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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - 20
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halb fertig geworden. Um diesen unfertigen Zustand zu entschuldigen,
begleitete er das Bild mit einem Gedichte, das folgendermaßen lautete:
_Der Kritiker._
Nun das ist wahr, mein Herr Rösel,
Ihre Zeichnung ist wirklich höchst originell,
Man möchte schwören 's wär leeres Papier,
So schrecklich klar ist Ihre Manier.
Solch Angebinde kein Kind begehrt,
Am wenigsten ist es den Rahmen wert.
_Der Zeichner._
Geb zu, Sie treiben mich in die Eng',
Aber sind doch viel zu streng.
Diese Zeichnung erkennen bloß Kinder des Lichts,
Sie sind aber keins, drum sehen Sie nichts.
Ich lass' Ihnen noch acht Tage Ruh,
Dann sehn Sie mal wieder nach oder zu.
_Der Kritiker._
Nun merk' ich, wie's zusammenhängt:
So geht es, wenn man _zu spät anfängt_.
Diese Verse sind auf die Rückseite geklebt, passen aber insoweit nicht
mehr, als daß Bild jetzt in allen Stücken fertig ist.
Außer diesen eingerahmten Bildern besitzt die Familie Zimmermann noch
eine ganze Anzahl von Zeichnungen, die als Vorlegeblätter benutzt
werden. Wenn mich nicht alles täuscht, stehen sie, in ihrer saubren
Einfachheit, künstlerisch höher, als die sorglich ausgeführten großen
Landschaften.
Hierher gehört auch ein Kästchen, auf dessen Deckel er eine kleine
Niedlichkeit gezeichnet hat. Dies Kästchen, als er es schenkte, war von
folgenden vier Zeilen begleitet:
Hölzern ist die Gabe
Und leer im Innern; drum habe
Den Inhalt ich mit gutem Bedacht
Gleich von _außen_ angebracht.
II. Kuriositäten
Alle diese Dinge sind heute, wo jeder dritte Mensch in Rom und Neapel
war, zu wertlosem Trödelkram geworden. Vor fünfzig Jahren hatten sie
noch einigermaßen eine Bedeutung. Es sind das die „Scherben“, von denen
der vorstehende aus Rom mitgeteilte Brief ~H. W.~'s spricht. Ich leiste
deshalb auch Verzicht darauf, die einzelnen Stücke hier namentlich
aufzuführen.
III. Briefe
Dies ist der Hauptschatz, und sie geben nicht nur ein vollkommenes und
wie ich meine sehr liebenswürdiges Bild des Mannes, sondern auch seiner
Zeit. Alte Berliner werden diese kleinen Schnitzel nicht ohne Freude,
manche nicht ohne Bewegung lesen. Die etwa zwanzig, die ich mitteile,
sind aus ein paar hundert ähnlicher ausgewählt. Meistens sind sie auf
Papier in Duodezformat geschrieben, einige auf Karten, wie sie jetzt
wieder Mode sind, und alle haben sie den rotgetuschten Rand, dessen
~H. W.~ in seinem Briefe Erwähnung tut. Nur wenige sind gesiegelt und
zeigen dann ein Efeublatt mit den Initialen ~S. R.~ Und nun mögen die
Briefe selber sprechen.
Den 4. Mai 1826.
Wär's vielleicht um zwei?
Wär's vielleicht um drei?
Jedenfalls dabei.
Euer ~R~
Sonntag _Rogate_ 1826.
Wo seid Ihr heute,
Lieben Leute?
An der Panke?
Ich danke.
An der Spree?
Da käm' ich. Juchhe!
Dienstag, 23. _Januar_ 1827.
Für den Seume schick ich hier den Heinrich von Kleist. Ich bitte später
daraus vorlesen zu dürfen. Was macht der Onkel? Besser? Ich werd' es
sonst bei _Barez_ bestellen!
23. _April_ 1827.
Gestern war Sonntag Quasimodo und ich war quasi modo dicht am Sterben.
O diese höllische Migräne! Das einzige Mittel ist Ruhe. „Ruhe ist die
erste _Bürger_-Pflicht“ sagte schon Minister von der Schulenburg. Aber
an Migränetagen dürfen es sich auch Hochadlige gesagt sein lassen. Und
dann natürlich auch Kamillentee. Anbei sende ich den ersten Teil von
Heinrich von Kleist zurück. Darf ich mir dafür _den_ Teil erbitten,
in dem die Novelle „_Hans Kohlhaas_“ steht? Auch nehme ich mit dem
_Käthchen von Heilbronn_ oder dem Prinzen _von Homburg_ vorlieb.
Donnerstag, den 14. _Juni_ 1827. Am Tage Sankt Modesti des
modestesten Heiligen.
In Ermangelung von etwas Besserem schicke ich das beifolgende Bildchen,
das ich, je nachdem es die Größe des Kästchens verlangt, bei ~a~ oder
bei ~b~ abzuschneiden bitte. Wird bei ~b~ abgeschnitten, so fällt der
alte Herr auf dem Baume weg und die Birnen fallen dann, wie vom Himmel,
in die Schürze der Sammlerin. -- Unbekleidetes könnt ich in Menge
liefern, aber das könnte Sankt Modestus übelnehmen und mit Heiligen
darf man's nicht verderben. Wir haben's hier unendlich heiß und ich
verkoche ganz allmählich, wobei mich nur die Krebse trösten, die längst
gewohnt sind, lebendig gesotten zu werden. Haltet Euch tapfer in
Pankow!
Donnerstag, den 6. _Dezember_ 1827 am Tage des heiligen Nikolas,
der den frommen und fleißigen Kindern goldne Äpfel bringt.
Und auch ich komme nicht mit leeren Händen und schicke endlich das
versprochene Buch. Trotz allem Ungewissen steckt doch viel Wissen
darin. Ein eigentliches Urteil darüber habe ich nicht, weil ich es
nicht ganz verstehe; doch habe ich Meinungen, die einem Urteil beinah
gleichkommen. Selbst Professor Hegel sprach mit großer Achtung und
Schonung einige Worte über den jugendlichen Autor aus.
Montag, den 3. _November_ 1828. Am Tage Gottlieb.
So hört denn: Alle die Gott lieben,
In Wohltun nie zurückgeblieben,
Hungrige speisen, Durstige tränken,
Arme zum Geburtstag beschenken,
Beschenken in Gnad und Überfluß --
Euch, Ihr Lieben, herzlichen Gruß!
Den 5. _März_ 1829. (Mit einigen Fragmenten aus dem Äsculap-Tempel
in Pompeji.)
Gestohlen? So haben wir nicht gewettet.
Ich habe es gefunden und -- gerettet.
Den 26. _Dezember_ 1829. Am Tage des heiligen Stephanus, des
ersten Märtyrers.
Ich komme bestimmt noch, aber leider erst spät, da ich noch notwendig
zu dem Silberpärchen _Mendelssohn-Bartholdy_ muß.
Montag, den 19. _September_ 1831.
Cholera her, Cholera hin,
Leben, leben ist Gewinn
Und könnt ihr mir morgen 'ne Suppe geben,
So möcht ich morgen wohl noch leben.
Mittwoch, den 2. _November_ 1831.
Als ich vor zweiundvierzig Jahren nach Berlin kam, gab es eine
Gesellschaft, welche sich „~la Société du Mercredi~“ nannte und immer
Donnerstags zusammenkam. Warum sollte es der gütigen Madame Jordan
nicht erlaubt sein, ihren Donnerstag auf den Freitag zu verlegen?
Sonntag, den 6. _November_ 1831 am Tage Sankt Leonhard oder
Löwenherz.
Am heutigen Tage muß ich mir ein Löwenherz fassen und Dir schreiben,
daß ich beim besten Willen nicht kommen kann, da heute zwei ehrenveste
Geburtstagskinder: der alte Hofzimmermeister _Glatz_ und Fräulein Luise
Hotho befeiert werden müssen. Morgen bin ich bei Feilners.[31]
Freitag, den 18. _November_ 1831.
Hier meine teure Fanny, sende ich Ihnen den verheißenen Briefwechsel
zwischen Goethe und Schiller, oder, wenn es die gute Tante so will,
zwischen Schiller und Goethe. Streng genommen gebührt aber diesem
letzteren der Vorrang, dieweil durch seine früheren unsterblichen und
höchst genialischen Werke der viel jüngere Schiller zum Schreiben und
Dichten erst angeregt wurde, Goethe aber die weite Bahn sich selbst
eröffnete. Vielleicht söhnt sich Tantchen durch diese Briefe mit dem
verhaßten Goethe aus. Ich würde mich über solche Bekehrung herzlich
freuen, denn jedes überwundene Vorurteil gewährt einen Triumph.
