Unterm Birnbaum - 2

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können zu hoch sein. Ich hatte damals nichts und hab’ es von geborgtem
Gelde kaufen müssen.«
»Das hättest Du nicht thun sollen, Abel, das hättest Du mir sagen
müssen. Aber da genirte sich der werthe Herr Gemahl und mußte sich auch
geniren. Denn warum war kein Geld da? Wegen der Person drüben. Alte
Liebe rostet nicht. Versteht sich.«
»Ach Ursel, was soll das! Es nutzt uns nichts, uns unsere Vergangenheit
vorzuwerfen.«
»Was meinst Du damit? Was heißt Vergangenheit?«
»Wie kannst Du nur fragen? Aber ich weiß schon, es ist das alte Lied,
das ist Weiberart. Ihr streitet Eurem eignen Liebhaber die Liebschaft
ab. Ursel, ich hätte Dich für klüger gehalten. So sei doch nicht so kurz
von Gedächtniß. Wie lag es denn? Wie fand ich Dich damals, als Du wieder
nach Hause kamst, krank und elend und mit dem Stecken in der Hand, und
als der Alte Dich nicht aufnehmen wollte mit Deinem Kind und Du dann
zufrieden warst mit einer Schütte Stroh unterm Dach? Ursel, da hab’ ich
Dich gesehn, und weil ich Mitleid mit Dir hatte, nein, nein, erzürne
Dich nicht wieder ... weil ich Dich liebte, weil ich vernarrt in Dich
war, da hab’ ich Dich bei der Hand genommen, und wir sind hierher
gegangen, und der Alte drüben, dem Du das Käpsel da nähst, hat uns
zusammengethan. Es thut mir nicht leid, Ursel, denn Du weißt, daß ich in
meiner Neigung und Liebe zu Dir der Alte bin, aber Du darfst Dich auch
nicht aufs hohe Pferd setzen, wenn ich vor Sorgen nicht aus noch ein
weiß, und darfst mir nicht Vorwürfe machen wegen der Rese drüben in
Neu-Lewin. Was da hinging, glaube mir, das war nicht viel und eigentlich
nicht der Rede werth. Und nun ist sie lange todt und unter der Erde.
Nein, Ursel, daher stammt es nicht, und ich schwöre Dir’s, das alles
hätt’ ich gekonnt, aber der verdammte Hochmuth, daß es mit uns was sein
sollte, das hat es gemacht, das ist es. Du wolltest hoch hinaus und was
Apartes haben, damit sie sich wundern sollten. Und was haben wir nun
davon? Da stehen die Sachen, und das Bauernvolk lacht uns aus.«
»Sie beneiden uns.«
»Nun gut, vielleicht oder wenigstens so lang es vorhält. Aber wenn das
alles eines schönen Tages fort ist?«
»Das darf nicht sein.«
»Die Gerichte fragen nicht lange.«
»Das darf nicht sein, sag’ ich. Alles andre. Nein, Hradscheck, das
darfst Du mir nicht anthun, da nehm’ ich mir das Leben und geh’ in die
Oder, gleich auf der Stelle. Was Jammer und Elend ist, das weiß ich, das
hab’ ich erfahren. Aber gerade deßhalb, gerade deßhalb. Ich bin jetzt
aus dem Jammer heraus, Gott sei Dank, und ich will nicht wieder hinein.
Du sagst, sie lachen über uns, nein, sie lachen _nicht_; aber wenn uns
was passirte, dann würden sie lachen. Und daß dann ›Kätzchen‹ ihren Spaß
haben und sich über uns lustig machen sollte, oder gar die gute Mietzel,
die noch immer in ihrem schwarzen Kopftuch steckt und nicht mal weiß,
wie man einen Hut oder eine Haube manierlich aufsetzt, das trüg’ ich
nicht, da möcht’ ich gleich todt umfallen. Nein, nein, Hradscheck, wie
ich Dir schon neulich sagte, nur nicht arm. Armuth ist das Schlimmste,
schlimmer als Tod, schlimmer als ...«
Er nickte. »So denk’ ich auch, Ursel. Nur nicht arm. Aber komm’ in den
Garten! Die Wände hier haben Ohren.«
Und so gingen sie hinaus. Draußen aber nahm sie seinen Arm, hing sich,
wie zärtlich, an ihn und plauderte, während sie den Mittelsteig des
Gartens auf und ab schritten. Er seinerseits schwieg und überlegte, bis
er mit einem Male stehen blieb und, das Wort nehmend, auf die wieder
zugeschüttete Stelle neben dem Birnbaum wies. Und nun wurden Ursel’s
Augen immer größer, als er rasch und lebhaft alles, was geschehen müsse,
herzuzählen und auseinander zu setzen begann.
