Romeo und Julia - 1

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Romeo und Julia
William Shakespeare
Übersetzt von August Wilhelm von Schlegel

PERSONEN
ESCALUS, Prinz von Verona
[GRAF] PARIS, ein junger Edelmann, Verwandter des Prinzen
MONTAGUE und CAPULET } Häupter zweier Häuser, welche in Zwist
miteinander sind
[Ein andrer CAPULET, des Vorigen Verwandter] Ein alter Mann,
ein Onkel von Capulet
ROMEO, Montagues Sohn
MERCUTIO, Verwandter des Prinzen und Romeos Freund
BENVOLIO, Montagues Neffe und Romeos Freund
TYBALT, Neffe der Gräfin Capulet
Bruder LORENZO, ein Franziskaner
Bruder MARKUS, von demselben Orden
ABRAHAM, Diener im Hause Montague
BALTHASAR, Romeos Diener
[SIMSON, GREGORIO, PETER und andere DIENER im Hause Capulet]
SIMSON, Diener des Capulet
GREGORIO, Diener des Capulet
PETER, Diener von Julias Amme
Drei MUSIKANTEN
Ein PAGE des Paris; ein weiterer Page
Ein APOTHEKER
CHORUS
Ein Offizier
Gräfin MONTAGUE, Ehefrau des Montague
Gräfin CAPULET, Ehefrau des Capulet
JULIA, Capulets Tochter
[WÄRTERIN, früher] Juliens Amme
Bürger von Verona. Verschiedene Männer und Frauen, Verwandte
beider Häuser.
Masken, Garde, Wächter, Gefolge

Die Szene ist den größten Teil des Stücks hindurch in Verona;
zu Anfange des fünften Aktes in Mantua

PROLOG

(Der Chorus tritt auf.)
CHORUS
Zwei Häuser waren--gleich an Würdigkeit--
Hier in Verona, wo die Handlung steckt,
Durch alten Groll zu neuem Kampf bereit,
Wo Bürgerblut die Bürgerhand befleckt.
Aus dieser Feinde unheilvollem Schoß
Das Leben zweier Liebender entsprang,
Die durch ihr unglückselges Ende bloß
Im Tod begraben elterlichen Zank.
Der Hergang ihrer todgeweihten Lieb
Und der Verlauf der elterlichen Wut,
Die nur der Kinder Tod von dannen trieb,
Ist nun zwei Stunden lang der Bühne Gut;
Was dran noch fehlt, hört mit geduldgem Ohr,
Bringt hoffentlich nun unsre Müh hervor.


ERSTER AKT

ERSTE SZENE
(Ein öffentlicher Platz)
(Simson und Gregorio, [zwei Bediente Capulets,] treten
bewaffnet mit
Schwertern und Schilden auf.)

SIMSON
Auf mein Wort, Gregorio, wir wollen nichts in die Tasche
stecken.
GREGORIO
Freilich nicht, sonst wären wir Taschenspieler.
SIMSON
Ich meine, ich werde den Koller kriegen und vom Leder
ziehn.
GREGORIO
Ne, Freund, deinen ledernen Koller mußt du bei Leibe
nicht ausziehen.
SIMSON
Ich schlage geschwind zu, wenn ich aufgebracht bin.
GREGORIO
Aber du wirst nicht geschwind aufgebracht.
SIMSON
Ein Hund aus Montagues Hause bringt mich schon auf.
GREGORIO
Einen aufbringen heißt: ihn von der Stelle schaffen.
Um tapfer zu sein, muß man standhalten. Wenn du dich
also aufbringen läßt, so läufst du davon.
SIMSON
Ein Hund aus dem Hause bringt mich zum Standhalten.
[Mit jedem Bedienten und jedem Mädchen Montagues will ich
es aufnehmen.] Ich habe bei jedem Bedienten und Mädchen
der Montagues den Vorrang und nehme also die Mauerseite
ein, [so daß ich nicht auf die schmutzige Straßenmitte
treten muß.]

