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Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Dritter Teil - 02

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  waren diese Häuser. Wahrscheinlich sehr verschiedener Art. Wie wir
  noch jetzt, oft bunt durcheinander, noch häufiger nach Distrikten
  geschieden, Lehmkathen, Fachwerk-, Feldstein- und Backsteinhäuser
  finden, der Stroh-, Schilf-, Schindel- und Ziegeldächer ganz
  zu geschweigen, so war es auch in alten Wendenzeiten, nur noch
  wechselnder, nur noch abhängiger von dem Material, das gerade zur
  Hand war. In den Fischerdörfern an der Spree und Havel hin, in den
  Sumpfgegenden, die kein anderes Material kannten als Elsen und Eichen,
  waren die Dörfer mutmaßlich Blockhäuser, wie man ihnen bis diesen
  Tag in den Spreewaldgegenden begegnet; auf dem Feldstein-übersäten
  Barnim-Plateau richteten sich, wie noch jetzt vielfach in den dortigen
  Dörfern geschieht, die Wohnungen höchstwahrscheinlich aus Feldstein
  auf; in fruchtbaren Gegenden aber, wo der Lehm zu Tage lag, wuchs
  das Lehm- und das Ziegelhaus auf, denn die Wenden verstanden sich
  sehr wohl auf die Nutzung des Lehms und sehr wahrscheinlich auch auf
  das Ziegelbrennen. Daß sie unter ihrem Gerät nachweisbar auch den
  _Mauer_hammer hatten, deutet wenigstens darauf hin. Einzelne _dieser_
  Dinge sind nicht geradezu zu beweisen, aber sie _müssen_ so gewesen
  sein nach einem Naturgesetz, das fortwirkt bis auf diesen Tag. Armes
  oder unkultiviertes Volk baut sich seine Wohnungen aus dem, was es
  zunächst hat: am Vesuv aus Lava, in Irland aus Torf, am Nil aus
  Nilschlamm, an den Pyramiden aus Trümmern vergangener Herrlichkeit. So
  war es immer, wird es immer sein. Und so war es auch bei den Wenden.
  Die Wenden aber hatten nicht nur Häuser, sie wohnten auch in Städten
  und Dörfern, die sich zu vielen Hunderten durch das Land zogen. Die
  wendischen Namen unserer Ortschaften beweisen dies zur Genüge. Manche
  Gegenden haben nur wendische Namen. Um ein Beispiel statt vieler zu
  geben, die Dörfer um Ruppin herum heißen: Karwe, Gnewikow, Garz,
  Wustrau, Bechlin, Stöffin, Kränzlin, Metzeltin, Dabergotz, Ganzer,
  Lenzke, Manker etc., lauter wendische Namen. Ähnlich ist es überall in
  der Mark, in Lausitz und Pommern. Selbst viele deutsch klingende Namen
  wie Wustrau, Wusterhausen etc. sind nur ein germanisiertes Wendisch.
  Wie die Dörfer waren, ob groß oder klein, ob stark bevölkert oder
  schwach, kann, da jegliche bestimmte Angabe darüber fehlt, nur
  mittelbar herausgerechnet, nur hypothetisch festgestellt werden. Die
  große Zahl der Totenurnen, die man findet, außerdem die Mitteilungen
  Thietmars u. a., daß bei Lunkini 100 000 Wenden gefallen seien,
  scheinen darauf hinzudeuten, daß das Land allerdings stark bevölkert
  war.
  Unsicher, wie wir über Art und Größe der wendischen Dörfer sind,
  sind wir es auch über die _Städte_. Einzelne galten für bedeutend
  genug, um mit den Schilderungen ihres Glanzes und ihres Unterganges
  die Welt zu füllen, und wie geneigt wir sein mögen, der poetischen
  Darstellung an diesem Weltruhme das beste Teil zuzuschreiben, so
  kann doch das Geschilderte nicht ganz Fiktion gewesen sein, sondern
  muß in irgend etwas Vorhandenem seine reale Anlehnung gehabt haben.
  Besonderes Ansehen hatten die _Handels_städte am baltischen Meere.