»Es geht nicht. Schlag’ es Dir aus dem Sinn. Es ist nichts so fein
gesponnen ...«
Er aber ließ nicht ab, und endlich sah man, daß er ihren Widerstand
besiegt hatte. Sie nickte, schwieg, und Beide gingen auf das Haus zu.


IV.

Der Oktober ging auf die Neige, trotzdem aber waren noch schöne warme
Tage, so daß man sich im Freien aufhalten und die Hradscheck’sche
Kegelbahn benutzen konnte. Diese war in der ganzen Gegend berühmt, weil
sie nicht nur ein gutes wagerechtes Laufbrett, sondern auch ein bequemes
Kegelhäuschen und in diesem zwei von aller Welt bewunderte buntglasige
Kuckfenster hatte. Das gelbe sah auf den Garten hinaus, das blaue
dagegen auf die Dorfstraße sammt dem dahinter sich hinziehenden
Oderdamm, über den hinweg dann und wann der Fluß selbst aufblitzte.
Drüben am andern Ufer aber gewahrte man einen langen Schattenstrich: die
neumärkische Haide.
Es war halb vier, und die Kugeln rollten schon seit einer Stunde. Der
zugleich Kellnerdienste verrichtende Ladenjunge lief hin und her, mal
Kaffee, mal einen Kognak bringend, am öftesten aber neugestopfte
Thonpfeifen, aus denen die Bauern rauchten und die Wölkchen in die klare
Herbstluft hineinbliesen. Es waren ihrer fünf, zwei aus dem benachbarten
Kienitz herübergekommen, der Rest echte Tschechiner: Ölmüller Quaas,
Bauer Mietzel und Bauer Kunicke. Hradscheck, der, von Berufs wegen, mit
dem Schreib- und Rechenwesen am besten Bescheid wußte, saß vor einer
großen schwarzen Tafel, die die Form eines Notenpultes hatte.
»Kunicke steht wieder am besten.« »Natürlich, gegen den kann keiner.«
»Dreimal acht um den König.« Und nun begann ein sich Überbieten in
Kegelwitzen. »Er kann hexen,« hieß es. »Er hockt mit der Jeschke
zusammen.« »Er spielt mit falschen Karten.« »Wer so viel Glück hat, muß
Strafe zahlen.« Der, der das von den »falschen Karten« gesagt hatte, war
Bauer Mietzel, des Ölmüllers Nachbar, ein kleines aufgetrocknetes
Männchen, das mehr einem Leineweber als einem Bauern glich. War aber
doch ein richtiger Bauer, in dessen Familie nur von alter Zeit her der
Schwind war.
»Wer schiebt?«
»Hradscheck.«
Dieser kletterte jetzt von seinem Schreibersitz und wartete gerad’ auf
seine die Lattenrinne langsam herunter kommende Lieblingskugel, als der
Landpostbote durch ein auf die Straße führendes Thürchen eintrat und
einen großen Brief an ihn abgab; Hradscheck nahm den Brief in die Linke,
packte die Kugel mit der Rechten und setzte sie kräftig auf, zugleich
mit Spannung dem Lauf derselben folgend.
»Sechs!« schrie der Kegeljunge, verbesserte sich aber sofort, als nach
einigem Wackeln und Besinnen noch ein siebenter Kegel umfiel.
»Sieben also!« triumphirte Hradscheck, der sich bei dem Wurf
augenscheinlich was gedacht hatte.
»Sieben geht,« fuhr er fort. »Sieben ist gut. Kunicke, schiebe für mich
und schreib’ an. Will nur das Porto zahlen.«
Und damit nahm er den Briefträger unterm Arm und ging mit ihm von der
Gartenseite her ins Haus.
Das Kegeln setzte sich mittlerweile fort, wer aber Spiel und Gäste
vergessen zu haben schien, war Hradscheck. Kunicke hatte schon zum
dritten Male statt seiner geschoben, und so wurde man endlich ungeduldig
und riß heftig an einem Klingeldraht, der nach dem Laden hineinführte.
