Vor Sonnenaufgang: Soziales Drama - 1

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Vor Sonnenaufgang

Von Gerhart Hauptmann erschienen im gleichen Verlage:
Vor Sonnenaufgang. Soziales Drama. 9. Auflage.
Das Friedensfest. Eine Familienkatastrophe. 4.-5. Auflage.
Einsame Menschen. Drama. 13.-14. Auflage.
De Waber. Schauspiel aus den 40er Jahren. 2. Auflage.
Originalausgabe.
Die Weber. Schauspiel aus den 40er Jahren. 27.-28. Auflage.
Übertragung.
College Crampton. Komödie. 5.-6. Auflage.
Bahnwärter Thiel. Der Apostel. Novellistische 5.-6. Auflage.
Studien.
Der Biberpelz. Eine Diebskomödie. 7.-8. Auflage.
Hannele. Eine Traumdichtung. Illustriert
(vergriffen).
Hanneles Himmelfahrt. Eine Traumdichtung. 9.-10. Auflage.
Florian Geyer. 5.-6. Auflage.
Die versunkene Glocke. Ein deutsches Märchendrama. 49.-52. Auflage.
Fuhrmann Henschel. Schauspiel. Originalausgabe. 13.-16. Auflage.
Fuhrmann Henschel. Schauspiel. Übertragung. 9.-12. Auflage.
Schluck und Jau. Spiel zu Scherz und Schimpf. 8.-10. Auflage.
Michael Kramer. Drama. 9.-10. Auflage.


Vor Sonnenaufgang

Soziales Drama
von
Gerhart Hauptmann
Neunte Auflage
Berlin,
S. Fischer, Verlag,
1902


Sowohl Aufführungs- als Nachdrucks- und Uebersetzungsrecht
vorbehalten.

Den Bühnen gegenüber Manuskript.



Die Aufführung dieses Dramas fand am 20. Oktober statt in den Räumen des
Lessing-Theaters, veranstaltet vom Verein »Freie Bühne«. Ich benutze den
Anlaß der Herausgabe einer neuen Auflage, um aus vollem Herzen den
Leitern dieses Vereins insgesammt, in Sonderheit aber den Herren Otto
Brahm und Paul Schlenther zu danken. Möchte es die Zukunft erweisen, daß
sie sich, indem sie, kleinlichen Bedenken zum Trotz, einem aus reinen
Motiven heraus entstandenen Kunstwerk zum Leben verhalfen, um die
_deutsche_ Kunst verdient gemacht haben.
Charlottenburg, den 26. Oktober 1889.
Gerhart Hauptmann.


Handelnde Menschen.

Besetzung bei der ersten
Aufführung.
Krause, Bauerngutsbesitzer Hans Pagay.
Frau Krause, seine zweite Frau Louise v. Pöllnitz.
Helene, } Elsa Lehmann.
Martha, } Krause's Töchter erster Ehe ***
Hoffmann, Ingenieur, verheirathet mit Martha Gustav Kadelburg.
Wilhelm Kahl, Neffe der Frau Krause Carl Stallmann.
Frau Spiller, Gesellschafterin der Frau Krause Ida Stägemann.
Alfred Loth Theodor Brandt.
Dr. Schimmelpfennig Franz Guthery.
Beibst, Arbeitsmann auf Krause's Gut Paul Pauly.
Guste, } Sophie Berg.
Liese, } Mägde auf Krause's Gut Clara Hahn.
Marie, } Antonie Ziegler.
Baer, genannt Hopslabaer Ferdinand Meyer.
Eduard, Hoffmann's Diener Edmund Schmasow.
Miele, Hausmädchen bei Frau Krause Helene Schüle.
Die Kuschenfrau Marie Gundra.
Golisch, genannt Gosch. Kuhjunge Georg Baselt.
Ein Packetträger ***


Erster Akt.

Das Zimmer ist niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt.
Moderner Luxus auf bäuerische Dürftigkeit gepfropft. An der Wand
hinter dem Eßtisch ein Gemälde, darstellend einen vierspännigen
Frachtwagen, von einem Fuhrknecht in blauer Blouse geleitet.
