Waldwinkel - 4

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sonst so oft getan, tags an der offenen Landstraße wie abends im
behaglichen Quartier. Der reichbegabte Mann und die scheinbar so weit von
ihm getrennte Kreatur--in diesem Augenblick legte sich das Gefühl der
gegenseitigen Treue wie erquickender Tau auf beider Haupt.--Richard war
nicht dazu gekommen, Franzi seinen so freudig gefaßten Entschluß
mitzuteilen; auch als sie bald darauf wieder eintrat, und selbst in den
folgenden Tagen, gelangte er nicht dazu.--Franzi ging wiederholt in den
Wald hinaus. Sie brachte ihm die erschlossene Blume, um deren willen sie
zuerst hinausgegangen war; sie brachte auch andere, die zu seiner Arbeit
in Beziehung standen; jedesmal hatte sie etwas Neues vorzulegen. In der
Vase, welche auf dem Schreibtische stand, ordnete sie fast täglich einen
neuen Strauß von Gräsern und wilden Blumen, zwischen denen jetzt auch
schon Zweige mit roten und schwarzen Beeren glänzten.
Wenn sie ihn verlassen hatte, fühlte er eine Unruhe, die er sich selber zu
gestehen schämte. Denn was konnte ihr geschehen hier im Walde!--Einen
Schuß hatte er nicht wieder gehört; die Jagd mußte, wenn sie überhaupt
betrieben wurde, nach einem entfernteren Teile des Reviers verlegt sein.
Aber allmählich und immer rascher fühlte er sich genesen; bald ging er im
Hause, bald mit Leo und Franzi auch schon draußen in der nächsten Umgebung
desselben umher; mit vollen Zügen atmete er die klare, würzige Herbstluft.
Und jetzt erfaßte ihn aufs neue eine Ungeduld, bevor noch hier die
Blätter fielen, seine Pläne zu verwirklichen. Mit raschem Entschluß
setzte er sich an den Schreibtisch und teilte seinem Freunde, dem
Bürgermeister, seine Absicht nebst einer dessen Persönlichkeit
entsprechenden Begründung mit, zugleich kündigte er seinen Besuch auf die
nächsten Tage an. Neben ihm unter dem Briefbeschwerer lag die jüngst
verfaßte Arbeit, in sauberer Reinschrift von Franziskas Hand und fertig
zur Versendung an die Redaktion einer botanischen Zeitschrift. Alles
sollte noch heute die Botenfrau zur Post bringen.
Als er die Abhandlung hervorzog, um sie einzusiegeln, kreuzte beim
flüchtigen Einblick ein Gedanke seinen Kopf, der ihn antrieb, noch einmal
ein in seiner Bibliothek befindliches Fachwerk nachzuschlagen.
Gleich nachdem er das Zimmer verlassen hatte, kam Franziska durch die
Außentür herein. Als sie den offenen, frisch geschriebenen Brief auf dem
Tische liegen sah, trat sie auf leisen Sohlen näher; vorsichtig reckte sie
den Kopf, und ihre Augen flogen darüber hin, als wollten sie die Schrift
einsaugen. Ein paar Sekunden stand sie noch, ihre Finger fuhren an die
Zähne, ein heftiges Erschrecken lag auf ihrem Antlitz. Dann, als nebenan
in der Bibliothek sich Schritte rührten, entfloh sie aus dem Zimmer, aus
dem Hause und draußen über den Hof; an die Mauer gedrückt, lief sie in die
Heide hinaus, die an der Rückseite des Gebäudes lag. Eine Weile saß sie
hier zwischen dem Eichengebüsch auf dem Boden, die Hände um die Knie
gefaltet; ihre Blicke flogen von den Wetterfahnen des Hauses, welche
goldschimmernd in der Morgensonne aus dem Laub hervorragten, nach dem Wald
hinüber und vom Walde zurück zu dem alten Gemäuer, das dort so friedlich
in dem Grün der Bäume stand. Plötzlich sprang sie auf; die ganze
schmächtige Gestalt bebte, aber ihre Augen blickten entschlossen nach dem
Wald hinüber. Durch das Gebüsch der Heide lief sie seitwärts an der
Wiesenmulde entlang. Als sie beim Zurückblicken das Haus nicht mehr
gewahren konnte, ging sie durch die wuchernden Kräuter in dieselbe hinab
und verschwand dann jenseits zwischen den Stämmen der Waldbäume.
