Romanzero - 5

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Und alles was sie spricht ist klug und sinnig;
Wie eine Rosenknospe ist der Mund.
Es ist nicht Liebesweh, was mich beschleichet,
Ich schwärme nicht, ich bleibe bei Verstand; -
Doch wunderbar ihr Wesen mich erweichet,
Und heimlich bebend küß ich ihre Hand.
Ich glaub, am Ende brach ich eine Lilje,
Die gab ich ihr und sprach ganz laut dabei:
Heirate mich und sei mein Weib, Ottilje,
Damit ich fromm wie du und glücklich sei.
Was sie zur Antwort gab, das weiß ich nimmer,
Denn ich erwachte jählings - und ich war
Wieder ein Kranker, der im Krankenzimmer
Trostlos daniederliegt seit manchem Jahr. - -
XVIII. Sie erlischt
Der Vorhang fällt, das Stück ist aus,
Und Herrn und Damen gehn nach Haus.
Ob ihnen auch das Stück gefallen?
Ich glaub, ich hörte Beifall schallen.
Ein hochverehrtes Publikum
Beklatschte dankbar seinen Dichter.
Jetzt aber ist das Haus so stumm,
Und sind verschwunden Lust und Lichter.
Doch horch! ein schollernd schnöder Klang
Ertönt unfern der öden Bühne; -
Vielleicht daß eine Saite sprang
An einer alten Violine.
Verdrießlich rascheln im Parterr
Etwelche Ratten hin und her,
Und Alles riecht nach ranzgem Öle.
Die letzte Lampe ächzt und zischt
Verzweiflungsvoll, und sie erlischt.
Das arme Licht war meine Seele.
XIX. Vermächtnis
Nun mein Leben geht zu End,
Mach ich auch mein Testament;
Christlich will ich drin bedenken
Meine Feinde mit Geschenken.
Diese würdgen, tugendfesten
Widersacher sollen erben
All mein Siechtum und Verderben,
Meine sämtlichen Gebresten.
Ich vermach euch die Koliken,
Die den Bauch wie Zangen zwicken,
Harnbeschwerden, die perfiden
Preußischen Hämorrhoiden.
Meine Krämpfe sollt ihr haben,
Speichelfluß und Gliederzucken,
Knochendarre in dem Rucken,
Lauter schöne Gottesgaben.
Kodizill zu dem Vermächtnis:
In Vergessenheit versenken
Soll der Herr eur Angedenken,
Er vertilge eur Gedächtnis.
XX. Enfant perdu
Verlorener Posten in dem Freiheitskriege,
Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus.
Ich kämpfe ohne Hoffnung, daß ich siege,
Ich wußte, nie komm ich gesund nach Haus.
Ich wachte Tag und Nacht - Ich konnt nicht schlafen,
Wie in dem Lagerzelt der Freunde Schar
(Auch hielt das laute Schnarchen dieser Braven
Mich wach, wenn ich ein bißchen schlummrig war).
In jenen Nächten hat Langweil ergriffen
Mich oft, auch Furcht - (nur Narren fürchten nichts) -
Sie zu verscheuchen, hab ich dann gepfiffen
Die frechen Reime eines Spottgedichts.
Ja, wachsam stand ich, das Gewehr im Arme,
Und nahte irgend ein verdächtger Gauch,
So schoß ich gut und jagt ihm eine warme,
Brühwarme Kugel in den schnöden Bauch.
Mitunter freilich mocht es sich ereignen,
Daß solch ein schlechter Gauch gleichfalls sehr gut
Zu schießen wußte - ach, ich kanns nicht leugnen -
Die Wunden klaffen - es verströmt mein Blut.
Ein Posten ist vakant! - Die Wunden klaffen -
Der Eine fällt, die Andern rücken nach -
Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen
Sind nicht gebrochen - Nur mein Herze brach.


Drittes Buch
Hebräische Melodien

O laß nicht ohne Lebensgenuß
Dein Leben verfließen!
Und bist du sicher vor dem Schuß,
So laß sie nur schießen.
Fliegt dir das Glück vorbei einmal,
So faß es am Zipfel.
Auch rat ich dir, baue dein Hüttchen im Tal
Und nicht auf dem Gipfel.