23. _Juni_ 1832.
Ich kann leider nicht kommen. Am Sankt Johannistage gehöre ich dem
_Orden_ an, und muß diesen Tag feiern helfen, wie eben jeder gute
Christ tun sollte. Denn Johannes der Täufer wurde von Oben gewürdigt
und berufen, dem Messias den Weg zu bahnen, auf daß der von Gott
Gesandte die Menschen zur ewigen Glückseligkeit, d. h. zum Leben in
Gott zurückführe.
Freitag, 4. _Januar_ 1833. Am Tage Methusalem oder Methusalah,
der sich bekanntlich schämte tausend Jahr alt zu werden und schon
im neunhundertneunundsechzigsten, in der Blüte des reiferen
Mannesalters, das Zeitliche segnete.
Sie fragen, liebe Fanny, was ~coq-à-l'âne~ bedeutet? Soviel wie
ungereimtes Zeug oder Durcheinander oder Quodlibet. Denn wenn Hahn und
Esel sich in die Rede fallen, so kommt nicht viel Gescheites heraus.
13. ~April~ 1833.
Bin leider immer noch krank. Und hätte doch geglaubt, einen bequemeren
Posten verdient zu haben, als den eines Nachtwächters, der die Stunden
abhusten muß.
Sonntag, den 14. _April_ 1833.
Die Grippe nimmt schweren Abschied von mir. Ich kann es ihr nicht
verdenken; es ging ihr so gut bei mir. Aber sie muß fort.
Dienstag, 16. _April_ 1833.
Es geht endlich besser. Schickt nun nichts mehr für den Kranken. Heute
wird Gräfin _Sophie Schwerin_ für mich sorgen und morgen _Mendelssohns_
in der Jägerstraße. Donnerstag komm ich selbst.
In demselben Jahre (1833) machte er eine Sommer-, Studien- und
Erholungs-Reise bis nach Hessen und Westfalen und im August nach Berlin
zurückgekehrt, schrieb er einen langen Reisebrief an seine Freundin
_Fanny Jordan_, die mittlerweile Frau Steuerrätin Hedemann zu Demmin in
Pommern geworden war. Der Brief lautet:
_Berlin_, 18. _August_ 1833.
Mit fast noch größerm Recht als der muskauwitische Fürst Pückler,
könnte ich seit dem fünften Juli dieses Jahres meine Episteln: „_Briefe
eines Verstorbenen_“ titulieren, denn an jenem Tag stand mein Leben
still und alle meine Sinne versagten mir den Dienst. Zwar wäre diese
Todesart eine ganz exzellente zu nennen gewesen, denn ich verschied in
den Armen zweier Exzellenzen: Minister von Klewitz und Generalleutnant
Graf von Hacke, auf des letztern Hausflur zu Magdeburg, aber ich bin
nicht so eitel und ziehe ein bescheidenes Leben einer glänzenden
Todesart vor. Mein alter Freund, der Medizinalrat ~Dr.~ Schulz, trat
zur rechten Zeit ins Haus, denn der entscheidende Augenblick war
nahe und nur ein Aderlaß konnte mich retten. Die Herren Homöopathen
mögen dagegen sagen, was sie wollen, denn alle ihre niedlichen
Riechfläschchen und Million-Teilchen hätten mich nicht wieder ins Leben
gerufen. Mir gelang es besser, wie jenem armen Sünder, der auf dem
Wege zum Galgen gefragt: „Ob er etwas zu seiner Erquickung begehre,
etwa einen Schluck Wein?“ um einen Aderlaß bat, und auf die Frage:
„warum gerade _das_?“ antwortete: „man hab' ihm immer gesagt, der erste
Aderlaß könne vom Tode retten.“
_Mir_ hat's geholfen, dem armen Jungen aber nicht, trotzdem ich in
Städten und Schlössern viel mehr eingesteckt habe, als er. Aber so geht
es in der Welt: Die kleinen Diebe henkt man, und die großen läßt man
laufen.
Sorgfältiger und liebevoller kann kein Bruder vom andern gepflegt und
gewartet werden, als ich im Gräflich von Hackeschen Hause, und so ward
es mir möglich nach acht Tagen meine Reise langsam fortzusetzen. Die
Krisis war glücklich überstanden, und ich gehörte endlich wieder zu der
uralten Familie A-Grippa, d. h. zu der, welche die Grippe _nicht_ hat.
Leider trat mit der Sonnenfinsternis am 17. Juli erst Nebel, dann Regen
und Kälte ein, so daß ich meinem Skizzenbuche nur schmale Kost reichen
konnte. Ein Fremder an der Table d'hôte in Hildesheim nannte den feinen
Nebel-Regen „Luft-Schweiß“; er ist aber dem kalten Todes-Schweiße noch
ähnlicher, der allen zarten Pflänzchen den Garaus macht. Zu meinem
Glücke reise ich nicht bloß auf schöne Gegenden, Kirchen, Schlösser
und Altertümer, sondern vor allem auf Menschen. Papa Goethe hat wohl
recht, wenn er sagt: „Die Welt ist so leer, wenn man nur Berge, Flüsse
und Städte darinnen sich denkt; aber hie und da jemand zu wissen, der
mit uns übereinstimmt, mit dem wir auch stillschweigend fortleben, das
macht dieses Erdenrund erst zu einem bewohnten Paradies-Gärtlein.“
Da mochte es denn regnen und kalt sein, ich sonnte mich an den vielen,
des unverhofften Wiedersehens sich freuenden Augen alter Freunde und
Bekannter, die mir fast an jedem Orte entgegenleuchteten und mich
alles Ungemach der Witterung vergessen ließen. Und so schied ich
denn auch von jedem Orte viel reicher an Freunden und interessanten
Bekanntschaften, als ich kam. Der Herzens-Kalender füllte sich
zusehends mit neuen Geburtstagen und Lebens-Festen, und solches tut
auch not, denn in der letzten Zeit war der Abgang stärker, als Zuwachs.
--
Den Geburtstag unsres teuren Königs feierte ich, trotz Sturm und
Drang, auf einem höchst klassischen Boden und zwar im Arnsbergischen
Regierungs-Bezirk, auf den Grundmauern der Burg Karls des Großen, wo
er Reichsversammlungen und Zehnt-Gerichte hielt, wo ihn die Päpste
Hadrian I. und Leo III. besuchten, und allwo er die widerspenstigen
und ungläubigen Sachsen ziemlich unsanft bekehrte. Dies war auch der
weiteste Punkt meines Streif-Zuges, denn da ich durch mein Sterben
und Auferstehn in Magdeburg zwölf Tage von der Urlaubs-Zeit eingebüßt
hatte, und nur kleine Reisen wagen durfte, um nicht zum zweiten und
vielleicht letztenmal zu verscheiden, so mußt ich Kehrt machen, ohne
den alten Vater Rhein begrüßt zu haben. Und so bin ich denn über
Arolsen, Kassel, Heiligenstadt, Nordhausen, Eisleben, Halle, Wittenberg
am 8. August wieder heimgekehrt. Noch zu guterletzt feierte ich in
Halle ein beseligendes Fest des Wiedersehens und zwar im Gasthofe am
Zeitungstisch. Da saß ein eifriger Zeitungsleser in den Hamburger
Korrespondenten ganz und gar versunken; plötzlich sah er auf und
schrie: „Sind Sie's wirklich, lieber Rösel?“ „Ja, ich bin's Exzellenz.“
Es war mein alter Freund und Gönner, der Chef-Präsident von Vincke aus
Münster. Seine Umarmung bei meinem Einsteigen in die Extra Post-Chaise
gab mir in den Augen der Umstehenden ein gewaltiges „Basrelief“ wie
General Elsner zu sagen pflegte.
An der nächsten Station hielt gleichzeitig mit meinem Post-Wägelchen
ein stattlicher Reise-Wagen. Ein elegant gekleideter Reisender stieg
aus, und siehe, es war der Hofbuchdrucker _Rudolph Decker_. Bald
darauf kuckte mich auch sein _Schätzellchen_ gar freundlich an. Da
gab's etwas zu erzählen, vom schönen Musik-Feste in Düsseldorf, von
den trefflichen jungen Künstlern daselbst usw. So plauderten wir von
Station zu Station bis Wittenberg, wo wir noch miteinander zu Abend
speiseten und uns ein: ‚auf Wiedersehen in Berlin‘ zutranken. Denn ich
wollte in Wittenberg übernachten, das junge Paar aber in einem Striche
weiter rollen.
