Peter Schlemihls wundersame Geschichte - 3

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O mein guter _Chamisso_, ich will hoffen, du habest noch nicht vergessen,
was Liebe sei! Ich lasse dir hier vieles zu ergänzen. _Mina_ war wirklich
ein liebewertes, gutes, frommes Kind. Ich hatte ihre ganze Phantasie an
mich gefesselt, sie wußte in ihrer Demut nicht, womit sie wert gewesen,
daß ich nur nach ihr geblickt; und sie vergalt Liebe um Liebe, mit der
vollen jugendlichen Kraft eines unschuldigen Herzens. Sie liebte wie ein
Weib, ganz hin sich opfernd; selbstvergessen, hingegeben den nur
meinend, der ihr Leben war, unbekümmert, solle sie selbst zugrunde
gehen, das heißt, sie liebte wirklich.
Ich aber -- o welche schreckliche Stunden -- schrecklich! und würdig
dennoch, daß ich sie zurückwünsche -- hab' ich oft an _Bendels_ Brust
verweint, als nach dem ersten bewußtlosen Rausch ich mich besonnen, mich
selbst scharf angeschaut, der ich, ohne Schatten, mit tückischer
Selbstsucht diesen Engel verderbend, die reine Seele an mich gelogen und
gestohlen! Dann beschloß ich, mich ihr selber zu verraten; dann gelobt'
ich mit teuren Eidschwüren, mich von ihr zu reißen und zu entfliehen;
dann brach ich wieder in Tränen aus und verabredete mit _Bendeln_, wie ich
sie auf den Abend im Förstergarten besuchen wolle.
Zu andern Zeiten log ich mir selber vom nahe bevorstehenden Besuch des
grauen Unbekannten große Hoffnungen vor, und weinte wieder, wenn ich
daran zu glauben vergebens versucht hatte. Ich hatte den Tag
ausgerechnet, wo ich den Furchtbaren wieder zu sehen erwartete; denn er
hatte gesagt, in Jahr und Tag, und ich glaubte an sein Wort.
Die Eltern waren gute, ehrbare, alte Leute, die ihr einziges Kind sehr
liebten, das ganze Verhältnis überraschte sie, als es schon bestand, und
sie wußten nicht, was sie dabei tun sollten. Sie hatten früher nicht
geträumt, der _Graf Peter_ könne nur an ihr Kind denken, nun liebte er sie
gar und ward wieder geliebt. -- Die Mutter war wohl eitel genug, an die
Möglichkeit einer Verbindung zu denken und darauf hinzuarbeiten; der
gesunde Menschenverstand des Alten gab solchen überspannten
Vorstellungen nicht Raum. Beide waren überzeugt von der Reinheit meiner
Liebe -- sie konnten nichts tun, als für ihr Kind beten.
Es fällt mir ein Brief in die Hand, den ich noch aus dieser Zeit von
_Mina_ habe. -- Ja, das sind ihre Züge! Ich will dir ihn abschreiben.
»Bin ein schwaches, törichtes Mädchen, könnte mir einbilden, daß mein
Geliebter, weil ich ihn innig, innig liebe, dem armen Mädchen nicht weh
tun möchte. -- Ach, Du bist so gut, so unaussprechlich gut; aber
mißdeute mich nicht. Du sollst mir nichts opfern, mir nichts opfern
wollen; o Gott! ich könnte mich hassen, wenn Du das tätest. Nein -- Du
hast mich unendlich glücklich gemacht, Du hast mich Dich lieben gelehrt.
Zeuch hin! -- Weiß doch mein Schicksal, _Graf Peter_ gehört nicht mir,
gehört der Welt an. Will stolz sein, wenn ich höre: das ist er gewesen,
und das war er wieder, und das hat er vollbracht; da haben sie ihn
angebetet, und da haben sie ihn vergöttert. Siehe, wenn ich das denke,
zürne ich Dir, daß Du bei einem einfältigen Kinde deiner hohen
Schicksale vergessen kannst. -- Zeuch hin, sonst macht der Gedanke mich
noch unglücklich, die ich, ach! durch Dich so glücklich, so selig bin.
-- Hab' ich nicht auch einen Ölzweig und eine Rosenknospe in Dein Leben
geflochten, wie in den Kranz, den ich Dir überreichen durfte. Habe Dich
im Herzen, mein Geliebter, fürchte nicht von mir zu gehen -- werde
sterben, ach! so selig, so unaussprechlich selig durch Dich.« --
Du kannst dir denken, wie mir die Worte durchs Herz schneiden mußten.
