Peter Schlemihls wundersame Geschichte - 5

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gekommen war. Ich hatte sonst eine Reisemütze auf dem Kopf und ein Paar
alte Stiefel an den Füßen. Ich erhob mich, schnitt mir an selbiger
Stelle einen Knotenstock zum Andenken und trat sogleich meine Wanderung
an.
Ich begegnete im Wald einem alten Bauer, der mich freundlich begrüßte,
und mit dem ich mich in ein Gespräch einließ. Ich erkundigte mich, wie
ein wißbegieriger Reisender, erst nach dem Wege, dann nach der Gegend
und deren Bewohner, den Erzeugnissen des Gebirges und derlei mehr. Er
antwortete verständig und redselig auf meine Fragen. Wir kamen an das
Bette eines Bergstromes, der über einen weiten Strich des Waldes seine
Verwüstung verbreitet hatte. Mich schauderte innerlich vor dem
sonnenhellen Raum; ich ließ den Landmann vorangehen. Er hielt aber
mitten im gefährlichen Orte still und wandte sich zu mir, um mir die
Geschichte dieser Verwüstung zu erzählen. Er bemerkte bald, was mir
fehlte und hielt mitten in seiner Rede ein: »Aber wie geht denn das zu,
der Herr hat ja keinen Schatten!« -- »Leider! leider!« erwiderte ich
seufzend. »Es sind mir während einer bösen langen Krankheit Haare, Nägel
und Schatten ausgegangen. Seht, Vater, in meinem Alter die Haare, die
ich wieder gekriegt habe, ganz weiß, die Nägel sehr kurz und der
Schatten, der will noch nicht wieder wachsen.« -- »Ei! ei!« versetzte
der alte Mann kopfschüttelnd, »keinen Schatten, das ist bös! das war
eine böse Krankheit, die der Herr gehabt hat.« Aber er hub seine
Erzählung nicht wieder an, und bei dem nächsten Querweg, der sich
darbot, ging er, ohne ein Wort zu sagen, von mir ab. -- Bittere Tränen
zitterten aufs neue auf meinen Wangen und meine Heiterkeit war hin.
Ich setzte traurigen Herzens meinen Weg fort und suchte ferner keines
Menschen Gesellschaft. Ich hielt mich im dunkelsten Walde und mußte
manchmal, um über einen Strich, wo die Sonne schien, zu kommen,
stundenlang darauf warten, daß mir keines Menschen Auge den Durchgang
verbot. Am Abend suchte ich Herberge in den Dörfern zu nehmen. Ich ging
eigentlich nach einem Bergwerk im Gebirge, wo ich Arbeit unter der Erde
zu finden gedachte; denn davon abgesehen, daß meine jetzige Lage mir
gebot, für meinen Lebensunterhalt selbst zu sorgen, hatte ich dieses
wohl erkannt, daß mich allein angestrengte Arbeit gegen meine
zerstörenden Gedanken schützen könnte.
Ein paar regnichte Tage förderten mich leicht auf den Weg, aber auf
Kosten meiner Stiefel, deren Sohlen für den _Grafen Peter_ und nicht für
den Fußknecht berechnet worden. Ich ging schon auf den bloßen Füßen. Ich
mußte ein Paar neue Stiefel anschaffen. Am nächsten Morgen besorgte ich
dieses Geschäft mit vielem Ernst in einem Flecken, wo Kirmes war, und wo
in einer Bude alte und neue Stiefel zu Kauf standen. Ich wählte und
handelte lange. Ich mußte auf ein Paar neue, die ich gern gehabt hätte,
Verzicht leisten; mich schreckte die unbillige Forderung. Ich begnügte