* * * * *
Miele, eine robuste Bauernmagd mit rothem, etwas stumpfsinnigem
Gesicht; sie öffnet die Mittelthür und läßt Alfred Loth
eintreten. Loth ist mittelgroß, breitschultrig, untersetzt, in
seinen Bewegungen bestimmt, doch ein wenig ungelenk; er hat
blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes
Schnurrbärtchen, sein ganzes Gesicht ist knochig und hat einen
gleichmäßig ernsten Ausdruck. Er ist ordentlich, jedoch nichts
weniger als modern gekleidet. Sommerpaletot, Umhängetäschchen,
Stock.
Miele. Bitte! Ich werde den Herrn Inschinnär glei ruffen. Wolln Sie nich
Platz nehmen?!
Die Glasthür zum Wintergarten wird heftig aufgestoßen; ein
Bauernweib, im Gesicht blauroth vor Wuth, stürzt herein. Sie ist
nicht viel besser als eine Waschfrau gekleidet. Nackte, rothe
Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rothes punktirtes Brusttuch.
Alter: Anfang 40, Gesicht hart, sinnlich, bösartig. Die ganze
Gestalt sonst gut conservirt.
Frau Krause (schreit). Ihr Madel!! ... Richtig! ... Doas Loster vu
Froovulk! ... Naus! mir gahn nischt! ... (Halb zu Miele, halb zu Loth.)
A koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt's nischt!
Loth. Aber Frau ... Sie werden doch ... ich ... ich heiße Loth, bin ...
wünsche zu ... habe auch nicht die Ab....
Miele. A wull ock a Herr Inschinnär sprechen.
Frau Krause. Beim Schwiegersuhne batteln: doas kenn' mer schunn. -- A
hoot au nischt, a hoot's au ock vu ins, nischt iis seine! (Die Thür
rechts wird aufgemacht. Hoffmann steckt den Kopf heraus.)
Hoffmann. Schwiegermama! -- Ich muß doch bitten ... (Er tritt heraus,
wendet sich an Loth.) Was steht zu ... Alfred! Kerl! Wahrhaftig 'n Gott,
Du!? Das ist aber mal ... nein _das_ is doch mal 'n Gedanke!
Hoffmann ist etwa dreiunddreißig alt, schlank, groß, hager. Er
kleidet sich nach der neuesten Mode, ist elegant frisirt, trägt
kostbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der
Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart schwarz, der letztere sehr
üppig, äußerst sorgfältig gepflegt. Gesicht spitz, vogelartig.
Ausdruck verschwommen, Augen schwarz, lebhaft, zuweilen unruhig.
Loth. Ich bin nämlich ganz zufällig ....
Hoffmann (aufgeregt). Etwas Lieberes ... nun aber zunächst leg ab! (Er
versucht ihm das Umhängetäschchen abzunehmen.) -- Etwas Lieberes und so
Unerwartetes hätte mir jetzt -- (er hat ihm Hut und Stock abgenommen und
legt beides auf einen Stuhl neben der Thür) -- hätte mir jetzt
entschieden nicht passiren können, -- (indem er zurückkommt) --
_entschieden_ nicht.
Loth (sich selbst das Täschchen abnehmend). Ich bin nämlich -- nur so
per Zufall auf Dich -- (er legt das Täschchen auf den Tisch im
Vordergrund).
Hoffmann. Setz' Dich! Du mußt müde sein, setz' Dich -- bitte. Weißt De
noch? wenn Du mich besuchtest, da hatt'st Du so 'ne Manier, Dich lang
auf das Sopha hinfallen zu lassen, daß die Federn krachten; mitunter
sprangen sie nämlich auch. Also Du, höre! mach's wie damals.
Frau Krause hat ein sehr erstauntes Gesicht gemacht und sich dann
zurückgezogen. Loth läßt sich auf einen der Sessel nieder, welche
rings um den Tisch im Vordergrunde stehen.
Hoffmann. Trinkst Du was? Sag'! -- Bier? Wein? Cognac? Kaffee? Thee? Es
ist alles im Hause.
