  nicht gefallen; denn sie raubt dem Auge die herrliche Aussicht. --
  Ich hatte die Harmonika mit hinausnehmen und Herrn N..z versprechen
  müssen, auf seinen Wink an einem bestimmten Orte nur wenige Augenblicke
  zu spielen. Um diesen Augenblick zu erwarten, führte er mich in ein
  großes Zimmer im Vorderteil des Hauses und verließ mich, wie er sagte,
  der Anordnung eines Balls und einer Illumination wegen, die beide seine
  Gegenwart notwendig erforderten. Es war schon spät und der Schlaf
  schien mich zu überraschen, als mich die Ankunft einiger Kutschen
  störte. Ich öffnete das Fenster, erkannte aber nichts Deutliches,
  noch weniger verstand ich das leise und geheimnisvolle Geflüster der
  Angekommenen. Kurz nachher bemeisterte sich meiner der Schlaf von
  neuem; und ich schlief wirklich ein. Etwa eine Stunde mochte ich
  geschlafen haben, als ich geweckt und von einem Diener, der sich
  zugleich mein Instrument zu tragen erbot, ersucht ward, ihm zu folgen.
  Da er sehr eilte, ich ihm aber nur langsam folgte, so entstand daraus
  die Gelegenheit, daß ich, durch Neugierde getrieben, dem dumpfen Ton
  einiger Posaunen nachging, der aus der Tiefe des Kellers zu kommen
  schien.
  Denken Sie sich aber mein Erstaunen, als ich die Treppe des Kellers
  etwa halb hinuntergestiegen war und nunmehr eine Totengruft erblickte,
  in der man unter Trauermusik einen Leichnam in den Sarg legte und zur
  Seite einem weißgekleideten, aber ganz mit Blut bespritzten Menschen
  die Ader am Arme verband. Außer den hilfeleistenden Personen waren die
  übrigen in langen schwarzen Mänteln vermummt und mit bloßen Degen. Am
  Eingang der Gruft lagen übereinander geworfene Totengerippe, und die
  Erleuchtung geschah durch Lichter, deren Flamme brennendem Weingeist
  ähnlich kam, wodurch der Anblick desto schauriger wurde. Um meinen
  Führer nicht zu verlieren, eilte ich zurück. Dieser trat soeben aus dem
  Garten wieder herein, als ich bei der Türe desselben ankam. Er ergriff
  mich ungeduldig bei der Hand und zog mich gleichsam mit sich fort.
  Sah ich je etwas Feenmärchen-ähnliches, so wars im Augenblick des
  Eintritts in den Garten. Alles in grünem Feuer; unzählig flammende
  Lampen; Gemurmel entfernter Wasserfälle, Nachtigallengesang,
  Blütenduft, kurz, alles schien überirdisch, und die Natur in Zauber
  aufgelöst zu sein. Man wies mir meinen Platz hinter einer Laube an,
  deren Inneres reich geschmückt war und wo hinein man kurz darauf einen
  Ohnmächtigen führte, vermutlich den, dem man in der Totengruft die
  Ader geöffnet hatte. Doch gewiß weiß ich es nicht, weil die Gewänder
  aller Handelnden jetzt prächtig und reizend von Form und Farbe und mir
  dadurch wieder ganz neu waren. Sogleich erhielt ich das Zeichen zum
  Spiele.
  Da ich nunmehr genötigt war, mehr auf mich als auf Andere Acht zu
  geben, so ging allerdings Vieles für mich verloren. So viel aber nahm
  ich deutlich wahr, daß sich der Ohnmächtige kaum nach einer Minute
  des Spielens erholte und mit äußerster Verwunderung fragte: „Wo bin
  ich? wessen Stimme höre ich?“ -- Frohlockender Jubel und Trompeten und
  Pauken war die Antwort. Alles griff zugleich nach den Degen und eilte
  tiefer in den Garten, wo das Fernere für mich wie verschwunden war.
  Ich schreibe Ihnen dieses nach einem kurzen und unruhigen Schlaf.
  Gewiß, hätte ich nicht noch gestern, ehe ich mich zu Bett legte, diese
  Szene in meine Schreibtafel aufgezeichnet, ich wäre sehr geneigt, dies
  alles für einen Traum zu halten. Leben Sie wohl.“
  Die vorstehende Schilderung hat uns bereits in eine Gruppe von
  Ordensverbindungen (oder doch bis an die Grenze derselben) geführt, in
  denen „Erscheinungen“ als Nerven-Stimulus und dieser wieder als „Mittel
  zum Zweck“ die Hauptsache waren.
