Phänomenologie des Geistes - 01
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Phänomenologie des Geistes
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(1807)
Dieser Band stellt das _werdende Wissen_ dar. Die PhÄnomenologie des
Geistes soll an die Stelle der psychologischen Erklärungen oder auch
der abstraktem ErÖrterungen Über die Begründung des Wissens treten.
Sie betrachtet die _Vorbereitung_ zur Wissenschaft aus einem
Gesichtspunkte, wodurch sie eine neue, interessante, und die erste
Wissenschaft der Philosophie ist. Sie faßt die verschiedenen
_Gestalten des Geistes_ als Stationen des Weges in sich, durch
welchen er reines Wissen oder absoluter Geist wird. Es wird daher in
den Hauptabteilungen dieser Wissenschaft, die wieder in mehrere
zerfallen, das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein, die beobachtende und
handelnde Vernunft, der Geist selbst, als sittlicher, gebildeter und
moralischer Geist, und endlich als religiöser in seinen
unterschiedenen Formen betrachtet. Der dem ersten Blicke sich als
Chaos darbietende Reichtum der Erscheinungen des Geistes ist in eine
wissenschaftliche Ordnung gebracht, welche sie nach ihrer
Notwendigkeit darstellt, in der die unvollkommnen sich auflösen und
in höhere übergehen, welche ihre nächste Wahrheit sind. Die letzte
Wahrheit finden sie zunächst in der Religion, und dann in der
Wissenschaft, als dem Resultate des Ganzen.
Inhalt:
Vorrede
Einleitung
I. Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meinen
II. Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung
III. Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt
IV. Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst
A. Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und
Knechtschaft
B. Freiheit des Selbstbewußtseins; Stoizismus, Skeptizismus und das
unglückliche Bewußtsein
V. Gewißheit und Wahrheit der Vernunft
A. Beobachtende Vernunft
a. Beobachtung der Natur
b. Die Beobachtung des Selbstbewußtseins in seiner Reinheit und
seiner Beziehung auf äußre Wirklichkeit; logische und
psychologische Gesetze
c. Beobachtung der Beziehung des Selbstbewußtseins auf seine
unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre
B. Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich
selbst
a. Die Lust und die Notwendigkeit
b. Das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels
c. Die Tugend und der Weltlauf
C. Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist
a. Das geistige Tierreich und der Betrug, oder die Sache selbst
b. Die gesetzgebende Vernunft
c. Gesetzprüfende Vernunft
VI. Der Geist
A. Der wahre Geist, die Sittlichkeit
a. Die sittliche Welt, das menschliche und göttliche Gesetz,
der Mann und das Weib
b. Die sittliche Handlung, das menschliche und göttliche Wissen, die
Schuld und das Schicksal
c. Rechtszustand
B. Der sich entfremdete Geist; die Bildung
I. Die Welt des sich entfremdeten Geistes
a. Die Bildung und ihr Reich der Wirklichkeit
b. Der Glauben und die reine Einsicht
II. Die Aufklärung
a. Der Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben
b. Die Wahrheit der Aufklärung
III. Die absolute Freiheit und der Schrecken
C.Der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität
a. Die moralische Weltanschauung
b. Die Verstellung
c. Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung
VII. Die Religion
A. Natürliche Religion
a. Das Lichtwesen
b. Die Pflanze und das Tier
c. Der Werkmeister
B. Die Kunst-Religion
a. Das abstrakte Kunstwerk
b. Das lebendige Kunstwerk
c. Das geistige Kunstwerk
C. Die offenbare Religion
VIII. Das absolute Wissen
Vorrede
Eine ErklÄrung, wie sie einer Schrift in einer Vorrede nach der
Gewohnheit vorausgeschickt wird--Über den Zweck, den der Verfasser
sich in ihr vorgesetzt, sowie über die Veranlassungen und das
Verhältnis, worin er sie zu andern frühern oder gleichzeitigen
Behandlungen desselben Gegenstandes zu stehen glaubt--scheint bei
einer philosophischen Schrift nicht nur überflüssig, sondern um der
Natur der Sache willen sogar unpassend und zweckwidrig zu sein. Denn
wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen schicklich
wäre--etwa eine historische _Angabe_ der Tendenz und des Standpunkts,
des allgemeinen Inhalts und der Resultate, eine Verbindung von hin
und her sprechenden Behauptungen und Versicherungen über das Wahre--,
kann nicht für die Art und Weise gelten, in der die philosophische
Wahrheit darzustellen sei.--Auch weil die Philosophie wesentlich im
Elemente der Allgemeinheit ist, die das Besondere in sich schließt,
so findet bei ihr mehr als bei andern Wissenschaften der Schein statt,
als ob in dem Zwecke oder den letzten Resultaten die Sache selbst
und sogar in ihrem vollkommenen Wesen ausgedrückt wäre, gegen welches
die Ausführung eigentlich das Unwesentliche sei. In der allgemeinen
Vorstellung hingegen, zum Beispiel was Anatomie sei, etwa die
Kenntnis der Teile des KÖrpers nach ihrem unlebendigen Dasein
betrachtet, ist man überzeugt, die Sache selbst, den Inhalt dieser
Wissenschaft, noch nicht zu besitzen, sondern außerdem um das
Besondere sich bemühen zu müssen.--Ferner ist bei einem solchen
Aggregate von Kenntnissen, das den Namen Wissenschaft nicht mit Recht
führt, eine Konversation über Zweck und dergleichen Allgemeinheiten
nicht von der historischen und begrifflosen Weise verschieden, worin
von dem Inhalte selbst, diesen Nerven, Muskeln und so fort,
gesprochen wird. Bei der Philosophie hingegen würde die Ungleichheit
entstehen, daß von einer solchen Weise Gebrauch gemacht, und diese
doch von ihr selbst als unfähig, die Wahrheit zu fassen, aufgezeigt
würde.
So wird auch durch die Bestimmung des Verhältnisses, das ein
philosophisches Werk zu andern Bestrebungen über denselben Gegenstand
zu haben glaubt, ein fremdartiges Interesse hereingezogen, und das,
worauf es bei der Erkenntnis der Wahrheit ankommt, verdunkelt. So
fest der Meinung der Gegensatz des Wahren und des Falschen wird, so
pflegt sie auch entweder Beistimmung oder Widerspruch gegen ein
vorhandenes philosophisches System zu erwarten, und in einer
Erklärung über ein solches nur entweder das eine oder das andre zu
sehen. Sie begreift die Verschiedenheit philosophischer Systeme
nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als
sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht. Die Knospe
verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen,
daß jene von dieser widerlegt wird, ebenso wird durch die Frucht die
Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre
Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen
unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als
unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie
zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht
nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist,
und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.
Aber der Widerspruch gegen ein philosophisches System pflegt teils
sich selbst nicht auf diese Weise zu begreifen, teils auch weiß das
auffassende Bewußtsein gemeinhin nicht, ihn von seiner Einseitigkeit
zu befreien oder frei zu erhalten, und in der Gestalt des streitend
und sich zuwider Scheinenden gegenseitig notwendige Momente zu
erkennen.
Die Foderung von dergleichen Erklärungen sowie die Befriedigungen
derselben scheinen vielleicht das Wesentliche zu betreiben. Worin
könnte mehr das Innere einer philosophischen Schrift ausgesprochen
sein als in den Zwecken und Resultaten derselben, und wodurch diese
bestimmter erkannt werden als durch ihre Verschiedenheit von dem, was
das Zeitalter sonst in derselben Sphäre hervorbringt? Wenn aber ein
solches Tun für mehr als für den Anfang des Erkennens, wenn es für
das wirkliche Erkennen gelten soll, ist es in der Tat zu den
Erfindungen zu rechnen, die Sache selbst zu umgehen, und dieses
beides zu verbinden, den Anschein des Ernstes und Bemühens um sie,
und die wirkliche Ersparung desselben.--Denn die Sache ist nicht in
ihrem _Zwecke_ erschöpft, sondern in ihrer _Ausführung_, noch ist das
_Resultat_ das _wirkliche_ Ganze, sondern es zusammen mit seinem
Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die
Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und
das nackte Resultat ist der Leichnam, der sie hinter sich gelassen.
