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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - 03

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  vierhundert Jahre später der Übergang aus dem Katholizismus in den
  Protestantismus. Der Fürst Pribislaw wurde Christ; das Volk folgte
  teilweise widerwillig, aber doch vielfach auch willig und zwanglos.
  Man hatte sich bereits mit und neben einander eingelebt, und der
  bloße Umstand, daß das gestürzte Bild des Triglaw _nicht_ verbrannt
  oder zerstört, vielmehr, allen bekannt und allen zugänglich, bis 1526
  in einer Seitenkapelle der Marienkirche aufbewahrt wurde (in welchem
  Jahre Christian ~II.~ von Dänemark es unter Zulassung Joachims ~I.~ mit
  fortnehmen durfte), deutet darauf hin, daß die Wandlung der Gemüter
  sich friedfertig genug vollzogen und der Christengott den Wendengott
  in aller Stille beiseite gedrängt haben muß. Diese Umwandlung des
  Triglaw-Tempels in eine Marienkirche erfolgte zwischen 1136 und 1141.
  Sechshundert Jahre lang hat dann vom Harlunger-Berge aus die berühmte
  Marienkirche ins Land gesehen. Ihre Entstehung drückte das Siegel
  auf den endlichen Sieg des Christentums über das Heidentum im Lande
  zwischen Elbe und Oder. Auf der Stätte des Triglaw-Tempels ging ein
  neues Leben auf, und der dreieinige Gott sprach hinfort statt des
  dreiköpfigen Gottes zu seinem Volke.
  So, wie vorstehend geschildert, waren die Wenden zurzeit der
  endgültigen deutschen Eroberung 1157.
  Es bleibt uns noch die Beantwortung der Frage übrig: _was wurde aus
  den Wenden_. Sie wurden keineswegs mit Stumpf und Stiel ausgerottet,
  sie wurden auch nicht einfach zurückgedrängt bis zu Gegenden, wo sie
  Stammesgenossen vorfanden, -- sie blieben vielmehr alle oder doch sehr
  überwiegenden Teils im Lande und haben in allen Provinzen jenseits
  der Elbe unzweifelhaft jene Misch-Rasse hergestellt, die jetzt die
  preußischen Provinzen bewohnt.
  Einzelne Historiker haben dies bestreiten wollen, aber wir glauben
  mit Unrecht. Einmal würde eine solche konsequent durchgeführte
  Rassen-Geschiedenheit gegen die historische Überlieferung aller
  anderen Staaten, bei denen ähnliche Verhältnisse obwalteten, sprechen,
  andererseits dürfte es, von allen Analogien abgesehen, nicht schwer
  halten, in achthundert Einzelfällen solche Mischung der beiden Rassen
  nachzuweisen. Es ist wahr, die Deutschen brachten den Stolz des Siegers
  mit, ein Rasse-Gefühl, das, auf geraume Zeit hin, eine Schranke gezogen
  haben mag; wir halten uns aber nichtsdestoweniger überzeugt, daß,
  noch ehe die Hohenzollern ins Land kamen, jedenfalls aber noch vor
  Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, _diese Unterschiede so gut wie
  verwischt waren_. Sie mögen an einzelnen Orten länger bestanden haben,
  es mag Ortschaften geben, wo sich bis diesen Tag eine Exklusivität
  findet, die auf jene alte Wenden-Abneigung zurückzuführen ist, im
  großen und ganzen aber liegt die Verschmelzung weit zurück. Wir wollen
  dabei andererseits gern zugeben, daß, wenn innerhalb der seitdem
  verflossenen Jahrhunderte die Generationen in den Dörfern, säend und
  erntend, in einem ewigen Wechsel und doch zugleich in einem ewigen
  Gleichmaß des Friedens auf einander gefolgt wären, diese Empfindungen
  und Äußerungen des Rassen-Dünkels vielleicht fortgedauert hätten.
  Aber „die Not gibt wunderliche Schlafgesellen“, und die Konservierung
  alter Vorurteile wurde durch die Verhältnisse, durch Brand und Krieg,
  durch die Gemeinschaftlichkeit des Unglücks unmöglich gemacht. Das
  Aufeinander-angewiesen-sein riß jede Schranke nieder, die die Fülle
  selbstbewußten Glücks aufgerichtet hatte. Mehrfach ging der schwarze
  Tod durch das Land und entvölkerte die Dörfer; was der schwarze Tod
  nicht tat, das taten, in nie rastenden Kriegen, die Pommern und Polen,
  und was die Pommern und Polen nicht taten, das taten die Hussiten.