GREGORIO
Daran sieht man, daß du ein schwacher Sklave bist;
denn der schwächste geht gegen die Mauer.
SIMSON
Das ist wahr; und daher werden die Weiber, da sie die
schwächeren sind, immer gegen die Mauer gedrückt:
folglich werde ich Montagues Bediente von der Mauer
wegstoßen und seine Mädchen gegen die Mauer drücken.
GREGORIO
Der Streit ist nur zwischen unseren Herrschaften und uns,
ihren Bedienten. [Es mit den Mädchen aufnehmen? Pfui doch!
Du solltest dich lieber von ihnen aufnehmen lassen.]
SIMSON
Einerlei! Ich will barbarisch zu Werke gehn. Hab ichs
mit den Bedienten erst ausgefochten, so will ich mir die
Mädchen unterwerfen. [Sie sollen die Spitze meines Degens
fühlen, bis er stumpf wird.] Ich werde sie ihrer
jungfräulichen Häupter berauben.
GREGORIO
Die Jungfrauen enthaupten?
SIMSON
Jawohl, die Jungfrauen enthaupten oder ihnen die
Jungfräulichkeit nehmen, nimm es in dem einen oder
anderen Sinn, ganz wie du willt.
GREGORIO
Sie werden es sinngemäß aufnehmen müssen, die es zu
spüren bekommen.
SIMSON
Mich sollen sie zu spüren bekommen, solange ich noch
standhalten kann: und es ist bekannt, daß ich ein hübsches
Stück Fleisches bin.
GREGORIO
Nur gut, daß du nicht Fisch bist, sonst wärst du ein
ärmlicher Dörr-Hering.--Zieh nur gleich vom Leder: Da
kommen zwei aus dem Hause der Montagues.
(Abraham und Balthasar treten auf.)
SIMSON
Hier, meine Waffe ist blank. Fang nur Händel an, ich will
den Rücken decken.
GREGORIO
Den Rücken? Willst du Reißaus nehmen?
SIMSON
Fürchte nichts von mir!
GREGORIO
Ne, wahrhaftig! Ich dich fürchten?
SIMSON
Laß uns das Recht auf unsrer Seite behalten, laß sie
anfangen!
GREGORIO
Ich will ihnen im Vorbeigehn ein Gesicht ziehen, sie
mögens nehmen, wie sie wollen.
SIMSON
Wie sie wagen, lieber. Ich will ihnen einen Esel bohren;
wenn sie es einstecken, so haben sie den Schimpf.
(Abraham und Balthasar treten auf.)
ABRAHAM
Bohrt Ihr uns einen Esel, mein Herr?
SIMSON
Ich bohre einen Esel, mein Herr.
ABRAHAM
Bohrt Ihr uns einen Esel, mein Herr?
SIMSON
Ist das Recht auf unsrer Seite, wenn ich ja sage?
GREGORIO
Nein.
SIMSON
Nein, mein Herr! Ich bohre Euch keinen Esel, mein Herr.
Aber ich bohre einen Esel, mein Herr.
GREGORIO
Sucht Ihr Händel, mein Herr?
ABRAHAM
Händel, Herr? Nein, mein Herr.
SIMSON
Wenn Ihr sonst Händel sucht, mein Herr: ich steh zu Diensten.
Ich bediene einen ebenso guten Herrn wie Ihr.
ABRAHAM
Keinen bessern.
SIMSON
Sehr wohl, mein Herr!
(Benvolio tritt auf.)
GREGORIO
Sag: einen bessern; hier kommt ein Vetter meiner Herrschaft.
SIMSON
Ja doch, einen bessern, mein Herr.
ABRAHAM
Ihr lügt!
SIMSON
Zieht, falls ihr Kerls seid! Frisch, Gregorio! denk mir an
deinen Schwadronierhieb.
(Sie fechten. Benvolio tritt auf.)
BENVOLIO
Ihr Narren, fort! Steckt eure Schwerter ein;
Ihr wißt nicht, was ihr tut.
(Er schlägt ihre Schwerter nieder. Tybalt tritt auf.)
TYBALT
Was? Ziehst du unter den verzagten Knechten?
Hieher, Benvolio! Biet die Stirn dem Tode!
BENVOLIO