--Ebenso ist die _Verschiedenheit_ vielmehr die _Grenze_ der Sache;
sie ist da, wo die Sache aufhört, oder sie ist das, was diese nicht
ist. Solche Bemühungen mit dem Zwecke oder den Resultaten, sowie mit
den Verschiedenheiten und Beurteilungen des einen und des andern,
sind daher eine leichtere Arbeit, als sie vielleicht scheinen. Denn
statt mit der Sache sich zu befassen, ist solches Tun immer über sie
hinaus, statt in ihr zu verweilen und sich in ihr zu vergessen,
greift solches Wissen immer nach einem Andern, und bleibt vielmehr
bei sich selbst, als daß es bei der Sache ist und sich ihr hingibt.
--Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen,
schwerer, es zu fassen, das schwerste, was beides vereinigt, seine
Darstellung hervorzubringen.
Der Anfang der Bildung und des Herausarbeitens aus der
Unmittelbarkeit des substantiellen Lebens wird immer damit gemacht
werden müssen, Kenntnisse allgemeiner Grundsätze und Gesichtspunkte
zu erwerben, sich nur erst zu dem Gedanken der Sache überhaupt
heraufzuarbeiten, nicht weniger sie mit Gründen zu unterstützen oder
zu widerlegen, die konkrete und reiche Fülle nach Bestimmtheiten
aufzufassen, und ordentlichen Bescheid und ernsthaftes Urteil über
sie zu erteilen zu wissen. Dieser Anfang der Bildung wird aber
zunächst dem Ernste des erfüllten Lebens Platz machen, der in die
Erfahrung der Sache selbst hineinführt, und wenn auch dies noch
hinzukommt, daß der Ernst des Begriffs in ihre Tiefe steigt, so wird
eine solche Kenntnis und Beurteilung in der Konversation ihre
schickliche Stelle behalten.
Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das
wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß
die Philosophie der Form der Wissenschaft näher komme--dem Ziele,
ihren Namen der _Liebe_ zum _Wissen_ ablegen zu können und
_wirkliches Wissen_ zu sein--, ist es, was ich mir vorgesetzt. Die
innere Notwendigkeit, daß das Wissen Wissenschaft sei, liegt in
seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die
Darstellung der Philosophie selbst. Die äußere Notwendigkeit aber,
insofern sie, abgesehen von der Zufälligkeit der Person und der
individuellen Veranlassungen, auf eine allgemeine Weise gefaßt wird,
ist dasselbe, was die innere, in der Gestalt, wie die Zeit das Dasein
ihrer Momente vorstellt. Daß die Erhebung der Philosophie zur
Wissenschaft an der Zeit ist, dies aufzuzeigen würde daher die einzig
wahre Rechtfertigung der Versuche sein, die diesen Zweck haben, weil
sie die Notwendigkeit desselben dartun, ja weil sie ihn zugleich
ausführen würde.
Indem die wahre Gestalt der Wahrheit in die Wissenschaftlichkeit
gesetzt wird--oder, was dasselbe ist, indem die Wahrheit behauptet
wird, an dem _Begriffe_ allein das Element ihrer Existenz zu haben--,
so weiß ich, daß dies im Widerspruch mit einer Vorstellung und deren
Folgen zu stehen scheint, welche eine so große Anmaßung als
Ausbreitung in der Überzeugung des Zeitalters hat. Eine Erklärung
über diesen Widerspruch scheint darum nicht überflüssig; wenn sie
auch hier weiter nichts als gleichfalls eine Versicherung, wie das,
gegen was sie geht, sein kann. Wenn nämlich das Wahre nur in
demjenigen oder vielmehr nur als dasjenige existiert, was bald
Anschauung, bald unmittelbares Wissen des Absoluten, Religion, das
Sein--nicht im Zentrum der göttlichen Liebe, sondern das Sein
desselben selbst--genannt wird, so wird von da aus zugleich für die
Darstellung der Philosophie vielmehr das Gegenteil der Form des
Begriffs gefodert. Das Absolute soll nicht begriffen, sondern
gefühlt und angeschaut, nicht sein Begriff, sondern sein Gefühl und
Anschauung sollen das Wort führen und ausgesprochen werden.
Wird die Erscheinung einer solchen Foderung nach ihrem allgemeinem
Zusammenhange aufgefaßt, und auf die Stufe gesehen, worauf der
selbstbewußte Geist gegenwärtig steht, so ist er über das
substantielle Leben, das er sonst im Elemente des Gedankens führte,
hinaus,--über diese Unmittelbarkeit seines Glaubens, über die
Befriedigung und Sicherheit der Gewißheit, welche das Bewußtsein von
seiner Versöhnung mit dem Wesen und dessen allgemeiner, der innern
und äußern, Gegenwart besaß. Er ist nicht nur darüber hinausgegangen,
in das andere Extrem der substanzlosen Reflexion seiner in sich
selbst, sondern auch über diese. Sein wesentliches Leben ist ihm
nicht nur verloren, er ist auch dieses Verlustes, und der Endlichkeit,
die sein Inhalt ist, bewußt. Von den Trebern sich wegwendend, daß
er im Argen liegt, bekennend und darauf schmähend, verlangt er nun
von der Philosophie nicht sowohl das _Wissen_ dessen, was er _ist_,
als zur Herstellung jener Substantialität und der Gediegenheit des
Seins erst wieder durch sie zu gelangen. Diesem Bedürfnisse soll sie
also nicht so sehr die Verschlossenheit der Substanz aufschließen,
und diese zum Selbstbewußtsein erheben--nicht so sehr ihr chaotisches
Bewußtsein zur gedachten Ordnung und zur Einfachheit des Begriffes
zurückbringen, als vielmehr die Sonderungen des Gedankens
zusammenschütten, den unterscheidenden Begriff unterdrücken und das
Gefühl des Wesens herstellen, nicht sowohl _Einsicht_ als _Erbauung_
gewähren. Das Schöne, Heilige, Ewige, die Religion und Liebe sind
der Köder, der gefodert wird, um die Lust zum Anbeißen zu erwecken,
nicht der Begriff, sondern die Ekstase, nicht die kalt
fortschreitende Notwendigkeit der Sache, sondern die gärende
Begeisterung soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des
Reichtums der Substanz sein.
