Peter Schlemihls wundersame Geschichte - 4

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setzte mich mit angstvollem Herzen auf eine Bank, die im sonnigen Raume
der Haustür gegenüberstand. Es ward mir, als hörte ich den ungesehenen
Kobold sich hohnlachend neben mich setzen. Der Schlüssel ward in der Tür
gedreht, sie ging auf, der Forstmeister trat heraus, mit Papieren in der
Hand. Ich fühlte mir wie Nebel über den Kopf ziehn, ich sah mich um und
-- Entsetzen -- der Mann im grauen Rock saß neben mir, mit satanischem
Lächeln auf mich blickend. -- Er hatte mir seine Tarnkappe mit über den
Kopf gezogen, zu seinen Füßen lagen sein und mein Schatten friedlich
nebeneinander; er spielte nachlässig mit dem bekannten Pergament, das er
in der Hand hielt, und indem der Forstmeister mit den Papieren
beschäftigt im Schatten der Laube auf und ab ging -- beugte er sich
vertraulich zu meinem Ohr und flüsterte mir die Worte: »So hätten Sie
denn doch meine Einladung angenommen und da säßen wir einmal zwei Köpfe
unter einer Kappe! -- Schon recht, schon recht! Nun geben Sie mir aber
auch mein Vogelnest zurück, Sie brauchen es nicht mehr und sind ein zu
ehrlicher Mann, um es mir vorenthalten zu wollen -- doch keinen Dank
dafür, ich versichere Sie, daß ich es Ihnen von Herzen gern geliehen
habe.« -- Er nahm es unweigerlich aus meiner Hand, steckte es in die
Tasche und lachte mich abermals aus, und zwar so laut, daß sich der
Forstmeister nach dem Geräusch umsah. -- Ich saß wie versteinert da.
»Sie müssen mir doch gestehen,« fuhr er fort, »daß so eine Kappe viel
bequemer ist. Sie deckt doch nicht nur ihren Mann, sondern auch seinen
Schatten mit, und noch so viele andre, als er mitzunehmen Lust hat.
Sehen Sie, heute führ' ich wieder ihrer zwei.« -- Er lachte wieder.
»Merken Sie sich's, _Schlemihl_, was man anfangs mit Gutem nicht will, das
muß man am Ende doch gezwungen. Ich dächte noch, Sie kauften mir das
Ding ab, nähmen die Braut zurück (denn noch ist es Zeit) und wir ließen
den _Raskal_ am Galgen baumeln, das wird uns ein leichtes, solange es am
Stricke nicht fehlt. -- Hören Sie, ich gebe Ihnen noch meine Mütze in
den Kauf.«
Die Mutter trat heraus und das Gespräch begann. -- »Was macht _Mina_?« --
»Sie weint.« -- »Einfältiges Kind! es ist doch nicht zu ändern!« --
»Freilich nicht; aber sie so früh einem andern zu geben -- -- O Mann, du
bist grausam gegen dein eignes Kind.« -- »Nein, Mutter, das siehst du
sehr falsch. Wenn sie, noch bevor sie ihre doch kindischen Tränen
ausgeweint hat, sich als die Frau eines sehr reichen und geehrten Mannes
findet, wird sie getröstet aus ihrem Schmerze wie aus einem Traum
erwachen und Gott und uns danken, das wirst du sehen!« -- »Gott gebe
es!« -- »Sie besitzt freilich jetzt sehr ansehnliche Güter; aber nach
dem Aufsehen, das die unglückliche Geschichte mit dem Abenteurer gemacht
hat, glaubst du, daß sich so bald eine andre für sie so passende Partie,
als der Herr _Raskal_, finden möchte? Weißt du, was für ein Vermögen er
besitzt, der Herr _Raskal_? Er hat für sechs Millionen Güter hier im
Lande, frei von allen Schulden, bar bezahlt. Ich habe die Dokumente in
den Händen gehabt! Er war's, der mir überall das Beste vorweg genommen