  Wir wenden uns nunmehr diesen Magiern und ihren Verbindungen zu. Zuvor
  aber noch eine Bemerkung.
  Auch _jene_ Orden, die, was immer ihre Schwächen und Gebrechen sein
  mochten, doch in erster Reihe immer das _Prinzip_ wollten und in
  Wahrheit ernst und aufrichtig einen geistigen Kern hatten, auch
  die bedeutsameren, _nicht_ ephemeren, wirklich zu politischer und
  sozialer Bedeutung gelangenden Orden, glaubten wohl oder übel eines
  gelegentlichen Operierens mit „Erscheinungen“ nicht entbehren zu
  können. Wir werden darauf ausführlicher zurückkommen und festzustellen
  suchen, wieviel davon zulässig, oder richtiger, wie groß oder wie
  gering das Maß der Verschuldung war.
  Mit diesen ernsteren Bestrebungen, die sich gelegentlich im Mittel
  irrten, haben aber, trotz einer gewissen äußeren Ähnlichkeit, jene zu
  neun Zehntel auf Lug und Trug gestellten Vergesellschaftungen _nichts_
  gemein, die nicht einmal das ohnehin gefährliche und fragwürdige: „Der
  Zweck heiligt die Mittel“ für sich geltend machen konnten, sondern
  einfach, unter prätentiösen Phrasen, ihrem Gewinn oder irdischem
  Vorteil nachjagten. Es waren Spekulanten und Komödianten. Geister
  erscheinen lassen war ihr _Geschäft_ und _nur_ ihr Geschäft. Wir machen
  uns zunächst damit vertraut, wie sie dies Metier betrieben.
  Es gab, soweit wir imstande gewesen sind, uns aus den verschiedensten
  Schriften zu informieren, _vier_ Arten des Betriebes. Kleinere
  Abweichungen kommen nicht in Betracht. Es waren:
  1) Das _Schattenbild_ auf weißer durchsichtiger Fläche. Eine Art
  ~Laterna magica~. Dies war die plumpeste Art.
  2) Das _Hohlspiegelbild_ auf weißer Wandfläche. Ein Verfahren, das bei
  Geisterszenen auf der Bühne auch jetzt noch zu gelegentlicher Anwendung
  kommt.
  3) Das _Hohlspiegelbild_ auf Rauch und Qualm.
  4) _Bloße Benebelung_ und Einwirkung auf die Imagination, so daß man
  Dinge sieht, die gar nicht da sind.
  Über diese letzte Art des Verfahrens, die die unglaublichste scheint
  und, richtig gehandhabt, doch vielleicht die sicherste war, entnehmen
  wir zeitgenössischen Memoiren das Folgende:
  Friedrich II. erfuhr, daß in Halle ein Professor sei, der Geister
  zitieren könne. Der König ließ ihn kommen. Der Betreffende erschien
  auch, lehnte es aber ab, Geister erscheinen zu lassen, erklärte
  vielmehr dem Könige ganz einfach, wie er dabei zu operieren pflegte.
  Er sagte: „Ich benutze dazu ein Räucherwerk. Dies Räucherwerk hat zwei
  Eigenschaften: 1) den ‚Patienten‘ in einen Halbschlaf zu versetzen,
  welcher _leicht_ genug ist, ihn alles verstehen zu lassen, was man ihm
  sagt, und _tief_ genug, ihn am Nachdenken zu verhindern; 2) ihm das
  Gehirn dergestalt zu erhitzen, daß seine Einbildungskraft ihm lebhaft
  das _Bild_ der Worte, die er hört, abmalt. Er ist in dem Zustande eines
  Menschen, der nach den leichten Eindrücken, die er im Schlaf empfängt,
  einen Traum zusammensetzt. Nachdem ich in der Unterredung mit meinem
  Neugierigen möglichst viele Einzelheiten über die Person, die ihm
  erscheinen soll, kennen gelernt und ihn nach der Form und den Kleidern
  gefragt habe, in denen er die zu zitierende Person sehen will, lasse
  ich ihn in das dunkle, mit dem Dunst des Räucherwerks angefüllte Zimmer
  treten. Dann -- nach einiger Zeit -- spreche ich zu ihm: ‚Sie sehen
  den und den, so und so gestaltet und gekleidet,‘ worauf sich sofort
  seiner erregten Phantasie die Gestalt abmalt. Hierauf frage ich ihn
  mit rauher Stimme: „Was willst Du?“ Er ist überzeugt, daß der Geist zu
  ihm spricht; er antwortet. Ich erwidere; und wenn er Mut hat, so setzt
  sich die Unterredung fort und schließt mit einer Ohnmacht. Diese letzte
  Wirkung des Räucherwerks wirft einen mysteriösen Schleier über das, was
  er zu sehen und zu hören geglaubt hat und verwischt die kleinen Mängel,
  deren er sich etwa erinnern könnte.“ --
  So weit die Enthüllungen des Professors.