Der Junge kam auch.
»Hradscheck soll wieder antreten, Ede. Wir warten ja. Mach’ flink!«
Und sieh, gleich darnach erschien auch der Gerufene, hochroth und
aufgeregt, aber, allem Anscheine nach, mehr in heiterer als
verdrießlicher Erregung. Er entschuldigte sich kurz, daß er habe warten
lassen, und nahm dann ohne Weiteres eine Kugel, um zu schieben.
»Aber Du bist ja gar nicht dran!« schrie Kunicke. »Himmelwetter, was ist
denn los? Und wie der Kerl aussieht! Entweder is ihm eine
Schwiegermutter gestorben oder er hat das große Loos gewonnen.«
Hradscheck lachte.
»Nu, so rede doch. Oder sollst Du nach Berlin kommen und ein paar neue
Rapspressen einrichten? Hast ja neulich unserm Quaas erst vorgerechnet,
daß er nichts von der Öl-Presse verstünde.«
»Hab’ ich, und ist auch so. Nichts für ungut, Ihr Herren, aber der Bauer
klebt immer am Alten.«
»Und die Gastwirthe sind immer fürs Neue. Blos daß nicht viel dabei
heraus kommt.«
»Wer weiß!«
»Wer weiß? Höre, Hradscheck, ich fange wirklich an zu glauben ... Oder
is es ’ne Erbschaft?«
»Is so was. Aber nicht der Rede werth.«
»Und von woher denn?«
»Von meiner Frau Schwester.«
»Bist doch ein Glückskind. Ewig sind ihm die gebratnen Tauben ins Maul
geflogen. Und aus dem Hildesheim’schen, sagst Du?«
»Ja, da so ’rum.«
»Na, da wird Reetzke drüben froh sein. Er war schon ungeduldig.«
»Weiß; er wollte klagen. Die Neu-Lewiner sind immer ängstlich und
Pfennigfuchser und können nicht warten. Aber er wird’s nu wohl lernen
und sich anders besinnen. Mehr sag’ ich nicht und paßt sich auch nicht.
Man soll den Mund nicht voll nehmen. Und was ist am Ende solch bischen
Geld?«
»Geld ist nie ein bischen. Wie viel Nullen hat’s denn?«
»Ach, Kinder, redet doch nicht von Nullen. Das Beste ist, daß es nicht
viel Wirthschaft macht und daß meine Frau nicht erst nach Hildesheim
braucht. Solche weite Reise, da geht ja gleich die Hälfte drauf. Oder
vielleicht auch das Ganze.«
»War es denn schon in dem Brief?«
»I, bewahre. Blos die Anzeige von meinem Schwager, und daß das Geld in
Berlin gehoben werden kann. Ich schicke morgen meine Frau. Sie versauert
hier ohnehin.«
»Versteht sich,« sagte Mietzel, der sich immer ärgerte, wenn von dem
»Versauern« der Frau Hradscheck die Rede war. »Versteht sich, laß sie
nur reisen; Berlin, das ist so was für die Frau Baronin. Und vielleicht
bringt sie Dir gleich wieder ein Atlassopha mit. Oder ’nen Trumeau. So
heißt es ja wohl? Bei so was Feinem muß unserein immer erst fragen. Der
Bauer ist ja zu dumm.«
* * *
Frau Hradscheck reiste wirklich ab, um die geerbte Summe von Berlin zu
holen, was schon im Voraus das Gerede der ebenso neidischen wie reichen
Bauernfrauen weckte, vor allen der Frau Quaas, die sich, ihrer
gekrausten blonden Haare halber, ganz einfach für eine Schönheit hielt
und aus dem Umstande, daß sie 20 Jahre jünger war als ihr Mann, ihr
Recht zu fast eben so vielen Liebschaften herleitete. Was gut aussah,
war ihr ein Dorn im Auge, zumeist aber die Hradscheck, die nicht nur
stattlicher und klüger war als sie selbst, sondern zum Überfluß auch
noch in Verdacht stand (wenn auch freilich mit Unrecht), den ältesten
Kantorssohn – einen wegen Demagogie relegirten Thunichtgut, der nun bei
dem Vater auf der Bärenhaut lag – zu Spottversen auf die Tschechiner und
ganz besonders auf die gute Frau Quaas angestiftet zu haben. Es war eine
lange Reimerei, drin jeder was wegkriegte. Der erste Vers aber lautete:
Woytasch hat den Schulzen-Stock,
Kunicke ’nen langen Rock,
Mietzel ist ein Hobelspahn,
Quaas hat keinem was gethan,
Nicht mal seiner eignen Frau,
Kätzchen weiß es ganz genau.