Helene kommt lesend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig
zu starke Gestalt, die Frisur ihres blonden, ganz ungewöhnlich
reichen Haares, ihr Gesichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre
Bewegungen, ihre ganze Erscheinung überhaupt verleugnen das
Bauernmädchen nicht ganz.
Helene. Schwager, Du könntest ... (Sie entdeckt Loth und zieht sich
schnell zurück.) Ach! ich bitte um Verzeihung. (Ab.)
Hoffmann. Bleib doch, bleib!
Loth. Deine Frau?
Hoffmann. Nein, ihre Schwester. Hörtest Du nicht, wie sie mich
betitelte?
Loth. Nein.
Hoffmann. Hübsch! Wie? -- Nu aber erklär' Dich! Kaffee? Thee? Grog?
Loth. Danke, danke für alles.
Hoffmann (präsentirt ihm Cigarren). Aber _das_ ist was für Dich --
nicht?! ... Auch nicht?!
Loth. Nein, danke.
Hoffmann. Beneidenswerthe Bedürfnißlosigkeit! (Er raucht sich selbst
eine Cigarre an und spricht dabei.) Die A.. Asche, wollte sagen der ...
der Tabak ... ä! Rauch natürlich ... der Rauch belästigt Dich doch wohl
nicht?
Loth. Nein.
Hoffmann. Wenn ich _das_ nicht noch hätte ... ach Gott ja, das bischen
Leben! -- Nu aber thu mir den Gefallen, erzähle was. -- Zehn Jahre --
bist übrigens kaum sehr verändert -- zehn Jahre, 'n ekliger Fetzen Zeit
-- was macht Schn... Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips, -- die ganze
heitere Blase von damals? Hast du den einen oder anderen im Auge
behalten?
Loth. Sach mal, solltest Du das nicht wissen?
Hoffmann. Was?
Loth. Daß er sich erschossen hat.
Hoffmann. Wer? -- hat sich wieder mal erschossen.
Loth. Fips! Friedrich Hildebrandt.
Hoffmann. I warum nich gar!
Loth. Ja! er hat sich erschossen -- im Grunewald, an einer sehr schönen
Stelle der Havelseeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.
Hoffmann. Hm! -- Hätt ihm das nicht zugetraut, war doch sonst keine
Heldennatur.
Loth. Deswegen hat er sich eben erschossen. -- _Gewissenhaft_ war er,
sehr gewissenhaft.
Hoffmann. Gewissenhaft? Woso?
Loth. Nun, darum eben ... sonst hätte er sich wohl nicht erschossen.
Hoffmann. Versteh nicht recht.
Loth. Na, die Farbe seiner politischen Anschauungen kennst Du doch?
Hoffmann. Ja, grün.
Loth. Du kannst sie gern so nennen. Er war, dies wirst Du ihm wohl
lassen müssen, ein talentvoller Jung. -- Fünf Jahre hat er als
Stuccateur arbeiten müssen, andere fünf Jahre dann, so zu sagen, auf
eigene Faust durchgehungert und dazu kleine Statuetten modellirt.
Hoffmann. Abstoßendes Zeug. Ich will von der Kunst erheitert sein ....
Nee! diese Sorte Kunst war durchaus nicht mein Geschmack.
Loth. Meiner war es auch nicht, aber er hatte sich nun doch einmal drauf
versteift. Voriges Frühjahr schrieben sie da ein Denkmal aus; irgend ein
Duodezfürstchen, glaub ich, sollte verewigt werden. Fips hatte sich
betheiligt und gewonnen; kurz darauf schoß er sich todt.
Hoffmann. Wo da die Gewissenhaftigkeit stecken soll, ist mir völlig
schleierhaft. -- Für so was habe ich nur eine Benennung: Spahn -- auch
Wurm -- Spleen -- so was.
Loth. Das ist ja das allgemeine Urtheil.
Hoffmann. Thut mir leid, kann aber nicht umhin mich ihm anzuschließen.
Loth. Es ist ja für ihn auch ganz gleichgültig, was ...
Hoffmann. Ach überhaupt, lassen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz
ebenso sehr wie Du, aber -- nun ist er doch einmal todt, der gute Kerl;
-- erzähle mir lieber etwas von _Dir_, was Du getrieben hast, wie's Dir
ergangen ist.
