Unterm Birnbaum - 1

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Unterm Birnbaum.

Von
Theodor Fontane.

Berlin,
G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung.
1885.

Übersetzungsrecht vorbehalten.
Pierer’sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.


I.

Vor dem in dem großen und reichen Oderbruchdorfe Tschechin um
Michaeli 20 eröffneten _Gasthaus und Materialwaarengeschäft von Abel
Hradscheck_ (so stand auf einem über der Thür angebrachten Schilde)
wurden Säcke, vom Hausflur her, auf einen mit zwei magern Schimmeln
bespannten Bauerwagen geladen. Einige von den Säcken waren nicht gut
gebunden oder hatten kleine Löcher und Ritzen, und so sah man denn an
dem, was herausfiel, daß es Rapssäcke waren. Auf der Straße neben dem
Wagen aber stand Abel Hradscheck selbst und sagte zu dem eben vom Rad
her auf die Deichsel steigenden Knecht: »Und nun vorwärts, Jakob, und
grüße mir Ölmüller Quaas. Und sag’ ihm, bis Ende der Woche müßt’ ich das
Öl haben, Leist in Wrietzen warte schon. Und wenn Quaas nicht da ist, so
bestelle der Frau meinen Gruß und sei hübsch manierlich. Du weißt ja
Bescheid. Und weißt auch, Kätzchen hält auf Komplimente.«
Der als Jakob Angeredete nickte nur statt aller Antwort, setzte sich auf
den vordersten Rapssack und trieb beide Schimmel mit einem schläfrigen
»Hüh« an, wenn überhaupt von Antreiben die Rede sein konnte. Und nun
klapperte der Wagen nach rechts hin den Fahrweg hinunter, erst auf das
Bauer Orth’sche Gehöft sammt seiner Windmühle (womit das Dorf nach der
Frankfurter Seite hin abschloß) und dann auf die weiter draußen am
Oderbruch-Damm gelegene Ölmühle zu. Hradscheck sah dem Wagen nach, bis
er verschwunden war, und trat nun erst in den Hausflur zurück. Dieser
war breit und tief und theilte sich in zwei Hälften, die durch ein paar
Holzsäulen und zwei dazwischen ausgespannte Hängematten von einander
getrennt waren. Nur in der Mitte hatte man einen Durchgang gelassen. An
dem Vorflur lag nach rechts hin das Wohnzimmer, zu dem eine Stufe
hinaufführte, nach links hin aber der Laden, in den man durch ein
großes, fast die halbe Wand einnehmendes Schiebefenster hineinsehen
konnte. Früher war hier die Verkaufsstelle gewesen, bis sich die zum
Vornehmthun geneigte Frau Hradscheck das Herumtrampeln auf ihrem Flur
verbeten und auf Durchbruch einer richtigen Ladenthür, also von der
Straße her, gedrungen hatte. Seitdem zeigte dieser Vorflur eine gewisse
Herrschaftlichkeit, während der nach dem Garten hinausführende
Hinterflur ganz dem Geschäft gehörte. Säcke, Citronen- und
Apfelsinenkisten standen hier an der einen Wand entlang, während an der
andern übereinandergeschichtete Fässer lagen, Ölfässer, deren stattliche
Reihe nur durch eine zum Keller hinunterführende Fallthür unterbrochen
war. Ein sorglich vorgelegter Keil hielt nach rechts und links hin die
Fässer in Ordnung, so daß die untere Reihe durch den Druck der
obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen konnte.
So war der Flur. Hradscheck selbst aber, der eben die schmale, zwischen
den Kisten und Ölfässern freigelassene Gasse passirte, schloß, halb
ärgerlich halb lachend, die trotz seines Verbotes mal wieder
offenstehende Fallthür und sagte: »Dieser Junge, der Ede. Wann wird er
seine fünf Sinne beisammen haben!«
Und damit trat er vom Flur her in den Garten.
Hier war es schon herbstlich, nur noch Astern und Reseda blühten
zwischen den Buchsbaumrabatten, und eine Hummel umsummte den Stamm eines
alten Birnbaums, der mitten im Garten hart neben dem breiten
Mittelsteige stand. Ein paar Möhrenbeete, die sich, sammt einem schmalen
mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen, an eben dieser Stelle durch eine
Spargel-Anlage hinzogen, waren schon wieder umgegraben, eine frische
Luft ging, und eine schwarzgelbe, der nebenanwohnenden Wittwe Jeschke
zugehörige Katze schlich, muthmaßlich auf der Sperlingssuche, durch die
schon hoch in Samen stehenden Spargelbeete.
