Romanzero - 7

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der Gosse liegt, kann ich nicht mehr des Schnapses entwöhnen; aber ihn
selbst, meinen armen Hanswurst Maßmann, will ich in der öffentlichen
Meinung wieder rehabilitieren, indem ich alles was ich über seine
Lateinlosigkeit, seine lateinische Impotenz, seine magna linguae
romanae ignorantia jemals geäußert habe, feierlich widerrufe.
So hätte ich denn mein Gewissen erleichtert. Wenn man auf dem
Sterbebette liegt, wird man sehr empfindsam und weichselig, und möchte
Frieden machen mit Gott und der Welt. Ich gestehe es, ich habe Manchen
gekratzt, Manchen gebissen, und war kein Lamm. Aber glaubt mir, jene
gepriesenen Lämmer der Sanftmut würden sich minder frömmig gebärden,
besäßen sie die Zähne und die Tatzen des Tigers. Ich kann mich rühmen,
daß ich mich solcher angebornen Waffen nur selten bedient habe. Seit
ich selbst der Barmherzigkeit Gottes bedürftig, habe ich allen meinen
Feinden Amnestie erteilt; manche schöne Gedichte, die gegen sehr
hohe und sehr niedrige Personen gerichtet waren, wurden deshalb in
vorliegender Sammlung nicht aufgenommen. Gedichte, die nur halbweg
Anzüglichkeiten gegen den lieben Gott selbst enthielten, habe ich
mit ängstlichstem Eifer den Flammen überliefert. Es ist besser, daß
die Verse brennen als der Versifex. Ja, wie mit der Kreatur, habe
ich auch mit dem Schöpfer Frieden gemacht, zum größten Ärgernis
meiner aufgeklärten Freunde, die mir Vorwürfe machten über dieses
Zurückfallen in den alten Aberglauben, wie sie meine Heimkehr zu Gott
zu nennen beliebten. Andere, in ihrer Intoleranz, äußerten sich noch
herber. Der gesamte hohe Klerus des Atheismus hat sein Anathema über
mich ausgesprochen, und es gibt fanatische Pfaffen des Unglaubens,
die mich gerne auf die Folter spannten, damit ich meine Ketzereien
bekenne. Zum Glück stehen ihnen keine andern Folterinstrumente zu
Gebote als ihre Schriften. Aber ich will auch ohne Tortur alles
bekennen. Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene Sohn,
nachdem ich lange Zeit bei den Hegelianern die Schweine gehütet. War
es die Misère, die mich zurücktrieb? Vielleicht ein minder miserabler
Grund. Das himmlische Heimweh überfiel mich und trieb mich fort
durch Wälder und Schluchten, über die schwindlichsten Bergpfade der
Dialektik. Auf meinem Wege fand ich den Gott der Pantheisten, aber ich
konnte ihn nicht gebrauchen. Dies arme träumerische Wesen ist mit der
Welt verwebt und verwachsen, gleichsam in ihr eingekerkert, und gähnt
dich an, willenlos und ohnmächtig. Um einen Willen zu haben, muß
man eine Person sein, und, um ihn zu manifestieren, muß man die
Ellbogen frei haben. Wenn man nun einen Gott begehrt, der zu helfen
vermag - und das ist doch die Hauptsache - so muß man auch seine
Persönlichkeit, seine Außerweltlichkeit und seine heiligen Attribute,
die Allgüte, die Allweisheit, die Allgerechtigkeit u.s.w. annehmen.
Die Unsterblichkeit der Seele, unsre Fortdauer nach dem Tode, wird uns
alsdann gleichsam mit in den Kauf gegeben, wie der schöne Markknochen,
den der Fleischer, wenn er mit seinen Kunden zufrieden ist, ihnen
unentgeltlich in den Korb schiebt. Ein solcher schöner Markknochen
wird in der französischen Küchensprache la réjouissance genannt, und
man kocht damit ganz vorzügliche Kraftbrühen, die für einen armen
schmachtenden Kranken sehr stärkend und labend sind. Daß ich eine
solche réjouissance nicht ablehnte und sie mir vielmehr mit Behagen zu
Gemüte führte, wird jeder fühlende Mensch billigen.