Dieser Foderung entspricht die angestrengte und fast eifernd und
gereizt sich zeigende Bemühung, die Menschen aus der Versunkenheit
ins Sinnliche, Gemeine und Einzelne herauszureißen und ihren Blick zu
den Sternen aufzurichten; als ob sie, des Göttlichen ganz vergessend,
mit Staub und Wasser, wie der Wurm, auf dem Punkte sich zu
befriedigen stünden. Sonst hatten sie einen Himmel mit weitläufigem
Reichtume von Gedanken und Bildern ausgestattet. Von allem, was ist,
lag die Bedeutung in dem Lichtfaden, durch den es an den Himmel
geknüpft war; an ihm, statt in _dieser_ Gegenwart zu verweilen, glitt
der Blick über sie hinaus, zum göttlichen Wesen, zu einer, wenn man
so sagen kann, jenseitigen Gegenwart hinauf. Das Auge des Geistes
mußte mit Zwang auf das Irdische gerichtet und bei ihm festgehalten
werden; und es hat einer langen Zeit bedurft, jene Klarheit, die nur
das Überirdische hatte, in die Dumpfheit und Verworrenheit, worin der
Sinn des Diesseitigen lag, hineinzuarbeiten, und die Aufmerksamkeit
auf das Gegenwärtige als solches, welche _Erfahrung_ genannt wurde,
interessant und geltend zu machen.--Jetzt scheint die Not des
Gegenteils vorhanden, der Sinn so sehr in das Irdische festgewurzelt,
daß es gleicher Gewalt bedarf, ihn darüber zu erheben. Der Geist
zeigt sich so arm, daß er sich, wie in der Sandwüste der Wanderer
nach einem einfachen Trunk Wasser, nur nach dem dürftigen Gefühle des
Göttlichen überhaupt für seine Erquickung zu sehnen scheint. An
diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu
ermessen.
Diese Genügsamkeit des Empfangens oder Sparsamkeit des Gebens ziemt
jedoch der Wissenschaft nicht. Wer nur die Erbauung sucht, wer seine
irdische Mannigfaltigkeit des Daseins und des Gedankens in Nebel
einzuhüllen und nach dem unbestimmten Genusse dieser unbestimmten
Göttlichkeit verlangt, mag zusehen, wo er dies findet; er wird leicht
selbst sich etwas vorzuschwärmen und damit sich aufzuspreizen die
Mittel finden. Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein
zu wollen.
Noch weniger muß diese Genügsamkeit, die auf die Wissenschaft
Verzicht tut, darauf Anspruch machen, daß solche Begeisterung und
Trübheit etwas Höheres sei als die Wissenschaft. Dieses prophetische
Reden meint gerade so recht im Mittelpunkte und der Tiefe zu bleiben,
blickt verächtlich auf die Bestimmtheit (den *Horos*) und hält sich
absichtlich von dem Begriffe und der Notwendigkeit entfernt, als von
der Reflexion, die nur in der Endlichkeit hause. Wie es aber eine
leere Breite gibt, so auch eine leere Tiefe, wie eine Extension der
Substanz, die sich in endliche Mannigfaltigkeit ergießt, ohne Kraft,
sie zusammenzuhalten--so ist dies eine gehaltlose Intensität, welche
als lautere Kraft ohne Ausbreitung sich haltend, dasselbe ist, was
die Oberflächlichkeit. Die Kraft des Geistes ist nur so groß als
ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung
sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut.--Zugleich wenn dies
begrifflose substantielle Wissen die Eigenheit des Selbsts in dem
Wesen versenkt zu haben und wahr und heilig zu philosophieren vorgibt,
so verbirgt es sich, daß es, statt dem Gotte ergeben zu sein, durch
die Verschmähung des Maßes und der Bestimmung vielmehr nur bald in
sich selbst die Zufälligkeit des Inhalts, bald in ihm die eigne
Willkür gewähren läßt.--Indem sie sich dem ungebändigten Gären der
Substanz überlassen, meinen sie, durch die Einhüllung des
Selbstbewußtseins und Aufgeben des Verstands, die _Seinen_ zu sein,
denen Gott die Weisheit im Schlafe gibt; was sie so in der Tat im
Schlafe empfangen und gebären, sind darum auch Träume.
Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, daß unsre Zeit eine Zeit der
Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat
mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und
steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in
der Arbeit seiner Umgestaltung. Zwar ist er nie in Ruhe, sondern in
immer fortschreitender Bewegung begriffen. Aber wie beim Kinde nach
langer stiller Ernährung der erste Atemzug jene Allmählichkeit des
nur vermehrenden Fortgangs abbricht--ein qualitativer Sprung--und
itzt das Kind geboren ist, so reift der sich bildende Geist langsam
und stille der neuen Gestalt entgegen, löst ein Teilchen des Baues
seiner vorgehenden *Welt* nach dem andern auf, ihr Wanken wird nur
durch einzelne Symptome angedeutet; der Leichtsinn wie die Langeweile,
die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahnung eines
Unbekannten sind Vorboten, daß etwas anderes im Anzuge ist. Dies
allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht
veränderte, wird durch den Aufgang unterbrochen, der, ein Blitz, in
einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt.
Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat dies Neue sowenig als das
eben geborne Kind; und dies ist wesentlich nicht außer acht zu lassen.
Das erste Auftreten ist erst seine Unmittelbarkeit oder sein
Begriff. Sowenig ein Gebäude fertig ist, wenn sein Grund gelegt
worden, sowenig ist der erreichte Begriff des Ganzen das Ganze selbst.
Wo wir eine Eiche in der Kraft ihres Stammes und in der Ausbreitung
ihrer Äste und den Massen ihrer Belaubung zu sehen wünschen, sind wir
nicht zufrieden, wenn uns an dieser Stelle eine Eichel gezeigt wird.
So ist die Wissenschaft, die Krone einer Welt des Geistes, nicht in
ihrem Anfange vollendet. Der Anfang des neuen Geistes ist das
Produkt einer weitläufigen Umwälzung von mannigfaltigen
Bildungsformen, der Preis eines vielfach verschlungnen Weges und
ebenso vielfacher Anstrengung und Bemühung. Er ist das aus der
Sukzession wie aus seiner Ausdehnung in sich zurückgegangene Ganze,
der gewordne _einfache Begriff_ desselben. Die Wirklichkeit dieses
einfachen Ganzen aber besteht darin, daß jene zu Momenten gewordne
Gestaltungen sich wieder von neuem, aber in ihrem neuen Elemente, in
dem gewordenen Sinne entwickeln und Gestaltung geben.
Indem einerseits die erste Erscheinung der neuen Welt nur erst das in
seine _Einfachheit_ verhüllte Ganze oder sein allgemeiner Grund ist,
so ist dem Bewußtsein dagegen der Reichtum des vorhergehenden Daseins
noch in der Erinnerung gegenwärtig. Es vermißt an der neu
erscheinenden Gestalt die Ausbreitung und Besonderung des Inhalts;
noch mehr aber vermißt es die Ausbildung der Form, wodurch die
Unterschiede mit Sicherheit bestimmt und in ihre festen Verhältnisse
geordnet sind. Ohne diese Ausbildung entbehrt die Wissenschaft der
allgemeinen *Verständlichkeit*, und hat den Schein, ein esoterisches
Besitztum einiger Einzelnen zu sein;--ein esoterisches Besitztum:
denn sie ist nur erst in ihrem Begriffe oder ihr Innres vorhanden;
einiger Einzelnen: denn ihre unausgebreitete Erscheinung macht ihr
Dasein zum Einzelnen. Erst was vollkommen bestimmt ist, ist zugleich
exoterisch, begreiflich, und fähig, gelernt und das Eigentum aller zu
sein. Die verständige Form der Wissenschaft ist der allen
dargebotene und für alle gleichgemachte Weg zu ihr, und durch den
Verstand zum vernünftigen Wissen zu gelangen ist die gerechte
Foderung des Bewußtseins, das zur Wissenschaft hinzutritt; denn der
Verstand ist das Denken, das reine Ich überhaupt; und das Verständige
ist das schon Bekannte und das Gemeinschaftliche der Wissenschaft und
des unwissenschaftlichen Bewußtseins, wodurch dieses unmittelbar in
jene einzutreten vermag.
Die Wissenschaft, die erst beginnt, und es also noch weder zur
Vollständigkeit des Details noch zur Vollkommenheit der Form gebracht
hat, ist dem Tadel darüber ausgesetzt. Aber wenn dieser ihr Wesen
treffen soll, so würde er ebenso ungerecht sein, als es unstatthaft
ist, die Foderung jener Ausbildung nicht anerkennen zu wollen.
