Unterm Birnbaum - 5

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denke zwanzig Jahre. Und der Pohlsche, der es sein soll, is noch keine
zehn Wochen todt.«
Und siehe da, kaum daß diese Worte gesprochen waren, so war ihr Inhalt
auch schon bewiesen und jeder schämte sich, so wenig kaltes Blut und so
wenig Umsicht und Überlegung gehabt zu haben. In einem gewissen
Entdeckungseifer waren alle wie blind gewesen und hatten unbeachtet
gelassen, daß ein Schädel, um ein richtiger Schädel zu werden, auch sein
Stück Zeit verlangt und daß die Todten ihre Verschiedenheiten und ihre
Grade haben, gerade so gut wie die Lebendigen.
Am verlegensten war der Justizrath. Aber er sammelte sich rasch und
sagte: »Todtengräber Wonnekamp hat Recht. Das ist nicht der Todte, den
wir suchen. Und wenn er zwanzig Jahre in der Erde liegt, was ich keinen
Augenblick bezweifle, so kann Hradscheck an diesem Todten keine Schuld
haben. Und kann auch von einer früheren Schuld keine Rede sein. Denn
Hradscheck ist erst im zehnten Jahr in diesem Dorf. Das alles ist jetzt
erwiesen. Trotz alledem bleiben ein paar dunkle Punkte, worüber
Aufklärung gegeben werden muß. Ich lebe der Zuversicht, daß es an dieser
Aufklärung nicht fehlen wird, aber ehe sie gegeben ist, darf ich Sie,
Herr Hradscheck, nicht aus der Untersuchung entlassen. Es wird sich
dabei, was ich als eine weitere Hoffnung hier ausspreche, nur noch um
Stunden und höchstens um Tage handeln.«
Und damit nahm er Kunicke’s Arm und ging in die Weinstube zurück,
woselbst er nunmehr, in Gesellschaft von Woytasch und den
Gerichtsmännern, dem für ihn servirten Frühstücke tapfer zusprach. Auch
Hradscheck ward aufgefordert, sich zu setzen und einen Imbiß zu nehmen.
Er lehnte jedoch ab und sagte, daß er mit seiner Mahlzeit lieber warten
wolle, bis er im Küstriner Gefängniß sei.
So waren seine Worte.
Und diese Worte gefielen den Bauern ungemein. »Er will nicht an seinem
eignen Tisch zu Gaste sitzen und das Brot, das er gebacken, nicht als
Gnadenbrot essen. Da hat er Recht. Das möcht’ ich auch nicht.«
So hieß es und so dachten die Meisten.
Aber freilich nicht alle.
Gensdarm Geelhaar ging an dem Zaun entlang, über den, sammt andrem
Weibervolk, auch Mutter Jeschke weggekuckt hatte. Natürlich auch Line.
Geelhaar tippte dieser mit dem Finger auf den Dutt und sagte: »Nu Line,
was macht der Zopf?«
»Meiner?« lachte diese. »Hörens, Herr Gensdarm, jetzt kommt _Ihrer_ an
die Reih’.«
»Wird so schlimm nicht werden, Lineken ... Und Mutter Jeschke, was sagt
die dazu?«
»Joa, wat sall se seggen? He is nu wedder ’rut. Awers he kümmt ook woll
wedder ’rin.«


XII.