Miau, miau.
Dergleichen konnte nicht verziehen werden, am wenigsten solcher
Bettelperson wie dieser hergelaufenen Frau Hradscheck, die nun mal für
die Schuldige galt. Das stand bei Kätzchen fest.
»Ich wette,« sagte sie zur Mietzel, als diese denselben Abend noch, an
dem die Hradscheck abgereist war, auf der Ölmühle vorsprach, »ich wette,
daß sie mit einem Sammthut und einer Straußenfeder wiederkommt. Sie kann
sich nie genug thun, diese zierige Person, trotz ihrer vierzig. Und
alles blos, weil sie ›Swein‹ sagt und nicht ›switzen‹ kann, auch wenn
sie drei Kannen Fliederthee getrunken. Sie sagt aber nicht Fliederthee,
sie sagt Hollunder. Und das soll denn was sein. Ach, liebe Mietzel, es
ist zum Lachen.«
»Ja, ja!« stimmte die Mietzel ein, schien aber geneigt, die größere
Schuld auf Hradscheck zu schieben, der sich einbilde, Wunder was Feines
geheirathet zu haben. Und sei doch blos ’ne Kattolsche gewesen und
vielleicht auch ’ne Springerin; wenigstens habe sie so was munkeln
hören. »Und überhaupt, der gute Hradscheck,« fuhr sie fort, »er soll
doch nur still sein. In Neu-Lewin reden sie nicht viel Gutes von ihm.
Die Rese hat er sitzen lassen. Und mit eins war sie weg und keiner weiß
wie und warum. Und war auch von Ausgraben die Rede, bis unser alter
Woytasch ’rüber fuhr und alles wieder still machte. Natürlich, er will
keinen Lärm haben und is ’ne Suse. Zu Hause darf er ohnehin nicht reden.
Oder ob er der Hradschecken nach den Augen sieht? Sie hat so was. Und
ich sage blos, wenn wir alles hergelaufene Volk ins Dorf kriegen, so
haben wir nächstens auch die Zigeuner hier und Frau Woytasch kann sich
dann nach ’nem Schwiegersohn umsehn. Zeit wird es mit der Rike; dreißig
is sie ja schon.«
So ging gleich am ersten Tage das Geklatsch. Als aber eine halbe Woche
später die Hradscheck gerade so wieder kam, wie sie gegangen war, das
heißt ohne Sammthut und Straußenfeder, und noch ebenso grüßte, ja
womöglich noch artiger als vorher, da trat ein Umschlag ein, und man
fing an, sie gelten zu lassen und sich einzureden, daß die Erbschaft sie
verändert habe.
»Man sieht doch gleich,« sagte die Quaas, »daß sie jetzt was haben.
Sonst sollte das immer was sein, und sie logen einen grausam an, und war
eigentlich nicht zum Aushalten. Aber gestern war sie anders und sagte
ganz klein und bescheiden, daß es nur wenig sei.«
»Wie viel mag es denn wohl sein?« unterbrach hier die Mietzel. »Ich
denke mir so tausend Thaler.«
»O mehr, viel mehr. Wenn es nicht mehr wäre, wäre sie nicht _so_; da
zierte sie sich ruhig weiter. Nein, liebe Mietzel, da hat man denn doch
so seine Zeichen, und denken Sie sich, als ich sie gestern frug, ›ob es
ihr nicht ängstlich gewesen wäre, so ganz allein mit dem vielen Geld‹,
da sagte sie: ›nein, es wär’ ihr nicht ängstlich gewesen, denn sie habe
nur wenig mitgebracht, eigentlich nicht der Rede werth. Das Meiste habe
sie bei dem Kaufmann in Berlin gleich stehen lassen.‹ Ich weiß ganz
bestimmt, sie sagte: das Meiste. So wenig kann es also nicht sein.«
* * *
Unterredungen, wie diese, wurden ein paar Wochen lang in jedem
Tschechiner Hause geführt, ohne daß man mit Hilfe derselben im
Geringsten weiter gekommen wäre, weßhalb man sich schließlich hinter den
Postboten steckte. Dieser aber war entweder schweigsam oder wußte
nichts, und erst Mitte November erfuhr man von ihm, daß er neuerdings
einen rekommandirten Brief bei den Hradschecks abgegeben habe.
