Unterm Birnbaum - 3

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unterbrechen ließ, fuhr mit allem erdenklichen Ernste fort: »Und wie mit
der Frau, meine Herren, so mit dem Geld. Nur nicht ängstlich; haben muß
man’s, aber man muß nicht ewig daran denken. Oft muß ich lachen, wenn
ich so sehe, wie der oder jener im Postwagen oder an der Table d’hôte
mit einem Male nach seiner Brieftasche faßt, ›ob er’s auch noch hat‹.
Und dann athmet er auf und ist ganz roth geworden. Das ist immer
lächerlich und schadet blos. Und auch das Einnähen hilft nichts, das ist
ebenso dumm. Ist der Rock weg, ist auch das Geld weg. Aber was man auf
seinem Leibe hat, das hat man. All die andern Vorsichten sind Unsinn.«
»Recht so,« sagte Hradscheck. »So mach’ ich’s auch. Aber wir sind bei
dem Geld und dem Einnähen ganz von Polen abgekommen. Ist es denn wahr,
Szulski, daß sie Diebitschen vergiftet haben?«
»Versteht sich, es ist wahr.«
»Und die Geschichte mit den elf Talglichten auch? Auch wahr?«
»Alles wahr,« wiederholte Szulski. »Daran ist kein Zweifel. Und es kam
so. Constantin wollte die Polen ärgern, weil sie gesagt hatten, die
Russen fräßen bloß Talg. Und da ließ er, als er eines Tages elf Polen
eingeladen hatte, zum Dessert elf Talglichte herumreichen, das zwölfte
aber war von Marzipan und natürlich für ihn. Und versteht sich nahm er
immer zuerst, dafür war er Großfürst und Vicekönig. Aber das eine Mal
vergriff er sich doch und da hat er’s runter würgen müssen.«
»Wird nicht sehr glatt gegangen sein.«
»Gewiß nicht ... Aber, Ihr Herren, kennt Ihr denn schon das neue
Polenlied, das sie jetzt singen?«
»Denkst Du daran – –«
»Nein, das ist alt. Ein neues.«
»Und heißt?«
»Die letzten Zehn vom vierten Regiment ... Wollt Ihr’s hören? Soll ich
es singen?«
»Freilich.«
»Aber Ihr müßt einfallen ...«
»Versteht sich, versteht sich.«
Und nun sang Szulski, nachdem er sich geräuspert hatte:
Zu Warschau schwuren tausend auf den Knieen:
Kein Schuß im heil’gen Kampfe sei gethan,
Tambour schlag’ an, zum Blachfeld laßt uns ziehen,
Wir greifen nur mit Bajonetten an!
Und ewig kennt das Vaterland und nennt
Mit stillem Schmerz sein _viertes_ Regiment.
»Einfallen! Chorus.« »Weiter, Szulski, weiter.«
Ade, ihr Brüder, die zu Tod getroffen
An unsrer Seite dort wir stürzen sahn,
Wir leben noch, die Wunden stehen offen
Und um die Heimath ewig ist’s gethan;
Herr Gott im Himmel, schenk’ ein gnädig End’
Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.
Chorus:
»Uns letzten Zehn vom vierten Regiment.«
Alles jubelte. Dem alten Quaas aber traten seine schon von Natur
vorstehenden Augen immer mehr aus dem Kopf.
»Wenn ihn jetzt seine Frau sähe,« rief Kunicke.
»Da hätt’ er Oberwasser.«
»Ja, ja.«
Und nun stieß man an und ließ die Polen leben. Nur Kunicke, der an
#anno# 13 dachte, weigerte sich und trank auf die Russen. Und zuletzt
auch auf Quaas und Kätzchen.
Mietzel aber war ganz übermüthig und halb wie verdreht geworden und
sang, als er Kätzchens Namen hörte, mit einem Male:
»Nicht mal seiner eignen Frau,
Kätzchen weiß es ganz genau.
Miau.«
Quaas sah verlegen vor sich hin. Niemand indessen dachte mehr an
Übelnehmen.
Und nun wurde der Ladenjunge gerufen, um neue Flaschen zu bringen.


VI.

So ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte
noch bleiben und machte spitze Reden, daß Szulski, der schon ein paarmal
zum Aufbruch gemahnt, so müde sei. Der aber ließ sich weder durch Spott
noch gute Worte länger zurück halten; »er müsse morgen um neun in
Frankfurt sein.« Und damit nahm er den bereitstehenden Leuchter, um in
seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er die Thürklinke schon in
der Hand hatte, wandt’ er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck:
»Also vier Uhr, Hradscheck. Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein
Kaffee. Guten Abend, Ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!«
* * *
Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel und alle fluchten über
das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr, so schlug es um, der
Regen ließ nach und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das
Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute, so daß allerlei
Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als
an dem Hause der alten Jeschke, das grad’ in dem Windstrome lag, der,
von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunicke’s Stall und
Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst
herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten
Boden.
»Dat’s joa groad’, as ob de Bös kümmt,« sagte die Alte und richtete sich
in die Höh’, wie wenn sie aufstehen wolle. Das Herausklettern aus dem
hochstelligen Bett aber schien ihr zu viel Mühe zu machen, und so
klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiter zu
schlafen. Freilich umsonst. Der Lärm draußen und die wachsende Furcht,
ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn,
ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so stand sie
schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin, um hier an einem
bischen Aschengluth einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden.
Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt,
seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel,
drüben in der neumärkischen Haide, das freiwillige Hinken wegkurirt
hatte.
Das Licht und die Wärme thaten ihr wohl, und als es ein paar Minuten
später in dem immer bereit stehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu
brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem
Behagen den Sturm, der draußen heulte. Mit einem Mal aber gab es einen
Krach, als bräche was zusammen, ein Baum oder ein Strauchwerk, und so
ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier
blendete, vom Fenster her in die Küche, wo sie den obern Thürladen rasch
aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Theil des Gartenzauns
war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis
an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie, zwischen den Pfosten der
Lattenrinne hindurch, daß in dem Hradscheck’schen Hause noch Licht war.
Es flimmerte hin und her, mal hier, mal da, so daß sie nicht recht sehen
konnte, woher es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht
darüber gelegenen Fenster der Weinstube.
»Mien Jott, supen se noch?« fragte die Jeschke vor sich hin. »Na,
Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher, dat Wedder wihr
Schull un he künn nich anners.«
Unter dieser Betrachtung schloß sie den Thürladen wieder und ging an
ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu spioniren ließ ihr keine Ruh,
und trotzdem der Wind immer stärker geworden war, suchte sie doch die
Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung ’was
zu sehen. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen wäre, bis
sie, als sie sich schon zurückziehn wollte, drüben plötzlich die
Hradscheck’sche Gartenthür auffliegen und Hradscheck selbst in der
Thüröffnung erscheinen sah. Etwas Dunkles, das er schon vorher
herangeschafft haben mußte, lag neben ihm. Er war in sichtlicher
Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber. Und dann war’s ihr
doch wieder, als ob er wolle, _daß_ man ihn sähe. Denn wozu sonst das
Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt es immer noch vor
sich, es mit der Hand schützend, und schien zu schwanken, wohin damit.
Endlich aber mußt’ er eine geborgene Stelle gefunden haben, denn das
Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da, viel zu
schwach, um den nach wie vor in der Thüröffnung liegenden dunklen
Gegenstand erkennen zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es
nicht lang genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht.
»Wat he man hett?« murmelte sie vor sich hin.
Aber ehe sie sich, aus ihren Muthmaßungen heraus, ihre Frage noch
beantworten konnte, sah sie, wie der ihr auf Minuten aus dem Auge
gekommene Hradscheck von der Thür her in den Garten trat und mit einem
Spaten in der Hand rasch auf den Birnbaum zuschritt. Hier grub er eifrig
und mit sichtlicher Hast und mußte schon ein gut Theil Erde
herausgeworfen haben, als er mit einem Male das Graben aufgab und sich
aufs Neue nach allen Seiten hin umsah. Aber auch jetzt wieder (so
wenigstens schien es ihr) mehr in Spannung als in Angst und Sorge.
»Wat he man hett?« wiederholte sie.
Dann sah sie, daß er das Loch rasch wieder zuschüttete. Noch einen
Augenblick und die Gartenthür schloß sich und alles war wieder dunkel.
»Hm,« brummte die Jeschke. »Dat’s joa binoah, as ob he een’ abmurkst
hett’. Na, so dull wahrd et joa woll nich sinn ... Nei, nei, denn wihr
dat Licht nich. Awers ick tru em nich. Un ehr tru ick ook nich.«
Und damit ging sie wieder bis an ihr Bett und kletterte hinein.
