Vor Sonnenaufgang: Soziales Drama - 5

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sich, vertraulich, halb und halb im Scherz.) Wie? Du solltest wirklich
fähig sein, hier ... gerade hier, wo ein Freund von Dir glücklich festen
Fuß gefaßt hat, den Boden zu unterwühlen?
Loth. Mein Ehrenwort, Hoffmann! Ich hatte keine Ahnung davon, daß Du
Dich hier befändest. Hätte ich das gewußt ....
Hoffmann (springt auf, hocherfreut). Schon gut! schon gut! Wenn die
Sachen _so_ liegen .... siehst Du, das freut mich _aufrichtig_, daß ich
mich nicht in Dir getäuscht habe. Also, Du weißt es nun, und
selbstredend erhältst Du die Kosten der Reise und alles, was drum und
dran baumelt, von mir vergütet. Ziere Dich nicht! Es ist einfach meine
Freundespflicht .... Daran erkenne ich meinen alten, biederen Loth!
Denke mal an: ich hatte Dich wirklich eine Zeit lang ernstlich im
Verdacht .... Aber nun muß ich Dir auch ehrlich sagen, so schlecht, wie
ich mich zuweilen hinstelle, bin ich keineswegs. Ich habe Dich immer
hochgeschätzt, Dich und Dein ehrliches, consequentes Streben. Ich bin
der letzte, der gewisse, -- leider, leider mehr als berechtigte
Ansprüche der ausgebeuteten, unterdrückten Massen nicht gelten läßt. --
Ja, lächle nur, ich gehe sogar so weit zu bekennen, daß es im Reichstag
nur _eine_ Partei giebt, die Ideale hat: und das ist dieselbe, der Du
angehörst! .... Nur -- wie gesagt -- langsam! langsam! -- nichts
überstürzen. Es kommt alles, kommt alles, wie es kommen soll. Nur
Geduld! Geduld ....
Loth. Geduld muß man allerdings haben. Deshalb ist man aber noch nicht
berechtigt, die Hände in den Schooß zu legen!
Hoffmann. Ganz meine Ansicht! -- Ich hab' Dir überhaupt in Gedanken weit
öfter zugestimmt als mit Worten. Es ist 'ne Unsitte, ich geb's zu. Ich
hab' mir's angewöhnt, im Verkehr mit Leuten, die ich nicht gern in meine
Karten sehen lasse .... Auch in der Frauenfrage .... Du hast manches
sehr treffend geäußert. (Er ist inzwischen an's Telephon getreten, weckt
und spricht theils in's Telephon, theils zu Loth.) Die kleine Schwägerin
war übrigens ganz Ohr ... (In's Telephon.) Franz! In zehn Minuten muß
angespannt sein ... (Zu Loth.) Es hat ihr Eindruck gemacht ... (In's
Telephon.) Was? -- ach was, Unsinn! -- Na, da hört doch aber ..... Dann
schirren Sie schleunigst die Rappen an ..... (Zu Loth.) Warum sollte es
ihr keinen Eindruck machen? ... (In's Telephon.) Gerechter Strohsack,
zur Putzmacherin sagen Sie? Die gnädige Frau .... die gnä... Ja -- na
ja! aber sofort -- na ja! -- ja! -- schön! Schluß! (Nachdem er darauf
den Knopf der Hausklingel gedrückt, zu Loth.) Wart' nur ab, Du! Laß mich
nur erst den entsprechenden Monetenberg aufgeschichtet haben, vielleicht
geschieht dann etwas ... (Eduard ist eingetreten.) Eduard! Meine
Gamaschen, meinen Gehrock! (Eduard ab.) Vielleicht geschieht dann etwas,
was Ihr mir alle jetzt nicht zutraut .... Wenn Du in zwei oder drei
Tagen -- bis dahin wohnst Du unbedingt bei uns -- ich müßte es sonst als
eine grobe Beleidigung ansehen -- (er legt den Schlafrock ab) -- in zwei
bis drei Tagen also, wenn Du abzureisen gedenkst, bringe ich Dich mit
meiner Kutsche zur Bahn.
Eduard mit Gehrock und Gamaschen tritt ein.
Hoffmann (indem er sich den Rock überziehen läßt). So! (Auf einen Stuhl
niedersitzend.) Nun die Stiefel! (Nachdem er einen derselben angezogen.)
Das wäre einer!
Loth. Du hast mich doch wohl nicht ganz verstanden.