Ich erklärte ihr, ich sei nicht das, wofür man mich anzusehen schien;
ich sei nur ein reicher, aber unendlich elender Mann. Auf mir ruhe ein
Fluch, der das einzige Geheimnis zwischen ihr und mir sein solle, weil
ich noch nicht ohne Hoffnung sei, daß er gelöst werde. Dies sei das Gift
meiner Tage: daß ich sie mit in den Abgrund hinreißen könne, sie, die
das einzige Licht, das einzige Glück, das einzige Herz meines Lebens
sei. Dann weinte sie wieder, daß ich unglücklich war. Ach, sie war so
liebevoll, so gut! Um eine Träne nur mir zu erkaufen, hätte sie, mit
welcher Seligkeit, sich selbst ganz hingeopfert.
Sie war indes weit entfernt, meine Worte richtig zu deuten, sie ahnte
nun in mir irgendeinen Fürsten, den ein schwerer Bann getroffen,
irgendein hohes, geächtetes Haupt und ihre Einbildungskraft malte sich
geschäftig unter heroischen Bildern den Geliebten herrlich aus.
Einst sagte ich ihr: »_Mina_, der letzte Tag im künftigen Monat kann mein
Schicksal ändern und entscheiden -- geschieht es nicht, so muß ich
sterben, weil ich dich nicht unglücklich machen will.« -- Sie verbarg
weinend ihr Haupt an meiner Brust. -- »Ändert sich dein Schicksal, laß
mich nur dich glücklich wissen, ich habe keinen Anspruch an dich. --
Bist du elend, binde mich an dein Elend, daß ich es dir tragen helfe.«
»Mädchen, Mädchen, nimm es zurück, das rasche Wort, das törichte, das
deinen Lippen entflohen -- und kennst du es, dieses Elend, kennst du
ihn, diesen Fluch? Weißt du, wer dein Geliebter -- -- was er --? Siehst
du mich nicht krampfhaft zusammenschaudern, und vor dir ein Geheimnis
haben?« Sie fiel schluchzend mir zu Füßen und wiederholte mit Eidschwur
ihre Bitte.
Ich erklärte mich gegen den hereintretenden Forstmeister, meine Absicht
sei, am ersten des nächstkünftigen Monats um die Hand seiner Tochter
anzuhalten -- ich setze diese Zeit fest, weil sich bis dahin manches
ereignen dürfte, was Einfluß auf mein Schicksal haben könnte.
Unwandelbar sei nur meine Liebe zu seiner Tochter. --
Der gute Mann erschrak ordentlich, als er solche Worte aus dem Munde des
_Grafen Peter_ vernahm. Er fiel mir um den Hals und ward wieder ganz
verschämt, sich vergessen zu haben. Nun fiel es ihm ein, zu zweifeln, zu
erwägen und zu forschen; er sprach von Mitgift, von Sicherheit, von
Zukunft für sein liebes Kind. Ich dankte ihm, mich daran zu mahnen. Ich
sagte ihm, ich wünsche in dieser Gegend, wo ich geliebt zu sein schien,
mich anzusiedeln und ein sorgenfreies Leben zu führen. Ich bat ihn, die
schönsten Güter, die im Lande ausgeboten würden, unter dem Namen seiner
Tochter zu kaufen und die Bezahlung auf mich anzuweisen. Es könne darin
ein Vater dem Liebenden am besten dienen. -- Es gab ihm viel zu tun,
denn überall war ihm ein Fremder zuvorgekommen; er kaufte auch nur für
ungefähr eine Million.
Daß ich ihn damit beschäftigte, war im Grunde eine unschuldige List, um
ihn zu entfernen, und ich hatte schon ähnliche mit ihm gebraucht, denn
ich muß gestehen, daß er etwas lästig war. Die gute Mutter war dagegen
etwas taub, und nicht wie er, auf die Ehre eifersüchtig, den Herrn
Grafen zu unterhalten.
