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Peter Schlemihls wundersame Geschichte - 2

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  Glastür deines kleinen Zimmers und sähe dich von da an deinem
  Arbeitstische zwischen einem Skelett und einem Bunde getrockneter
  Pflanzen sitzen, vor dir waren Haller, Humboldt und Linné aufgeschlagen,
  auf deinem Sofa lagen ein Band Goethe und der Zauberring, ich
  betrachtete dich lange und jedes Ding in deiner Stube, und dann dich
  wieder, du rührtest dich aber nicht, du holtest auch nicht Atem, du
  warst tot.
  Ich erwachte. Es schien noch sehr früh zu sein. Meine Uhr stand. Ich war
  wie zerschlagen, durstig und hungrig auch noch; ich hatte seit dem
  vorigen Morgen nichts gegessen. Ich stieß von mir mit Unwillen und
  Überdruß dieses Gold, an dem ich kurz vorher mein törichtes Herz
  gesättigt; nun wußt' ich verdrießlich nicht, was ich damit anfangen
  sollte. Es durfte nicht so liegen bleiben -- ich versuchte, ob es der
  Beutel wieder verschlingen wollte -- nein. Keines meiner Fenster öffnete
  sich über die See. Ich mußte mich bequemen, es mühsam und mit sauerm
  Schweiß zu einem großen Schrank, der in einem Kabinett stand, zu
  schleppen, und es darin zu verpacken. Ich ließ nur einige Handvoll da
  liegen. Nachdem ich mit der Arbeit fertig geworden, legt' ich mich
  erschöpft in einen Lehnstuhl und erwartete, daß sich Leute im Hause zu
  regen anfingen. Ich ließ, sobald es möglich war, zu essen bringen und
  den Wirt zu mir kommen.
  Ich besprach mit diesem Manne die künftige Einrichtung meines Hauses. Er
  empfahl mir für den näheren Dienst um meine Person einen gewissen
  _Bendel_, dessen treue und verständige Physiognomie mich gleich gewann.
  Derselbe war's, dessen Anhänglichkeit mich seither tröstend durch das
  Elend des Lebens begleitete und mir mein düsteres Los ertragen half. Ich
  brachte den ganzen Tag auf meinen Zimmern mit herrenlosen Knechten,
  Schustern, Schneidern und Kaufleuten zu, ich richtete mich ein und
  kaufte besonders sehr viel Kostbarkeiten und Edelsteine, um nur etwas
  des vielen aufgespeicherten Goldes los zu werden; es schien aber gar
  nicht, als könne der Haufen sich vermindern.
  Ich schwebte indes über meinen Zustand in den ängstigendsten Zweifeln.
  Ich wagte keinen Schritt aus meiner Tür und ließ abends vierzig
  Wachskerzen in meinem Saal anzünden, bevor ich aus dem Dunkel herauskam.
  Ich gedachte mit Grauen des fürchterlichen Auftrittes mit den
  Schulknaben. Ich beschloß, soviel Mut ich auch dazu bedurfte, die
  öffentliche Meinung noch einmal zu prüfen. -- Die Nächte waren zu der
  Zeit mondhell. Abends spät warf ich einen weiten Mantel um, drückte mir
  den Hut tief in die Augen und schlich, zitternd wie ein Verbrecher, aus
  dem Hause. Erst auf einem entlegenen Platz trat ich aus dem Schatten der
  Häuser, in deren Schutz ich so weit gekommen war, an das Mondlicht
  hervor, gefaßt, mein Schicksal aus dem Munde der Vorübergehenden zu
  vernehmen.
  Erspare mir, lieber Freund, die schmerzliche Wiederholung alles dessen,
  was ich erdulden mußte. Die Frauen bezeigten oft das tiefste Mitleid,
  das ich ihnen einflößte; Äußerungen, die mir die Seele nicht minder
  durchbohrten, als der Hohn der Jugend und die hochmütige Verachtung der
  Männer, besonders solcher dicken, wohlbeleibten, die selbst einen
  breiten Schatten warfen. Ein schönes, holdes Mädchen, die, wie es
  schien, ihre Eltern begleitete, indem diese bedächtig nur vor ihre Füße
  sahen, wandte von ungefähr ihr leuchtendes Auge auf mich; sie erschrak
  sichtbarlich, da sie meine Schattenlosigkeit bemerkte, verhüllte ihr
  schönes Antlitz in ihren Schleier, ließ den Kopf sinken und ging lautlos
  vorüber.