»Von woher denn?«
»Aus Krakau.«
Man überlegte sich’s, ob das in irgend einer Beziehung zur Erbschaft
stehen könne, fand aber nichts.
Und war auch nichts zu finden. Denn der eingeschriebene Brief lautete:

»_Krakau_, den 9. November 1831.
Herrn _Abel Hradscheck_ in Tschechin. Oderbruch.
Ew. Wohlgeboren bringen wir hiermit zu ganz ergebenster Kenntniß, daß
unser Reisender, Herr Szulski, wie alljährlich so auch in diesem Jahre
wieder, in der letzten Novemberwoche, bei Ihnen eintreffen und Ihre
weitern geneigten Aufträge in Empfang nehmen wird. Zugleich aber
gewärtigen wir, daß Sie, hochgeehrter Herr, bei dieser Gelegenheit
Veranlassung nehmen wollen, unsre seit drei Jahren anstehende Forderung
zu begleichen. Wir rechnen um so bestimmter darauf, als es uns, durch
die politischen Verhältnisse des Landes und den Rückschlag derselben auf
unser Geschäft, unmöglich gemacht wird, einen ferneren Kredit zu
bewilligen. Genehmigen Sie die Versicherung unserer Ergebenheit.
Olszewski-Goldschmidt & Sohn.«

Hradscheck, als er diesen Brief empfangen hatte, hatte nicht gesäumt,
auch seine Frau mit dem Inhalte desselben bekannt zu machen. Diese blieb
anscheinend ruhig, nur um ihre Lippen flog ein nervöses Zittern.
»Wo willst Du’s hernehmen, Abel? Und doch muß es geschafft werden. Und
ihm eingehändigt werden ... Und zwar vor Zeugen. Willst Du’s borgen?«
Er schwieg.
»Bei Kunicke?«
»Nein. Geht nicht. Das sieht aus nach Verlegenheit. Und die darf es nach
der Erbschaftsgeschichte nicht mehr geben. Und giebt’s auch nicht. Ich
glaube, daß ich’s schaffe.«
»Gut. Aber wie?«
»Bis zum 30. hab’ ich noch die Feuerkassengelder.«
»Die reichen nicht.«
»Nein. Aber doch beinah. Und den Rest deck’ ich mit einem kleinen
Wechsel. Ein großer geht nicht, aber ein kleiner ist gut und eigentlich
besser als baar.«
Sie nickte.
Dann trennte man sich, ohne daß weiter ein Wort gewechselt worden wäre.
Was zwischen ihnen zu sagen war, war gesagt und jedem seine Rolle
zugetheilt. Nur fanden sie sich sehr verschieden hinein, wie schon die
nächste Minute zeigen sollte.
Hradscheck, voll Beherrschung über sich selbst, ging in den Laden, der
gerade voll hübscher Bauernmädchen war, und zupfte hier der einen am
Busentuch, während er der andern die Schürzenbänder aufband. Einer Alten
aber gab er einen Kuß. »Einen Kuß in Ehren darf niemand wehren – nich
wahr, Mutter Schickedanz?«
Mutter Schickedanz lachte.
Der _Frau_ Hradscheck aber fehlten die guten Nerven, deren ihr Gatte
sich rühmen konnte. Sie ging in ihr Schlafzimmer, sah in den Garten und
überschlug ihr Leben. Dabei murmelte sie halb unverständliche Worte vor
sich hin und schien, den Bewegungen ihrer Hand nach, einen Rosenkranz
abzubeten. Aber es half alles nichts. Ihr Athem blieb schwer, und sie
riß endlich das Fenster auf, um die frische Luft einzusaugen.
So vergingen Stunden. Und als Mittag kam, kamen nur Hradscheck und Ede
zu Tisch.


V.