Prinzessin Sabbath
In Arabiens Märchenbuche
Sehen wir verwünschte Prinzen,
Die zu Zeiten ihre schöne
Urgestalt zurückgewinnen:
Das behaarte Ungeheuer
Ist ein Königsohn geworden;
Schmuckreich glänzend angekleidet,
Auch verliebt die Flöte blasend.
Doch die Zauberfrist zerrinnt,
Und wir schauen plötzlich wieder
Seine königliche Hoheit
In ein Ungetüm verzottelt.
Einen Prinzen solchen Schicksals
Singt mein Lied. Er ist geheißen
Israel. Ihn hat verwandelt
Hexenspruch in einen Hund.
Hund mit hündischen Gedanken,
Kötert er die ganze Woche
Durch des Lebens Kot und Kehricht,
Gassenbuben zum Gespötte.
Aber jeden Freitag Abend,
In der Dämmrungstunde, plötzlich
Weicht der Zauber, und der Hund
Wird aufs Neu ein menschlich Wesen.
Mensch mit menschlichen Gefühlen,
Mit erhobnem Haupt und Herzen,
Festlich, reinlich schier gekleidet,
Tritt er in des Vaters Halle.
»Sei gegrüßt, geliebte Halle
Meines königlichen Vaters!
Zelte Jakobs, eure heilgen
Eingangspfosten küßt mein Mund!«
Durch das Haus geheimnisvoll
Zieht ein Wispern und ein Weben,
Und der unsichtbare Hausherr
Atmet schaurig in der Stille.
Stille! Nur der Seneschall
(Vulgo Synagogendiener)
Springt geschäftig auf und nieder,
Um die Lampen anzuzünden.
Trostverheißend goldne Lichter,
Wie sie glänzen, wie sie glimmern!
Stolz aufflackern auch die Kerzen
Auf der Brüstung des Almemors.
Vor dem Schreine, der die Thora
Aufbewahret und verhängt ist
Mit der kostbar seidnen Decke,
Die von Edelsteinen funkelt -
Dort an seinem Betpultständer
Steht schon der Gemeindesänger;
Schmuckes Männchen, das sein schwarzes
Mäntelchen kokett geachselt.
Um die weiße Hand zu zeigen,
Haspelt er am Halse, seltsam
An die Schläf den Zeigefinger,
An die Kehl den Daumen drückend.
Trällert vor sich hin ganz leise,
Bis er endlich lautaufjubelnd
Seine Stimm erhebt und singt:
Lecho Daudi likras Kalle!
Lecho Daudi likras Kalle -
Komm, Geliebter, deiner harret
Schon die Braut, die dir entschleiert
Ihr verschämtes Angesicht!
Dieses hübsche Hochzeitkarmen
Ist gedichtet von dem großen,
Hochberühmten Minnesinger
Don Jehuda ben Halevy.
In dem Liede wird gefeiert
Die Vermählung Israels
Mit der Frau Prinzessin Sabbath,
Die man nennt die stille Fürstin.
Perl und Blume aller Schönheit
Ist die Fürstin. Schöner war
Nicht die Königin von Saba,
Salomonis Busenfreundin,
Die, ein Blaustrumpf Äthiopiens,
Durch Esprit brillieren wollte,
Und mit ihren klugen Rätseln
Auf die Länge fatigant ward.
Die Prinzessin Sabbath, welche
Ja die personifizierte
Ruhe ist, verabscheut alle
Geisteskämpfe und Debatten.
Gleich fatal ist ihr die trampelnd
Deklamierende Passion,
Jenes Pathos, das mit flatternd
Aufgelöstem Haar einherstürmt.
Sittsam birgt die stille Fürstin
In der Haube ihre Zöpfe;
Blickt so sanft wie die Gazelle,
Blüht so schlank wie eine Addas.
Sie erlaubt dem Liebsten alles,
Ausgenommen Tabakrauchen -
»Liebster! Rauchen ist verboten,
Weil es heute Sabbath ist.
»Dafür aber heute Mittag
Soll dir dampfen, zum Ersatz,
Ein Gericht, das wahrhaft göttlich -
Heute sollst du Schalet essen!«
Schalet, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium!
Also klänge Schillers Hochlied,
Hätt er Schalet je gekostet.