Hradscheck aber hatte dessen nicht Acht. Er ging vielmehr rechnend und
wägend zwischen den Rabatten hin und kam erst zu Betrachtung und
Bewußtsein, als er, am Ende des Gartens angekommen, sich umsah und nun
die Rückseite seines Hauses vor sich hatte. Da lag es, sauber und
freundlich, links die sich von der Straße her bis in den Garten
hineinziehende Kegelbahn, rechts der Hof sammt dem Küchenhaus, das er
erst neuerdings an den Laden angebaut hatte. Der kaum vom Winde bewegte
Rauch stieg sonnenbeschienen auf und gab ein Bild von Glück und Frieden.
Und das alles war sein! Aber wie lange noch? Er sann ängstlich nach und
fuhr aus seinem Sinnen erst auf, als er, ein paar Schritte von sich
entfernt, eine große, durch ihre Schwere und Reife sich von selbst
ablösende Malvasierbirne mit eigenthümlich dumpfem Ton aufklatschen
hörte. Denn sie war nicht auf den harten Mittelsteig, sondern auf eins
der umgegrabenen Möhrenbeete gefallen. Hradscheck ging darauf zu, bückte
sich und hatte die Birne kaum aufgehoben, als er sich von der Seite her
angerufen hörte:
»Dag, Hradscheck. Joa, et wahrd nu Tied. De Malvesieren kümmen all von
sülwst.«
Er wandte sich bei diesem Anruf und sah, daß seine Nachbarin, die
Jeschke, deren kleines, etwas zurückgebautes Haus den Blick auf seinen
Garten hatte, von drüben her über den Himbeerzaun kuckte.
»Ja, Mutter Jeschke, ’s wird Zeit,« sagte Hradscheck. »Aber wer soll die
Birnen abnehmen? Freilich wenn Ihre Line hier wäre, die könnte helfen.
Aber man hat ja keinen Menschen und muß alles selbst machen.«
»Na, Se hebben joa doch den Jungen, den Ede.«
»Ja, den hab’ ich. Aber der pflückt blos für sich.«
»Dat sall woll sien,« lachte die Alte. »Een in’t Töppken, een in’t
Kröppken.«
Und damit humpelte sie wieder nach ihrem Hause zurück, während auch
Hradscheck wieder vom Garten her in den Flur trat.
Hier sah er jetzt nachdenklich auf die Stelle, wo vor einer halben
Stunde noch die Rapssäcke gestanden hatten, und in seinem Auge lag
etwas, als wünsch’ er, sie stünden noch am selben Fleck oder es wären
neue statt ihrer aus dem Boden gewachsen. Er zählte dann die
Fässerreihe, rief, im Vorübergehen, einen kurzen Befehl in den Laden
hinein und trat gleich danach in seine gegenüber gelegene Wohnstube.
Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigenthümlichen
Eindruck, und zwar, weil alles in ihr um vieles besser und eleganter
war, als sich’s für einen Krämer und Dorfmaterialisten schickte. Die
zwei kleinen Sophas waren mit einem hellblauen Atlasstoff bezogen, und
an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau, weißlackirt und mit
Goldleiste. Ja, das in einem Mahagoni-Rahmen über dem kleinen Klavier
hängende Bild (allem Anscheine nach ein Stich nach Claude Lorrain) war
ein Sonnenuntergang mit Tempeltrümmern und antiker Staffage, so daß man
sich füglich fragen durfte, wie das alles hierherkomme? Passend war
eigentlich nur ein Stehpult mit einem Gitter-Aufsatz und einem Kuckloch
darüber, mit Hilfe dessen man, über den Flur weg, auf das große
Schiebefenster sehen konnte.
Hradscheck legte die Birne vor sich hin und blätterte das Kontobuch
durch, das aufgeschlagen auf dem Pulte lag. Um ihn her war alles still,
und nur aus der halboffenstehenden Hinterstube vernahm er den Schlag
einer Schwarzwälder Uhr.