--Als sie nach reichlich einer Stunde wieder ins Haus trat, schien jede
Spur einer Aufregung aus ihrem Angesicht verschwunden.
"Bist du endlich da, Franzi?" sagte Richard, der ihr auf dem Flur
entgegenkam, "ich suche dich seit einer Stunde."
Franziska drückte ihm leicht die Hand. "Verzeih, daß ich dir's nicht
sagte. Mir war der Kopf benommen, ich mußte einen Gang ins Freie machen."
Er legte ihren Arm in seinen. "Komm!" sagte er und zog sie mit sich die
Treppe hinauf nach dem Wohnzimmer. Hier faßte er sie an beiden Händen und
blickte sie lang und liebevoll mit seinen ernsten Augen an.
Sie senkte den Kopf ein wenig und fragte: "Was hast du, Richard? Du bist
so feierlich."
"Franzi", sagte er, "gedenkst du wohl noch der Hochzeitsmusik, die abends
vom Waldesrand zu uns herüberwehte?"
Sie nickte, ohne aufzusehen.
"Und jener Worte, die ich damals zu dir sprach?--Ich war ein Tor, Franzi;
die ungewohnte Einsamkeit hatte mir den Mut gelähmt. Doch jetzt bin ich
ein eigensüchtiger Mensch; ich kann nicht anders, ich muß dich halten,
unauflöslich fest, auch wenn du gehen wolltest! Ich ertrag's nicht länger,
daß du frei bist.--Das ist Selbsterhaltung, Franzi, ich kann nicht leben
ohne dich."
Immer inniger ruhten seine Augen auf ihr, immer mehr hatte er sie an sich
gezogen.
Bebend hing sie in seinen Armen. "Wann", sagte sie, "wann denkst du, daß
es sein sollte?"
"Macht's dich beklommen, Franzi?"--Er legte seine Hand auf ihre dicke
seidene Flechte und drückte ihren Kopf zurück, daß er ihr Antlitz sehen
konnte. "Ich hab dich überrascht, besinne dich!--Wir brauchen keine
Hochzeitsmusik; in dieser Stille, wo du mein geworden bist, mag auch die
Außenwelt ihr Recht bekommen. Die alte gute Wieb, ihr Freund, der
Inspektor; wir brauchen keine andern Zeugen! Und übermorgen reise ich zu
deinem Vormund, zu unserem Freund, dem Bürgermeister; die paar Tage noch
bist du Strohwitwe; dann, Franzi, dann verlassen wir uns nicht mehr." Er
schwieg.
Sie öffnete die Lippen; aber es war, als wenn die Worte nicht hinüber
wollten. "Und wann", sagte sie endlich, "wirst du wiederkommen?"
"Am Sonnabend reise ich; am Dienstag bin ich wieder da. Dann hoff ich
alles mitzubringen: die nötigen Scheine, die Lizenz, das Hochzeitskleid.
--Ja, Franzi, die Tage deiner Freiheit sind gezählt! Du wirst mir doch
indes nicht etwa fortgeflogen sein?"
Mit dem glücklichsten Lächeln blickte er sie an. "Und nun geh, mein
geliebtes Weib! Ich hab noch mancherlei für uns zu ordnen."
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Die letzte Nacht vor der Abreise war gekommen.
--Die drei Bewohner des Waldwinkels befanden sich in ihren Schlafgemächern;
Leo, der treue Wächter, lag, wie stets um diese Zeit, unten im Flur quer
vor der Haustür hingestreckt. Im Hause war alles still, wenn nicht
mitunter ein Husten der alten Frau Wieb aus deren Gardinenbett hervorbebte
oder droben im Wohnzimmer der Uhrenkuckuck von Stunde zu Stunde die
Stationen der Nacht in die schweigenden Räume hinausrief.--Draußen aber
wühlte der Wind in den Bäumen; die Wetterfahnen kreischten auf dem Dache,
und allerlei Stimmen schwebten, wenn der Sturm zu neuem Zuge den Atem
anhielt, aus dem Walde herüber.--Horch! Klang da nicht ein Fenster? Das
einzige an der Westseite des Hauses, wo die Eichenzweige die Mauer fast
berühren?
Nein, nur in den Lüften brauste es stärker; es schien sich weiter nichts
zu rühren; die alte Frau Wieb hustete; oben rief der Kuckuck: eins!--Die
Nacht rückte weiter; nichts, was nicht sonst auch da war, ließ sich hören.