Aber ein rechter Schlaf wollt’ ihr nicht mehr kommen, und in ihrem
halbwachen Zustande sah sie beständig das Flimmern im Kellerloch und
dann den Lichtschein, der in den Garten fiel, und dann wieder
Hradscheck, wie er unter dem Baume stand und grub.


VII.

Um vier Uhr stieg der Knecht die Stiege hinauf, um Szulski zu wecken. Er
fand aber die Stube verschlossen, weshalb er sich begnügte zu klopfen
und durch das Schlüsselloch hineinzurufen: »Is vier, Herr Szulski;
steihn’s upp.« Er horchte noch eine Weile hinein, und als alles ruhig
blieb, riß er an der klapprigen Thürklinke hin und her und wiederholte:
»Steihn’s upp, Herr Szulski, is Tied; ick spann nu an.« Und danach ging
er wieder treppab und durch den Laden in die Küche, wo die
Hradscheck’sche Magd, eine gutmüthige Person mit krausem Haar und vielen
Sommersprossen, noch halb verschlafen am Herde stand und Feuer machte.
»Na, Maleken, ook all rut? Wat seggst _Du_ dato? Klock vieren. Is doch
Menschenschinnerei. Worümm nich um söss? Um söss wihr ook noch Tied. Na,
nu koch’ uns man en beten wat mit.«
Und damit wollt’ er von der Küche her in den Hof hinaus. Aber der Wind
riß ihm die Thür aus der Hand und schlug sie mit Gekrach wieder zu.
»Jott, Jakob, ick hebb mi so verfiert. Dat künn joa ’nen Doden
uppwecken.«
»Sall ook, Male. He hett joa ’nen Dodensloap. Nu wahrd he woll
uppstoahn.«
Eine halbe Stunde später hielt der Einspänner vor der Hausthür und
Jakob, dem die Hände vom Leinehalten schon ganz klamm waren, sah
ungeduldig in den Flur hinein, ob der Reisende noch nicht komme.
Der aber war immer noch nicht zu sehen, und statt seiner erschien nur
Hradscheck und sagte: »Geh hinauf, Jakob, und sieh nach, was es ist. Er
ist am Ende wieder eingeschlafen. Und sag’ ihm auch, sein Kaffee würde
kalt ... Aber nein, laß nur; bleib. Er wird schon kommen.«
Und richtig, er kam auch und stieg, während Hradscheck so sprach, gerade
die nicht allzuhohe Treppe hinunter. Diese lag noch in Dunkel, aber ein
Lichtschimmer vom Laden her ließ die Gestalt des Fremden doch
einigermaßen deutlich erkennen. Er hielt sich am Geländer fest und ging
mit besonderer Langsamkeit und Vorsicht, als ob ihm der große Pelz
unbequem und beschwerlich sei. Nun aber war er unten, und Jakob, der
alles neugierig verfolgte, was vorging, sah, wie Hradscheck auf ihn
zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube
hinein komplimentirte, wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde
wartete.
»Na, nu wahrd et joa woll wihr’n,« tröstete sich der draußen immer
ungeduldiger Werdende. »Kümmt Tied, kümmt Roath.« Und wirklich, ehe fünf
Minuten um waren, erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von
diesem her auf die Straße, wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch
auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunter ließ, während der
Reisende, trotzdem ihm die Pelzmütze tief genug im Gesicht saß, auch
noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte.
»Das ist recht,« sagte Hradscheck. »Besser bewahrt, als beklagt. Und nun
mach flink, Jakob, und hole den Koffer.«
Dieser that auch wie befohlen, und als er mit dem Mantelsack wieder
unten war, saß der Reisende schon im Wagen und hatte den von ihm als
Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt. Ohne
was zu sagen, wies er darauf hin und nickte nur, als Jakob sich
bedankte. Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand, woran
wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten, und fuhr auf das
Orth’sche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu.
Diese ging nicht; der Wind wehte zu heftig.
Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden
Fuhrwerk eine Weile nach, sein Kopf war unbedeckt und sein spärlich
blondes Haar flog ihm um die Stirn. Es war aber, als ob die Kühlung ihn
erquicke. Als er wieder in den Flur trat, fand er Jakob, der sich das
Guldenstück ansah.
»Gefällt Dir wohl? Einen Gulden giebt nicht jeder. Ein feiner Herr!«
»Dat sall woll sien. Awers worümm he man so still wihr? He seggte joa
keen Wuhrt nich.«
»Nein, er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen,« lachte Hradscheck. »Is
ja erst fünf.«
»Versteiht sich. Klock feiv red’ ick ook nich veel.«


VIII.

