🕥 34-minute read

Nachtstücke - 03

Total number of words is 4449
Total number of unique words is 1635
39.2 of words are in the 2000 most common words
51.9 of words are in the 5000 most common words
58.0 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  nach der schönen Olimpia. Ach! - da wurde er gewahr, wie sie voll
  Sehnsucht nach ihm herübersah, wie jeder Ton erst deutlich aufging in
  dem Liebesblick, der zündend sein Inneres durchdrang. Die künstlichen
  Rouladen schienen dem Nathanael das Himmelsjauchzen des in Liebe
  verklärten Gemüts, und als nun endlich nach der Kadenz der lange
  Trillo recht schmetternd durch den Saal gellte, konnte er wie von
  glühenden Ärmen plötzlich erfaßt sich nicht mehr halten, er mußte vor
  Schmerz und Entzücken laut aufschreien: »Olimpia!« - Alle sahen sich
  um nach ihm, manche lachten. Der Domorganist schnitt aber noch ein
  finstreres Gesicht, als vorher und sagte bloß: »Nun nun!« - Das
  Konzert war zu Ende, der Ball fing an. »Mit ihr zu tanzen! - mit ihr!«
  das war nun dem Nathanael das Ziel aller Wünsche, alles Strebens;
  aber wie sich erheben zu dem Mut, sie, die Königin des Festes,
  aufzufordern? Doch! - er selbst wußte nicht wie es geschah, daß er,
  als schon der Tanz angefangen, dicht neben Olimpia stand, die noch
  nicht aufgefordert worden, und daß er, kaum vermögend einige Worte zu
  stammeln, ihre Hand ergriff. Eiskalt war Olimpias Hand, er fühlte sich
  durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das
  strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick
  war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und
  des Lebensblutes Ströme zu glühen. Und auch in Nathanaels Innerm
  glühte höher auf die Liebeslust, er umschlang die schöne Olimpia und
  durchflog mit ihr die Reihen. - Er glaubte sonst recht taktmäßig
  getanzt zu haben, aber an der ganz eignen rhythmischen Festigkeit,
  womit Olimpia tanzte und die ihn oft ordentlich aus der Haltung
  brachte, merkte er bald, wie sehr ihm der Takt gemangelt. Er wollte
  jedoch mit keinem andern Frauenzimmer mehr tanzen und hätte jeden, der
  sich Olimpia näherte, um sie aufzufordern, nur gleich ermorden mögen.
  Doch nur zweimal geschah dies, zu seinem Erstaunen blieb darauf
  Olimpia bei jedem Tanze sitzen und er ermangelte nicht, immer wieder
  sie aufzuziehen. Hätte Nathanael außer der schönen Olimpia noch etwas
  andres zu sehen vermocht, so wäre allerlei fataler Zank und Streit
  unvermeidlich gewesen; denn offenbar ging das halbleise, mühsam
  unterdrückte Gelächter, was sich in diesem und jenem Winkel unter den
  jungen Leuten erhob, auf die schöne Olimpia, die sie mit ganz kuriosen
  Blicken verfolgten, man konnte gar nicht wissen, warum? Durch den Tanz
  und durch den reichlich genossenen Wein erhitzt, hatte Nathanael alle
  ihm sonst eigne Scheu abgelegt. Er saß neben Olimpia, ihre Hand in
  der seinigen und sprach hochentflammt und begeistert von seiner Liebe
  in Worten, die keiner verstand, weder er, noch Olimpia. Doch diese
  vielleicht; denn sie sah ihm unverrückt ins Auge und seufzte einmal
  übers andere: »Ach - Ach - Ach!« - worauf denn Nathanael also sprach:
  »O du herrliche, himmlische Frau! - du Strahl aus dem verheißenen
  Jenseits der Liebe - du tiefes Gemüt, in dem sich mein ganzes Sein
  spiegelt« und noch mehr dergleichen, aber Olimpia seufzte bloß immer
  wieder: »Ach, Ach!« - Der Professor Spalanzani ging einigemal bei den
  Glücklichen vorüber und lächelte sie ganz seltsam zufrieden an. Dem
  Nathanael schien es, unerachtet er sich in einer ganz andern Welt
  befand, mit einemmal, als würd es hienieden beim Professor Spalanzani