Seit dem Wiederaufleben in Magdeburg esse und trinke ich mit gesundem
Appetite, schlafe wie ein Murmeltier und fühle mich gesund und heiter
wie ein Fisch im Wasser....
* * * * *
Am 8. Juli 1843 starb Rösel und wurde auf dem Bornstädter Kirchhof
begraben. Die Chronik der königlichen Akademie der Künste brachte das
Jahr darauf folgenden kurzen Nekrolog: „_Johann Gottlob Samuel Rösel_,
geboren zu Breslau den 9. Oktober 1768 (die Grabinschrift sagt 1769),
wurde am 14. Februar 1824 zum ordentlichen Mitgliede der Akademie
gewählt. Schon vorher war er königlicher Professor und Zeichenlehrer
an der Bauschule. Als geistreicher Landschaftszeichner geschätzt, bis
ins Alter von unverwüstlicher Heiterkeit und bei beschränkten Mitteln
unermüdlich im Wohltun, folgt ihm das ehrende Andenken zahlreicher
Freunde. Von königlicher Huld in den Gartenschlössern bei Potsdam bis
an sein Ende gepflegt, starb er ebendaselbst.“
Auch noch in seiner letzten Krankheit war er durch Geheimrat
~Dr.~ Zimmermann ärztlich behandelt worden. An sogenannten
„Erlebnissen“ hat sein Leben wohl wenig aufzuweisen. Er gehörte ganz
und gar einer gemütlichen Form gesellschaftlichen Daseins an; darin
ging er auf und man würde sagen müssen auch unter, wenn sein Talent und
seine Bedeutung ein so feierlich klingendes Wort überhaupt gestattete.
Denn alles an ihm war Dilettantismus. Er erinnert in vielen Stücken an
_Wilhelm Hensel_, der den besten Teil seines Lebens auch an vornehmen
Umgang, an Einsammeln von Zelebritätsköpfen für seine Porträtmappe
und an Briefchen und Gedichtchen setzte. Nichtsdestoweniger war ein
Unterschied, und einer unsrer gegenwärtigen Altmeister, der _beide_
noch gekannt hat, brach, als ich auf die vorstehende Parallele
hinwies, unter herzlichem Lachen in die Worte aus: „Um Gottes willen
nicht! Mit Hensel war es nicht viel, aber gegen Rösel war er ein Gott.“
Mit zwei Anekdoten will ich schließen. Schleiermacher und Rösel,
beide Breslauer, beide klein und verwachsen, trafen sich in einer
Gesellschaft und erinnerten sich, auf derselben Schulbank gesessen zu
haben. „Wir waren damals halbwachsen“ sagt Rösel. „Im Grunde genommen“
lachte Schleiermacher „sind wir's auch geblieben.“
In der zweiten Anekdote spielt Rösel seinerseits die Hauptrolle. Er saß
in Sanssouci mit bei Tisch und Friedrich Wilhelm IV. stieß aus Versehen
ein Glas Portwein um. „Was sagen Sie nun?“ fragte der König. „Gott,
Majestät“ antwortete Rösel „eben war es noch Portwein und jetzt ist es
bloß Tischwein.“
[31] In einem sehr viel späteren Briefe (27. Januar 1841) heißt es: „Es
war gestern, trotz der kalten Witterung, ein schwüler Tag für mich.
Der Abschied aus dem alten, ehrwürdigen Hause _Feilner_ hatte mich
windelweich gemacht. Ich hätte stundenlang wie ein Kind weinen können!“
Marquardt
Des Hofes Glanz und Schimmer
Blinkt nur wie faules Holz,
Die Kirche lebt vom Flimmer
Und wird vor Demut stolz;
Arm sind des Lebens Feste,
Rings abgestandner Wein,
Das Höchste und das Beste,
Wie niedrig und wie klein.
=Walter Raleigh=
Eine Meile hinter Bornstädt liegt _Marquardt_, ein altwendisches Dorf,
ebenso anziehend durch seine Lage, wie seine Geschichte. Wir passieren
Bornim, durchschneiden den „Königsdamm“ und münden unmerklich auf der
Chaussee in die Dorfstraße ein, zu deren Linken ein prächtiger Park bis
an die Wublitz und die breiten Flächen des Schlänitz-Sees sich ausdehnt.
Die gegenwärtige Gestalt von Marquardt, ebenso wie sein Name, ist noch
jung; in alten Zeiten hieß es _Schorin_. Im fünfzehnten Jahrhundert,
und weiter zurück, war es im Besitz zweier Familien; die eine davon
nannte sich nach dem Dorfe selbst (Zabel _von Schorin_ 1375), die
andere waren die _Bammes_. Der Besitz wechselte oft; die Brösickes,
Hellenbrechts und Wartenbergs lösten einander ab, bis 1704 der
Etatsminister und Schloßhauptmann _Marquardt_ Ludwig von Printzen das
reizende Schorin vom Könige zum Geschenk, und das Geschenk selber, dem
Minister zu Ehren, den Namen _Marquardt_ erhielt.
An von Printzen, der sieben hohe Standesämter bekleidete und
ebensoviele Titel führte, läßt sich die Phrase vom „unsterblichen
Namen“ mustergültig studieren. Wer kennt ihn noch? Und doch war der
Ruhm, den er seinerzeit genoß, ein so allgemeiner und wohlverdienter,
daß selbst der medisante Herr von Pöllnitz nicht umhin konnte,
in seinen Memoiren zu schreiben: „Um 1710 wurde von Printzen zum
_Oberhofmarschall_ ernannt. Seine Verdienste machten ihn dieser Stelle
vollkommen würdig. Der Hof, bei welchem er schon sehr jung angestellt
worden war, hatte weder seine Sitten noch sein Herz verdorben. Treue
und Redlichkeit waren die Triebfedern aller seiner Handlungen und
man kann mit Wahrheit sagen, daß unter allen Ministern des Königs
er derjenige war, der den Meinders und Fuchs, welche Deutschland
unter seine größten Männer rechnete, am meisten gleichkam. Seine
Aufrichtigkeit hatte ihm jedermanns Liebe zugezogen. Selbst der
Kronprinz, der ein geborener Feind aller Minister war, konnte ihm seine
Hochachtung nicht versagen, so daß er, als der Prinz zur Regierung kam,
der Einzige war, der seine Stelle behielt.“
So Pöllnitz über von Printzen. Ein Glück, daß sieben Hof- und
Staatsämter ihn bei _Lebzeiten_ schadlos hielten für die Undankbarkeit
der Nachwelt. Er bezog vierzigtausend Taler jährlich. Unter seinen
vielen Ämtern war auch das eines „Direktors des Lehnswesens“, was die
Anhäufung von Lehnsbriefen des gesamten Havellandes im Marquardter
Archive erklären mag.
von Printzen starb 1725; schon sechs Jahre früher (1719) war das
anmutige Schorin, nunmehr Marquardt, in die Hände der Familie _von
Wykerslot_ übergegangen, die, zu Anfang des Jahrhunderts, vom
Niederrhein, dem Jülichschen und Cleveschen her, ins Land gekommen war.
Vater und Sohn folgten einander im Besitz, jagten und prozessierten ein
halbes Jahrhundert lang und erwarben sich das im engsten Zusammenhang
damit stehende fragwürdige Verdienst, das Gutsarchiv mit den meisten
Aktenbündeln, diesmal nicht Lehnsbriefe, vermehrt zu haben. Es war eine
kalvinistische Familie und das Interessanteste aus ihrer Besitzzeit
bleibt wohl, daß, obschon sie die Kirche aus eigenen Mitteln erbaut
hatten, ihnen, solange Friedrich Wilhelm I. regierte, _nicht_ gestattet
wurde, das heilige Abendmahl in dieser ihrer Kirche aus der Hand eines
reformierten Geistlichen zu empfangen. Die Wykerslot mußten sich, an
ihrem eigenen Gotteshause vorbei, nach Nattwerder begeben, einer
benachbarten Schweizerkolonie, wo das Abendmahl nach kalvinistischem
Ritus erteilt wurde.