Der Wind hielt an, aber der Himmel klärte sich, und bei hellem
Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause
vor. Es war der Friedrichsauer Amtsrath; Trakehner Rapphengste, der
Kutscher in Livrée. Hradscheck erschien in der Ladenthür und grüßte
respektvoll, fast devot.
»Tag, lieber Hradscheck; bringen Sie mir einen ›Luft‹ oder lieber gleich
zwei; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben. Nicht wahr, Johann?
Eine wahre Hundekälte. Und dabei diese Sonne.«
Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein: »Zwei
Pfefferminz, Ede; rasch!« und wandte sich dann mit der Frage zurück,
womit er sonst noch dienen könne?
»_Mir_ mit nichts, lieber Hradscheck, aber andren Leuten. Oder
wenigstens der Obrigkeit. Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder,
wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt.«
»Wo, Herr Amtsrath?«
»Hier gleich. Keine tausend Schritt hinter Orth’s Mühle.«
»Gott im Himmel, ist es möglich! Aber wollen der Herr Amtsrath nicht
bei Schulze Woytasch mit vorfahren?«
»Kann nicht, Hradscheck; ist mir zu sehr aus der Richt. Der Reitweiner
Graf erwartet mich und habe mich schon verspätet. Und zu helfen ist
ohnehin nicht mehr, soviel hab’ ich gesehn. Aber alles muß doch seinen
Schick haben, auch Tod und Unglück. Adieu ... Vorwärts!«
Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter, der seine
Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte, trotz der
grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen.
* * *
Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch,
während er selbst zu Kunicke hinüber ging, der eben seinen Mittagsschlaf
hielt.
»Stör’ Dich nicht gern um diese Zeit, Kunicke; Schlaf ist mir allemal
heilig, und nun gar Deiner! Aber es hilft nichts, wir müssen hinaus. Der
Friedrichsauer Amtsrath war eben da und sagte mir, daß ein Fuhrwerk in
der Oder liege. Mein Gott, wenn es Szulski wäre!«
»Wird wohl,« gähnte Kunicke, dem der Schlaf noch in allen Gliedern
steckte, »wird wohl ... Aber er wollte ja nicht hören, als ich ihm
gestern Abend sagte: ›nicht so früh, Szulski, nicht so früh ...‹ Denke
doch blos voriges Jahr, wie die Post ’runter fiel und der arme Kerl von
Postillon gleich mausetodt. Und der kannte doch unsern Damm! Und nu
solch Pohlscher, solch Bruder Krakauer. Na, wir werden ja sehn.«
Inzwischen hatte sich Kunicke zurecht gemacht und war erst in hohe
Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock
hineingefahren. Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen
Pikenstock aus der Ecke.
»Komm!«
Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus.
Der Wind blies immer stärker, und als Beide, so gut es ging, von oben
her sich umsahen, sahen sie, daß Schulze Woytasch, der schon anderweitig
von dem Unglück gehört haben mußte, die Dorfstraße herunter kam. Er
hatte seine Ponies, brillante kleine Traber, einspannen lassen und fuhr,
aller Polizeiregel zum Trotz, über den aufgeschütteten Gangweg hin, was
er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte. Zudem durft’ er sich
mit Dringlichkeit entschuldigen. Als er dicht an Kunicke’s Rampe heran
war, hielt er und rief Beiden zu: »Wollt auch hinaus? Natürlich. Immer
aufsteigen. Aber rasch.« Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem
aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter, auf Orth’s Gehöft und die
Mühle zu. Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher, Kunicke neben dem
Schulzen. Das war so Regel und Ordnung, denn ein Bauerngut geht vor
Gasthaus und Kramladen.
Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm
ansteigende Schrägung. Oben war der Weg etwas besser, aber immer noch
schlecht genug, so daß es sich empfahl, dicht am Dammrand entlang zu
fahren, wo, wegen des weniger aufgeweichten Bodens, die Räder auch
weniger tief einschnitten.
»Paß Achtung,« sagte Woytasch, »sonst liegen wir auch unten.«
Und der Kutscher, dem selber ängstlich sein mochte, lenkte sofort auf
die Mitte des Damms hinüber, trotzdem er hier langsamer fahren mußte.
Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab, so war es eine
wundervolle Fahrt und das sich weithin darbietende Bild von einer
gewissen Großartigkeit. Rechtshin grüne Wintersaat, so weit das Auge
reichte, nur mit einzelnen Tümpeln, Häusern und Pappelweiden dazwischen,
zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder, mehr ein
Haff jetzt als ein Strom. Wüthend kam der Südost vom jenseitigen Ufer
herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm,
daß es wie eine Brandung war. Und in eben dieser Brandung standen
gekröpfte Weiden, nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser, während,
auf der neumärkischen Seite, der blauschwarze Strich einer
Kiefernwaldung in grellem, unheimlichem Sonnenscheine dalag.
Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut
geworden, jetzt aber sagte Hradscheck, indem er sich zu den beiden
hinter ihm Sitzenden umdrehte: »Der Wind wird ihn runter geweht haben.«
»Unsinn!« lachte Woytasch, »Ihr müßt doch sehn, Hradscheck, der Wind
kommt ja von da, von drüben. Wenn _der_ schuld wäre, läg’ er hier rechts
vom Damm und nicht nach links hin in der Oder ... Aber seht nur, da
wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest. Fahr’ zu,
daß wir nicht die Letzten sind.«
Und eine Minute darauf hielten sie gerad an der Stelle, wo das Unglück
sich zugetragen hatte. Wirklich, Orth war schon da, mit ihm ein paar
seiner Mühlknechte, desgleichen Mietzel und Quaas, deren ausgebaute
Gehöfte ganz in der Nähe lagen. Alles begrüßte sich und kletterte dann
gemeinschaftlich den Damm hinunter, um unten genau zu sehen, wie’s
stünde. Die Böschung war glatt, aber man hielt sich an dem Werft- und
Weidengestrüpp, das überall stand. Unten angekommen, sah man bestätigt,
was von Anfang an niemand bezweifelt hatte: Szulski’s Einspänner lag wie
gekentert im Wasser, das Verdeck nach unten, die Räder nach oben; von
dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes
Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen,
wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die
Wellen an den Damm gespült und nur von Szulski selbst ließ sich nichts
entdecken.
»Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt,« sagte Schulze Woytasch. »Aber
weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den
Damm.«
Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp,
und durchsuchte jede Stelle.
»Der Pelz muß doch oben auf schwimmen.«
»Ja, der Pelz,« lachte Kunicke. »Wenn’s blos der Pelz wär’. Aber der
Pohlsche steckt ja drin.«
Es war der Kunicke’sche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei
Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andern Trupp führende
Hradscheck mit einem Male rief: »Ah, da ist ja seine Mütze!«
Wirklich, Szulski’s Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide.
»Nun, haben wir _die_,« fuhr Hradscheck fort, »so werden wir ihn auch
selber bald haben.«
»Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und
wir müssen immer peilen und Grund suchen.«
Und so geschah’s auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es
blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile
mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer
schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und
Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung
verspürte. Schulze Woytasch auch nicht.
»Ich werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken,«
sagte dieser. »Irgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm
ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte
kann die Gemeinde geben.«
»Und die andre Hälfte geben wir,« setzte Kunicke hinzu. »Denn wir sind
doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war
gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl
kattolsch?«
»Natürlich war er,« sagte Woytasch. »Wenn einer Szulski heißt und aus
Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad’t nichts. Ich bin für
Aufklärung. Der alte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner
Façon ...«
»Versteht sich,« sagte Kunicke. »Versteht sich. Und dann am Ende, wir
wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir
nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht
einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?«
»Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen
auch nicht.«
Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige
Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein.


IX.

Der Todte fand sich nicht, der Wagen aber, den man mühevoll aus dem
Wasser heraufgeholt hatte, wurde nach dem Dorf geschafft und in
Kunicke’s große Scheune gestellt. Da stand er nun schon zwei Wochen, um
entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu
werden.
Im Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf
hinauslief: »es sei was passirt und es stimme nicht mit den Hradschecks.
Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne
Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab’ es hinter den Ohren, und
was die Frau Hradscheck angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen
könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum es sei Beiden
nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz wo anders liegen,
als in der Oder.« Zum Überfluß griff auch noch unser Freund, der
Kantorssohn, der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte, in die
Saiten seiner Leier, und allabendlich, wenn die Knechte, mit denen er
auf Du und Du stand, vom Kruge her durchs Dorf zogen, sangen sie nach
bekannter Melodie:
Morgenroth!
Abel schlug den Kain todt.