  merklich finster; er schaute um sich und wurde zu seinem nicht
  geringen Schreck gewahr, daß eben die zwei letzten Lichter in dem
  leeren Saal herniederbrennen und ausgehen wollten. Längst hatten Musik
  und Tanz aufgehört. »Trennung, Trennung«, schrie er ganz wild und
  verzweifelt, er küßte Olimpias Hand, er neigte sich zu ihrem Munde,
  eiskalte Lippen begegneten seinen glühenden! - So wie, als er Olimpias
  kalte Hand berührte, fühlte er sich von innerem Grausen erfaßt, die
  Legende von der toten Braut ging ihm plötzlich durch den Sinn; aber
  fest hatte ihn Olimpia an sich gedrückt, und in dem Kuß schienen die
  Lippen zum Leben zu erwarmen. - Der Professor Spalanzani schritt
  langsam durch den leeren Saal, seine Schritte klangen hohl wieder
  und seine Figur, von flackernden Schlagschatten umspielt, hatte ein
  grauliches gespenstisches Ansehen. »Liebst du mich - liebst du mich
  Olimpia? - Nur dies Wort! - Liebst du mich?« So flüsterte Nathanael,
  aber Olimpia seufzte, indem sie aufstand, nur: »Ach - Ach!« - »Ja
  du mein holder, herrlicher Liebesstern«, sprach Nathanael, »bist
  mir aufgegangen und wirst leuchten, wirst verklären mein Inneres
  immerdar!« - »Ach, ach!« replizierte Olimpia fortschreitend.
  Nathanael folgte ihr, sie standen vor dem Professor. »Sie haben sich
  außerordentlich lebhaft mit meiner Tochter unterhalten«, sprach dieser
  lächelnd: »Nun, nun, lieber Herr Nathanael, finden Sie Geschmack
  daran, mit dem blöden Mädchen zu konvergieren, so sollen mir Ihre
  Besuche willkommen sein.« - Einen ganzen hellen strahlenden Himmel
  in der Brust schied Nathanael von dannen. Spalanzanis Fest war der
  Gegenstand des Gesprächs in den folgenden Tagen. Unerachtet der
  Professor alles getan hatte, recht splendid zu erscheinen, so wußten
  doch die lustigen Köpfe von allerlei Unschicklichem und Sonderbarem
  zu erzählen, das sich begeben, und vorzüglich fiel man über die
  todstarre, stumme Olimpia her, der man, ihres schönen Äußern
  unerachtet, totalen Stumpfsinn andichten und darin die Ursache finden
  wollte, warum Spalanzani sie so lange verborgen gehalten. Nathanael
  vernahm das nicht ohne innern Grimm, indessen schwieg er; denn, dachte
  er, würde es wohl verlohnen, diesen Burschen zu beweisen, daß eben ihr
  eigner Stumpfsinn es ist, der sie Olimpias tiefes herrliches Gemüt zu
  erkennen hindert? »Tu mir den Gefallen, Bruder«, sprach eines Tages
  Siegmund, »tu mir den Gefallen und sage, wie es dir gescheuten Kerl
  möglich war, dich in das Wachsgesicht, in die Holzpuppe da drüben zu
  vergaffen?« Nathanael wollte zornig auffahren, doch schnell besann
  er sich und erwiderte: »Sage _du_ mir Siegmund, wie deinem, sonst
  alles Schöne klar auffassenden Blick, deinem regen Sinn, Olimpias
  himmlischer Liebreiz entgehen konnte? Doch eben deshalb habe ich, Dank
  sei es dem Geschick, dich nicht zum Nebenbuhler; denn sonst müßte
  einer von uns blutend fallen.« Siegmund merkte wohl, wie es mit dem
  Freunde stand, lenkte geschickt ein, und fügte, nachdem er geäußert,
  daß in der Liebe niemals über den Gegenstand zu richten sei, hinzu:
  »Wunderlich ist es doch, daß viele von uns über Olimpia ziemlich
  gleich urteilen. Sie ist uns - nimm es nicht übel, Bruder! - auf
  seltsame Weise starr und seelenlos erschienen. Ihr Wuchs ist
  regelmäßig, so wie ihr Gesicht, das ist wahr! - Sie könnte für schön
  gelten, wenn ihr Blick nicht so ganz ohne Lebensstrahl, ich möchte
  sagen, ohne Sehkraft wäre. Ihr Schritt ist sonderbar abgemessen, jede
  Bewegung scheint durch den Gang eines aufgezogenen Räderwerks bedingt.