  Im Barnim befinden sich vielleicht zwanzig oder dreißig Feldmarken,
  die Namen wie Wüste-Sieversdorf, Wüste-Gielsdorf, Wüste-Büsow etc.
  führen, Benennungen aus jener Epoche immer neuer Verödungen her.
  Die wüst gewordenen Dörfer, namentlich solche, wo einzelne bewohnte
  Häuser und Hütten stehen geblieben waren, wieder neu zu besetzen, war
  die Aufgabe der Landesverwaltung, die in Brandenburg von jeher den
  friderizianischen Satz verfolgte: „Menschen; vor allem Menschen“. Man
  freute sich _jeden_ Zuzugs, ohne nach der Rassen-Abstammung zu fragen.
  Das deutsche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Hansen, ein
  Dietrichs wohnte, war froh, einen Kroll, einen Noack, einen Posedin,
  die wüst gewordenen Stätten einnehmen zu sehen, und ebenso die
  wendischen Dörfer empfingen den deutschen Zuzug mit Freude. Die
  Namensverzeichnisse im Landbuch von 1375, wie die Urkunden überhaupt,
  lassen keinen Zweifel darüber.
  Alle diese Anführungen haben selbstverständlich nur die _Regel_, nur
  die Verhältnisse in ihren großen Zügen schildern sollen, ganz besonders
  aber die der _Mittelmark_. Die Mittelmark, im Gegensatz zu den mehr
  Oder- und Elb-wärts gelegenen Landesteilen, war der eigentliche
  _Mischungsbottich_. Die Verhältnisse forderten dazu auf. Auf dem
  platten Lande war es die Not, in den _Städten_ war es die Gelegenheit,
  die die Menschen ohne sonderliche Rücksicht auf ihre Abstammung
  zusammenführte. Die alten Bürgerfamilien freilich beharrten in ihrer
  Abgeschlossenheit und betrachteten den Wenden-Kietz um kein Haar breit
  besser als ein jüdisches Ghetto, aber dem „Zuzug“ gegenüber kamen die
  alten, alles nach Zunft und Rasse sondernden städtischen Traditionen
  wenig oder gar nicht in Betracht, und die „kleinen Leute“ taten sich
  zusammen, unbekümmert um die Frage: wendisch oder deutsch. So lagen
  die Dinge in der _Mittelmark_, d. h. also in Teltow und Barnim,
  im Ruppinschen, in Beeskow-Storkow, in der Westhälfte von Lebus,
  überhaupt in allen Landesteilen, in denen sich Deutschtum und Wendentum
  einigermaßen die Wage hielten. Anders freilich war es in West und Ost.
  Je mehr nach der Elbe zu, je exklusiver hielt sich das Deutschtum, weil
  es ihm leicht gemacht war, sich aus seinen Stammesgenossen jenseits der
  Elbe zu rekrutieren; umgekehrt, je näher der Oder und den eigentlichen
  slavischen Landen zu, je länger blieb das Wendentum in Kraft. Jetzt
  indessen, wenige Stätten abgerechnet, ist es im Leben unseres Volkes
  verschwunden. Es lebt noch fort in der Mehrzahl unserer Städte- und
  Dorfnamen, in dunklen Erinnerungen, daß in einzelnen, den Namen
  eines Wendengottes bis heute festhaltenden Lokalitäten (in Jüterbog,
  in Gütergotz) ein Tempel stand, vor allem in den Heidengräbern und
  Wendenkirchhöfen, die sich allerorten in der Mark verbreitet finden.
  Aber es ist charakteristisch, daß eben das Einzige, was aus der
  alten Wendenwelt noch zu uns spricht, ein _Begrabenes_ ist. Alles
  geistig Lebendige ist hinüber. Selbst der Aberglauben und die in ihm
  wurzelnden Gebräuche, Sitten und Volksweisen, die wohl dann und wann
  für wendische Überreste gehalten worden sind, lassen sich vielfach
  auf etwas _Urgermanisches_ zurückführen, das, auch _vor_ den Wenden
  schon, hier heimisch war. Mit Sicherheit lebt noch Alt-Deutsches
  in den Gemütern, und das Volk erzählt von Wodan und Fricke (Freia)
  und von dem Hackelberger Jäger. Aber _Radegast_ und _Czernebog
  sind tot_. Das Wendische ist weggewischt, untergegangen in dem
  Stärkern, in dem germanischen Leben und Gemüt, und nur am Ende der
  Oder hin, den polnisch-slavischen Landen zu, zeigt sich je zuweilen,
  neben dem slavisch Heiteren, auch noch jener auf Hartnäckigkeit und
  Verschlossenheit deutende finstere Zug, der an die alte Zeit und ihre
  Bewohner mahnt.