Die wenigen Sterne, die durch die vorüberjagenden Wolken blinkten,
erblichen nach und nach.--In der ersten Dämmerung stand Franziska vor
Richards Bette. Er schlief noch; sie kniete nieder und küßte seine Hand,
die über den Rand des Bettes herabhing; und als er die Augen aufschlug,
sagte sie: "Du mußt aufstehen, Richard; der Wagen wird bald da sein!"
"Franzi!" rief er, die Augen zu ihr aufschlagend, und nach einer Weile, da
der Nebel des Schlafs von seiner Stirn gewichen war, setzte er hinzu:
"Hast du den Eulenschrei gehört, heut nacht? Auf der Uhr drinnen rief es
just zu eins."
Sie zuckte leise in den Schultern. "Das hören wir ja jede Nacht", sagte
sie leise.
"Nein, nein, Franzi; es war nicht der Waldkauz, den wir hierherum haben;
es klang ganz anders, seltsam! Ich zweifelte zuerst, ob's auch nur einer
seiner Vettern sei; drunten vorn Flur herauf hörte ich, wie Leo sich
aufrichtete und einige Male hin und wider ging."
"Ich hab es nicht bemerkt", sagte sie leise.
"Dann hast du fest geschlafen, Franzi; denn das Tier muß in einem der
nächsten Bäume hier gesessen haben."
Sie saßen noch beim Frühstück miteinander, aber Franzi brachte kaum ein
Krümchen über ihre Lippen. Dann stieg er in den Wagen. "Vergiß es nicht;
drei Tage!" rief er ihr noch zurück, und fort rollte das Gefährt über die
Heide; mit lautem Bellen sprang der Hund voraus.
Lange stand sie und blickte mit unbeweglichen Augen hinterher, bis nur
noch die dunkle Linie des Steppenzuges sich am Horizonte abhob.
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Am Nachmittag trat Richard zu seinem Freunde,
dem Bürgermeister, in das Zimmer.
"Nun, Waldmensch!" rief dieser, ihm drohend die kleine runde Hand
entgegenschüttelnd, "was treibst du denn für Streiche?"
"Du hast also meinen Brief erhalten?"
"Freilich! Wie du einen alterieren kannst! Es sind natürlich lauter
Scherze!"
"Ich bin in vollem Ernst zu dir gekommen."
"Höchst merkwürdig!" sagte der Bürgermeister, "romantisch, ganz romantisch!
--Ich wette, du weißt noch nicht einmal, wer Vater und Mutter zu dem
Mädchen gewesen sind."
"Was geht das mich an!"
"Nun, nun; du brauchst aber doch einen Taufschein--"
"Ich brauche noch mehr, Fritz! Vielleicht gar deine
obervormundschaftliche Hülfe, wenn der wackere Schuster seine Mündel etwa
wieder bei einem reichen Bäcker sollte in Versorgung geben wollen."
"Meine Hülfe, Richard? Nein, nein; wo denkst du hin? Das ginge denn doch
gegen mein Gewissen."
Richard lächelte. "Aber du bist ja nicht mein Obervormund; ist dir der
Mann nicht gut genug für deine Mündel?"
"Bei Gott, du hast recht, Richard! Mir war in diesem Augenblick, als
seist du noch mein Leibfuchs. Da werd ich freilich nichts dagegen machen
können." Der Bürgermeister hatte seine goldene Brille von der Nase
genommen, putzte die Gläser mit seinem gelbseidenen Schnupftuche und sah
dabei den Freund kopfschüttelnd aus seinen kleinen Augen an. "Hm, solch
ein Schwärmer!" sagte er, "es ist doch seltsam, daß euere Sorte immer--"
Aber Richard ergriff den kleinen guten Mann bei beiden Händen. "Du
disputierst sie mir nicht ab", sagte er innig. "Laß gut sein, Fritz;
sprich lieber, wie steht es mit dem Herrn Magister?"
"Er sitzt!" erwiderte der Bürgermeister mit einem höchst fröhlichen
Erwachen seiner Stimme.
"Aber sein Prozeß?"
"Still; weck ihn nicht! Der schläft."
"Und Franziska?"
"Wird nicht mehr beunruhigt werden. Die Akten sind eingesandt; das Urteil
kommt schon zu seiner Zeit."