Es war fast, als ob das Ticktack ihn störe, wenigstens ging er auf die
Thür zu, anscheinend um sie zu schließen; als er indeß hineinsah, nahm
er überrascht wahr, daß seine Frau in der Hinterstube saß, wie
gewöhnlich schwarz aber sorglich gekleidet, ganz wie Jemand, der sich
auf Figurmachen und Toilettendinge versteht. Sie flocht eifrig an einem
Kranz, während ein zweiter, schon fertiger an einer Stuhllehne hing.
»Du hier, Ursel! Und Kränze! Wer hat denn Geburtstag?«
»Niemand. Es ist nicht Geburtstag. Es ist blos Sterbetag, Sterbetag
Deiner Kinder. Aber Du vergißt alles. Blos Dich nicht.«
»Ach, Ursel, laß doch. Ich habe meinen Kopf voll Wunder. Du mußt mir
nicht Vorwürfe machen. Und dann die Kinder. Nun ja, sie sind todt, aber
ich kann nicht trauern und klagen, daß sie’s sind. Umgekehrt, es ist ein
Glück.«
»Ich verstehe Dich nicht.«
»Und ist nur zu gut zu verstehn. Ich weiß nicht aus noch ein und habe
Sorgen über Sorgen.«
»Worüber? Weil Du nichts Rechtes zu thun hast und nicht weißt, wie Du
den Tag hinbringen sollst. Hinbringen sag’ ich, denn ich will Dich nicht
kränken und von Zeit todtschlagen sprechen. Aber sage selbst, wenn
drüben die Weinstube voll ist, dann fehlt Dir nichts. Ach, das verdammte
Spiel, das ewige Knöcheln und Tempeln. Und wenn Du noch glücklich
spieltest! Ja, Hradscheck, das muß ich Dir sagen, wenn Du spielen
willst, so spiele wenigstens glücklich. Aber ein Wirth, der _nicht_
glücklich spielt, muß davon bleiben, sonst spielt er sich von Haus und
Hof. Und dazu das Trinken, immer der schwere Ungar, bis in die Nacht
hinein.«
Er antwortete nicht, und erst nach einer Weile nahm er den Kranz, der
über der Stuhllehne hing, und sagte: »Hübsch. Alles, was Du machst, hat
Schick. Ach, Ursel, ich wollte, Du hättest bessere Tage.«
Dabei trat er freundlich an sie heran und streichelte sie mit seiner
weißen, fleischigen Hand.
Sie ließ ihn auch gewähren, und als sie, wie beschwichtigt durch seine
Liebkosungen, von ihrer Arbeit aufsah, sah man, daß es ihrer Zeit eine
sehr schöne Frau gewesen sein mußte, ja, sie war es beinah noch. Aber
man sah auch, daß sie viel erlebt hatte, Glück und Unglück, Lieb’ und
Leid, und durch allerlei schwere Schulen gegangen war. Er und sie
machten ein hübsches Paar und waren gleichaltrig, Anfang vierzig, und
ihre Sprech- und Verkehrsweise ließ erkennen, daß es eine Neigung
gewesen sein mußte, was sie vor länger oder kürzer zusammengeführt
hatte.
Der herbe Zug, den sie bei Beginn des Gesprächs gezeigt, wich denn auch
mehr und mehr, und endlich fragte sie: »Wo drückt es wieder? Eben hast
Du den Raps weggeschickt, und wenn Leist das Öl hat, hast Du das Geld.
Er ist prompt auf die Minute.«
»Ja, das ist er. Aber ich habe nichts davon, alles ist blos Abschlag und
Zins. Ich stecke tief drin und leider am tiefsten bei Leist selbst. Und
dann kommt die Krakauer Geschichte, der Reisende von Olszewski-Goldschmidt
und Sohn. Er kann jeden Tag da sein.«
Hradscheck zählte noch anderes auf, aber ohne daß es einen tieferen
Eindruck auf seine Frau gemacht hätte. Vielmehr sagte sie langsam und
mit gedehnter Stimme: »Ja, Würfelspiel und Vogelstellen ...«
»Ach, immer Spiel und wieder Spiel! Glaube mir, Ursel, es ist nicht so
schlimm damit und jedenfalls mach’ ich mir nichts d’raus. Und am
wenigsten aus dem Lotto; ’s ist alles Thorheit und weggeworfen Geld, ich
weiß es, und doch hab’ ich wieder ein Loos genommen. Und warum? Weil ich
heraus will, weil ich heraus _muß_, weil ich uns retten möchte.«
»So, so,« sagte sie, während sie mechanisch an dem Kranze weiter flocht
und vor sich hin sah, als überlege sie, was wohl zu thun sei.