Hoffmann. Ach ja! das ist leicht möglich. Man ist so raus aus all den
Sachen. Nur immer lederne Geschäftsangelegenheiten. Eduard! ist denn
noch keine Post gekommen? Warten Sie mal! -- Gehen Sie doch mal in mein
Zimmer! Auf dem Pult links liegt ein Schriftstück mit blauem Deckel,
bringen Sie's raus in die Wagentasche. (Eduard ab in die Thür rechts,
dann zurück und ab durch die Mittelthür.)
Loth. Ich meine ja nur: Du hast mich in _einer Beziehung_ nicht
verstanden.
Hoffmann (sich immer noch mit dem zweiten Schuh herumquälend). Upsa!
.... So! (Er steht auf und tritt die Schuhe ein.) Da wären wir. Nichts
ist unangenehmer als enge Schuhe ..... Was meintest Du eben?
Loth. Du sprachst von meiner Abreise .....
Hoffmann. Nun?
Loth. Ich habe Dir doch bereits gesagt, daß ich um eines ganz bestimmten
Zweckes willen hier am Ort bleiben muß.
Hoffmann (auf's Äußerste verblüfft und entrüstet zugleich). Hör' mal
....! Das ist aber beinahe _nichts_würdig! -- Weißt Du denn nicht, was
Du mir als Freund schuldest?
Loth. Doch wohl nicht den Verrath meiner Sache!?
Hoffmann (außer sich). Nun, dann ... dann habe ich auch nicht die
kleinste Veranlassung, Dir gegenüber als Freund zu verfahren. Ich sage
Dir also: daß ich Dein Auftreten hier -- gelinde gesprochen -- für
_fabelhaft_ dreist halte.
Loth (sehr ruhig). Vielleicht erklärst Du mir, was Dich berechtigt, mich
mit dergleichen Epitheta .....
Hoffmann. Das soll ich Dir auch noch erklären? Da hört eben
_verschiedenes_ auf! Um so was nicht zu fühlen, muß man Rhinoceroshaut
auf dem Leibe haben! Du kommst hierher, genieß'st meine
Gastfreundschaft, drisch'st mir ein paar Schock Deiner abgegriffnen
Phrasen vor, verdrehst meiner Schwägerin den Kopf, schwatzest von alter
Freundschaft und so was gut's und dann erzählst Du ganz naiv: Du
wolltest eine descriptive Arbeit über hiesige Verhältnisse verfertigen.
Ja, für was _hältst_ Du mich denn eigentlich? Meinst Du vielleicht, ich
wüßte nicht, daß solche sogenannte Arbeiten nichts als schamlose
Pamphlete sind? ... Solch eine Schmähschrift willst Du schreiben und
zwar über unseren Kohlendistrict. Solltest Du denn wirklich nicht
begreifen, wen diese Schmähschrift am allerschärfsten schädigen müßte?
Doch nur _mich_! -- Ich sage: man sollte Euch das Handwerk noch
gründlicher legen, als es bisher geschehen ist, Volksverführer! die Ihr
seid! Was thut Ihr? Ihr macht den Bergmann unzufrieden, anspruchsvoll,
reizt ihn auf, erbittert ihn, macht ihn aufsässig, ungehorsam,
unglücklich, spiegelt ihm goldene Berge vor und grapscht ihm unter der
Hand seine _paar_ Hungerpfennige aus der Tasche.
Loth. Erachtest Du Dich nun als demaskirt?
Hoffmann (roh). Ach was! Du lächerlicher, gespreizter Tugendmeier! Was
mir das wohl ausmacht, vor Dir demaskirt zu sein! -- Arbeite lieber! Laß
Deine albernen Faseleien! -- Thu was! Komm zu was! Ich brauche Niemand
um zweihundert Mark anzupumpen. (Schnell ab durch die Mittelthür.)
Loth sieht ihm einige Augenblicke ruhig nach, dann greift er,
nicht minder ruhig, in seine Brusttasche, zieht ein Portefeuille
und entnimmt ihm ein Stück Papier (den Chec Hoffmann's), das er
mehrmals durchreißt, um die Schnitzel dann langsam in den
Kohlenkasten fallen zu lassen. Hierauf nimmt er Hut und Stock und
wendet sich zum Gehen. Jetzt erscheint _Helene_ auf der Schwelle
des Wintergartens.
Helene (leise). Herr Loth!
Loth (zuckt zusammen, wendet sich). Ah! Sie sind es. -- Nun -- dann --
kann ich _Ihnen_ doch wenigstens ein Lebewohl sagen.