1781 starb der jüngere Wykerslot. War der Besitz bis zu diesem
Zeitpunkte kein konstanter gewesen, so wurde er von jetzt ab, in
der Unruhe sich steigernd, ein beständig wechselnder, so daß wir
in dem kurzen Zeitraum von 1781 bis 1795, die Wykerslots noch mit
eingerechnet, das nunmehrige Marquardt in Händen von vier verschiedenen
Familien sehen. Die Nähe Potsdams -- wie bei vielen ähnlichen Punkten
-- spielte dabei eine Rolle. Wer dem Hofe nahe stand, oder, wer außer
Dienst, es schwer fand, sich ganz aus der Sonne zurückzuziehen,
wählte mit Vorliebe die nahegelegenen Ortschaften. Unter diesen auch
Marquardt. Hofleute erstanden es, nahmen hier ihre Villeggiatur und
verkauften es wieder. Die Besitzreihe war die folgende:
Oberstleutnant von Münchow von 1781 bis 1789, Hofmarschall von
Dorville von 1789 bis 1793, Kammerherr und Domherr Baron von
Dörenberg von 1793 bis 1795, General von Bischofswerder von 1795
bis 1803.
Über die Besitzzeiten der erstgenannten drei ist wenig zu sagen. Von
Münchow errichtete seiner verstorbenen Frau ein Rokoko-Denkmal mit
der Inschrift: „Friede sei über ihrer würdigen Asche“; Dorville und
Dörenberg gingen spurlos vorüber. Erst mit General von Bischofswerder
begann eine neue Zeit. Marquardt trat in die Reihe der historischen
Plätze ein.
Marquardt von 1795 bis 1803
General von Bischofswerder
Die Zeit der Heerlager war vorüber, der Baseler Friede geschlossen;
in demselben Jahre war es, 1795, daß der General von Bischofswerder
Marquardt käuflich an sich brachte, nach einigen aus dem Vermögen
seiner zweiten Frau, nach andern aus Mitteln, die ihm der König
gewährt hatte. Das letztere ist das wahrscheinlichere. Gleichviel,
er erstand es und gab dem Herrenhause, dem Park, dem Dorfe selbst,
im wesentlichen den Charakter, den sie samt und sonders bis diesen
Augenblick zeigen. So wenig Jahre er es besaß, so war dieser
Besitz doch epochemachend. Ehe wir darzustellen versuchen, was
Marquardt damals sah und erlebte, versuchen wir eine Schilderung des
einflußreichen und merkwürdigen Mannes selbst.
Hans Rudolf von Bischofswerder wurde am 11. November 1740 zu
Ostramondra im sächsisch-thüringischen Amte Eckartsberga geboren.[32]
Die Angabe von Tag und Jahr ist zuverlässig, die Ortsangabe fraglich.
Sein Vater war Adjutant bei dem Marschall von Sachsen, warb für
Frankreich das Regiment Chaumontet und starb als Oberst im Dienst der
Generalstaaten.
Hans Rudolf von Bischofswerder studierte von 1756 an zu Halle,
nahm dann Kriegsdienste und trat 1760 in das preußische Regiment
Karabiniers, dessen Kommandeur ihn zu seinem Adjutanten machte. In
dieser Eigenschaft wohnte er den letzten Kämpfen des siebenjährigen
Krieges bei. Noch während der Kampagne stürzte er mit dem Pferde,
erlitt einen Rippenbruch, und zunächst wenigstens sich außerstande
sehend, die militärische Laufbahn fortzusetzen, begab er sich auf sein
Landgut in der sächsischen Lausitz, wo er sich 1764 mit einer Tochter
des kursächsischen Kammerherrn _von Wilke_ vermählte. Er lebte hier
mehrere Jahre in glücklicher Zurückgezogenheit und „übte, wie es in
einer der zeitgenössischen Schriften heißt, all die gesellschaftlichen
und häuslichen Tugenden die ihm die Hochachtung derer, die ihn kannten,
erwarben.“
Sein guter Ruf verschaffte ihm die Ehre, als Kavalier an den
sächsischen Hof gerufen zu werden. Von hier aus machte er mit dem
Prinzen Xaver eine Reise nach Frankreich. Bald nach seiner Rückkehr
wurde er Kammerherr des Kurfürsten, hiernächst Stallmeister des Prinzen
Karl, Herzogs von Kurland.
Herzog Karl von Kurland, Sohn Friedrich August II., lebte damals
zumeist in Dresden und gehörte in erster Reihe zu jener nicht
kleinen Zahl von Fürstlichkeiten, die für das epidemisch auftretende
Ordenswesen, für Goldmachekunst und Geister-Erscheinungen ein lebhaftes
Interesse zeigten.
So konnte es denn kaum ausbleiben, daß auch Bischofswerder, wie alle
übrigen Personen des Hofes, zu jenen Alchymisten und Wunderleuten in
nähere Beziehung trat, die damals beim Herzoge aus- und eingingen.
Unter diesen war Johann Georg Schrepfer der bemerkenswerteste. Er besaß
einen „Apparat“, der so ziemlich das Beste leistete, was nach dieser
Seite hin in damaliger Zeit geleistet werden konnte. Dazu war er kühn
und von einem gewissen ehrlichen Glauben an sich selbst. Es scheint,
daß er, inmitten aller seiner Betrügereien, doch ganz aufrichtig die
Meinung unterhielt: jeder Tag bringt Wunder; warum sollte am Ende nicht
auch mir zu Liebe ein Wunder geschehen? Als trotz dieses Glaubens die
eingesiegelten Papierschnitzel nicht zu Golde werden wollten, erschoß
er sich im Leipziger Rosental (1774). Bischofswerder war unter den
Freunden, die ihn auf diesem Gange begleiteten und denen er eine
„wunderbare Erscheinung“ zugesagt hatte.
Die ganze Schrepfer-Episode hatte als Schwindel-Komödie geendet. Aber
so sehr sie für Unbefangene diesen Stempel trug, so wenig waren die
Adepten geneigt, ihren Meister und seine Kunst aufzugeben. Man trat
die Schrepfersche Erbschaft an und zitierte weiter. Friedrich Förster
erzählt: „Bischofswerder, in einem Vorgefühl, daß hier ein Schatz,
eine Brücke zu Glück und Macht gefunden sei, wußte den Schrepferschen
Apparat zu erwerben.“ Doch ist dies nicht allzu wahrscheinlich. Wenn
Bischofswerder später sehr ähnlich operierte, so konnte er es, weil
ein längerer intimer Verkehr mit dem „Meister“ ihn in alle Geheimnisse
eingeführt hatte.
Der prosaische Ausgang Schrepfers -- prosaisch, trotzdem er mit
einem Pistolenschuß endete -- hatte unseren Bischofswerder nicht
_um_gestimmt, aber verstimmt; er gab Dresden auf, oder _mußte_ es
aufgeben, da der ganze Hergang doch viel von sich reden machte und
nicht gerade zugunsten der Beteiligten. Er ging nach Schlesien und
lebte einige Zeit (1774 bis 1775) in der Nähe von Grünberg, auf den
Gütern des Generals von Frankenberg. Bischofswerders äußere Lage war
damals eine sehr bedrückte.
Dieser Aufenthalt vermittelte auch wohl den Wiedereintritt
Bischofswerders in den preußischen Dienst, der nach einigen Angaben
1775 oder 1776, nach anderen erst bei Ausbruch des bayerischen
Erbfolgekrieges 1778 erfolgte. Prinz Heinrich verlangte ihn zum
Adjutanten; als sich diesem Verlangen indes Hindernisse in den
Weg stellten, errichtete von Bischofswerder, inzwischen zum Major
avanziert, ein sächsisches Jägerkorps, das der Armee des „Rheinsberger
Prinzen“ zugeteilt wurde.
Beim Frieden hatte diese Jägertruppe das Schicksal, das ähnliche
Korps immer zu haben pflegen: es wurde aufgelöst. König Friedrich
II. indes, „der die Menschen kannte“, nahm den nunmehrigen Major von
Bischofswerder in seine Suite auf, worauf sich dieser in Potsdam
niederließ. Die schon zitierte Schrift schreibt über die sich
unmittelbar anschließende Epoche (von 1780 bis 1786) das Folgende:
„Um diese Zeit war es auch, daß der damalige Prinz von Preußen, der
spätere König Friedrich Wilhelm II., ihn kennen lernte und seines
besonderen Zutrauens würdig fand. Wobei übrigens eigens bemerkt
sein mag, daß von Bischofswerder der einzige aus der Umgebung des
begleitete er das Bild mit einem Gedichte, das folgendermaßen lautete:
_Der Kritiker._
Nun das ist wahr, mein Herr Rösel,
Ihre Zeichnung ist wirklich höchst originell,
Man möchte schwören 's wär leeres Papier,
So schrecklich klar ist Ihre Manier.