Ich stifte Frieden, steck dein Schwert nur ein!
Wo nicht, so führ es, diese hier zu trennen!
TYBALT
Was? Ziehn und Friede rufen? Wie die Hölle
Haß ich das Wort, wie alle Montagues
Und dich! Wehr dich, du Memme!
(Sie fechten. Verschiedene Anhänger beider Häuser kommen
und mischen sich in den Streit; dann Bürger mit Knütteln.)
ERSTER BÜRGER
He! Spieß' und Stangen her!--Schlagt auf sie los!
Weg mit den Capulets!--Weg mit den Montagues!
(Capulet im Schlafrock und Gräfin Capulet.)
CAPULET
Was für ein Lärm?--Holla, mein langes Schwert!
GRÄFIN CAPULET
Nein, Krücken, Krücken! Wozu soll ein Schwert!
CAPULET
Mein Schwert, sag ich! Der alte Montague
Kommt dort und schwingt die Klinge mir zum Hohn.
(Montague und Gräfin Montague.)
MONTAGUE
Du Schurke Capulet!--
MONTAGUE
Schon manchen Morgen ward er dort gesehn,
Wie er den frischen Tau durch Tränen mehrte
Und, tief erseufzend, Wolk an Wolke drängte.
Allein sobald im fernsten Ost die Sonne,
Die allerfreunde, von Auroras Bett
Den Schattenvorhang wegzuziehn beginnt,
Stiehlt vor dem Licht mein finstrer Sohn sich heim
Und sperrt sich einsam in sein Kämmerlein,
Verschließt dem schönen Tageslicht die Fenster
Und schaffet künstlich Nacht um sich herum.
In schwarzes Mißgeschick wird er sich träumen,
Weiß guter Rat den Grund nicht wegzuräumen.
BENVOLIO
Mein edler Oheim, wisset Ihr den Grund?
MONTAGUE
Ich weiß ihn nicht und kann ihn nicht erforschen.
BENVOLIO
Lagt Ihr ihm jemals schon deswegen an?
MONTAGUE
Ich selbst sowohl als mancher andre Freund.
Doch er, der eignen Neigungen Vertrauter,
Ist gegen sich, wie treu, will ich nicht sagen,
Doch so geheim und in sich selbst gekehrt,
So unergründlich forschendem Bemühn
Wie eine Knospe, die ein Wurm zernagt,
Eh sie der Luft ihr zartes Laub entfalten
Und ihren Reiz der Sonne weihen kann.
Erführen wir, woher sein Leid entsteht,
Wir heilten es so gern, als wirs erspäht.
(Romeo erscheint in einiger Entfernung.)
BENVOLIO
Da kommt er, seht! Geruht, uns zu verlassen;
Galt ich ihm je was, will ich schon ihn fassen.
MONTAGUE
O beichtet' er für dein Verweilen dir
Die Wahrheit doch!--Kommt, Gräfin, gehen wir!
(Montague und Gräfin Montague gehen ab. Romeo tritt auf.)
BENVOLIO
Ha, guten Morgen, Vetter!
ROMEO
Erst so weit?
BENVOLIO
Kaum schlug es neun.
ROMEO
Weh mir. Gram dehnt die Zeit.
War das mein Vater, der so eilig ging?
BENVOLIO
Er wars. Und welcher Gram dehnt Euch die Stunden?
ROMEO
Daß ich entbehren muß, was sie verkürzt.
BENVOLIO
Entbehrt Ihr Liebe?
ROMEO
Nein.
BENVOLIO
So ward sie Euch zuteil?
ROMEO
Nein, Lieb entbehr ich, wo ich lieben muß.
BENVOLIO
Ach, daß der Liebesgott, so mild im Scheine,
So grausam in der Prob erfunden wird!
ROMEO
Ach, daß der Liebesgott, trotz seinen Binden,
Zu seinem Ziel stets Pfade weiß zu finden!
Wo speisen wir?--Ach, welch ein Streit war hier?
Doch sagt mirs nicht, ich hört es alles schon:
Haß gibt hier viel zu schaffen, Liebe mehr.
Nun denn: Liebreicher Haß! Streitsüchtge Liebe!
Du Alles, aus dem Nichts zuerst erschaffen!