Helene (unwillkürlich). War Ihnen das Bedürfniß?
Loth. Ja! -- es war mir Bedürfniß --! Vermuthlich -- wenn Sie da drin
gewesen sind -- haben Sie den Auftritt hier mit angehört -- und dann
.....
Helene. Ich habe alles mit angehört.
Loth. Nun -- dann -- wird es Sie nicht in Erstaunen setzen, wenn ich
dieses Haus so ohne Sang und Klang verlasse.
Helene. N -- nein! -- ich begreife --! ..... Vielleicht kann's Sie
milder gegen ihn stimmen ... mein Schwager bereut immer sehr schnell.
Ich hab's oft ...
Loth. Ganz möglich --! Vielleicht gerade deshalb aber ist das, was er
über mich sagte, seine wahre Meinung von mir. -- Es ist sogar unbedingt
seine wahre Meinung.
Helene. Glauben Sie das im Ernst?
Loth. Ja! -- im Ernst! Also .... (Er geht auf sie zu und giebt ihr die
Hand.) Leben Sie recht glücklich! (Er wendet sich und steht sogleich
wieder still.) Ich weiß nicht ....! oder besser: -- (Helenen klar und
ruhig ins Gesicht blickend) -- ich weiß, weiß erst seit ... seit diesem
Augenblick, daß es mir nicht ganz leicht ist, von hier fortzugehen ....
und .... ja ... und ... na ja!
Helene. Wenn ich Sie aber -- recht schön bäte .... recht sehr ... noch
weiter hier zu bleiben --?
Loth. Sie theilen also nicht die Meinung Ihres Schwagers?
Helene. Nein! -- und das -- wollte ich Ihnen unbedingt ... unbedingt
noch sagen, bevor ... bevor -- Sie -- gingen.
Loth (ergreift abermals ihre Hand). Das thut mir _wirklich_ wohl.
Helene (mit sich kämpfend. In einer sich schnell bis zur Bewußtlosigkeit
steigernden Erregung. Mühsam hervorstammelnd.) Auch noch mehr w--ollte
ich Ihnen ... Ihnen sagen, nämlich ... näm--lich, daß -- ich Sie sehr
hoch--achte und -- verehre -- wie ich bis jetzt .... bis jetzt noch --
keinen Mann ...., daß ich Ihnen -- vertraue, -- daß ich be--reit bin,
das ..... das zu beweisen -- daß ich -- etwas für -- Dich, Sie fühle ...
(Sinkt ohnmächtig in seine Arme.)
Loth. Helene!
Vorhang fällt schnell.


Vierter Akt.

Wie im zweiten Akt: der Gutshof. Zeit: eine Viertelstunde nach
Helenens Liebeserklärung.
_Marie_ und _Golisch_, der Kuhjunge, schleppen sich mit einer
hölzernen Lade die Bodentreppe herunter. Loth kommt reisefertig
aus dem Hause und geht langsam und nachdenklich quer über den
Hof. Bevor er in den Wirthshaussteg einbiegt, stößt er auf
_Hoffmann_, der mit ziemlicher Eile durch den Hofeingang ihm
entgegenkommt.
Hoffmann, (Cylinder, Glacéhandschuhe). Sei mir nicht böse. (Er verstellt
Loth den Weg und faßt seine beiden Hände.) Ich nehme hiermit alles
zurück! ... Nenne mir eine Genugthuung! ... Ich bin zu jeder Genugthuung
bereit! .... Ich bereue, bereue alles aufrichtig.
Loth. Das hilft Dir und mir wenig.
Hoffmann. Ach! -- wenn Du doch ... sieh mal ....! Mehr kann man doch
eigentlich nicht thun. Ich sage Dir: mein Gewissen hat mir keine Ruhe
gelassen! Dicht vor Jauer bin ich umgekehrt, .... daran solltest Du doch
schon erkennen, daß es mir Ernst ist. -- Wo wolltest Du hin ....?
Loth. In's Wirthshaus -- einstweilen.
Hoffmann. Ach, das darfst Du mir nicht anthun ...! Das thu mir nur nicht
an! Ich glaube ja, daß es Dich tief kränken mußte. 'S ist ja auch
vielleicht nicht so -- mit ein paar Worten wieder gut zu machen. Nur
nimm mir nicht jede Gelegenheit .... jede Möglichkeit, Dir zu beweisen
.... hörst Du? Kehr um! .... Bleib wenigstens bis ... bis morgen. Oder
bis ... bis ich zurückkomme. Ich muß mich noch einmal in Muße mit Dir
aussprechen darüber; -- das kannst Du mir nicht abschlagen.