mich also mit alten, die noch gut und stark waren, und die mir der
schöne blondlockige Knabe, der die Bude hielt, gegen gleich bare
Bezahlung freundlich lächelnd einhändigte, indem er mir Glück auf den
Weg wünschte. Ich zog sie gleich an und ging zum nördlich gelegenen Tor
aus dem Ort.
Ich war in meinen Gedanken sehr vertieft und sah kaum, wo ich den Fuß
hinsetzte, denn ich dachte an das Bergwerk, wo ich auf den Abend noch
anzulangen hoffte, und wo ich nicht recht wußte, wie ich mich
ankündigen sollte. Ich war noch keine zweihundert Schritte gegangen, als
ich bemerkte, daß ich aus dem Wege gekommen war; ich sah mich danach um,
ich befand mich in einem wüsten, uralten Tannenwalde, woran die Axt nie
gelegt worden zu sein schien. Ich drang noch einige Schritte vor, ich
sah mich mitten unter öden Felsen, die nur mit Moos und Steinbrecharten
bewachsen waren, und zwischen welchen Schnee- und Eisfelder lagen. Die
Luft war sehr kalt, ich sah mich um, der Wald war hinter mir
verschwunden. Ich machte noch einige Schritte -- um mich herrschte die
Stille des Todes, unabsehbar dehnte sich das Eis, worauf ich stand und
worauf ein dichter Nebel schwer ruhte; die Sonne stand blutig am Rande
des Horizontes. Die Kälte war unerträglich. Ich wußte nicht, wie mir
geschehen war, der erstarrende Frost zwang mich, meine Schritte zu
beschleunigen, ich vernahm nur das Gebrause ferner Gewässer, ein
Schritt, und ich war am Eisufer eines Ozeans. Unzählbare Herden von
Seehunden stürzten sich vor mir rauschend in die Flut. Ich folgte diesem
Ufer, ich sah wieder nackte Felsen, Land, Birken- und Tannenwälder, ich
lief noch ein paar Minuten gerade vor mir hin. Es war erstickend heiß,
ich sah mich um, ich stand zwischen schön gebauten Reisfeldern unter
Maulbeerbäumen. Ich setzte mich in deren Schatten, ich sah nach meiner
Uhr, ich hatte vor nicht einer Viertelstunde den Marktflecken verlassen
-- ich glaubte zu träumen, ich biß mich in die Zunge, um mich zu
erwecken; aber ich wachte wirklich. -- Ich schloß die Augen zu, um meine
Gedanken zusammenzufassen. -- Ich hörte vor mir seltsame Silben durch
die Nase zählen; ich blickte auf: zwei Chinesen an der asiatischen
Gesichtsbildung unverkennbar, wenn ich auch ihrer Kleidung keinen
Glauben beimessen wollte, redeten mich mit landesüblichen Begrüßungen in
ihrer Sprache an; ich stand auf und trat zwei Schritte zurück. Ich sah
sie nicht mehr, die Landschaft war ganz verändert: Bäume, Wälder statt
der Reisfelder. Ich betrachtete diese Bäume und die Kräuter, die um
mich blühten; die ich kannte, waren südöstlich asiatische Gewächse; ich
wollte auf den einen Baum zugehen, ein Schritt -- und wiederum alles
verändert. Ich trat nun an, wie ein Rekrut, der geübt wird, und schritt
langsam, gesetzt einher. Wunderbare veränderliche Länder, Fluren, Auen,
Gebirge, Steppen, Sandwüsten entrollen sich vor meinem staunenden Blick;
es war kein Zweifel, ich hatte Siebenmeilenstiefel an den Füßen.