Ich habe vom Gott der Pantheisten geredet, aber ich kann nicht umhin
zu bemerken, daß er im Grunde gar kein Gott ist, so wie überhaupt die
Pantheisten eigentlich nur verschämte Atheisten sind, die sich weniger
vor der Sache als vor dem Schatten, den sie an die Wand wirft, vor dem
Namen, fürchten. Auch haben die meisten in Deutschland während der
Restaurationszeit mit dem lieben Gotte dieselbe funfzehnjährige
Komödie gespielt, welche hier in Frankreich die konstitutionellen
Royalisten, die größtenteils im Herzen Republikaner waren, mit dem
Königtume spielten. Nach der Juliusrevolution ließ man jenseits wie
diesseits des Rheines die Maske fallen. Seitdem, besonders aber nach
dem Sturz Ludwig Philipps, des besten Monarchen, der jemals die
konstitutionelle Dornenkrone trug, bildete sich hier in Frankreich
die Meinung: daß nur zwei Regierungsformen, das absolute Königtum und
die Republik, die Kritik der Vernunft oder der Erfahrung aushielten,
daß man Eins von Beiden wählen müsse, daß alles dazwischen liegende
Mischwerk unwahr, unhaltbar und verderblich sei. In derselben Weise
tauchte in Deutschland die Ansicht auf, daß man wählen müsse zwischen
der Religion und der Philosophie, zwischen dem geoffenbarten Dogma
des Glaubens und der letzten Konsequenz des Denkens, zwischen dem
absoluten Bibelgott und dem Atheismus.
Je entschiedener die Gemüter, desto leichter werden sie das Opfer
solcher Dilemmen. Was mich betrifft, so kann ich mich in der Politik
keines sonderlichen Fortschritts rühmen; ich verharrte bei denselben
demokratischen Prinzipien, denen meine früheste Jugend huldigte und
für die ich seitdem immer flammender erglühte. In der Theologie
hingegen muß ich mich des Rückschreitens beschuldigen, indem ich,
was ich bereits oben gestanden, zu dem alten Aberglauben, zu einem
persönlichen Gotte, zurückkehrte. Das läßt sich nun einmal nicht
vertuschen, wie es mancher aufgeklärte und wohlmeinende Freund
versuchte. Ausdrücklich widersprechen muß ich jedoch dem Gerüchte, als
hätten mich meine Rückschritte bis zur Schwelle irgend einer Kirche
oder gar in ihren Schoß geführt. Nein, meine religiösen Überzeugungen
und Ansichten sind frei geblieben von jeder Kirchlichkeit; kein
Glockenklang hat mich verlockt, keine Altarkerze hat mich geblendet.
Ich habe mit keiner Symbolik gespielt und meiner Vernunft nicht ganz
entsagt. Ich habe nichts abgeschworen, nicht einmal meine alten
Heidengötter, von denen ich mich zwar abgewendet, aber scheidend in
Liebe und Freundschaft. Es war im Mai 1848, an dem Tage, wo ich zum
letzten Male ausging, als ich Abschied nahm von den holden Idolen,
die ich angebetet in den Zeiten meines Glücks. Nur mit Mühe schleppte
ich mich bis zum Louvre, und ich brach fast zusammen, als ich in den
erhabenen Saal trat, wo die hochgebenedeite Göttin der Schönheit,
Unsere liebe Frau von Milo, auf ihrem Postamente steht. Zu ihren Füßen
lag ich lange, und ich weinte so heftig, daß sich dessen ein Stein
erbarmen mußte. Auch schaute die Göttin mitleidig auf mich herab, doch
zugleich so trostlos, als wollte sie sagen: siehst du denn nicht, daß
ich keine Arme habe und also nicht helfen kann?
Ich breche hier ab, denn ich gerate in einen larmoyanten Ton, der
vielleicht überhandnehmen kann, wenn ich bedenke, daß ich jetzt auch
von Dir, teurer Leser, Abschied nehmen soll. Eine gewisse Rührung
beschleicht mich bei diesem Gedanken; denn ungern trenne ich mich von
Dir. Der Autor gewöhnt sich am Ende an sein Publikum, als wäre es ein
vernünftiges Wesen. Auch dich scheint es zu betrüben, daß ich Dir
Valet sagen muß; du bist gerührt, mein teurer Leser, und kostbare
Perlen fallen aus deinen Tränensäckchen. Doch beruhige Dich, wir
werden uns wiedersehen in einer besseren Welt, wo ich dir auch bessere
Bücher zu schreiben gedenke. Ich setze voraus, daß sich dort auch
meine Gesundheit bessert und daß mich Swedenborg nicht belogen hat.