Schalet ist die Himmelspeise,
Die der liebe Herrgott selber
Einst den Moses kochen lehrte
Auf dem Berge Sinai,
Wo der Allerhöchste gleichfalls
All die guten Glaubenslehren
Und die heilgen zehn Gebote
Wetterleuchtend offenbarte.
Schalet ist des wahren Gottes
Koscheres Ambrosia,
Wonnebrot des Paradieses,
Und mit solcher Kost verglichen
Ist nur eitel Teufelsdreck
Das Ambrosia der falschen
Heidengötter Griechenlands,
Die verkappte Teufel waren.
Speist der Prinz von solcher Speise,
Glänzt sein Auge wie verkläret,
Und er knöpfet auf die Weste,
Und er spricht mit selgem Lächeln:
»Hör ich nicht den Jordan rauschen?
Sind das nicht die Brüßelbrunnen
In dem Palmental von Beth-El,
Wo gelagert die Kamele?
»Hör ich nicht die Herdenglöckchen?
Sind das nicht die fetten Hämmel,
Die vom Gileathgebirge
Abendlich der Hirt herabtreibt?«
Doch der schöne Tag verflittert;
Wie mit langen Schattenbeinen
Kommt geschritten der Verwünschung
Böse Stund - Es seufzt der Prinz.
Ist ihm doch als griffen eiskalt
Hexenfinger in sein Herze.
Schon durchrieseln ihn die Schauer
Hündischer Metamorphose.
Die Prinzessin reicht dem Prinzen
Ihre güldne Nardenbüchse.
Langsam riecht er - Will sich laben
Noch einmal an Wohlgerüchen.
Es kredenzet die Prinzessin
Auch den Abschiedstrunk dem Prinzen -
Hastig trinkt er, und im Becher
Bleiben wen'ge Tropfen nur.
Er besprengt damit den Tisch,
Nimmt alsdann ein kleines Wachslicht,
Und er tunkt es in die Nässe,
Daß es knistert und erlischt.

Jehuda ben Halevy
I
Lechzend klebe mir die Zunge
An dem Gaumen, und es welke
Meine rechte Hand, vergäß ich
Jemals dein, Jerusalem -«
Wort und Weise, unaufhörlich
Schwirren sie mir heut im Kopfe,
Und mir ist als hört ich Stimmen,
Psalmodierend, Männerstimmen -
Manchmal kommen auch zum Vorschein
Bärte, schattig lange Bärte -
Traumgestalten, wer von euch
Ist Jehuda ben Halevy?
Doch sie huschen rasch vorüber;
Die Gespenster scheuen furchtsam
Der Lebendgen plumpen Zuspruch -
Aber ihn hab ich erkannt -
Ich erkannt ihn an der bleichen
Und gedankenstolzen Stirne,
An der Augen süßer Starrheit -
Sahn mich an so schmerzlich forschend -
Doch zumeist erkannt ich ihn
An dem rätselhaften Lächeln
Jener schön gereimten Lippen,
Die man nur bei Dichtern findet.
Jahre kommen und verfließen.
Seit Jehuda ben Halevy
Ward geboren, sind verflossen
Siebenhundert funfzig Jahre -
Hat zuerst das Licht erblickt
Zu Toledo in Kastilien,
Und es hat der goldne Tajo
Ihm sein Wiegenlied gelullet.
Für Entwicklung seines Geistes
Sorgte früh der strenge Vater,
Der den Unterricht begann
Mit dem Gottesbuch, der Thora.
Diese las er mit dem Sohne
In dem Urtext, dessen schöne,
Hieroglyphisch pittoreske,
Altchaldäische Quadratschrift
Herstammt aus dem Kindesalter
Unsrer Welt, und auch deswegen
Jedem kindlichen Gemüte
So vertraut entgegenlacht.
Diesen echten alten Text
Rezitierte auch der Knabe
In der uralt hergebrachten
Singsangweise, Tropp geheißen -
Und er gurgelte gar lieblich
Jene fetten Gutturalen,
Und er schlug dabei den Triller,
Den Schalscheleth, wie ein Vogel.
Auch den Targum Onkelos,
Der geschrieben ist in jenem
Plattjudäischen Idiom,
Das wir Aramäisch nennen
Und zur Sprache der Propheten
Sich verhalten mag etwa
Wie das Schwäbische zum Deutschen -
Dieses Gelbveiglein-Hebräisch
Lernte gleichfalls früh der Knabe,
Und es kam ihm solche Kenntnis
Bald darauf sehr gut zu Statten
Bei dem Studium des Talmuds.