Eine Woche war vergangen, in der die Tschechiner viel erlebt hatten. Das
Wichtigste war: Hradscheck, nachdem er noch ein Küstriner Schlußverhör
durchgemacht hatte, war wieder da. Schlicht und unbefangen, ohne Lücken
und Widersprüche, waren die Dunkelheiten aufgeklärt worden, so daß an
seiner Unschuld nicht länger zu zweifeln war. Es seien ihm, so hieß es
in seiner vor Vowinkel gemachten Aussage, durch Unachtsamkeit, deren er
sich selber zu zeihen habe, mehrere große Speckseiten verdorben, und
diese möglichst unbemerkt im Garten zu vergraben, hab’ er an jenem Tage
vorgehabt. Er sei denn auch, gleich nachdem seine Gäste die Weinstube
verlassen hätten, ans Werk gegangen und habe, genau so wie’s die Jeschke
gesehn und erzählt, an dem alten Birnbaum ein Loch zu graben versucht;
als er aber erkannt habe, daß da was verscharrt liege, ja, dem Anscheine
nach ein Todter, hab’ ihn eine furchtbare Angst gepackt, in Folge deren
er nicht weiter gegraben, sondern das Loch rasch wieder zugeschüttet
habe. Der Koffer, den die Jeschke gesehen haben wolle, das seien eben
jene Speckseiten gewesen, die, dicht übereinander gepackt, an der
Gartenthür gelegen hätten. »Aber wozu die Heimlichkeit und die Nacht?«
hatte Vowinkel nach dieser Erklärung etwas spitz gefragt, worauf
Hradscheck, in seiner Erzählung fortfahrend, ohne Verlegenheit und
Unruhe geantwortet hatte: »Zu dieser Heimlichkeit seien für ihn zwei
Gründe gewesen. Erstens hab’ er sich die Vorwürfe seiner Frau, die nur
zu geneigt sei, von seiner Unachtsamkeit in Geschäftsdingen zu sprechen,
ersparen wollen. Und er dürfe wohl hinzusetzen, wer verheirathet sei,
der kenne das und wisse nur zu gut, wie gerne man sich solchen Anklagen
und Streitscenen entziehe. Der zweite Grund aber sei noch wichtiger
gewesen: die Rücksicht auf die Kundschaft. Die Bauern, wie der Herr
Justizrath ja wisse, seien die schwierigsten Leute von der Welt, ewig
voll Mißtrauen, und wenn sie derlei Dinge, wie Schinken und Speck, auch
freilich nicht in seinem Laden zu kaufen pflegten, weil sie ja genug
davon im eignen Rauch hätten, so zögen sie doch gleich Schlüsse vom
einen aufs andre. Dergleichen hab’ er mehr als einmal durchgemacht und
dann wochenlang aller Ecken und Enden hören müssen, er passe nicht auf.
Ja, noch letzten Herbst, als ihm ganz ohne seine Schuld eine Tonne
Heringe thranig geworden sei, habe Schneidigel überall im Dorfe
geputscht und unter anderm zu Quaas und Kunicke gesagt: ›Uns wird er
damit nicht kommen; aber die kleinen Leute, die, die ...‹«
Der Justizrath hatte hierbei gelächelt und zustimmend genickt, weil er
die Bauern fast so gut wie Hradscheck kannte, so daß, nach Erledigung
auch _dieses_ Punktes, eigentlich nichts übrig geblieben war als die
Frage, »was denn nun, unter so bewandten Umständen, aus dem durchaus zu
beseitigenden Speck geworden sei?« Welche Frage jedoch nur dazu
beigetragen hatte, Hradscheck’s Unschuld vollends ins Licht zu stellen.
»Er habe die Speckseiten an demselben Morgen noch an einer anderen
Gartenstelle verscharrt; gleich nach Szulski’s Abreise.« »Nun, wir
werden ja sehn,« hatte Vowinkel hierauf geantwortet und einen seiner
Gerichtsdiener abgeschickt, um sich in Tschechin selbst über die
Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Aussage zu vergewissern. Und als
sich nun in kürzester Frist alles bestätigt oder mit anderen Worten der
vergrabene Speck wirklich an der von Hradscheck angegebenen Stelle
gefunden hatte, hatte man das Verfahren eingestellt, und an demselben
Nachmittage noch war der unter so schwerem Verdacht Gestandene nach
Tschechin zurückgekehrt und in einer stattlichen Küstriner Miethschaise
vor seinem Hause vorgefahren. Ede, ganz verblüfft, hatte nur noch Zeit
gefunden, in die Wohnstube, darin sich Frau Hradscheck befand,
hineinzurufen: »Der Herr, der Herr ...«, worauf Hradscheck selbst mit
der ihm eigenen Jovialität und unter dem Zurufe: »Nun Ede, wie geht’s?«
in den Flur seines Hauses eingetreten, aber freilich im selben
Augenblick auch wieder mit einem erschreckten »Was is, Frau?«
zurückgefahren war. Ein Ausruf, den er wohl thun durfte. Denn gealtert,
die Augen tief eingesunken und die Haut wie Pergament, so war ihm Ursel
unter der Thür entgegengetreten.
