Romeo und Julia - 4

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O Schlangenherz, von Blumen überdeckt!
Wohnt' in so schöner Höhl ein Drache je?
Holdselger Wütrich! Engelgleicher Unhold!
Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier!
Verworfne Art in göttlichster Gestalt!
Das rechte Gegenteil des, was mit Recht
Du scheinest: ein verdammter Heiliger,
Ein ehrenwerter Schurke!--O Natur!
Was hattest du zu schaffen in der Hölle,
Als du des holden Leibes Paradies
Zum Lustsitz einem Teufel übergabst?
War je ein Buch, so arger Dinge voll,
So schön gebunden? Oh, daß Falschheit doch
Solch herrlichen Palast bewohnen kann!
WÄRTERIN
Kein Glaube, keine Treu noch Redlichkeit
Ist unter Männern mehr. Sie sind meineidig,
Falsch sind sie, lauter Schelme, lauter Heuchler!--
Wo ist mein Diener? Gebt mir Aquavit!
Die Not, die Angst, der Jammer macht mich alt.
Zu Schanden werde Romeo!
JULIA
Die Zunge
Erkranke dir für einen solchen Wunsch!
Er war zur Schande nicht geboren; Schande
Weilt mit Beschämung nur auf seiner Stirn.
Sie ist ein Thron, wo man die Ehre mag
Als Allbeherrscherin der Erde krönen.
O wie unmenschlich war ich, ihn zu schelten!
WÄRTERIN
Von Eures Vetters Mörder sprecht Ihr Gutes?
JULIA
Soll ich von meinem Gatten Übles reden?
Ach, armer Gatte! Welche Zunge wird
Wohl deinem Namen Liebes tun, wenn ich,
Dein Weib von wenig Stunden, ihn zerrissen?
Doch, Arger, was erschlugst du meinen Vetter?
Der Arge wollte den Gemahl erschlagen.
Zurück zu eurem Quell, verkehrte Tränen!
Dem Schmerz gebühret eurer Tropfen Zoll,
Ihr bringt aus Irrtum ihn der Freude dar.
Mein Gatte lebt, den Tybalt fast getötet,
Und tot ist Tybalt, der ihn töten wollte.
Dies alles ist ja Trost: was wein ich denn?
Ich hört ein schlimmres Wort als Tybalts Tod,
Das mich erwürgte; ich vergäß es gern!
Doch ach, es drückt auf mein Gedächtnis schwer
Wie Freveltaten auf des Sünders Seele.
Tybalt ist tot und Romeo verbannt!
O dies "Verbannt", dies eine Wort "Verbannt"
Erschlug zehntausend Tybalts. Tybalts Tod
War gnug des Wehes, hätt es da geendet!
Und liebt das Leid Gefährten, reiht durchaus
An andre Leiden sich, warum denn folgte
Auf ihre Botschaft: tot ist Tybalt, nicht:
Dein Vater, deine Mutter, oder beide?
Das hätte sanftre Klage wohl erregt.
Allein dies Wort: verbannt ist Romeo,
Aus jenes Todes Hinterhalt gesprochen,
Bringt Vater, Mutter, Tybalt, Romeo
Und Julien um! Verbannt ist Romeo!
Nicht Maß noch Ziel kennt dieses Wortes Tod,
Und keine Zung erschöpfet meine Not.--
Wo mag mein Vater, meine Mutter sein?
WÄRTERIN
Bei Tybalts Leiche heulen sie und schrein.
Wollt Ihr zu ihnen gehn? Ich bring Euch hin.
JULIA
So waschen sie die Wunden ihm mit Tränen?
Ich spare meine für ein bängres Sehnen.
Nimm diese Seile auf.--Ach, armer Strick,
Getäuscht wie ich! Wer bringt ihn uns zurück?
Zum Steg der Liebe knüpft' er deine Bande,
Ich aber sterb als Braut im Witwenstande.
Komm, Amme, komm! Ich will ins Brautbett! Fort!
Nicht Romeo, den Tod umarm ich dort.
WÄRTERIN
Geht nur ins Schlafgemach! Zum Troste find ich
Euch Romeo: ich weiß wohl, wo er steckt.
Hört, Romeo soll Euch zur Nacht erfreuen;
Ich geh zu ihm; beim Pater wartet er.
JULIA
O such ihn auf! Gib diesen Ring dem Treuen;
Bescheid aufs letzte Lebewohl ihn her!
(Beide ab.)

DRITTE SZENE
(Bruder Lorenzos Zelle)
(Lorenzo und Romeo kommen.] Bruder Lorenzo tritt auf.)