Die Mutter kam hinzu, die glücklichen Leute drangen in mich, den Abend
länger unter ihnen zu bleiben; ich durfte keine Minute weilen: ich sah
schon den aufgehenden Mond am Horizonte dämmern. -- Meine Zeit war
um. --
Am nächsten Abend ging ich wieder nach dem Förstergarten. Ich hatte den
Mantel weit über die Schultern geworfen, den Hut tief in die Augen
gedrückt, ich ging auf _Mina_ zu; wie sie aufsah und mich anblickte,
machte sie eine unwillkürliche Bewegung; da stand mir wieder klar vor
der Seele die Erscheinung jener schaurigen Nacht, wo ich mich im
Mondschein ohne Schatten gezeigt. Sie war es wirklich. Hatte sie mich
aber auch jetzt erkannt? Sie war still und gedankenvoll -- mir lag es
zentnerschwer auf der Brust -- ich stand von meinem Sitz auf. Sie warf
sich still weinend an meine Brust. Ich ging.
Nun fand ich sie öfters in Tränen, mir ward's finster und finsterer um
die Seele -- nur die Eltern schwammen in überschwenglicher
Glückseligkeit; der verhängnisvolle Tag rückte heran, bang und dumpf wie
eine Gewitterwolke. Der Vorabend war da -- ich konnte kaum mehr atmen.
Ich hatte vorsorglich einige Kisten mit Gold angefüllt, ich wachte die
zwölfte Stunde heran. -- Sie schlug. --
Nun saß ich da, das Auge auf die Zeiger der Uhr gerichtet, die Sekunden,
die Minuten zählend, wie Dolchstiche. Bei jedem Lärm, der sich regte,
fuhr ich auf, der Tag brach an. Die bleiernen Stunden verdrängten
einander, es ward Mittag, Abend, Nacht; es rückten die Zeiger, welkte
die Hoffnung; es schlug elf und nichts erschien, die letzten Minuten der
letzten Stunde fielen, und nichts erschien, es schlug der erste Schlag,
der letzte Schlag der zwölften Stunde, und ich sank hoffnungslos in
unendlichen Tränen auf mein Lager zurück. Morgen sollt' ich -- auf immer
schattenlos, um die Hand der Geliebten anhalten; ein banger Schlaf
drückte mir gegen den Morgen die Augen zu.

5.
Es war noch früh, als mich Stimmen weckten, die sich in meinem
Vorzimmer, in heftigem Wortwechsel, erhoben. Ich horchte auf. -- _Bendel_
verbot meine Tür; _Raskal_ schwor hoch und teuer, keine Befehle von
seinesgleichen anzunehmen, und bestand darauf, in meine Zimmer
einzudringen. Der gütige _Bendel_ verwies ihm, daß solche Worte, falls sie
zu meinen Ohren kämen, ihn um einen vorteilhaften Dienst bringen würden.
Raskal drohte Hand an ihn zu legen, wenn er ihm den Eingang noch länger
vertreten wollte.
Ich hatte mich halb angezogen, ich riß zornig die Tür auf und fuhr auf
_Raskaln_ zu -- »Was willst du, Schurke -- --?« Er trat zwei Schritte
zurück und antwortete ganz kalt: »Sie untertänigst bitten, Herr Graf,
mir doch einmal Ihren Schatten sehen zu lassen -- die Sonne scheint eben
so schön auf dem Hofe.« --
Ich war wie vom Donner gerührt. Es dauerte lange, bis ich die Sprache
wieder fand. -- »Wie kann ein Knecht gegen seinen Herrn --?« Er fiel mir
ganz ruhig in die Rede: »Ein Knecht kann ein sehr ehrlicher Mann sein
und einem Schattenlosen nicht dienen wollen, ich fordere meine
Entlassung.« Ich mußte andre Saiten aufziehen. »Aber _Raskal_, lieber
_Raskal_, wer hat dich auf die unglückliche Idee gebracht, wie kannst du
denken -- --?« Er fuhr im selben Tone fort: »Es wollen Leute behaupten,
Sie hätten keinen Schatten -- und kurz, Sie zeigen mir Ihren Schatten,
oder geben mir meine Entlassung.«
_Bendel_, bleich und zitternd, aber besonnener als ich, machte mir ein
Zeichen, ich nahm zu dem alles beschwichtigenden Golde meine Zuflucht --
auch das hatte seine Macht verloren -- er warf's mir vor die Füße: »Von
einem Schattenlosen nehme ich nichts an.« Er kehrte mir den Rücken und
ging, den Hut auf dem Kopf, ein Liedchen pfeifend, langsam aus dem
Zimmer. Ich stand mit _Bendel_ da wie versteint, gedanken- und regungslos
ihm nachsehend.