»Soll ich Dich auf den Kirchhof begleiten,« frug er, als ihn ihr
Schweigen zu bedrücken anfing. »Ich thu’s gern, Ursel.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Weil, wer den Todten einen Kranz bringen will, wenigstens an sie
gedacht haben muß.«
Und damit erhob sie sich und verließ das Haus, um nach dem Kirchhof zu
gehen.
Hradscheck sah ihr nach, die Dorfstraße hinauf, auf deren rothen Dächern
die Herbstsonne flimmerte. Dann trat er wieder an sein Pult und
blätterte.


II.

Eine Woche war seit jenem Tage vergangen, aber das Spielglück, das sich
bei Hradscheck einstellen sollte, blieb aus und das Lottoglück auch.
Trotz alledem gab er das Warten nicht auf, und da gerade
Lotterie-Ziehzeit war, kam das Viertelloos gar nicht mehr von seinem
Pult. Es stand hier auf einem Ständerchen, ganz nach Art eines Fetisch,
zu dem er nicht müde wurde, respektvoll und beinah mit Andacht
aufzublicken. Alle Morgen sah er in der Zeitung die Gewinn-Nummern
durch, aber die seine fand er nicht, trotzdem sie unter ihren fünf
Zahlen drei Sieben hatte und mit sieben dividirt glatt aufging. Seine
Frau, die wohl wahrnahm, daß er litt, sprach ihm nach ihrer Art zu,
nüchtern aber nicht unfreundlich, und drang in ihn, »daß er den
Lotteriezettel wenigstens vom Ständer herunternehmen möge, das verdrösse
den Himmel nur und wer dergleichen thäte, kriege statt Rettung und Hilfe
den Teufel und seine Sippschaft ins Haus. Das Loos müsse weg. Wenn er
wirklich beten wolle, so habe sie was Besseres für ihn, ein Marienbild,
das der Bischof von Hildesheim geweiht und ihr bei der Firmelung
geschenkt habe.«
Davon wollte nun aber der beständig zwischen Aber- und Unglauben hin und
her schwankende Hradscheck nichts wissen. »Geh mir doch mit dem Bild,
Ursel. Und wenn ich auch wollte, denke nur, welche Bescheerung ich
hätte, wenn’s Einer merkte. Die Bauern würden lachen von einem Dorfende
bis ans andere, selbst Orth und Igel, die sonst keine Miene verziehen.
Und mit der Pastor-Freundschaft wär’s auch vorbei. Daß er zu Dir hält,
ist doch blos, weil er Dir den katholischen Unsinn ausgetrieben und
einen Platz im Himmel, ja vielleicht an seiner Seite gewonnen hat. Denn
mit meinem Anspruch auf Himmel ist’s nicht weit her.«
Und so blieb denn das Loos auf dem Ständer, und erst als die Ziehung
vorüber war, zerriß es Hradscheck und streute die Schnitzel in den Wind.
Er war aber auch jetzt noch, all seinem spöttisch-überlegenen Gerede zum
Trotz, so schwach und abergläubisch, daß er den Schnitzeln in ihrem
Fluge nachsah, und als er wahrnahm, daß einige die Straße hinauf bis an
die Kirche geweht wurden und dort erst niederfielen, war er in seinem
Gemüthe beruhigt und sagte: »Das bringt Glück.«
Zugleich hing er wieder allerlei Gedanken und Vorstellungen nach, wie
sie seiner Phantasie jetzt häufiger kamen. Aber er hatte noch Kraft
genug, das Netz, das ihm diese Gedanken und Vorstellungen überwerfen
wollten, wieder zu zerreißen.
»Es geht nicht.«
Und als im selben Augenblick das Bild des Reisenden, dessen Anmeldung
er jetzt täglich erwarten mußte, vor seine Seele trat, trat er
erschreckt zurück und wiederholte nur so vor sich hin: »Es geht nicht.«
* * *
So war Mitte Oktober heran gekommen.