  [3] In einer 1619 zu Wittenberg gedruckten Jubelpredigt eines
  Jüterboger Geistlichen findet sich folgendes: „Das uralte Templein
  allhier, welches ungefähr nun vor vierzig und etlichen Jahren ist
  eingerissen worden, _darinnen der heidnische Götzendienst der
  Wendischen Morgengöttin soll sein geleistet worden_, dies Templein
  ist in der Länge, Breite und Höhe bis an das Dach recht viereckigt
  von Mauersteinen aufgeführt gewesen, hat oben ein Kreuzgewölbe und
  darüber ein viereckigt zugespitztes Dach von hellen Steinen gehabt. Die
  Tür oder Eingang von abendwärts ist niedrig gewesen, also daß man im
  Eingehen sich etwas bücken müssen. Es hat auch keine Fenster gehabt,
  sondern nur ein rundes Loch etc. -- -- _also habe ich's von mehreren
  Personen, die noch am Leben sind, beschreiben hören_.“ (Allerdings ist
  diese Angabe, der man wohl einen größeren Wert als ihr zukommt, hat
  beilegen wollen, kein Beweis, daß das „Templein“ wirklich heidnisch
  gewesen sei. Das Kreuzgewölbe spricht sogar dagegen. Als man hier im
  Lande Kreuzgewölbe baute, war es mit dem Wendentum schon vorbei.)
  
  
  Die Zisterzienser in der Mark
   Der Morgen graut und lacht der Nacht entgegen;
   Im Osten leuchtet schon des Lichtes Segen;
   _Die Finsternis entflieht_.
   =Bruder Lorenzo= (Romeo und Julia)
  
  Die beiden Ereignisse, die über das Wendentum an Havel und Spree
  entschieden, waren die Erstürmung Brennabors am 11. Juni 1157 und
  unmittelbar darauf, wenn der halb sagenhaften Überlieferung Glauben
  zu schenken ist, die „Havelschlacht gegenüber dem Schildhorn“, in der
  _Jaczo_, der Neffe Pribislaws, und seine noch einmal zusammengeraffte
  Wendenmacht, entscheidend geschlagen wurde.
  Schon zweihundert Jahre früher, unter den ersten Sachsenkaisern,
  waren die Deutschen bis ebenfalls an die östliche Havel vorgedrungen,
  und schon damals waren, in ihren ersten Anfängen wenigstens, der
  Havelberger und Brandenburger Dom gegründet worden, aber Leichtsinn,
  Unklugheit, Grausamkeit vonseiten der Sieger hatten zunächst zu
  Auflehnungen der Besiegten und endlich zu völliger Abschüttelung des
  Jochs geführt. Das alte Wendentum war auf einhundert und fünfzig Jahre
  hin wieder glänzend aufgeblüht. _Jetzt_, nach der Niederwerfung Jaczos
  war es zum zweitenmal unterlegen, und es galt nunmehr, die Mittel und
  Wege ausfindig zu machen, um einer abermaligen Auflehnung vorzubeugen.
  _Albrecht_ der Bär, von dem es im Volksliede heißt:
   Heinrich de Leuw und Albrecht de Bar,
   Dartho Frederik mit den roden Haar,
   Dat waren dree Herren,
   De kunden de Welt verkehren --
  dieser Albrecht der Bär war just dazu angetan, diese Mittel ausfindig
  zu machen und das früher durch Unklugheit Gescheiterte durch Mut und
  Ausdauer endgültig siegreich hinauszuführen. Es ist bekannt, daß
  er, nach Plan und System, die Kolonisierung des Landes begann; zu
  den _Kirchen_ und _Burgen_ aber, die schon einmal die Belehrung und
  Beherrschung des Landes versucht hatten, gesellte er, als ein neues,
  drittes, die _Vereinigung von Burg und Kirche_ -- _die Klöster_. Mönche
  wurden ins Land gerufen, vor allem die Zisterzienser, ein Orden, der
  eben damals auf seinem europäischen Siegeszuge bis an die Saale und
  Unstrut vorgedrungen war.