Ja, frühzeitig hat der Vater
Ihn geleitet zu dem Talmud,
Und da hat er ihm erschlossen
Die Halacha, diese große
Fechterschule, wo die besten
Dialektischen Athleten
Babylons und Pumpedithas
Ihre Kämpferspiele trieben.
Lernen konnte hier der Knabe
Alle Künste der Polemik;
Seine Meisterschaft bezeugte
Späterhin das Buch Cosari.
Doch der Himmel gießt herunter
Zwei verschiedne Sorten Lichtes:
Grelles Tageslicht der Sonne
Und das mildre Mondlicht - Also,
Also leuchtet auch der Talmud
Zwiefach, und man teilt ihn ein
In Halacha und Hagada.
Erstre nannt ich eine Fechtschul -
Letztre aber, die Hagada,
Will ich einen Garten nennen,
Einen Garten, hochphantastisch
Und vergleichbar jenem andern,
Welcher ebenfalls dem Boden
Babylons entsprossen weiland -
Garten der Semiramis,
Achtes Wunderwerk der Welt.
Königin Semiramis,
Die als Kind erzogen worden
Von den Vögeln, und gar manche
Vögeltümlichkeit bewahrte,
Wollte nicht auf platter Erde
Promenieren wie wir andern
Säugetiere, und sie pflanzte
Einen Garten in der Luft -
Hoch auf kolossalen Säulen
Prangten Palmen und Zypressen,
Goldorangen, Blumenbeete,
Marmorbilder, auch Springbrunnen,
Alles klug und fest verbunden
Durch unzählge Hängebrücken,
Die wie Schlingepflanzen aussahn
Und worauf sich Vögel wiegten -
Große, bunte, ernste Vögel,
Tiefe Denker, die nicht singen,
Während sie umflattert kleines
Zeisigvolk, das lustig trillert -
Alle atmen ein, beseligt,
Einen reinen Balsamduft,
Welcher unvermischt mit schnödem
Erdendunst und Mißgeruche.
Die Hagada ist ein Garten
Solcher Luftkindgrillenart,
Und der junge Talmudschüler,
Wenn sein Herze war bestäubet
Und betäubet vom Gezänke
Der Halacha, vom Dispute
Über das fatale Ei,
Das ein Huhn gelegt am Festtag,
Oder über eine Frage
Gleicher Importanz - der Knabe
Floh alsdann sich zu erfrischen
In die blühende Hagada,
Wo die schönen alten Sagen,
Engelmärchen und Legenden,
Stille Märtyrerhistorien,
Festgesänge, Weisheitsprüche,
Auch Hyperbeln, gar possierlich,
Alles aber glaubenskräftig,
Glaubensglühend - O, das glänzte,
Quoll und sproß so überschwenglich -
Und des Knaben edles Herze
Ward ergriffen von der wilden,
Abenteuerlichen Süße,
Von der wundersamen Schmerzlust
Und den fabelhaften Schauern
Jener seligen Geheimwelt,
Jener großen Offenbarung,
Die wir nennen Poesie.
Auch die Kunst der Poesie,
Heitres Wissen, holdes Können,
Welches wir die Dichtkunst heißen,
Tat sich auf dem Sinn des Knaben.
Und Jehuda ben Halevy
Ward nicht bloß ein Schriftgelehrter,
Sondern auch der Dichtkunst Meister,
Sondern auch ein großer Dichter.
Ja, er ward ein großer Dichter,
Stern und Fackel seiner Zeit,
Seines Volkes Licht und Leuchte,
Eine wunderbare, große
Feuersäule des Gesanges,
Die der Schmerzenskarawane
Israels vorangezogen
In der Wüste des Exils.
Rein und wahrhaft, sonder Makel
War sein Lied, wie seine Seele -
Als der Schöpfer sie erschaffen,
Diese Seele, selbstzufrieden
Küßte er die schöne Seele,
Und des Kusses holder Nachklang
Bebt in jedem Lied des Dichters,
Das geweiht durch diese Gnade.