"Nun, Fritz, so hilf mir, und laß uns alles rasch besorgen!"-Und alles
wurde besorgt; schon am nächsten Vormittage hatte Richard die Lizenz und
alle nötigen Scheine in seinen Händen. Es war sein Plan gewesen, die
Reise noch auf jene Großstadt auszudehnen; aber wieder befiel ihn eine
fast angstvolle Sehnsucht und trieb ihn nach dem Wald zurück; die
beabsichtigten Einkäufe ließen sich ja auch am besten in Gemeinschaft mit
Franziska machen.
So befahl er denn die Heimkehr.
"Frisch zu, Kutscher", sagte er, "es gibt ein doppeltes Trinkgeld." Der
Kutscher brauchte seine Peitsche; noch am Nachmittag erreichten sie das
Dorf; aber auf dem holperigen Steinpflaster lief ein Rad von der Achse,
und zur Ausbesserung bedurfte es einer halbstündigen Arbeit in der
Dorfschmiede. Richard, von Leo begleitet, war nach dem Krug
hinübergegangen. Bei seinem Eintritt in die Außendiele stieß der Hund ein
dumpfes Knurren aus, und in demselben Augenblick ging der junge Förster,
der eben aus der Gaststube trat, ohne Gruß an ihm vorüber aus der Haustür;
nur ein flüchtiger Blick der blanken Augen hatte ihn gestreift.
Richard blieb unwillkürlich stehen. Als er durch die offene Haustür
wahrnahm, daß der andere den Hof verlassen hatte, ging auch er wieder
hinaus und sah ihn eilig auf dem nach Norden fahrenden Landwege
dahinschreiten. Der Mensch war ihm verhaßt; er wußte selber kaum, weshalb
er hier am Wege stand, ihm nachzublicken.
Er wandte sich rasch wieder nach dem Hause. Dort hörte er von der
Gaststube aus lebhaftes und vielstimmiges Gespräch, wovon er bei seiner
ersten Einkehr nichts bemerkt hatte. Als er mit seinem Hunde eintrat,
fand er viele Gäste an den Tischen sitzen, denn es war Sonntagnachmittag.
Aber das Gespräch verstummte plötzlich; statt dessen kam der Wirt ihm
entgegen und erkundigte sich geflissentlich nach seiner Reiseungelegenheit.
Von einem der Tische her hörte er noch den Namen des Försters, den er
zufällig erfahren hatte; doch der Sprecher erhielt von seinem Nachbar
einen Stoß mit dem Ellenbogen, und allmählich kam wieder ein lautes
Gespräch in Gang, wie es die Bauern über Ernte und Fruchtpreise um solche
Jahreszeit zu führen pflegen.
Endlich war die Achse hergestellt, und der Wagen rollte fort. Richard saß
in sich versunken; eine unklare, unbehagliche Stimmung hatte ihn ergriffen;
er konnte sich nicht freuen auf die Heimkehr, formlose gespenstische
Gebilde aus irgendeinem fernen grauen Nebel drangen auf ihn ein. Wenn er
nur erst da wäre, nur erst Franziskas Antlitz wiedersähe!
Und weiter ging es, und immer näher kam er zu den Wäldern. Schon rumpelte
der Wagen zwischen dem Eichenbusch über den harten Heideboden, und endlich
stieg das Dach des Hauses vor ihm auf, und er sah die Wetterfahnen in der
Abendsonne schimmern.
Aber dort, was seitwärts aus dem Schatten des Waldes trat, das war sie ja
selbst; ihr helles Kleid, ihr Strohhütchen, ganz deutlich hatte er es
erkannt. Sie schien den Wagen nicht bemerkt zu haben, denn sie schlug die
Richtung nach dem Hause ein; aber er beugte sich vor und rief über die
Heide: "Franzi! Franzi!"--Da blieb sie stehen, und als er noch einmal
gerufen hatte, wandte sie sich und kam langsam näher. Endlich konnte er
ihr Antlitz sehen; die Augen standen so groß und dunkel über den blassen
Wangen; er meinte sie noch niemals so gesehen zu haben. Bevor der Wagen
hielt, war er schon hinabgesprungen und schloß sie in die Arme. "Gott sei
gedankt!" rief er und atmete auf, als fiele eine Bergeslast von seiner
Brust, "mir war, als könnt ich dich verloren haben!"