hat; und außerdem im Portefeuille Papiere auf _Thomas John_ für zirka
viertehalb Millionen.« -- »Er muß sehr viel gestohlen haben.« -- »Was
sind das wieder für Reden! Er hat weislich gespart, wo verschwendet
wurde.« -- »Ein Mann, der die Livree getragen hat.« -- »Dummes Zeug! er
hat doch einen untadligen Schatten.« -- »Du hast recht, aber -- --«
Der Mann im grauen Rock lachte und sah mich an. Die Türe ging auf und
_Mina_ trat heraus. Sie stützte sich auf den Arm einer Kammerfrau, stille
Tränen flossen auf ihre schönen blassen Wangen. Sie setzte sich in einen
Sessel, der für sie unter den Linden bereitet war, und ihr Vater nahm
einen Stuhl neben ihr. Er faßte zärtlich ihre Hand und redete sie, die
heftig zu weinen anfing, mit zarten Worten an: »Du bist mein gutes,
liebes Kind, du wirst auch vernünftig sein, wirst nicht deinen alten
Vater betrüben wollen, der nur dein Glück will; ich begreife es wohl,
liebes Herz, daß es dich sehr erschüttert hat, du bist wunderbar deinem
Unglück entkommen! Bevor wir den schändlichen Betrug entdeckt, hast du
diesen Unwürdigen sehr geliebt! Siehe, _Mina_, ich weiß es und mache dir
keine Vorwürfe darüber. Ich selber, liebes Kind, habe ihn auch geliebt,
solange ich ihn für einen großen Herrn angesehen habe. Nun siehst du
selber ein, wie anders alles geworden. Was! ein jeder Pudel hat ja
seinen Schatten, und mein liebes einziges Kind sollte einen Mann -- --
Nein, du denkst auch gar nicht mehr an ihn. -- Höre, _Mina_, nun wirbt ein
Mann um dich, der die Sonne nicht scheut, ein geehrter Mann, der
freilich kein Fürst ist, aber zehn Millionen, zehnmal mehr als du, im
Vermögen besitzt, ein Mann, der mein liebes Kind glücklich machen wird.
Erwidere mir nichts, widersetze dich nicht, sei meine gute, gehorsame
Tochter, laß deinen liebenden Vater für dich sorgen, deine Tränen
trocknen. Versprich mir, dem Herrn _Raskal_ deine Hand zu geben. -- Sage,
willst du mir dies versprechen?« --
Sie antwortete mit erstorbener Stimme: »Ich habe keinen Willen, keinen
Wunsch fürder auf Erden. Geschehe mit mir, was mein Vater will.«
Zugleich ward Herr _Raskal_ angemeldet und trat frech in den Kreis. _Mina_
lag in Ohnmacht. Mein verhaßter Gefährte blickte mich zornig an und
flüsterte mir die schnellen Worte: »Und das könnten Sie erdulden! Was
fließt Ihnen denn statt des Blutes in den Adern?« Er ritzte mir mit
einer raschen Bewegung eine leichte Wunde in die Hand, es floß Blut, er
fuhr fort: »Wahrhaftig! rotes Blut! -- So unterschreiben Sie!« Ich hatte
das Pergament und die Feder in Händen.

7.
Ich werde mich deinem Urteile bloßstellen, lieber _Chamisso_, und es nicht
zu bestechen suchen. Ich selbst habe lange strenges Gericht an mir
selber vollzogen, denn ich habe den quälenden Wurm in meinem Herzen
genährt. Es schwebte immerwährend dieser ernste Moment meines Lebens vor
meiner Seele, und ich vermocht' es nur zweifelnden Blickes, mit Demut
und Zerknirschung anzuschauen. -- Lieber Freund, wer leichtsinnig nur
den Fuß aus der geraden Straße setzt, der wird unversehens in andre
Pfade abgeführt, die abwärts und immer abwärts ihn ziehen; er sieht dann
umsonst die Leitsterne am Himmel schimmern, ihm bleibt keine Wahl, er
muß unaufhaltsam den Abhang hinab, und sich selbst der Nemesis opfern.