Schwermütger Leichtsinn! Ernste Tändelei!
Entstelltes Chaos glänzender Gestalten!
Bleischwinge! Lichter Rauch und kalte Glut!
Stets wacher Schlaf, dein eignes Widerspiel!
So fühl ich Lieb und hasse, was ich fühl!
Du lachst nicht?
BENVOLIO
Nein, das Weinen ist mir näher.
ROMEO
Warum, mein Herz?
BENVOLIO
Um deines Herzens Qual.
ROMEO
Das ist der Liebe Unbill nun einmal.
Schon eignes Leid will mir die Brust zerpressen,
Dein Gram um mich wird voll das Maß mir messen.
Die Freundschaft, die du zeigst, mehrt meinen Schmerz;
Denn, wie sich selbst, so quält auch dich mein Herz.
Lieb ist ein Rauch, den Seufzerdämpf erzeugten,
Geschürt, ein Feur, von dem die Augen leuchten,
Gequält, ein Meer, von Tränen angeschwellt;
Was ist sie sonst? Verständge Raserei
Und ekle Gall und süße Spezerei.
Lebt wohl, mein Freund!
(Im Gehen.)
BENVOLIO
Sacht! Ich will mit Euch gehen;
Ihr tut mir Unglimpf, laßt Ihr so mich stehen.
ROMEO
Ach, ich verlor mich selbst; ich bin nicht Romeo.
Der ist nicht hier: er ist--ich weiß nicht, wo.
BENVOLIO
Entdeckt mir ohne Mutwill, wen Ihr liebt.
ROMEO
Bin ich nicht ohne Mut und ohne Willen?
BENVOLIO
Nein, sagt mirs ernsthaft doch!
ROMEO
Bitt einen ernsthaft um sein Testament,
Den Kranken quälts, wenn man das Wort ihm nennt!
Hört, Vetter, denn im Ernst: Ich lieb ein Weib.
BENVOLIO
Ich trafs doch gut, daß ich verliebt Euch glaubte.
ROMEO
Ein wackrer Schütz!--Und die ich lieb, ist schön.
BENVOLIO
Ein glänzend Ziel kann man am ersten treffen.
ROMEO
Dies Treffen traf dir fehl, mein guter Schütz;
Sie weicht dem Pfeil aus, sie hat Dianens Witz
Umsonst hat ihren Panzer keuscher Sitten
Der Liebe kindisches Geschoß bestritten.
Sie wehrt den Sturm der Liebesbitten ab,
Steht nicht dem Angriff kecker Augen, öffnet
Nicht ihren Schoß dem Gold, das Heilge lockt.
O sie ist reich an Schönheit; arm allein,
Weil, wenn sie stirbt, ihr Reichtum hin wird sein.
BENVOLIO
Beschwor sie der Enthaltsamkeit Gesetze?
ROMEO
Sie tats, und dieser Geiz vergeudet Schätze.
Denn Schönheit, die der Lust sich streng enthält,
Bringt um ihr Erb die ungeborne Welt.
Sie ist zu schön und weis', um Heil zu erben,
Weil sie, mit Weisheit schön, mich zwingt zu sterben.
Sie schwor zu lieben ab, und dies Gelübd
Ist Tod für den, der lebt, nur weil er liebt.
BENVOLIO
Folg meinem Rat, vergiß an sie zu denken!
ROMEO
So lehre mich, das Denken zu vergessen.
BENVOLIO
Gib deinen Augen Freiheit, lenke sie
Auf andre Reize hin.
ROMEO
Das ist der Weg,
Mir ihren Reiz in vollem Licht zu zeigen.
Die Schwärze jener neidenswerten Larven,
Die schöner Frauen Stirne küssen, bringt
Uns in den Sinn, daß sie das Schöne bergen.
Der, welchen Blindheit schlug, kann nie das Kleinod
Des eingebüßten Augenlichts vergessen.
Zeigt mir ein Weib, unübertroffen schön:
Mir gilt ihr Reiz wie eine Weisung nur,
Worin ich lese, wer sie übertrifft.
Leb wohl! Vergessen lehrest du mich nie.
BENVOLIO
Dein Schuldner sterb ich, glückt mir nicht die Müh.
(Beide ab.)