  Das _dritte_ Verfahren: „Das Hohlspiegelbild auf einer Rauchsäule“
  wurde, wenn den betreffenden Überlieferungen Glauben zu schenken ist,
  vorzugsweise durch Johann Georg _Schrepfer_ geübt. Dieser in seiner Art
  merkwürdige Mann bildete die Inkarnation jenes Lug- und Trug-Systems,
  jener Geheimbündelei, die unter großen rätselvollen Phrasen das
  Wundertun, die Geisterzitation, den Rapport mit der geistigen Welt in
  den Vordergrund stellte und ohne sich viel mit fortschrittlichen oder
  rückschrittlichen Ideen aufzuhalten, von der Leichtgläubigkeit der
  Menschen lebte. In der Kürze haben wir Schrepfers schon bei _Marquardt_
  erwähnt. Wir müssen auch hier wiederholen, daß er höchst wahrscheinlich
  nicht _bloß_ ein Betrüger war, sondern durch Lesen mystischer und
  alchymistischer Schriften, dazu durch eigene Eitelkeit und fremde
  Huldigungen, schließlich ohne geradezu wahnsinnig zu sein, in einen
  verworrenen Geisteszustand geraten war, der ihn in der Tat an sich
  _glauben_ machte und ihn namentlich _alles_ für _möglich halten_ ließ.
  Es ist nicht absolut unwahrscheinlich, daß er wirklich dachte, ein
  Paket Papierschnitzel werde sich ihm zu Liebe über Nacht in vollgültige
  Banknoten verwandeln. Wir geben eine kurze Lebensskizze dieses
  Mannes, dessen Leben und Tod charakteristisch ist für eine spezielle
  Krankheits-Erscheinung jener Zeit.
  Johann Georg Schrepfer, 1730 geboren, war anfangs Kellner in einem
  Leipziger Gasthause (nach andern Husar) und war unter die dienenden
  Brüder einer dortigen Freimaurerloge aufgenommen worden. Später hatte
  er eine Frau mit einigem Vermögen geheiratet und hielt seitdem eine
  eigene Schenkwirtschaft in der Klostergasse. Anfangs der siebziger
  Jahre, vielleicht schon etwas früher, begann er auszusprengen, daß er
  die Gabe der _Geisterbeschwörung_ habe. Sein Anhang wuchs, darunter
  Personen von hoher gesellschaftlicher Stellung. Der Herzog von Kurland,
  Herzog Ferdinand von Braunschweig, die Minister Graf Hohenthal und
  von Wurmb, der Kammerherr von Heynitz, Oberst von Fröden, der Geheime
  Kriegsrat von Hopfgarten und der Kammerherr von Bischofswerder
  pflogen Umgang mit ihm und besuchten ihn in seiner Wohnung, im Hotel
  de Pologne. Daß er, mit Hilfe des nach ihm genannten Schrepferschen
  Apparats, wirklich schemenhafte Gestalten erscheinen ließ, ist gewiß,
  noch gewisser, daß er in beständigen Geldverlegenheiten war und die
  reicheren der vorher genannten Herren benutzte, um auf ihre Kosten zu
  leben. _Sie_ mußten Geld geben, auf daß der Schatz gehoben werden könne.
  Vielleicht daß ihr Vertrauen oder ihre Geduld eher erschöpft worden
  wäre, wenn er es nicht verstanden hätte, zum Teil auf gefälschte
  Empfehlungen hin, mit den hervorragendsten Häuptern anderer geheimer
  Gesellschaften sich in Verbindung zu setzen, was ihm dann in seiner
  nächsten Umgebung immer aufs neue einen Nimbus lieh. Aus dieser
  Ordens-Geheim-Korrespondenz, die er nach den verschiedensten Seiten
  hin führte, ist ein Briefwechsel zwischen ihm und dem Professor der
  Theologie ~Dr.~ _Stark_ in Königsberg, später General-Superintendent
  in einem der thüringischen Staaten, aufbewahrt worden, der merkwürdige
  Einblicke gönnt.