Loth. Wenn Dir daran besonders viel gelegen ist ....
Hoffmann. Alles! ... auf Ehre! -- ist mir daran gelegen, alles! ....
Also komm! ... komm!! Kneif ja nicht aus! -- komm! (Er führt Loth, der
sich nun nicht mehr sträubt, in das Haus zurück. Beide ab.)
Die entlassene Magd und der Kuhjunge haben inzwischen die Lade
auf den Schubkarren gesetzt, Golisch hat die Traggurte
umgenommen.
Marie, (während sie Golisch etwas in die Hand drückt). Doo! Gooschla!
hust a woas!
Der Junge (weist es ab). Behaal' Den'n Biema!
Marie. Ae! tumme Dare!
Der Junge. Na, wegen menner. (Er nimmt das Geld und thut es in seinen
ledernen Geldbeutel.)
Frau Spiller (von einem der Wohnhausfenster aus, ruft): Marie!
Marie. Woas wullt Er noo?
Frau Spiller (nach einer Minute aus der Hausthür tretend). Die gnädige
Frau will Dich behalten, wenn Du versprichst ....
Marie. Dreck! war ich er versprecha! -- Foahr zu, Goosch!
Frau Spiller (näher tretend). Die gnädige Frau will Dir auch etwas am
Lohn zulegen, wenn Du ..... (Plötzlich flüsternd.) Mach Der nischt
draus, Moad! se werd ok manchmal so'n bisken kullerig.
Marie (wüthend). Se maag siich ihre poar Greschla fer sich behahl'n! --
(Weinerlich.) Ehnder derhingern! (Sie folgt Gosch, der mit dem
Schubkarren vorangefahren ist.) Nee, a su woas oaber oo! -- Do sool eens
do glei' ... (Ab. Frau Spiller ihr nach. Ab.)
Durch den Haupteingang kommt _Baer_, genannt Hopslabaer. Ein
langer Mensch mit einem Geierhalse und Kropfe dran. Er geht
barfuß und ohne Kopfbedeckung; die Beinkleider reichen, unten
stark ausgefranst, bis wenig unter die Knie herab. Er hat eine
Glatze; das vorhandene braune, verstaubte und verklebte Haar
reicht ihm bis über die Schulter. Sein Gang ist straußenartig. An
einer Schnur führt er ein Kinderwägelchen voll Sand mit sich.
Sein Gesicht ist bartlos, die ganze Erscheinung deutet auf einen
einige Zwanzig alten verwahrlosten Bauernburschen.
Baer (mit merkwürdig blökender Stimme). Saaa--a--and! Saa--and!
Er geht durch den Hof und verschwindet zwischen Wohnhaus und
Stallgebäude. _Hoffmann_ und _Helene_ aus dem Wohnhaus. Helene
sieht bleich aus und trägt ein leeres Wasserglas in der Hand.
Hoffmann (zu Helene). Unterhalt ihn bissel! verstehst Du? -- Laß ihn
nicht fort -- es liegt mir sehr viel daran. -- So'n beleidigter Ehrgeiz
.... Adieu! -- Ach! Soll ich am Ende nicht fahren? -- Wie geht's mit
Martha? -- Ich hab so'n eigenthümliches Gefühl, als ob's bald .....
Unsinn! -- Adieu! ... höchste Eile! (Ruft.) Franz! Was die Pferde laufen
können! (Schnell ab durch den Haupteingang.)
_Helene_ geht zur Pumpe, pumpt das leere Glas voll und leert es
auf einen Zug. Ein zweites Glas Wasser leert sie zur Hälfte. Das
Glas setzt sie dann auf das Pumpenrohr und schlendert langsam,
von Zeit zu Zeit rückwärts schauend, durch den Thorweg hinaus.
_Baer_ kommt zwischen Wohnhaus und Stallung hervor und hält mit
seinem Wagen vor der Wohnhausthür still, wo Miele ihm Sand
abnimmt. Indeß ist _Kahl_ von rechts innerhalb des Grenzzaunes
sichtbar geworden, im Gespräch mit _Frau Spiller_, die außerhalb
des Zaunes, also auf dem Terrain des Hofeingangs, sich befindet.
Beide bewegen sich im Gespräch langsam längs des Zaunes hin.