Solch Angebinde kein Kind begehrt,
Am wenigsten ist es den Rahmen wert.
_Der Zeichner._
Geb zu, Sie treiben mich in die Eng',
Aber sind doch viel zu streng.
Diese Zeichnung erkennen bloß Kinder des Lichts,
Sie sind aber keins, drum sehen Sie nichts.
Ich lass' Ihnen noch acht Tage Ruh,
Dann sehn Sie mal wieder nach oder zu.
_Der Kritiker._
Nun merk' ich, wie's zusammenhängt:
So geht es, wenn man _zu spät anfängt_.
Diese Verse sind auf die Rückseite geklebt, passen aber insoweit nicht
mehr, als daß Bild jetzt in allen Stücken fertig ist.
Außer diesen eingerahmten Bildern besitzt die Familie Zimmermann noch
eine ganze Anzahl von Zeichnungen, die als Vorlegeblätter benutzt
werden. Wenn mich nicht alles täuscht, stehen sie, in ihrer saubren
Einfachheit, künstlerisch höher, als die sorglich ausgeführten großen
Landschaften.
Hierher gehört auch ein Kästchen, auf dessen Deckel er eine kleine
Niedlichkeit gezeichnet hat. Dies Kästchen, als er es schenkte, war von
folgenden vier Zeilen begleitet:
Hölzern ist die Gabe
Und leer im Innern; drum habe
Den Inhalt ich mit gutem Bedacht
Gleich von _außen_ angebracht.
II. Kuriositäten
Alle diese Dinge sind heute, wo jeder dritte Mensch in Rom und Neapel
war, zu wertlosem Trödelkram geworden. Vor fünfzig Jahren hatten sie
noch einigermaßen eine Bedeutung. Es sind das die „Scherben“, von denen
der vorstehende aus Rom mitgeteilte Brief ~H. W.~'s spricht. Ich leiste
deshalb auch Verzicht darauf, die einzelnen Stücke hier namentlich
aufzuführen.
III. Briefe
Dies ist der Hauptschatz, und sie geben nicht nur ein vollkommenes und
wie ich meine sehr liebenswürdiges Bild des Mannes, sondern auch seiner
Zeit. Alte Berliner werden diese kleinen Schnitzel nicht ohne Freude,
manche nicht ohne Bewegung lesen. Die etwa zwanzig, die ich mitteile,
sind aus ein paar hundert ähnlicher ausgewählt. Meistens sind sie auf
Papier in Duodezformat geschrieben, einige auf Karten, wie sie jetzt
wieder Mode sind, und alle haben sie den rotgetuschten Rand, dessen
~H. W.~ in seinem Briefe Erwähnung tut. Nur wenige sind gesiegelt und
zeigen dann ein Efeublatt mit den Initialen ~S. R.~ Und nun mögen die
Briefe selber sprechen.
Den 4. Mai 1826.
Wär's vielleicht um zwei?
Wär's vielleicht um drei?
Jedenfalls dabei.
Euer ~R~
Sonntag _Rogate_ 1826.
Wo seid Ihr heute,
Lieben Leute?
An der Panke?
Ich danke.
An der Spree?
Da käm' ich. Juchhe!
Dienstag, 23. _Januar_ 1827.
Für den Seume schick ich hier den Heinrich von Kleist. Ich bitte später
daraus vorlesen zu dürfen. Was macht der Onkel? Besser? Ich werd' es
sonst bei _Barez_ bestellen!
23. _April_ 1827.
Gestern war Sonntag Quasimodo und ich war quasi modo dicht am Sterben.
O diese höllische Migräne! Das einzige Mittel ist Ruhe. „Ruhe ist die
erste _Bürger_-Pflicht“ sagte schon Minister von der Schulenburg. Aber
an Migränetagen dürfen es sich auch Hochadlige gesagt sein lassen. Und
dann natürlich auch Kamillentee. Anbei sende ich den ersten Teil von
Heinrich von Kleist zurück. Darf ich mir dafür _den_ Teil erbitten,
in dem die Novelle „_Hans Kohlhaas_“ steht? Auch nehme ich mit dem
_Käthchen von Heilbronn_ oder dem Prinzen _von Homburg_ vorlieb.
Donnerstag, den 14. _Juni_ 1827. Am Tage Sankt Modesti des
modestesten Heiligen.
In Ermangelung von etwas Besserem schicke ich das beifolgende Bildchen,
das ich, je nachdem es die Größe des Kästchens verlangt, bei ~a~ oder
bei ~b~ abzuschneiden bitte. Wird bei ~b~ abgeschnitten, so fällt der
alte Herr auf dem Baume weg und die Birnen fallen dann, wie vom Himmel,
in die Schürze der Sammlerin. -- Unbekleidetes könnt ich in Menge
liefern, aber das könnte Sankt Modestus übelnehmen und mit Heiligen
darf man's nicht verderben. Wir haben's hier unendlich heiß und ich
verkoche ganz allmählich, wobei mich nur die Krebse trösten, die längst
gewohnt sind, lebendig gesotten zu werden. Haltet Euch tapfer in
Pankow!
Donnerstag, den 6. _Dezember_ 1827 am Tage des heiligen Nikolas,
der den frommen und fleißigen Kindern goldne Äpfel bringt.
Und auch ich komme nicht mit leeren Händen und schicke endlich das
versprochene Buch. Trotz allem Ungewissen steckt doch viel Wissen
darin. Ein eigentliches Urteil darüber habe ich nicht, weil ich es
nicht ganz verstehe; doch habe ich Meinungen, die einem Urteil beinah
gleichkommen. Selbst Professor Hegel sprach mit großer Achtung und
Schonung einige Worte über den jugendlichen Autor aus.
Montag, den 3. _November_ 1828. Am Tage Gottlieb.
So hört denn: Alle die Gott lieben,
In Wohltun nie zurückgeblieben,
Hungrige speisen, Durstige tränken,
Arme zum Geburtstag beschenken,
Beschenken in Gnad und Überfluß --
Euch, Ihr Lieben, herzlichen Gruß!
Den 5. _März_ 1829. (Mit einigen Fragmenten aus dem Äsculap-Tempel
in Pompeji.)
Gestohlen? So haben wir nicht gewettet.
Ich habe es gefunden und -- gerettet.
Den 26. _Dezember_ 1829. Am Tage des heiligen Stephanus, des
ersten Märtyrers.
Ich komme bestimmt noch, aber leider erst spät, da ich noch notwendig
zu dem Silberpärchen _Mendelssohn-Bartholdy_ muß.
Montag, den 19. _September_ 1831.
Cholera her, Cholera hin,
Leben, leben ist Gewinn
Und könnt ihr mir morgen 'ne Suppe geben,
So möcht ich morgen wohl noch leben.
Mittwoch, den 2. _November_ 1831.
Als ich vor zweiundvierzig Jahren nach Berlin kam, gab es eine
Gesellschaft, welche sich „~la Société du Mercredi~“ nannte und immer
Donnerstags zusammenkam. Warum sollte es der gütigen Madame Jordan
nicht erlaubt sein, ihren Donnerstag auf den Freitag zu verlegen?
Sonntag, den 6. _November_ 1831 am Tage Sankt Leonhard oder
Löwenherz.
Am heutigen Tage muß ich mir ein Löwenherz fassen und Dir schreiben,
daß ich beim besten Willen nicht kommen kann, da heute zwei ehrenveste
Geburtstagskinder: der alte Hofzimmermeister _Glatz_ und Fräulein Luise
Hotho befeiert werden müssen. Morgen bin ich bei Feilners.[31]
Freitag, den 18. _November_ 1831.
Hier meine teure Fanny, sende ich Ihnen den verheißenen Briefwechsel
zwischen Goethe und Schiller, oder, wenn es die gute Tante so will,
zwischen Schiller und Goethe. Streng genommen gebührt aber diesem
letzteren der Vorrang, dieweil durch seine früheren unsterblichen und
höchst genialischen Werke der viel jüngere Schiller zum Schreiben und
Dichten erst angeregt wurde, Goethe aber die weite Bahn sich selbst
eröffnete. Vielleicht söhnt sich Tantchen durch diese Briefe mit dem
verhaßten Goethe aus. Ich würde mich über solche Bekehrung herzlich
freuen, denn jedes überwundene Vorurteil gewährt einen Triumph.