  ~Dr.~ Stark, ein Theologe von gründlichster Bildung, eröffnete die
  Korrespondenz und schrieb unterm 30. Juni 1773 aus Königsberg: „Mein
  sehr werther Freund und Bruder. Nach dem Wenigen, was mir von Ihnen
  bekannt geworden ist, müßte mich mein Geist sehr trügen, und die
  Siegel, die unser Orden seinen Geweihten aufgedrückt hat, verwischt
  sein: oder ich muß in Ihnen einen Mann finden, der _Eines Ursprungs
  mit mir_ ist und mit mir zu _Einem Zwecke_ geht. _Und deren sind
  nicht viele unter den Maurern._ Trüge ich mich, so falle Nacht und
  Finsterniß auf das, was ich sagen werde. Sind Sie es aber, so grüße
  ich Sie in der heiligen Zahl von Drei, Sieben und Zehn und durch die
  sieben Geister Gottes.
  Sind Sie tiefer als ich ins _Heiligthum_ geführet, so nehmen Sie mich
  als einen lehrbegierigen Schüler an.... Sonst lassen Sie uns Beide auf
  dem vor der Welt und so viel Tausend Maurern _verdeckten_ Wege gehen.
  Die wahre Weisheit liebt das Verborgene. Nur in der Dunkelheit ist das
  unzerstörliche Licht. Ich kenne, mein Bruder, _Florenz_.... Sie können
  zu mir reden.... An einem grünen Flecken im rothen Lack des Wappens
  können Sie es erkennen, daß mein Brief nicht geöffnet gewesen.
  Aber lassen Sie mich noch eine Bitte thun: _Zerstören Sie noch nicht
  eine Art von Maurerei in Deutschland, unter deren Maske Brüder
  verborgen liegen_, die diesen Brüdern selbst unbekannt sind, die Sie
  aber gewiß schätzen und lieben würden, wenn Sie sie näher kennen
  sollten. Unsere Macht und Gewalt ist lieblich, ein Feuer, das nähret
  und nicht zerstöret.
   Ihr aufrichtiger Freund und Bruder
   der ‚Verfasser der Apologie‘ (Stark).“
  Hierauf antwortete Schrepfer, der, bei aller Begabung, den Cafetier
  doch nie verleugnen konnte, unterm 29. Juli folgenden Bombast: „Mein
  werther Freund und Bruder. Dero an mich abgelassenes Schreiben habe
  richtig zu erhalten die Ehre gehabt. Der große Baumeister der Gottheit
  der Allmacht gehe vor uns über mit seiner Gnade! So thue ich denn als
  Schotte der Erkenntniß und Gewalt aus Schottland in den _Thurm_ den
  ersten Schritt, denselben die Wahrheit zu melden. Zerbrechen Sie Ihr †
  aus Florenz, lernen Sie dafür erkennen 5. 7., daß ich wirklich bin ~S.
  W. O. V.~
  Ist Wismar nicht sträflich, daß sie auf mein wiederholtes
  freundschaftliches Betragen nicht mehr Aufmerksamkeit bezeiget?
  Was ich vor jetzt schreibe, schreibe ich auf Ihre Pflicht. Ziehen
  Sie Ihre Schuhe aus, denn der Ort der wahren ~ME~ ist heilig für den
  Busch. Fünf starben, der sechste ging in Feuer über, stehet die Säule
  so (unleserliches Wort) im Morgen, die 7 Siegel thun sich auf, und
  erkennen die Wahrheit der Gottheit. Verflucht sei, der den Namen
  seines Gottes mißbraucht! Der Herr ist heilig und gerecht. Mein Bruder,
  wenn Sie wirklich der sind, der die 11 in der Wahrheit kennet, da doch
  durch 12 gerichtet wird, warum kennen Sie nicht ~S. W.~? War England
  nicht gerecht, ließ es Ihnen nicht Ihre Freiheit; warum suchten Sie
  aber von dem einen Wege in den andern zu fallen? Sind nicht Warnungen
  genug an die strikte Observanz ergangen? Wenn ich meine Brüder bei der
  Vernunft überführe und selbigen die Unsterblichkeit der Seele beweise,
  so folge ich den wahren Pflichten ~B. I. I.~ Soll Gewalt dem Schwachen
  weichen, wenn der Schwache nur Bosheit in seiner Seele besitzt, wurde
  das Schwert nicht eingesteckt, da es schon gesiegt hatte?