Loth. Es ist mir so ergangen, wie ich's erwarten mußte. -- Hast Du gar
nichts von mir gehört? -- durch die Zeitungen mein ich.
Hoffmann (ein wenig befangen). Wüßte nicht.
Loth. Nichts von der Leipziger Geschichte?
Hoffmann. Ach so, _das_! -- Ja! -- Ich glaube .... nichts Genaues.
Loth. Also, die Sache war folgende:
Hoffmann (seine Hand auf Loth's Arm legend). Ehe Du anfängst: willst Du
denn _gar_ nichts zu Dir nehmen?
Loth. Später vielleicht.
Hoffmann. Auch nicht ein Gläschen Cognac?
Loth. Nein. Das am allerwenigsten.
Hoffmann. Nun, dann werde ich ein Gläschen .... Nichts besser für den
Magen. (Holt Flasche und zwei Gläschen vom Buffet, setzt alles auf den
Tisch vor Loth.) _Grand Champagne_, feinste Nummer; ich kann ihn
empfehlen. -- Möchtest Du nicht ....?
Loth. Danke.
Hoffmann (kippt das Gläschen in den Mund). Oah! -- na, nu bin ich ganz
Ohr.
Loth. Kurz und gut: da bin ich eben sehr stark hineingefallen.
Hoffmann. Mit zwei Jahren, glaub ich?!
Loth. Ganz recht! Du scheinst es ja doch also zu wissen. Zwei Jahre
Gefängniß bekam ich, und nach dem haben sie mich noch von der
Universität relegirt. Damals war ich -- einundzwanzig. Nun! in diesen
zwei Gefängnißjahren habe ich mein erstes volkswirthschaftliches Buch
geschrieben. Daß es gerade ein Vergnügen gewesen, zu brummen, müßte ich
allerdings lügen.
Hoffmann. Wie man doch einmal so sein konnte! Merkwürdig! So was hat man
sich nun allen Ernstes in den Kopf gesetzt. Baare Kindereien sind es
gewesen, kann mir nicht helfen, Du! -- nach Amerika auswandern 'n
Dutzend Gelbschnäbel wie wir! -- _wir_ und Musterstaat gründen!
Köstliche Vorstellung!
Loth. Kindereien?! -- tjaa! In gewisser Beziehung sind es auch wirklich
Kindereien gewesen! Wir unterschätzten die Schwierigkeiten eines solchen
Unternehmens.
Hoffmann. Und daß Du nun _wirk--lich hinaus_ gingst -- nach Amerika --
all--len Ernstes mit leeren Händen .... Denk' doch mal an, was es heißt,
Grund und Boden für einen Musterstaat mit leeren Händen erwerben zu
wollen: das ist ja beinahe ver.... jedenfalls ist es einzig naiv.
Loth. Ach, gerade mit dem Ergebniß meiner Amerikafahrt bin ich ganz
zufrieden.
Hoffmann (laut auflachend). Kaltwasserkur, vorzügliche Resultate, wenn
Du es so meinst ...
Loth. Kann sein, ich bin etwas abgekühlt worden; damit ist mir aber gar
nichts _Besonderes_ geschehen. Jeder Mensch macht seinen
Abkühlungsprozeß durch. Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Werth
der .... nun, sagen wir hitzigen Zeit zu verkennen. Sie war auch gar
nicht so furchtbar naiv, wie Du sie hinstellst.
Hoffmann. Na, ich weiß nicht?!
Loth. Du brauchst nur an die Durchschnittskindereien unserer Tage
denken: das Couleurwesen auf den Universitäten, das Saufen, das Pauken.
Warum all der Lärm? Wie Fips zu sagen pflegte: um Hekuba!
Um Hekuba drehte es sich bei uns doch wohl nicht; wir hatten die
allerhöchsten menschheitlichen Ziele im Auge. Und abgesehen davon, diese
naive Zeit hat bei mir gründlich mit Vorurtheilen aufgeräumt. Ich bin
mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem Anderen ....