  Ihr Spiel, ihr Singen hat den unangenehm richtigen geistlosen Takt der
  singenden Maschine und ebenso ist ihr Tanz. Uns ist diese Olimpia ganz
  unheimlich geworden, wir mochten nichts mit ihr zu schaffen haben,
  es war uns als tue sie nur so wie ein lebendiges Wesen und doch habe
  es mit ihr eine eigne Bewandtnis.« - Nathanael gab sich dem bittern
  Gefühl, das ihn bei diesen Worten Siegmunds ergreifen wollte, durchaus
  nicht hin, er wurde Herr seines Unmuts und sagte bloß sehr ernst:
  »Wohl mag euch, ihr kalten prosaischen Menschen, Olimpia unheimlich
  sein. Nur dem poetischen Gemüt entfaltet sich das gleich organisierte!
  - Nur _mir_ ging ihr Liebesblick auf und durchstrahlte Sinn und
  Gedanken, nur in Olimpias Liebe finde ich mein Selbst wieder. Euch mag
  es nicht recht sein, daß sie nicht in platter Konversation faselt, wie
  die andern flachen Gemüter. Sie spricht wenig Worte, das ist wahr;
  aber diese wenigen Worte erscheinen als echte Hieroglyphe der innern
  Welt voll Liebe und hoher Erkenntnis des geistigen Lebens in der
  Anschauung des ewigen Jenseits. Doch für alles das habt ihr keinen
  Sinn und alles sind verlorne Worte.« - »Behüte dich Gott, Herr
  Bruder«, sagte Siegmund sehr sanft, beinahe wehmütig, »aber mir
  scheint es, du seist auf bösem Wege. Auf mich kannst du rechnen, wenn
  alles - Nein, ich mag nichts weiter sagen! -« Dem Nathanael war es
  plötzlich, als meine der kalte prosaische Siegmund es sehr treu mit
  ihm, er schüttelte daher die ihm dargebotene Hand recht herzlich.
  Nathanael hatte rein vergessen, daß es eine Clara in der Welt gebe,
  die er sonst geliebt; - die Mutter - Lothar - alle waren aus seinem
  Gedächtnis entschwunden, er lebte nur für Olimpia, bei der er täglich
  stundenlang saß und von seiner Liebe, von zum Leben erglühter
  Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte, welches
  alles Olimpia mit großer Andacht anhörte. Aus dem tiefsten Grunde des
  Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben.
  Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzählungen, das wurde täglich
  vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten, Stanzen,
  Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander
  vor, ohne zu ermüden. Aber auch noch nie hatte er eine solche
  herrliche Zuhörerin gehabt. Sie stickte und strickte nicht, sie sah
  nicht durchs Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie spielte mit
  keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine
  Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein
  Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen - kurz! -
  stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins
  Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen und immer glühender, immer
  lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und
  ihr die Hand, auch wohl den Mund küßte, sagte sie: »Ach, Ach!« - dann
  aber: »Gute Nacht, mein Lieber!« - »O du herrliches, du tiefes Gemüt«,
  rief Nathanael auf seiner Stube: »nur von dir, von dir allein werd ich
  ganz verstanden.« Er erbebte vor innerm Entzücken, wenn er bedachte,
  welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias Gemüt
  täglich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia über
  seine Werke, über seine Dichtergabe überhaupt recht tief aus seinem
  Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst
  herausgetönt. Das mußte denn wohl auch sein; denn mehr Worte als
  vorhin erwähnt, sprach Olimpia niemals. Erinnerte sich aber auch
  Nathanael in hellen nüchternen Augenblicken, z.B. morgens gleich
  nach dem Erwachen, wirklich an Olimpias gänzliche Passivität und
  Wortkargheit, so sprach er doch: »Was sind Worte - Worte! - Der Blick
  ihres himmlischen Auges sagt mehr als jede Sprache hienieden. Vermag
  denn überhaupt ein Kind des Himmels sich einzuschichten in den engen
  Kreis, den ein klägliches irdisches Bedürfnis gezogen?« - Professor
  Spalanzani schien hocherfreut über das Verhältnis seiner Tochter
  mit Nathanael; er gab diesem allerlei unzweideutige Zeichen seines
  Wohlwollens und als es Nathanael endlich wagte von ferne auf eine
  Verbindung mit Olimpia anzuspielen, lächelte dieser mit dem ganzen
  Gesicht und meinte: er werde seiner Tochter völlig freie Wahl lassen.