10.
Ich fiel in stummer Andacht auf meine Knie und vergoß Tränen des Dankes
-- denn klar stand plötzlich meine Zukunft vor meiner Seele. Durch frühe
Schuld von der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen, ward ich zum
Ersatz an die Natur, die ich stets geliebt, gewiesen, die Erde mir zu
einem reichen Garten gegeben, das Studium zur Richtung und Kraft meines
Lebens, zu ihrem Ziel die Wissenschaft. Es war nicht ein Entschluß, den
ich faßte. Ich habe nur seitdem, was da hell und vollendet im Urbild vor
mein inneres Auge trat, getreu mit stillem, strengem, unausgesetztem
Fleiß darzustellen gesucht, und meine Selbstzufriedenheit hat von dem
Zusammenfallen des Dargestellten mit dem Urbild abgehangen.
Ich raffte mich auf, um ohne Zögern mit flüchtigem Überblick Besitz von
dem Felde zu nehmen, wo ich künftig ernten wollte. -- Ich stand auf den
Höhen des Tibet, und die Sonne, die mir vor wenigen Stunden aufgegangen
war, neigte sich hier schon am Abendhimmel, ich durchwanderte Asien von
Osten gegen Westen, sie in ihrem Lauf einholend, und trat in Afrika ein.
Ich sah mich neugierig darin um, indem ich es wiederholt in allen
Richtungen durchmaß. Wie ich durch Ägypten die alten Pyramiden und
Tempel angaffte, erblickte ich in der Wüste, unfern des hunderttorigen
Theben, die Höhlen, wo christliche Einsiedler sonst wohnten. Es stand
plötzlich fest und klar in mir, hier ist dein Haus. -- Ich erkor eine
der verborgensten, die zugleich geräumig, bequem und den Schakalen
unzugänglich war, zu meinem künftigen Aufenthalte und setzte meinen Stab
weiter.
Ich trat bei den Herkulessäulen nach Europa über, und nachdem ich seine
südlichen und nördlichen Provinzen in Augenschein genommen, trat ich von
Nordasien über den Polargletscher nach Grönland und Amerika über,
durchschweifte die beiden Teile dieses Kontinents, und der Winter, der
schon im Süden herrschte, trieb mich schnell vom Kap Horn nordwärts
zurück.
Ich verweilte mich, bis es im östlichen Asien Tag wurde, und setzte erst
nach einiger Ruh' meine Wanderung fort. Ich verfolgte durch beide
Amerika die Bergkette, die die höchsten bekannten Unebenheiten unsrer
Kugel in sich faßt. Ich schritt langsam und vorsichtig von Gipfel zu
Gipfel, bald über flammende Vulkane, bald über beschneite Kuppeln, oft
mit Mühe atmend, ich erreichte den Eliasberg und sprang über die
Beringstraße nach Asien. -- Ich verfolgte dessen westliche Küste in
ihren vielfachen Wendungen und untersuchte mit besonderer
Aufmerksamkeit, welche der dort gelegenen Inseln mir zugänglich wären.
Von der Halbinsel Malakka trugen mich meine Stiefel auf Sumatra, Java,
Bali und Lamboc, ich versuchte, selbst oft mit Gefahr und dennoch immer
vergebens, mir über die kleinern Inseln und Felsen, wovon dieses Meer
starrt, einen Übergang nordwestlich nach Borneo und andern Inseln dieses
Archipelagus zu bahnen. Ich mußte die Hoffnung aufgeben. Ich setzte mich
endlich auf die äußerste Spitze von Lamboc nieder, und das Gesicht gegen
Süden und Osten gewendet, weint' ich wie am festverschlossenen Gitter
meines Kerkers, daß ich doch so bald meine Begrenzung gefunden. Das
merkwürdige, zum Verständnis der Erde und ihres sonnengewirkten Kleides,
der Pflanzen- und Tierwelt, so wesentlich notwendige Neuholland und die
Südsee mit ihren Zoophyteninseln waren mir untersagt, und so war im