  Ich ertrug es länger nicht. Salzige Ströme brachen aus meinen Augen, und
  mit durchschnittenem Herzen zog ich mich schwankend ins Dunkel zurück.
  Ich mußte mich an den Häusern halten, um meine Schritte zu sichern, und
  erreichte langsam und spät meine Wohnung.
  Ich brachte die Nacht schlaflos zu. Am andern Tage war meine erste
  Sorge, nach dem Manne im grauen Rocke überall suchen zu lassen.
  Vielleicht sollte es mir gelingen, ihn wieder zu finden, und wie
  glücklich! wenn ihn, wie mich, der törichte Handel gereuen sollte. Ich
  ließ _Bendel_ vor mich kommen, er schien Gewandtheit und Geschick zu
  besitzen -- ich schilderte ihm genau den Mann, in dessen Besitz ein
  Schatz sich befand, ohne den mir das Leben nur eine Qual sei. Ich sagte
  ihm die Zeit, den Ort, wo ich ihn gesehen; beschrieb ihm alle, die
  zugegen gewesen, und fügte dieses Zeichen noch hinzu: er solle sich nach
  einem Dollondschen Fernrohr, nach einem golddurchwirkten türkischen
  Teppich, nach einem Prachtlustzelt, und endlich nach den schwarzen
  Reithengsten genau erkundigen, deren Geschichte, ohne zu bestimmen wie,
  mit der des rätselhaften Mannes zusammenhinge, welcher allen unbedeutend
  geschienen, und dessen Erscheinung die Ruhe und das Glück meines Lebens
  zerstört hatte.
  Wie ich ausgeredet, holt' ich Gold her, eine Last, wie ich sie nur zu
  tragen vermochte, und legte Edelsteine und Juwelen noch hinzu für einen
  größern Wert. »_Bendel_,« sprach ich, »dieses ebnet viele Wege und macht
  vieles leicht, was unmöglich schien; sei nicht karg damit, wie ich es
  nicht bin, sondern geh, und erfreue deinen Herrn mit Nachrichten, auf
  denen seine alleinige Hoffnung beruht.«
  Er ging. Spät kam er und traurig zurück. Keiner von den Leuten des Herrn
  _John_, keiner von seinen Gästen, er hatte alle gesprochen, wußte sich nur
  entfernt an den Mann im grauen Rocke zu erinnern. Das neue Teleskop war
  da und keiner wußte, wo es hergekommen; der Teppich, das Zelt waren da
  und noch auf demselben Hügel ausgebreitet und aufgeschlagen, die Knechte
  rühmten den Reichtum ihres Herrn, und keiner wußte, von wannen diese
  neuen Kostbarkeiten ihm zugekommen. Er selbst hatte sein Wohlgefallen
  daran, und ihn kümmerte es nicht, daß er nicht wisse, woher er sie habe;
  die Pferde hatten die jungen Herren, die sie geritten, in ihren Ställen,
  und sie priesen die Freigebigkeit des Herrn _John_, der sie ihnen an jenem
  Tage geschenkt. Soviel erhellte aus der ausführlichen Erzählung _Bendels_,
  dessen rascher Eifer und verständige Führung, auch bei so fruchtlosem
  Erfolge, mein verdientes Lob erhielten. Ich winkte ihm düster, mich
  allein zu lassen.
  »Ich habe,« hub er wieder an, »meinem Herrn Bericht abgestattet über die
  Angelegenheit, die ihm am wichtigsten war. Mir bleibt noch ein Auftrag
  auszurichten, den mir heute früh jemand gegeben, welchem ich vor der Tür
  begegnete, da ich zu dem Geschäfte ausging, wo ich so unglücklich
  gewesen. Die eignen Worte des Mannes waren: >Sagen Sie dem Herrn _Peter
  Schlemihl_, er würde mich hier nicht mehr sehen, da ich übers Meer gehe,
  und ein günstiger Wind mich soeben nach dem Hafen ruft. Aber über Jahr
  und Tag werde ich die Ehre haben, ihn selber aufzusuchen und ein andres,
  ihm dann vielleicht annehmliches Geschäft vorzuschlagen. Empfehlen Sie
  mich ihm untertänigst und versichern ihn meines Dankes.< Ich frug ihn,
  wer er wäre, er sagte aber, Sie kennten ihn schon.«
  »Wie sah der Mann aus?« rief ich voller Ahnung. Und _Bendel_ beschrieb mir
  den Mann im grauen Rocke Zug für Zug, Wort für Wort, wie er getreu in
  seiner vorigen Erzählung des Mannes erwähnt, nach dem er sich erkundigt.