Dieser erzählt nämlich mit großer Zuversicht, daß wir in der andern
Welt das alte Treiben, ganz wie wir es in dieser Welt getrieben, ruhig
fortsetzen, daß wir dort unsere Individualität unverändert bewahren
und daß der Tod in unserer organischen Entwickelung gar keine
sonderliche Störung hervorbringe. Swedenborg ist eine grundehrliche
Haut, und glaubwürdig sind seine Berichte über die andere Welt, wo er
mit eigenen Augen die Personen sah, die auf unserer Erde eine Rolle
gespielt. Die meisten, sagt er, blieben unverändert und beschäftigen
sich mit denselben Dingen, mit denen sie sich auch vormals
beschäftigt; sie blieben stationär, waren veraltet, rokoko, was
sich mitunter sehr lächerlich ausnahm. So z. B. unser teurer Doktor
Martinus Luther war stehen geblieben bei seiner Lehre von der
Gnade, über die er während dreihundert Jahren tagtäglich dieselben
verschimmelten Argumente niederschrieb - ganz in derselben Weise wie
der verstorbene Baron Eckstein, der während zwanzig Jahren in der
Allgemeinen Zeitung einen und denselben Artikel drucken ließ, den
alten jesuitischen Sauerteig beständig wiederkäuend. Aber, wie
gesagt, nicht alle Personen, die hienieden eine Rolle gespielt, fand
Swedenborg in solcher fossilen Erstarrung; sie hatten im Guten wie im
Bösen ihren Charakter weidlich ausgebildet in der anderen Welt, und da
gab es sehr wunderliche Erscheinungen. Helden und Heilige dieser Erde
waren dort zu Lumpen und Taugenichtsen herabgesunken, während auch das
Gegenteil stattfand. So z. B. stieg dem heiligen Antonius der Hochmut
in den Kopf, als er erfuhr, welche ungeheure Verehrung und Anbetung
ihm die ganze Christenheit zollt, und er, der hienieden den
furchtbarsten Versuchungen widerstanden, ward jetzt ein ganz
impertinenter Schlingel und liederlicher Galgenstrick, der sich mit
seinem Schweine um die Wette in den Kot wälzt. Die keusche Susanne
brachte der Dünkel ihrer Sittlichkeit, die sie unbesiegbar glaubte,
gar schmählich zu Falle, und sie, die einst den Greisen so glorreich
widerstanden, erlag der Verlockung des jungen Absalon, Sohn Davids.
Die Töchter Lots hingegen hatten sich im Verlauf der Zeit sehr
vertugendhaftet und gelten in der andern Welt für Muster der
Anständigkeit; der Alte verharrte leider bei der Weinflasche.
So närrisch sie auch klingen, so sind doch diese Nachrichten eben so
bedeutsam wie scharfsinnig. Der große skandinavische Seher begriff
die Einheit und Unteilbarkeit unserer Existenz, so wie er auch die
unveräußerlichen Individualitätsrechte des Menschen ganz richtig
erkannte und anerkannte. Die Fortdauer nach dem Tode ist bei ihm kein
idealer Mummenschanz, wo wir neue Jacken und einen neuen Menschen
anziehen; Mensch und Kostüm bleiben bei ihm unverändert. In der
anderen Welt des Swedenborg werden sich auch die armen Grönländer
behaglich fühlen, die einst, als die dänischen Missionäre sie bekehren
wollten, an diese die Frage richteten: ob es im christlichen Himmel
auch Seehunde gäbe? Auf die verneinende Antwort erwiderten sie
betrübt: der christliche Himmel passe alsdann nicht für Grönländer,
die nicht ohne Seehunde existieren könnten.
Wie sträubt sich unsere Seele gegen den Gedanken des Aufhörens unserer
Persönlichkeit, der ewigen Vernichtung! Der horror vacui, den man der
Natur zuschreibt, ist vielmehr dem menschlichen Gemüte angeboren. Sei
getrost, teurer Leser, es gibt eine Fortdauer nach dem Tode, und in
der anderen Welt werden wir auch unsere Seehunde wiederfinden.
Und nun, lebe wohl, und wenn ich Dir etwas schuldig bin, so schicke
mir Deine Rechnung. -
Geschrieben zu Paris,
den 30. September 1851. Heinrich Heine.
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