Hoffmann. Das kann ich Dir ja auch ohne Weiteres zugeben. Wenn ich jetzt
doch immerhin ein vorurtheilsloser, aufgeklärter Mensch bin, dann
verdanke ich das, wie ich _gar nicht_ leugne, den Tagen unseres Umgangs.
-- Natürlicherweise! -- Ich bin der letzte, das zu leugnen. -- Ich bin
überhaupt in _keiner_ Beziehung Unmensch. Nur muß man nicht mit dem
Kopfe durch die Wand rennen wollen. -- Man muß nicht die Uebel, an denen
die gegenwärtige Generation, leider Gottes, krankt, durch noch größere
verdrängen wollen; man muß -- alles ruhig seinen natürlichen Gang gehen
lassen. Was kommen soll, kommt! _Praktisch_, praktisch muß man
verfahren! Erinnere Dich! Ich habe das früher _gerade_ so betont, und
dieser Grundsatz hat sich bezahlt gemacht. -- Das _ist_ es ja eben. Ihr
alle -- Du mit eingerechnet -- Ihr verfahrt höchst _un_praktisch.
Loth. Erklär' mir eben mal, wie Du das meinst.
Hoffmann. _Ein_fach! Ihr nützt Eure Fähigkeiten nicht aus. Zum Beispiel
Du: 'n Kerl wie Du, mit Kenntnissen, Energie etc., was hätte Dir nicht
offen gestanden! Statt dessen, was machst Du? _Com--pro--mit--tirst
Dich_ von vornherein _der_--art ... na, Hand auf's Herz! hast Du das
nicht manchmal bereut?
Loth. Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurtheilt
worden bin.
Hoffmann. Kann ich ja nicht beurtheilen, weißt Du.
Loth. Du wirst das gleich können, wenn ich Dir sage: die Anklageschrift
führte aus, ich hätte unseren Verein Vancouver-Island nur zum Zwecke
parteilicher Agitation ins Leben gerufen; dann sollte ich auch Geld zu
Parteizwecken gesammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unseren
colonialen Bestrebungen Ernst war, und was das Geldsammeln anlangt, so
hast Du ja selbst gesagt, daß wir alle miteinander leere Hände hatten.
Die Anklage enthält also kein wahres Wort, und als Mitglied solltest Du
das doch ...
Hoffmann. Na -- Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht so recht. --
Uebrigens glaube ich Dir selbstredend. -- Die Richter sind halt immer
nur Menschen, muß man nehmen. -- Jedenfalls hättest Du, um praktisch zu
handeln, auch den _Schein_ meiden müssen. Ueberhaupt: ich habe mich in
der Folge manchmal baß gewundert über Dich: Redacteur der
Arbeiterkanzel, des obscursten aller Käseblättchen -- Reichstagscandidat
des süßen Pöbels! Und was hast Du nu davon? -- versteh mich nicht
falsch! Ich bin der letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen
läßt, aber _wenn_ etwas geschieht, dann mag es von oben her_ab_
geschehen! Es muß sogar von oben herab geschehen, das Volk weiß nun mal
nicht, was ihm noth thut -- das »Von-unten-_herauf_,« siehst Du, _das_
eben nenne ich das »Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-rennen.«
Loth. Ich bin aus dem, was Du eben gesagt hast, nicht klug geworden.
Hoffmann. Na, ich meine eben, sieh _mich_ an! Ich habe die Hände frei:
ich könnte nu schon anfangen was für die Ideale zu thun. -- Ich kann
wohl sagen, mein _praktisches_ Programm ist nahezu durchgeführt. Aber
Ihr ... immer mit leeren Händen, was wollt denn _Ihr machen_?
Loth. Ja, wie man so hört: Du segelst stark auf Bleichröder zu.
Hoffmann (geschmeichelt). Zu viel Ehre -- vorläufig noch. Wer sagt das?
-- Man arbeitet eben seinen soliden Stiefel fort. Das belohnt sich
naturgemäß -- wer sagt das übrigens?
Loth. Ich hörte darüber in Jauer zwei Herren am Nebentisch reden.
Hoffmann. Ä! Du! -- Ich habe Feinde! -- Was sagten die denn übrigens?