  - Ermutigt durch diese Worte, brennendes Verlangen im Herzen, beschloß
  Nathanael, gleich am folgenden Tage Olimpia anzusehen, daß sie das
  unumwunden in deutlichen Worten ausspreche, was längst ihr holder
  Liebesblick ihm gesagt, daß sie sein eigen immerdar sein wolle. Er
  suchte nach dem Ringe, den ihm beim Abschiede die Mutter geschenkt, um
  ihn Olimpia als Symbol seiner Hingebung, seines mit ihr aufkeimenden,
  blühenden Lebens darzureichen. Claras, Lothars Briefe fielen ihm
  dabei in die Hände; gleichgültig warf er sie beiseite, fand den Ring,
  steckte ihn ein und rannte herüber zu Olimpia. Schon auf der Treppe,
  auf dem Flur, vernahm er ein wunderliches Getöse; es schien aus
  Spalanzanis Studierzimmer herauszuschallen. - Ein Stampfen - ein
  Klirren - ein Stoßen - Schlagen gegen die Tür, dazwischen Flüche und
  Verwünschungen. Laß los - laß los - Infamer - Verruchter! - Darum Leib
  und Leben daran gesetzt? - ha ha ha ha! - so haben wir nicht gewettet
  - ich, ich hab die Augen gemacht - ich das Räderwerk - dummer Teufel
  mit deinem Räderwerk - verfluchter Hund von einfältigem Uhrmacher -
  fort mit dir - Satan - halt - Peipendreher - teuflische Bestie! - halt
  - fort - laß los! - Es waren Spalanzanis und des gräßlichen Coppelius
  Stimmen, die so durcheinander schwirrten und tobten. Hinein stürzte
  Nathanael von namenloser Angst ergriffen. Der Professor hatte eine
  weibliche Figur bei den Schultern gepackt, der Italiener Coppola bei
  den Füßen, die zerrten und zogen sie hin und her, streitend in voller
  Wut um den Besitz. Voll tiefen Entsetzens prallte Nathanael zurück,
  als er die Figur für Olimpia erkannte; aufflammend in wildem Zorn
  wollte er den Wütenden die Geliebte entreißen, aber in dem Augenblick
  wand Coppola sich mit Riesenkraft drehend die Figur dem Professor aus
  den Händen und versetzte ihm mit der Figur selbst einen fürchterlichen
  Schlag, daß er rücklings über den Tisch, auf dem Phiolen, Retorten,
  Flaschen, gläserne Zylinder standen, taumelte und hinstürzte; alles
  Gerät klirrte in tausend Scherben zusammen. Nun warf Coppola die Figur
  über die Schulter und rannte mit fürchterlich gellendem Gelächter
  rasch fort die Treppe herab, so daß die häßlich herunterhängenden Füße
  der Figur auf den Stufen hölzern klapperten und dröhnten. - Erstarrt
  stand Nathanael - nur zu deutlich hatte er gesehen, Olimpias
  toderbleichtes Wachsgesicht hatte keine Augen, statt ihrer schwarze
  Höhlen; sie war eine leblose Puppe. Spalanzani wälzte sich auf der
  Erde, Glasscherben hatten ihm Kopf, Brust und Arm zerschnitten, wie
  aus Springquellen strömte das Blut empor. Aber er raffte seine Kräfte
  zusammen. - »Ihm nach - ihm nach, was zauderst du? - Coppelius -
  Coppelius, mein bestes Automat hat er mir geraubt - Zwanzig Jahre
  daran gearbeitet - Leib und Leben daran gesetzt - das Räderwerk
  - Sprache - Gang - mein - die Augen - die Augen dir gestohlen. -
  Verdammter - Verfluchter - ihm nach - hol mir Olimpia - da hast du die
  Augen! -« Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden
  liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten
  Hand und warf sie nach ihm, daß sie seine Brust trafen. - Da packte
  ihn der Wahnsinn mit glühenden Krallen und fuhr in sein Inneres
  hinein Sinn und Gedanken zerreißend. »Hui - hui - hui! - _Feuerkreis_ -
  _Feuerkreis_! dreh dich _Feuerkreis_ - lustig - lustig! - Holzpüppchen hui
  schön Holzpüppchen dreh dich -« damit warf er sich auf den Professor
  und drückte ihm die Kehle zu. Er hätte ihn erwürgt, aber das Getöse
  hatte viele Menschen herbeigelockt, die drangen ein, rissen den
  wütenden Nathanael auf und retteten so den Professor, der gleich
  verbunden wurde. Siegmund, so stark er war, vermochte nicht den
  Rasenden zu bändigen; der schrie mit fürchterlicher Stimme immerfort:
  »Holzpüppchen dreh dich« und schlug um sich mit geballten Fäusten.