Im Laden gab’s viel zu thun, aber mitunter war doch ruhige Zeit, und
dann ging Hradscheck abwechselnd in den Hof, um Holz zu spellen, oder in
den Garten, um eine gute Sorte Tischkartoffeln aus der Erde zu nehmen.
Denn er war ein Feinschmecker. Als aber die Kartoffeln heraus waren,
fing er an, den schmalen Streifen Land, darauf sie gestanden,
umzugraben. Überhaupt wurde Graben und Gartenarbeit mehr und mehr seine
Lust, und die mit dem Spaten in der Hand verbrachten Stunden waren
eigentlich seine glücklichsten.
Und so beim Graben war er auch heute wieder, als die Jeschke, wie
gewöhnlich, an die die beiden Gärten verbindende Heckenthür kam und ihm
zusah, trotzdem es noch früh am Tage war.
»De Tüffeln sinn joa nu rut, Hradscheck.«
»Ja, Mutter Jeschke, seit vorgestern. Und war diesmal ’ne wahre Freude;
mitunter zwanzig an einem Busch und alle groß und gesund.«
»Joa, joa, wenn een’s Glück hebben sall. Na, Se hebben’t, Hradscheck. Se
hebben Glück bi de Tüffeln un bi de Malvesieren ook. I, Se möten joa
woll ’n Scheffel ’runnerpflückt hebb’n.«
»O mehr, Mutter Jeschke, viel mehr.«
»Na, bereden Se’t nich, Hradscheck. Nei, nei. Man sall nix bereden. Ook
sien Glück nich.«
Und damit ließ sie den Nachbar stehn und humpelte wieder auf ihr Haus
zu.
Hradscheck aber sah ihr ärgerlich und verlegen nach. Und er hatte wohl
Grund dazu. War doch die Jeschke, so freundlich und zuthulich sie that,
eine schlimme Nachbarschaft und quacksalberte nicht blos, sondern machte
auch sympathetische Kuren, besprach Blut und wußte, wer sterben würde.
Sie sah dann die Nacht vorher einen Sarg vor dem Sterbehause stehn. Und
es hieß auch, »sie wisse, wie man sich unsichtbar machen könne«, was,
als Hradscheck sie seinerzeit danach gefragt hatte, halb von ihr
bestritten und dann halb auch wieder zugestanden war. »Sie wisse es
nicht; aber _das_ wisse sie, daß frisch ausgelassenes Lamm-Talg gut sei,
versteht sich von einem ungeborenen Lamm und als Licht über einen rothen
Wollfaden gezogen; am besten aber sei Farrnkrautsamen in die Schuhe oder
Stiefel geschüttet.« Und dann hatte sie herzlich gelacht, worin
Hradscheck natürlich einstimmte. Trotz dieses Lachens aber war ihm jedes
Wort, als ob es ein Evangelium wär’, in Erinnerung geblieben, vor allem
das »ungeborne Lamm« und der »Farrnkrautsamen«. Er glaubte nichts davon
und auch wieder alles, und wenn er, seiner sonstigen Entschlossenheit
unerachtet, schon vorher eine Furcht vor der alten Hexe gehabt hatte, so
nach dem Gespräch über das sich Unsichtbarmachen noch viel mehr.
* * *
Und solche Furcht beschlich ihn auch heute wieder, als er sie, nach dem
Morgengeplauder über die »Tüffeln« und die »Malvesieren«, in ihrem Hause
verschwinden sah. Er wiederholte sich jedes ihrer Worte: »Wenn een’s
Glück hebben sall. Na, Se hebben’t joa, Hradscheck. Awers bereden Se’t
nich.« Ja, so waren ihre Worte gewesen. Und was war mit dem allem
gemeint? Was sollte dies ewige Reden von Glück und wieder Glück? War es
Neid oder wußte sie’s besser? Hatte sie doch vielleicht mit ihrem
Hokuspokus ihm in die Karten gekuckt?