Sie sagte nur: "Was du für Träume hast!"
Aber während ihr Kopf an seinem Herzen lag, waren ihre Augen auf den an
ihrer Seite stehenden Hund gefallen. Der hatte die Nase nach dem Walde
ausgestreckt, der Richtung nach, in welcher Franzi ihn soeben verlassen
hatte, und schnoberte immer heftiger in der Luft umher. Fast mechanisch
griff ihre kleine Hand in das metallene Halsband des Tieres. "Laß uns
heim, Richard", sagte sie hastig, "und halte den Hund, damit er nicht wie
neulich nach den Rehen jagt."
Er sah nicht hin, er hatte nur Augen für die junge Gestalt, die er in
seinen Armen hielt, die er wie ein Kind jetzt in den Wagen hob. Dann
pfiff er seinem Hunde, und bald hatten sie die kurze Strecke bis zum Hause
zurückgelegt.
Er fand dort alles in gewohnter Ordnung; die alte Wieb trat im saubersten
Sonntagsanzug ihm entgegen, voll Freude über seine unerwartete schnelle
Heimkehr. Aber er sagte ihr, daß der Wagen schon auf morgen wieder
bestellt sei, daß er in der großen Stadt zu tun habe und daß Franziska mit
ihm reisen werde. Und dieser flüsterte er zu: "Du bist es doch zufrieden,
Franzi? Wir gehen wieder zu der entzückten Ladendame; kleine seidene
Stiefelchen soll sie dir anmessen! Du sollst dir alles selber
aussuchen--doch nein! Du bist zu anspruchslos, du würdest doch nur
Kleider für dich kaufen.--Ich aber--in weißen Duft will ich dich hüllen,
so leicht wie ein Nichts, so zart, daß auch eine Wolke davon das Leuchten
einer Rose nicht verbergen könnte."
Er sah es nicht, wie sie die weißen Zähnchen aufeinanderbiß und wie ihre
Lippen zitterten.
"Nun Franzi?" fuhr er fort, "was meinst du, bist du es zufrieden?"
Sie zog schweigend seine Hand an ihre Lippen; dann sagte sie mit jenem
scharfen Klang der Stimme: "Ich meine, daß du wieder einmal verschwenden
willst und daß du dich täuschest über mich arme Dirne, die ich bin."
"Und ich meine, daß jetzt du die Törin bist."
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Der Abend kam. Richard hatte wie gewöhnlich das
äußere Bohlentor und die Haustür abgeschlossen; vor der letzteren auf dem
Hausflur lag der Hund, der große Schlüssel zu dem ersteren hing an dem
Türpfosten in seinem Schlafgemache. Dann legte er sanft den Arm um
Franzis Leib, die müßig am Fenster des Wohnzimmers stand und nach dem
dunkeln Wald hinüberschaute, und führte sie durch die Bibliothek bis an
die Schwelle ihrer Kammer. Sie war ihm wieder wie eine unberührte Braut,
er überschritt die Schwelle nicht. "Schlafe süß, meine Franzi!" sagte er.
"Mir ist auf einmal wieder, als stünde das Glück mir noch in ungewisser
Ferne."
Sie hatte schon die Tür geöffnet; da riß er sie noch einmal an sich.
"Gute Nacht, gute Nacht, Franzi!"
Dann war sie fort; nur ihre kleinen, leichten Schritte hörte er noch
hinter der geschlossenen Tür.
Langsam ging er durch das Wohnzimmer. Im Vorübergehen hob er die
brennende Kerze, welche er dort vom Tisch genommen hatte, gegen das alte
Türbild und warf einen flüchtigen Blick darauf; dann trat er in sein
Schlafgemach.
Und bald, nach den Ermüdungen dieser letzten Tage, lag er in festen Schlaf
gesunken. Weder das Rauschen der Wälder draußen in der dunkeln
Herbstnacht noch der Zeitruf des kleinen Kunstvogels aus der nebenan
liegenden Stube drang in die Tiefe seines Schlummers. Schon war die
höchste Stufe der Nacht erklommen; zwölfmal hatte es drüben von der Uhr
gerufen; er schlief traumlos weiter, und weiter rückte die Nacht. Eins
rief es von der Uhr;--dann zwei;--dann drei! Da kamen die Träume, und was
am Tage nur wie beängstigender Nebel vor seinem Blick geschwommen, jetzt
wurde es zu farbigen Gestalten, von grellem oder fahlem Licht beleuchtet,
das keiner Zeit des Tages angehörte.--Wie bleich ihm Franzi in den Armen
hing! Und seltsam, immer wollten ihre Augen ihn nicht ansehen! Aber dort
hinter den Bäumen stand der Jäger.--Stöhnend warf er sich umher auf seinem
Lager; aus seinem Munde brachen heftige, zusammenhanglose Laute.