Frau Spiller (leidend). Ach ja -- m -- gnädiger Herr Kahl! Ich hab -- m
-- manchmal so an Sie -- m -- gedacht -- m -- wenn ... wenn das gnädige
Freilein ... Sie ist doch nun mal -- m -- so zu sagen -- m -- mit Sie
verlobt, und da .... ach! -- m -- zu meiner Zeit ...!
Kahl (steigt auf die Bank unter der Eiche und befestigt einen
Meisekasten auf dem untersten Ast). W -- wenn werd denn d.. dd.. doas
D... d... d... dukterluder amol sssenner W... wwwege gihn? hä?
Frau Spiller. Ach, Herr Kahl! ich glaube -- m -- nicht so bald. -- A..
ach, Herr -- m -- Kahl, ich bin zwar so zu sagen -- m -- etwas -- m --
herabjekommen, aber ich weiß so zu sagen -- m --, was Bildung ist. In
dieser Hinsicht, Herr Kahl ...., das Freilein -- m -- das gnädige
Freilein ...., das handeln nicht gut gegen Ihnen -- nein! -- m -- darin,
so zu sagen -- m -- habe ich mir nie etwas zu Schulden kommen lassen --
m -- mein Gewissen -- m -- gnädiger Herr Kahl, ist darin so rein ... so
zu sagen, wie reiner Schnee.
Baer hat sein Sandgeschäft abgewickelt und verläßt in diesem
Augenblick, an Kahl vorübergehend, den Hof.
Kahl (entdeckt Baer und ruft). Hopslabaer, hops amool!
Baer macht einen riesigen Luftsprung.
Kahl (vor Lachen wiehernd, ruft ein zweites Mal). Hopslabaer, hops
amool!
Frau Spiller. Nun da -- m -- ja, Herr Kahl! ...... ich meine es nur gut
mit Sie. Sie müssen Obacht geben -- m -- gnädiger Herr! Es -- m -- es
ist was im Gange mit dem gnädigen Fräulein und -- m -- m --
Kahl. D.. doas Dukterluder ... ok bbbblußig emool vor a Hunden -- blußig
e.. e.. e.. emool!
Frau Spiller (geheimnißvoll). Und was das nun noch -- m -- für ein
Indifidium ist. Ach -- m -- das gnädige Freilein thut mir auch _soo_
leid. Die Frau -- m -- vom Polizeidiener, die hat's vom Amte, glaub ich.
Es soll ein ganz -- m -- gefährlicher Mensch sein. Ihr Mann -- m -- soll
ihn so zu sagen -- m -- denken Sie nur, soll ihn -- m -- geradezu im
Auge behalten.
_Loth_ aus dem Hause. Sieht sich um.
Frau Spiller. Seh'n Sie, nun jeht er dem gnädigen Freilein nach -- m --.
Aa... ach, _zuu_ leid thut es einem.
Kahl. Na wart'! (Ab.)
_Frau Spiller_ geht nach der Hausthüre. Als sie an Loth
vorbeikommt, macht sie eine tiefe Verbeugung. Ab in das Haus.
_Loth_ langsam durch den Thorweg ab. Die _Kutschenfrau_, eine
magere, abgehärmte und ausgehungerte Frauensperson, kommt
zwischen Stallgebäude und Wohnhaus hervor. Sie trägt einen großen
Topf unter ihrer Schürze versteckt und schleicht damit, sich
überall ängstlich umblickend, nach dem Kuhstall. Ab in die
Kuhstallthür. Die beiden _Mägde_, jede eine Schubkarre, hoch mit
Klee beladen, vor sich herstoßend, kommen durch den Thorweg
herein. _Beibst_, die Sense über der Schulter, die kurze Pfeife
im Munde, folgt ihnen nach. Liese hat ihre Schubkarre vor die
linke, Auguste vor die rechte Stallthür gefahren, und beide
Mädchen beginnen große Arme voll Klee in den Stall hinein zu
schaffen.
Liese (leer aus dem Stalle herauskommend). Du, Guste! de Marie iis furt.
Auguste. Joa wull doch?!
Liese. Gih nei! freu' die Kutscha-Franzen, se milkt er an Truppen Milch
ei.
Beibst (hängt seine Sense an der Wand auf). Na! doa lußt ok de Spillern
nee ernt derzune kumma.
Auguste. Oh jechtich! nee ok nee! bei Leibe nich!
Liese. A su a oarm Weib miit achta.
Auguste. Acht kleene Bälge! -- die wull'n laba.