LORENZO
Komm, Romeo! Hervor, du Mann der Furcht!
Bekümmernis hängt sich mit Lieb an dich,
Und mit dem Mißgeschick bist du vermählt.
(Romeo tritt auf.)
ROMEO
Vater, was gibts? Wie heißt des Prinzen Spruch?
Wie heißt der Kummer, der sich zu mir drängt
Und noch mir fremd ist?
LORENZO
Zu vertraut, mein Sohn,
Bist du mit solchen widrigen Gefährten.
Ich bring dir Nachricht von des Prinzen Spruch.
ROMEO
Und hat sein Spruch mir nicht den Stab gebrochen?
LORENZO
Ein mildres Urteil floß von seinen Lippen:
Nicht Leibes Tod, nur leibliche Verbannung.
ROMEO
Verbannung? Sei barmherzig! Sage: Tod!
Verbannung trägt der Schrecken mehr im Blick,
Weit mehr als Tod!--O sage nicht Verbannung!
LORENZO
Hier aus Verona bist du nur verbannt;
Sei ruhig, denn die Welt ist groß und weit.
ROMEO
Die Welt ist nirgends außer diesen Mauern;
Nur Fegefeuer, Qual, die Hölle selbst.
Von hier verbannt ist aus der Welt verbannt,
Und solcher Bann ist Tod. Drum gibst du ihm
Den falschen Namen.--Nennst du Tod Verbannung,
Enthauptest du mit goldnem Beile mich
Und lächelst zu dem Streich, der mich ermordet.
LORENZO
O schwere Sünd, o undankbarer Trotz!
Dein Fehltritt heißt nach unsrer Satzung Tod;
Doch dir zulieb hat sie der gütge Fürst
Beiseit gestoßen und Verbannung nur
Statt jenes schwarzen Wortes ausgesprochen.
Und diese teure Gnad erkennst du nicht?
ROMEO
Nein, Folter; Gnade nicht! Hier ist der Himmel,
Wo Julia lebt, und jeder Hund und Katze
Und kleine Maus, das schlechteste Geschöpf,
Lebt hier im Himmel, darf ihr Antlitz sehn;
Doch Romeo darf nicht. Mehr Würdigkeit,
Mehr Ansehn, mehr gefällge Sitte lebt
In Fliegen als in Romeo. Sie dürfen
Das Wunderwerk der weißen Hand berühren
Und Himmelswonne rauben ihren Lippen,
Die sittsam in Vestalenunschuld stets
Erröten, gleich als wäre Sünd ihr Kuß.
Dies dürfen Fliegen tun, ich muß entfliehn;
Sie sind ein freies Volk, ich bin verbannt.
Und sagst du noch, Verbannung sei nicht Tod?
So hattest du kein Gift gemischt, kein Messer
Geschärft, kein schmählich Mittel schnellen Todes,
Als dies "Verbannt", zu töten mich? Verbannt!
O Mönch! Verdammte sprechen in der Hölle
Dies Wort mit Heulen aus; hast du das Herz,
Da du ein heilger Mann, ein Beichtiger bist,
Ein Sündenlöser, mein erklärter Freund,
Mich zu zermalmen mit dem Wort Verbannung?
LORENZO
Du kindisch blöder Mann, hör doch ein Wort!
ROMEO
O du willst wieder von Verbannung sprechen!
LORENZO
Ich will dir eine Wehr dagegen leihn,
Der Trübsal süße Milch, Philosophie,
Um dich zu trösten, bist du gleich verbannt.
ROMEO
Und noch verbannt? Hängt die Philosophie!
Kann sie nicht schaffen eine Julia,
Aufheben eines Fürsten Urteilspruch,
Verpflanzen eine Stadt, so hilft sie nicht,
So taugt sie nicht, so rede länger nicht!
LORENZO
Nun seh ich wohl. Wahnsinnige sind taub.
ROMEO
Wärs anders möglich? Sind doch Weise blind.
LORENZO
Laß über deinen Fall mit dir mich rechten!
ROMEO
Du kannst von dem, was du nicht fühlst, nicht reden.
Wärst du so jung wie ich und Julia dein,
Vermählt seit einer Stund, erschlagen Tybalt,
Wie ich von Lieb entglüht, wie ich verbannt,
Dann möchtest du nur reden, möchtest nur
Das Haar dir raufen, dich zu Boden werfen
Wie ich und so dein künftges Grab dir messen.
([Er wirft sich an den Boden.] Man klopft draußen.)