  Da diesem überall hin pionierenden Orden die Aufgabe zufiel, auch
  namentlich für die Kultur und geistige Eroberung der Mark von
  hervorragender Bedeutung zu werden, so mag es gestattet sein, bei
  seiner Entstehungs- und Entwickelungsgeschichte einen Augenblick zu
  verweilen und das Fortschreiten desselben auf seinen großen Etappen von
  West nach Ost zu begleiten.
  Die ersten Klöster, die zumal in Süd- und West-Europa ins Leben
  gerufen wurden, waren _Benediktiner-Klöster_, d. h. Klöster, in denen
  die Regeln des heiligen Benedikt: Gehorsam, Armut, Keuschheit, die
  Fundamentalsätze alles Klosterlebens, Geltung hatten. Die Benediktiner
  übten diese Tugenden jahrhundertelang, aber jene Epoche, die den
  Kreuzzügen unmittelbar vorausging, war eine Epoche des kirchlichen,
  mindestens des klösterlichen Verfalls, ganz in ähnlicher Weise, wie
  derselbe fünf Jahrhunderte später zum zweitenmal in die Geschichte
  eintrat, und „sittliche Reform“, worauf zunächst die Reformation
  gerichtet war, war eine Parole, die, wie vielfach während des Lebens
  der Kirche, so auch um die Zeit der ersten Kreuzzüge gehört wurde.
  Dies Ringen nach Reform, nach Wiederherstellung jener
  Kloster-Heiligung, wie sie die ersten Klöster gekannt hatten, gab
  Veranlassung zur Gründung eines neuen Ordens. Dieser neue Orden war der
  der _Zisterzienser_. Sein nächster Zweck war nicht _Abzweigung_ vom
  Benediktinertum, aus dem er hervorging, sondern _Wiederherstellung_
  desselben in seiner Ursprünglichkeit und Lauterkeit. Aber es scheint
  das Los solcher und ähnlicher Bestrebungen -- vielleicht nach
  jenem Naturgesetz, welches die volle Wiederherstellung von etwas
  Verschwundenem unmöglich macht -- jedesmal zu einer _Neuschöpfung_ zu
  führen. Zu einer Neuschöpfung, die anfänglich, in aufrichtiger Demut,
  sich selbst nicht als eine Neuschöpfung betrachtet sehen will und doch,
  sich selbst zum Trotz, mit jedem Tage mehr eine solche wird.
  So gingen, gegen den Willen des Gründers, die _Zisterzienser_ aus den
  Benediktinern hervor.
  Verfolgen wir, nach diesen allgemeinen Bemerkungen, die Entwickelung
  des neuen Ordens aus dem alten auch an den Trägern dieser Entwickelung,
  an den _Personen_.
  _Robert_ (später der heilige Robert), Abt des Benediktinerklosters
  zu Molesme an der Grenze von Champagne und Burgund, gab, um der
  eingerissenen Verderbtheit willen, die er in seinem eigenen Kloster
  wahrnahm, das Kloster Molesme auf und zog sich in das unwirtliche,
  nur mit Dornen und Gestrüpp bewachsene, durch ein Flüßchen kümmerlich
  bewässerte Tal von Cîteaux (~Cistercium~) in der Nähe von Dijon zurück,
  um daselbst mit 20 anderen Mönchen, die ihm gefolgt waren, getreu nach
  der ursprünglichen Vorschrift des heiligen Benedikt zu leben. Seine
  Trennung war eine rein äußerliche und lokale, er hatte sich von seinem
  _Kloster getrennt_, nicht von der ursprünglichen Kloster_regel_, ja, er
  kehrte nach einjähriger Abwesenheit in Cîteaux, auf Befehl des Papstes,
  in das Kloster Molesme zurück. Aber unwissentlich war ein neuer Keim
  gepflanzt, und der bescheidene Versuch, der, wie schon vorstehend
  angedeutet, eine alte Schöpfung nur neu gestalten sollte, schuf nicht
  _in_, sondern _neben_ dem Alten ein Neues. In dem Tale von Cisterz ging
  ein neues Klosterleben auf. Die Träger dieses neuen Lebens aber waren
  nicht Benediktiner mehr, sie waren Zisterzienser.