  »Unglücklicher!« schrie ich händeringend, »das war er ja selbst!« und
  ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. -- »Ja, er war es, war es
  wirklich!« rief er erschreckt aus, »und ich Verblendeter, Blödsinniger
  habe ihn nicht erkannt, ihn nicht erkannt und meinen Herrn verraten!«
  Er brach, heiß weinend, in die bittersten Vorwürfe gegen sich selber
  aus, und die Verzweiflung, in der er war, mußte mir selber Mitleiden
  einflößen. Ich sprach ihm Trost ein, versicherte ihm wiederholt, ich
  setze keinen Zweifel in seine Treue, und schickte ihn alsbald nach dem
  Hafen, um, wo möglich, die Spuren des seltsamen Mannes zu verfolgen.
  Aber an diesem selben Morgen waren sehr viele Schiffe, die widrige Winde
  im Hafen zurückgehalten, ausgelaufen, alle nach andern Weltstrichen,
  alle nach andern Küsten bestimmt, und der graue Mann war spurlos wie ein
  Schatten verschwunden.
  
  3.
  Was hülfen Flügel dem in eisernen Ketten fest Angeschmiedeten? Er müßte
  dennoch, und schrecklicher, verzweifeln. Ich lag, wie Fafner bei seinem
  Hort, fern von jedem menschlichen Zuspruch, bei meinem Golde darbend,
  aber ich hatte nicht das Herz nach ihm, sondern ich fluchte ihm, um
  dessentwillen ich mich von allem Leben abgeschnitten sah. Bei mir
  allein mein düstres Geheimnis hegend, fürchtete ich mich vor dem letzten
  meiner Knechte, den ich zugleich beneiden mußte; denn er hatte einen
  Schatten, er durfte sich sehen lassen in der Sonne. Ich vertrauerte
  einsam in meinen Zimmern die Tag' und Nächte und Gram zehrte an meinem
  Herzen.
  Noch einer härmte sich unter meinen Augen ab, mein treuer _Bendel_ hörte
  nicht auf, sich mit stillen Vorwürfen zu martern, daß er das Zutrauen
  seines gütigen Herrn betrogen und jenen nicht erkannt, nach dem er
  ausgeschickt war, und mit dem er mein trauriges Schicksal in enger
  Verflechtung denken mußte. Ich aber konnte ihm keine Schuld geben, ich
  erkannte in dem Ereignis die fabelhafte Natur des Unbekannten.
  Nichts unversucht zu lassen, schickt' ich einst _Bendel_ mit einem
  kostbaren brillantenen Ring zu dem berühmtesten Maler der Stadt, den
  ich, mich zu besuchen, einladen ließ. Er kam, ich entfernte meine Leute,
  verschloß die Tür, setzte mich zu dem Mann, und nachdem ich seine Kunst
  gepriesen, kam ich mit schwerem Herzen zur Sache, ich ließ ihn zuvor das
  strengste Geheimnis geloben.
  »Herr Professor,« fuhr ich fort, »könnten Sie wohl einem Menschen, der
  auf die unglücklichste Weise von der Welt um seinen Schatten gekommen
  ist, einen falschen Schatten malen?« -- »Sie meinen einen
  Schlagschatten?« -- »Den mein' ich allerdings.« -- »Aber,« frug er mich
  weiter, »durch welche Ungeschicklichkeit, durch welche Nachlässigkeit
  konnte er denn seinen Schlagschatten verlieren?« -- »Wie es kam,«
  erwiderte ich, »mag nun sehr gleichgültig sein, doch so viel,« log ich
  ihm unverschämt vor: »in Rußland, wo er im vorigen Winter eine Reise
  tat, fror ihm einmal, bei einer außerordentlichen Kälte, sein Schatten
  dergestalt am Boden fest, daß er ihn nicht wieder los bekommen konnte.«
  »Der falsche Schlagschatten, den ich ihm malen könnte,« erwiderte der
  Professor, »würde doch nur ein solcher sein, den er bei der leisesten
  Bewegung wieder verlieren müßte -- zumal, wer an dem eignen angebornen
  Schatten so wenig fest hing, als aus Ihrer Erzählung selbst sich
  abnehmen läßt; wer keinen Schatten hat, gehe nicht in die Sonne, das ist
  das Vernünftigste und Sicherste.« Er stand auf und entfernte sich, indem
  er auf mich einen durchbohrenden Blick warf, den der meine nicht
  ertragen konnte. Ich sank in meinen Sessel zurück und verhüllte mein
  Gesicht in meine Hände.