LORENZO
Steh auf, man klopft; verbirg dich, lieber Freund!
ROMEO
O nein, wo nicht des bangen Stöhnens Hauch
Gleich Nebeln mich vor Späheraugen schirmt.
(Man klopft.)
LORENZO
Horch, wie man klopft!--Wer da?--Fort, Romeo!
Man wird dich fangen.--Wartet doch ein Weilchen!--
Steh auf
(Man klopft.)
und rett ins Lesezimmer dich!--
(Man klopft.)
Ja, ja! im Augenblick!--Gerechter Gott,
Was für ein starrer Sinn!--ehn und dich zurückzurufen
Mit zwanzighunderttausendmal mehr Freude,
Als du mit Jammer jetzt von hinnen ziehst.
Geh, Wärterin, voraus, grüß mir dein Fräulein;
Heiß sie das ganze Haus zu Bette treiben,
Wohin der schwere Gram von selbst sie treibt;
Denn Romeo soll kommen.
WÄRTERIN
O je, ich blieb hier gern die ganze Nacht
Und hörte gute Lehr. Da sieht man doch,
Was die Gelahrtheit ist!--Nun, gnädger Herr,
Ich will dem Fräulein sagen, daß Ihr kommt.
ROMEO
Tu das und sag der Holden, daß sie sich
Bereite, mich zu schelten.
WÄRTERIN
Gnädger Herr,
Hier ist ein Ring, den sie für Euch mir gab.
Eilt Euch, macht fort, sonst wird es gar zu spät.
(Ab.)
ROMEO
Wie ist mein Mut nun wieder neu belebt!
LORENZO
Geh! Gute Nacht! Und hieran hängt dein Los:
Entweder geh, bevor man Wachen stellt,
Wo nicht, verkleidet in der Frühe fort.
Verweil in Mantua; ich forsch indessen
Nach deinem Diener, und er meldet dir
Von Zeit zu Zeit ein jedes gute Glück,
Das hier begegnet. Gib mir deine Hand!
Es ist schon spät. Fahr wohl denn! Gute Nacht!
ROMEO
Mich rufen Freuden über alle Freuden,
Sonst wärs ein Leid, von dir so schnell zu scheiden.
Leb wohl!
(Beide ab.)

VIERTE SZENE
(Ein Zimmer in Capulets Hause)
(Capulet, Gräfin Capulet, Paris.)

CAPULET
Es ist so schlimm ergangen, Graf, daß wir
Nicht Zeit gehabt, die Tochter anzumahnen.
Denn seht, sie liebte herzlich ihren Vetter.
Das tat ich auch; nun, einmal stirbt man doch.--
Es ist schon spät, sie kommt nicht mehr herunter,
Ich sag Euch, wärs nicht der Gesellschaft wegen,
Seit einer Stunde läg ich schon im Bett.
PARIS
So trübe Zeit gewährt nicht Zeit zum Frein;
Gräfin, schlaft wohl, empfehlt mich Eurer Tochter!
GRÄFIN CAPULET
Ich tu's und forsche morgen früh sie aus.
Heut nacht verschloß sie sich mit ihrem Gram.
CAPULET
Graf Paris, ich vermesse mich zu stehn
Für meines Kindes Lieb; ich denke wohl,
Sie wird von mir in allen Stücken sich
Bedeuten lassen, ja ich zweifle nicht.--
Frau, geh noch zu ihr, eh du schlafen gehst,
Tu meines Sohnes Paris Lieb ihr kund
Und sag ihr, merk es wohl: auf nächsten Mittwoch!
Still, was ist heute?
PARIS
Montag, edler Herr.
CAPULET
Montag? So, so! Gut, Mittwoch ist zu früh.
Sei's Donnerstag!--Sag ihr: am Donnerstag
Wird sie vermählt mit diesem edlen Grafen.
Wollt Ihr bereit sein? Liebt Ihr diese Eil?
Wir tuns im stillen ab: nur ein paar Freunde;
Denn seht, weil Tybalt erst erschlagen ist,
So dächte man, er läg uns nicht am Herzen,
Als unser Blutsfreund, schwärmten wir zu viel.
Drum laßt uns ein halb Dutzend Freunde laden
Und damit gut. Wie dünkt Euch Donnerstag?
PARIS
Mein Graf, ich wollte, Donnerstag wär morgen.
CAPULET
Gut, geht nur heim! Sei's denn am Donnerstag.--
Geh, Frau, zu Julien, eh du schlafen gehst,
Bereite sie auf diesen Hochzeittag.--
Lebt wohl, mein Graf!