Dieser Gegensatz scheint der hauptsächlichste Knoten zu sein, an dem
die wissenschaftliche Bildung sich gegenwärtig zerarbeitet und
worüber sie sich noch nicht gehörig versteht. Der eine Teil pocht
auf den Reichtum des Materials und die Verständlichkeit, der andre
verschmäht wenigstens diese und pocht auf die unmittelbare
Vernünftigkeit und Göttlichkeit. Wenn auch jener Teil, es sei durch
die Kraft der Wahrheit allein oder auch durch das Ungestüm des andern,
zum Stillschweigen gebracht ist, und wenn er in Ansehung des Grunds
der Sache sich überwältigt fühlte, so ist er darum in Ansehung jener
Foderungen nicht befriedigt, denn sie sind gerecht, aber nicht
erfüllt. Sein Stillschweigen gehört nur halb dem Siege, halb aber
der Langeweile und Gleichgültigkeit, welche die Folge einer beständig
erregten Erwartung und nicht erfolgten Erfüllung der Versprechungen
zu sein pflegt.
In Ansehung des Inhalts machen die andern sich es wohl zuweilen
leicht genug, eine große Ausdehnung zu haben. Sie ziehen auf ihren
Boden eine Menge Material, nämlich das schon Bekannte und Geordnete,
herein, und indem sie sich vornehmlich mit den Sonderbarkeiten und
Kuriositäten zu tun machen, scheinen sie um so mehr das übrige, womit
das Wissen in seiner Art schon fertig war, zu besitzen, zugleich auch
das noch Ungeregelte zu beherrschen, und somit alles der absoluten
Idee zu unterwerfen, welche hiemit in allem erkannt, und zur
ausgebreiteten Wissenschaft gediehen zu sein scheint. Näher aber
diese Ausbreitung betrachtet, so zeigt sie sich nicht dadurch
zustande gekommen, daß ein und dasselbe sich selbst verschieden
gestaltet hätte, sondern sie ist die gestaltlose Wiederholung des
einen und desselben, das nur an das verschiedene Material äußerlich
angewendet ist, und einen langweiligen Schein der Verschiedenheit
erhält. Die für sich wohl wahre Idee bleibt in der Tat nur immer in
ihrem Anfange stehen, wenn die Entwicklung in nichts als in einer
solchen Wiederholung derselben Formel besteht. Die eine unbewegte
Form vom wissenden Subjekte an dem Vorhandenen herumgeführt, das
Material in dies ruhende Element von außenher eingetaucht, dies ist
so wenig, als willkürliche Einfälle über den Inhalt, die Erfüllung
dessen, was gefodert wird, nämlich der aus sich entspringende
Reichtum und sich selbst bestimmende Unterschied der Gestalten. Es
ist vielmehr ein einfarbiger Formalismus, der nur zum Unterschiede
des Stoffes, und zwar dadurch kommt, weil dieser schon bereitet und
bekannt ist.
Dabei behauptet er diese Eintönigkeit und die abstrakte Allgemeinheit
für das Absolute; er versichert, daß die Ungenügsamkeit mit ihr eine
Unfähigkeit sei, sich des absoluten Standpunktes zu bemächtigen und
auf ihm festzuhalten. Wenn sonst die leere Möglichkeit, sich etwas
auf eine andere Weise vorzustellen, hinreichte, um eine Vorstellung
zu widerlegen, und dieselbe bloße Möglichkeit, der allgemeine Gedanke,
auch den ganzen positiven Wert des wirklichen Erkennens hatte, so
sehen wir hier ebenso der allgemeinen Idee in dieser Form der
Unwirklichkeit allen Wert zugeschrieben, und die Auflösung des
Unterschiedenen und Bestimmten, oder vielmehr das weiter nicht
entwickelte noch an ihm selbst sich rechtfertigende Hinunterwerfen
desselben in den Abgrund des Leeren für spekulative Betrachtungsart
gelten. Irgendein Dasein, wie es im _Absoluten_ ist, betrachten,
besteht hier in nichts anderem, als daß davon gesagt wird, es sei
zwar jetzt von ihm gesprochen worden, als von einem Etwas, im
Absoluten, dem A = A, jedoch gebe es dergleichen gar nicht, sondern
darin sei alles eins. Dies _eine_ Wissen, daß im Absoluten alles
gleich ist, der unterscheidenden und erfüllten oder Erfüllung
suchenden und fodernden Erkenntnis entgegenzusetzen--oder sein
_Absolutes_ für die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt,
alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis.
--Der Formalismus, den die Philosophie neuerer Zeit verklagt und
geschmäht, und der sich in ihr selbst wieder erzeugte, wird, wenn
auch seine Ungenügsamkeit bekannt und gefühlt ist, aus der
Wissenschaft nicht verschwinden, bis das Erkennen der absoluten
Wirklichkeit sich über seine Natur vollkommen klar geworden ist.--In
der Rücksicht, daß die allgemeine Vorstellung, wenn sie dem, was ein
Versuch ihrer Ausführung ist, vorangeht, das Auffassen der letztern
erleichtert, ist es dienlich, das Ungefähre derselben hier anzudeuten,
in der Absicht zugleich, bei dieser Gelegenheit einige Formen zu
entfernen, deren Gewohnheit ein Hindernis für das philosophische
Erkennen ist.
Es kömmt nach meiner Einsicht, welche sich durch die Darstellung des
Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht
als _Substanz_, sondern ebensosehr als _Subjekt_ aufzufassen und
auszudrücken. Zugleich ist zu bemerken, daß die Substantialität
sosehr das Allgemeine oder die _Unmittelbarkeit des Wissens_ als
diejenige, welche _Sein_ oder Unmittelbarkeit _für das_ Wissen ist,
in sich schließt.--Wenn, Gott als die _eine_ Substanz zu fassen, das
Zeitalter empörte, worin diese Bestimmung ausgesprochen wurde, so lag
teils der Grund hievon in dem Instinkte, daß darin das
Selbstbewußtsein nur untergegangen, nicht erhalten ist, teils aber
ist das Gegenteil, welches das Denken als Denken festhält, die
_Allgemeinheit_, dieselbe Einfachheit oder ununterschiedne, unbewegte
Substantialität, und wenn drittens das Denken das Sein der Substanz
als solche mit sich vereint und die Unmittelbarkeit oder das
Anschauen als Denken erfaßt, so kömmt es noch darauf an, ob dieses
intellektuelle Anschauen nicht wieder in die träge Einfachheit
zurückfällt, und die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche Weise
darstellt.
Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit
_Subjekt_, oder, was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist,
nur insofern sie die Bewegung des Sich-selbst-setzens, oder die
Vermittlung des Sich-anders-werdens mit sich selbst ist. Sie ist als
Subjekt die reine _einfache Negativität_, eben dadurch die Entzweiung
des Einfachen, oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder
die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres
Georg Wilhelm Friedrich Hegel
(1807)
Dieser Band stellt das _werdende Wissen_ dar. Die PhÄnomenologie des
Geistes soll an die Stelle der psychologischen Erklärungen oder auch
der abstraktem ErÖrterungen Über die Begründung des Wissens treten.