* * *
Hradscheck war da, das war das _eine_ Tschechiner Ereigniß. Aber das
andere stand kaum dahinter zurück: Eccelius hatte, den Sonntag darauf,
über Sacharja 7, Vers 9 und 10 gepredigt, welche Stelle lautete: »So
spricht der Herr Zebaoth: Richtet recht, und ein Jeglicher beweise an
seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit. Und thuet nicht Unrecht den
_Fremdlingen_ und denke keiner wider seinen Bruder etwas Arges in seinem
Herzen.« Schon bei Lesung des Textes und der sich daran knüpfenden
Einleitungsbetrachtung hatten die Bauern aufgehorcht; als aber der
Pastor das Allgemeine fallen ließ und, ohne Namen zu nennen, den
Hradscheck’schen Fall zu schildern und die Trüglichkeit des Scheines
nachzuweisen begann, da gab sich eine Bewegung kund, wie sie seit dem
Sonntag (es ging nun ins fünfte Jahr), an welchem Eccelius auf die
schweren sittlichen Vergehen eines als Bräutigam vor dem Altar stehenden
reichen Bauernsohnes hingewiesen und ihn zu besserem Lebenswandel
ermahnt hatte, nicht mehr dagewesen war. Beide Hradschecks waren in der
Kirche zugegen und folgten jedem Worte des Geistlichen, der heute viel
Bibelsprüche citirte, mehr noch als gewöhnlich.
Es war unausbleiblich, daß diese Rechtfertigungsrede zugleich zur
Anklage gegen alle diejenigen wurde, die sich in der Hradscheck-Sache so
wenig freundnachbarlich benommen und durch allerhand Zuträgereien
entweder ihr Übelwollen oder doch zum mindesten ihre Leichtfertigkeit
und Unüberlegtheit gezeigt hatten. Wer in erster Reihe damit gemeint
war, konnte nicht zweifelhaft sein, und vieler Augen, nur nicht die der
Bauern, die, wie herkömmlich, keine Miene verzogen, richteten sich auf
die mitsammt ihrem »Lineken« auf der vorletzten Bank sitzende Mutter
Jeschke, der Kanzel grad’ gegenüber, dicht unter der Orgel. Line, sonst
ein Muster von Nichtverlegenwerden, wußte doch heute nicht wohin und
verwünschte die alte Hexe, neben der sie das Kreuzfeuer so vieler Augen
aushalten mußte. Mutter Jeschke selbst aber nickte nur leise mit dem
Kopf, wie wenn sie jedes Wort billige, das Eccelius gesprochen, und
sang, als die Predigt aus war, den Schlußvers ruhig mit. Ja sie blieb
selbst unbefangen, als sie draußen, an den zu beiden Seiten des
Kirchhofweges stehenden Frauen vorbeihumpelnd, erst die vorwurfsvollen
Blicke der Älteren und dann das Kichern der Jüngeren über sich ergehen
lassen mußte.
Zu Hause sagte Line: »Das war eine schöne Geschichte, Mutter Jeschke.
Hätte mir die Augen aus dem Kopf schämen können.«
»Bis doch sünnst nicht so.«
»Ach was, sünnst. Hat er Recht oder nicht? Ich meine, der Alte drüben?«
»Ick weet nich, Line,« beschwichtigte die Jeschke. »He möt et joa
weeten.«


XIII.

»He möt et joa weeten,« hatte die Jeschke gesagt und damit
ausgesprochen, wie sie wirklich zu der Sache stand. Sie mißtraute
Hradscheck nach wie vor; aber der Umstand, daß Eccelius von der Kanzel
her eine Rechtfertigungsrede für ihn gehalten hatte, war doch nicht ohne
Eindruck auf sie geblieben und veranlaßte sie, sich einigermaßen
zweifelvoll gegen ihren eigenen Argwohn zu stellen. Sie hatte Respekt
vor Eccelius, trotzdem sie kaum weniger als eine richtige alte Hexe war
und die heiligen Handlungen der Kirche ganz nach Art ihrer
sympathetischen Kuren ansah. Alles, was in der Welt wirkte, war
Sympathie, Besprechung, Spuk, aber dieser Spuk hatte doch zwei Quellen,
und der weiße Spuk war stärker als der schwarze. Demgemäß unterwarf sie
sich auch (und zumal wenn er von Altar oder Kanzel her sprach) dem den
weißen Spuk vertretenden Eccelius, ihm so zu sagen die sichrere
Bezugsquelle zugestehend. Unter allen Umständen aber suchte sie mit
Hradscheck wieder auf einen guten Fuß zu kommen, weil ihr der Werth
einer guten Nachbarschaft einleuchtete. Hradscheck seinerseits, statt
den Empfindlichen zu spielen, wie manch anderer gethan hätte, kam ihr
dabei auf halbem Wege entgegen und war überhaupt von so viel
Unbefangenheit, daß, ehe noch die Fastelabend-Pfannkuchen gebacken
wurden, die ganze Szulski-Geschichte so gut wie vergessen war. Nur
Sonntags im Kruge kam sie noch dann und wann zur Sprache.