  Bald zeigte sich die erfolgte Trennung auch in der äußeren Erscheinung,
  bald auch in den Zwecken und Zielen des Ordens, in der Art, wie er
  seine Aufgabe faßte. Was die Tracht angeht, so änderte bereits der
  heilige _Alberich_, der zweite Abt von _Cîteaux_, die Kleidung seiner
  Mönche, und das Kleid, das vorher _schwarz_ gewesen war, wurde _weiß_
  mit einem schwarzen Gürtel und _schwarzem Skapulier_. Nach der schönen
  Sage des Ordens war seine, des Alberich, schwarze Kleidung unter der
  Berührung der heiligen Jungfrau _weiß_ geworden.[4]
  Wichtiger aber als diese äußeren Abzeichen war die Wandlung, die
  der neue Zweig der Benediktiner _innerlich_ erfuhr. Er wurde eine
  Spezialität, er wurde der Orden der _Kolonisation_.
  Nie hat ein Orden einen rascheren und gewaltigeren Siegeszug über
  die Welt gehalten. Aus dem Mutterkloster Cisterz, gegründet 1098,
  waren nach 15 Jahren schon vier mächtige Töchterklöster: La Ferté,
  Pontigny, Morimond und Clairvaux hervorgegangen, den Töchtern folgten
  wieder Töchter und Enkeltöchter, und ehe ein halbes Jahrhundert um
  war, war nicht nur ein Netz von Zisterzienser-Klöstern über das ganze
  christliche Europa ausgebreitet, sondern auch tief in heidnische Lande
  hinein waren die Mönche von Cisterz mit dem Kreuz in der Linken, mit
  Axt und Spaten in der Rechten, lehrend und Acker bauend, bildend und
  heiligend vorgedrungen. Es war ein in jenen raschen Proportionen sich
  mehrendes Anwachsen, wie man es auf alten Stammbäumen veranschaulicht
  sieht, wo, von Generation zu Generation, aus jedem einzelnen
  Neuzweig wieder zahllos andere neue Zweige sprießen, anwachsend zu
  Multiplikationen, die der bekannten Verdoppelung der Schachbrettfelder
  entsprechen. Fünfzig Jahre nach der Gründung des Ordens gab es 500,
  hundert Jahre nach der Gründung bereits 2000 Zisterzienser-Klöster, und
  Kaspar Jogelinus, ein Deutscher, hat uns allein die _Beschreibung_ von
  791 Zisterzienser-Klöstern hinterlassen. Von diesen 791 Klöstern waren
  209 in Frankreich, 126 in England, Schottland und Irland und 109 in
  Deutschland.
  Die Frage drängt sich auf, was diesem Orden zu so rapidem Wachstum
  verhalf und ihm, zwei Jahrhunderte lang, in allen Ländern und an
  allen Höfen ein alles überstrahlendes Ansehen lieh. Es waren wohl
  drei Ursachen, die zusammen wirkten: die gehobene Stimmung der ganzen
  christlichen Welt während der Epoche der ersten Kreuzzüge, die
  wunderbare, mit unwiderstehlicher Gewalt ausgerüstete Erscheinung des
  heiligen Bernhard, der, aus dem Orden heraus, bald nach Entstehung
  desselben erwuchs und ihn dann durchleuchtete, und endlich drittens
  die besondere, schon in aller Kürze angedeutete kolonisatorische
  Eigenart dieses Ordens, die ihn, in einer Zeit, in der geistig und
  physisch überall auszuroden und urbar zu machen war, als ein besonders
  geeignetes Werkzeug sowohl in der Hand der Kirche wie auch des
  weltlichen Fürstentums erscheinen ließ.
  1115 existierten nur fünf Zisterzienser-Klöster, 1119 bereits vierzehn,
  aber sämtlich noch innerhalb Frankreichs und auf verhältnismäßig engem
  Gebiet. Zwanzig Jahre später sehen wir den Orden, in immer rascherem
  Wachsen, von der Loire an den Rhein, vom Rhein an die Weser und endlich
  von der Weser bis an und über die Elbe vorgedrungen.
  1180 erschienen seine ersten Mönche in der Mark.
  An wenigen Orten mochten die Vorzüge dieses Ordens deutlicher
  hervortreten als in der Mark, weil sie nirgends ein besseres Gebiet
  für ihre Tätigkeit fanden. Wo die Unkultur zu Hause war, hatten die
  Kulturbringer ihr natürlichstes Feld. Rechnen wir die Nonnenklöster
  desselben Ordens mit ein, die, wenigstens was die Bekehrung, Lehre
  und Unterweisung angeht, die gleichen Ziele wie die Mönchsklöster
  verfolgten, so haben wir über zwanzig _Zisterzienser-Klöster_ in der
  Mark und Lausitz zu verzeichnen, von denen die große Mehrzahl vor
  Ablauf eines Jahrhunderts entstand. Weder die Prämonstratenser und
  Karthäuser gleichzeitig mit ihnen, noch auch später die die Städte
  suchenden Dominikaner und Franziskaner sind ihnen an Ansehen und
  rascher Verbreitung gleich gekommen.