(Paris ab.)
He! Licht auf meine Kammer!
Nach meiner Weise ists so spät, daß wir
Bald früh es nennen können. Gute Nacht!
([Capulet und die Gräfin ab.] Alle ab.)

FÜNFTE SZENE
(Eine offene Galerie vor Juliens Zimmer mit Blick auf den Garten)
(Romeo und Julia.)

JULIA
Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.
Es war die Nachtigall und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;
Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub, Lieber, mir: es war die Nachtigall.
ROMEO
Die Lerche wars, die Tagverkünderin,
Nicht Philomele; sieh den neidschen Streif,
Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Tag erklimmt die dunstgen Höhn;
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.
JULIA
Trau mir, das Licht ist nicht des Tages Licht,
Die Sonne hauchte dieses Luftbild aus,
Dein Fackelträger diese Nacht zu sein,
Dir auf dem Weg nach Mantua zu leuchten.
Drum bleibe noch; zu gehn ist noch nicht not.
ROMEO
Laß sie mich greifen, ja, laß sie mich töten!
Ich gebe gern mich drein, wenn du es willst.
Nein, jenes Grau ist nicht des Morgens Auge,
Der bleiche Abglanz nur von Cynthias Stirn.
Das ist auch nicht die Lerche, deren Schlag
Hoch über uns des Himmels Wölbung trifft.
Ich bleibe gern; zum Gehn bin ich verdrossen.
Willkommen, Tod, hat Julia dich beschlossen!--
Nun, Herz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.
JULIA
Es tagt, es tagt! Auf, eile, fort von hier!
Es ist die Lerche, die so heiser singt
Und falsche Weisen, rauhen Mißton gurgelt.
Man sagt, der Lerche Harmonie sei süß;
Nicht diese: sie zerreißt die unsre ja.
Die Lerche, sagt man, wechselt mit der Kröte
Die Augen; möchte sie doch auch die Stimme!
Die Stimm ists ja, die Arm aus Arm uns schreckt,
Dich von mir jagt, da sie den Tag erweckt.
Stets hell und heller wirds: wir müssen scheiden.
ROMEO
Hell? Dunkler stets und dunkler unsre Leiden!
(Die Wärterin kommt herein.)
WÄRTERIN
Fräulein!
JULIA
Amme?
WÄRTERIN
Die gnädge Gräfin kommt in Eure Kammer;
Seid auf der Hut; schon regt man sich im Haus.
(Wärterin ab.)
JULIA (das Fenster öffnend.)
Tag, schein herein, und Leben, flieh hinaus!
ROMEO
Ich steig hinab; laß dich noch einmal küssen!
(Er steigt [aus dem Fenster] herab.)
JULIA (aus dem Fenster ihm nachsehend.)
Freund! Gatte! Trauter! Bist du mir entrissen?
Gib Nachricht jeden Tag, zu jeder Stunde;
Schon die Minut enthält der Tage viel.
Ach, so zu rechnen bin ich hoch in Jahren,
Eh meinen Romeo ich wiederseh.
ROMEO (außerhalb.)
Leb wohl! Kein Mittel laß ich aus den Händen,
Um dir, du Liebe, meinen Gruß zu senden.
JULIA
O denkst du, daß wir je uns wiedersehn?
ROMEO
Ich zweifle nicht, und all dies Leiden dient
In Zukunft uns zu süßerem Geschwätz.
JULIA
O Gott, ich hab ein Unglück ahnend Herz,
Mir deucht, ich säh dich, da du unten bist,
Als lägst du tot in eines Grabes Tiefe.
Mein Auge trügt mich, oder du bist bleich.
ROMEO
So, Liebe, scheinst du meinen Augen auch.
Der Schmerz trinkt unser Blut. Leb wohl, leb wohl!
(Ab.)
JULIA
O Glück, ein jeder nennt dich unbeständig;
Wenn du es bist: was tust du mit dem Treuen?
Sei unbeständig. Glück! Dann hältst du ihn
Nicht lange, hoff ich, sendest ihn zurück.
GRÄFIN CAPULET (hinter der Szene.)
He, Tochter, bist du auf?
JULIA
Wer ruft mich? Ist es meine gnädge Mutter?
Wacht sie so spät noch, oder schon so früh?
Welch ungewohnter Anlaß bringt sie her?
(Gräfin Capulet kommt herein.)
GRÄFIN CAPULET
Nun, Julia, wie gehts?
JULIA
Mir ist nicht gut.
GRÄFIN CAPULET
Noch immer weinend um des Vetters Tod?