Schwer aufseufzend und den Tod im Herzen, schickt' ich mich endlich an,
mein Wort zu lösen, und, wie ein Verbrecher vor seinen Richtern, in dem
Förstergarten zu erscheinen. Ich stieg in der dunklen Laube ab, welche
nach mir benannt war, und wo sie mich auch diesmal erwarten mußten. Die
Mutter kam mir sorgenfrei und freudig entgegen. _Mina_ saß da, bleich und
schön, wie der erste Schnee, der manchmal im Herbste die letzten Blumen
küßt, und gleich in bittres Wasser zerfließen wird. Der Forstmeister,
ein geschriebenes Blatt in der Hand, ging heftig auf und ab, und schien
vieles in sich zu unterdrücken, was, mit fliegender Röte und Blässe
wechselnd, sich auf seinem sonst unbeweglichen Gesichte malte. Er kam
auf mich zu, als ich hereintrat, und verlangte mit oft unterbrochenen
Worten, mich allein zu sprechen. Der Gang, auf den er mich, ihm zu
folgen, einlud, führte nach einem freien besonnten Teile des Gartens --
ich ließ mich stumm auf einen Sitz nieder, und es erfolgte ein langes
Schweigen, das selbst die gute Mutter nicht zu unterbrechen wagte.
Der Forstmeister stürmte immer noch ungleichen Schrittes die Laube auf
und ab, er stand mit einem Male vor mir still, blickte ins Papier, das
er hielt, und fragte mich mit prüfendem Blick: »Sollte Ihnen, Herr Graf,
ein gewisser _Peter Schlemihl_ wirklich nicht unbekannt sein?« Ich schwieg
-- »ein Mann von vorzüglichem Charakter und von besonderen Gaben --« Er
erwartete eine Antwort. -- »Und wenn ich selber der Mann wäre?« --
»Dem,« fügte er heftig hinzu, »sein Schatten abhanden gekommen ist!!« --
»O meine Ahnung, meine Ahnung!« rief _Mina_ aus, »ja ich weiß es längst,
er hat keinen Schatten!« und sie warf sich in die Arme der Mutter,
welche erschreckt, sie krampfhaft an sich schließend, ihr Vorwürfe
machte, daß sie zum Unheil solch ein Geheimnis in sich verschlossen. Sie
aber war, wie Arethusa, in einen Tränenquell gewandelt, der beim Klang
meiner Stimme häufiger floß, und bei meinem Nahen stürmisch aufbrauste.
»Und Sie haben,« hub der Forstmeister grimmig wieder an, »und Sie haben
mit unerhörter Frechheit diese und mich zu betrügen keinen Anstand
genommen; und Sie geben vor, sie zu lieben, die Sie so weit
heruntergebracht haben? Sehen Sie, wie sie da weint und ringt. O
schrecklich! schrecklich!«
Ich hatte dergestalt alle Besinnung verloren, daß ich, wie irre redend,
anfing: es wäre doch am Ende ein Schatten, nichts als ein Schatten, man
könne auch ohne das fertig werden, und es wäre nicht der Mühe wert,
solchen Lärm davon zu erheben. Aber ich fühlte so sehr den Ungrund von
dem, was ich sprach, daß ich von selbst aufhörte, ohne daß er mich einer
Antwort gewürdigt. Ich fügte noch hinzu: was man einmal verloren, könne
man ein andermal wieder finden.
Er fuhr mich zornig an. -- »Gestehen Sie mir's, mein Herr, gestehen Sie
mir's, wie sind Sie um Ihren Schatten gekommen?« Ich mußte wieder lügen:
»Es trat mir dereinst ein ungeschlachter Mann so flämisch in meinen
Schatten, daß er ein großes Loch darein riß -- ich habe ihn nur zum
Ausbessern gegeben, denn Gold vermag viel, ich habe ihn schon gestern
wieder bekommen sollen.«
»Wohl, mein Herr, ganz wohl!« erwiderte der Forstmeister, »Sie werben um
meine Tochter, das tun auch andre, ich habe als ein Vater für sie zu
sorgen, ich gebe Ihnen drei Tage Frist, binnen welcher Sie sich nach
einem Schatten umtun mögen; erscheinen Sie binnen drei Tagen vor mir mit
einem wohlangepaßten Schatten, so sollen Sie mir willkommen sein: am
vierten Tage aber -- das sag' ich Ihnen -- ist meine Tochter die Frau
eines andern.« -- Ich wollte noch versuchen, ein Wort an _Mina_ zu
richten, aber sie schloß sich, heftiger schluchzend, fester an ihre
Mutter, und diese winkte mir stillschweigend, mich zu entfernen. Ich
schwankte hinweg, und mir war's, als schlösse sich hinter mir die Welt
zu.