  Endlich gelang es der vereinten Kraft mehrerer, ihn zu überwältigen,
  indem sie ihn zu Boden warfen und banden. Seine Worte gingen unter
  in entsetzlichem tierischen Gebrüll. So in gräßlicher Raserei tobend
  wurde er nach dem Tollhause gebracht.
  Ehe ich, günstiger Leser! dir zu erzählen fortfahre, was sich weiter
  mit dem unglücklichen Nathanael zugetragen, kann ich dir, solltest du
  einigen Anteil an dem geschickten Mechanikus und Automat-Fabrikanten
  Spalanzani nehmen, versichern, daß er von seinen Wunden völlig geheilt
  wurde. Er mußte indes die Universität verlassen, weil Nathanaels
  Geschichte Aufsehen erregt hatte und es allgemein für gänzlich
  unerlaubten Betrug gehalten wurde, vernünftigen Teezirkeln (Olimpia
  hatte sie mit Glück besucht) statt der lebendigen Person eine
  Holzpuppe einzuschwärzen. Juristen nannten es sogar einen feinen
  und um so härter zu bestrafenden Betrug, als er gegen das Publikum
  gerichtet und so schlau angelegt worden, daß kein Mensch (ganz kluge
  Studenten ausgenommen) es gemerkt habe, unerachtet jetzt alle weise
  tun und sich auf allerlei Tatsachen berufen wollten, die ihnen
  verdächtig vorgekommen. Diese letzteren brachten aber eigentlich
  nichts Gescheutes zutage. Denn konnte z.B. wohl irgend jemanden
  verdächtig vorgekommen sein, daß nach der Aussage eines eleganten
  Teeisten Olimpia gegen alle Sitte öfter genieset, als gegähnt hatte?
  Ersteres, meinte der Elegant, sei das Selbstaufziehen des verborgenen
  Triebwerks gewesen, merklich habe es dabei geknarrt usw. Der Professor
  der Poesie und Beredsamkeit nahm eine Prise, klappte die Dose zu,
  räusperte sich und sprach feierlich: »Hochzuverehrende Herren und
  Damen! merken Sie denn nicht, wo der Hase im Pfeffer liegt? Das Ganze
  ist eine Allegorie - eine fortgeführte Metapher! - Sie verstehen mich!
  - Sapienti sat!« Aber viele hochzuverehrende Herren beruhigten sich
  nicht dabei; die Geschichte mit dem Automat hatte tief in ihrer Seele
  Wurzel gefaßt und es schlich sich in der Tat abscheuliches Mißtrauen
  gegen menschliche Figuren ein. Um nun ganz überzeugt zu werden, daß
  man keine Holzpuppe liebe, wurde von mehrern Liebhabern verlangt, daß
  die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, daß sie beim Vorlesen
  sticke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw. vor allen Dingen aber,
  daß sie nicht bloß höre, sondern auch manchmal in der Art spreche,
  daß dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze. Das
  Liebesbündnis vieler wurde fester und dabei anmutiger, andere dagegen
  gingen leise auseinander. »Man kann wahrhaftig nicht dafür stehen«,
  sagte dieser und jener. In den Tees wurde unglaublich gegähnt und
  niemals genieset, um jedem Verdacht zu begegnen. - Spalanzani mußte,
  wie gesagt, fort, um der Kriminaluntersuchung wegen [des] der
  menschlichen Gesellschaft betrüglicherweise eingeschobenen Automats zu
  entgehen. Coppola war auch verschwunden.