Gestern noch bei vollen Flaschen
Morgens ausgeleerte Taschen
Und ein kühles, kühles Gra-ab.
All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren, und wiewohl es
nicht viel besser als Klatsch war, dem alles Beweiskräftige fehlte, so
sah sich der Vorsitzende des Gerichts, Justizrath Vowinkel, doch
veranlaßt, an seinen Duz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu
richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks
einzuziehen.
Das war am 7. December, und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück:
»Lieber Bruder. Es ist mir sehr willkommen, in dieser Sache das Wort
nehmen und Zeugniß zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können.
Man verleumdet sie, weil man sie beneidet, besonders die Frau. Du kennst
unsere Brücher; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum
Haß gegen alles, was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt.
Aber #ad rem.# Er, Hradscheck, ist kleiner Leute Kind aus Neu-Lewin und,
wie sein Name bezeugt, von böhmischer Extraktion. Du weißt, daß
Neu-Lewin in den 80er Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde.
Doch dies beiläufig. Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann, der, nach
Art solcher Leute, den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte. Und unser
Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in
Berlin beschäftigt gewesen sein. Aber es mißfiel ihm, und so fing er,
als er vor etwa 15 Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte, mit einem
Kramgeschäft an, das ihm auch glückte, bis er, um eines ihm unbequem
werdenden ›Verhältnisses‹ willen, den Laden aufgab und den Entschluß
faßte nach Amerika zu gehen. Und zwar über Holland. Er kam aber nur bis
ins Hannöversche, wo er, in der Nähe von Hildesheim, also katholische
Gegend, in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm. Hier
traf es sich, daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt
umhergezogene Tochter des Hauses, krank und elend von ihren Fahrten und
Abenteuern – sie war muthmaßlich Schauspielerin gewesen – zurückkam und
eine furchtbare Scene mit ihrem Vater hatte, der ihr nicht nur die
bösesten Namen gab, sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte.
Hradscheck, von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem
eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt, ergriff
Partei für sie, hielt um ihre Hand an, was dem Vater wie der ganzen
Familie nur gelegen kam, und heirathete sie, nachdem er seinen
Auswanderungsplan aufgegeben hatte. Bald danach, um Martini herum,
übersiedelten Beide hierher, nach Tschechin, und schon am ersten
Advents-Sonntage kam die junge Frau zu mir und sagte, daß sie sich zur
Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle. Was denn auch
geschah und damals (es geht jetzt ins zehnte Jahr) einen großen Eindruck
auf die Bauern machte. Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in
dem Leben Beider eine Rolle gespielt hat, ist mir unzweifelhaft, ebenso
daß Beide seinen Versuchungen unterlegen sind. Auch sonst noch, wie
nicht bestritten werden soll, bleiben einige dunkle Punkte, trotzdem es
an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat. Aber wie dem auch
sein möge, mir liegt es pflichtmäßig ob zu bezeugen, daß es
wohlanständige Leute sind, die, so lang ich sie kenne, sich gut gehalten
und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben. Einzelnes, was ihm,
nach der entgegengesetzten Seite hin, vor längrer oder kürzrer Zeit
nachgesagt wurde, mag auf sich beruhn, um so mehr als mir Sittenstolz
und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind. Die Frau hat meine
besondere Sympathie. Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen, hat sie
mir, wie Du begreifen wirst, von Anfang an lieb und werth gemacht.«
Die Wirkung dieses Eccelius’schen Briefes war, daß das Küstriner Gericht
die Sache vorläufig fallen ließ; als demselben aber zur Kenntniß kam,
»daß Nachtwächter Mewissen, nach neuerdings vor Schulze Woytasch
gemachten Aussagen, an jenem Tage, wo das Unglück sich ereignete, so
zwischen fünf und sechs (um die Zeit also, wo das Wetter am tollsten
gewesen) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn
haben wollte, ganz so wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme,«
– da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch
wieder so gewachsen, daß das Gericht einzuschreiten beschloß. Aber
freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eclats, weshalb Vowinkel
an Eccelius, dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete, die
folgenden Zeilen richtete:
»Habe Dank, lieber Bruder, für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M.,
dem ich, soweit er ein Urtheil abgiebt, in meinem Herzen zustimme.
Hradscheck ist ein durchaus netter Kerl, weit über seinen Stand hinaus,
und Du wirst Dich entsinnen, daß er letzten Winter sogar in Vorschlag
war und zwar auf meinen speciellen Antrag. Das alles steht fest. Aber zu
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