Nach dem übereilten Fehltritt, der den Fluch auf mich geladen, hatt' ich
durch Liebe frevelnd in eines andern Wesens Schicksal mich gedrängt; was
blieb mir übrig, als, wo ich Verderben gesät, wo schnelle Rettung von
mir geheischt ward, eben rettend blindlings hinzuzuspringen? denn die
letzte Stunde schlug. -- Denke nicht so niedrig von mir, mein _Adelbert_,
als zu meinen, es hätte mich irgendein geforderter Preis zu teuer
gedünkt, ich hätte mit irgend etwas, was nur mein war, mehr als eben mit
Gold gekargt. -- Nein, _Adelbert_; aber mit unüberwindlichem Hasse gegen
diesen rätselhaften Schleicher auf krummen Wegen war meine Seele
angefüllt. Ich mochte ihm unrecht tun, doch empörte mich jede
Gemeinschaft mit ihm. -- Auch hier trat, wie so oft schon in mein Leben,
und wie überhaupt so oft in die Weltgeschichte, ein Ereignis an die
Stelle einer Tat. Später habe ich mich mit mir selber versöhnt. Ich habe
erstlich die Notwendigkeit verehren lernen, und was ist mehr als die
getane Tat, das geschehene Ereignis, ihr Eigentum! Dann hab' ich auch
diese Notwendigkeit als eine weise Fügung verehren lernen, die durch das
gesamte große Getrieb' weht, darin wir bloß als mitwirkende, getriebene
treibende Räder eingreifen: was sein soll, muß geschehen, was sein
sollte, geschah, und nicht ohne jene Fügung, die ich endlich noch in
meinem Schicksale und dem Schicksale derer, die das meine mit angriff,
verehren lernte.
Ich weiß nicht, ob ich es der Spannung meiner Seele, unter dem Drange so
mächtiger Empfindungen, zuschreiben soll, ob der Erschöpfung meiner
physischen Kräfte, die während der letzten Tage ungewohntes Darben
geschwächt, ob endlich dem zerstörenden Aufruhr, den die Nähe dieses
grauen Unholdes in meiner ganzen Natur erregte; genug, es befiel mich,
als es an das Unterschreiben ging, eine tiefe Ohnmacht, und ich lag eine
lange Zeit wie in den Armen des Todes.
Fußstampfen und Fluchen waren die ersten Töne, die mein Ohr trafen, als
ich zum Bewußtsein zurückkehrte; ich öffnete die Augen, es war dunkel,
mein verhaßter Begleiter war scheltend um mich bemüht. »Heißt das nicht
wie ein altes Weib sich aufführen! -- Man raffe sich auf und vollziehe
frisch, was man beschlossen, oder hat man sich anders besonnen und will
lieber greinen?« -- Ich richtete mich mühsam auf von der Erde, wo ich
lag, und schaute schweigend um mich. Es war später Abend, aus dem
hellerleuchteten Försterhause erscholl festliche Musik, einzelne Gruppen
von Menschen wallten durch die Gänge des Gartens. Ein paar traten im
Gespräche näher und nahmen Platz auf der Bank, worauf ich früher
gesessen hatte. Sie unterhielten sich von der an diesem Morgen
vollzogenen Verbindung des reichen Herrn _Raskal_ mit der Tochter des
Hauses. -- Es war also geschehen. --
Ich streifte mit der Hand die Tarnkappe des sogleich mir verschwindenden
Unbekannten von meinem Haupte weg, und eilte stillschweigend, in die
tiefste Nacht des Gebüsches mich versenkend, den Weg über _Graf Peters_
Laube einschlagend, dem Ausgange des Gartens zu. Unsichtbar aber
geleitete mich mein Plagegeist, mich mit scharfen Worten verfolgend.
»Das ist also der Dank für die Mühe, die man genommen hat, Monsieur, der
schwache Nerven hat, den langen lieben Tag hindurch zu pflegen. Und man
soll den Narren im Spiele abgeben. Gut, Herr Trotzkopf, fliehn Sie nur
vor mir, wir sind doch unzertrennlich. Sie haben mein Gold und ich Ihren
Schatten; das läßt uns beiden keine Ruhe. -- Hat man je gehört, daß ein
Schatten von seinem Herrn gelassen hätte? Ihrer zieht mich Ihnen nach,
bis Sie ihn wieder zu Gnaden annehmen und ich ihn los bin. Was Sie
versäumt haben aus frischer Lust zu tun, werden Sie nur zu spät aus
Überdruß und Langweile nachholen müssen; man entgeht seinem Schicksale
nicht.« Er sprach aus demselben Tone fort und fort; ich floh umsonst, er
ließ nicht nach, und immer gegenwärtig, redete er höhnend von Gold und
Schatten. Ich konnte zu keinem eignen Gedanken kommen.