Ursprunge schon alles, was ich sammeln und erbauen sollte, bloßes
Fragment zu bleiben verdammt. -- O mein _Adelbert_, was ist es doch um die
Bemühungen der Menschen!
Oft habe ich im strengsten Winter der südlichen Halbkugel vom Kap Horn
aus jene zweihundert Schritte, die mich etwa vom Land van Diemen und
Neuholland trennten, selbst unbekümmert um die Rückkehr, und sollte sich
dieses schlechte Land über mich, wie der Deckel meines Sarges,
schließen, über den Polargletscher westwärts zurückzulegen versucht,
habe über Treibeis mit törichter Wagnis verzweiflungsvolle Schritte
getan, der Kälte und dem Meere Trotz geboten. Umsonst, noch bin ich auf
Neuholland nicht gewesen -- ich kam dann jedesmal auf Lamboc zurück und
setzte mich auf seine äußerste Spitze nieder, und weinte wieder, das
Gesicht gen Süden und Osten gewendet, wie am festverschlossenen Gitter
meines Kerkers.
Ich riß mich endlich von dieser Stelle und trat mit traurigem Herzen
wieder in das innere Asien, ich durchschweifte es fürder, die
Morgendämmerung nach Westen verfolgend, und kam noch in der Nacht in die
Thebais zu meinem vorbestimmten Hause, das ich in den gestrigen
Nachmittagstunden berührt hatte.
Sobald ich etwas ausgeruht und es Tag über Europa war, ließ ich meine
erste Sorge sein, alles anzuschaffen, was ich bedurfte. -- Zuvörderst
Hemmschuhe, denn ich hatte erfahren, wie unbequem es sei, seinen Schritt
nicht anders verkürzen zu können, um nahe Gegenstände gemächlich zu
untersuchen, als indem man die Stiefel auszieht. Ein Paar Pantoffeln,
übergezogen, hatten völlig die Wirkung, die ich mir davon versprach, und
späterhin trug ich sogar deren immer zwei Paar bei mir, weil ich öfters
welche von den Füßen warf, ohne Zeit zu haben, sie aufzuheben, wenn
Löwen, Menschen oder Hyänen mich beim Botanisieren aufschreckten. Meine
sehr gute Uhr war auf die kurze Dauer meiner Gänge ein vortreffliches
Chronometer. Ich brauchte noch außerdem einen Sextanten, einige
physikalische Instrumente und Bücher.
Ich machte, dieses alles herbeizuschaffen, etliche bange Gänge nach
London und Paris, die ein mir günstiger Nebel eben beschattete. Als der
Rest meines Zaubergoldes erschöpft war, bracht' ich leicht zu findendes
afrikanisches Elfenbein als Bezahlung herbei, wobei ich freilich die
kleinsten Zähne, die meine Kräfte nicht überstiegen, auswählen mußte.
Ich ward bald mit allem versehen und ausgerüstet, und ich fing sogleich
als privatisierender Gelehrter meine neue Lebensweise an.
Ich streifte auf der Erde umher, bald ihre Höhen, bald die Temperatur
ihrer Quellen und die der Luft messend, bald Tiere beobachtend, bald
Gewächse untersuchend; ich eilte von dem Äquator nach dem Pole, von der
einen Welt nach der andern, Erfahrungen mit Erfahrungen vergleichend.
Die Eier der afrikanischen Strauße oder der nördlichen Seevögel und
Früchte, besonders der Tropenpalmen und Bananen, waren meine
gewöhnlichste Nahrung. Für mangelndes Glück hatt' ich als Surrogat die
Nikotiana und für menschliche Teilnahme und Bande die Liebe eines treuen
Pudels, der mir meine Höhle in der Thebais bewachte, und wenn ich mit
neuen Schätzen beladen zu ihm zurückkehrte, freudig an mich sprang und
es mich doch menschlich empfinden ließ, daß ich nicht allein auf der
Erde sei. Noch sollte mich ein Abenteuer unter die Menschen
zurückführen.