Plötzlich fuhr er empor und saß aufgerichtet, in den Kissen, der Nachhall
irgendeines Schalles lag in seinen Ohren; und jetzt schon wußte er es, vom
Hofe drunten mußte es gekommen sein. Im selben Augenblicke stand er auch
am Fenster, kaum die erste graue Dämmerung war angebrochen; aber dennoch
sah er es, wie eben das schwere Hoftor zuschlug. Wie noch im Traume hatte
er eine seiner beiden Pistolen von der Wand gerissen; eine Fensterscheibe
klirrte, und klatschend fuhr die Kugel drunten in das Bohlentor.
Dann blieb alles still. Er riß die andere Pistole von der Wand, und ohne
Kleidung, im nackten Hemde, stürzte er aus dem Zimmer; im Hinausgehen
griff er nach dem Haken an der Tür, aber der Schlüssel fehlte.
"Leo, Leo!" rief er auf der Treppe draußen. "Mein Hund, wo bist
du?"--Nichts regte sich. Noch einmal rief er und stieg dann in den noch
dunkeln Hausflur hinab.
Da wurden seine Füße durch etwas aufgehalten, was nicht weichen wollte;
als er sich bückte, fuhr seine Hand über langes seidenweiches Haar.--Er
stieß einen lauten Schrei aus. Noch einmal bückte er sich; dann rannte
er--er wußte selbst nicht weshalb--in die Kammer seiner alten Dienerin;
aber die taube alte Frau lag ruhig atmend in ihrem Bette; er nahm das auf
dem Tische stehende Licht, zündete es an und trat wieder auf den Flur
hinaus. Da lag sein Hund, die Beine steif gestreckt, die braunen
Augensterne groß und offen. Er warf sich nieder und leuchtete mit der
Kerze dicht hinan; ein bläulicher Flor schien den Glanz der Augen zu
bedecken; kalt und wie in stummer Klage starrten sie ihn an.--Auf einmal
war ihm, als würden die Mauern durchsichtig, als sähe er zwei jugendliche
Gestalten über die Heide fliehen und im brennenden Morgenschein
verschwinden.
Er sprang auf und stand im nächsten Augenblicke in Franziskas Kammer.--Sie
war leer, das Bett nur leicht berührt; man sah, sie hatte nur zu
flüchtiger Rast sich auf die Decke hingestreckt; das Kissen zeigte noch
den Eindruck, wo sie ihren Arm gestützt hatte. Er hätte es nicht lassen
können, er legte seine Hand hinein, als liebkoste er noch diese letzte
Spur ihres Lebens. Da klirrte durch eine zufällige Berührung die Waffe in
seiner andern Hand, und jäh schoß ein neuer Gedankenstrom durch seinen
Kopf. Schon war er draußen auf der Treppe; aber er kam nicht weiter.--Was
wollte er denn noch?--Schon einmal waren seine Hände rot geworden.
Langsam stieg er die Treppe hinauf nach seiner Schlafkammer; er hängte die
Schußwaffe an ihren Platz; dann kleidete er sich völlig an. Als er fertig
war, trat er in das Wohnzimmer, zog die Vorhänge der Fenster auf und
öffnete dann mit seinem Schlüssel das Fach des Schreibtisches, worin die
Wertpapiere ihren Platz hatten.
Er wußte vorher schon, was er finden würde. Was ihm gehörte, lag
unberührt; das Päckchen mit Franziskas Namen war verschwunden.--Eine Weile
suchte er noch nach einem Zettelchen von ihrer Hand, einem Wort des
Abschieds oder was es immer sei; er räumte das ganze Fach aus, aber es
fand sich nichts.
Durch die Fenster brach der erste Morgenschein und ließ das alte Türbild
aus der Dämmerung hervortreten. Als er zufällig den Blick dahin warf,
überkam ihn ein wunderlicher Sinnentrug; der einsame Alte dort am Wege
hatte ja den Kopf gewandt und sah ihn an.