  So fand mich noch _Bendel_, als er hereintrat. Er sah den Schmerz seines
  Herrn und wollte sich still, ehrerbietig zurückziehen. -- Ich blickte
  auf -- ich erlag unter der Last meines Kummers, ich mußte ihn mitteilen.
  »_Bendel_,« rief ich ihm zu, »_Bendel_! du einziger, der du meine Leiden
  siehst und ehrst, sie nicht erforschen zu wollen, sondern still und
  fromm mitzufühlen scheinst, komm zu mir, _Bendel_, und sei der Nächste
  meinem Herzen. Die Schätze meines Goldes hab' ich vor dir nicht
  verschlossen, nicht verschließen will ich vor dir die Schätze meines
  Grames. -- _Bendel_, verlasse mich nicht. _Bendel_, du siehst mich reich,
  freigebig, gütig, du wähnst, es sollte die Welt mich verherrlichen, und
  du siehst mich die Welt fliehn und mich vor ihr verschließen. _Bendel_,
  sie hat gerichtet, die Welt, und mich verstoßen, und auch du vielleicht
  wirst dich von mir wenden, wenn du mein schreckliches Geheimnis
  erfährst: _Bendel_, ich bin reich, freigebig, gütig, aber -- o Gott! ich
  habe keinen Schatten!«
  »Keinen Schatten?« rief der gute Junge erschreckt aus und die hellen
  Tränen stürzten ihm aus den Augen. -- »Weh' mir, daß ich geboren ward,
  einem schattenlosen Herrn zu dienen!« Er schwieg und ich hielt mein
  Gesicht in meinen Händen.
  »_Bendel_,« setzt' ich spät und zitternd hinzu, »nun hast du mein
  Vertrauen, nun kannst du es verraten. Geh hin und zeuge wider mich.« --
  Er schien in schwerem Kampfe mit sich selber, endlich stürzte er vor mir
  nieder und ergriff meine Hand, die er mit seinen Tränen benetzte.
  »Nein,« rief er aus, »was die Welt auch meine, ich kann und werde um
  Schattens willen meinen gütigen Herrn nicht verlassen, ich werde recht
  und nicht klug handeln, ich werde bei Ihnen bleiben, Ihnen meinen
  Schatten borgen, Ihnen helfen, wo ich kann, und wo ich nicht kann, mit
  Ihnen weinen.« Ich fiel ihm um den Hals, ob solcher ungewohnten
  Gesinnung staunend; denn ich war von ihm überzeugt, daß er es nicht um
  Gold tat.
  Seitdem änderten sich in etwas mein Schicksal und meine Lebensweise. Es
  ist unbeschreiblich, wie vorsorglich _Bendel_ mein Gebrechen zu verhehlen
  wußte. Überall war er vor mir und mit mir, alles vorhersehend, Anstalten
  treffend, und wo Gefahr unversehens drohte, mich schnell mit seinem
  Schatten überdeckend, denn er war größer und stärker als ich. So wagt'
  ich mich wieder unter die Menschen und begann eine Rolle in der Welt zu
  spielen. Ich mußte freilich viele Eigenheiten und Launen scheinbar
  annehmen. Solche stehen aber dem Reichen gut, und solange die Wahrheit
  nur verborgen blieb, genoß ich aller der Ehre und Achtung, die meinem
  Golde zukam. Ich sah ruhiger dem über Jahr und Tag verheißenen Besuch
  des rätselhaften Unbekannten entgegen.
  Ich fühlte sehr wohl, daß ich mich nicht lange an einem Orte aufhalten
  durfte, wo man mich schon ohne Schatten gesehen und wo ich leicht
  verraten werden konnte; auch dacht' ich vielleicht nur allein noch
  daran, wie ich mich bei Herrn _John_ gezeigt, und es war mir eine
  drückende Erinnerung, demnach wollt' ich hier bloß Probe halten, um
  anderswo leichter und zuversichtlicher auftreten zu können -- doch fand
  sich, was mich eine Zeitlang an meiner Eitelkeit festhielt: das ist im
  Menschen, wo der Anker am zuverlässigsten Grund faßt.