Ich hatte durch menschenleere Straßen einen Weg nach meinem Hause
eingeschlagen. Als ich davor stand und es ansah, konnte ich es kaum
erkennen; hinter den eingeschlagenen Fenstern brannte kein Licht. Die
Türen waren zu, kein Dienervolk regte sich mehr darin. Er lachte laut
auf neben mir: »Ja, ja, so geht's! Aber Ihren _Bendel_ finden Sie wohl
daheim, den hat man jüngst vorsorglich so müde nach Hause geschickt, daß
er es wohl seitdem gehütet haben wird.« Er lachte wieder. »Der wird
Geschichten zu erzählen haben! -- Wohlan denn! für heute gute Nacht, auf
baldiges Wiedersehen!«
Ich hatte wiederholt geklingelt, es erschien Licht; _Bendel_ frug von
innen, wer geklingelt habe. Als der gute Mann meine Stimme erkannte,
konnte er seine Freude kaum bändigen; die Tür flog auf, wir lagen
weinend einander in den Armen. Ich fand ihn sehr verändert, schwach und
krank; mir war aber das Haar ganz grau geworden.
Er führte mich durch die verödeten Zimmer nach einem innern, verschont
gebliebenen Gemach; er holte Speise und Trank herbei, wir setzten uns,
er fing wieder an zu weinen. Er erzählte mir, daß er letzthin den grau
gekleideten dürren Mann, den er mit meinem Schatten angetroffen hatte,
so lange und so weit geschlagen habe, bis er selbst meine Spur verloren
und vor Müdigkeit hingesunken sei; daß nachher, wie er mich nicht wieder
finden gekonnt, er nach Hause zurückgekehrt, wo bald darauf der Pöbel,
auf _Raskals_ Anstiften, herangestürmt, die Fenster eingeschlagen und
seine Zerstörungslust gebüßt. So hatten sie an ihrem Wohltäter
gehandelt. Meine Dienerschaft war auseinander geflohen. Die örtliche
Polizei hatte mich als verdächtig aus der Stadt verwiesen, und mir eine
Frist von vierundzwanzig Stunden festgesetzt, um deren Gebiet zu
verlassen. Zu dem, was mir von _Raskals_ Reichtum und Vermählung bekannt
war, wußte er noch vieles hinzuzufügen. Dieser Bösewicht, von dem alles
ausgegangen, was hier gegen mich geschehen war, mußte von Anbeginn mein
Geheimnis besessen haben, es schien, er habe, vom Golde angezogen, sich
an mich zu drängen gewußt, und schon in der ersten Zeit einen Schlüssel
zu jenem Goldschrank sich verschafft, wo er den Grund zu dem Vermögen
gelegt, das noch zu vermehren er jetzt verschmähen konnte.
Das alles erzählte mir _Bendel_ unter häufigen Tränen, und weinte dann
wieder vor Freuden, daß er mich wieder sah, mich wieder hatte, und daß,
nachdem er lang gezweifelt, wohin das Unglück mich gebracht haben
möchte, er mich es ruhig und gefaßt ertragen sah. Denn solche Gestaltung
hatte nun die Verzweiflung in mir genommen. Ich sah mein Elend
riesengroß, unwandelbar vor mir, ich hatte ihm meine Tränen ausgeweint,
es konnte kein Geschrei mehr aus meiner Brust pressen, ich trug ihm kalt
und gleichgültig mein entblößtes Haupt entgegen.
»_Bendel_,« hub ich an, »du weißt mein Los. Nicht ohne früheres
Verschulden trifft mich schwere Strafe. Du sollst länger nicht,
unschuldiger Mann, dein Schicksal an das meine binden, ich will es
nicht. Ich reite die Nacht noch fort, sattle mir ein Pferd, ich reite
allein; du bleibst, ich will's. Es müssen hier noch einige Kisten Goldes
liegen, das behalte du. Ich werde allein unstet in der Welt wandern;
wann mir aber je eine heitere Stunde wieder lacht und das Glück mich
versöhnt anblickt, dann will ich deiner getreu gedenken, denn ich habe
an deiner getreuen Brust in schweren, schmerzlichen Stunden geweint.«
Mit gebrochenem Herzen mußte der Redliche diesem letzten Befehle seines
Herrn, worüber er in der Seele erschrak, gehorchen; ich war seinen
Bitten, seinen Vorstellungen taub, blind seinen Tränen; er führte mir
das Pferd vor. Ich drückte noch einmal den Weinenden an meine Brust,
schwang mich in den Sattel und entfernte mich unter dem Mantel der Nacht
von dem Grabe meines Lebens, unbekümmert, welchen Weg mein Pferd mich
führen werde; denn ich hatte weiter auf Erden kein Ziel, keinen Wunsch,
keine Hoffnung.