Der liebevollen Aufsicht _Bendels_ entsprungen, durchschweifte ich in
irrem Lauf Wälder und Fluren. Angstschweiß troff von meiner Stirne, ein
dumpfes Stöhnen entrang sich meiner Brust, in mir tobte Wahnsinn.
Ich weiß nicht, wie lange es so gedauert haben mochte, als ich mich auf
einer sonnigen Heide beim Ärmel anhalten fühlte. -- Ich stand still und
sah mich um -- -- es war der Mann im grauen Rock, der sich nach mir
außer Atem gelaufen zu haben schien. Er nahm sogleich das Wort: »Ich
hatte mich auf den heutigen Tag angemeldet, Sie haben die Zeit nicht
erwarten können. Es steht aber alles noch gut, Sie nehmen Rat an,
tauschen Ihren Schatten wieder ein, der Ihnen zu Gebote steht, und
kehren sogleich wieder um. Sie sollen in dem Förstergarten willkommen
sein, und alles ist nur ein Scherz gewesen; den _Raskal_, der Sie verraten
hat und um Ihre Braut wirbt, nehm' ich auf mich, der Kerl ist reif.«
Ich stand noch wie im Schlafe da. -- »Auf den heutigen Tag angemeldet
--?« ich überdachte noch einmal die Zeit -- er hatte recht, ich hatte
mich stets um einen Tag verrechnet. Ich suchte mit der rechten Hand nach
dem Säckel auf meiner Brust -- er erriet meine Meinung und trat zwei
Schritte zurück.
»Nein, Herr Graf, der ist in zu guten Händen, den behalten Sie.« -- Ich
sah ihn mit stieren Augen, verwundert fragend an, er fuhr fort: »Ich
erbitte mir bloß eine Kleinigkeit zum Andenken, Sie sind nur so gut und
unterschreiben mir den Zettel da.« -- Auf dem Pergamente standen die
Worte:
»Kraft dieser meiner Unterschrift vermache ich dem Inhaber dieses
meine Seele nach ihrer natürlichen Trennung von meinem Leibe.«
Ich sah mit stummem Staunen die Schrift und den grauen Unbekannten
abwechselnd an. -- Er hatte unterdessen mit einer neu geschnittenen
Feder einen Tropfen Bluts aufgefangen, der mir aus einem frischen
Dornriß auf die Hand floß, und hielt sie mir hin.
»Wer sind Sie denn?« frug ich ihn endlich. »Was tut's,« gab er mir zur
Antwort, »und sieht man es mir nicht an? Ein armer Teufel, gleichsam so
eine Art von Gelehrten und Physikus, der von seinen Freunden für
vortreffliche Künste schlechten Dank erntet, und für sich selber auf
Erden keinen andern Spaß hat, als sein bißchen Experimentieren -- aber
unterschreiben Sie doch. Rechts, da unten: _Peter Schlemihl_.«
Ich schüttelte mit dem Kopf und sagte: »Verzeihen Sie, mein Herr, das
unterschreibe ich nicht.« -- »Nicht?« wiederholte er verwundert, »und
warum nicht?«
»Es scheint mir doch gewissermaßen bedenklich, meine Seele an meinen
Schatten zu setzen.« -- -- »So, so!« wiederholte er, »bedenklich,« und
er brach in ein lautes Gelächter gegen mich aus. »Und, wenn ich fragen
darf, was ist denn das für ein Ding, Ihre Seele? haben Sie es je
gesehen, und was denken Sie damit anzufangen, wenn Sie einst tot sind?