  Dem Zeitpunkt ihrer Entstehung nach folgen diese märkisch-lausitzischen
  Zisterzienser-Klöster wie folgt auf einander:
  _Zinna_, Mönchskloster, in der Nähe von Jüterbog, 1171.
  _Lehnin_, Mönchskloster, in der Nähe von Brandenburg, 1180.
  _Dobrilugk_, Mönchskloster, in der Lausitz, 1181-1190.
  _Marienfließ_ oder _Stepenitz_, Nonnenkloster, in der Priegnitz, 1230.
  _Dransee_, Mönchskloster, in der Priegnitz, 1233.
  _Paradies_, Mönchskloster, im Posenschen (früher Neumark), 1234.
  _Marienthal_, Nonnenkloster, in der Lausitz, 1234.
  _Zehdenick_, Nonnenkloster, in der Uckermark, 1250.
  _Friedland_, Nonnenkloster, im Ober-Barnim, um 1250.
  _Mariensee_, Mönchskloster, auf der Insel Pehlitz im Paarsteiner See,
  zwischen Oderberg und Angermünde (Uckermark), um 1260.
  _Marienstern_, Nonnenkloster, in der Lausitz, 1264.
  _Neuzelle_, Mönchskloster, in der Lausitz, 1268.
  _Chorin_, Mönchskloster, in der Uckermark, 1272.
  _Marienwalde_, Mönchskloster, in der Neumark, 1286.
  _Heiligengrabe_, Nonnenkloster, in der Priegnitz, 1289.
  _Zehden_, Nonnenkloster, in der Neumark, 1290.
  _Bernstein_, Nonnenkloster, in der Neumark, 1290.
  _Reetz_, Nonnenkloster, in der Neumark, 1294.
  _Himmelpfort_, Mönchskloster, in der Uckermark, 1299.
  _Himmelstädt_, Mönchskloster, in der Neumark, 1300.
  _Seehausen_, Nonnenkloster, in der Uckermark, 1300.
  Das wichtigste unter den hier aufgezählten märkisch-lausitzischen
  Klöstern war wohl das Kloster Lehnin. Es wurde das Mutterkloster für
  diese Gegenden, aus dem Neuzelle, Paradies, Mariensee, Chorin und
  Himmelpfort hervorgingen.
  Alle diese Klöster, mit wenigen Ausnahmen, wurden in der Mitte des 16.
  Jahrhunderts unter Joachim ~II.~ säkularisiert. Viele sind seitdem,
  namentlich während des dreißigjährigen Krieges, bis auf die Fundamente
  oder eine stehen gebliebene Giebelwand zerstört worden, andere
  existieren noch, aber sie dienen der _Kultur_ dieser Lande nur noch
  insoweit, als sie, oft in ziemlich prosaischer Weise, der _Agrikultur_
  dienstbar gemacht worden sind. Die Abtwohnungen sind zu Amtshäusern,
  die Refektorien zu Maischräumen und Brennereien geworden. Es ist allen
  diesen Klöstern ergangen, wie ihrer großen, gemeinschaftlichen mater,
  dem Kloster zu _Cîteaux_ selber. Den Verfall, den Niedergang, den
  hier zu Lande die Reformation still und allmählich einleitete, schuf
  dort die französische Revolution auf einen Schlag. „Auf den Trümmern
  der Abtei -- so erzählt der Abbé Ratisbonne, der eine Geschichte des
  heiligen Bernhard geschrieben hat und Cîteaux um 1839 besuchte -- erhob
  sich in dem genannten Jahre eine Runkelrübenzucker-Fabrik, die selber
  wieder in Trümmer zerfallen war, und ein elender _Schauspielsaal_
  stand an der Stelle der Mönchs-Bibliothek, vielleicht an der Stelle
  der Kirche. Die Zelle des heiligen Bernhard, die vor ungefähr zwanzig
  Jahren noch existierte, hatte inzwischen einem _Schmelzofen_ Platz
  gemacht. Nur noch der Schutt der Zelle war vorhanden. Aus den bloßen
  Trümmermassen des Klosters waren drei Dörfer erbaut worden.“
  In dieser kurzen Schilderung des Verfalls des Mutterklosters ist
  zugleich die Geschichte von über hundert Töchter-Klöstern erzählt. Auch
  die Geschichte der unsrigen.