Es war Ende November, als an einem naßkalten Abende der von der Krakauer
Firma angekündigte Reisende vor Hradscheck’s Gasthof vorfuhr. Er kam von
Küstrin und hatte sich um ein paar Stunden verspätet, weil die vom Regen
aufgeweichten Bruchwege beinah unpassirbar gewesen waren, am meisten im
Dorfe selbst. Noch die letzten dreihundert Schritt von der Orth’schen
Windmühle her hatten ein gut Stück Zeit gekostet, weil das ermüdete
Pferd mitunter stehen blieb und trotz allem Fluchen nicht weiter wollte.
Jetzt aber hielt der Reisende vor der Ladenthür, durch deren trübe
Scheiben ein Lichtschein auf den Damm fiel, und knipste mit der
Peitsche.
»Halloh; Wirthschaft!«
Eine Weile verging, ohne daß wer kam. Endlich erschien der Ladenjunge,
lief aber, als er den Tritt heruntergeklappt hatte, gleich wieder weg,
»weil er den Knecht, den Jakob, rufen wolle.«
»Gut, gut. Aber flink ... Is das ein Hundewetter!«
Unter solchen und ähnlichen Ausrufungen schlug der jetzt wieder allein
gelassene Reisende das Schutzleder zurück, hing den Zügel in den
freigewordenen Haken und kletterte, halb erstarrt und unter Vermeidung
des Tritts, dem er nicht recht zu trauen schien, über das Rad weg auf
eine leidlich trockene, grad’ vor dem Laden-Eingange durch Aufschüttung
von Müll und Schutt hergerichtete Stelle. Wolfsschur und Pelzmütze
hatten ihm Kopf und Leib geschützt, aber die Füße waren wie todt, und er
stampfte hin und her, um wieder Leben ins Blut zu bringen.
Und jetzt erschien auch Jakob, der den Reisenden schon von früher her
kannte.
»Jott, Herr Szulski, bi so’n Wetter! Un so’ne Weg’! I, doa kümmt joa
keen Düwel nich.«
»Aber ich,« lachte Szulski.
»Joa, blot _Se_, Herr Szulski. Na, nu geihen’s man in de Stuw’. Un dat
Fellisen besorg’ ick. Un will ook glieks en beten wat inböten. Ick weet
joa: de Giebelstuw, de geele, de noah de Kegelboahn to.«
Während er noch so sprach, hatte Jakob den Koffer auf die Schulter
genommen und ging, dem Reisenden vorauf, auf die Treppe zu; als er aber
sah, daß Szulski, statt nach links hin in den Laden, nach rechts hin in
das Hradscheck’sche Wohnzimmer eintreten wollte, wandt’ er sich wieder
und sagte: »Nei, nich doa, Herr Szulski. Hradscheck is in de Wienstuw
... Se weeten joa.«
»Sind denn Gäste da?«
»Versteiht sich. Wat arme Lüd’ sinn, na, de bliewen to Huus, awers
Oll-Kunicke kümmt, un denn kümmt Orth ook. Un wenn Orth kümmt, denn
kümmt ook Quaas un Mietzel. Geihen’s man in. Se tempeln all wedder.«
* * *
Eine Stunde später war der Reisende, Herr Szulski, der eigentlich ein
einfacher Schulz aus Beuthen in Oberschlesien war und den National-Polen
erst mit dem polnischen Sammtrock sammt Schnüren und Knebelknöpfen
angezogen hatte, der Mittelpunkt der kleinen, auch heute wieder in der
Weinstube versammelten Tafelrunde. Das Geschäftliche war in Gegenwart
von Quaas und Kunicke rasch abgemacht und die hochaufgelaufene
Schuldsumme, ganz wie gewollt, durch Baarzahlung und kleine Wechsel
beglichen worden, was dem Pseudo-Polen, der eine so rasche Regulirung
kaum erwartet haben mochte, Veranlassung gab, einiges von dem von seiner
Firma gelieferten Ruster bringen zu lassen.
»Ich kenne die Jahrgänge, meine Herren, und bitt’ um die Ehr’.«
Die Bauern stutzten einen Augenblick, sich so zu Gaste geladen zu sehen,
aber sich rasch erinnernd, daß einige von ihnen bis ganz vor Kurzem noch
zu den Kunden der Krakauer Firma gehört hatten, sahen sie das Anerbieten
schließlich als einen bloßen Geschäftsakt an, den man sich gefallen
lassen könne. Was aber den Ausschlag gab, war, daß man durchaus von dem
eben beendigten polnischen Aufstand hören wollte, von Diebitsch und
Paskewitsch, und vor allem, ob es nicht bald wieder losgehe.