Seien Sie doch froh, einen Liebhaber zu finden, der Ihnen bei Lebenszeit
noch den Nachlaß dieses #X#, dieser galvanischen Kraft oder
polarisierenden Wirksamkeit, und was alles das närrische Ding sein soll,
mit etwas Wirklichem bezahlen will, nämlich mit Ihrem leibhaftigen
Schatten, durch den Sie zu der Hand Ihrer Geliebten und zu der Erfüllung
aller Ihrer Wünsche gelangen können. Wollen Sie lieber selbst das arme
junge Blut dem niederträchtigen Schurken, dem _Raskal_, zustoßen und
ausliefern? -- Nein, das müssen Sie doch mit eignen Augen ansehen;
kommen Sie, ich leihe Ihnen die Tarnkappe hier« (er zog etwas aus der
Tasche) »und wir wallfahren ungesehen nach dem Förstergarten.«
Ich muß gestehen, daß ich mich überaus schämte, von diesem Manne
ausgelacht zu werden. Er war mir von Herzensgrunde verhaßt, und ich
glaube, daß mich dieser persönliche Widerwille mehr als Grundsätze oder
Vorurteile abhielt, meinen Schatten, so notwendig er mir auch war, mit
der begehrten Unterschrift zu erkaufen. Auch war mir der Gedanke
unerträglich, den Gang, den er mir antrug, in seiner Gesellschaft zu
unternehmen. Diesen häßlichen Schleicher, diesen hohnlächelnden Kobold,
zwischen mich und meine Geliebte, zwei blutig zerrissene Herzen,
spöttisch hintreten zu sehen, empörte mein innigstes Gefühl. Ich nahm,
was geschehen war, als verhängt an, mein Elend als unabwendbar, und mich
zu dem Manne kehrend, sagte ich ihm: »Mein Herr, ich habe Ihnen meinen
Schatten für diesen an sich sehr vorzüglichen Säckel verkauft, und es
hat mich genug gereut. Kann der Handel zurückgehen, in Gottes Namen!« Er
schüttelte mit dem Kopf und zog ein sehr finsteres Gesicht. Ich fuhr
fort: »So will ich Ihnen auch weiter nichts von meiner Habe verkaufen,
sei es auch um den angebotenen Preis meines Schattens, und
unterschreibe also nichts. Daraus läßt sich auch abnehmen, daß die
Verkappung, zu der Sie mich einladen, ungleich belustigender für Sie als
für mich ausfallen müßte; halten Sie mich also für entschuldigt, und da
es einmal nicht anders ist -- laßt uns scheiden!« --
»Es ist mir leid, Monsieur _Schlemihl_, daß Sie eigensinnig das Geschäft
von der Hand weisen, das ich Ihnen freundschaftlich anbot. Indessen,
vielleicht bin ich ein andermal glücklicher. Auf baldiges Wiedersehen!
-- Apropos, erlauben Sie mir noch, Ihnen zu zeigen, daß ich die Sachen,
die ich kaufe, keineswegs verschimmeln lasse, sondern in Ehren halte,
und daß sie bei mir gut aufgehoben sind.« --
Er zog sogleich meinen Schatten aus seiner Tasche, und ihn mit einem
geschickten Wurf auf der Heide entfaltend, breitete er ihn auf der
Sonnenseite zu seinen Füßen aus, so, daß er zwischen den beiden ihm
aufwartenden Schatten, dem meinen und dem seinen, daher ging, denn
meiner mußte ihm gleichfalls gehorchen und nach allen seinen Bewegungen
sich richten und bequemen.
Als ich nach so langer Zeit einmal meinen armen Schatten wieder sah, und
ihn zu solchem schnöden Dienste herabgewürdigt fand, eben als ich um
seinetwillen in so namenloser Not war, da brach mir das Herz, und ich
fing bitterlich zu weinen an. Der Verhaßte stolzierte mit dem mir
abgejagten Raub, und erneuerte unverschämt seinen Antrag: »Noch ist er
für Sie zu haben, ein Federzug, und Sie retten damit die arme
unglückliche _Mina_ aus des Schuftes Klauen in des hochgeehrten Herrn
Grafen Arme -- wie gesagt, nur ein Federzug.« Meine Tränen brachen mir
erneuter Kraft hervor, aber ich wandte mich weg, und winkte ihm, sich zu
entfernen.