  Eben die schöne _Fanny_, der ich am dritten Ort wieder begegnete, schenkte
  mir, ohne sich zu erinnern, mich jemals gesehen zu haben, einige
  Aufmerksamkeit, denn jetzt hatt' ich Witz und Verstand. -- Wann ich
  redete, hörte man zu, und ich wußte selber nicht, wie ich zu der Kunst
  gekommen war, das Gespräch so leicht zu führen und zu beherrschen. Der
  Eindruck, den ich auf die Schöne gemacht zu haben einsah, machte aus
  mir, was sie eben begehrte, einen Narren, und ich folgte ihr seither mit
  tausend Mühen durch Schatten und Dämmerung, wo ich nur konnte. Ich war
  nur eitel darauf, sie über mich eitel zu machen, und konnte mir, selbst
  mit dem besten Willen, nicht den Rausch aus dem Kopf ins Herz zwingen.
  Aber wozu die ganz gemeine Geschichte dir lang und breit wiederholen? --
  Du selber hast sie mir oft genug von andern Ehrenleuten erzählt. -- Zu
  dem alten, wohlbekannten Spiele, worin ich gutmütig eine abgedroschene
  Rolle übernommen, kam freilich eine ganz eigens gedichtete Katastrophe
  hinzu, mir und ihr und allen unerwartet.
  Da ich an einem schönen Abend nach meiner Gewohnheit eine Gesellschaft
  in einem erleuchteten Garten versammelt hatte, wandelte ich mit der
  Herrin Arm in Arm, in einiger Entfernung von den übrigen Gästen, und
  bemühte mich, ihr Redensarten vorzudrechseln. Sie sah sittig vor sich
  nieder und erwiderte leise den Druck meiner Hand; da trat unversehens
  hinter uns der Mond aus den Wolken hervor -- und sie sah nur _ihren_
  Schatten vor sich hinfallen. Sie fuhr zusammen und blickte bestürzt mich
  an, dann wieder auf die Erde, mit dem Auge meinen Schatten begehrend;
  und was in ihr vorging, malte sich so sonderbar in ihren Mienen, daß ich
  in ein lautes Gelächter hätte ausbrechen mögen, wenn es mir nicht selber
  eiskalt über den Rücken gelaufen wäre.
  Ich ließ sie aus meinem Arm in eine Ohnmacht sinken, schoß wie ein Pfeil
  durch die entsetzten Gäste, erreichte die Tür, warf mich in den ersten
  Wagen, den ich da haltend fand, und fuhr nach der Stadt zurück, wo ich
  diesmal zu meinem Unheil den vorsichtigen _Bendel_ gelassen hatte. Er
  erschrak, als er mich sah, ein Wort entdeckte ihm alles. Es wurden auf
  der Stelle Postpferde geholt. Ich nahm nur einen meiner Leute mit mir,
  einen abgefeimten Spitzbuben, Namens _Raskal_, der sich mir durch seine
  Gewandtheit notwendig zu machen gewußt, und der nichts vom heutigen
  Vorfall ahnen konnte. Ich legte in derselben Nacht noch dreißig Meilen
  zurück. _Bendel_ blieb hinter mir, mein Haus aufzulösen, Gold zu spenden
  und mir das Nötigste nachzubringen. Als er mich am andern Tage einholte,
  warf ich mich in seine Arme und schwur ihm, nicht etwa keine Torheit
  mehr zu begehen, sondern nur künftig vorsichtiger zu sein. Wir setzten
  unsre Reise ununterbrochen fort, über die Grenze und das Gebirg, und
  erst am andern Abhang, durch das hohe Bollwerk von jenem Unglücksboden
  getrennt, ließ ich mich bewegen, in einem nahgelegenen und wenig
  besuchten Badeort von den überstandenen Mühseligkeiten auszurasten.
  
  4.