  Unter diesen war Jumne, wahrscheinlich am Ausfluß der Swine gelegen,
  eine der gefeiertsten. Adam von Bremen erzählt von ihr: sie sei eine
  sehr angesehene Stadt und der größte Ort, den das heidnische Europa
  aufzuweisen habe. „In ihr -- so fährt er fort -- wohnen Slaven und
  andere Nationen, Griechen und Barbaren. Und auch den dort ankommenden
  Sachsen ist, unter gleichem Rechte mit den Übrigen, zusammen zu wohnen
  verstattet, freilich nur, so lange sie ihr Christentum nicht öffentlich
  kundgeben. Übrigens wird, was _Sitte_ und _Gastlichkeit_ anlangt,
  kein Volk zu finden sein, das sich ehrenwerter und dienstfertiger
  bewiese. Jene Stadt besitzt auch alle möglichen Annehmlichkeiten und
  Seltenheiten. Dort findet sich der Vulkanstopf, den die Eingeborenen
  das „griechische Feuer“ nennen; dort zeigt sich auch Neptun in
  dreifacher Art, denn von drei Meeren wird jene Insel bespült,
  deren eins von ganz grünem Aussehen sein soll, das zweite aber von
  weißlichem; das dritte ist durch ununterbrochene Stürme beständig in
  wutvoll brausender Bewegung.“
  Diese Beschreibungen zeitgenössischer Schriftsteller, wie auch die
  Beschreibung von Vineta oder Julin (die beide dasselbe sind) beziehen
  sich auf wendische _Handels-_ und Küstenstädte. Es ist indessen
  wahrscheinlich, daß die Binnenstädte wenig davon verschieden waren,
  wenn auch vielleicht etwas geringer. An Handel waren sie gewiß
  unbedeutender, _aber dafür standen sie dem deutschen Leben und seinem
  Einfluß näher_.
  Wenden wir uns nunmehr der Frage zu, wie _lebten_ die Wenden in ihren
  Dörfern und Städten, wie kleideten, wie beschäftigten sie sich, so
  wird das Wenige, was wir bis hierher sagen konnten, auch ein gewisses
  Licht auf _diese_ Dinge werfen. Wie beschäftigten sie sich? Neben der
  Führung der Waffen, die Sache jedes Freien war, gab es ein mannigfach
  gegliedertes Leben. Die Ausschmückung der Tempel -- Ausschmückungen,
  wie man ihnen noch jetzt in altrussischen Kirchen begegnet und wie sie
  in den alten Schriftstellern der Wendenzeit vielfach beschrieben werden
  -- lassen keinen Zweifel darüber, daß die Wenden eine Art von Kunst,
  wenigstens von Kunsthandwerk, kannten und übten. Sie schnitzten ihre
  Götzenbilder in Holz oder fertigten sie aus Erz und Gold, sie bemalten
  ihre Tempel und färbten das Schnitzwerk, das als groteskes Ornament die
  Tempel zierte. Den Schiffbau kannten sie, wie die kühnen Seeräuberzüge
  der Runen zur Genüge beweisen, und ihr Haus- und Kriegsgerät war
  mannigfacher Art. Sie kannten den Haken zur Beackerung und die Sichel,
  um das Korn zu schneiden. Die _feineren_ Wollen-Zeuge, so berichten
  die Chronisten, kamen aus Sachsen; aber eben aus dieser speziellen
  Anführung geht hervor, daß die minder feinen im Lande selber bereitet
  wurden. Einheimische Arbeit war auch die Leinwand, in welche die
  Nation sich kleidete und wovon sie zu Segeln und Zelten große Mengen
  gebrauchte. Es ist also wohl nicht zu bezweifeln, daß der Webstuhl im
  Wendenlande bekannt war wie im ganzen Norden bis nach Island, und daß
  die Hände, welche den Flachs und den Hanf dem Erdboden abgewannen,
  ihn auch zu verarbeiten verstanden. Die Hauptbeschäftigungen blieben
  freilich Jagd und Fischerei, daneben die _Bienenzucht_. Das Land wies
  darauf hin. Noch jetzt, in den slavischen Flachlanden Osteuropas,
  auf den Strecken zwischen Wolga und Ural, wo weite Heiden mit
  Lindenwäldern wechseln, begegnen wir denselben Erscheinungen, derselben
  Beschäftigung. Die Honigerträge waren reich und wichtig, weil aus
  ihnen der Met gewonnen wurde. Bier wurde aus Gerste gebraut. Die
  Fische wurden frisch oder eingesalzen gegessen, denn man benutzte die
  Soolquellen und wußte das Salz aus ihnen zu gewinnen. Vieles spricht
  dafür, daß sie selbst Bergbau trieben und das Eisen aus dem Erze zu
  schmelzen verstanden.