Loth. Nichts Besonderes. Durch sie erfuhr ich, daß Du Dich zur Zeit eben
hier auf das Gut Deiner Schwiegereltern zurückgezogen hast.
Hoffmann. Was die Menschen nicht alles ausschnüffeln! Lieber Freund! Du
glaubst nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt
beobachtet wird. Das ist auch so 'n Uebelstand des Reich.... -- Die
Sache ist nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und gesünderen Luft
wegen die Niederkunft meiner Frau _hier_.
Loth. Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt ist doch in
solchen Fällen von allergrößter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe ....
Hoffmann. Das ist es eben: der Arzt hier ist ganz besonders tüchtig;
und, weißt Du, so viel habe ich bereits weg: Gewissenhaftigkeit geht
beim Arzt über Genie.
Loth. Vielleicht ist sie eine Begleiterscheinung des Genies im Arzt.
Hoffmann. Mein'twegen, jedenfalls _hat_ unser Arzt Gewissen. Er ist
nämlich auch so'n Stück Ideologe, halb und halb unser Schlag -- reussirt
schauderhaft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man
vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens 'n recht unverdaulicher
Patron, 'n Mischmasch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie gesagt,
Gewissenhaftigkeit weiß ich zu schätzen! -- Unbedingt! -- Eh ich's
vergesse .... es ist mir nämlich darum zu thun .... man muß immer
wissen, wessen man sich zu versehen hat .... Höre! .... sage mir doch
.... ich seh Dir's an, die Herren am Nebentische haben nichts Gutes über
mich gesprochen. -- Sag' mir doch, bitte, was sie gesprochen haben.
Loth. Das sollte ich wohl nicht thun, denn ich will Dich nachher um
zweihundert Mark bitten, geradezu _bitten_, denn ich werde sie Dir wohl
kaum je wiedergeben können.
Hoffmann (zieht ein Checbuch aus der Brusttasche, füllt einen Chec aus,
übergiebt ihn Loth). Bei irgend einer Reichsbankfiliale .... Es ist mir
'n Vergnügen ....
Loth. Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Erwartungen. -- Na! -- ich
nehm es dankbar an und Du weißt ja: übel angewandt ist es auch nicht.
Hoffmann (mit Anflug von Pathos). Ein Arbeiter ist seines Lohnes werth!
-- Doch jetzt, Loth, sei so gut, sag' mir, was die Herren am Nebentisch
....
Loth. Sie haben wohl Unsinn gesprochen.
Hoffmann. Sag' mir's trotzdem, bitte! -- Es ist mir lediglich
interessant, _ledig--lich_ interessant --
Loth. Es war davon die Rede, daß Du hier einen anderen aus der Position
verdrängt hättest, -- einen Bauunternehmer Müller.
Hoffmann. Na--tür--lich! _diese_ Geschichte!
Loth. Ich glaube, der Mann sollte mit Deiner jetzigen Frau verlobt
gewesen sein.
Hoffmann. War er auch. -- Und was weiter?
Loth. Ich erzähle Dir alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es
kommt Dir darauf an, die Verleumdung möglichst getreu kennen zu lernen.
Hoffmann. Ganz recht! Also?
Loth. So viel ich heraus hörte, soll dieser Müller den Bau einer Strecke
der hiesigen Gebirgsbahn übernommen haben.
Hoffmann. Ja! Mit lumpigen zehntausend Thalern Vermögen. Als er einsah,
daß dieses Geld nicht zureichte, wollte er schnell eine Witzdorfer
Bauerntochter fischen; meine jetzige Frau sollte _diejenige_ sein,
_welche_.
Loth. Er hätte es, sagten sie, mit der Tochter, Du mit dem Alten
gemacht. -- Dann hat er sich ja wohl erschossen?! -- Auch seine Strecke
hättest Du zu Ende gebaut und noch sehr viel Geld dabei verdient.
Hoffmann. Darin ist einiges Wahre enthalten, doch -- ich könnte Dir eine
Verknüpfung der Thatsachen geben ... Wußten sie am Ende noch mehr
dergleichen erbauliche Dinge?