11.
Als ich einst auf Nordlands Küsten, meine Stiefel gehemmt, Flechten und
Algen sammelte, trat mir unversehens um die Ecke eines Felsens ein
Eisbär entgegen. Ich wollte, nach weggeworfenen Pantoffeln, auf eine
gegenüberliegende Insel treten, zu der mir ein dazwischen aus den Wellen
hervorragender nackter Felsen den Übergang bahnte. Ich trat mit dem
einen Fuß auf den Felsen fest auf und stürzte auf der andern Seite in
das Meer, weil mir unbemerkt der Pantoffel am andern Fuße haften
geblieben war.
Die große Kälte ergriff mich, ich rettete mit Mühe mein Leben aus dieser
Gefahr; sobald ich Land hielt, lief ich, so schnell ich konnte, nach der
Libyschen Wüste, um mich da an der Sonne zu trocknen. Wie ich ihr aber
ausgesetzt war, brannte sie mir so heiß auf den Kopf, daß ich sehr krank
wieder nach Norden taumelte. Ich suchte durch heftige Bewegung mir
Erleichterung zu verschaffen und lief mit unsichern raschen Schritten
von Westen nach Osten und von Osten nach Westen. Ich befand mich bald in
dem Tag und bald in der Nacht, bald im Sommer und bald in der
Winterkälte.
Ich weiß nicht, wie lange ich so auf der Erde herumtaumelte. Ein
brennendes Fieber glühte durch meine Adern, ich fühlte mit großer Angst
die Besinnung mich verlassen. Noch wollte das Unglück, daß ich bei so
unvorsichtigem Laufen jemanden auf den Fuß trat. Ich mochte ihm weh
getan haben; ich erhielt einen starken Stoß und ich fiel hin. --
Als ich zuerst zum Bewußtsein zurückkehrte, lag ich gemächlich in einem
guten Bette, das unter vielen andern Betten in einem geräumigen und
schönen Saale stand. Es saß mir jemand zu Häupten; es gingen Menschen
durch den Saal von einem Bette zum andern. Sie kamen vor das meine und
unterhielten sich von mir. Sie nannten mich aber _Numero Zwölf_, und an
der Wand zu meinen Füßen stand doch ganz gewiß, es war keine Täuschung,
ich konnte es deutlich lesen, auf schwarzer Marmortafel mit großen
goldenen Buchstaben mein Name
PETER SCHLEMIHL
ganz richtig geschrieben. Auf der Tafel standen noch unter meinem Namen
zwei Reihen Buchstaben, ich war aber zu schwach, um sie zusammen zu
bringen, ich machte die Augen wieder zu. --
Ich hörte etwas, worin von _Peter Schlemihl_ die Rede war, laut und
vernehmlich ablesen, ich konnte aber den Sinn nicht fassen; ich sah
einen freundlichen Mann und eine sehr schöne Frau in schwarzer Kleidung
vor meinem Bette erscheinen. Die Gestalten waren mir nicht fremd und ich
konnte sie nicht erkennen.
Es verging einige Zeit und ich kam wieder zu Kräften. Ich hieß _Numero
Zwölf_, und _Numero Zwölf_ galt seines langen Bartes wegen für einen Juden,
darum er aber nicht minder sorgfältig gepflegt wurde. Daß er keinen
Schatten hatte, schien unbemerkt geblieben zu sein. Meine Stiefel
befanden sich, wie man mich versicherte, nebst allem, was man bei mir
gefunden, als ich hierher gebracht worden, in gutem und sicherm
Gewahrsam, um mir nach meiner Genesung wieder zugestellt zu werden. Der
Ort, worin ich krank lag, hieß das SCHLEMIHLIUM; was täglich von _Peter
Schlemihl_ abgelesen wurde, war eine Ermahnung, für denselben, als den
Urheber und Wohltäter dieser Stiftung, zu beten. Der freundliche Mann,
den ich an meinem Bette gesehen hatte, war _Bendel_, die schöne Frau war
_Mina_.
Ich genas unerkannt im _Schlemihlio_ und erfuhr noch mehr, ich war in
_Bendels_ Vaterstadt, wo er aus dem Überrest meines sonst nicht gesegneten
Goldes dieses Hospitium, wo Unglückliche mich segneten, unter meinem
Namen gestiftet hatte, und er führte über dasselbe die Aufsicht. _Mina_
war Witwe, ein unglücklicher Kriminalprozeß hatte dem Herrn _Raskal_ das
Leben und ihr selbst ihr mehrstes Vermögen gekostet. Ihre Eltern waren
nicht mehr. Sie lebte hier als eine gottesfürchtige Witwe und übte Werke
der Barmherzigkeit.
Sie unterhielt sich einst am Bette Numero Zwölf mit dem Herrn Bendel:
»Warum, edle Frau, wollen Sie sich so oft der bösen Luft, die hier
herrscht, aussetzen? Sollte denn das Schicksal mit Ihnen so hart sein,
daß Sie zu sterben begehrten?« -- »Nein, Herr _Bendel_, seit ich meinen
langen Traum ausgeträumt habe und in mir selber erwacht bin, geht es mir
wohl, seitdem wünsche ich nicht mehr und fürchte nicht mehr den Tod.
Seitdem denke ich heiter an Vergangenheit und Zukunft. Ist es nicht auch
mit stillem innerlichen Glück, daß Sie jetzt auf so gottselige Weise