Wie im Leben, so im Dichten
Ist das höchste Gut die Gnade -
Wer sie hat, der kann nicht sündgen
Nicht in Versen, noch in Prosa.
Solchen Dichter von der Gnade
Gottes nennen wir Genie:
Unverantwortlicher König
Des Gedankenreiches ist er.
Nur dem Gotte steht er Rede,
Nicht dem Volke - In der Kunst,
Wie im Leben, kann das Volk
Töten uns, doch niemals richten. -
II
Bei den Wassern Babels saßen
Wir und weinten, unsre Harfen
Lehnten an den Trauerweiden -
Kennst du noch das alte Lied?
Kennst du noch die alte Weise,
Die im Anfang so elegisch
Greint und sumset, wie ein Kessel,
Welcher auf dem Herde kocht?
Lange schon, jahrtausendlange
Kochts in mir. Ein dunkles Wehe!
Und die Zeit leckt meine Wunde,
Wie der Hund die Schwären Hiobs.
Dank dir, Hund, für deinen Speichel -
Doch das kann nur kühlend lindern -
Heilen kann mich nur der Tod,
Aber, ach, ich bin unsterblich!
Jahre kommen und vergehen -
In dem Webstuhl läuft geschäftig
Schnurrend hin und her die Spule -
Was er webt, das weiß kein Weber.
Jahre kommen und vergehen,
Menschentränen träufeln, rinnen
Auf die Erde, und die Erde
Saugt sie ein mit stiller Gier -
Tolle Sud! Der Deckel springt -
Heil dem Manne, dessen Hand
Deine junge Brut ergreifet
Und zerschmettert an der Felswand.
Gott sei Dank! die Sud verdampfet
In dem Kessel, der allmählig
Ganz verstummt. Es weicht mein Spleen,
Mein westöstlich dunkler Spleen -
Auch mein Flügelrößlein wiehert
Wieder heiter, scheint den bösen
Nachtalp von sich abzuschütteln,
Und die klugen Augen fragen:
Reiten wir zurück nach Spanien
Zu dem kleinen Talmudisten,
Der ein großer Dichter worden,
Zu Jehuda ben Halevy?
Ja, er ward ein großer Dichter,
Absoluter Traumweltsherrscher
Mit der Geisterkönigskrone,
Ein Poet von Gottes Gnade,
Der in heiligen Sirventen,
Madrigalen und Terzinen,
Kanzonetten und Ghaselen
Ausgegossen alle Flammen
Seiner gottgeküßten Seele!
Wahrlich ebenbürtig war
Dieser Troubadour den besten
Lautenschlägern der Provence,
Poitous und der Guienne,
Roussillons und aller andern
Süßen Pomeranzenlande
Der galanten Christenheit.
Der galanten Christenheit
Süße Pomeranzenlande!
Wie sie duften, glänzen, klingen
In dem Zwielicht der Erinnrung!
Schöne Nachtigallenwelt!
Wo man statt des wahren Gottes
Nur den falschen Gott der Liebe
Und der Musen angebeten.
Clerici mit Rosenkränzen
Auf der Glatze sangen Psalmen
In der heitern Sprache d'oc;
Und die Laien, edle Ritter,
Stolz auf hohen Rossen trabend,
Spintisierten Vers und Reime
Zur Verherrlichung der Dame,
Der ihr Herze fröhlich diente.
Ohne Dame keine Minne,
Und es war dem Minnesänger
Unentbehrlich eine Dame,
Wie dem Butterbrot die Butter.
Auch der Held, den wir besingen,
Auch Jehuda ben Halevy
Hatte seine Herzensdame;
Doch sie war besondrer Art.
Sie war keine Laura, deren
Augen, sterbliche Gestirne,
In dem Dome am Karfreitag
Den berühmten Brand gestiftet -
Sie war keine Chatelaine,
Die im Blütenschmuck der Jugend
Bei Turnieren präsidierte
Und den Lorbeerkranz erteilte -
Keine Kußrechtskasuistin
War sie, keine Doktrinärrin,
Die im Spruchkollegium
Eines Minnehofs dozierte -
Jene, die der Rabbi liebte,
War ein traurig armes Liebchen,
Der Zerstörung Jammerbildnis,
Und sie hieß Jerusalem.