Liese. Ne amool an Truppen Milch thun s' er ginn'n ... meschant iis
doas.
Auguste. Wu milkt sie denn?
Liese. Ganz derhinga, de neumalke Fenus!
Beibst (stopft seine Pfeife; den Tabaksbeutel mit den Zähnen
festhaltend, nuschelt er). De Marie wär' weg?
Liese. Ju, ju, 's iis fer gewiß! -- der Pfaarknecht hot gle bein er
geschloofa.
Beibst (den Tabaksbeutel in die Tasche steckend). Amool wiil jedes! --
au' de Frau. (Er zündet sich die Pfeife an, darauf durch den
Haupteingang ab. Im Abgehen.) Ich gih a wing frihsticka!
Die Kutschenfrau (den Topf voll Milch vorsichtig unter der Schürze,
guckt aus der Stallthür heraus). Sitt ma Jemanda?
Liese. Koanst kumma, Kutschen, ma sitt ken'n. Kumm! kumm schnell!
Kutschenfrau (im Vorübergehen zu den Mägden). Ok fersch Pappekindla!
Liese (ihr nachrufend). Schnell! S' kimmt Jemand. (_Kutschenfrau_
zwischen Wohnhaus und Stallung ab.)
Auguste. Blußig ok inse Frele.
Die Mägde räumen nun weiter die Schubkarren ab und schieben sie,
wenn sie leer sind, unter den Thorweg, hierauf beide ab in den
Kuhstall.
Loth und Helene kommen zum Thorweg herein.
Loth. Widerlicher Mensch! dieser Kahl, -- frecher Spion!
Helene. In der Laube vorn, glaub ich ... (Sie gehen durch das Pförtchen
in das Gartenstückchen links vorn und in die Laube daselbst.) Es ist
mein Lieblingsplatz. -- Hier bin ich noch am ungestörtesten, wenn ich
mal was lesen will.
Loth. Ein hübscher Platz hier. -- Wirklich! (Beide setzen sich, ein
wenig von einander getrennt, in der Laube nieder. Schweigen. Darauf
Loth.) Sie haben so sehr schönes und reiches Haar, Fräulein!
Helene. Ach ja, mein Schwager sagt das auch. Er meinte, er hätte es kaum
so gesehen -- auch in der Stadt nicht ... Der Zopf ist oben so dick wie
mein Handgelenk ... Wenn ich es losmache, dann reicht es mir bis zu den
Knien. Fühlen Sie mal --! Es fühlt sich wie Seide an, gelt?
Loth. Ganz wie Seide. (Ein Zittern durchläuft ihn, er beugt sich und
küßt das Haar.)
Helene (erschreckt). Ach nicht doch! Wenn ...
Loth. Helene --! War das vorhin nicht Dein Ernst?
Helene. Ach! -- ich schäme mich so schrecklich. Was habe ich nur
gemacht? -- Dir ... Ihnen an den Hals geworfen habe ich mich. -- Für was
müssen Sie mich halten ...!
Loth (rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die seine). Wenn Sie sich doch
_da_rüber beruhigen wollten!
Helene (seufzend). Ach, das müßte Schwester Schmittgen wissen .... ich
sehe gar nicht hin!
Loth. Wer ist Schwester Schmittgen?
Helene. Eine Lehrerin aus der Pension.
Loth. Wie können Sie sich nur über Schwester Schmittgen Gedanken machen!
Helene. Sie war sehr gut ....! (Sie lacht plötzlich heftig in sich
hinein.)
Loth. Warum lachst Du denn so auf einmal?
Helene (zwischen Pietät und Laune). Ach! .. Wenn sie auf dem Chor stand
und sang ... Sie hatte nur noch einen einzigen, langen Zahn .... da
sollte es immer heißen: Tröste, tröste mein Volk! und es kam immer
heraus: 'Röste, 'röste mein Volk! Das war zu drollig .... da mußten wir
immer so lachen .... wenn sie so durch den Saal .... 'röste! 'röste!
(Sie kann sich vor Lachen nicht lassen, Loth ist von ihrer Heiterkeit
angesteckt. Sie kommt ihm dabei so lieblich vor, daß er den Augenblick
benutzen will, den Arm um sie zu legen. Helene wehrt es ab.) Ach nein
doch ....! Ich habe mich Dir .... Ihnen an den Hals geworfen.
Loth. Ach! sagen Sie doch nicht so etwas.