ZWEITE SZENE
(Eine Straße)
(Capulet, Paris und ein Diener kommen.)

CAPULET
Und Montague ist mit derselben Buße
Wie ich bedroht? Für Greise, wie wir sind,
Ist Frieden halten, denk ich, nicht so schwer.
PARIS
Ihr geltet beid als ehrenwerte Männer,
Und Jammer ists um Euren langen Zwiespalt.
Doch, edler Graf, wie dünkt Euch mein Gesuch?
CAPULET
Es dünkt mich so, wie ich vorhin gesagt.
Mein Kind ist noch ein Fremdling in der Welt,
Sie hat kaum vierzehn Jahre wechseln sehn.
Laßt noch zwei Sommer prangen und verschwinden,
Eh wir sie reif, um Braut zu werden, finden.
PARIS
Noch jüngre wurden oft beglückte Mütter.
CAPULET
Wer vor der Zeit beginnt, der endigt früh.
All meine Hoffnungen verschlang die Erde;
Mir blieb nur dieses hoffnungsvolle Kind.
Doch werbt nur, lieber Graf! Sucht Euer Heil!
Mein Will ist von dem ihren nur ein Teil.
Wenn sie aus Wahl in Eure Bitten willigt,
So hab ich im voraus ihr Wort gebilligt,
Ich gebe heut ein Fest, von alters hergebracht,
Und lud darauf der Gäste viel zu Nacht,
Was meine Freunde sind: Ihr, der dazu gehöret,
Sollt hoch willkommen sein, wenn Ihr die Zahl vermehret.
In meinem armen Haus sollt Ihr des Himmels Glanz
Heut nacht verdunkelt sehn durch irdscher Sterne Tanz.
Wie muntre Jünglinge mit neuem Mut sich freuen,
Wenn auf die Fersen nun der Fuß des holden Maien
Dem lahmen Winter tritt: die Lust steht Euch bevor,
Wann Euch in meinem Haus ein frischer Mädchenflor
Von jeder Seit umgibt. Ihr hört, Ihr seht sie alle,
Daß, die am schönsten prangt, am meisten Euch gefalle.
Dann mögt Ihr in der Zahl auch meine Tochter sehn,
Sie zählt für eine mit, gilt sie schon nicht für schön.
Kommt, geht mit mir!--Du, Bursch, nimm das Papier mit Namen,
Trab in der Stadt herum, such alle Herrn und Damen,
So hier geschrieben stehn,
(übergibt ein Papier)
und sag mit Höflichkeit:
Mein Haus und mein Empfang steh ihrem Dienst bereit.
(Capulet und Paris gehen ab.)
DIENER
Die Leute soll ich suchen, wovon die Namen hier geschrieben
stehn? Es steht geschrieben, der Schuster soll sich um seine
Elle kümmern, der Schneider um seinen Leisten, der Fischer
um seinen Pinsel, der Maler um seine Netze. Aber mich schicken
sie, um die Leute ausfindig zu machen, wovon die Namen hier
geschrieben stehn, und ich kann doch gar nicht ausfindig
machen, was für Namen der Schreiber hier aufgeschrieben hat.
Ich muß zu den Gelahrten!--