8.
Es gesellte sich bald ein Fußgänger zu mir, welcher mich bat, nachdem er
eine Weile neben meinem Pferde geschritten war, da wir doch denselben
Weg hielten, einen Mantel, den er trug, hinten auf mein Pferd legen zu
dürfen, ich ließ es stillschweigend geschehen. Er dankte mir mit
leichtem Anstand für den leichten Dienst, lobte mein Pferd, nahm daraus
Gelegenheit, das Glück und die Macht der Reichen hoch zu preisen, und
ließ sich, ich weiß nicht wie, in eine Art von Selbstgespräch ein, bei
dem er mich bloß zum Zuhörer hatte.
Er entfaltete seine Ansichten von dem Leben und der Welt, und kam sehr
bald auf die Metaphysik, an die die Forderung erging, das Wort
aufzufinden, das aller Rätsel Lösung sei. Er setzte die Aufgabe mit
vieler Klarheit auseinander und schritt fürder zu deren Beantwortung.
Du weißt, mein Freund, daß ich deutlich erkannt habe, seitdem ich den
Philosophen durch die Schule gelaufen, daß ich zur philosophischen
Spekulation keineswegs berufen bin, und daß ich mir dieses Feld völlig
abgesprochen habe; ich habe seither vieles auf sich beruhen lassen,
vieles zu wissen und zu begreifen Verzicht geleistet und bin, wie du es
mir selber geraten, meinem geraden Sinn vertrauend, der Stimme in mir,
soviel es in meiner Macht gewesen, auf dem eignen Wege gefolgt. Nun
schien mir dieser Redekünstler mit großem Talent ein fest gefügtes
Gebäude aufzuführen, das in sich selbst begründet sich emportrug und wie
durch eine innere Notwendigkeit bestand. Nur vermißt' ich ganz in ihm,
was ich eben darin hätte suchen wollen, und so ward es mir zu einem
bloßen Kunstwerk, dessen zierliche Geschlossenheit und Vollendung dem
Auge allein zur Ergötzung diente; aber ich hörte dem wohlberedeten Manne
gerne zu, der meine Aufmerksamkeit von meinen Leiden auf sich selbst
abgelenkt, und ich hätte mich willig ihm ergeben, wenn er meine Seele
wie meinen Verstand in Anspruch genommen hätte.
Mittlerweile war die Zeit hingegangen und unbemerkt hatte schon die
Morgendämmerung den Himmel erhellt; ich erschrak, als ich mit einem Male
aufblickte und im Osten die Pracht der Farben sich entfalten sah, die
die nahe Sonne verkünden, und gegen sie war in dieser Stunde, wo die
Schlagschatten mit ihrer ganzen Ausdehnung prunken, kein Schutz, kein
Bollwerk in der offenen Gegend zu ersehen! und ich war nicht allein! Ich
warf einen Blick auf meinen Begleiter und erschrak wieder. -- Es war
kein andrer als der Mann im grauen Rock.
Er lächelte über meine Bestürzung und fuhr fort, ohne mich zum Wort
kommen zu lassen: »Laßt doch, wie es einmal in der Welt Sitte ist,
unsern wechselseitigen Vorteil uns auf eine Weile verbinden, zu scheiden
haben wir immer noch Zeit. Die Straße hier längs dem Gebirge, ob Sie
gleich noch nicht daran gedacht haben, ist doch die einzige, die Sie
vernünftigerweise einschlagen können; hinab in das Tal dürfen Sie nicht
und über das Gebirg' werden Sie noch weniger zurückkehren wollen, von wo
Sie hergekommen sind -- diese ist auch gerade meine Straße. -- Ich sehe
Sie schon vor der aufgehenden Sonne erblassen. Ich will Ihnen Ihren
Schatten auf die Zeit unsrer Gesellschaft leihen, und Sie dulden mich
dafür in Ihrer Nähe; Sie haben so Ihren _Bendel_ nicht mehr bei sich; ich
will Ihnen gute Dienste leisten. Sie lieben mich nicht, das ist mir
leid. Sie können mich darum doch benutzen. Der Teufel ist nicht so
schwarz, als man ihn malt. Gestern haben Sie mich geärgert, das ist
wahr, heute will ich's Ihnen nicht nachtragen und ich habe Ihnen schon
den Weg bis hierher verkürzt, das müssen Sie selbst gestehen. -- Nehmen
Sie doch nur einmal Ihren Schatten auf Probe wieder an.«
Die Sonne war aufgegangen, auf der Straße kamen uns Menschen entgegen;
ich nahm, obgleich mit innerlichem Widerwillen, den Antrag an. Er ließ
lächelnd meinen Schatten zur Erde gleiten, der alsbald seine Stelle auf
des Pferdes Schatten einnahm und lustig neben mir her trabte. Mir war
sehr seltsam zumute. Ich ritt an einem Trupp Landleute vorbei, die vor
einem wohlhabenden Mann ehrerbietig mit entblößtem Haupte Platz machten.