Schon in frühen Kindestagen
War sie seine ganze Liebe;
Sein Gemüte machte beben
Schon das Wort Jerusalem.
Purpurflamme auf der Wange,
Stand der Knabe, und er horchte,
Wenn ein Pilger nach Toledo
Kam aus fernem Morgenlande
Und erzählte: wie verödet
Und verunreint jetzt die Stätte,
Wo am Boden noch die Lichtspur
Von dem Fuße der Propheten -
Wo die Luft noch balsamieret
Von dem ewgen Odem Gottes -
O des Jammeranblicks! rief
Einst ein Pilger, dessen Bart
Silberweiß hinabfloß, während
Sich das Barthaar an der Spitze
Wieder schwärzte und es aussah,
Als ob sich der Bart verjünge -
Ein gar wunderlicher Pilger
Mocht es sein, die Augen lugten
Wie aus tausendjährgem Trübsinn,
Und er seufzt': »Jerusalem!
»Sie, die volkreich heilge Stadt
Ist zur Wüstenei geworden,
Wo Waldteufel, Werwolf, Schakal
Ihr verruchtes Wesen treiben -
»Schlangen, Nachtgevögel nisten
Im verwitterten Gemäuer;
Aus des Fensters luftgem Bogen
Schaut der Fuchs mit Wohlbehagen.
»Hier und da taucht auf zuweilen
Ein zerlumpter Knecht der Wüste,
Der sein höckriges Kamel
In dem hohen Grase weidet.
»Auf der edlen Höhe Zions,
Wo die goldne Feste ragte,
Deren Herrlichkeiten zeugten
Von der Pracht des großen Königs:
»Dort, von Unkraut überwuchert,
Liegen nur noch graue Trümmer,
Die uns ansehn schmerzhaft traurig,
Daß man glauben muß, sie weinten.
»Und es heißt, sie weinten wirklich
Einmal in dem Jahr, an jenem
Neunten Tag des Monats Ab -
Und mit tränend eignen Augen
»Schaute ich die dicken Tropfen
Aus den großen Steinen sickern,
Und ich hörte weheklagen
Die gebrochnen Tempelsäulen.« - -
Solche fromme Pilgersagen
Weckten in der jungen Brust
Des Jehuda ben Halevy
Sehnsucht nach Jerusalem.
Dichtersehnsucht! ahnend, träumend
Und fatal war sie, wie jene,
Die auf seinem Schloß zu Blaye
Einst empfand der alte Vidam,
Messer Geoffroi Rudello,
Als die Ritter, die zurück
Aus dem Morgenlande kehrten,
Laut beim Becherklang beteuert:
Ausbund aller Huld und Züchten,
Perl und Blume aller Frauen,
Sei die schöne Melisande,
Markgräfin von Tripolis.
Jeder weiß, für diese Dame
Schwärmte jetzt der Troubadour;
Er besang sie, und es wurde
Ihm zu eng im Schlosse Blaye.
Und es trieb ihn fort. Zu Cette
Schiffte er sich ein, erkrankte
Aber auf dem Meer, und sterbend
Kam er an zu Tripolis.
Hier erblickt er Melisanden
Endlich auch mit Leibesaugen,
Die jedoch des Todes Schatten
In derselben Stunde deckten.
Seinen letzten Liebessang
Singend, starb er zu den Füßen
Seiner Dame Melisande,
Markgräfin von Tripolis.
Wunderbare Ähnlichkeit
In dem Schicksal beider Dichter!
Nur daß jener erst im Alter
Seine große Wallfahrt antrat.
Auch Jehuda ben Halevy
Starb zu Füßen seiner Liebsten,
Und sein sterbend Haupt, es ruhte
Auf den Knien Jerusalems.
III
Nach der Schlacht bei Arabella
Hat der große Alexander
Land und Leute des Darius,
Hof und Harem, Pferde, Weiber,
Elefanten und Dariken,
Kron und Szepter, goldnen Plunder,
Eingesteckt in seine weiten
Mazedonschen Pluderhosen.
In dem Zelt des großen Königs,
Der entflohn, um nicht höchstselbst
Gleichfalls eingesteckt zu werden,
Fand der junge Held ein Kästchen,
Eine kleine güldne Truhe,
Mit Miniaturbildwerken
Und mit inkrustierten Steinen
Und Kameen reich geschmückt -
Dieses Kästchen, selbst ein Kleinod
Unschätzbaren Wertes, diente
Zur Bewahrung von Kleinodien,
Des Monarchen Leibjuwelen.