Ihrem Herren und Freunde dienen?« -- »Sei Gott gedankt, ja, edle Frau.
Es ist uns doch wundersam ergangen, wir haben viel Wohl und bitteres Weh
unbedachtsam aus dem vollen Becher geschlürft. Nun ist er leer; nun
möchte einer meinen, das sei alles nur die Probe gewesen, und mit kluger
Einsicht gerüstet, den wirklichen Anfang erwarten. Ein andrer ist nun
der wirkliche Anfang und man wünscht das erste Gaukelspiel nicht zurück,
und ist dennoch im ganzen froh, es, wie es war, gelebt zu haben. Auch
find' ich in mir das Zutrauen, daß es nun unserm alten Freunde besser
ergehen muß als damals.« -- »Auch in mir,« erwiderte die schöne Witwe,
und sie gingen an mir vorüber.
Dieses Gespräch hatte einen tiefen Eindruck in mir zurückgelassen; aber
ich zweifelte im Geiste, ob ich mich zu erkennen geben oder unerkannt
von dannen gehen sollte. -- Ich entschied mich. Ich ließ mir Papier und
Bleistift geben und schrieb die Worte:
»Auch eurem alten Freunde ergeht es nun besser als damals, und büßet
er, so ist es Buße der Versöhnung.«
Hierauf begehrte ich mich anzuziehen, da ich mich stärker befände. Man
holte den Schlüssel zu dem kleinen Schrank, der neben meinem Bette
stand, herbei. Ich fand alles, was mir gehörte, darin. Ich legte meine
Kleider an, hing meine botanische Kapsel, worin ich mit Freuden meine
nordischen Flechten wieder fand, über meine schwarze Kurtka um, zog
meine Stiefel an, legte den geschriebenen Zettel auf mein Bett, und
sowie die Tür aufging, war ich schon weit auf dem Wege nach der Thebais.
Wie ich längs der syrischen Küste den Weg, auf dem ich mich zum
letztenmal vom Hause entfernt harte, zurücklegte, sah ich mir meinen
armen Figaro entgegenkommen. Dieser vortreffliche Pudel schien seinem
Herrn, den er lange zu Hause erwartet haben mochte, auf der Spur
nachgehen zu wollen. Ich stand still und rief ihm zu. Er sprang bellend
an mich mit tausend rührenden Äußerungen seiner unschuldigen
ausgelassenen Freude. Ich nahm ihn unter den Arm, denn freilich konnte
er mir nicht folgen, und brachte ihn mit mir wieder nach Hause.
Ich fand dort alles in der alten Ordnung und kehrte nach und nach, sowie
ich wieder Kräfte bekam, zu meinen vormaligen Beschäftigungen und zu
meiner alten Lebensweise zurück. Nur daß ich mich ein ganzes Jahr
hindurch der mir ganz unzuträglichen Polarkälte enthielt.
Und so, mein lieber _Chamisso_, leb' ich noch heute. Meine Stiefel nutzen
sich nicht ab, wie das sehr gelehrte Werk des berühmten #_Tieckius_, de
rebus gestis Pollicilli#, es mich anfangs befürchten lassen. Ihre Kraft
bleibt ungebrochen; nur meine Kraft geht dahin, doch hab' ich den Trost,
sie an einen Zweck in fortgesetzter Richtung und nicht fruchtlos
verwendet zu haben. Ich habe, so weit meine Stiefel gereicht, die Erde,
ihre Gestaltung, ihre Höhen, ihre Temperatur, ihre Atmosphäre in ihrem
Wechsel, die Erscheinungen ihrer magnetischen Kraft, das Leben auf ihr,
besonders im Pflanzenreiche, gründlicher kennen gelernt, als vor mir
irgendein Mensch. Ich habe die Tatsachen mit möglichster Genauigkeit in
klarer Ordnung aufgestellt in mehreren Werken, meine Folgerungen und
Ansichten flüchtig in einigen Abhandlungen niedergelegt. -- Ich habe die
Geographie vom Innern von Afrika und von den nördlichen Polarländern,
vom Innern von Asien und von seinen östlichen Küsten festgesetzt. Meine
#Historia stirpium plantarum utriusque orbis# steht da als ein großes
Fragment der #Flora universalis terrae# und als ein Glied meines #Systema
naturae#. Ich glaube darin nicht bloß die Zahl der bekannten Arten mäßig
um mehr als ein Drittel vermehrt zu haben, sondern auch etwas für das
natürliche System und für die Geographie der Pflanzen getan zu haben.
Ich arbeite jetzt fleißig an meiner Fauna. Ich werde Sorge tragen, daß
vor meinem Tode meine Manuskripte bei der Berliner Universität
niedergelegt werden.
Und dich, mein lieber _Chamisso_, hab' ich zum Bewahrer meiner wundersamen
Geschichte erkoren, auf daß sie vielleicht, wenn ich von der Erde
verschwunden bin, manchen ihrer Bewohner zur nützlichen Lehre gereichen
könne. Du aber, mein Freund, willst du unter den Menschen leben, so
lerne verehren zuvörderst den Schatten, sodann das Geld. Willst du nur
dir und deinem bessern Selbst leben, o so brauchst du keinen Rat.
#Explicit.#