  Ich werde in meiner Erzählung schnell über eine Zeit hineilen müssen,
  bei der ich wie gerne! verweilen würde, wenn ich ihren lebendigen Geist
  in der Erinnerung heraufzubeschwören vermöchte. Aber die Farbe, die sie
  belebte und nur wieder beleben kann, ist in mir verloschen, und wann ich
  in meiner Brust wieder finden will, was sie damals so mächtig erhob, die
  Schmerzen und das Glück, den frommen Wahn -- da schlag' ich vergebens an
  einen Felsen, der keinen lebendigen Quell mehr gewährt, und der Gott
  ist von mir gewichen. Wie verändert blickt sie mich jetzt an, diese
  vergangene Zeit! -- Ich sollte dort in dem Bade eine heroische Rolle
  tragieren, schlecht einstudiert, und ein Neuling auf der Bühne, vergaff'
  ich mich aus dem Stücke heraus in ein Paar blaue Augen. Die Eltern, vom
  Spiele getäuscht, bieten alles auf, den Handel nur schnell festzumachen,
  und die gemeine Posse beschließt eine Verhöhnung. Und das ist alles,
  alles! -- Das kommt mir albern und abgeschmackt vor und schrecklich
  wiederum, daß so mir vorkommen kann, was damals so reich, so groß die
  Brust mir schwellte. Mina, wie ich damals weinte, als ich dich verlor,
  so wein' ich jetzt, dich auch in mir verloren zu haben. Bin ich denn so
  alt worden? -- O traurige Vernunft! Nur noch ein Pulsschlag jener Zeit,
  ein Moment jenes Wahnes -- aber nein! einsam auf dem hohen, öden Meere
  deiner bittern Flut, und längst aus dem letzten Pokale der Champagner
  Elfe entsprüht!
  Ich hatte _Bendel_ mit einigen Goldsäcken vorausgeschickt, um mir im
  Städtchen eine Wohnung nach meinen Bedürfnissen einzurichten. Er hatte
  dort viel Geld ausgestreut und sich über den vornehmen Fremden, dem er
  diente, etwas unbestimmt ausgedrückt, denn ich wollte nicht genannt
  sein, das brachte die guten Leute auf sonderbare Gedanken. Sobald mein
  Haus zu meinem Empfang bereit war, kam _Bendel_ wieder zu mir und holte
  mich dahin ab. Wir machten uns auf die Reise.
  Ungefähr eine Stunde vom Orte, auf einem sonnigen Plan, ward uns der Weg
  durch eine festlich geschmückte Menge versperrt. Der Wagen hielt. Musik,
  Glockengeläute, Kanonenschüsse wurden gehört, ein lautes Vivat
  durchdrang die Luft -- vor dem Schlage des Wagens erschien in weißen
  Kleidern ein Chor Jungfrauen von ausnehmender Schönheit, die aber vor
  der einen, wie die Sterne der Nacht vor der Sonne, verschwanden. Sie
  trat aus der Mitte der Schwestern hervor, die hohe zarte Bildung kniete
  verschämt errötend vor mir nieder und hielt mir auf seidenem Kissen
  einen aus Lorbeer, Ölzweigen und Rosen geflochtenen Kranz entgegen,
  indem sie von Majestät, Ehrfurcht und Liebe einige Worte sprach, die ich
  nicht verstand, aber deren zauberischer Silberklang mein Ohr und Herz
  berauschte -- es war mir, als wäre schon einmal die himmlische
  Erscheinung an mir vorübergewallt. Der Chor fiel ein und sang das Lob
  eines guten Königs und das Glück seines Volkes.
  Und dieser Auftritt, lieber Freund, mitten in der Sonne! -- Sie kniete
  noch immer zwei Schritte von mir, und ich, ohne Schatten, konnte die
  Kluft nicht überspringen, nicht wieder vor dem Engel auf die Knie
  fallen. O, was hätt' ich nicht da für einen Schatten gegeben! Ich mußte
  meine Scham, meine Angst, meine Verzweiflung tief in den Grund meines
  Wagens verbergen. _Bendel_ besann sich endlich für mich, er sprang von der
  andern Seite aus dem Wagen heraus, ich rief ihn noch zurück und reichte
  ihm aus meinem Kästchen, das mir eben zur Hand lag, eine reiche
  diamantene Krone, die die schöne _Fanny_ hatte zieren sollen. Er trat vor
  und sprach im Namen seines Herrn, der solche Ehrenbezeigungen nicht
  annehmen könne noch wolle; es müsse hier ein Irrtum vorwalten; jedoch
  seien die guten Einwohner der Stadt für ihren guten Willen bedankt. Er
  nahm indes den dargehaltenen Kranz von seinem Ort und legte den
  brillantenen Reif an dessen Stelle; dann reichte er ehrerbietig der
  schönen Jungfrau die Hand zum Aufstehen, entfernte mit einem Wink
  Geistlichkeit, #Magistratus# und alle Deputationen. Niemand ward weiter
  vorgelassen. Er hieß den Haufen sich teilen und den Pferden Raum geben,
  schwang sich wieder in den Wagen und fort ging's weiter in gestrecktem
  Galopp, unter einer aus Laubwerk und Blumen erbauten Pforte hinweg, dem
  Städtchen zu. -- Die Kanonen wurden immer frischweg abgefeuert. -- Der
  Wagen hielt vor meinem Hause; ich sprang behend in die Tür, die Menge
  teilend, die die Begierde, mich zu sehen, herbeigerufen hatte. Der Pöbel
  schrie Vivat unter meinem Fenster und ich ließ doppelte Dukaten daraus
  regnen. Am Abend war die Stadt freiwillig erleuchtet. --
  Und ich wußte immer noch nicht, was das alles bedeuten sollte und für
  wen ich angesehen wurde. Ich schickte _Raskaln_ auf Kundschaft aus. Er
  ließ sich denn erzählen, wasmaßen man bereits sichere Nachrichten
  gehabt, der gute König von Preußen reise unter dem Namen eines Grafen
  durch das Land; wie mein Adjutant erkannt worden sei und wie er sich und
  mich verraten habe; wie groß endlich die Freude gewesen, da man die
  Gewißheit gehabt mich im Orte selbst zu besitzen. Nun sah man freilich
  ein, da ich offenbar das strengste Inkognito beobachten wolle, wie sehr
  man unrecht gehabt, den Schleier so zudringlich zu lüften. Ich hätte
  aber so huldreich, so gnadenvoll gezürnt -- ich würde gewiß dem guten
  Herzen verzeihen müssen.