Szulski, wenn irgendwer, mußte davon wissen.
Als er das vorige Mal in ihrer Mitte weilte, war es ein paar Wochen vor
Ausbruch der Insurrektion gewesen. Alles, was er damals als nahe
bevorstehend prophezeit hatte, war eingetroffen und lag jetzt zurück,
Ostrolenka war geschlagen und Warschau gestürmt, welchem Sturme der
zufällig in der Hauptstadt anwesende Szulski zum Mindesten als
Augenzeuge, vielleicht auch als Mitkämpfer (er ließ dies vorsichtig im
Dunkel) beigewohnt hatte. Das alles traf sich trefflich für unsere
Tschechiner, und Szulski, der als guter Weinreisender natürlich auch ein
guter Erzähler war, schwelgte förmlich in Schilderung der polnischen
Heldenthaten, wie nicht minder in Schilderung der Grausamkeiten, deren
sich die Russen schuldig gemacht hatten. Eine Haus-Erstürmung in der
Dlugastraße, just da, wo diese mit ihren zwei schmalen Ausläufern die
Weichsel berührt, war dabei sein Paradepferd.
»Wie hieß die Straße?« fragte Mietzel, der nach Art aller verquienten
Leute bei Kriegsgeschichten immer hochroth wurde.
»Dlugastraße,« wiederholte Szulski mit einer gewissen gekünstelten Ruhe.
»Dluga, Herr Mietzel. Und das Eckhaus, um das es sich in meiner
Geschichte handelt, stand dicht an der Weichsel, der Vorstadt Praga
grad’ gegenüber, und war von unseren Akademikern und Polytechnikern
besetzt, das heißt von den Wenigen, die von ihnen noch übrig waren, denn
die meisten lagen längst draußen auf dem Ehrenfelde. Gleichviel indeß,
was von ihnen noch lebte, das steckte jetzt in dem vier Etagen hohen
Hause, von Treppe zu Treppe bis unters Dach. Auf dem abgedeckten Dach
aber befanden sich Frauen und Kinder, die sich hier hinter Balkenlagen
verschanzt und mit herangeschleppten Steinen bewaffnet hatten. Als nun
die Russen, es war das Regiment Kaluga, bis dicht heran waren, rührten
sie die Trommel zum Angriff. Und so stürmten sie dreimal, immer umsonst,
immer mit schwerem Verlust, so dicht fiel der Steinhagel auf sie nieder.
Aber das vierte Mal kamen sie bis an die verrammelte Thür, stießen sie
mit Kolben ein und sprangen die Treppe hinauf. Immer höher zogen sich
unsere Tapferen zurück, bis sie zuletzt, mit den Frauen und Kindern und
im bunten Durcheinander mit diesen, auf dem abgedeckten Dache standen.
Da sah ich jeden Einzelnen so deutlich vor mir, wie ich _Sie_ jetzt
sehe, Bauer Mietzel« – dieser fuhr zurück – »denn ich hatte meine
Wohnung in dem Hause gegenüber und sah, wie sie die Konfederatka
schwenkten, und hörte, wie sie unser Lied sangen: ›Noch ist Polen nicht
verloren.‹ Und bei meiner Ehre, _hier_, an dieser Stelle, hätten sie
sich trotz aller Übermacht des Feindes gehalten, wenn nicht plötzlich,
von der Seite her, ein Hämmern und Schlagen hörbar geworden wäre, ein
Hämmern und Schlagen sag’ ich, wie von Äxten und Beilen.«
»Wie? Was? Von Äxten und Beilen?« wiederholte Mietzel, dem sein bischen
Haar nachgerade zu Berge stand. »Was war es?«
»Ja, was war es? Vom Nachbarhause her ging man vor; jetzt war ein Loch
da, jetzt eine Bresche, und durch die Bresche hin drang das russische
Regiment auf den Dachboden vor. Was ich da gesehen habe, spottet jeder
Beschreibung. Wer einfach niedergeschossen wurde, konnte von Glück
sagen, die meisten aber wurden durch einen Bajonettstoß auf die Straße
geschleudert. Es war ein Graus, meine Herren. Eine Frau wartete das
Massacre, ja, vielleicht Schimpf und Entehrung (denn dergleichen ist
vorgekommen) nicht erst ab; sie nahm ihre beiden Kinder an die Hand und
stürzte sich mit ihnen in den Fluß.«
»Alle Wetter,« sagte Kunicke, »das ist stark! Ich habe doch auch ein
Stück Krieg mitgemacht und weiß wohl, wo man Holz fällt, fallen Spähne.