Während er noch so sann, nahm er den Spaten wieder zur Hand und begann
rüstig weiter zu graben. Er warf dabei ziemlich viel Erde heraus und war
keine fünf Schritt mehr von dem alten Birnbaum, auf den der
Ackerstreifen zulief, entfernt, als er auf etwas stieß, das unter dem
Schnitt des Eisens zerbrach und augenscheinlich weder Wurzel noch Stein
war. Er grub also vorsichtig weiter und sah alsbald, daß er auf Arm und
Schulter eines hier verscharrten Todten gestoßen war. Auch Zeugreste
kamen zu Tage, zerschlissen und gebräunt, aber immer noch farbig und
wohlerhalten genug, um erkennen zu lassen, daß es ein Soldat gewesen
sein müsse.
Wie kam der hierher?
Hradscheck stützte sich auf die Krücke seines Grabscheits und überlegte.
»Soll ich es zur Anzeige bringen? Nein. Es macht blos Geklätsch. Und
Keiner mag einkehren, wo man einen Todten unterm Birnbaum gefunden hat.
Also besser nicht. Er kann hier weiter liegen.«
Und damit warf er den Armknochen, den er ausgegraben, in die Grube
zurück und schüttete diese wieder zu. Während dieses Zuschüttens aber
hing er all jenen Gedanken und Vorstellungen nach, wie sie seit Wochen
ihm immer häufiger kamen. Kamen und gingen. Heut aber gingen sie nicht,
sondern wurden Pläne, die Besitz von ihm nahmen und ihn, ihm selbst zum
Trotz, an die Stelle bannten, auf der er stand. Was er hier zu thun
hatte, war gethan, es gab nichts mehr zu graben und zu schütten, aber
immer noch hielt er das Grabscheit in der Hand und sah sich um, als ob
er bei böser That ertappt worden wäre. Und fast war es so. Denn
unheimlich verzerrte Gestalten (und eine davon er selbst) umdrängten ihn
so faßbar und leibhaftig, daß er sich wohl fragen durfte, ob nicht
Andere da wären, die diese Gestalten auch sähen. Und er lugte wirklich
nach der Zaunstelle hinüber. Gott sei Dank, die Jeschke war nicht da.
Aber freilich, wenn sie sich unsichtbar machen und sogar Todte sehen
konnte, Todte, die noch nicht todt waren, warum sollte sie nicht die
Gestalten sehn, die jetzt vor seiner Seele standen? Ein Grauen überlief
ihn, nicht vor der That, nein, aber bei dem Gedanken, daß das, was erst
That werden sollte, vielleicht in diesem Augenblicke schon erkannt und
verrathen war. Er zitterte, bis er, sich plötzlich aufraffend, den
Spaten wieder in den Boden stieß.
»Unsinn. Ein dummes altes Weib, das gerade klug genug ist, noch Dümmere
hinter’s Licht zu führen. Aber ich will mich ihrer schon wehren, ihrer
und ihrer ganzen Todtenkuckerei. Was ist es denn? Nichts. Sie sieht
einen Sarg an der Thür stehn, und dann stirbt Einer. Ja, sie sagt es,
aber sagt es immer erst, wenn Einer todt ist oder keinen Athem mehr hat
oder das Wasser ihm schon an’s Herz stößt. Ja, dann kann ich auch
prophezeihn. Alte Hexe, Du sollst mir nicht weiter Sorge machen. Aber
Ursel! Wie bring’ ich’s der bei? Da liegt der Stein. Und wissen muß
sie’s. Es müssen zwei sein ...«
Und er schwieg. Bald aber fuhr er entschlossen fort: »Ah, bah, es wird
sich finden, weil sich’s finden muß. Noth kennt kein Gebot. Und was
sagte sie neulich, als ich das Gespräch mit ihr hatte? ›Nur nicht arm
sein ... Armuth ist das Schlimmste.‹ Daran halt’ ich sie; damit zwing’
ich sie. Sie _muß_ wollen.«
Und so sprechend, ging er, das Grabscheit gewehrüber nehmend, wieder auf
das Haus zu.


III.

Als Hradscheck bis an den Schwellstein gekommen war, nahm er das
Grabscheit von der Schulter, lehnte die Krücke gegen das am Hause sich
hinziehende Weinspalier und wusch sich die Hände, saubrer Mann der er
war, in einem Kübel, drin die Dachtraufe mündete. Danach trat er in den
Flur und ging auf sein Wohnzimmer zu.