»Wenn man wenigstens de Pelz wedder in die Hücht käm ...«
»Na, Du wührst doch den Pohlschen sien’ Pelz nich antrecken wulln?«
»Nich antrecken? Worümm nich? Dat de Pohlsche drinn wihr, dat deiht em
nix. Un mi ook nich. Un wat sünnst noch drin wihr, na, dat wahrd nu joa
woll rut sinn.«
»Joa, joa. Dat wahrd nu joa woll rut sinn.«
Und dann lachte man und wechselte das Thema.
Solche Scherze bildeten die Regel, und nur selten war es, daß irgend wer
ernsthaft auf den Fall zu sprechen kam und bei der Gelegenheit seine
Verwunderung ausdrückte, daß die Leiche noch immer nicht angetrieben
sei. Dann aber hieß es, »der Todte lieg’ im Schlick, und der Schlick
gäbe nichts heraus, oder doch erst nach fünfzig Jahren, wenn das
angeschwemmte Vorland Acker geworden sei. Dann würd’ er mal beim Pflügen
gefunden werden, gerad so wie der Franzose gefunden wär’«.
Ja, gerade so wie der Franzose, der jetzt überhaupt die Hauptsache war,
viel mehr als der mit seinem Fuhrwerk verunglückte Reisende, was
eigentlich auch nicht Wunder nehmen konnte. Denn Unglücksfälle wie der
Szulski’sche waren häufig, oder wenigstens nicht selten, während der
verscharrte Franzos unterm Birnbaum alles Zeug dazu hatte, die Fantasie
der Tschechiner in Bewegung zu setzen. Allerlei Geschichten wurden
ausgesponnen, auch Liebesgeschichten, in deren einer es hieß, daß
Anno 13 ein in eine hübsche Tschechinerin verliebter Franzose beinah
täglich von Küstrin her nach Tschechin gekommen sei, bis ihn ein
Nebenbuhler erschlagen und verscharrt habe. Diese Geschichte ließen sich
auch die Mägde nicht nehmen, trotzdem sich ältere Leute sehr wohl
entsannen, daß man einen Chasseur- oder nach andrer Meinung einen
Voltigeur-Korporal einfach wegen zu scharfer Fouragirung bei Seite
gebracht und still gemacht habe. Diese Besserwissenden drangen aber mit
ihrer Prosa-Geschichte nicht durch, und unter allen Umständen blieb der
Franzose Held und Mittelpunkt der Unterhaltung.
All das kam unsrem Hradscheck zu statten. Aber was ihm noch mehr zu
statten kam, war das, daß er denselben »Franzosen unterm Birnbaum« nicht
blos zur Wiederherstellung, sondern sogar zu glänzender Aufbesserung
seiner Reputation zu benutzen verstand.
Und das kam so.