Loth. Ganz besonders -- muß ich Dir sagen -- regten sie sich über
_etwas_ auf: sie rechneten sich vor, welch ein enormes Geschäft in
Kohlen Du jetzt machtest und nannten Dich einen .... na, schmeichelhaft
war es eben nicht für Dich. Kurz gesagt, sie erzählten, Du hättest die
hiesigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu
unterzeichnen, in welchem Dir der alleinige Verschleiß aller in ihren
Gruben geförderten Kohle übertragen worden ist gegen eine Pachtsumme,
die fabelhaft gering sein sollte.
Hoffmann (sichtlich peinlich berührt, steht auf). Ich will Dir was
sagen, Loth .... Ach, warum auch noch darin rühren? Ich schlage vor, wir
denken an's Abendbrod, mein Hunger ist mörderisch. Mörderischen Hunger
habe ich. (Er drückt auf den Knopf einer elektrischen Leitung, deren
Draht in Form einer grünen Schnur auf das Sopha herunter hängt; man hört
das Läuten einer elektrischen Klingel.)
Loth. Nun, wenn Du mich hier behalten willst -- dann sei so gut .... ich
möchte mich eben 'n bischen säubern.
Hoffmann. Gleich sollst Du alles Nöthige .... (Eduard tritt ein, Diener
in Livree.) Eduard! führen Sie den Herrn in's Gastzimmer.
Eduard. Sehr wohl, gnädiger Herr.
Hoffmann (Loth die Hand drückend). In spätestens fünfzehn Minuten möchte
ich Dich bitten, zum Essen herunter zu kommen.
Loth. Uebrig Zeit. Also Wiedersehen!
Hoffmann. Wiedersehen!
Eduard öffnet die Thür und läßt Loth vorangehen. Beide ab.
Hoffmann kratzt sich den Hinterkopf, blickt nachdenklich auf den
Fußboden, geht dann auf die Thür rechts zu, deren Klinke er
bereits gefaßt hat, als Helene, welche hastig durch die Glasthür
eingetreten ist, ihn anruft.
Helene. Schwager! Wer war das?
Hoffmann. Das war einer von meinen Gymnasialfreunden, der älteste sogar,
Alfred Loth.
Helene (schnell). Ist er schon wieder fort?
Hoffmann. Nein! Er wird mit uns zu Abend essen. -- Womöglich .... ja,
womöglich auch hier übernachten.
Helene. Oh Jeses! Da komme ich nicht zum Abendessen.
Hoffmann. Aber Helene!
Helene. Was brauche ich auch unter gebildete Menschen zu kommen! Ich
will nur ruhig weiter verbauern.
Hoffmann. Ach, immer diese Schrullen! Du wirst mir sogar den großen
Dienst erweisen und die Anordnungen für den Abendtisch treffen. Sei so
gut! -- Wir machen's 'n bischen feierlich. Ich vermuthe nämlich, er
führt irgend was im Schilde.
Helene. Was meinst Du, im Schilde führen?
Hoffmann. Maulwurfsarbeit -- wühlen, wühlen. -- Davon verstehst Du nun
freilich nichts. -- Kann mich übrigens täuschen, denn ich habe bis jetzt
vermieden auf diesen Gegenstand zu kommen. Jedenfalls mach alles recht
einladend. Auf diese Weise ist den Leuten noch am leichtesten ...
Champagner natürlich! Die Hummern von Hamburg sind angekommen?
Helene. Ich glaube, sie sind heut früh angekommen.
Hoffmann. Also, Hummern! (Es klopft sehr stark.) Herein!
Postpacketträger. (Eine Kiste unter'm Arm, eintretend, spricht er in
singendem Tone.) Eine _Kis--te_.
Helene. Von wo?
Packetträger. _Ber--lin._
Hoffmann. Richtig. Es werden die Kindersachen von Hertzog sein. (Er
besieht das Packet und nimmt den Abschnitt.) Ja, ja, es sind die Sachen
von Hertzog.
Helene. _Die--se_ Kiste voll? Du übertreibst.
Hoffmann (lohnt den Packetträger ab).
Packetträger (ebenso halb singend). Schö'n gn'n A--bend. (Ab.)
Hoffmann. Wieso übertreiben?
Helene. Nun, hiermit kann man doch wenigstens drei Kinder ausstatten.