Willst du mit Tränen aus der Gruft ihn waschen?
Und könntest du's, das rief' ihn nicht ins Leben;
Drum laß das! Trauern zeugt von vieler Liebe,
Doch zu viel trauern zeugt von wenig Witz.
JULIA
Um einen Schlag, der so empfindlich traf,
Erlaubt zu weinen mir!
GRÄFIN CAPULET
So trifft er dich;
Der Freund empfindet nichts, den du beweinst.
JULIA
Doch ich empfind und muß den Freund beweinen.
GRÄFIN CAPULET
Mein Kind, nicht seinen Tod so sehr beweinst du,
Als daß der Schurke lebt, der ihn erschlug.
JULIA
Was für ein Schurke?
GRÄFIN CAPULET
Nun, der Romeo.
JULIA (beiseit.)
Er und ein Schurk sind himmelweit entfernt.--
(Laut.)
Vergeb ihm Gott! Ich tu's von ganzem Herzen;
Und dennoch kränkt kein Mann, wie er, mein Herz.
GRÄFIN CAPULET
Ja freilich, weil der Meuchelmörder lebt.
JULIA
Ja, wo ihn diese Hände nicht erreichen!--
O rächte niemand doch als ich den Vetter!
GRÄFIN CAPULET
Wir wollen Rache nehmen, sorge nicht;
Drum weine du nicht mehr. Ich send an jemand
Zu Mantua, wo der Verlaufne lebt,
Der soll ein kräftig Tränkchen ihm bereiten,
Das bald ihn zum Gefährten Tybalts macht.
Dann wirst du hoffentlich zufrieden sein.
JULIA
Fürwahr, ich werde nie mit Romeo
Zufrieden sein, erblick ich ihn nicht--tot--,
Wenn so mein Herz um einen Blutsfreund leidet.
Ach, fändet Ihr nur jemand, der ein Gift
Ihm reichte, gnädge Frau; ich wollt es mischen,
Daß Romeo, wenn ers genommen, bald
In Ruhe schliefe.--Wie mein Herz es haßt,
Ihn nennen hören--und nicht zu ihm können,
Die Liebe, die ich zu dem Vetter trug,
An dem, der ihn erschlagen hat, zu büßen!
GRÄFIN CAPULET
Findst du das Mittel, find ich wohl den Mann.
Doch bring ich jetzt dir frohe Zeitung, Mädchen.
JULIA
In so bedrängter Zeit kommt Freude recht.
Wie lautet sie, ich bitt Euch, gnädge Mutter?
GRÄFIN CAPULET
Nun Kind, du hast 'nen aufmerksamen Vater:
Um dich von deinem Trübsinn abzubringen,
Ersann er dir ein plötzlich Freudenfest,
Des ich so wenig mich versah wie du.
JULIA
Ei, wie erwünscht! Was wär das, gnädge Mutter?
GRÄFIN CAPULET
Ja, denk dir, Kind, am Donnerstag frühmorgens
Soll der hochedle, wackre junge Herr,
Graf Paris, in Sankt Peters Kirche dich
Als frohe Braut an den Altar geleiten.
JULIA
Nun, bei Sankt Peters Kirch und Petrus selbst,
Er soll mich nicht als frohe Braut geleiten!
Mich wundert diese Eil, daß ich vermählt
Muß werden, eh mein Freier kommt zu werben.
Ich bitt Euch, gnädge Frau, sagt meinem Vater
Und Herrn, ich wollte noch mich nicht vermählen,
Und wenn ichs tue, schwör ich: Romeo,
Von dem Ihr wißt, ich haß ihn, soll es lieber
Als Paris sein.--Fürwahr, das ist wohl Zeitung!
GRÄFIN CAPULET
Da kommt dein Vater, sag du selbst ihm das,
Sieh, wie er sichs von dir gefallen läßt.
(Capulet und die Wärterin kommen.)
CAPULET
Die Luft sprüht Tau beim Sonnenuntergang,
Doch bei dem Untergange meines Neffen,
Da gießt der Regen recht.
Was? Eine Traufe, Mädchen? Stets in Tränen?
Stets Regenschauer? In so kleinem Körper
Spielst du auf einmal See und Wind und Kahn,
Denn deine Augen ebben stets und fluten
Von Tränen wie die See; dein Körper ist der Kahn,
Der diese salzge Flut befährt; die Seufzer
Sind Winde, die, mit deinen Tränen tobend,
Wie die mit ihnen, wenn nicht Stille plötzlich
Erfolgt, den hin und her geworfnen Körper
Zertrümmern werden.--Nun, wie steht es, Frau?