Sie betrachtet die _Vorbereitung_ zur Wissenschaft aus einem
Gesichtspunkte, wodurch sie eine neue, interessante, und die erste
Wissenschaft der Philosophie ist. Sie faßt die verschiedenen
_Gestalten des Geistes_ als Stationen des Weges in sich, durch
welchen er reines Wissen oder absoluter Geist wird. Es wird daher in
den Hauptabteilungen dieser Wissenschaft, die wieder in mehrere
zerfallen, das Bewußtsein, das Selbstbewußtsein, die beobachtende und
handelnde Vernunft, der Geist selbst, als sittlicher, gebildeter und
moralischer Geist, und endlich als religiöser in seinen
unterschiedenen Formen betrachtet. Der dem ersten Blicke sich als
Chaos darbietende Reichtum der Erscheinungen des Geistes ist in eine
wissenschaftliche Ordnung gebracht, welche sie nach ihrer
Notwendigkeit darstellt, in der die unvollkommnen sich auflösen und
in höhere übergehen, welche ihre nächste Wahrheit sind. Die letzte
Wahrheit finden sie zunächst in der Religion, und dann in der
Wissenschaft, als dem Resultate des Ganzen.
Inhalt:
Vorrede
Einleitung
I. Die sinnliche Gewißheit; oder das Diese und das Meinen
II. Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung
III. Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnliche Welt
IV. Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst
A. Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und
Knechtschaft
B. Freiheit des Selbstbewußtseins; Stoizismus, Skeptizismus und das
unglückliche Bewußtsein
V. Gewißheit und Wahrheit der Vernunft
A. Beobachtende Vernunft
a. Beobachtung der Natur
b. Die Beobachtung des Selbstbewußtseins in seiner Reinheit und
seiner Beziehung auf äußre Wirklichkeit; logische und
psychologische Gesetze
c. Beobachtung der Beziehung des Selbstbewußtseins auf seine
unmittelbare Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre
B. Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich
selbst
a. Die Lust und die Notwendigkeit
b. Das Gesetz des Herzens und der Wahnsinn des Eigendünkels
c. Die Tugend und der Weltlauf
C. Die Individualität, welche sich an und für sich selbst reell ist
a. Das geistige Tierreich und der Betrug, oder die Sache selbst
b. Die gesetzgebende Vernunft
c. Gesetzprüfende Vernunft
VI. Der Geist
A. Der wahre Geist, die Sittlichkeit
a. Die sittliche Welt, das menschliche und göttliche Gesetz,
der Mann und das Weib
b. Die sittliche Handlung, das menschliche und göttliche Wissen, die
Schuld und das Schicksal
c. Rechtszustand
B. Der sich entfremdete Geist; die Bildung
I. Die Welt des sich entfremdeten Geistes
a. Die Bildung und ihr Reich der Wirklichkeit
b. Der Glauben und die reine Einsicht
II. Die Aufklärung
a. Der Kampf der Aufklärung mit dem Aberglauben
b. Die Wahrheit der Aufklärung
III. Die absolute Freiheit und der Schrecken
C.Der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität
a. Die moralische Weltanschauung
b. Die Verstellung
c. Das Gewissen, die schöne Seele, das Böse und seine Verzeihung
VII. Die Religion
A. Natürliche Religion
a. Das Lichtwesen
b. Die Pflanze und das Tier
c. Der Werkmeister
B. Die Kunst-Religion
a. Das abstrakte Kunstwerk
b. Das lebendige Kunstwerk
c. Das geistige Kunstwerk
C. Die offenbare Religion
VIII. Das absolute Wissen
Vorrede
Eine ErklÄrung, wie sie einer Schrift in einer Vorrede nach der
Gewohnheit vorausgeschickt wird--Über den Zweck, den der Verfasser
sich in ihr vorgesetzt, sowie über die Veranlassungen und das
Verhältnis, worin er sie zu andern frühern oder gleichzeitigen
Behandlungen desselben Gegenstandes zu stehen glaubt--scheint bei
einer philosophischen Schrift nicht nur überflüssig, sondern um der
Natur der Sache willen sogar unpassend und zweckwidrig zu sein. Denn
wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen schicklich
wäre--etwa eine historische _Angabe_ der Tendenz und des Standpunkts,
des allgemeinen Inhalts und der Resultate, eine Verbindung von hin
und her sprechenden Behauptungen und Versicherungen über das Wahre--,
kann nicht für die Art und Weise gelten, in der die philosophische
Wahrheit darzustellen sei.--Auch weil die Philosophie wesentlich im
Elemente der Allgemeinheit ist, die das Besondere in sich schließt,
so findet bei ihr mehr als bei andern Wissenschaften der Schein statt,
als ob in dem Zwecke oder den letzten Resultaten die Sache selbst
und sogar in ihrem vollkommenen Wesen ausgedrückt wäre, gegen welches
die Ausführung eigentlich das Unwesentliche sei. In der allgemeinen
Vorstellung hingegen, zum Beispiel was Anatomie sei, etwa die
Kenntnis der Teile des KÖrpers nach ihrem unlebendigen Dasein
betrachtet, ist man überzeugt, die Sache selbst, den Inhalt dieser
Wissenschaft, noch nicht zu besitzen, sondern außerdem um das
Besondere sich bemühen zu müssen.--Ferner ist bei einem solchen
Aggregate von Kenntnissen, das den Namen Wissenschaft nicht mit Recht
führt, eine Konversation über Zweck und dergleichen Allgemeinheiten
nicht von der historischen und begrifflosen Weise verschieden, worin
von dem Inhalte selbst, diesen Nerven, Muskeln und so fort,
gesprochen wird. Bei der Philosophie hingegen würde die Ungleichheit
entstehen, daß von einer solchen Weise Gebrauch gemacht, und diese
doch von ihr selbst als unfähig, die Wahrheit zu fassen, aufgezeigt
würde.
So wird auch durch die Bestimmung des Verhältnisses, das ein
philosophisches Werk zu andern Bestrebungen über denselben Gegenstand
zu haben glaubt, ein fremdartiges Interesse hereingezogen, und das,
worauf es bei der Erkenntnis der Wahrheit ankommt, verdunkelt. So
fest der Meinung der Gegensatz des Wahren und des Falschen wird, so
pflegt sie auch entweder Beistimmung oder Widerspruch gegen ein
vorhandenes philosophisches System zu erwarten, und in einer
Erklärung über ein solches nur entweder das eine oder das andre zu
sehen. Sie begreift die Verschiedenheit philosophischer Systeme
nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als
sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht. Die Knospe
verschwindet in dem Hervorbrechen der Blüte, und man könnte sagen,
daß jene von dieser widerlegt wird, ebenso wird durch die Frucht die
Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre
Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen
unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als
unverträglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie
zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht
nur nicht widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andere ist,
und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.
Aber der Widerspruch gegen ein philosophisches System pflegt teils
sich selbst nicht auf diese Weise zu begreifen, teils auch weiß das
auffassende Bewußtsein gemeinhin nicht, ihn von seiner Einseitigkeit
zu befreien oder frei zu erhalten, und in der Gestalt des streitend
und sich zuwider Scheinenden gegenseitig notwendige Momente zu
erkennen.
Die Foderung von dergleichen Erklärungen sowie die Befriedigungen
derselben scheinen vielleicht das Wesentliche zu betreiben. Worin
könnte mehr das Innere einer philosophischen Schrift ausgesprochen
sein als in den Zwecken und Resultaten derselben, und wodurch diese
bestimmter erkannt werden als durch ihre Verschiedenheit von dem, was
das Zeitalter sonst in derselben Sphäre hervorbringt? Wenn aber ein
solches Tun für mehr als für den Anfang des Erkennens, wenn es für
das wirkliche Erkennen gelten soll, ist es in der Tat zu den
Erfindungen zu rechnen, die Sache selbst zu umgehen, und dieses
beides zu verbinden, den Anschein des Ernstes und Bemühens um sie,
und die wirkliche Ersparung desselben.--Denn die Sache ist nicht in
ihrem _Zwecke_ erschöpft, sondern in ihrer _Ausführung_, noch ist das
_Resultat_ das _wirkliche_ Ganze, sondern es zusammen mit seinem
Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die
Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und
das nackte Resultat ist der Leichnam, der sie hinter sich gelassen.