Letztre schenkte Alexander
An die Tapfern seines Heeres
Darob lächelnd, daß sich Männer
Kindisch freun an bunten Steinchen.
Eine kostbar schönste Gemme
Schickte er der lieben Mutter;
War der Siegelring des Cyrus,
Wurde jetzt zu einer Brosche.
Seinem alten Weltarschpauker
Aristoteles, dem sandt er
Einen Onyx für sein großes
Naturalienkabinett.
In dem Kästchen waren Perlen,
Eine wunderbare Schnur,
Die der Königin Atossa
Einst geschenkt der falsche Smerdis -
Doch die Perlen waren echt -
Und der heitre Sieger gab sie
Einer schönen Tänzerin
Aus Korinth, mit Namen Thais.
Diese trug sie in den Haaren,
Die bacchantisch aufgelöst,
In der Brandnacht, als sie tanzte
Zu Persepolis und frech
In die Königsburg geschleudert
Ihre Fackel, daß laut prasselnd
Bald die Flammenlohe aufschlug,
Wie ein Feuerwerk zum Feste.
Nach dem Tod der schönen Thais,
Die an einer babylonschen
Krankheit starb zu Babylon,
Wurden ihre Perlen dort
Auf dem Börsensaal vergantert.
Sie erstand ein Pfaff aus Memphis,
Der sie nach Ägypten brachte,
Wo sie später auf dem Putztisch
Der Kleopatra erschienen,
Die die schönste Perl zerstampft
Und mit Wein vermischt verschluckte,
Um Antonius zu foppen.
Mit dem letzten Omayaden
Kam die Perlenschnur nach Spanien,
Und sie schlängelte am Turban
Des Chalifen zu Corduba.
Abderam der Dritte trug sie
Als Brustschleife beim Turnier,
Wo er dreißig goldne Ringe
Und das Herz Zuleimas stach.
Nach dem Fall der Mohrenherrschaft
Gingen zu den Christen über
Auch die Perlen, und gerieten
In den Kronschatz von Kastilien.
Die katholischen Majestäten
Spanscher Königinnen schmückten
Sich damit bei Hoffestspielen,
Stiergefechten, Prozessionen,
So wie auch Autodafés,
Wo sie, auf Balkonen sitzend,
Sich erquickten am Geruche
Von gebratnen alten Juden.
Späterhin gab Mendizabel,
Satansenkel, diese Perlen
In Versatz, um der Finanzen
Defizit damit zu decken.
An dem Hof der Tuilerien
Kam die Schnur zuletzt zum Vorschein,
Und sie schimmerte am Halse
Der Baronin Salomon.
So ergings den schönen Perlen.
Minder abenteuerlich
Gings dem Kästchen, dies behielt
Alexander für sich selber.
Er verschloß darin die Lieder
Des ambrosischen Homeros,
Seines Lieblings, und zu Häupten
Seines Bettes in der Nacht
Stand das Kästchen - Schlief der König,
Stiegen draus hervor der Helden
Lichte Bilder, und sie schlichen
Gaukelnd sich in seine Träume.
Andre Zeiten, andre Vögel -
Ich, ich liebte weiland gleichfalls
Die Gesänge von den Taten
Des Peliden, des Odysseus.
Damals war so sonnengoldig
Und so purpurn mir zu Mute,
Meine Stirn umkränzte Weinlaub,
Und es tönten die Fanfaren -
Still davon - gebrochen liegt
Jetzt mein stolzer Siegeswagen,
Und die Panther, die ihn zogen,
Sind verreckt, so wie die Weiber,
Die mit Pauk und Zimbelklängen
Mich umtanzten, und ich selbst
Wälze mich am Boden elend,
Krüppelelend - still davon -
Still davon - es ist die Rede
Von dem Kästchen des Darius,
Und ich dacht in meinem Sinne:
Käm ich in Besitz des Kästchens,
Und mich zwänge nicht Finanznot
Gleich dasselbe zu versilbern,
So verschlösse ich darin
Die Gedichte unsres Rabbi -
Des Jehuda ben Halevy
Festgesänge, Klagelieder,
Die Ghaselen, Reisebilder
Seiner Wallfahrt - alles ließ ich
Von dem besten Zophar schreiben
Auf der reinsten Pergamenthaut,
Und ich legte diese Handschrift
In das kleine goldne Kästchen.