_Bendel_, der voller Sorgen meine Spuren bis hierher verfolgt hatte, traf
in diesem Augenblick ein. Als mich die treue, fromme Seele weinend
fand, und meinen Schatten, denn er war nicht zu verkennen, in der Gewalt
des wunderlichen grauen Unbekannten sah, beschloß er gleich, sei es auch
mit Gewalt, mich in den Besitz meines Eigentums wiederherzustellen, und
da er selbst mit dem zarten Dinge nicht umzugehen verstand, griff er
gleich den Mann mit Worten an, und ohne vieles Fragen gebot er ihm
stracks, mir das Meine unverzüglich verabfolgen zu lassen. Dieser, statt
aller Antwort, kehrte dem unschuldigen Burschen den Rücken und ging.
_Bendel_ aber erhob den Kreuzdornknüttel, den er trug, und, ihm auf den
Fersen folgend, ließ er ihn schonungslos unter wiederholtem Befehl, den
Schatten herzugeben, die volle Kraft seines nervichten Armes fühlen.
Jener, als sei er solcher Behandlung gewohnt, bückte den Kopf, wölbte
die Schultern, und zog stillschweigend ruhigen Schrittes seinen Weg über
die Heide weiter, mir meinen Schatten zugleich und meinen treuen Diener
entführend. Ich hörte lange noch den dumpfen Schall durch die Einöde
dröhnen, bis er sich endlich in der Entfernung verlor. Einsam war ich
wie vorher mit meinem Unglück.

6.
Allein zurückgeblieben auf der öden Heide, ließ ich unendlichen Tränen
freien Lauf, mein armes Herz von namenloser banger Last erleichternd.
Aber ich sah meinem überschwenglichen Elend keine Grenzen, keinen
Ausgang, kein Ziel, und ich sog besonders mit grimmigem Durst an dem
neuen Gifte, das der Unbekannte in meine Wunden gegossen. Als ich _Minas_
Bild vor meine Seele rief und die geliebte, süße Gestalt bleich und in
Tränen mir erschien, wie ich sie zuletzt in meiner Schmach gesehen, da
trat frech und höhnend _Raskals_ Schemen zwischen sie und mich, ich
verhüllte mein Gesicht und floh durch die Einöde, aber die scheußliche
Erscheinung gab mich nicht frei, sondern verfolgte mich im Laufe, bis
ich atemlos an den Boden sank und die Erde mit erneuertem Tränenquell
befeuchtete.
Und alles um einen Schatten! Und diesen Schatten hätte mir ein Federzug
wieder erworben. Ich überdachte den befremdenden Antrag und meine
Weigerung. Es war wüst in mir, ich hatte weder Urteil noch
Fassungsvermögen mehr.
Der Tag verging, ich stillte meinen Hunger mit wilden Früchten, meinen
Durst im nächsten Bergstrom; die Nacht brach ein, ich lagerte mich unter
einem Baum. Der feuchte Morgen weckte mich aus einem schweren Schlaf, in
dem ich mich selber wie im Tode röcheln hörte. _Bendel_ mußte meine Spur
verloren haben und es freute mich, es zu denken. Ich wollte nicht unter
die Menschen zurückkehren, vor welchen ich schreckhaft floh, wie das
scheue Wild des Gebirges. So verlebte ich drei bange Tage.
Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer sandigen Ebene, welche
die Sonne beschien, und saß auf Felsentrümmern in ihrem Strahl, denn ich
liebte jetzt, ihren lang' entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte
still mein Herz mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich ein leises
Geräusch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich
sah niemand: aber es kam auf dem sonnigen Sande an mir vorbeigeglitten
ein Menschenschatten, dem meinigen nicht unähnlich, welcher, allein
daherwandelnd, von seinem Herrn abgekommen zu sein schien.
Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht' ich, suchst du
deinen Herrn? der will ich sein. Und ich sprang hinzu, mich seiner zu
bemächtigen; ich dachte nämlich, daß, wenn es mir glückte, in seine Spur
zu treten, so, daß er mir an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben
würde und sich mit der Zeit an mich gewöhnen.