--Ebenso ist die _Verschiedenheit_ vielmehr die _Grenze_ der Sache;
sie ist da, wo die Sache aufhört, oder sie ist das, was diese nicht
ist. Solche Bemühungen mit dem Zwecke oder den Resultaten, sowie mit
den Verschiedenheiten und Beurteilungen des einen und des andern,
sind daher eine leichtere Arbeit, als sie vielleicht scheinen. Denn
statt mit der Sache sich zu befassen, ist solches Tun immer über sie
hinaus, statt in ihr zu verweilen und sich in ihr zu vergessen,
greift solches Wissen immer nach einem Andern, und bleibt vielmehr
bei sich selbst, als daß es bei der Sache ist und sich ihr hingibt.
--Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen,
schwerer, es zu fassen, das schwerste, was beides vereinigt, seine
Darstellung hervorzubringen.
Der Anfang der Bildung und des Herausarbeitens aus der
Unmittelbarkeit des substantiellen Lebens wird immer damit gemacht
werden müssen, Kenntnisse allgemeiner Grundsätze und Gesichtspunkte
zu erwerben, sich nur erst zu dem Gedanken der Sache überhaupt
heraufzuarbeiten, nicht weniger sie mit Gründen zu unterstützen oder
zu widerlegen, die konkrete und reiche Fülle nach Bestimmtheiten
aufzufassen, und ordentlichen Bescheid und ernsthaftes Urteil über
sie zu erteilen zu wissen. Dieser Anfang der Bildung wird aber
zunächst dem Ernste des erfüllten Lebens Platz machen, der in die
Erfahrung der Sache selbst hineinführt, und wenn auch dies noch
hinzukommt, daß der Ernst des Begriffs in ihre Tiefe steigt, so wird
eine solche Kenntnis und Beurteilung in der Konversation ihre
schickliche Stelle behalten.
Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existiert, kann allein das
wissenschaftliche System derselben sein. Daran mitzuarbeiten, daß
die Philosophie der Form der Wissenschaft näher komme--dem Ziele,
ihren Namen der _Liebe_ zum _Wissen_ ablegen zu können und
_wirkliches Wissen_ zu sein--, ist es, was ich mir vorgesetzt. Die
innere Notwendigkeit, daß das Wissen Wissenschaft sei, liegt in
seiner Natur, und die befriedigende Erklärung hierüber ist allein die
Darstellung der Philosophie selbst. Die äußere Notwendigkeit aber,
insofern sie, abgesehen von der Zufälligkeit der Person und der
individuellen Veranlassungen, auf eine allgemeine Weise gefaßt wird,
ist dasselbe, was die innere, in der Gestalt, wie die Zeit das Dasein
ihrer Momente vorstellt. Daß die Erhebung der Philosophie zur
Wissenschaft an der Zeit ist, dies aufzuzeigen würde daher die einzig
wahre Rechtfertigung der Versuche sein, die diesen Zweck haben, weil
sie die Notwendigkeit desselben dartun, ja weil sie ihn zugleich
ausführen würde.
Indem die wahre Gestalt der Wahrheit in die Wissenschaftlichkeit
gesetzt wird--oder, was dasselbe ist, indem die Wahrheit behauptet
wird, an dem _Begriffe_ allein das Element ihrer Existenz zu haben--,
so weiß ich, daß dies im Widerspruch mit einer Vorstellung und deren
Folgen zu stehen scheint, welche eine so große Anmaßung als
Ausbreitung in der Überzeugung des Zeitalters hat. Eine Erklärung
über diesen Widerspruch scheint darum nicht überflüssig; wenn sie
auch hier weiter nichts als gleichfalls eine Versicherung, wie das,
gegen was sie geht, sein kann. Wenn nämlich das Wahre nur in
demjenigen oder vielmehr nur als dasjenige existiert, was bald
Anschauung, bald unmittelbares Wissen des Absoluten, Religion, das
Sein--nicht im Zentrum der göttlichen Liebe, sondern das Sein
desselben selbst--genannt wird, so wird von da aus zugleich für die
Darstellung der Philosophie vielmehr das Gegenteil der Form des
Begriffs gefodert. Das Absolute soll nicht begriffen, sondern
gefühlt und angeschaut, nicht sein Begriff, sondern sein Gefühl und
Anschauung sollen das Wort führen und ausgesprochen werden.
Wird die Erscheinung einer solchen Foderung nach ihrem allgemeinem
Zusammenhange aufgefaßt, und auf die Stufe gesehen, worauf der
selbstbewußte Geist gegenwärtig steht, so ist er über das
substantielle Leben, das er sonst im Elemente des Gedankens führte,
hinaus,--über diese Unmittelbarkeit seines Glaubens, über die
Befriedigung und Sicherheit der Gewißheit, welche das Bewußtsein von
seiner Versöhnung mit dem Wesen und dessen allgemeiner, der innern
und äußern, Gegenwart besaß. Er ist nicht nur darüber hinausgegangen,
in das andere Extrem der substanzlosen Reflexion seiner in sich
selbst, sondern auch über diese. Sein wesentliches Leben ist ihm
nicht nur verloren, er ist auch dieses Verlustes, und der Endlichkeit,
die sein Inhalt ist, bewußt. Von den Trebern sich wegwendend, daß
er im Argen liegt, bekennend und darauf schmähend, verlangt er nun
von der Philosophie nicht sowohl das _Wissen_ dessen, was er _ist_,
als zur Herstellung jener Substantialität und der Gediegenheit des
Seins erst wieder durch sie zu gelangen. Diesem Bedürfnisse soll sie
also nicht so sehr die Verschlossenheit der Substanz aufschließen,
und diese zum Selbstbewußtsein erheben--nicht so sehr ihr chaotisches
Bewußtsein zur gedachten Ordnung und zur Einfachheit des Begriffes
zurückbringen, als vielmehr die Sonderungen des Gedankens
zusammenschütten, den unterscheidenden Begriff unterdrücken und das
Gefühl des Wesens herstellen, nicht sowohl _Einsicht_ als _Erbauung_
gewähren. Das Schöne, Heilige, Ewige, die Religion und Liebe sind
der Köder, der gefodert wird, um die Lust zum Anbeißen zu erwecken,
nicht der Begriff, sondern die Ekstase, nicht die kalt
fortschreitende Notwendigkeit der Sache, sondern die gärende
Begeisterung soll die Haltung und fortleitende Ausbreitung des
Reichtums der Substanz sein.