Nicht allzu lange nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft war
in einer Kirchen-Gemeinderathssitzung, der Eccelius in Person
präsidirte, davon die Rede gewesen, dem Franzosen auf dem Kirchhof ein
christliches Begräbniß zu gönnen. »Der Franzose sei zwar,« so hatte sich
der den Antrag stellende Kunicke geäußert, »sehr wahrscheinlich ein
Katholscher gewesen, aber man dürfe das so genau nicht nehmen; die
Katholschen seien bei Licht besehen auch Christen, und wenn einer schon
so lang in der Erde gelegen habe, dann sei’s eigentlich gleich, ob er
den gereinigten Glauben gehabt habe oder nicht.« Eccelius hatte dieser
echt Kunicke’schen Rede, wenn auch selbstverständlich unter Lächeln,
zugestimmt, und die Sache war schon als angenommen und erledigt
betrachtet worden, als sich Hradscheck noch im letzten Augenblick zum
Worte gemeldet hatte. »Wenn der Herr Prediger das Begräbniß auf dem
Kirchhofe, der, als ein richtiger christlicher Gottesacker, jedem
Christen, evangelisch oder katholisch, etwas durchaus Heiliges sein
müsse, für angemessen oder gar für pflichtmäßig halte, so könne es ihm
nicht einfallen, ein Wort dagegen sagen zu wollen; wenn es aber nicht
ganz so liege, mit andern Worten, wenn ein Begräbniß daselbst nicht
absolut pflichtmäßig sei, so spräch’ er hiermit den Wunsch aus, den
Franzosen in seinem Garten behalten zu dürfen. Der Franzose sei so zu
sagen sein Schutzpatron geworden, und kein Tag ginge hin, ohne daß er
desselben in Dankbarkeit und Liebe gedenke. Das sei das, was er nicht
umhin gekonnt habe hier auszusprechen, und er setze nur noch hinzu, daß
er, gewünschten Falles, die Stelle mit einem Gitter versehen oder mit
einem Buchsbaum umziehn wolle.« Die ganze Rede hatte Hradscheck mit
bewegter und die Dankbarkeitsstelle sogar mit zitternder Stimme
gesprochen, was eine große Wirkung auf die Bauern gemacht hatte.
»Bist ein braver Kerl,« hatte der, wie alle Frühstücker, leicht zum
Weinen geneigte Kunicke gesagt und eine Viertelstunde später, als er
Woytasch und Eccelius bis vor das Pfarrhaus begleitete, mit Nachdruck
hinzugesetzt: »Un wenn’s noch ein Russe wär’! Aber das is ihm alles
eins, Russ’ oder Franzos. Der Franzos hat ihm geholfen und nu hilft er
ihm wieder und läßt ihn eingittern. Oder doch wenigstens eine Rabatte
ziehen. Und wenn es ein Gitter wird, so hat er’s nicht unter zwanzig
Thaler. Und da rechne ich noch keinen Anstrich und keine Vergoldung.«
* * *
Das alles war Mitte März gewesen, und vier Wochen später, als die
Schwalben zum ersten Male wieder durch die Dorfgasse hinschossen, um
sich anzumelden und zugleich Umschau nach den alten Menschen und Plätzen
zu halten, hatte Hradscheck ein Zwiegespräch mit Zimmermeister
Buggenhagen, dem er bei der Gelegenheit eine Planzeichnung vorlegte.
»Sehen Sie, Buggenhagen, das Haus ist überall zu klein, überall ist
angebaut und angeklebt, die Küche dicht neben dem Laden, und für die
Fremden ist nichts da, wie die zwei Giebelstuben oben. Das ist zu wenig,
ich will also ein Stock aufsetzen. Was meinen Sie? Wird der Unterbau ein
Stockwerk aushalten?«
»Was wird er nicht!« sagte Buggenhagen. »Natürlich Fachwerk!«
»Natürlich Fachwerk!« wiederholte Hradscheck. »Auch schon der Kosten
wegen. Alle Welt thut jetzt immer, als ob meine Frau zum mindesten ein
Rittergut geerbt hätte. Ja, hat sich was mit Rittergut. Erbärmliche
tausend Thaler.«
»Na, na.«
»Nun, sagen wir zwei,« lachte Hradscheck. »Aber mehr nicht, auf Ehre.
Und daß davon keine Seide zu spinnen ist, das wissen Sie. Keine Seide zu
spinnen und auch keine Paläste zu bauen. Also so billig wie möglich,
Buggenhagen. Ich denke, wir nehmen Lehm als Füllung. Stein ist zu schwer
und zu theuer, und was wir dadurch sparen, das lassen wir der
Einrichtung zu Gute kommen. Ein paar Öfen mit weißen Kacheln, nicht
wahr? Ich habe schon an Feilner geschrieben und angefragt. Und natürlich
alles Tapete! Sieht immer nach ’was aus und kann die Welt nicht kosten.
Ich denke, weiße; das ist am saubersten und zugleich das Billigste.«
Buggenhagen hatte zugestimmt und gleich nach Ostern mit dem Umbau
begonnen.