DRITTE SZENE
(Ein Zimmer in Capulets Hause)
(Gräfin Capulet und die Wärterin.)

GRÄFIN CAPULET
Ruft meine Tochter her; wo ist sie, Amme?
WÄRTERIN
Bei meiner Jungfernschaft im zwölften Jahr,
Ich rief sie schon.--He, Lämmchen! zartes Täubchen--
Daß Gott! wo ist das Kind? He, Juliette!
(Julia kommt.)
JULIA
Was ist? Wer ruft mich?
WÄRTERIN
Eure Mutter.
JULIA
Hier bin ich, gnädge Mutter! Was beliebt?
GRÄFIN CAPULET
Die Sach ist diese!--Amme, geh beiseit,
Wir müssen heimlich sprechen.--Amme, komm
Nur wieder her, ich habe mich besonnen,
Ich will dich mit zur Überlegung ziehn.
Du weißt, mein Kind hat schon ein hübsches Alter.
WÄRTERIN
Das zähl ich, meiner Treu, am Finger her.
GRÄFIN CAPULET
Sie ist nicht vierzehn Jahre.
WÄRTERIN
Ich wette vierzehn meiner Zähne drauf--
Zwar hab ich nur vier Zahn, ich arme Frau--,
Sie ist noch nicht vierzehn. Wie lang ists bis Johannis?
GRÄFIN CAPULET
Ein vierzehn Tag und drüber.
WÄRTERIN
Nun, drüber oder drunter. Just den Tag,
Johannistag zu Abend, wird sie vierzehn.
Suschen und sie--Gott gebe jedem Christen
Das ewge Leben!--waren eines Alters.
Nun, Suschen ist bei Gott;
Sie war zu gut für mich. Doch wie ich sagte,
Johannistag zu Abend wird sie vierzehn.
Das wird sie, meiner Treu; ich weiß recht gut.
Elf Jahr ists her, seit wir 's Erdbeben hatten;
Und ich entwöhnte sie--mein Leben lang
Vergeß ichs nicht--just auf denselben Tag.
Ich hatte Wermut auf die Brust gelegt
Und saß am Taubenschlage in der Sonne;
Die gnädge Herrschaft war zu Mantua.
Ja, ja! Ich habe Grütz im Kopf! Nun, wie ich sagte:
Als es den Wermut auf der Warze schmeckte
Und fand ihn bitter--närrsches, kleines Ding--,
Wie's böse ward und zog der Brust ein Gsicht!
Krach! sagt' der Taubenschlag; und ich, fürwahr,
Ich wußte nicht, wie ich mich tummeln sollte,
Und seit der Zeit ists nun elf Jahre her.
Denn damals stand sie schon allein; mein Treu,
Sie lief und watschelt' Euch schon flink herum.
Denn tags zuvor fiel sie die Stirn entzwei,
Und da hob sie mein Mann--Gott hab ihn selig!
Er war ein lustger Mann--vom Boden auf.
Ei, sagt' er, fällst du so auf dein Gesicht?
Wirst rücklings fallen, wenn du klüger bist,
Nicht wahr, mein Kind? Und liebe, heilge Frau!
Das Mädchen schrie nicht mehr und sagte: Ja.
Da seh man, wie so 'n Spaß zum Vorschein kommt!
Und lebt ich tausend Jahre lang, ich wette,
Daß ich es nie vergaß. Nicht wahr, mein Kind? sagt' er;
Und 's liebe Närrchen ward still und sagte: Ja.
GRÄFIN CAPULET
Genug davon, ich bitte, halt dich ruhig.
WÄRTERIN
Ja, gnädge Frau. Doch lächerts mich noch immer,
Wie 's Kind sein Schreien ließ und sagte: Ja,
Und saß ihm, meiner Treu, doch eine Beule,
So dick wie 'n Hühnerei, auf seiner Stirn,
Recht gfährlich dick, und es schrie bitterlich.
Mein Mann, der sagte: Ei, fällst aufs Gesicht?
Wirst rücklings fallen, wenn du älter bist.
Nicht wahr, mein Kind? Still wards und sagte: Ja.
JULIA
Ich bitt dich, Amme, sei doch auch nur still.
WÄRTERIN
Gut, ich bin fertig. Gott behüte dich!
Du warst das feinste Püppchen, das ich säugte.
Erleb ich deine Hochzeit noch einmal,
So wünsch ich weiter nichts.
GRÄFIN CAPULET
Die Hochzeit, ja, das ist der Punkt, von dem
Ich sprechen wollte. Sag mir, liebe Tochter,
Wie stehts mit deiner Lust, dich zu vermählen?
JULIA
Ich träumte nie von dieser Ehre noch.
WÄRTERIN
Ein Ehre! Hättst du eine andre Amme
Als mich gehabt, so wollt ich sagen: Kind,
Du habest Weisheit mit der Milch gesogen.
GRÄFIN CAPULET
Gut, denke jetzt dran; jünger noch als du
Sind angesehne Fraun hier in Verona
Schon Mütter worden. Ist mir recht, so war
Ich deine Mutter in demselben Alter,
Wo du noch Mädchen bist. Mit einem Wort:
Der brave Paris wirbt um deine Hand.
WÄRTERIN
Das ist ein Mann, mein Fräulein! Solch ein Mann,
Als alle Welt--ein wahrer Zuckermann!
GRÄFIN CAPULET
Die schönste Blume von Veronas Flor.
WÄRTERIN
Ach ja, 'ne Blume! Gelt, 'ne rechte Blume!
GRÄFIN CAPULET
Was sagst du? Wie gefällt dir dieser Mann?
Heut abend siehst du ihn bei unserm Fest.
Dann lies im Buche seines Angesichts,
In das der Schönheit Griffel Wonne schrieb,
Betrachte seiner Züge Lieblichkeit,
Wie jeglicher dem andern Zierde leiht.
Was dunkel in dem holden Buch geblieben,
Das lies in seinem Aug am Rand geschrieben.
Und dieses Freiers ungebundner Stand,
Dies Buch der Liebe braucht nur einen Band.
Der Fisch lebt in der See, und doppelt teuer
Wird äußres Schön' als innrer Schönheit Schleier.
Das Buch glänzt allermeist im Aug der Welt,
Das goldne Lehr in goldnen Spangen hält.
So wirst du alles, was er hat, genießen,
Wenn du ihn hast, ohn etwas einzubüßen.
WÄRTERIN
Einbüßen? Nein, zunehmen wird sie eher;
Die Weiber nehmen oft durch Männer zu.
GRÄFIN CAPULET
Sag kurz, fühlst du dem Grafen dich geneigt?
JULIA
Gern will ich sehn, ob Sehen Neigung zeugt;
Doch weiter soll mein Blick den Flug nicht wagen,
Als ihn die Schwingen Eures Beifalls tragen.
(Ein Diener kommt.)
DIENER
Gnädige Frau, die Gäste sind da, das Abendessen auf dem
Tisch; Ihr werdet gerufen, das Fräulein gesucht, die Amme
in der Speisekammer zum Henker gewünscht, und alles geht
drunter und drüber. Ich muß fort, aufwarten; ich bitte Euch,
kommt unverzüglich!
GRÄFIN CAPULET
Gleich!--
(Der Diener geht ab.)
Paris wartet; Julia, komm geschwind!
WÄRTERIN
Such frohe Nacht auf frohe Tage, Kind!
(Alle ab.)