  Noch ein Wort über die nationale _Kleidung_ der Wenden. Es liegen nur
  Andeutungen darüber vor. Daß sie so gewesen sei, oder auch nur ähnlich,
  wie die Wenden sie jetzt noch tragen, ist wohl falsch. Die wendische
  Tracht entwickelte sich in den wendisch gebliebenen Gegenden unter dem
  Einfluß wenn nicht der deutschen Mode, so doch des deutschen Stoffs
  und Materials, und es bedarf wohl keiner Versicherung, daß die alten
  ursprünglichen Wenden weder Faltenröcke noch Zwickelstrümpfe, weder
  Manchestermieder noch Überfallkragen gekannt haben. All dies ist ein
  in _spätern Kulturzeiten_ Gewordenes, an dem die Wenden-Überreste
  nolens volens teilnehmen mußten. Giesebrecht beschreibt ihre Kleidung
  wie folgt: „Zur nationalen Kleidung gehörte ein kleiner Hut, ein
  Obergewand, Unterkleider und Schuhe oder Stiefel; barfuß gehen wurde
  als ein Zeichen der äußersten Armut betrachtet. Die Unterkleider
  konnten gewaschen werden; der Stoff, aus dem sie bestanden, war also
  vermutlich Leinwand. Das Oberkleid war _wollen_.“ Über Schnitt und
  Kleidung und die bevorzugten Farben wird nichts gesagt, doch dürfen wir
  wohl annehmen, daß sich eine Vorliebe für das Bunte darin aussprach.
  Der kleine Hut und die leinenen Unterkleider: Rock, Weste, Beinkleid,
  finden sich übrigens noch bis diesen Tag bei den Spreewalds-Wenden vor.
  Nur die Frauentrachten weichen völlig davon ab.
  
  3.
  Charakter. Begabung. Kultus
   In trotzigem Mut,
   Gastfrei und gut,
   Haben für ihre Götter und Sitten
   Sie wie die Märtyrer gelitten.
  Nachdem wir bis hierher die _äußere Erscheinung_ betont und die Frage
  zu beantworten gesucht haben: wie sahen die alten Wenden aus? wie
  wohnten sie? wie beschäftigten und wie kleideten sie sich, wenden wir
  uns in folgendem mehr ihrem geistigen Leben zu, der Frage: wie war ihr
  Charakter, ihre geistige Begabung, ihr Rechtssinn, ihre Religiosität.
  Die Wenden haben uns leider kein einziges Schriftstück hinterlassen,
  das uns dazu dienen könnte, die Schilderungen, die uns ihre bittern
  Feinde, die Deutschen, von ihnen entworfen haben, nötigenfalls zu
  korrigieren. Wir hören eben nur _eine_ Partei sprechen, dennoch sind
  auch diese Schilderungen ihrer Gegner nicht dazu angetan, uns mit
  Abneigung gegen den Charakter der Wenden zu erfüllen. Wir begegnen
  mehr liebenswürdigen als häßlichen Zügen, und wo wir diese häßlichen
  Züge treffen, ist es gemeinhin unschwer zu erkennen, woraus sie
  hervorgingen. Meist waren es Repressalien, Regungen der Menschennatur
  überhaupt, nicht einer spezifisch _bösen_ Menschennatur.
  Zwei Tugenden werden den Wenden von allen deutschen Chronikenschreibern
  jener Epoche: Widukind, Thietmar, Adam von Bremen, zuerkannt: sie waren
  tapfer und gastfrei. Ihre Tapferkeit spricht aus der ganzen Geschichte
  jener Epoche, und der Umstand, daß sie, trotz Fehden und steter
  Zersplitterung ihrer Kräfte, dennoch den Kampf gegen das übermächtige
  Deutschtum zwei Jahrhunderte lang fortsetzen konnten, läßt ihren Mut in
  allerglänzendstem Lichte erscheinen. Sie waren ausgezeichnete Krieger,
  zu deren angeborner Tapferkeit sich noch andere kriegerische Gaben, wie
  sie den Slaven eigentümlich sind, gesellten: Raschheit, Schlauheit,
  Zähigkeit. Hierin sind alle deutschen Chronisten einig. Eben so einig
  sind sie, wie schon hervorgehoben, in Anerkennung der wendischen
  Gastfreundschaft. „Um Aufnahme zu bitten, hatte der Fremde in der Regel
  nicht nötig; sie wurde ihm wetteifernd angeboten. Jedes Haus hatte
  seine Gastzimmer und immer offne Tafel. Freigebig wurde vertan, was
  durch Ackerbau, Fischfang, Jagd, und in den größeren Städten auch wohl
  durch Handel und Gewerbe gewonnen worden war. Je freigebiger der Wende
  war, für desto vornehmer wurde er gehalten, und für desto vornehmer
  hielt er sich selbst. Wurde -- was übrigens äußerst selten vorkam --
  von diesem oder jenem ruchbar, daß er das Gastrecht versagt habe, so
  verfiel er allgemeiner Verachtung, und Haus und Hof durften in Brand
  gesteckt werden.“
  Sie waren tapfer und gastfrei, aber sie waren falsch und untreu, so
  berichten die alten Chronisten weiter. Die alten Chronisten sind
  indessen ehrlich genug, hinzuzusetzen: „untreu _gegen ihre Feinde_“.