Ich ritt weiter und blickte gierigen Auges und klopfenden Herzens
seitwärts vom Pferde herab auf diesen sonst meinen Schatten, den ich
jetzt von einem Fremden, ja von einem Feinde, erborgt hatte.
Dieser ging unbekümmert nebenher und pfiff eben ein Liedchen. Er zu Fuß,
ich zu Pferd', ein Schwindel ergriff mich, die Versuchung war zu groß,
ich wandte plötzlich die Zügel, drückte beide Sporen an, und so in
voller Karriere einen Seitenweg eingeschlagen; aber ich entführte den
Schatten nicht, der bei der Wendung vom Pferde glitt und seinen
gesetzmäßigen Eigentümer auf der Landstraße erwartete. Ich mußte
beschämt umlenken; der Mann im grauen Rocke, als er ungestört sein
Liedchen zu Ende gebracht, lachte mich aus, setzte mir den Schatten
wieder zurecht und belehrte mich, er würde erst an mir festhangen und
bei mir bleiben wollen, wann ich ihn wiederum als rechtmäßiges Eigentum
besitzen würde. »Ich halte Sie,« fuhr er fort, »am Schatten fest und Sie
kommen mir nicht los. Ein reicher Mann, wie Sie, braucht einmal einen
Schatten, das ist nicht anders, Sie sind nur darin zu tadeln, daß Sie es
nicht früher eingesehen haben.«
Ich setzte meine Reise auf derselben Straße fort; es fanden sich bei mir
alle Bequemlichkeiten des Lebens und selbst ihre Pracht wieder ein; ich
konnte mich frei und leicht bewegen, da ich einen, obgleich nur
erborgten, Schatten besaß, und ich flößte überall die Ehrfurcht ein, die
der Reichtum gebietet; aber ich hatte den Tod im Herzen. Mein
wundersamer Begleiter, der sich selbst für den unwürdigen Diener des
reichsten Mannes in der Welt ausgab, war von einer außerordentlichen
Dienstfertigkeit, über die Maßen gewandt und geschickt, der wahre
Inbegriff eines Kammerdieners für einen reichen Mann, aber er wich nicht
von meiner Seite und führte unaufhörlich das Wort gegen mich, stets die
größte Zuversicht an den Tag legend, daß ich endlich, sei es auch nur,
um ihn los zu werden, den Handel mit dem Schatten abschließen würde. --
Er war mir ebenso lästig als verhaßt. Ich konnte mich ordentlich vor ihm
fürchten. Ich hatte mich von ihm abhängig gemacht. Er hielt mich,
nachdem er mich in die Herrlichkeit der Welt, die ich floh,
zurückgeführt hatte. Ich mußte seine Beredsamkeit über mich ergehen
lassen und fühlte schier, er habe recht. Ein Reicher muß in der Welt
einen Schatten haben, und sobald ich den Stand behaupten wollte, den er
mich wieder geltend zu machen verleitet hatte, war nur ein Ausgang zu
ersehen. Dieses aber stand bei mir fest, nachdem ich meine Liebe
hingeopfert, nachdem mir das Leben verblaßt war, wollt' ich meine Seele
nicht, sei es um alle Schatten der Welt, dieser Kreatur verschreiben.
Ich wußte nicht, wie es enden sollte.