An Adelbert von Chamisso.

Trifft Frank' und Deutscher jetzt zusammen
Und jeder edlen Muts entbrannt,
So fährt ans tapfre Schwert die Hand
Und Kampf entsprüht in wilden Flammen.
Wir treffen uns auf höherm Feld,
Wir zwei verklärt in reinerm Feuer.
Heil dir, mein Frommer, mein Getreuer,
Und dem, was uns verbunden hält!
1813. Fouqué.


Ende.


Peter Schlemihls wundersame Geschichte.

Inhalt.
Seite
An meinen alten Freund Peter Schlemihl 3
An Julius Eduard Hitzig von Adelbert von Chamisso 5
An Ebendenselben von Fouqué 6
An Fouqué von Hitzig 8
Peter Schlemihls wundersame Geschichte 11
An Adelbert von Chamisso 78

* * * * *

Verlag von Philipp Reclam jun. in Leipzig.
+Adelbert von Chamissos+
Sämtliche Werke
in vier Bänden.
Mit einer Anzahl bisher ungedruckter Gedichte.
Herausgegeben und eingeleitet von Prof. #Dr.# Ludwig Geiger.
Mit zwei Bildnissen des Dichters.
+Inhalt:+
+1. Band.+ Biographische Einleitung.
-- Der Dichter. -- Lieder
und lyrisch-epische Gedichte.
+2. Band.+ Sonette und Terzinen.
-- Gelegenheitsgedichte. -- Erste
Nachlese zu den Gedichten. -- Zweite
Nachlese zu allen Abteilungen. --
In dramatischer Form. -- Übersetzungen.
-- Adelberts Fabel. --
Peter Schlemihls wundersame Geschichte.
+3. Band.+ Reise um die Welt.
1. Teil: Tagebuch.
+4. Band.+ Reise um die Welt.
2. Teil: Anhang. -- Bemerkungen
und Ansichten.
+Preis geheftet Mk. 2.--. In 2 modernen biegsamen Ganzleinenbänden Mk.
2.50. In 2 biegsamen Lederbänden mit Goldschnitt Mk. 6.--.+

* * * * *

Adelbert von Chamissos poetische und erzählende Werke.
Mit einer Anzahl bisher ungedruckter Gedichte. Herausgegeben und
eingeleitet von Professor #Dr.# Ludwig Geiger. Mit Chamissos Bildnis. In 1
modernen biegsamen Ganzleinenband Mk. 1.25.
* * * * *
+Gedichte von Adelbert von Chamisso.+
Mit Chamissos Bildnis. Univ.-Bibl. Nr. 314-317. Geh. 80 Pf., geb. M.
1.20.
In Lederband mit Goldschnitt M. 2.--.
* * * * *
+Peter Schlemihls wundersame Geschichte.+
Mitgeteilt von Adelbert von Chamisso.
Univ.-Bibliothek Nr. 93. Geh. 20 Pf., geb. 60 Pf.
* * * * *
+Adelbert von Chamissos Biographie+
von Ludwig Geiger.
Mit Chamissos Bildnis. Univ.-Bibl. Nr. 4951. Geh. 20 Pf., geb. 60 Pf.


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Auflistung der gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen:
Fußnote [3]: worauf sich dies bezog. --> Satzschlusszeichen (Punkt)
ergänzt.
Seite 21: Ich gedachte mit Grauen des fürcherlichen -->
fürchterlichen
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