  Die Klöster selber sind hin. Viele von denen, die hierlands in
  alten Klostermauern wohnen, wissen kaum, daß es Klostermauern sind,
  sicherlich nicht, daß es Zisterzienser waren, die vor ihnen die Stätte
  inne hatten. Und hörten sie je das Wort, so wissen sie nicht, was es
  meint und bedeutet. Und doch waren es die Pioniere, die hundert und
  tausend andern Kolonisten, die nach ihnen kamen, die Wege bahnten.
  Das Gedächtnis an sie und an das Schöne, Gute, Dauerbare, das sie
  geschaffen, ist geschwunden; uns aber mag es geziemen, darauf
  hinzuweisen, daß noch an vielen hundert Orten ihre Taten und Wohltaten
  zu uns sprechen. Überall, wo in den Teltow- und Barnim-Dörfern, in
  der Uckermark und im Ruppinschen alte Feldsteinkirchen aufragen mit
  kurzem Turm und kleinen niedrigen Fenstern, überall, wo die Ostwand
  einen chorartigen Ausbau, ein sauber gearbeitetes Sakristei-Häuschen,
  oder das Dach infolge späteren Anbaues eine rechtwinklige Biegung,
  einen Knick zeigt, überall da mögen wir sicher sein -- _hier waren
  Zisterzienser_, hier haben Zisterzienser gebaut und der Kultur und dem
  Christentum die erste Stätte bereitet.
  [4] Dies weiße Kleid der Zisterzienser war ihr besonderer Stolz, und
  unter den zahlreichen Legenden[5] dieses Ordens bezogen sich viele
  auf die besondere Gunst, in der bei Gott und Menschen, das „weiße
  Kleid“ stand. Im Jahre 1215 starb ein Zisterzienser-Mönch zu Cher in
  Frankreich und wurde ohne sein Chorkleid begraben. Er kam zurück, um
  sein Kleid zu holen, weil der heilige Benedikt ihm nicht anders den
  Himmel aufschließen wollte. Der Prior gab es ihm, und er hatte nun Ruhe
  und kam nicht wieder.
  [5] Unter den anderweiten Legenden des Ordens ist mir keine schöner
  erschienen als die folgende: Im Jahre 1167 dachte Mönch Heron in
  Galizien in der Frühmette über die Worte nach: „Tausend Jahre sind
  vor Dir, Herr, wie der Tag, der gestern vergangen ist.“ Er fand dies
  unbegreiflich und zweifelte. Als er aus der Kirche kam, flatterte ein
  bunter Vogel über ihm und sang sehr lieblich. Heron, von der Schönheit
  und dem Gesang des Vogels bezaubert, folgte ihm, wohin er flog, aus dem
  Kloster in einen benachbarten Wald, der Vogel hüpfte von Zweig zu Zweig
  und sang immerfort dreihundert Jahr lang. Als nun Heron dreihundert
  Jahr lang weder gehungert, noch gedürstet, sondern allein von dem
  lieblichen Vogelgesang gelebt hatte, flog der Zaubervogel davon, und
  die Entzückung hörte auf. Heron kam nun wieder zu sich selbst und
  besann sich, daß er soeben aus der Frühmette gekommen sei. Er kehrte
  zurück zum Kloster und klopfte an die Klosterpforte, aber da waren
  weder Pförtner, noch Abt, noch Brüder mehr, die ihn kannten. Sie waren
  alle längst tot; dreihundert Jahre waren verflossen. „Tausend Jahre
  sind wie ein Tag.“
  
  
  Kloster Lehnin
  
  1.
  Die Gründung des Klosters
   Wo das Kloster aus der Mitte
   Düstrer Linden sah.
   * * *
   Mit des Jammers stummen Blicken
   Fleht sie zu dem harten Mann
   Fleht umsonst, denn loszudrücken
   Legt er schon den Bogen an.
   =Schiller=
  Die erste Gründung der Zisterzienser in der Mark -- Zinna war nicht
  märkisch -- war Kloster Lehnin. Es liegt zwei Meilen südlich von
  Brandenburg, in dem alten Landesteil, der den Namen „die Zauche“ trägt.