Hast du ihr unsern Ratschluß hinterbracht?
GRÄFIN CAPULET
Ja, doch sie will es nicht, sie dankt Euch sehr.
Wär doch die Törin ihrem Grab vermählt!
CAPULET
Sacht, rede deutlich, rede deutlich, Frau!
Was? Will sie nicht? Weiß sie uns keinen Dank?
Ist sie nicht stolz? Schätzt sie sich nicht beglückt,
Daß wir solch einen würdgen Herrn vermocht,
Trotz ihrem Unwert, ihr Gemahl zu sein?
JULIA
Nicht stolz darauf, doch dankbar, daß Ihrs tatet.
Stolz kann ich nie auf das sein, was ich hasse,
Doch dankbar selbst für Haß, gemeint wie Liebe.
CAPULET
Ei seht mir, seht mir! Kramst du Weisheit aus?
Stolz--und ich dank Euch--ner Schleife hin.
Pfui, du bleichsüchtges Ding, du lose Dirne!
Du Talggesicht!
GRÄFIN CAPULET
O pfui! Seid Ihr von Sinnen?
JULIA
Ich fleh Euch auf den Knien, mein guter Vater,
Hört mit Geduld ein einzig Wort nur an!
CAPULET
Geh mir zum Henker, widerspenstge Dirne!
Ich sage dirs: zur Kirch auf Donnerstag,
Sonst komm mir niemals wieder vors Gesicht.
Sprich nicht! Erwidre nicht! Gib keine Antwort!
Die Finger jucken mir. O Weib, wir glaubten
Uns kaum genug gesegnet, weil uns Gott
Dies eine Kind nur sandte; doch nun seh ich,
Dies eine war um eines schon zuviel,
Und nur ein Fluch ward uns in ihr beschert.
Du Hexe!
WÄRTERIN
Gott im Himmel segne sie!
Eur Gnaden tun nicht wohl, sie so zu schelten.
CAPULET
Warum, Frau Weisheit? Haltet Euern Mund,
Prophetin! Schnattert mit Gevatterinnen!
WÄRTERIN
Ich sage keine Schelmstück!
CAPULET
Geht mit Gott!
WÄRTERIN
Darf man nicht sprechen?
CAPULET
Still doch, altes Waschmaul!
Spart Eure Predigt zum Gevatterschmaus;
Hier brauchen wir sie nicht.
GRÄFIN CAPULET
Ihr seid zu hitzig!
CAPULET
Gotts Sakrament, es macht mich toll! Bei Tag,
Bei Nacht, spät, früh, allein und in Gesellschaft,
Zu Hause, draußen, wachend und im Schlaf,
War meine Sorge stets, sie zu vermählen.
Nun, da ich einen Herrn ihr ausgemittelt,
Von fürstlicher Verwandtschaft, schönen Gütern,
Jung, edel auferzogen, ausstaffiert,
Wie man wohl sagt, mit ritterlichen Gaben,
Kurz, wie man einen Mann sich wünschen möchte,
Und dann ein albern, winselndes Geschöpf,
Ein weinerliches Püppchen da zu haben,
Die, wenn ihr Glück erscheint, zur Antwort gibt:
Heiraten will ich nicht, ich kann nicht lieben,
Ich bin zu jung, ich bitt, entschuldigt mich.--
Gut, willst du nicht, du sollst entschuldigt sein;
Gras', wo du willst, du sollst bei mir nicht hausen.
Sieh zu! Bedenk! Ich pflege nicht zu spaßen.
Der Donnerstag ist nah: die Hand aufs Herz!
Und bist du mein, so soll mein Freund dich haben;
Wo nicht, geh, bettle, hungre, stirb am Wege!
Denn nie, bei meiner Seel, erkenn ich dich,
Und nichts, was mein, soll dir zugute kommen.
Bedenk dich! Glaub, ich halte, was ich schwur!
(Ab.)
JULIA
Und wohnt kein Mitleid droben in den Wolken,
Das in die Tiefe meines Jammers schaut?
O süße Mutter, stoß mich doch nicht weg!
Nur einen Monat, eine Woche Frist!
Wo nicht, bereite mir das Hochzeitsbette
In jener düstern Gruft, wo Tybalt liegt!
GRÄFIN CAPULET
Sprich nicht zu mir, ich sage nicht ein Wort.
Tu, was du willst, denn ich bin mit dir fertig.
(Ab.)
JULIA
O Gott! Wie ist dem vorzubeugen, Amme?