  Dieser Zusatz legt einem sofort die Frage nahe: wie waren aber nun
  diese Feinde? waren sie, ganz von aller ehrlichen Feindschaft, von
  offenem Kampfe abgesehen, waren diese Feinde ihrerseits von einer
  Treue, einem Worthalten, einer Zuverlässigkeit, die den Wenden ein
  Sporn hätte sein können, Treue mit Treue zu vergelten?
  Die Erzählungen der Chronisten machen uns die Antwort auf die Frage
  leicht; in rühmlicher Unbefangenheit erzählen sie uns die endlosen
  Perfidien der Deutschen. Dies erklärt sich daraus, daß sie, von
  Parteigeist erfüllt und blind im Dienst einer großen Idee, die eigenen
  Perfidien vorweg als gerechtfertigt ansahen. Dagegen war wendischer
  Verrat einfach Verrat und stand da, ohne allen Glorienschein, in
  nackter, alltäglicher Häßlichkeit. Der Wende war ein „Hund“, ehrlos,
  rechtlos, und wenn er sich unerwartet aufrichtete und seinen Gegner
  biß, so war er untreu. Ein Hund darf nicht beißen, es geschehe ihm
  was da wolle. Die Geschichte von Mistewoi haben wir gehört, sie zeigt
  die schwindelnde Höhe deutschen Undanks und deutscher Überhebung. In
  noch schlimmerem Lichte erscheint das Deutschtum in der Geschichte
  von Markgraf _Gero_. Dieser, wie in Balladen oft erzählt, ließ
  dreißig wendische Fürsten, also wahrscheinlich die Häupter fast aller
  Stämme zwischen Elbe und Oder, zu einem Gastmahl laden, machte die
  Erschienenen trunken und ließ sie dann ermorden. Das war 939. Nicht
  genug damit. Im selben Jahre vollführte er einen zweiten List- und
  Gewaltstreich. Den _Tugumir_, einen flüchtigen Fürsten der Heveller,
  den er durch Versprechungen auf seine Seite zu ziehen gewußt hatte,
  ließ er nach Brennabor zurückkehren, wo er Haß gegen die Deutschen
  heucheln und dadurch die alte Gunst seines Stammes sich wieder erobern
  mußte. Aber kaum im Besitz dieser Gunst, tötete Tugumir seinen Neffen,
  der in wirklicher Treue und Aufrichtigkeit an der Sache der Wenden
  hing, und öffnete dann dem _Gero_ die Tore, dessen bloßes Werkzeug er
  gewesen war. Das waren die Taten, mit denen die Deutschen -- freilich
  oft unter Hilfe und Zutun der Wenden selbst -- voranschritten. Weder
  die Deutschen noch ihre Chronisten, zum Teil hochkirchliche Männer,
  ließen sich diese Verfahrungsweise anfechten, klagten aber mal auf mal
  über die „Falschheit der götzendienerischen Wenden“.
  Die Wenden waren tapfer und gastfrei und, wie wir uns überzeugt halten,
  um kein Haar falscher und untreuer als ihre Besieger, die Deutschen;
  aber in einem waren sie ihnen allerdings unebenbürtig, in jener
  gestaltenden, große Ziele von Generation zu Generation unerschütterlich
  im Auge behaltenden Kraft, die zu allen Zeiten der Grundzug der
  germanischen Rasse gewesen und noch jetzt die Bürgschaft ihres Lebens
  ist. _Die Wenden von damals waren wie die Polen von heute._ Ausgerüstet
  mit liebenswürdigen und blendenden Eigenschaften, an Ritterlichkeit
  ihren Gegnern mindestens gleich, an Leidenschaft, an Opfermut ihnen
  vielleicht überlegen, gingen sie dennoch zu Grunde, weil sie jener
  gestaltenden Kraft entbehrten. Immer voll Neigung, ihre Kräfte nach
  außen hin schweifen zu lassen, statt sie im Zentrum zu einen, fehlte
  ihnen das Konzentrische, während sie exzentrisch waren in jedem
  Sinne. Dazu die individuelle Freiheit höher achtend als die staatliche
  Festigung -- wer erkennte in diesem allen nicht polnischnationale Züge?