So war es bei Möckern, und ich sehe noch unsren alten Krosigk, wie der
den Marinekaptän über den Haufen stach, und wie dann das Kolbenschlagen
losging, bis alle dalagen. Aber Frauen und Kinder! Alle Wetter, Szulski,
das ist scharf. Is es denn auch wahr?«
»Ob es wahr ist? Verzeihung, ich bin kein Aufschneider, Herr Kunicke.
Kein Pole schneidet auf, das verachtet er. Und ich auch. Aber was ich
gesehn habe, das hab’ ich gesehn, und eine Thatsache bleibt eine
Thatsache, sie sei wie sie sei. Die Dame, die da herunter sprang (und
ich schwör’ Ihnen, meine Herren, es _war_ eine Dame), war eine schöne
Frau, keine 36, und so wahr ein Gott im Himmel lebt, ich hätt’ ihr was
Bessres gewünscht, als diese naßkalte Weichsel.«
Kunicke schmunzelte, während der neben anderen Schwächen und Leiden auch
an einer Liebesader leidende Mietzel nicht umhin konnte, seiner nervösen
Erregtheit plötzlich eine ganz neue Richtung zu geben. Szulski selbst
aber war viel zu sehr von sich und seiner Geschichte durchdrungen, um
nebenher noch zu Zweideutigkeiten Zeit zu haben, und fuhr, ohne sich
stören zu lassen, fort: »Eine schöne Frau, sagt’ ich, und hingemordet.
Und was das Schlimmste dabei, nicht hingemordet durch den Feind, nein,
durch uns selbst; hingemordet, weil wir verrathen waren. Hätte man uns
freie Hand gelassen, kein Russe wäre je über die Weichsel gekommen. Das
Volk war gut, Bürger und Bauer waren gut, alles einig, alles da mit Gut
und Blut. Aber der Adel! Der Adel hat uns um dreißig Silberlinge
verschachert, bloß weil er an sein Geld und seine Güter dachte. Und wenn
der Mensch erst an sein Geld denkt, ist er verloren.«
»Kann ich nicht zugeben,« sagte Kunicke. »Jeder denkt an sein Geld. Alle
Wetter, Szulski, das sollt’ unsrem Hradscheck schon gefallen, wenn der
Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn alle November hier
vorspräch’ und nie an Geld dächte. Nicht wahr, Hradscheck, da ließe sich
bald auf einen grünen Zweig kommen und brauchte keine Schwester oder
Schwägerin zu sterben und keine Erbschaft ausgezahlt zu werden.«
»Ah, Erbschaft,« wiederholte Szulski. »So, so; daher. Nun, gratulire.
Habe neulich auch einen Brocken geerbt und in Lemberg angelegt. Lemberg
ist besser als Krakau. Ja, das muß wahr sein, Erbschaft ist die beste
Art zu Gelde zu kommen, die beste und eigentlich auch die
anständigste ...«
»Und namentlich auch die leichteste,« bestätigte Kunicke. »Ja, das liebe
Geld. Und wenn’s viel ist, das heißt _sehr_ viel, dann darf man auch
dran denken! Nicht wahr, Szulski?«
»Natürlich,« lachte dieser. »Natürlich, wenn’s viel ist. Aber, Bauer
Kunicke, denken und denken ist ein Unterschied. Man muß _wissen_, daß
man’s hat, soviel ist richtig, das ist gut und ein angenehmes Gefühl und
stört nicht ...«
»Nein, nein, stört nicht.«
»Aber, meine Herren, ich muß es wiederholen, denken und denken ist ein
Unterschied. An Geld _immer_ denken, bei Tag und bei Nacht, das ist
soviel, wie sich immer drum ängstigen. Und ängstigen soll man sich
nicht. Wer auf Reisen ist und immer an seine Frau denkt, der ängstigt
sich um seine Frau.«
»Freilich,« schrie Kunicke. »Quaas ängstigt sich auch immer.«
Alle lachten unbändig, und nur Szulski selbst, der auch darin durchaus
Anekdoten- und Geschichten-Erzähler von Fach war, daß er sich nicht gern
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