23. _Juni_ 1832.
Ich kann leider nicht kommen. Am Sankt Johannistage gehöre ich dem
_Orden_ an, und muß diesen Tag feiern helfen, wie eben jeder gute
Christ tun sollte. Denn Johannes der Täufer wurde von Oben gewürdigt
und berufen, dem Messias den Weg zu bahnen, auf daß der von Gott
Gesandte die Menschen zur ewigen Glückseligkeit, d. h. zum Leben in
Gott zurückführe.
Freitag, 4. _Januar_ 1833. Am Tage Methusalem oder Methusalah,
der sich bekanntlich schämte tausend Jahr alt zu werden und schon
im neunhundertneunundsechzigsten, in der Blüte des reiferen
Mannesalters, das Zeitliche segnete.
Sie fragen, liebe Fanny, was ~coq-à-l'âne~ bedeutet? Soviel wie
ungereimtes Zeug oder Durcheinander oder Quodlibet. Denn wenn Hahn und
Esel sich in die Rede fallen, so kommt nicht viel Gescheites heraus.
13. ~April~ 1833.
Bin leider immer noch krank. Und hätte doch geglaubt, einen bequemeren
Posten verdient zu haben, als den eines Nachtwächters, der die Stunden
abhusten muß.
Sonntag, den 14. _April_ 1833.
Die Grippe nimmt schweren Abschied von mir. Ich kann es ihr nicht
verdenken; es ging ihr so gut bei mir. Aber sie muß fort.
Dienstag, 16. _April_ 1833.
Es geht endlich besser. Schickt nun nichts mehr für den Kranken. Heute
wird Gräfin _Sophie Schwerin_ für mich sorgen und morgen _Mendelssohns_
in der Jägerstraße. Donnerstag komm ich selbst.
In demselben Jahre (1833) machte er eine Sommer-, Studien- und
Erholungs-Reise bis nach Hessen und Westfalen und im August nach Berlin
zurückgekehrt, schrieb er einen langen Reisebrief an seine Freundin
_Fanny Jordan_, die mittlerweile Frau Steuerrätin Hedemann zu Demmin in
Pommern geworden war. Der Brief lautet:
_Berlin_, 18. _August_ 1833.
Mit fast noch größerm Recht als der muskauwitische Fürst Pückler,
könnte ich seit dem fünften Juli dieses Jahres meine Episteln: „_Briefe
eines Verstorbenen_“ titulieren, denn an jenem Tag stand mein Leben
still und alle meine Sinne versagten mir den Dienst. Zwar wäre diese
Todesart eine ganz exzellente zu nennen gewesen, denn ich verschied in
den Armen zweier Exzellenzen: Minister von Klewitz und Generalleutnant
Graf von Hacke, auf des letztern Hausflur zu Magdeburg, aber ich bin
nicht so eitel und ziehe ein bescheidenes Leben einer glänzenden
Todesart vor. Mein alter Freund, der Medizinalrat ~Dr.~ Schulz, trat
zur rechten Zeit ins Haus, denn der entscheidende Augenblick war
nahe und nur ein Aderlaß konnte mich retten. Die Herren Homöopathen
mögen dagegen sagen, was sie wollen, denn alle ihre niedlichen
Riechfläschchen und Million-Teilchen hätten mich nicht wieder ins Leben
gerufen. Mir gelang es besser, wie jenem armen Sünder, der auf dem
Wege zum Galgen gefragt: „Ob er etwas zu seiner Erquickung begehre,
etwa einen Schluck Wein?“ um einen Aderlaß bat, und auf die Frage:
„warum gerade _das_?“ antwortete: „man hab' ihm immer gesagt, der erste
Aderlaß könne vom Tode retten.“
_Mir_ hat's geholfen, dem armen Jungen aber nicht, trotzdem ich in
Städten und Schlössern viel mehr eingesteckt habe, als er. Aber so geht
es in der Welt: Die kleinen Diebe henkt man, und die großen läßt man
laufen.
Sorgfältiger und liebevoller kann kein Bruder vom andern gepflegt und
gewartet werden, als ich im Gräflich von Hackeschen Hause, und so ward
es mir möglich nach acht Tagen meine Reise langsam fortzusetzen. Die
Krisis war glücklich überstanden, und ich gehörte endlich wieder zu der
uralten Familie A-Grippa, d. h. zu der, welche die Grippe _nicht_ hat.
Leider trat mit der Sonnenfinsternis am 17. Juli erst Nebel, dann Regen
und Kälte ein, so daß ich meinem Skizzenbuche nur schmale Kost reichen
konnte. Ein Fremder an der Table d'hôte in Hildesheim nannte den feinen
Nebel-Regen „Luft-Schweiß“; er ist aber dem kalten Todes-Schweiße noch
ähnlicher, der allen zarten Pflänzchen den Garaus macht. Zu meinem
Glücke reise ich nicht bloß auf schöne Gegenden, Kirchen, Schlösser
und Altertümer, sondern vor allem auf Menschen. Papa Goethe hat wohl
recht, wenn er sagt: „Die Welt ist so leer, wenn man nur Berge, Flüsse
und Städte darinnen sich denkt; aber hie und da jemand zu wissen, der
mit uns übereinstimmt, mit dem wir auch stillschweigend fortleben, das
macht dieses Erdenrund erst zu einem bewohnten Paradies-Gärtlein.“
Da mochte es denn regnen und kalt sein, ich sonnte mich an den vielen,
des unverhofften Wiedersehens sich freuenden Augen alter Freunde und
Bekannter, die mir fast an jedem Orte entgegenleuchteten und mich
alles Ungemach der Witterung vergessen ließen. Und so schied ich
denn auch von jedem Orte viel reicher an Freunden und interessanten
Bekanntschaften, als ich kam. Der Herzens-Kalender füllte sich
zusehends mit neuen Geburtstagen und Lebens-Festen, und solches tut
auch not, denn in der letzten Zeit war der Abgang stärker, als Zuwachs.
--
Den Geburtstag unsres teuren Königs feierte ich, trotz Sturm und
Drang, auf einem höchst klassischen Boden und zwar im Arnsbergischen
Regierungs-Bezirk, auf den Grundmauern der Burg Karls des Großen, wo
er Reichsversammlungen und Zehnt-Gerichte hielt, wo ihn die Päpste
Hadrian I. und Leo III. besuchten, und allwo er die widerspenstigen
und ungläubigen Sachsen ziemlich unsanft bekehrte. Dies war auch der
weiteste Punkt meines Streif-Zuges, denn da ich durch mein Sterben
und Auferstehn in Magdeburg zwölf Tage von der Urlaubs-Zeit eingebüßt
hatte, und nur kleine Reisen wagen durfte, um nicht zum zweiten und
vielleicht letztenmal zu verscheiden, so mußt ich Kehrt machen, ohne
den alten Vater Rhein begrüßt zu haben. Und so bin ich denn über
Arolsen, Kassel, Heiligenstadt, Nordhausen, Eisleben, Halle, Wittenberg
am 8. August wieder heimgekehrt. Noch zu guterletzt feierte ich in
Halle ein beseligendes Fest des Wiedersehens und zwar im Gasthofe am
Zeitungstisch. Da saß ein eifriger Zeitungsleser in den Hamburger
Korrespondenten ganz und gar versunken; plötzlich sah er auf und
schrie: „Sind Sie's wirklich, lieber Rösel?“ „Ja, ich bin's Exzellenz.“
Es war mein alter Freund und Gönner, der Chef-Präsident von Vincke aus
Münster. Seine Umarmung bei meinem Einsteigen in die Extra Post-Chaise
gab mir in den Augen der Umstehenden ein gewaltiges „Basrelief“ wie
General Elsner zu sagen pflegte.
An der nächsten Station hielt gleichzeitig mit meinem Post-Wägelchen
ein stattlicher Reise-Wagen. Ein elegant gekleideter Reisender stieg
aus, und siehe, es war der Hofbuchdrucker _Rudolph Decker_. Bald
darauf kuckte mich auch sein _Schätzellchen_ gar freundlich an. Da
gab's etwas zu erzählen, vom schönen Musik-Feste in Düsseldorf, von
den trefflichen jungen Künstlern daselbst usw. So plauderten wir von
Station zu Station bis Wittenberg, wo wir noch miteinander zu Abend
speiseten und uns ein: ‚auf Wiedersehen in Berlin‘ zutranken. Denn ich
wollte in Wittenberg übernachten, das junge Paar aber in einem Striche
weiter rollen.