Der Schatten, auf meine Bewegung, nahm vor mir die Flucht, und ich mußte
auf den leichten Flüchtling eine angestrengte Jagd beginnen, zu der mich
allein der Gedanke, mich aus der furchtbaren Lage, in der ich war, zu
retten, mit hinreichenden Kräften ausrüsten konnte. Er floh einem
freilich noch entfernten Walde zu, in dessen Schatten ich ihn notwendig
hätte verlieren müssen, ich sah's, ein Schreck durchzuckte mir das Herz,
fachte meine Begierde an, beflügelte meinen Lauf -- ich gewann
sichtbarlich auf den Schatten, ich kam ihm nach und nach näher, ich
mußte ihn erreichen. Nun hielt er plötzlich an und kehrte sich nach mir
um. Wie der Löwe auf seine Beute, so schoß ich mit einem gewaltigen
Sprunge hinzu, um ihn in Besitz zu nehmen -- und traf unerwartet und
hart auf körperlichen Widerstand. Es wurden mir unsichtbar die
unerhörtesten Rippenstöße erteilt, die wohl je ein Mensch gefühlt hat.
Die Wirkung des Schreckens war in mir, die Arme krampfhaft zuzuschlagen
und fest zu drücken, was ungesehen vor mir stand. Ich stürzte in der
schnellen Handlung vorwärts gestreckt auf den Boden; rückwärts aber
unter mir ein Mensch, den ich umfaßt hielt und der jetzt erst sichtbar
erschien.
Nun ward mir auch das ganze Ereignis sehr natürlich erklärbar. Der Mann
mußte das unsichtbare Vogelnest, das den, der es hält, nicht aber seinen
Schatten unsichtbar macht, erst getragen und jetzt weggeworfen haben.
Ich spähte mit dem Blick umher, entdeckte gar bald den Schatten des
unsichtbaren Nestes selbst, sprang auf und hinzu und verfehlte nicht den
teuern Raub. Ich hielt unsichtbar, schattenlos das Nest in Händen.
Der schnell sich aufrichtende Mann, sich sogleich nach seinem beglückten
Bezwinger umsehend, erblickte auf der weiten sonnigen Ebene weder ihn
noch dessen Schatten, nach dem er besonders ängstlich umherlauschte.
Denn daß ich an und für mich schattenlos war, hatte er vorher nicht Muße
gehabt zu bemerken und konnte es nicht vermuten. Als er sich überzeugt,
daß jede Spur verschwunden, kehrte er in der höchsten Verzweiflung die
Hand gegen sich selber und raufte sich das Haar aus. Mir aber gab der
errungene Schatz die Möglichkeit und die Begierde zugleich, mich wieder
unter die Menschen zu mischen. Es fehlte mir nicht an Vorwand gegen mich
selber, meinen schnöden Raub zu beschönigen, oder vielmehr, ich bedurfte
solches nicht, und jedem Gedanken der Art zu entweichen, eilte ich
hinweg, nach dem Unglücklichen nicht zurückschauend, dessen ängstliche
Stimme ich mir noch lange nachschallen hörte. So wenigstens kamen mir
damals alle Umstände dieses Ereignisses vor.
Ich brannte, nach dem Förstergarten zu gehen und durch mich selbst die
Wahrheit dessen zu erkennen, was mir jener Verhaßte verkündigt hatte;
ich wußte aber nicht, wo ich war, ich bestieg, um mich in der Gegend
umzuschauen, den nächsten Hügel, ich sah von seinem Gipfel das nahe
Städtchen und den Förstergarten zu meinen Füßen liegen. -- Heftig
klopfte mir das Herz und Tränen einer andern Art, als die ich bis dahin
vergossen, traten mir in die Augen: ich sollte sie wiedersehen. -- Bange
Sehnsucht beschleunigte meine Schritte auf dem richtigsten Pfad hinab.
Ich kam ungesehen an einigen Bauern vorbei, die aus der Stadt kamen. Sie
sprachen von mir, _Raskal_ und dem Förster; ich wollte nichts anhören, ich
eilte vorüber.
Ich trat in den Garten, alle Schauer der Erwartung in der Brust -- mir
schallte es wie ein Lachen entgegen, mich schauderte, ich warf einen
schnellen Blick um mich her; ich konnte niemand entdecken. Ich schritt
weiter vor, mir war's, als vernähme ich neben mir ein Geräusch wie von
Menschentritten; es war aber nichts zu sehen: ich dachte mich von meinem
Ohr getäuscht. Es war noch früh, niemand in _Graf Peters_ Laube, noch leer
der Garten; ich durchschweifte die bekannten Gänge, ich drang bis nach
dem Wohnhause vor. Dasselbe Geräusch verfolgte mich vernehmlicher. Ich
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