Hier traf er Ursel. Diese saß vor einem Nähtisch am Fenster und war,
trotz der frühen Stunde, schon wieder in Toilette, ja noch sorglicher
und geputzter als an dem Tage, wo sie die Kränze für die Kinder
geflochten hatte. Das hochanschließende Kleid, das sie trug, war auch
heute schlicht und dunkelfarbig (sie wußte, daß Schwarz sie kleidete),
der blanke Ledergürtel aber wurde durch eine Bronzeschnalle von
auffälliger Größe zusammengehalten, während in ihren Ohrringen lange
birnenförmige Bummeln von venetianischer Perlenmasse hingen. Sie wirkten
anspruchsvoll und störten mehr als sie schmückten. Aber für dergleichen
gebrach es ihr an Wahrnehmung, wie denn auch der mit Schildpatt
ausgelegte Nähtisch, trotz all seiner Eleganz, zu den beiden hellblauen
Atlas-Sophas nicht recht passen wollte. Noch weniger zu dem weißen
Trumeau. Links neben ihr, auf dem Fensterbrett, stand ein
Arbeitskästchen, darin sie, gerade als Hradscheck eintrat, nach einem
Faden suchte. Sie ließ sich dabei nicht stören und sah erst auf, als der
Eintretende, halb scherzhaft, aber doch mit einem Anfluge von Tadel
sagte: »Nun, Ursel, schon in Staat? Und nichts zu thun mehr in der
Küche?«
»Weil es fertig werden muß.«
»Was?«
»Das hier.« Und dabei hielt sie Hradscheck ein Sammtkäpsel hin, an dem
sie gerade nähte. »Wenig mit Liebe.«
»Für mich?«
»Nein. Dazu bist Du nicht fromm und, was Du lieber hören wirst, auch
nicht alt genug.«
»Also für den Pastor?«
»Gerathen.«
»Für den Pastor. Nun gut. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft,
und die Freundschaft mit einem Pastor kann man doppelt brauchen. Es
giebt einem solch Ansehen. Und ich habe mir auch vorgenommen, ihn wieder
öfter zu besuchen und mit Ede Sonntags umschichtig in die Kirche zu
gehen.«
»Das thu nur; er hat sich schon gewundert.«
»Und hat auch Recht. Denn ich bin ihm eigentlich verschuldet. Und ist
noch dazu der Einzige, dem ich gern verschuldet bin. Ja, Du siehst mich
an, Ursel. Aber es ist so. Hat er Dich nicht auf den rechten Weg
gebracht? Sage selbst. Wenn Eccelius nicht war, so stecktest Du noch in
dem alten Unsinn.«
»Sprich nicht so. Was weißt Du davon? Ihr habt ja gar keine Religion.
Und Eccelius eigentlich auch nicht. Aber er ist ein guter Mann, eine
Seele von Mann, und meint es gut mit mir und aller Welt. Und hat mir zum
Herzen gesprochen.«
»Ja, das versteht er; das hat er in der Loge gelernt. Er rührt einen zu
Thränen. Und nun gar erst die Weiber.«
»Und dann halt’ ich zu ihm,« fuhr Ursel fort, ohne der Unterbrechung zu
achten, »weil er ein gebildeter Mann ist. Ein guter Mann, und ein
gebildeter Mann. Und offen gestanden, daran bin ich gewöhnt.«
Hradscheck lachte. »Gebildet, Ursel, das ist Dein drittes Wort. Ich weiß
schon. Und dann kommt der Göttinger Student, der Dir einen Ring
geschenkt hat, als Du vierzehn Jahr alt warst (er wird wohl nicht echt
gewesen sein), und dann kommt vieles _nicht_ oder doch manches nicht ...