Seit dem Wiederaufleben in Magdeburg esse und trinke ich mit gesundem
Appetite, schlafe wie ein Murmeltier und fühle mich gesund und heiter
wie ein Fisch im Wasser....
* * * * *
Am 8. Juli 1843 starb Rösel und wurde auf dem Bornstädter Kirchhof
begraben. Die Chronik der königlichen Akademie der Künste brachte das
Jahr darauf folgenden kurzen Nekrolog: „_Johann Gottlob Samuel Rösel_,
geboren zu Breslau den 9. Oktober 1768 (die Grabinschrift sagt 1769),
wurde am 14. Februar 1824 zum ordentlichen Mitgliede der Akademie
gewählt. Schon vorher war er königlicher Professor und Zeichenlehrer
an der Bauschule. Als geistreicher Landschaftszeichner geschätzt, bis
ins Alter von unverwüstlicher Heiterkeit und bei beschränkten Mitteln
unermüdlich im Wohltun, folgt ihm das ehrende Andenken zahlreicher
Freunde. Von königlicher Huld in den Gartenschlössern bei Potsdam bis
an sein Ende gepflegt, starb er ebendaselbst.“
Auch noch in seiner letzten Krankheit war er durch Geheimrat
~Dr.~ Zimmermann ärztlich behandelt worden. An sogenannten
„Erlebnissen“ hat sein Leben wohl wenig aufzuweisen. Er gehörte ganz
und gar einer gemütlichen Form gesellschaftlichen Daseins an; darin
ging er auf und man würde sagen müssen auch unter, wenn sein Talent und
seine Bedeutung ein so feierlich klingendes Wort überhaupt gestattete.
Denn alles an ihm war Dilettantismus. Er erinnert in vielen Stücken an
_Wilhelm Hensel_, der den besten Teil seines Lebens auch an vornehmen
Umgang, an Einsammeln von Zelebritätsköpfen für seine Porträtmappe
und an Briefchen und Gedichtchen setzte. Nichtsdestoweniger war ein
Unterschied, und einer unsrer gegenwärtigen Altmeister, der _beide_
noch gekannt hat, brach, als ich auf die vorstehende Parallele
hinwies, unter herzlichem Lachen in die Worte aus: „Um Gottes willen
nicht! Mit Hensel war es nicht viel, aber gegen Rösel war er ein Gott.“
Mit zwei Anekdoten will ich schließen. Schleiermacher und Rösel,
beide Breslauer, beide klein und verwachsen, trafen sich in einer
Gesellschaft und erinnerten sich, auf derselben Schulbank gesessen zu
haben. „Wir waren damals halbwachsen“ sagt Rösel. „Im Grunde genommen“
lachte Schleiermacher „sind wir's auch geblieben.“
In der zweiten Anekdote spielt Rösel seinerseits die Hauptrolle. Er saß
in Sanssouci mit bei Tisch und Friedrich Wilhelm IV. stieß aus Versehen
ein Glas Portwein um. „Was sagen Sie nun?“ fragte der König. „Gott,
Majestät“ antwortete Rösel „eben war es noch Portwein und jetzt ist es
bloß Tischwein.“
[31] In einem sehr viel späteren Briefe (27. Januar 1841) heißt es: „Es
war gestern, trotz der kalten Witterung, ein schwüler Tag für mich.
Der Abschied aus dem alten, ehrwürdigen Hause _Feilner_ hatte mich
windelweich gemacht. Ich hätte stundenlang wie ein Kind weinen können!“
Marquardt
Des Hofes Glanz und Schimmer
Blinkt nur wie faules Holz,
Die Kirche lebt vom Flimmer
Und wird vor Demut stolz;
Arm sind des Lebens Feste,
Rings abgestandner Wein,
Das Höchste und das Beste,
Wie niedrig und wie klein.
=Walter Raleigh=
Eine Meile hinter Bornstädt liegt _Marquardt_, ein altwendisches Dorf,
ebenso anziehend durch seine Lage, wie seine Geschichte. Wir passieren
Bornim, durchschneiden den „Königsdamm“ und münden unmerklich auf der
Chaussee in die Dorfstraße ein, zu deren Linken ein prächtiger Park bis
an die Wublitz und die breiten Flächen des Schlänitz-Sees sich ausdehnt.
Die gegenwärtige Gestalt von Marquardt, ebenso wie sein Name, ist noch
jung; in alten Zeiten hieß es _Schorin_. Im fünfzehnten Jahrhundert,
und weiter zurück, war es im Besitz zweier Familien; die eine davon
nannte sich nach dem Dorfe selbst (Zabel _von Schorin_ 1375), die
andere waren die _Bammes_. Der Besitz wechselte oft; die Brösickes,
Hellenbrechts und Wartenbergs lösten einander ab, bis 1704 der
Etatsminister und Schloßhauptmann _Marquardt_ Ludwig von Printzen das
reizende Schorin vom Könige zum Geschenk, und das Geschenk selber, dem
Minister zu Ehren, den Namen _Marquardt_ erhielt.
An von Printzen, der sieben hohe Standesämter bekleidete und
ebensoviele Titel führte, läßt sich die Phrase vom „unsterblichen
Namen“ mustergültig studieren. Wer kennt ihn noch? Und doch war der
Ruhm, den er seinerzeit genoß, ein so allgemeiner und wohlverdienter,
daß selbst der medisante Herr von Pöllnitz nicht umhin konnte,
in seinen Memoiren zu schreiben: „Um 1710 wurde von Printzen zum
_Oberhofmarschall_ ernannt. Seine Verdienste machten ihn dieser Stelle
vollkommen würdig. Der Hof, bei welchem er schon sehr jung angestellt
worden war, hatte weder seine Sitten noch sein Herz verdorben. Treue
und Redlichkeit waren die Triebfedern aller seiner Handlungen und
man kann mit Wahrheit sagen, daß unter allen Ministern des Königs
er derjenige war, der den Meinders und Fuchs, welche Deutschland
unter seine größten Männer rechnete, am meisten gleichkam. Seine
Aufrichtigkeit hatte ihm jedermanns Liebe zugezogen. Selbst der
Kronprinz, der ein geborener Feind aller Minister war, konnte ihm seine
Hochachtung nicht versagen, so daß er, als der Prinz zur Regierung kam,
der Einzige war, der seine Stelle behielt.“
So Pöllnitz über von Printzen. Ein Glück, daß sieben Hof- und
Staatsämter ihn bei _Lebzeiten_ schadlos hielten für die Undankbarkeit
der Nachwelt. Er bezog vierzigtausend Taler jährlich. Unter seinen
vielen Ämtern war auch das eines „Direktors des Lehnswesens“, was die
Anhäufung von Lehnsbriefen des gesamten Havellandes im Marquardter
Archive erklären mag.
von Printzen starb 1725; schon sechs Jahre früher (1719) war das
anmutige Schorin, nunmehr Marquardt, in die Hände der Familie _von
Wykerslot_ übergegangen, die, zu Anfang des Jahrhunderts, vom
Niederrhein, dem Jülichschen und Cleveschen her, ins Land gekommen war.
Vater und Sohn folgten einander im Besitz, jagten und prozessierten ein
halbes Jahrhundert lang und erwarben sich das im engsten Zusammenhang
damit stehende fragwürdige Verdienst, das Gutsarchiv mit den meisten
Aktenbündeln, diesmal nicht Lehnsbriefe, vermehrt zu haben. Es war eine
kalvinistische Familie und das Interessanteste aus ihrer Besitzzeit
bleibt wohl, daß, obschon sie die Kirche aus eigenen Mitteln erbaut
hatten, ihnen, solange Friedrich Wilhelm I. regierte, _nicht_ gestattet
wurde, das heilige Abendmahl in dieser ihrer Kirche aus der Hand eines
reformierten Geistlichen zu empfangen. Die Wykerslot mußten sich, an
ihrem eigenen Gotteshause vorbei, nach Nattwerder begeben, einer
benachbarten Schweizerkolonie, wo das Abendmahl nach kalvinistischem
Ritus erteilt wurde.