VIERTE SZENE
(Eine Straße)
(Romeo, Mercutio, Benvolio mit fünf oder sechs Masken,
Fackelträgern und anderen.)

ROMEO
Soll diese Red uns zur Entschuldgung dienen?
Wie? Oder treten wir nur grad hinein?
BENVOLIO
Umschweife solcher Art sind nicht mehr Sitte.
Wir wollen keinen Amor, mit der Schärpe
Geblendet, der den bunt bemalten Bogen
Wie ein Tatar geschnitzt aus Latten trägt
Und wie 'ne Vogelscheuch die Frauen schreckt;
Auch keinen hergebeteten Prolog,
Wobei viel zugeblasen wird, zum Eintritt.
Laßt sie uns nur, wofür sie wollen, nehmen,
Wir nehmen ein paar Tänze mit und gehn.
ROMEO
Ich mag nicht springen; gebt mir eine Fackel!
Da ich so finster bin, so will ich leuchten.
MERCUTIO
Nein, du mußt tanzen, lieber Romeo.
ROMEO
Ich wahrlich nicht! Ihr seid so leicht von Sinn
Als leicht beschuht; mich drückt ein Herz von Blei
Zu Boden, daß ich kaum mich regen kann.
MERCUTIO
Ihr seid ein Liebender; borgt Amors Flügel
und schwebet frei in ungewohnten Höhn.
ROMEO
Ich bin zu tief von seinem Pfeil durchbohrt,
Auf seinen leichten Schwingen hoch zu schweben.
Gewohnte Fesseln lassen mich nicht frei;
Ich sinke unter schwerer Liebeslast.
MERCUTIO
Und wolltet Ihr denn in die Liebe sinken?
Ihr seid zu schwer für ein so zartes Ding.
ROMEO
Ist Lieb ein zartes Ding? Sie ist zu rauh,
Zu wild, zu tobend; und sie sticht wie Dorn.
MERCUTIO
Begegnet Lieb Euch rauh, so tut desgleichen!
Stecht Liebe, wenn sie sticht; das schlägt sie nieder.
(Zu einem andern aus dem Gefolge.)
Gebt ein Gehäuse für mein Antlitz mir:
(Eine Maske aufsetzend.)
'ne Larve für 'ne Larve!
(Bindet die Maske vor.)
Nun erspähe
Die Neugier Mißgestalt: was kümmerts mich?
Erröten wird für mich dies Wachsgesicht.
BENVOLIO
Fort! Klopft, und dann hinein! Und sind wir drinnen,
So rühre gleich ein jeder flink die Beine!
ROMEO
Mir eine Fackel! Leichtgeherzte Buben,
Die laßt das Estrich mit den Sohlen kitzeln.
Ich habe mich verbrämt mit einem alten
Großvaterspruch: Wer 's Licht hält, schauet zu!
Nie war das Spiel so schön; doch ich bin matt.
MERCUTIO
Jawohl, zu matt, dich aus dem Schlamme--nein,
Der Liebe wollt ich sagen--dich zu ziehn,
Worin du leider steckst bis an die Ohren.
Macht fort, wir leuchten ja dem Tage hier.
ROMEO
Das tun wir nicht.
MERCUTIO
Ich meine, wir verscherzen,
Wie Licht bei Tag, durch Zögern unsre Kerzen.
Nehmt meine Meinung nach dem guten Sinn
Und sucht nicht Spiele des Verstandes drin.
ROMEO
Wir meinens gut, da wir zum Balle gehen;
Doch es ist Unverstand.
MERCUTIO
Wie? Laßt doch sehen!
ROMEO
Ich hatte diese Nacht 'nen Traum.
MERCUTIO
Auch ich.
ROMEO
Was war der Eure?
MERCUTIO
Daß auf Träume sich
Nichts bauen läßt, daß Träume öfters lügen.
ROMEO
Sie träumen Wahres, weil sie schlafend liegen.
MERCUTIO
Nun seh ich wohl, Frau Mab hat Euch besucht.
[ROMEO
Frau Mab, wer ist sie?
MERCUTIO]
Sie ist der Feenwelt Entbinderin.
Sie kommt, nicht größer als der Edelstein
Am Zeigefinger eines Aldermanns,
Und fährt mit 'nem Gespann von Sonnenstäubchen
Den Schlafenden quer auf der Nase hin.
Die Speichen sind gemacht aus Spinnenbeinen,
Des Wagens Deck aus eines Heupferds Flügeln,
Aus feinem Spinngewebe das Geschirr,
Die Zügel aus des Mondes feuchtem Strahl;
Aus Heimchenknochen ist der Peitsche Griff,