Die Sonne stieg höher, an den Tapeten leuchteten die Blumen der
Vergessenheit. Richard hatte die Augen noch immer nach dem Bilde. Es war
sein eigenes Angesicht, in das er blickte.
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Der Oktober war ins Land gekommen. Im Kruge zu Föhrenschwarzeck saßen
eines Nachmittags der Wirt und der kleine Krämer aus der Stadt sich
gegenüber. Der ganze Tisch war voll von Kreidezahlen; sie hatten wieder
einmal Quartalstag gehalten, das Fazit war gezogen und genehmigt worden;
die noch übrige Zeit gehörte vergnüglicheren Gesprächen, und sie waren
auch schon in vollem Gange.
Kasper-Ohm begann soeben von dem Boden der gemeinen Wirklichkeit
emporzusteigen. "Ihr mögt mir's glauben", sagte er geheimnisvoll, "es ist
sein eigen Blut gewesen; freilich hat er's nicht Wort haben wollen, denn
sie ist auf den Namen Fedders getauft und bei einem Magister aufgezogen
worden; sogar einen eigenen Vormund hat er ihr von Gerichts wegen setzen
lassen!"
"Kasper-Ohm!" sagte der kleine Krämer, "Ihr seid wieder einmal bei Eurem
Advokaten in der Stadt gewesen!"
"Nun, nun, Pfeffers, glaubt's oder glaubt's nicht! Der Vormund ist selbst
bei mir eingekehrt gewesen; da, wo Ihr jetzt sitzt, hat er gesessen und
seinen Schnaps getrunken; sie haben's drüben im Narrenkasten eben
mitsammen fertig gehabt, daß das arme Kind einen reichen Bäckermeister
freien sollte, so einen alten wurmstichigen Mehlkneter; denn sie ist was
wild gewesen, und die alte Waisenwieb hat nicht recht mehr mit ihr hausen
können.--Nun, Pfeffers, was soll man dazu sagen, daß sie lieber mit dem
schwarzen Krauskopf--" Er nickte dem Krämer zu und blies bedeutsam durch
seine ausgespreizten Finger.
"Das ist eine gewaltige Geschichte, die Ihr da erzählt, Kasper-Ohm",
meinte der andre, "und stimmt nicht ganz mit dem Kalender; denn der Doktor
ist bei der Geburt des Mädels ja schon drei Jahr außer Landes gewesen!
Aber laßt uns einmal anstoßen, und freut Euch, daß der Krauskopf Eure
Ann-Margret nicht auch noch mitgenommen hat; denn er sah mir just nicht
aus, als wenn er lange mit einer einzigen zufrieden wäre."
Kasper-Ohm lachte und blickte durch die Fensterscheiben. "Da kommt auch
der Inspektor!" sagte er.
Der Genannte war eben in Begleitung seines Pudels unter der alten Eiche
durchgegangen, in deren Wipfel jetzt das leere Nest zwischen den schon
gelichteten Zweigen sichtbar war.
Der Wirt empfing ihn an der Stubentür. "Nun, Herr Inspektor", rief er
munter, "alles wieder auf dem alten Stand?"
"Ausgekehrt und abgeschlossen!" erwiderte der Alte, indem er den großen
Schlüssel zum Außentor des Waldwinkels auf den Tisch und sich selbst auf
einen Stuhl warf. "Gestern ging das letzte Fuder nach der Stadt, um dort
unterm Hammer weggeschlagen zu werden; all das schöne Ingut! Die alte
Lewerenz bekommt das ganze Geld dafür."
"Und der Herr Doktor?" fragte der Wirt. "Wo ist denn der geblieben?"
"Weiß nicht", sagte der Alte, "kümmert mich auch nicht;--fort--in die
weite Welt."
Der kleine Pfeffers nahm den Schlüssel von der Tischplatte und hielt ihn
über den Köpfen der beiden andern: "Wer bietet auf den "Narrenkasten"?
--Nummer eins: der alte Herr; Nummer zwei: der Herr Botanikus;--wer bietet
zum dritten auf den "Narrenkasten"?"
"Laßt die Possen, Pfeffers!" sagte der Alte und nahm ihm den Schlüssel aus
der Hand. "Mir tut's nur leid um den Löwengelben; ich sag Euch, es war
ein Kapitalvieh; er ging noch über meinen Phylax."
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