1781 starb der jüngere Wykerslot. War der Besitz bis zu diesem
Zeitpunkte kein konstanter gewesen, so wurde er von jetzt ab, in
der Unruhe sich steigernd, ein beständig wechselnder, so daß wir
in dem kurzen Zeitraum von 1781 bis 1795, die Wykerslots noch mit
eingerechnet, das nunmehrige Marquardt in Händen von vier verschiedenen
Familien sehen. Die Nähe Potsdams -- wie bei vielen ähnlichen Punkten
-- spielte dabei eine Rolle. Wer dem Hofe nahe stand, oder, wer außer
Dienst, es schwer fand, sich ganz aus der Sonne zurückzuziehen,
wählte mit Vorliebe die nahegelegenen Ortschaften. Unter diesen auch
Marquardt. Hofleute erstanden es, nahmen hier ihre Villeggiatur und
verkauften es wieder. Die Besitzreihe war die folgende:
Oberstleutnant von Münchow von 1781 bis 1789, Hofmarschall von
Dorville von 1789 bis 1793, Kammerherr und Domherr Baron von
Dörenberg von 1793 bis 1795, General von Bischofswerder von 1795
bis 1803.
Über die Besitzzeiten der erstgenannten drei ist wenig zu sagen. Von
Münchow errichtete seiner verstorbenen Frau ein Rokoko-Denkmal mit
der Inschrift: „Friede sei über ihrer würdigen Asche“; Dorville und
Dörenberg gingen spurlos vorüber. Erst mit General von Bischofswerder
begann eine neue Zeit. Marquardt trat in die Reihe der historischen
Plätze ein.
Marquardt von 1795 bis 1803
General von Bischofswerder
Die Zeit der Heerlager war vorüber, der Baseler Friede geschlossen;
in demselben Jahre war es, 1795, daß der General von Bischofswerder
Marquardt käuflich an sich brachte, nach einigen aus dem Vermögen
seiner zweiten Frau, nach andern aus Mitteln, die ihm der König
gewährt hatte. Das letztere ist das wahrscheinlichere. Gleichviel,
er erstand es und gab dem Herrenhause, dem Park, dem Dorfe selbst,
im wesentlichen den Charakter, den sie samt und sonders bis diesen
Augenblick zeigen. So wenig Jahre er es besaß, so war dieser
Besitz doch epochemachend. Ehe wir darzustellen versuchen, was
Marquardt damals sah und erlebte, versuchen wir eine Schilderung des
einflußreichen und merkwürdigen Mannes selbst.
Hans Rudolf von Bischofswerder wurde am 11. November 1740 zu
Ostramondra im sächsisch-thüringischen Amte Eckartsberga geboren.[32]
Die Angabe von Tag und Jahr ist zuverlässig, die Ortsangabe fraglich.
Sein Vater war Adjutant bei dem Marschall von Sachsen, warb für
Frankreich das Regiment Chaumontet und starb als Oberst im Dienst der
Generalstaaten.
Hans Rudolf von Bischofswerder studierte von 1756 an zu Halle,
nahm dann Kriegsdienste und trat 1760 in das preußische Regiment
Karabiniers, dessen Kommandeur ihn zu seinem Adjutanten machte. In
dieser Eigenschaft wohnte er den letzten Kämpfen des siebenjährigen
Krieges bei. Noch während der Kampagne stürzte er mit dem Pferde,
erlitt einen Rippenbruch, und zunächst wenigstens sich außerstande
sehend, die militärische Laufbahn fortzusetzen, begab er sich auf sein
Landgut in der sächsischen Lausitz, wo er sich 1764 mit einer Tochter
des kursächsischen Kammerherrn _von Wilke_ vermählte. Er lebte hier
mehrere Jahre in glücklicher Zurückgezogenheit und „übte, wie es in
einer der zeitgenössischen Schriften heißt, all die gesellschaftlichen
und häuslichen Tugenden die ihm die Hochachtung derer, die ihn kannten,
erwarben.“
Sein guter Ruf verschaffte ihm die Ehre, als Kavalier an den
sächsischen Hof gerufen zu werden. Von hier aus machte er mit dem
Prinzen Xaver eine Reise nach Frankreich. Bald nach seiner Rückkehr
wurde er Kammerherr des Kurfürsten, hiernächst Stallmeister des Prinzen
Karl, Herzogs von Kurland.
Herzog Karl von Kurland, Sohn Friedrich August II., lebte damals
zumeist in Dresden und gehörte in erster Reihe zu jener nicht
kleinen Zahl von Fürstlichkeiten, die für das epidemisch auftretende
Ordenswesen, für Goldmachekunst und Geister-Erscheinungen ein lebhaftes
Interesse zeigten.
So konnte es denn kaum ausbleiben, daß auch Bischofswerder, wie alle
übrigen Personen des Hofes, zu jenen Alchymisten und Wunderleuten in
nähere Beziehung trat, die damals beim Herzoge aus- und eingingen.
Unter diesen war Johann Georg Schrepfer der bemerkenswerteste. Er besaß
einen „Apparat“, der so ziemlich das Beste leistete, was nach dieser
Seite hin in damaliger Zeit geleistet werden konnte. Dazu war er kühn
und von einem gewissen ehrlichen Glauben an sich selbst. Es scheint,
daß er, inmitten aller seiner Betrügereien, doch ganz aufrichtig die
Meinung unterhielt: jeder Tag bringt Wunder; warum sollte am Ende nicht
auch mir zu Liebe ein Wunder geschehen? Als trotz dieses Glaubens die
eingesiegelten Papierschnitzel nicht zu Golde werden wollten, erschoß
er sich im Leipziger Rosental (1774). Bischofswerder war unter den
Freunden, die ihn auf diesem Gange begleiteten und denen er eine
„wunderbare Erscheinung“ zugesagt hatte.
Die ganze Schrepfer-Episode hatte als Schwindel-Komödie geendet. Aber
so sehr sie für Unbefangene diesen Stempel trug, so wenig waren die
Adepten geneigt, ihren Meister und seine Kunst aufzugeben. Man trat
die Schrepfersche Erbschaft an und zitierte weiter. Friedrich Förster
erzählt: „Bischofswerder, in einem Vorgefühl, daß hier ein Schatz,
eine Brücke zu Glück und Macht gefunden sei, wußte den Schrepferschen
Apparat zu erwerben.“ Doch ist dies nicht allzu wahrscheinlich. Wenn
Bischofswerder später sehr ähnlich operierte, so konnte er es, weil
ein längerer intimer Verkehr mit dem „Meister“ ihn in alle Geheimnisse
eingeführt hatte.
Der prosaische Ausgang Schrepfers -- prosaisch, trotzdem er mit
einem Pistolenschuß endete -- hatte unseren Bischofswerder nicht
_um_gestimmt, aber verstimmt; er gab Dresden auf, oder _mußte_ es
aufgeben, da der ganze Hergang doch viel von sich reden machte und
nicht gerade zugunsten der Beteiligten. Er ging nach Schlesien und
lebte einige Zeit (1774 bis 1775) in der Nähe von Grünberg, auf den
Gütern des Generals von Frankenberg. Bischofswerders äußere Lage war
damals eine sehr bedrückte.
Dieser Aufenthalt vermittelte auch wohl den Wiedereintritt
Bischofswerders in den preußischen Dienst, der nach einigen Angaben
1775 oder 1776, nach anderen erst bei Ausbruch des bayerischen
Erbfolgekrieges 1778 erfolgte. Prinz Heinrich verlangte ihn zum
Adjutanten; als sich diesem Verlangen indes Hindernisse in den
Weg stellten, errichtete von Bischofswerder, inzwischen zum Major
avanziert, ein sächsisches Jägerkorps, das der Armee des „Rheinsberger
Prinzen“ zugeteilt wurde.
Beim Frieden hatte diese Jägertruppe das Schicksal, das ähnliche
Korps immer zu haben pflegen: es wurde aufgelöst. König Friedrich
II. indes, „der die Menschen kannte“, nahm den nunmehrigen Major von
Bischofswerder in seine Suite auf, worauf sich dieser in Potsdam
niederließ. Die schon zitierte Schrift schreibt über die sich
unmittelbar anschließende Epoche (von 1780 bis 1786) das Folgende:
„Um diese Zeit war es auch, daß der damalige Prinz von Preußen, der
spätere König Friedrich Wilhelm II., ihn kennen lernte und seines
besonderen Zutrauens würdig fand. Wobei übrigens eigens bemerkt
sein mag, daß von Bischofswerder der einzige aus der Umgebung des
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