Helene. Aber ich bin nicht schuld, Sie haben sich's selbst
zuzuschreiben. Warum verlangen Sie .....
Loth legt nochmals seinen Arm um sie, zieht sie fester an sich.
Anfangs sträubt sie sich ein wenig, dann giebt sie sich drein und
blickt nun mit freier Glückseligkeit in Loth's glücktrunkenes
Gesicht, das sich über das ihre beugt. Unversehens, aus einer
gewissen Schüchternheit heraus küßt sie ihn zuerst auf den Mund.
Beide werden roth, dann giebt Loth ihr den Kuß zurück; lang,
innig, fest drückt sich sein Mund auf den ihren. Ein Geben und
Nehmen von Küssen ist eine Zeit hindurch die einzige Unterhaltung
-- stumm und beredt zugleich -- der beiden. Loth spricht dann
zuerst.
Loth. Lene, nicht? Lene heißt Du hier so?
Helene (küßt ihn) ... Nenne mich anders ... Nenne mich, wie Du gern
möcht'st.
Loth. Liebste! ............
Das Spiel mit dem Küssetauschen und sich gegenseitig Betrachten
wiederholt sich.
Helene (von Loth's Armen fest umschlungen, ihren Kopf an seiner Brust
mit verschleierten, glückseligen Augen, flüstert im Ueberschwang). Ach!
-- wie schön! Wie schön --!
Loth. So mit Dir sterben!
Helene (mit Inbrunst). Leben! ... (Sie löst sich aus seinen Armen.)
Warum denn jetzt sterben? .... jetzt ...
Loth. Das mußt Du nicht falsch auffassen. Von jeher berausche ich mich
... besonders in glücklichen Momenten berausche ich mich in dem
Bewußtsein, es in der Hand zu haben, weißt Du!
Helene. Den Tod in der Hand zu haben?
Loth (ohne jede Sentimentalität). Ja! und so hat er gar nichts
Grausiges, im Gegentheil, so etwas Freundschaftliches hat er für mich.
Man ruft und weiß bestimmt, daß er kommt. Man kann sich dadurch über
alles Mögliche hinwegheben, Vergangenes -- und Zukünftiges ....
(Helenen's Hand betrachtend.) Du hast eine so wunderhübsche Hand. (Er
streichelt sie.)
Helene. Ach ja! -- so ..... (Sie drückt sich auf's Neue in seine Arme.)
Loth. Nein, weißt Du! ich hab' nicht gelebt! ... bisher nicht!
Helene. Denkst Du ich? ... Mir ist fast taumelig ..... taumelig bin ich
vor Glück. Gott! wie ist das -- nur so auf einmal .....
Loth. Ja, so auf _ein--mal_ ...
Helene. Hör' mal! so ist mir: die ganze Zeit meines Lebens -- ein Tag!
-- gestern und heut -- ein Jahr! gelt?
Loth. Erst gestern bin ich gekommen?
Helene. Ganz gewiß! -- eben! -- natürlich! .... Ach, ach! Du weißt es
nicht mal!
Loth. Es kommt mir wahrhaftig auch vor .......
Helene. Nicht --? Wie 'n ganzes, geschlagnes Jahr! -- Nicht --? (Halb
aufspringend.) Wart' ....! -- Kommt -- da nicht .... (Sie rücken aus
einander.) .... Ach! es ist mir auch -- egal. Ich bin jetzt -- so
muthig. (Sie bleibt sitzen und muntert Loth mit einem Blick auf näher zu
rücken, was dieser sogleich thut.)
Helene (in Loth's Armen). ... Du! -- Was thun wir denn nu zuerst?
Loth. Deine Stiefmutter würde mich wohl -- abweisen.
Helene. Ach, meine Stiefmutter .... das wird wohl gar nicht .... gar
nichts geht's die an! Ich mache, was ich will ..... Ich hab mein
mütterliches Erbtheil, mußt Du wissen.
Loth. Deshalb meinst Du .....
Helene. Ich bin majorenn. Vater muß mir's auszahlen.
Loth. Du stehst wohl nicht gut -- mit allen hier? -- Wohin ist denn Dein
Vater verreist?
Helene. Verr... Du hast ...? Ach, Du hast Vater noch nicht gesehen?
Loth. Nein! Hoffmann sagte mir ....
Helene. Doch! ... hast Du ihn schon einmal gesehen.
Loth. Ich wüßte nicht! ... Wo denn, Liebste?
Helene. Ich ... (Sie bricht in Thränen aus.) Nein, ich kann -- kann
Dir's noch nicht sagen .... zu furchtbar schrecklich ist das.