  Wir sprechen zuletzt von dem _Kultus_ der Wenden. Weil die
  religiöse Seite der zu bekehrenden Heiden unsere christlichen
  Missionäre selbstverständlich am meisten interessieren mußte, so
  ist es begreiflich, daß wir über diesen Punkt unserer liutizischen
  Vorbewohner am besten unterrichtet sind. Die Nachrichten, die uns
  geworden, beziehen sich in ihren Details zwar überwiegend auf jene
  zwei Haupttempelstätten des Wendenlandes, die _nicht_ innerhalb der
  Mark, sondern die eine (Rhetra) hart an unserer Grenze, die andere
  (Arkona) auf Rügen gelegen waren; aber wir dürfen fast mit Bestimmtheit
  annehmen, daß alle diese Beschreibungen auch auf die Tempelstätten
  unserer märkischen Wenden passen, wenn gleich dieselben, selbst
  Brennabor nicht ausgeschlossen, nur zweiten Ranges waren.
  Die wendische Religion kannte drei Arten der Anbetung:
  Naturanbetung (Stein, Quelle, Baum, Hain).
  Waffenanbetung (Fahne, Schild, Lanze).
  Bilderanbetung (eigentlicher Götzendienst).
  Die _Natur_ war der Boden, aus dem der wendische Kultus aufwuchs; die
  spätere _Bilder_-Anbetung war nur _Natur_-Anbetung in anderer Gestalt.
  Statt Stein, Quelle, Sonne etc., die ursprünglich Gegenstand der
  Anbetung gewesen waren, wurden nunmehr Gestalten angebetet, die Stein,
  Quelle, Sonne etc. bildlich darstellten.
  Die Wenden hatten in ihrer Religion einen _Dualismus schwarzer_
  und _weißer Götter_, einer lichten Welt auf der Erde und eines
  unterirdischen Reiches der Finsternis. Die Einheit lag im Jenseits, im
  Himmel.
  An und in sich selbst unterschied der Wende Leib und Seele, doch
  scheint ihm die Menschenseele der Tierseele verwandt erschienen zu
  sein. Wenigstens glaubte er nicht an persönliche Unsterblichkeit. Die
  Seele saß im Blut, aber war doch wieder getrennt davon. Strömte das
  Blut des Sterbenden zu Boden, so flog die Seele aus dem Munde und
  flatterte zum Schrecken aller Vögel, nur nicht der Eule, so lange von
  Baum zu Baum, bis die Leiche verbrannt oder begraben war.
  Die alten Chronisten haben uns die Namen von vierzehn wendischen
  Göttern überliefert. Unter diesen waren die folgenden fünf wohl die
  berühmtesten: _Siwa_ (das Leben); _Gerowit_ (der Frühlingssieger);
  _Swantewit_ (der heilige oder helle Sieger); _Radegast_ (die Vernunft,
  die geistige Kraft); _Triglaw_ (der Dreiköpfige. Ohne bestimmte
  Bedeutung).
  Vom _Siwa_ haben wir keine Beschreibung. _Gerowit_, der
  Frühlingssieger, war mit kriegerischen Attributen geschmückt, mit
  Lanzen und Fahnen, auch mit einem großen kunstvollen, mit Goldblech
  beschlagenen Schild. _Radegast_ war reich vergoldet und hatte ein mit
  Purpur verziertes Bett. Noch im fünfzehnten Jahrhundert hing in einem
  Fenster der Kirche zu Gadebusch eine aus Erz gegossene Krone, die
  angeblich von einem Bilde dieses Gottes herstammte. _Swantewit_ hatte
  vier Köpfe, zwei nach vorn, zwei nach rückwärts gewandt, die wieder
  abwechselnd nach rechts und links blickten. Bart und Haupthaar war nach
  Landessitte geschoren. In der rechten Hand hielt der Götze ein Horn,
  das mit verschiedenen Arten Metall verziert war und jährlich einmal mit
  Getränk angefüllt wurde; der linke Arm war bogenförmig in die Seite
  gesetzt; die Kleidung ein Rock, der bis an die Schienbeine reichte.