Und nicht allzu lange, das Wetter hatte den Bau begünstigt, so war das
Haus, das nun einen aufgesetzten Stock hatte, wieder unter Dach. Aber es
war das _alte_ Dach, die nämlichen alten Steine, denn Hradscheck wurde
nicht müde, Sparsamkeit zu fordern und immer wieder zu betonen, »daß er
nach wie vor ein armer Mann sei.«
Vier Wochen später standen auch die Feilner’schen Öfen, und nur
hinsichtlich der Tapete waren andere Beschlüsse gefaßt und statt der
weißen ein paar buntfarbige gewählt worden.
* * *
Anfangs, so lange das Dach-Abdecken dauerte, hatte Hradscheck in
augenscheinlicher Nervosität immer zur Eile angetrieben, und erst als
die rechts nach der Kegelbahn hin gelegene Giebelwand eingerissen und
statt der Stuben oben nur noch das Balken- und Sparrenwerk sichtbar war,
hatte sich seine Hast und Unruhe gelegt und Aufgeräumtheit und gute
Laune waren an Stelle derselben getreten. In dieser guten Laune war und
blieb er auch, und nur ein einziger Tag war gewesen, der ihm dieselbe
gestört hatte.
»Was meinen Sie, Buggenhagen,« hatte Hradscheck eines Tages gesagt, als
er eine aus dem Keller heraufgeholte Flasche mit Portwein aufzog. »Was
meinen Sie, ließe sich nicht der Keller etwas höher wölben? Natürlich
nicht der ganze Keller. Um Gottes willen nicht, da blieb am Ende kein
Stein auf dem andern, und Laden und Wein- und Wohnstube, kurzum alles
müßte verändert und auf einen andern Leisten gebracht werden. Das geht
nicht. Aber es wäre schon viel gewonnen, wenn wir das Mittelstück, das
grad unter dem Flur hinläuft, etwas höher legen könnten. Ob die Diele
dadurch um zwei Fuß niedriger wird, ist ziemlich gleichgültig; denn die
Fässer, die da liegen, haben immer noch Spielraum genug, auch nach oben
hin, und stoßen nicht gleich an die Decke.«
Buggenhagen widersprach nie, theils aus Klugheit, theils aus
Gleichgültigkeit, und das Einzige, was er sich dann und wann erlaubte,
waren halbe Vorschläge, hinsichtlich deren es ihm gleich war, ob sie
gutgeheißen oder verworfen wurden. Und so verfuhr er auch diesmal wieder
und sagte: »Versteht sich, Hradscheck. Es geht. Warum soll es nicht
gehn? Es geht alles. Und der Keller ist auch wirklich nicht hoch genug
(ich glaube keine fünftehalb Fuß) und die Fenster viel zu klein und zu
niedrig; alles wird stockig und multrig. Muß also gemacht werden. Aber
warum gleich wölben? Warum nicht lieber ausschachten? Wenn wir zehn
Fuhren Erde ’raus nehmen, haben wir überall fünf Fuß im ganzen Keller
und kein Mensch stößt sich mehr die kahle Platte. Nach oben hin wölben
macht blos Kosten und Umstände. Wir können eben so gut nach unten gehn.«
Hradscheck, als Buggenhagen so sprach, hatte die Farbe gewechselt und
sich momentan gefragt, »ob das alles vielleicht was zu bedeuten habe?«
Bald aber von des Sprechenden Unbefangenheit überzeugt, war ihm seine
Ruhe zurückgekehrt.
»Wenn ich mir’s recht überlege, Buggenhagen, so lassen wir’s. Wir müssen
auch an das Grundwasser denken. Und ist es so lange so gegangen, so
kann’s auch noch weiter so gehn. Und am Ende, wer kommt denn in den
Keller? Ede. Und der hat noch lange keine fünf Fuß.«
* * *
Das war einige Zeit vor Beginn der Manöver gewesen, und wenn es ein paar
Tage lang ärgerlich und verstimmend nachgewirkt hatte, so verschwand es
rasch wieder, als Anfang September die Truppenmärsche begannen und die
Schwedter Dragoner als Einquartierung ins Dorf kamen. Das Haus voller
Gäste zu haben, war überhaupt Hradscheck’s Vergnügen, und der liebste
Besuch waren ihm Rittmeister und Lieutenants, die nicht nur ihre Flasche
tranken, sondern auch allerlei wußten und den Mund auf dem rechten Fleck
hatten. Einige verschworen sich, daß ein Krieg ganz nahe sei. Kaiser
Nikolaus, Gott sei Dank, sei höchst unzufrieden mit der neuen
französischen Wirthschaft, und der unsichere Passagier, der Louis
Philipp, der doch eigentlich blos ein Waschlappen und halber Cretin sei,
solle mit seiner ganzen Konstitution wieder bei Seite geschoben und
statt seiner eine bourbonische Regentschaft eingesetzt oder vielleicht
auch der vertriebene Karl X. wieder zurückgeholt werden, was eigentlich
das Beste sei. Kaiser Nikolaus habe Recht, überhaupt immer Recht.