  Glauben Sie, mein Bruder, wenn ich gleich nach Dresden gegangen, so
  wäre jetzo Alles ruhig und zufrieden; aber Leipzig, da wo nur Tugend
  und Wissenschaften blühen sollen, ist eine in Schleier gehüllte
  Buhlerin. Kennen Sie wirklich die Off. ~I.~?
  Ich kenne Purpur ganz roth, das innerste der _Sonne gelb_, _blau_,
  _heilig_ und _gerecht_, unter dem _Namen des Lammes_. ~I. V. N. D. I.
  K.~
  Um mich noch mehr zu erklären, erwarte Dero Antwort, und empfehle Sie
  dem Schutz des Unerschaffenen.
  N. S. Mein Bruder. Sie haben es mit E--land und Sch--land richtig
  getroffen; nur den Sitz des Thurmes haben Sie mir nicht gemeldet.
  Erhalte ich einen Brief von Ihrer Hand und Namen, so thue mir der Herr
  dies und das, so ich ihn nicht unter meiner eigenen Hand beantworten
  will.
  Nehmen Sie den Spiegel und sehen nach dem Licht. Wenn der Blitz fähret,
  so blendet er, aber dem Weisen ist er klar wie tausend Jahr.
   Joh. Geo. Sch--r,
   S. d. E. u. G.“
   (Schotte der Erkenntniß und Gewalt.)
  Daß ein Mann wie Stark durch solchen mit Effronterie vorgetragenen
  Gallimathias geblendet werden konnte, ist nicht anzunehmen, auch
  kam die Korrespondenz über diesen einmaligen Briefaustausch nicht
  hinaus. Aber Schrepfer hatte doch das eine Gute davon, daß er auf das
  Handschreiben eines, in besonderem Ordens-Ansehen stehenden, die
  höchsten Ordens-Ehren in sich vereinigenden Mannes hinweisen konnte.
  Und das genügte ihm. Er suchte neue Mittel nach, „um den Schatz zu
  heben,“ und Leipzig, das er so undankbar als „Buhlerin“ bezeichnete,
  gewährte sie immer aufs neue.
  Endlich indes, so scheint es, war die Geduld erschöpft, die
  „Erscheinungen“ kamen, während der _Schatz_ beharrlich ausblieb und
  Schrepfer empfand zuletzt, daß seine Situation unhaltbar geworden sei.
  Aber wenigstens mit einem Knalleffekt wollte er scheiden.
  An einem der letzten Meßtage, am 7. Oktober 1774, lud er Bischofswerder
  und Hopfgarten, nebst noch zwei anderen, zum Abendessen ein. Als sie
  beisammen waren, sagte er: „Diese Nacht legen wir uns nicht zu Bett,
  denn morgen mit dem Frühesten, noch vor Sonnenaufgang, sollen Sie
  ein ganz neues Schauspiel zu sehen bekommen. Bis jetzt hab ich Ihnen
  Verstorbene gezeigt, die ins Leben zurückgerufen wurden; morgen aber
  sollen Sie einen Lebenden sehen, den Sie für tot halten werden.“ Nach
  diesen Worten legte er sich aufs Sofa und schlief fest. Als der Tag
  anbrach, stand er auf mit den Worten: „Nun, meine Herren, ist es Zeit,
  daß wir gehen“ und alle begaben sich nach dem Rosenthal. Schrepfer,
  der auf dem Wege die vollkommenste Gemütsruhe zeigte, wies seinen
  Begleitern, als sie an einer bestimmten Stelle angelangt waren, ihre
  Plätze an, indem er zu ihnen sagte: „Rühren Sie sich nicht von der
  Stelle, bis ich Sie rufen werde; ich gehe jetzt in dieses Gebüsch, wo
  Sie bald eine _wunderbare Erscheinung_ sehen sollen“. Er entfernte sich
  und bald darauf fiel ein Schuß; im Dickicht fanden die Herren ihren
  Propheten tot. Er hatte sich mit einem Taschenpistol erschossen.
   * * * * *
  So viel über Schrepfer, in dem sich die Lug- und Trug-Geheimbündelei,
  
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