Loth. Furchtbar schrecklich? Aber Helene! ist denn Deinem Vater etwas
...
Helene. Ach! -- frag' mich nicht! Jetzt nicht! Später!
Loth. Was Du mir nicht freiwillig sagen willst, danach werde ich Dich
auch gewiß nicht mehr fragen ... Sieh mal, was das Geld anlangt ... im
schlimmsten Falle .... ich verdiene ja mit dem Artikelschreiben nicht
gerade überflüssig viel, aber ich denke, es müßte am Ende für uns beide
ganz leidlich hinreichen.
Helene. Und ich würde doch auch nicht müßig sein. Aber besser ist
besser. Das Erbtheil ist vollauf genug -- Und Du sollst Deine Aufgabe
.... nein, die sollst Du unter keiner Bedingung aufgeben, jetzt erst
recht ....! jetzt sollst Du erst recht die Hände frei bekommen.
Loth (sie innig küssend). Liebes, edles Geschöpf! ......
Helene. Hast Du mich wirklich lieb ...? ... Wirklich? ... wirklich?
Loth. Wirklich.
Helene. Sag hundert Mal wirklich?
Loth. Wirklich, wirklich und wahrhaftig.
Helene. Ach, weißt Du! Du schummelst!
Loth. Das wahrhaftig gilt hundert wirklich.
Helene. So!? wohl in Berlin?
Loth. Nein, eben in Witzdorf.
Helene. Ach, Du! ... Sieh meinen kleinen Finger und lache nicht.
Loth. Gern.
Helene. Hast Du au--ßer Dei--ner er--sten Braut noch andere ge....? Du!
Du lachst.
Loth. Ich will Dir was im Ernst sagen, Liebste, ich halte es für meine
Pflicht .... Ich habe mit einer großen Anzahl Frauen ...
Helene (schnell und heftig auffahrend, drückt ihm den Mund zu). Um Gott
...! sag' mir das einmal -- später -- wenn wir alt sind .... nach Jahren
-- wenn ich Dir sagen werde: jetzt -- hörst Du! nicht eher.
Loth. Gut! wie Du willst.
Helene. Lieber was Schönes jetzt! ... Paß auf: sprich mir mal das nach:
Loth. Was?
Helene. »Ich hab' Dich --
Loth. »Ich hab' Dich --
Helene. »und nur immer Dich --
Loth. »und nur immer Dich --
Helene. »geliebt -- geliebt Zeit meines Lebens --
Loth. »geliebt -- geliebt Zeit meines Lebens --
Helene. »und werde nur Dich allein Zeit meines Lebens lieben.«
Loth. »und werde nur Dich allein Zeit meines Lebens lieben,« und das ist
wahr, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin.
Helene (freudig). Das hab ich nicht gesagt.
Loth. Aber ich. (Küsse.) ...
Helene (summt ganz leise). Du, Du liegst mir im Her--zen ....
Loth. Jetzt sollst Du auch beichten.
Helene. Alles, was Du willst.
Loth. Beichte! Bin ich der erste?
Helene. Nein.
Loth. Wer?
Helene (übermüthig herauslachend). Koahl-Willem.
Loth (lachend). Wer noch?
Helene. Ach nein! weiter ist es wirklich Keiner. Du mußt mir glauben ...
Wirklich nicht. Warum sollte ich denn lügen ...?
Loth. Also doch noch Jemand?
Helene (heftig). Bitte, bitte, bitte, bitte, frag' mich jetzt nicht
darum. (Versteckt das Gesicht in den Händen, weint scheinbar ganz
unvermittelt.)
Loth. Aber ..... aber Lenchen! ich dringe ja durchaus nicht in Dich.
Helene. Später! alles, alles später.
Loth. Wie gesagt, Liebste ....
Helene. S' war Jemand -- mußt Du wissen -- den ich, ... weil ... weil er
unter schlechten mir weniger schlecht vorkam. Jetzt ist das ganz anders.
(Weinend an Loth's Halse, stürmisch.) Ach, wenn ich doch gar nicht mehr
von Dir fort müßte! Am liebsten ginge ich gleich auf der Stelle mit Dir.
Loth. Du hast es wohl sehr schlimm hier im Hause?
Helene. Ach, Du! -- Es ist ganz entsetzlich, wie es hier zugeht; ein
Leben wie -- das ..... wie das liebe Vieh, -- ich wäre darin umgekommen
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