Dieses stellt ich auf den Tisch
Neben meinem Bett, und kämen
Dann die Freunde und erstaunten
Ob der Pracht der kleinen Truhe,
Ob den seltnen Basrelieffen,
Die so winzig, doch vollendet
Sind zugleich, und ob den großen
Inkrustierten Edelsteinen -
Lächelnd würd ich ihnen sagen:
Das ist nur die rohe Schale,
Die den bessern Schatz verschließet -
Hier in diesem Kästchen liegen
Diamanten, deren Lichter
Abglanz, Widerschein des Himmels,
Herzblutglühende Rubinen,
Fleckenlose Turkoasen,
Auch Smaragde der Verheißung,
Perlen, reiner noch als jene,
Die der Königin Atossa
Einst geschenkt der falsche Smerdis,
Und die späterhin geschmücket
Alle Notabilitäten
Dieser mondumkreisten Erde,
Thais und Kleopatra,
Isispriester, Mohrenfürsten,
Auch Hispaniens Königinnen,
Und zuletzt die hochverehrte
Frau Baronin Salomon -
Diese weltberühmten Perlen,
Sie sind nur der bleiche Schleim
Eines armen Austertiers,
Das im Meergrund blöde kränkelt:
Doch die Perlen hier im Kästchen
Sind entquollen einer schönen
Menschenseele, die noch tiefer,
Abgrundtiefer als das Weltmeer -
Denn es sind die Tränenperlen
Des Jehuda ben Halevy,
Die er ob dem Untergang
Von Jerusalem geweinet -
Perlentränen, die verbunden
Durch des Reimes goldnen Faden,
Aus der Dichtkunst güldnen Schmiede
Als ein Lied hervorgegangen.
Dieses Perlentränenlied
Ist die vielberühmte Klage,
Die gesungen wird in allen
Weltzerstreuten Zelten Jakobs
An dem neunten Tag des Monats,
Der geheißen Ab, dem Jahrstag
Von Jerusalems Zerstörung
Durch den Titus Vespasianus.
Ja, das ist das Zionslied,
Das Jehuda ben Halevy
Sterbend auf den heilgen Trümmern
Von Jerusalem gesungen -
Barfuß und im Büßerkittel
Saß er dorten auf dem Bruchstück
Einer umgestürzten Säule; -
Bis zur Brust herunter fiel
Wie ein greiser Wald sein Haupthaar,
Abenteuerlich beschattend
Das bekümmert bleiche Antlitz
Mit den geisterhaften Augen -
Also saß er und er sang,
Wie ein Seher aus der Vorzeit
Anzuschaun - dem Grab entstiegen
Schien Jeremias, der Alte -
Das Gevögel der Ruinen
Zähmte schier der wilde Schmerzlaut
Des Gesanges, und die Geier
Nahten horchend, fast mitleidig -
Doch ein frecher Sarazene
Kam desselben Wegs geritten,
Hoch zu Roß, im Bug sich wiegend
Und die blanke Lanze schwingend -
In die Brust des armen Sängers
Stieß er diesen Todesspeer,
Und er jagte rasch von dannen,
Wie ein Schattenbild beflügelt.
Ruhig floß das Blut des Rabbi,
Ruhig seinen Sang zu Ende
Sang er, und sein sterbeletzter
Seufzer war Jerusalem! - -
Eine alte Sage meldet,
Jener Sarazene sei
Gar kein böser Mensch gewesen,
Sondern ein verkappter Engel,
Der vom Himmel ward gesendet,
Gottes Liebling zu entrücken
Dieser Erde und zu fördern
Ohne Qual ins Reich der Selgen.
Droben, heißt es, harrte seiner
Ein Empfang, der schmeichelhaft
Ganz besonders für den Dichter,
Eine himmlische Sürprise.
Festlich kam das Chor der Engel
Ihm entgegen mit Musik,
Und als Hymne grüßten ihn
Seine eignen Verse, jenes
Synagogen-Hochzeitkarmen,
Jene Sabbathhymenäen,
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