Hoffmann. Bist Du mit meiner Frau spazieren gegangen?
Helene. Was soll ich machen, wenn sie immer gleich müde wird?
Hoffmann. Ach was, immer gleich müde -- sie macht mich unglücklich! Ein
und eine halbe Stunde ... sie soll doch um Gottes Willen thun, was der
Arzt sagt. Zu was hat man denn den Arzt, wenn ...
Helene. Dann greife Du ein, schaff' die Spillern fort! Was soll ich
gegen so 'n altes Weib machen, die ihr immer nach dem Munde geht!
Hoffmann. Was denn? ... ich als Mann ... was soll ich als Mann? ... und
außerdem, Du kennst doch die Schwiegermama.
Helene (bitter). Allerdings.
Hoffmann. Wo ist sie denn jetzt?
Helene. Die Spillern stutzt sie heraus, seit Herr Loth hier ist; sie
wird wahrscheinlich zum Abendbrod wieder ihr Rad schlagen.
Hoffmann (schon wieder in eigenen Gedanken, macht einen Gang durch's
Zimmer; heftig). Es ist das letzte Mal, auf Ehre!, daß ich so etwas hier
in diesem Hause abwarte. Auf Ehre!
Helene. Ja, Du hast es eben gut, Du kannst gehen, wohin Du willst.
Hoffmann. Bei mir zu Hause wäre der unglückliche Rückfall in dies
schauderhafte Laster auch _sicher nicht_ vorgekommen.
Helene. _Mich_ mache dafür nicht verantwortlich! Von _mir_ hat sie den
Branntwein nicht bekommen. Schaff' Du nur die Spillern fort. Ich sollte
bloß 'n Mann sein.
Hoffmann (seufzend). Ach, wenn es nur erst wieder vorüber wär'! -- (In
der Thür rechts.) Also Schwägerin, Du thust mir den Gefallen: einen
recht appetitlichen Abendtisch! Ich erledige schnell noch eine
Kleinigkeit.
Helene (drückt auf den Klingelknopf, Miele kommt). Miele, decken Sie den
Tisch! Eduard soll Sekt kalt stellen und vier Dutzend Austern öffnen.
Miele (unterdrückt, batzig). Sie kinn'n 's 'm salber sagen, a nimmt
nischt oa vu mir, a meent immer: a wär ok beim Inschinnär gemit't.
Helene. Dann schick ihn wenigstens rein.
Miele ab. Helene tritt vor den Spiegel, ordnet dies und das an
ihrer Toilette; währenddeß tritt Eduard ein.
Helene (immer noch vor dem Spiegel). Eduard, stellen Sie Sekt kalt und
öffnen Sie Austern! Herr Hoffmann hat es befohlen.
Eduard. Sehr wohl, Fräulein. (Eduard ab. Gleich darauf klopft es an die
Mittelthür.)
Helene (fährt zusammen). Großer Gott! -- (Zaghaft.) Herein! -- (lauter
und fester) -- herein!
Loth (tritt ein ohne Verbeugung). Ach, um Verzeihung! -- ich wollte
nicht stören, -- mein Name ist Loth.
Helene (verbeugt sich tanzstundenmäßig).
Stimme Hoffmann's (durch die geschlossene Zimmerthür): Kinder! keine
Umstände! -- Ich komme gleich heraus. Loth! es ist meine Schwägerin
Helene Krause! Und Schwägerin! es ist mein Freund Alfred Loth!
Betrachtet Euch als vorgestellt.
Helene. Nein, über Dich aber auch!
Loth. Ich nehme es ihm nicht übel, Fräulein! Bin selbst, wie man mir
sehr oft gesagt hat, in Sachen des guten Tons ein halber Barbar. -- Aber
wenn ich Sie gestört habe, so ...
Helene. Bitte, -- Sie haben mich gar nicht gestört, -- durchaus nicht.
(Befangenheitspause, hierauf:) Es ist ... es ist schön von Ihnen, daß --
Sie meinen Schwager aufgesucht haben. Er beklagt sich immer von ... er
bedauert immer, von seinen Jugendfreunden so ganz vergessen zu sein.
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