Mein Gatt auf Erden, meine Treu im Himmel--
Wie soll die Treu zur Erde wiederkehren,
Wenn sie der Gatte nicht, der Erd entweichend,
Vom Himmel sendet? Tröste, rate, hilf!
Weh, weh mir, daß der Himmel solche Tücken
An einem sanften Wesen übt wie mir!
Was sagst du? Hast du kein erfreuend Wort,
Kein Wort des Trostes?
WÄRTERIN
Meiner Seel, hier ists:
Er ist verbannt, und tausend gegen eins,
Daß er sich nimmer wieder her getraut,
Euch anzusprechen; oder tät ers doch,
So müßt es schlechterdings verstohlen sein.
Nun, weil denn so die Sachen stehn, so denk ich,
Das beste wär, daß Ihr den Grafen nähmt.
Ach, er ist solch ein allerliebster Herr!
Ein Lump ist Romeo nur gegen ihn.
Ein Adlersauge, Fräulein, ist so grell,
So schön, so feurig nicht, wie Paris seins.
Ich will verwünscht sein, ist die zweite Heirat
Nicht wahres Glück für Euch; weit vorzuziehn
Ist sie der ersten. Oder wär sie's nicht?
Der erste Mann ist tot, so gut als tot;
Denn lebt er schon, habt Ihr doch nichts von ihm.
JULIA
Sprichst du von Herzen?
WÄRTERIN
Und von ganzer Seele,
Sonst möge Gott mich strafen!
JULIA
Amen!
WÄRTERIN
Was?
JULIA
Nun ja, du hast mich wunderbar getröstet.
Geh, sag der Mutter, weil ich meinen Vater
Erzürnt, so woll ich nach Lorenzos Zelle,
Zu beichten und Vergebung zu empfangen.
WÄRTERIN
Gewiß, das will ich; Ihr tut weislich dran.
(Ab.)
JULIA
O alter Erzfeind, höllischer Versucher!
Ists ärgre Sünde, so zum Meineid mich
Verleiten, oder meinen Gatten schmähn
Mit eben dieser Zunge, die zuvor
Viel tausendmal ihn ohne Maß und Ziel
Gepriesen hat?--
Seht, wie sie fröhlich aus der Beichte kommt!
(Julia tritt auf.)
CAPULET
Nun, Starrkopf? Sag, wo bist herumgeschwärmt?
JULIA
Wo ich gelernt, die Sünde zu bereun
Hartnäckgen Ungehorsams gegen Euch
Und Eur Gebot, und wo der heilge Mann
Mir auferlegt, vor Euch mich hinzuwerfen,
Vergebung zu erflehn.--Vergebt, ich bitt Euch!
Von nun an will ich stets Euch folgsam sein.
CAPULET
Schickt nach dem Grafen, geht und sagt ihm dies.
Gleich morgen früh will ich dies Band geknüpft sehn.
JULIA
Ich traf den jungen Grafen bei Lorenzo,
Und alle Huld und Lieb erwies ich ihm,
So das Gesetz der Zucht nicht übertritt.
CAPULET
Nun wohl, das freut mich, das ist gut.--Steh auf!
So ist es recht.--Laßt mich den Grafen sehn.
Potztausend, geht, sag ich, und holt ihn her!--
So wahr Gott lebt, der würdge fromme Pater,
Von unsrer ganzen Stadt verdient er Dank.
JULIA
Kommt, Amme, wollt Ihr mit mir auf mein Zimmer?
Mir helfen Putz erlesen, wie Ihr glaubt,
Daß mir geziemt, ihn morgen anzulegen?
GRÄFIN CAPULET
Nein, nicht vor Donnerstag; es hat noch Zeit.
CAPULET
Geh mit ihr, Amme, morgen gehts zur Kirche.
(Julia und die Wärterin ab.)
GRÄFIN CAPULET
Die Zeit wird kurz zu unsrer Anstalt fallen;
Es ist fast Nacht.
CAPULET
Blitz! Ich will frisch mich rühren,
Und alles soll schon gehn, Frau, dafür steh ich.
Geh du zu Julien, hilf an ihrem Putz.
Ich gehe nicht zu Bett; laß mich gewähren,
Ich will die Hausfrau diesmal machen.--Heda!--
Kein Mensch zur Hand?--Gut, ich will selber gehn
Zum Grafen Paris, um ihn anzutreiben
Auf morgen früh; mein Herz ist mächtig leicht,
Seit dies verkehrte Mädchen sich besonnen.
(Capulet und die Gräfin ab.)