  Der Weg dahin, namentlich auf seiner zweiten Hälfte, führt durch alte
  Klosterdörfer mit prächtigen Baumalleen und pittoresken Häuserfronten,
  die Landschaft aber, die diese Dörfer umgibt, bietet wenig Besonderes
  dar, und setzt sich aus den üblichen Requisiten märkischer Landschaft
  zusammen: weite Flächen, Hügelzüge am Horizont, ein See, verstreute
  Ackerfelder, hier ein Stück Sumpfland, durch das sich Erlenbüsche,
  und dort ein Stück Sandland, durch das sich Kiefern ziehen. Erst
  in unmittelbarer Nähe Lehnins, das jetzt ein Städtchen geworden,
  verschönert sich das Bild, und wir treten in ein Terrain ein, das einer
  flachen Schale gleicht, in deren Mitte sich das Kloster selber erhebt.
  Der Anblick ist gefällig, die dichten Kronen einer Baumgruppe scheinen
  Turm und Dach auf ihrem Zweigwerk zu tragen, während Wiesen- und
  Gartenland jene Baumgruppe und ein Höhenzug wiederum jenes Wiesen- und
  Gartenland umspannt. Was jetzt Wiese und Garten ist, das war vor 700
  Jahren ein eichenbestandener Sumpf, und inmitten dieses Sumpfes wuchs
  Kloster Lehnin auf, vielleicht im Einklang mit jenem Ordensgesetz aus
  der ersten strengen Zeit: daß die Klöster von Cisterz immer in Sümpfen
  und Niederungen, d. h. in _ungesunden_ Gegenden gebaut werden sollten,
  damit die Brüder dieses Ordens jederzeit den Tod vor Augen hätten.[6]
  Die Sage von der Erbauung Kloster Lehnins nimmt jedoch keine solche
  allgemeine Ordensregel in Aussicht, sondern führt die Gründung
  desselben auf einen bestimmten Vorgang zurück. Diesen Vorgang erzählt
  der böhmische Schriftsteller _Pulkava_ (wie er ausdrücklich beifügt,
  „nach einer brandenburgischen Chronik“) wie folgt. _Otto_ ~I.~, der
  Sohn _Albrechts_ des Bären, jagte einen Tag lang in den dichten
  Waldrevieren der Zauche, und warf sich endlich müd und matt an eben der
  Stelle nieder, wo später Kloster Lehnin erbaut wurde. Er schlief ein
  und hatte eine Vision. Er sah im Traum eine Hirschkuh, die ihn ohne
  Unterlaß belästigte. Endlich ergriff er Bogen und Pfeil und schoß sie
  nieder. Als er erwachte, und seinen Traum erzählte, drangen die Seinen
  in ihn, daß er an dieser Stelle eine _Burg_ gegen die heidnischen
  Slaven errichten solle; -- die andrängende, immer lästiger werdende
  Hirschkuh erschien ihnen als ein Sinnbild des Heidentums, das in
  diesen Wäldern und Sümpfen allerdings noch eine Stätte hatte. Der
  Markgraf erwiderte: „eine Burg werde ich gründen, aber eine Burg, von
  der aus unsere teuflischen Widersacher durch die Stimmen _geistlicher_
  Männer weit fortgescheucht werden sollen, eine Burg, in der ich ruhig
  den jüngsten Tag erwarten will.“ Und sofort schickte er zum Abt des
  Zisterzienser-Klosters _Sittichenbach_, im Mansfeldischen, und ließ ihn
  bitten, daß er Brüder aus seinem Konvente, zur Gründung eines neuen
  Klosters, senden möchte. Die Brüder kamen. Markgraf _Otto_ aber gab dem
  Kloster den Namen Lehnin, denn Lanye heißt Hirschkuh im Slavischen. So
  der böhmische Geschichtsschreiber.
  Das Kloster wurde gebaut, vor allem die _Klosterkirche_. Sie bestand
  in ihrer ursprünglichen Form bis zum Jahre 1262. Ja diesem Jahre ließ
  die rasch wachsende Bedeutung des Klosters das, was da war, nicht
  länger als ausreichend erscheinen, und ein Anbau wurde beschlossen.
  Dieser Anbau fiel in die erste Blütezeit der Gotik, und mit der ganzen
  Unbefangenheit des Mittelalters, das bekanntlich immer baute, wie
  ihm gerade ums Herz war, und keine Rücksichtnahme auf den Baustil
  
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