Die Schnur aus Fasern; eine kleine Mücke
Im grauen Mantel sitzt als Fuhrmann vorn,
Nicht halb so groß als wie ein kleines Würmchen,
Das in des Mädchens müßgem Finger nistet.
Die Kutsch ist eine hohle Haselnuß,
Vom Tischler Eichhorn oder Meister Wurm
Zurechtgemacht, die seit uralten Zeiten
Der Feen Wagner sind. In diesem Staat
Trabt sie dann Nacht für Nacht; befährt das Hirn
Verliebter, und sie träumen dann von Liebe,
Des Schranzen Knie, der schnell von Reverenzen,
Des Anwalts Finger, der von Sporteln gleich,
Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen;
Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,
Weil ihren Odem Näscherei verdarb.
Bald trabt sie über eines Hofmanns Nase,
Dann wittert er im Traum sich Ämter aus,
Bald kitzelt sie mit eines Zinshahns Federn
Des Pfarrers Nase, wenn er schlafend liegt,
Von einer bessern Pfründe träumt ihm dann;
Bald fährt sie über des Soldaten Nacken,
Der träumt sofort von Niedersäbeln, träumt
Von Breschen, Hinterhalten, Damaszenern,
Von manchem klaftertiefen Ehrentrunk;
Nun trommelts ihm ins Ohr: da fährt er auf
Und flucht in seinem Schreck ein paar Gebete
Und schläft von neuem. Eben diese Mab
Verwirrt der Pferde Mähnen in der Nacht
Und flicht in struppges Haar die Weichselzöpfe,
Die, wiederum entwirrt, auf Unglück deuten.
Dies ist die Hexe, welche Mädchen drückt,
Die auf dem Rücken ruhn, und die sie lehrt,
Als Weiber einst die Männer zu ertragen.
Dies ist sie--
ROMEO
Still, o still, Mercutio!
Du sprichst von einem Nichts.
MERCUTIO
Wohl wahr, ich rede
Von Träumen, Kindern eines müßgen Hirns,
Von nichts als eitler Phantasie erzeugt,
Die aus so dünnem Stoff als Luft besteht
Und flüchtger wechselt als der Wind, der bald
Um die erfrorne Brust des Nordens buhlt
Und, schnell erzürnt, hinweg von dannen schnaubend,
Die Stirn zum taubeträuften Süden kehrt.
BENVOLIO
Der Wind, von dem Ihr sprecht, entführt uns selbst.
Man hat gespeist; wir kamen schon zu spät.
ROMEO
Zu früh, befürcht ich; denn mein Herz erbangt
Und ahnet ein Verhängnis, welches, noch
Verborgen in den Sternen, heute nacht
Bei dieser Lustbarkeit den furchtbarn Zeitlauf
Beginnen und das Ziel des lästgen Lebens,
Das meine Brust verschließt, mir kürzen wird
Durch einen schnöd verwirkten frühen Tod.
Doch er, der mir zur Fahrt das Steuer lenkt,
Richt auch mein Segel!--Auf, ihr lustgen Freunde!
BENVOLIO
Rührt Trommeln!
(Alle ab.)

FÜNFTE SZENE
(Ein Saal in Capulets Hause)
(Musikanten warten. Diener kommen.)

ERSTER DIENER
Wo ist Schmorpfanne, daß er nicht abräumen hilft? Der wird
Teller wechseln, Teller scheuern!
ZWEITER DIENER
Wenn die gute Lebensart in eines oder zweier Menschen Händen
sein soll, die noch obendrein ungewaschen sind: 's ist ein
unsaubrer Handel.
ERSTER DIENER
Die Klappstühle fort! Rückt den Schenktisch beiseit! Seht
nach dem Silberzeuge! Kamerad, heb mir ein Stück Marzipan
auf, und wo du mich liebhast, sag dem Pförtner, daß er Suse
Mühlstein und Lene hereinläßt. Anton! Schmorpfanne!
(Andre Diener kommen.)
ZWEITER DIENER
Hier, Bursch, wir sind parat.
ERSTER DIENER
Im großen Saale verlangt man euch, vermißt man euch, sucht man
euch.
ZWEITER DIENER
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