verfärbe Dich nur nicht gleich wieder ... und zuletzt kommt der
Hildesheimer Bischof. Das ist Dein höchster Trumpf, und was Vornehmeres
giebt es in der ganzen Welt nicht. Ich weiß es seit lange. Vornehm,
vornehm. Ach, ich rede nicht gern davon, aber Deine Vornehmheit ist mir
theuer zu stehn gekommen.«
Ursel legte das Sammtkäpsel aus der Hand, steckte die Nadel hinein und
sagte, während sie sich mit halber Wendung von ihm ab und dem Fenster
zukehrte: »Höre, Hradscheck, wenn Du gute Tage mit mir haben willst, so
sprich nicht so. Hast Du Sorgen, so will ich sie mittragen, aber Du
darfst mich nicht dafür verantwortlich machen, daß sie da sind. Was ich
Dir hundert Mal gesagt habe, das muß ich Dir wieder sagen. Du bist kein
guter Kaufmann, denn Du hast das Kaufmännische nicht gelernt, und Du
bist kein guter Wirth, denn Du spielst schlecht oder doch nicht mit
Glück und trinkst nebenher Deinen eigenen Wein aus. Und was da nach
drüben geht, nach Neu-Lewin hin, oder wenigstens gegangen ist (und dabei
wies sie mit der Hand nach dem Nachbardorfe), davon will ich nicht
reden, schon gar nicht, schon lange nicht. Aber das darf ich Dir sagen,
Hradscheck, so steht es mit Dir. Und anstatt Dich zu Deinem Unrecht zu
bekennen, sprichst Du von meinen Kindereien und von dem hochwürdigen
Bischof, dem Du nicht werth bist die Schuhriemen zu lösen. Und wirfst
mir dabei meine Bildung vor.«
»Nein, Ursel.«
»Oder daß ich’s ein bischen hübsch oder, wie Du sagst, vornehm haben
möchte.«
»Ja, das.«
»Also doch. Nun aber sage mir, was hab’ ich gethan? Ich habe mich in den
ersten Jahren eingeschränkt und in der Küche gestanden und gebacken und
gebraten, und des Nachts an der Wiege gesessen. Ich bin nicht aus dem
Haus gekommen, so daß die Leute darüber geredet haben, die dumme Gans
draußen in der Ölmühle natürlich an der Spitze (Du hast es mir selbst
erzählt), und habe jeden Abend vor einem leeren Kleiderschrank gestanden
und die hölzernen Riegel gezählt. Und so sieben Jahre, bis die Kinder
starben, und erst als sie todt waren und ich nichts hatte, daran ich
mein Herz hängen konnte, da hab’ ich gedacht, nun gut, nun will ich es
wenigstens hübsch haben und eine Kaufmannsfrau sein, so wie man sich in
meiner Gegend eine Kaufmannsfrau vorstellt. Und als dann der Konkurs auf
Schloß Hoppenrade kam, da hab’ ich Dich gebeten, dies Bischen hier
anzuschaffen, und das hast Du gethan und ich habe mich dafür bedankt.
Und war auch blos in der Ordnung. Denn Dank muß sein, und ein gebildeter
Mensch weiß es und wird ihm nicht schwer. Aber all das, worüber jetzt so
viel geredet wird, als ob es wunder was wäre, ja, was ist es denn groß?
Eigentlich ist es doch nur altmodisch, und die Seide reißt schon,
trotzdem ich sie hüte wie meinen Augapfel. Und wegen dieser paar Sachen
stöhnst Du und hörst nicht auf zu klagen und verspottest mich wegen
meiner Bildung und Feinheit, wie Du zu sagen beliebst. Freilich bin ich
feiner als die Leute hier, in meiner Gegend ist man feiner. Willst Du
mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich nicht wie die Pute, die Quaas
bin, die ›mir‹ und ›mich‹ verwechselt und eigentlich noch in den
Friesrock gehört und Liebschaftenhaben für Bildung hält und sich
›Kätzchen‹ nennen läßt, obschon sie blos eine Katze ist und eine falsche
dazu? Ja, mein lieber Hradscheck, wenn Du mir daraus einen Vorwurf
machen willst, dann hättest Du mich nicht nehmen sollen, das wäre dann
das Klügste gewesen. Besinne Dich. Ich bin Dir nicht nachgelaufen, im
Gegentheil, Du wolltest mich partout und hast mich beschworen um mein
›ja‹. Das kannst Du nicht bestreiten. Nein, das kannst Du nicht,
Hradscheck. Und nun dies ewige ›vornehm‹ und wieder ›vornehm‹. Und
warum? Blos weil ich einen Trumeau wollte, den man wollen muß, wenn man
ein bischen auf sich hält. Und für einen Spottpreis ist er
fortgegangen.«
»Du sagst Spottpreis, Ursel. Ja, was ist Spottpreis? Auch Spottpreise
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