Konstitution sei Unsinn und das ganze Bürgerkönigthum die reine
Phrasendrescherei.
Wenn so das Gespräch ging, ging unserm Hradscheck das Herz auf, trotzdem
er eigentlich für Freiheit und Revolution war. Wenn es aber Revolution
nicht sein konnte, so war er auch für Tyrannei. Blos gepfeffert mußte
sie sein. Aufregung, Blut, Todtschießen, – wer ihm das leistete, war
sein Freund, und so kam es, daß er über Louis Philipp mit zu Gerichte
saß, als ob er die hyperloyale Gesinnung seiner Gäste getheilt hätte.
Nur von Ede sah er sich noch übertroffen, und wenn dieser durch die
Weinstube ging und ein neues Beefsteak oder eine neue Flasche brachte,
so lag allemal ein dümmliches Lachen auf seinem Gesicht, wie wenn er
sagen wollte: »Recht so, ’runter mit ihm; alles muß um einen Kopf kürzer
gemacht werden.« Ein paar blutjunge Lieutenants, die diese komische
Raserei wahrnahmen, amüsirten sich herzlich über ihn und ließen ihn
mittrinken, was alsbald dahin führte, daß der für gewöhnlich so
schüchterne Junge ganz aus seiner Reserve heraustrat und sich
gelegentlich selbst mit dem sonst so gefürchteten Hradscheck auf einen
halben Unterhaltungsfuß stellte.
»Da, Herr,« rief er eines Tages, als er gerade mit einem Korbe voll
Flaschen wieder aus dem Keller heraufkam. »Da, Herr; das hab’ ich eben
unten gefunden.« Und damit schob er Hradscheck einen schwarzübersponnenen
Knebelknopf zu. »Sind solche, wie der Pohlsche an seinem Rock hatte.«
Hradscheck war kreideweiß geworden und stotterte: »Ja, hast Recht, Ede.
Das sind solche. Hast Recht. Das heißt, die von dem Pohlschen, die waren
größer. Solche kleinen wie _die_, die hatte Hermannchen, uns’
Lütt-Hermann, an seinem Pelzrock. Weißt Du noch? Aber nein, da warst Du
noch gar nicht hier. Bring’ ihn meiner Frau; vergiß nicht. Oder gieb ihn
mir lieber wieder; ich will ihn ihr selber bringen.«
Ede ging, und die zunächst sitzenden Offiziere, die Hradscheck’s
Erregung wahrgenommen hatten, aber nicht recht wußten, was sie daraus
machen sollten, standen auf und wandten sich einem Gespräch mit andren
Kameraden zu.
* * *
Auch Hradscheck erhob sich. Er hatte den Knebelknopf zu sich gesteckt
und ging in den Garten, ärgerlich gegen den Jungen, am ärgerlichsten
aber gegen sich selbst.
»Gut, daß es Fremde waren, und noch dazu solche, die blos an Mädchen
und Pferde denken. War’s einer von uns hier, und wenn auch blos der
Ölgötze, der Quaas, so hatt’ ich die ganze Geschichte wieder über den
Hals. Aufpassen, Hradscheck, aufpassen. Und das verdammte Zusammenfahren
und sich Verfärben! Kalt Blut, oder es giebt ein Unglück.«
So vor sich hinsprechend, war er, den Blick zu Boden gerichtet, schon
ein paarmal in dem Mittelgang auf und ab geschritten. Als er jetzt
wieder aufsah, sah er, daß die Jeschke hinter dem Himbeerzaune stand und
ein paar verspätete Beeren pflückte.