  Diese waren von anderem Holz als die übrige Figur und so künstlich mit
  den Knien verbunden, daß man nur bei genauer Betrachtung die Fugen
  wahrnehmen konnte. Die Füße standen auf der Erde und hatten _unter_ dem
  Boden ihr Fußgestell. Das Ganze war riesenhaft, weit über menschliche
  Größe hinaus. Endlich _Triglaw_ hatte drei Köpfe, die versilbert waren.
  Ein goldener Bund verhüllte ihm Augen und Lippen.
  Diese Götter hatten überall im Lande ihre Tempel; nicht nur in
  Städten und Dörfern, sondern auch in unbewohnten Festen, sogenannten
  „Burgwällen“, und zwar auf Hügeln und Klippen, in Seen und Wäldern.
  Wahrscheinlich hatte jeder „Gau“, deren es im Lande zwischen Elbe
  und Oder etwa fünfundvierzig gab, einen Haupttempel, ähnlich wie
  es in späterer christlicher Zeit in jedem größeren Distrikt eine
  Bischofskirche, einen Dom, ein Kloster gab. Dieser Haupttempel konnte
  in einer Stadt sein, aber auch eben so gut in einem „Burgwall“, der
  dann nur den Tempel umschloß und etwa einem Berge mit einer berühmten
  Wallfahrtskirche entsprach. In Julin, Wolgast, Gützkow, Stettin,
  Malchow, Ploen, Jüterbog und Brandenburg werden solche Städte-Tempel
  eigens erwähnt. Unzweifelhaft aber gab es deren an anderen Orten noch,
  als an den vorstehend genannten.
  
  4.
  Rethra. Arkona. „Was ward aus den Wenden?“
   Hier dient der Wende seinen Götzenbildern,
   Hier baut er seiner Städte festes Tor,
   Und drüber blinkt der Tempel Dach hervor:
   Julin, Vineta, _Rethra_, Brennabor.
   =Karl Seidel=
  Die zwei Haupttempelstätten im ganzen Wendenland waren, wie mehrfach
  hervorgehoben, Rhetra und Arkona. Stettin und Brennabor, ihnen
  vielleicht am nächsten stehend, hatten doch überwiegend eine _lokale_
  Bedeutung.
  Rethra und Arkona repräsentierten auch die Orakel, bei denen in den
  großen Landesfragen Rats geholt wurde, und ihr Ansehen war so groß,
  daß der Besitz dieser Tempel dem ganzen Stamme, dem sie zugehörten,
  ein gesteigertes Ansehen lieh; die Redarier und die Ranen nahmen eine
  bevorzugte Stellung ein. Später entspann sich zwischen beiden eine
  Rivalität, wie zwischen Delphi und Dodona.
  _Rethra_ war unter diesen beiden Orakelstätten die ältere, und wir
  beginnen mit Wiedergabe dessen, was Thietmar, Bischof von Merseburg,
  über diese sagt. Thietmar berichtet:
  „So viele Kreise es im Lande der Liutizier gibt, so viele Tempel gibt
  es auch und so viele einzelne Götzenbilder werden verehrt; die Stadt
  Rethra aber behauptet einen ausgezeichneten Vorrang vor allen anderen.