  Meinem Schlingel kam die Sache so spaßhaft vor, daß er mit strafenden
  Reden sein möglichstes tat, die guten Leute einstweilen in ihrem Glauben
  zu bestärken. Er stattete mir einen sehr komischen Bericht ab, und da er
  mich dadurch erheitert sah, gab er mir selbst seine verübte Bosheit zum
  besten. -- Muß ich's bekennen? Es schmeichelte mir doch, sei es auch nur
  so, für das verehrte Haupt angesehen worden zu sein.
  Ich hieß zu dem morgenden Abend unter den Bäumen, die den Raum vor
  meinem Hause beschatteten, ein Fest bereiten und die ganze Stadt dazu
  einladen. Der geheimnisreichen Kraft meines Säckels, _Bendels_ Bemühungen
  und der behenden Erfindsamkeit _Raskals_ gelang es, selbst die Zeit zu
  besiegen. Es ist wirklich erstaunlich, wie reich und schön sich alles in
  den wenigen Stunden anordnete. Die Pracht und der Überfluß, die da sich
  erzeugten, auch die sinnreiche Erleuchtung war so weise verteilt, daß
  ich mich ganz sicher fühlte. Es blieb mir nichts zu erinnern, ich mußte
  meine Diener loben.
  Es dunkelte der Abend. Die Gäste erschienen und wurden mir vorgestellt.
  Es ward die Majestät nicht mehr berührt; aber ich hieß in tiefer
  Ehrfurcht und Demut: Herr Graf. Was sollt' ich tun? Ich ließ mir den
  Grafen gefallen und blieb von Stund' an der Graf Peter. Mitten im
  festlichen Gewühle begehrte meine Seele nur nach der _einen_. Spät
  erschien sie, sie, die die Krone war und trug. Sie folgte sittsam ihren
  Eltern und schien nicht zu wissen, daß sie die Schönste sei. Es wurden
  mir der Herr Forstmeister, seine Frau und seine Tochter vorgestellt. Ich
  wußte den Alten viel Angenehmes und Verbindliches zu sagen; vor der
  Tochter stand ich wie ein ausgescholtener Knabe da und vermochte kein
  Wort hervor zu lallen. Ich bat sie endlich stammelnd, dies Fest zu
  würdigen, das Amt, dessen Zeichen sie schmückte, darin zu verwalten. Sie
  bat verschämt mit einem rührenden Blick um Schonung; aber verschämter
  vor ihr, als sie selbst, brachte ich ihr als erster Untertan meine
  Huldigung in tiefer Ehrfurcht, und der Wink des Grafen ward allen Gästen
  ein Gebot, dem nachzuleben sich jeder freudig beeiferte. Majestät,
  Unschuld und Grazie beherrschten, mit der Schönheit im Bunde, ein frohes
  Fest. Die glücklichen Eltern Minas glaubten ihnen nur zu Ehren ihr Kind
  erhöht; ich selber war in einem unbeschreiblichen Rausch. Ich ließ
  alles, was ich noch von den Juwelen hatte, die ich damals, um
  beschwerliches Gold los zu werden, gekauft, alle Perlen, alles
  Edelgestein in zwei verdeckte Schüsseln legen und bei Tische, unter dem
  Namen der Königin, ihren Gespielinnen und allen Damen herumreichen; Gold
  ward indessen ununterbrochen über die gezogenen Schranken unter das
  jubelnde Volk geworfen.