Dieser Foderung entspricht die angestrengte und fast eifernd und
gereizt sich zeigende Bemühung, die Menschen aus der Versunkenheit
ins Sinnliche, Gemeine und Einzelne herauszureißen und ihren Blick zu
den Sternen aufzurichten; als ob sie, des Göttlichen ganz vergessend,
mit Staub und Wasser, wie der Wurm, auf dem Punkte sich zu
befriedigen stünden. Sonst hatten sie einen Himmel mit weitläufigem
Reichtume von Gedanken und Bildern ausgestattet. Von allem, was ist,
lag die Bedeutung in dem Lichtfaden, durch den es an den Himmel
geknüpft war; an ihm, statt in _dieser_ Gegenwart zu verweilen, glitt
der Blick über sie hinaus, zum göttlichen Wesen, zu einer, wenn man
so sagen kann, jenseitigen Gegenwart hinauf. Das Auge des Geistes
mußte mit Zwang auf das Irdische gerichtet und bei ihm festgehalten
werden; und es hat einer langen Zeit bedurft, jene Klarheit, die nur
das Überirdische hatte, in die Dumpfheit und Verworrenheit, worin der
Sinn des Diesseitigen lag, hineinzuarbeiten, und die Aufmerksamkeit
auf das Gegenwärtige als solches, welche _Erfahrung_ genannt wurde,
interessant und geltend zu machen.--Jetzt scheint die Not des
Gegenteils vorhanden, der Sinn so sehr in das Irdische festgewurzelt,
daß es gleicher Gewalt bedarf, ihn darüber zu erheben. Der Geist
zeigt sich so arm, daß er sich, wie in der Sandwüste der Wanderer
nach einem einfachen Trunk Wasser, nur nach dem dürftigen Gefühle des
Göttlichen überhaupt für seine Erquickung zu sehnen scheint. An
diesem, woran dem Geiste genügt, ist die Größe seines Verlustes zu
ermessen.
Diese Genügsamkeit des Empfangens oder Sparsamkeit des Gebens ziemt
jedoch der Wissenschaft nicht. Wer nur die Erbauung sucht, wer seine
irdische Mannigfaltigkeit des Daseins und des Gedankens in Nebel
einzuhüllen und nach dem unbestimmten Genusse dieser unbestimmten
Göttlichkeit verlangt, mag zusehen, wo er dies findet; er wird leicht
selbst sich etwas vorzuschwärmen und damit sich aufzuspreizen die
Mittel finden. Die Philosophie aber muß sich hüten, erbaulich sein
zu wollen.
Noch weniger muß diese Genügsamkeit, die auf die Wissenschaft
Verzicht tut, darauf Anspruch machen, daß solche Begeisterung und
Trübheit etwas Höheres sei als die Wissenschaft. Dieses prophetische
Reden meint gerade so recht im Mittelpunkte und der Tiefe zu bleiben,
blickt verächtlich auf die Bestimmtheit (den *Horos*) und hält sich
absichtlich von dem Begriffe und der Notwendigkeit entfernt, als von
der Reflexion, die nur in der Endlichkeit hause. Wie es aber eine
leere Breite gibt, so auch eine leere Tiefe, wie eine Extension der
Substanz, die sich in endliche Mannigfaltigkeit ergießt, ohne Kraft,
sie zusammenzuhalten--so ist dies eine gehaltlose Intensität, welche
als lautere Kraft ohne Ausbreitung sich haltend, dasselbe ist, was
die Oberflächlichkeit. Die Kraft des Geistes ist nur so groß als
ihre Äußerung, seine Tiefe nur so tief, als er in seiner Auslegung
sich auszubreiten und sich zu verlieren getraut.--Zugleich wenn dies
begrifflose substantielle Wissen die Eigenheit des Selbsts in dem
Wesen versenkt zu haben und wahr und heilig zu philosophieren vorgibt,
so verbirgt es sich, daß es, statt dem Gotte ergeben zu sein, durch
die Verschmähung des Maßes und der Bestimmung vielmehr nur bald in
sich selbst die Zufälligkeit des Inhalts, bald in ihm die eigne
Willkür gewähren läßt.--Indem sie sich dem ungebändigten Gären der
Substanz überlassen, meinen sie, durch die Einhüllung des
Selbstbewußtseins und Aufgeben des Verstands, die _Seinen_ zu sein,
denen Gott die Weisheit im Schlafe gibt; was sie so in der Tat im
Schlafe empfangen und gebären, sind darum auch Träume.
Es ist übrigens nicht schwer, zu sehen, daß unsre Zeit eine Zeit der
Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat
mit der bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen und
steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken, und in
der Arbeit seiner Umgestaltung. Zwar ist er nie in Ruhe, sondern in
immer fortschreitender Bewegung begriffen. Aber wie beim Kinde nach
langer stiller Ernährung der erste Atemzug jene Allmählichkeit des
nur vermehrenden Fortgangs abbricht--ein qualitativer Sprung--und
itzt das Kind geboren ist, so reift der sich bildende Geist langsam
und stille der neuen Gestalt entgegen, löst ein Teilchen des Baues
seiner vorgehenden *Welt* nach dem andern auf, ihr Wanken wird nur
durch einzelne Symptome angedeutet; der Leichtsinn wie die Langeweile,
die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahnung eines
Unbekannten sind Vorboten, daß etwas anderes im Anzuge ist. Dies
allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht
veränderte, wird durch den Aufgang unterbrochen, der, ein Blitz, in
einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt.
Allein eine vollkommne Wirklichkeit hat dies Neue sowenig als das
eben geborne Kind; und dies ist wesentlich nicht außer acht zu lassen.
Das erste Auftreten ist erst seine Unmittelbarkeit oder sein
Begriff. Sowenig ein Gebäude fertig ist, wenn sein Grund gelegt
worden, sowenig ist der erreichte Begriff des Ganzen das Ganze selbst.
Wo wir eine Eiche in der Kraft ihres Stammes und in der Ausbreitung
ihrer Äste und den Massen ihrer Belaubung zu sehen wünschen, sind wir
nicht zufrieden, wenn uns an dieser Stelle eine Eichel gezeigt wird.
So ist die Wissenschaft, die Krone einer Welt des Geistes, nicht in
ihrem Anfange vollendet. Der Anfang des neuen Geistes ist das
Produkt einer weitläufigen Umwälzung von mannigfaltigen
Bildungsformen, der Preis eines vielfach verschlungnen Weges und
ebenso vielfacher Anstrengung und Bemühung. Er ist das aus der
Sukzession wie aus seiner Ausdehnung in sich zurückgegangene Ganze,
der gewordne _einfache Begriff_ desselben. Die Wirklichkeit dieses
einfachen Ganzen aber besteht darin, daß jene zu Momenten gewordne
Gestaltungen sich wieder von neuem, aber in ihrem neuen Elemente, in
dem gewordenen Sinne entwickeln und Gestaltung geben.
Indem einerseits die erste Erscheinung der neuen Welt nur erst das in
seine _Einfachheit_ verhüllte Ganze oder sein allgemeiner Grund ist,
so ist dem Bewußtsein dagegen der Reichtum des vorhergehenden Daseins
noch in der Erinnerung gegenwärtig. Es vermißt an der neu
erscheinenden Gestalt die Ausbreitung und Besonderung des Inhalts;
noch mehr aber vermißt es die Ausbildung der Form, wodurch die
Unterschiede mit Sicherheit bestimmt und in ihre festen Verhältnisse
geordnet sind. Ohne diese Ausbildung entbehrt die Wissenschaft der
allgemeinen *Verständlichkeit*, und hat den Schein, ein esoterisches
Besitztum einiger Einzelnen zu sein;--ein esoterisches Besitztum:
denn sie ist nur erst in ihrem Begriffe oder ihr Innres vorhanden;
einiger Einzelnen: denn ihre unausgebreitete Erscheinung macht ihr
Dasein zum Einzelnen. Erst was vollkommen bestimmt ist, ist zugleich
exoterisch, begreiflich, und fähig, gelernt und das Eigentum aller zu
sein. Die verständige Form der Wissenschaft ist der allen
dargebotene und für alle gleichgemachte Weg zu ihr, und durch den
Verstand zum vernünftigen Wissen zu gelangen ist die gerechte
Foderung des Bewußtseins, das zur Wissenschaft hinzutritt; denn der
Verstand ist das Denken, das reine Ich überhaupt; und das Verständige
ist das schon Bekannte und das Gemeinschaftliche der Wissenschaft und
des unwissenschaftlichen Bewußtseins, wodurch dieses unmittelbar in
jene einzutreten vermag.