  Nach Rethra schicken die Wendenfürsten, ehe sie in den Kampf eilen, und
  sorgfältig wird hier vermittelst der Lose und des Rosses nachgeforscht,
  welch ein Opfer den Göttern darzubringen sei.“
  Stadt und Tempel von Rethra schildert Thietmar nun weiter: „Rethra
  liegt im Gau der Redarier, ein Ort von dreieckiger Gestalt, den von
  allen Seiten ein großer, von den Eingeborenen gepflegter und heilig
  gehaltener Hain umgibt. Der Ort hat drei Tore. Zwei dieser Tore
  stehen jedem offen; das dritte Tor aber, das kleinste, weist auf
  das Meer hin und gewährt einen furchtbaren Anblick. An diesem Tore
  steht nichts als ein künstlich aus Holz gebautes Heiligtum, dessen
  Dach auf den Hörnern verschiedener Tiere ruht, die es wie Tragsteine
  emporhalten. Die Außenseiten dieses Heiligtums sind mit verschiedenen
  Bildern von Göttern und Göttinnen, die, so viel man sehen kann, mit
  bewundernswerter Kunst in das Holz hineingemeißelt sind, verziert;
  inwendig aber stehen von Menschenhand gemachte Götzenbilder, mit ihren
  Namen am Fußgestell, furchtbar anzuschauen. Der vornehmste derselben
  heißt Radegast oder _Zuarasioi_ und wird von allen Heiden geehrt und
  angebetet. Hier befinden sich auch ihre Feldzeichen, welche nur, wenn
  es zum Kampfe geht, von hier fortgenommen und dann von Fußkämpfern
  getragen werden. Und dies alles sorgfältig zu hüten, sind von den
  Eingeborenen besondere Priester angestellt, welche, wenn die Leute
  zusammenkommen, um den Bildern zu opfern und ihren Zorn zu sühnen,
  allein sitzen bleiben, während die anderen stehen. Indem sie dann
  heimlich unter einander murmeln, graben sie voll Zornes in die Erde
  hinein, um vermittelst geworfener Lose nach Gewißheit über zweifelhafte
  Dinge zu forschen. Nachdem dies beendigt ist, bedecken sie die Lose mit
  grünem Rasen und führen ein Roß, das als heilig von ihnen verehrt wird,
  mit demütigem Flehen über die Spitzen zweier sich kreuzenden, in die
  Erde gesteckten Speere weg. Dies ist gleichsam der _zweite_ Akt, zu dem
  man schreitet, um die Zukunft zu erforschen, und wenn _beide_ Mittel:
  zuerst das Los, dann das heilige Pferd, auf ein gleiches Vorzeichen
  hindeuten, so handelt man darnach. Wo nicht, so wird von den betrübten
  Eingeborenen die ganze Angelegenheit aufgegeben.“
  Als Bischof Thietmar diese Schilderung von Rethra entwarf, stand
  dasselbe noch in höchstem Ansehen bei der Gesamtheit des Wendenvolkes,
  aber schon wenige Jahre später ging sein Ruhm als _erste_ Tempel-
  und Orakelstätte des Wendenreiches unter. _Arkona_ auf Rügen trat an
  seine Stelle. Noch 1066 hatten die Wenden, nach einem siegreichen
  Rachezuge, den Bischof Johann von Mecklenburg nach Rethra geschleppt
  und dem Radegast das Haupt des Bischofs geopfert; aber dies Ereignis
  führte zugleich zu jener Niederlage Rethras, von der es sich nicht
  mehr ganz erholte. Im Winter 1067 auf 1068 erschien Bischof Burkhard
  von Halberstadt vor Rethra, stürzte das Götzenbild um und _ritt auf
  dem weißen Rosse des Radegast heim_. Dieser wohlberechnete Hohn blieb
  auf die Wendenstämme nicht ohne Einfluß, Eifersucht gegen die Redarier
  kam hinzu, und so wendeten sich die Wendenstämme von dem Radegast zu
  Rethra, der sich schwach erwiesen hatte, ab und dem Swantewit-Tempel
  in Arkona zu. Hundert Jahre lang, von jenem Tage der Niederlage ab,
  glänzte nun _Arkona_, wie vorher _Rethra_ geglänzt hatte. Auch von
  Arkona und seinem Swantewit-Tempel besitzen wir eine Beschreibung. Es
  scheint, daß vier mächtige Holzpfeiler, die auf Tierhörnern ruhten,
  ihrerseits ein Dach trugen, dessen Inneres dunkelrot getüncht war. Der
  Raum zwischen den vier Pfeilern war durch Bretterwände ausgefüllt,
  die allerhand bunt bemaltes Schnitzwerk trugen. Dies alles aber war
  nur die Außenhülle, und vier mächtige Innen-Pfeiler, durch Vorhänge
  geschlossen, teilten den inneren Tempelraum wieder in zwei Hälften, in
  ein Heiligstes und Allerheiligstes. In dem letzteren erst stand das
  Bild Swantewits. Arkona hatte besondere Tempeldiener, und mehr und
  mehr bildete sich hier eine Priesterkaste aus. Sie unterschieden sich
  schon durch Tracht und Kleidung von dem Rest der Nation und trugen Bart
  und Haar lang herabwallend, während die übrigen Ranen Bart und Haar
  geschoren trugen. Sie gehörten zu den _Edlen_ des Landes; kriegerische
  und priesterliche Tätigkeit galt überhaupt den Wenden als wohl
  vereinbar.
  Auch hier in Arkona diente das „weiße Pferd“ zur Zeichendeuterei.