Wir saßen einst vor einer Höhle, welche die Fremden, die das Gebirge
bereisen, zu besuchen pflegen. Man hört dort das Gebrause unterirdischer
Ströme aus ungemessener Tiefe heraufschallen, und kein Grund scheint den
Stein, den man hineinwirft, in seinem hallenden Fall aufzuhalten. Er
malte mir, wie er öfters tat, mit verschwenderischer Einbildungskraft
und im schimmernden Reize der glänzendsten Farben, sorgfältig
ausgeführte Bilder von dem, was ich in der Welt, kraft meines Säckels,
ausführen würde, wenn ich erst meinen Schatten wieder in meiner Gewalt
hätte. Die Ellbogen auf die Knie gestützt, hielt ich mein Gesicht in
meinen Händen verborgen und hörte dem Falschen zu, das Herz zwiefach
geteilt zwischen der Verführung und dem strengen Willen in mir. Ich
konnte bei solchem innerlichen Zwiespalt länger nicht ausdauern und
begann den entscheidenden Kampf.
»Sie scheinen, mein Herr, zu vergessen, daß ich Ihnen zwar erlaubt habe,
unter gewissen Bedingungen in meiner Begleitung zu bleiben, daß ich mir
aber meine völlige Freiheit vorbehalten habe.« -- »Wenn Sie befehlen, so
pack' ich ein.« Die Drohung war ihm geläufig. Ich schwieg; er setzte
sich gleich daran, meinen Schatten wieder zusammenzurollen. Ich
erblaßte, aber ich ließ es stumm geschehen. Es erfolgte ein langes
Stillschweigen. Er nahm zuerst das Wort: »Sie können mich nicht leiden,
mein Herr, Sie hassen mich, ich weiß es; doch warum hassen Sie mich? Ist
es etwa, weil Sie mich auf öffentlicher Straße angefallen und mir mein
Vogelnest mit Gewalt zu rauben gemeint? oder ist es darum, daß Sie mein
Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaubten,
mir diebischerweise zu entwenden gesucht haben? Ich meinerseits hasse
Sie darum nicht; ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vorteile,
List und Gewalt geltend zu machen suchen; daß Sie übrigens die
allerstrengsten Grundsätze haben und wie die Ehrlichkeit selbst denken,
ist eine Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. -- Ich denke in der
Tat nicht so streng als Sie; ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab'
ich Ihnen etwa irgendwann den Daumen auf die Gurgel gedrückt, um Ihre
werteste Seele, zu der ich einmal Lust habe, an mich zu bringen? Hab'
ich von wegen meines ausgetauschten Säckels einen Diener auf Sie
losgelassen? hab' ich Ihnen damit durchzugehen versucht?« Ich hatte
dagegen nichts zu erwidern; er fuhr fort: »Schon recht, mein Herr, schon
recht! Sie können mich nicht leiden; auch das begreife ich wohl und
verarge es Ihnen weiter nicht. Wir müssen scheiden, das ist klar, und
auch Sie fangen an, mir sehr langweilig vorzukommen. Um sich also meiner
ferneren beschämenden Gegenwart völlig zu entziehen, rate ich es Ihnen
noch einmal: Kaufen Sie mir das Ding ab.« -- Ich hielt ihm den Säckel
hin: »Um den Preis.« -- »Nein!« -- Ich seufzte schwer auf und nahm
wieder das Wort: »Auch also. Ich dringe darauf, mein Herr, laßt uns
scheiden, vertreten Sie mir länger nicht den Weg auf einer Welt, die
hoffentlich geräumig genug ist für uns beide.« Er lächelte und
erwiderte: »Ich gehe, mein Herr, zuvor aber will ich Sie unterrichten,
wie Sie mir klingeln können, wenn Sie je Verlangen nach Ihrem
untertänigsten Knecht tragen sollten: Sie brauchen nur Ihren Säckel zu
schütteln, daß die ewigen Goldstücke darinnen rasseln, der Ton zieht
mich augenblicklich an. Ein jeder denkt auf seinen Vorteil in dieser
Welt: Sie sehen, daß ich auf Ihren zugleich bedacht bin, denn ich
eröffne Ihnen offenbar eine neue Kraft! -- O dieser Säckel! -- Und
hätten gleich die Motten Ihren Schatten schon aufgefressen, der würde
noch ein starkes Band zwischen uns sein. Genug, Sie haben mich an meinem