Die Wissenschaft, die erst beginnt, und es also noch weder zur
Vollständigkeit des Details noch zur Vollkommenheit der Form gebracht
hat, ist dem Tadel darüber ausgesetzt. Aber wenn dieser ihr Wesen
treffen soll, so würde er ebenso ungerecht sein, als es unstatthaft
ist, die Foderung jener Ausbildung nicht anerkennen zu wollen.
Dieser Gegensatz scheint der hauptsächlichste Knoten zu sein, an dem
die wissenschaftliche Bildung sich gegenwärtig zerarbeitet und
worüber sie sich noch nicht gehörig versteht. Der eine Teil pocht
auf den Reichtum des Materials und die Verständlichkeit, der andre
verschmäht wenigstens diese und pocht auf die unmittelbare
Vernünftigkeit und Göttlichkeit. Wenn auch jener Teil, es sei durch
die Kraft der Wahrheit allein oder auch durch das Ungestüm des andern,
zum Stillschweigen gebracht ist, und wenn er in Ansehung des Grunds
der Sache sich überwältigt fühlte, so ist er darum in Ansehung jener
Foderungen nicht befriedigt, denn sie sind gerecht, aber nicht
erfüllt. Sein Stillschweigen gehört nur halb dem Siege, halb aber
der Langeweile und Gleichgültigkeit, welche die Folge einer beständig
erregten Erwartung und nicht erfolgten Erfüllung der Versprechungen
zu sein pflegt.
In Ansehung des Inhalts machen die andern sich es wohl zuweilen
leicht genug, eine große Ausdehnung zu haben. Sie ziehen auf ihren
Boden eine Menge Material, nämlich das schon Bekannte und Geordnete,
herein, und indem sie sich vornehmlich mit den Sonderbarkeiten und
Kuriositäten zu tun machen, scheinen sie um so mehr das übrige, womit
das Wissen in seiner Art schon fertig war, zu besitzen, zugleich auch
das noch Ungeregelte zu beherrschen, und somit alles der absoluten
Idee zu unterwerfen, welche hiemit in allem erkannt, und zur
ausgebreiteten Wissenschaft gediehen zu sein scheint. Näher aber
diese Ausbreitung betrachtet, so zeigt sie sich nicht dadurch
zustande gekommen, daß ein und dasselbe sich selbst verschieden
gestaltet hätte, sondern sie ist die gestaltlose Wiederholung des
einen und desselben, das nur an das verschiedene Material äußerlich
angewendet ist, und einen langweiligen Schein der Verschiedenheit
erhält. Die für sich wohl wahre Idee bleibt in der Tat nur immer in
ihrem Anfange stehen, wenn die Entwicklung in nichts als in einer
solchen Wiederholung derselben Formel besteht. Die eine unbewegte
Form vom wissenden Subjekte an dem Vorhandenen herumgeführt, das
Material in dies ruhende Element von außenher eingetaucht, dies ist
so wenig, als willkürliche Einfälle über den Inhalt, die Erfüllung
dessen, was gefodert wird, nämlich der aus sich entspringende
Reichtum und sich selbst bestimmende Unterschied der Gestalten. Es
ist vielmehr ein einfarbiger Formalismus, der nur zum Unterschiede
des Stoffes, und zwar dadurch kommt, weil dieser schon bereitet und
bekannt ist.
Dabei behauptet er diese Eintönigkeit und die abstrakte Allgemeinheit
für das Absolute; er versichert, daß die Ungenügsamkeit mit ihr eine
Unfähigkeit sei, sich des absoluten Standpunktes zu bemächtigen und
auf ihm festzuhalten. Wenn sonst die leere Möglichkeit, sich etwas
auf eine andere Weise vorzustellen, hinreichte, um eine Vorstellung
zu widerlegen, und dieselbe bloße Möglichkeit, der allgemeine Gedanke,
auch den ganzen positiven Wert des wirklichen Erkennens hatte, so
sehen wir hier ebenso der allgemeinen Idee in dieser Form der
Unwirklichkeit allen Wert zugeschrieben, und die Auflösung des
Unterschiedenen und Bestimmten, oder vielmehr das weiter nicht
entwickelte noch an ihm selbst sich rechtfertigende Hinunterwerfen
desselben in den Abgrund des Leeren für spekulative Betrachtungsart
gelten. Irgendein Dasein, wie es im _Absoluten_ ist, betrachten,
besteht hier in nichts anderem, als daß davon gesagt wird, es sei
zwar jetzt von ihm gesprochen worden, als von einem Etwas, im
Absoluten, dem A = A, jedoch gebe es dergleichen gar nicht, sondern
darin sei alles eins. Dies _eine_ Wissen, daß im Absoluten alles
gleich ist, der unterscheidenden und erfüllten oder Erfüllung
suchenden und fodernden Erkenntnis entgegenzusetzen--oder sein
_Absolutes_ für die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen pflegt,
alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität der Leere an Erkenntnis.
--Der Formalismus, den die Philosophie neuerer Zeit verklagt und
geschmäht, und der sich in ihr selbst wieder erzeugte, wird, wenn
auch seine Ungenügsamkeit bekannt und gefühlt ist, aus der
Wissenschaft nicht verschwinden, bis das Erkennen der absoluten
Wirklichkeit sich über seine Natur vollkommen klar geworden ist.--In
der Rücksicht, daß die allgemeine Vorstellung, wenn sie dem, was ein
Versuch ihrer Ausführung ist, vorangeht, das Auffassen der letztern
erleichtert, ist es dienlich, das Ungefähre derselben hier anzudeuten,
in der Absicht zugleich, bei dieser Gelegenheit einige Formen zu
entfernen, deren Gewohnheit ein Hindernis für das philosophische
Erkennen ist.
Es kömmt nach meiner Einsicht, welche sich durch die Darstellung des
Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht
als _Substanz_, sondern ebensosehr als _Subjekt_ aufzufassen und
auszudrücken. Zugleich ist zu bemerken, daß die Substantialität
sosehr das Allgemeine oder die _Unmittelbarkeit des Wissens_ als
diejenige, welche _Sein_ oder Unmittelbarkeit _für das_ Wissen ist,
in sich schließt.--Wenn, Gott als die _eine_ Substanz zu fassen, das
Zeitalter empörte, worin diese Bestimmung ausgesprochen wurde, so lag
teils der Grund hievon in dem Instinkte, daß darin das
Selbstbewußtsein nur untergegangen, nicht erhalten ist, teils aber
ist das Gegenteil, welches das Denken als Denken festhält, die
_Allgemeinheit_, dieselbe Einfachheit oder ununterschiedne, unbewegte
Substantialität, und wenn drittens das Denken das Sein der Substanz
als solche mit sich vereint und die Unmittelbarkeit oder das
Anschauen als Denken erfaßt, so kömmt es noch darauf an, ob dieses
intellektuelle Anschauen nicht wieder in die träge Einfachheit
zurückfällt, und die Wirklichkeit selbst auf eine unwirkliche Weise
darstellt.
Die lebendige Substanz ist ferner das Sein, welches in Wahrheit
_Subjekt_, oder, was dasselbe heißt, welches in Wahrheit wirklich ist,
nur insofern sie die Bewegung des Sich-selbst-setzens, oder die
Vermittlung des Sich-anders-werdens mit sich selbst ist. Sie ist als
Subjekt die reine _einfache Negativität_, eben dadurch die Entzweiung
des Einfachen, oder die entgegensetzende Verdopplung, welche wieder
die Negation dieser gleichgültigen Verschiedenheit und ihres
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Next - Phänomenologie des Geistes - 02
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