»Die alte Hexe. Sie lauert wieder.«
Aber trotzalledem ging er auf sie zu, gab ihr die Hand und sagte: »Nu,
Mutter Jeschke, wie geht’s? Lange nicht gesehn. Auch Einquartierung?«
»Nei, Hradscheck.«
»Oder is Line wieder da?«
»Nei, Lineken ook nich. De is joa jitzt in Küstrin.«
»Bei wem denn?«
»Bi School-Inspekters. Un doa will se nich weg ... Hüren’s, Hradscheck,
ick glöw, de School-Inspekters sinn ook man so ... Awers wat hebben Se
denn? Se sehn joa janz geel ut. Un hier so ’ne Falt’. O, Se möten sich
nich ärgern, Hradscheck.«
»Ja, Mutter Jeschke, das sagen Sie wohl. Aber man _muß_ sich ärgern. Da
sind nun die jungen Offiziere. Na, die gehen bald wieder und sind auch
am Ende so schlimm nicht und eigentlich nette Herrchen und immer fidel.
Aber der Ede, dieser Ede! Da hat der Junge gestern wieder ein halbes
Faß Öl auslaufen lassen. Das ist doch über den Spaß. Wo soll man denn
das Geld schließlich hernehmen? Und dann die Plackerei treppauf,
treppab, und die schmalen Kellerstufen halb abgerutscht. Es ist zum
Halsbrechen.«
»Na, Se hebben joa doch nu Buggenhagen bi sich. De künn joa doch ne nije
Trepp moaken.«
»Ach, der, der. Mit dem ist auch nichts; ärgert mich auch. Sollte mir da
den Keller höher legen. Aber er will nicht und hat allerhand Ausreden.
Oder vielleicht versteht er’s auch nicht. Ich werde mal den Küstriner
Maurermeister kommen lassen, der jetzt an den Kasematten herumflickt.
Kasematten und Keller ist ja beinah dasselbe. _Der_ muß Rath schaffen.
Und bald. Denn der Keller ist eigentlich gar kein richtiger Keller; is
blos ein Loch, wo man sich den Kopf stößt.«
»Joa, joa. De Wienstuw’ sitt em to sihr upp’n Nacken.«
»Freilich. Und die ganze Geschichte hat nicht Luft und nicht Licht. Und
warum nicht? Weil kein richtiges Fenster da ist. Alles zu klein und zu
niedrig. Alles zu dicht zusammen.«
»Woll, woll,« stimmte die Jeschke zu. »Jott, ick weet noch, as de
Pohlsche hier wihr und dat Licht ümmer so blinzeln deih. Joa, wo _wihr_
dat Licht? Wihr et in de Stuw’ o’r wihr et in’n Keller? Ick weet et
nich.«
Alles klang so pfiffig und hämisch, und es lag offen zu Tage, daß sie
sich an ihres Nachbarn Verlegenheit weiden wollte. Diesmal aber hatte
sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht und die Verlegenheit blieb
schließlich auf ihrer Seite. War doch Hradscheck seit lange schon
Willens, ihr gegenüber, bei sich bietender Gelegenheit, mal einen andern
Ton anzuschlagen. Und so sah er sie denn jetzt mit seinen
durchdringenden Augen scharf an und sagte, sie plötzlich in der dritten
Person anredend: »Jeschken, ich weiß, wo sie hin will. Aber weiß sie
denn auch, was eine Verleumdungsklage ist? Ich erfahre alles, was sie so
herumschwatzt; aber seh’ sie sich vor, sonst kriegt sie’s mit dem
Küstriner Gericht zu thun; sie ist ’ne alte Hexe, das weiß jeder, und
der Justizrath weiß es auch. Und er wartet blos noch auf eine
Gelegenheit.«
Die Alte fuhr erschreckt zusammen. »Ick meen’ joa man, Hradscheck, ick
meen’ joa man ... Se weeten doch, en beten Spoaß möt sinn.«
»Nun gut. Ein bischen Spaß mag sein. Aber wenn ich Euch rathen kann,
Mutter Jeschke, nicht zu viel. Hört Ihr wohl, nicht zu viel.«
Und damit ging er wieder auf das Haus zu.


XIV.

Ängstigungen und Ärgernisse wie die vorgeschilderten kamen dann und wann
vor, aber im Ganzen, um es zu wiederholen, war die Bauzeit eine
glückliche Zeit für unsern Hradscheck gewesen. Der Laden war nie leer,
die Kundschaft wuchs, und das dem Grundstück zugehörige, draußen an der
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