DRITTE SZENE
(Juliens Kammer)
(Julia und die Wärterin.)

JULIA
Ja, dieser Anzug ist der beste.--Doch
Ich bitt dich, liebe Amme, laß mich nun
Für diese Nacht allein; denn viel Gebete
Tun not mir, um den Himmel zu bewegen,
Daß er auf meinen Zustand gnädig lächle,
Der, wie du weißt, verderbt und sündlich ist.
(Gräfin Capulet kommt.)
GRÄFIN CAPULET
Seid ihr geschäftig? Braucht ihr meine Hülfe?
JULIA
Nein, gnädge Mutter, wir erwählten schon
Zur Tracht für morgen alles Zubehör.
Gefällt es Euch, so laßt mich jetzt allein
Und laßt zu Nacht die Amme mit Euch wachen,
Denn sicher habt Ihr alle Hände voll
Bei dieser eilgen Anstalt.
GRÄFIN CAPULET
Gute Nacht!
Geh nun zu Bett und ruh; du hast es nötig.
(Gräfin Capulet und die Wärterin ab.)
JULIA
Lebt wohl!--Gott weiß, wann wir uns wiedersehn.
Kalt rieselt matter Schau'r durch meine Adern,
Der fast die Lebenswärm erstarren macht.
Ich will zurück sie rufen mir zum Trost.
Amme!--Doch was soll sie hier?
Mein düstres Spiel muß ich allein vollenden.
Komm du, mein Kelch!--
Doch wie, wenn dieser Trank nun gar nichts wirkte,
Wird man dem Grafen mit Gewalt mich geben?
Nein, nein! Dies solls verwehren. Lieg du hier!--
(Sie legt einen Dolch neben sich.)
Wie? Wär es Gift, das mir mit schlauer Kunst
Der Mönch bereitet, mir den Tod zu bringen,
Auf daß ihn diese Heirat nicht entehre,
Weil er zuvor mich Romeo vermählt?
So, fürcht ich, ists!--Doch dünkt mich, kanns nicht sein,
Denn er ward stets ein frommer Mann erfunden.
Ich will nicht Raum so bösem Argwohn geben.
Wie aber, wenn ich, in die Gruft gelegt,
Erwache vor der Zeit, da Romeo
Mich zu erlösen kommt? Furchtbarer Fall!
Werd ich dann nicht in dem Gewölb ersticken,
Des giftger Mund nie reine Lüfte einhaucht,
Und so erwürgt da liegen, wann er kommt?
Und leb ich auch, könnt es nicht leicht geschehn,
Daß mich das grause Bild von Tod und Nacht
Zusammen mit den Schrecken jenes Ortes
Dort im Gewölb in alter Katakombe,
Wo die Gebeine aller meiner Ahnen
Seit vielen hundert Jahren aufgehäuft,
Wo frisch beerdigt erst der blutge Tybalt
Im Leichentuch verwest; wo, wie man sagt,
In mitternächtger Stunde Geister hausen--
Weh, weh!--könnt es nicht leicht geschehn, daß ich,
Zu früh erwachend--und nun ekler Dunst,
Gekreisch wie von Alraunen, die man aufwühlt,
Das Sterbliche, die's hören, sinnlos macht--
Oh, wach ich auf, werd ich nicht rasend werden,
Umringt von all den greuelvollen Schrecken,
Und toll mit meiner Väter Gliedern spielen?
Und Tybalt aus dem Leichentuche zerren?
Und in der Wut mit irgendeines Ahnherrn
Gebein zerschlagen mein zerrüttet Hirn?
O da! Mich dünkt, ich sehe Tybalts Geist!
Er späht nach Romeo, der seinen Leib
Auf einen Degen spießte.--Tybalt, halt!--
Ich komme, Romeo! Dies trink ich dir!
([Sie trinkt und] wirft sich auf das Bett.)

VIERTE SZENE
(Ein Saal in Capulets Hause)
(Gräfin Capulet und die Wärterin.)

GRÄFIN CAPULET
Da, nehmt die Schlüssel, holt noch mehr Gewürz!
WÄRTERIN
Sie wollen Quitten und Orangen haben
Für ihre Bäckerei.
(Capulet kommt.)
CAPULET
Auf, rührt euch, frisch! Schon kräht der zweite Hahn,
Die Morgenglocke läutet; 's ist drei Uhr.
Sieh nach dem Backwerk, Frau Angelika,
Spar nichts daran!
WÄRTERIN
Topfgucker! Geht nur, geht!
Macht Euch zu Bett! Ja, Ihr seid morgen krank,
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