  _Bendel_ am andern Morgen eröffnete mir im Vertrauen, der Verdacht, den er
  längst gegen _Raskals_ Redlichkeit gehegt, sei nunmehr zur Gewißheit
  geworden. Er habe gestern ganze Säcke Goldes unterschlagen. »Laß uns,«
  erwidert' ich, »dem armen Schelmen die kleine Beute gönnen; ich spende
  gern allen, warum nicht auch ihm? Gestern hat er mir, haben mir alle
  neuen Leute, die du mir gegeben, redlich gedient, sie haben mir froh ein
  frohes Fest begehen helfen.«
  Es war nicht weiter die Rede davon. _Raskal_ blieb der erste meiner
  Dienerschaft, _Bendel_ war aber mein Freund und mein Vertrauter. Dieser
  war gewohnt worden, meinen Reichtum als unerschöpflich zu denken, und er
  spähte nicht nach dessen Quellen; er half mir vielmehr, in meinen Sinn
  eingehend, Gelegenheiten ersinnen, ihn darzutun und Gold zu vergeuden.
  Von jenem Unbekannten, dem blassen Schleicher, wußt' er nur soviel: Ich
  dürfe allein durch ihn von dem Fluche erlöst werden, der auf mir laste
  und fürchte ihn, auf dem meine einzige Hoffnung ruhe. Übrigens sei ich
  davon überzeugt, er könne mich überall auffinden, ich ihn nirgends,
  darum ich, den versprochenen Tag erwartend, jede vergebliche Nachsuchung
  eingestellt.
  Die Pracht meines Festes und mein Benehmen dabei erhielten anfangs die
  starkgläubigen Einwohner der Stadt bei ihrer vorgefaßten Meinung. Es
  ergab sich freilich sehr bald aus den Zeitungen, daß die ganze
  fabelhafte Reise des Königs von Preußen ein bloßes ungegründetes Gerücht
  gewesen. Ein König war ich aber nun einmal und mußte schlechterdings ein
  König bleiben, und zwar einer der reichsten und königlichsten, die es
  immer geben mag. Nur wußte man nicht recht, welcher. Die Welt hat nie
  Grund gehabt, über Mangel an Monarchen zu klagen, am wenigsten in unsern
  Tagen; die guten Leute, die noch keinen mit Augen gesehen, rieten mit
  gleichem Glück bald auf diesen, bald auf jenen -- _Graf Peter_ blieb
  immer, der er war.
  Einst erschien unter den Badegästen ein Handelsmann, der Bankrott
  gemacht hatte, um sich zu bereichern, der allgemeiner Achtung genoß und
  einen breiten, obgleich etwas blassen Schatten von sich warf. Er wollte
  hier das Vermögen, das er gesammelt, zum Prunk ausstellen, und es fiel
  sogar ihm ein, mit mir wetteifern zu wollen. Ich sprach meinem Säckel zu
  und hatte sehr bald den armen Teufel so weit, daß er, um sein Ansehen zu
  retten, abermals Bankrott machen mußte und über das Gebirge ziehen. So
  ward ich ihn los. -- Ich habe in dieser Gegend viele Taugenichtse und
  Müßiggänger gemacht!
  Bei der königlichen Pracht und Verschwendung, womit ich mir alles
  unterwarf, lebt' ich in meinem Haus sehr einfach und eingezogen. Ich
  hatte mir die größte Vorsicht zur Regel gemacht, es durfte, unter keinem
  Vorwand kein andrer als _Bendel_ die Zimmer, die ich bewohnte, betreten.
  Solange die Sonne schien, hielt ich mich mit ihm darin verschlossen, und
  es hieß: der Graf arbeite in seinem Kabinett. Mit diesen Arbeiten
  standen die häufigen Kuriere in Verbindung, die ich um jede Kleinigkeit
  abschickte und erhielt. -- Ich nahm nur am Abend unter meinen Bäumen,
  oder in meinem nach _Bendels_ Angabe geschickt und reich erleuchteten
  Saale, Gesellschaft an. Wenn ich ausging, wobei mich stets _Bendel_ mit
  Argusaugen bewachen mußte, so war es nur nach dem Förstergarten und um
  der einen willen; denn meines Lebens innerlichstes Herz war meine Liebe.
  
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