Gold, befehlen Sie auch in der Ferne über Ihren Knecht, Sie wissen, daß
ich mich meinen Freunden dienstfertig genug erweisen kann, und daß die
Reichen besonders gut mit mir stehen; Sie haben es selbst gesehen. --
Nur Ihren Schatten, mein Herr -- das lassen Sie sich gesagt sein -- nie
wieder, als unter einer einzigen Bedingung.«
Gestalten der alten Zeit traten vor meine Seele. Ich frug ihn schnell:
»Hatten Sie eine Unterschrift vom Herrn _John_?« -- Er lächelte. -- »Mit
einem so guten Freund hab' ich es keineswegs nötig gehabt.« -- »Wo ist
er? bei Gott, ich will es wissen!« Er steckte zögernd die Hand in die
Tasche, und daraus bei den Haaren hervorgezogen erschien _Thomas Johns_
bleiche, entstellte Gestalt, und die blauen Leichenlippen bewegten sich
zu schweren Worten: #»Justo judicio Dei judicatus sum; justo judicio Dei
condemnatus sum.«# Ich entsetzte mich, und schnell den klingenden Säckel
in den Abgrund werfend, sprach ich zu ihm die letzten Worte: »So
beschwör' ich dich im Namen Gottes, Entsetzlicher! hebe dich von dannen
und lasse dich nie wieder vor meinen Augen blicken!« Er erhub sich
finster und verschwand sogleich hinter den Felsenmassen, die den wild
bewachsenen Ort begrenzten.

9.
Ich saß da ohne Schatten und ohne Geld; aber ein schweres Gewicht war
von meiner Brust genommen, ich war heiter. Hätte ich nicht auch meine
Liebe verloren, oder hätt' ich mich nur bei deren Verlust vorwurfsfrei
gefühlt, ich glaube, ich hätte glücklich sein können -- ich wußte aber
nicht, was ich anfangen sollte. Ich durchsuchte meine Taschen und fand
noch einige Goldstücke darin; ich zählte sie und lachte. -- Ich hatte
meine Pferde unten im Wirtshause, ich schämte mich, dahin
zurückzukehren, ich mußte wenigstens den Untergang der Sonne erwarten;
sie stand noch hoch am Himmel. Ich legte mich in den Schatten der
nächsten Bäume und schlief ruhig ein.
Anmutige Bilder verwoben sich mir im luftigen Tanze zu einem gefälligen
Traum. _Mina_, einen Blumenkranz in den Haaren, schwebte an mir vorüber
und lächelte mich freundlich an. Auch der ehrliche _Bendel_ war mit Blumen
bekränzt und eilte mit freundlichem Gruße vorüber. Viele sah ich noch,
und wie mich dünkt, auch dich, _Chamisso_, im fernen Gewühl; ein helles
Licht schien, es hatte aber keiner einen Schatten, und was seltsamer
ist, es sah nicht übel aus -- Blumen und Lieder, Liebe und Freude, unter
Palmenhainen. -- -- Ich konnte die beweglichen, leicht verwehten,
lieblichen Gestalten weder festhalten noch deuten; aber ich weiß, daß
ich gerne solchen Traum träumte und mich vor dem Erwachen in acht nahm;
ich wachte wirklich schon und hielt noch die Augen zu, um die weichenden
Erscheinungen länger vor meiner Seele zu behalten.
Ich öffnete endlich die Augen, die Sonne stand noch am Himmel, aber im
Osten; ich hatte die Nacht verschlafen. Ich nahm es für ein Zeichen, daß
ich nicht nach dem Wirtshause zurückkehren sollte. Ich gab leicht, was
ich dort noch besaß, verloren und beschloß, eine Nebenstraße, die durch
den waldbewachsenen Fuß des Gebirges führte, zu Fuß einzuschlagen, dem
Schicksal es anheimstellend, was es mit mir vor hatte, zu erfüllen. Ich
schaute nicht hinter mich zurück und dachte auch nicht daran, an _Bendel_,
den ich reich zurückgelassen hatte, mich zu wenden, welches ich
allerdings gekonnt hätte. Ich sah mich an auf den neuen Charakter, den
ich in der Welt bekleiden sollte: mein Anzug war sehr bescheiden. Ich
hatte eine alte schwarze Kurtka an, die ich schon in Berlin getragen,
und die mir, ich weiß nicht wie, zu dieser Reise erst wieder in die Hand
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