  Alle Poesie knüpfte sich an dasselbe. Nicht selten fand man es des
  Morgens mit Schaum und Schmutz bedeckt in seinem Stall; dann hieß es,
  Swantewit selber habe das Pferd geritten und es im Streit gegen seine
  Feinde getummelt. Die Formen, unter denen das Orakel erteilt oder die
  Frage „Krieg oder Friede“ entschieden wurde, waren denen in Rethra nah
  verwandt, aber doch nicht voll dieselben. Drei Paar gekreuzte Lanzen
  wurden in den Boden gesteckt und das Pferd heran geführt. Schritt es
  nun mit dem rechten Fuß zuerst über die Speere, so war das Zeichen
  glücklich, unglücklich, wenn das Tier den linken Fuß zuerst aufhob.
  Entschiedenes Heil aber versprach das Orakel nur, wenn das weiße Pferd
  über alle _drei_ Lanzenpaare mit dem rechten Fuße hingeschritten war.
  Der Swantewit-Tempel auf Arkona war das letzte Bollwerk des Heidentums.
  Es fiel endlich, wie schon hervorgehoben, in den Dänenkämpfen,
  im Kriege mit „Waldemar dem Sieger“, nachdem es nicht nur den
  Radegast-Tempel Rethras, wenigstens den Ruhm desselben, um ein
  Jahrhundert, sondern auch den uns in gewissem Sinne näher angehenden
  _Triglaw-Tempel_ zu _Brennabor_ um zwanzig und einige Jahre überlebt
  hatte.
  Dieser Triglaw-Tempel, wenn auch für die _Gesamtheit_ der Wenden nur
  ein Tempel zweiten Ranges, erheischt noch ein kurzes Verweilen.
  Triglaw war eine ursprüngliche pommersche Gottheit und wurde, wie es
  scheint, erst in späterer Zeit, sei es aus _Eifersucht_ oder sei es
  aus _Mißtrauen_ gegen den Radegast (in Rethra) von Pommern her in die
  Havelgegenden eingeführt. In Kürze haben wir ihn schon an anderer
  Stelle beschrieben. Er hatte _drei_ Köpfe, weil er Herr im Himmel,
  auf Erden und in der Unterwelt war, und sein Gesicht war verhüllt,
  zum Zeichen, daß er die Sünden der Menschen übersah und verzieh. In
  seinen Händen hielt er einen gehörnten Mond, ein Symbol, über dessen
  Bedeutung nur Vermutungen existieren. Seinen Haupttempel hatte er in
  Stettin, der den Schilderungen nach, die wir davon besitzen, den aus
  Holz aufgeführten, mit Bildwerk und Schnitzereien ausgeschmückten
  Tempeln in Rethra und Arkona sehr verwandt gewesen sein muß. Auch der
  Triglaw-_Dienst_ war dem Dienst des Radegast oder Swantewit mehr oder
  weniger verwandt. Die Zeichen wurden in ähnlicher Weise gedeutet, das
  Roß schritt über die gekreuzten Lanzenspitzen hin, und das Berühren
  dieser oder jener Lanze mit dem einen oder andern Fuß -- alles hatte
  seine Bedeutung zum Heil oder Unheil. Nur das Roß selbst war nicht
  weiß, sondern schwarz, vielleicht weil Triglaw selbst mehr den
  finstern als den lichten Göttern zugehörte.
  Um 982, unmittelbar nach dem großen Wendenaufstande, war es, daß
  nunmehr diesem Triglaw zu Ehren auch in _Brennabor_ ein Tempel
  errichtet wurde. Derselbe erhob sich auf dem Harlunger-Berge und sah
  triumphierend in das dem Heiden- und Wendentum wieder zurückeroberte
  Land hinein. Es war höchst wahrscheinlich kein Holzbau mehr, wie
  der Stettiner, sondern ein Steinbau, nach Art der christlichen
  Steinkapellen,[3] und _M. W. Heffter_, in seiner trefflichen Geschichte
  Brandenburgs, stellt sogar die Hypothese auf, daß aus diesem alten
  heidnischen Tempelbau, zunächst ohne wesentliche Umgestaltung, die
  später so berühmt gewordene Marienkirche auf dem Harlunger-Berge
  hervorgegangen sei. Wir halten dies für wahrscheinlicher als nicht,
  finden indessen den Beweis dafür weniger in der eigentümlichen
  Architektur der Kirche, als in dem historisch nachgewiesenen
  Umstande, daß sich unter den märkischen Wenden der Übergang aus dem
  Heidentum ins Christentum schließlich in aller Ruhe vollzog, etwa wie
  
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