  Nathanael erwachte wie aus schwerem, fürchterlichem Traum, er schlug
  die Augen auf und fühlte wie ein unbeschreibliches Wonnegefühl mit
  sanfter himmlischer Wärme ihn durchströmte. Er lag in seinem Zimmer in
  des Vaters Hause auf dem Bette, Clara hatte sich über ihn hingebeugt
  und unfern standen die Mutter und Lothar. »Endlich, endlich, o mein
  herzlieber Nathanael - nun bist du genesen von schwerer Krankheit -
  nun bist du wieder mein!« - So sprach Clara recht aus tiefer Seele und
  faßte den Nathanael in ihre Arme. Aber dem quollen vor lauter Wehmut
  und Entzücken die hellen glühenden Tränen aus den Augen und er stöhnte
  tief auf. »Meine - meine Clara!« - Siegmund, der getreulich ausgeharrt
  bei dem Freunde in großer Not, trat herein. Nathanael reichte ihm die
  Hand: »Du treuer Bruder hast mich doch nicht verlassen.« - Jede Spur
  des Wahnsinns war verschwunden, bald erkräftigte sich Nathanael in der
  sorglichen Pflege der Mutter, der Geliebten, der Freunde. Das Glück
  war unterdessen in das Haus eingekehrt; denn ein alter karger Oheim,
  von dem niemand etwas gehofft, war gestorben und hatte der Mutter
  nebst einem nicht unbedeutenden Vermögen ein Gütchen in einer
  angenehmen Gegend unfern der Stadt hinterlassen. Dort wollten sie
  hinziehen, die Mutter, Nathanael mit seiner Clara, die er nun zu
  heiraten gedachte, und Lothar. Nathanael war milder, kindlicher
  geworden, als er je gewesen und erkannte nun erst recht Claras
  himmlisch reines, herrliches Gemüt. Niemand erinnerte ihn auch nur
  durch den leisesten Anklang an die Vergangenheit. Nur, als Siegmund
  von ihm schied, sprach Nathanael: »Bei Gott Bruder! ich war auf
  schlimmen Wege, aber zu rechter Zeit leitete mich ein Engel auf den
  lichten Pfad! - Ach es war ja Clara! -« Siegmund ließ ihn nicht weiter
  reden, aus Besorgnis, tief verletzende Erinnerungen möchten ihm
  zu hell und flammend aufgehen. - Es war an der Zeit, daß die
  vier glücklichen Menschen nach dem Gütchen ziehen wollten. Zur
  Mittagsstunde gingen sie durch die Straßen der Stadt. Sie hatten
  manches eingekauft, der hohe Ratsturm warf seinen Riesenschatten über
  den Markt. »Ei!« sagte Clara: »steigen wir doch noch einmal herauf und
  schauen in das ferne Gebirge hinein!« Gesagt, getan! Beide, Nathanael
  und Clara, stiegen herauf, die Mutter ging mit der Dienstmagd nach
  Hause, und Lothar, nicht geneigt, die vielen Stufen zu erklettern,
  wollte unten warten. Da standen die beiden Liebenden Arm in Arm auf
  der höchsten Galerie des Turmes und schauten hinein in die duftigen
  Waldungen, hinter denen das blaue Gebirge, wie eine Riesenstadt, sich
  erhob.
  »Sieh doch den sonderbaren kleinen grauen Busch, der ordentlich
  auf uns los zu schreiten scheint«, frug Clara. - Nathanael faßte
  mechanisch nach der Seitentasche; er fand Coppolas Perspektiv,
  er schaute seitwärts - Clara stand vor dem Glase! - Da zuckte es
  krampfhaft in seinen Pulsen und Adern - totenbleich starrte er Clara
  an, aber bald glühten und sprühten Feuerströme durch die rollenden
  Augen, gräßlich brüllte er auf, wie ein gehetztes Tier; dann sprang
  er hoch in die Lüfte und grausig dazwischen lachend schrie er in
  schneidendem Ton: »Holzpüppchen dreh dich - Holzpüppchen dreh
  dich« - und mit gewaltiger Kraft faßte er Clara und wollte sie
  herabschleudern, aber Clara krallte sich in verzweifelnder Todesangst
  fest an das Geländer. Lothar hörte den Rasenden toben, er hörte Claras
  Angstgeschrei, gräßliche Ahnung durchflog ihn, er rannte herauf,
  die Tür der zweiten Treppe war verschlossen - stärker hallte Claras
  Jammergeschrei. Unsinnig vor Wut und Angst stieß er gegen die Tür, die
  endlich aufsprang - Matter und matter wurden nun Claras Laute: »Hülfe
  - rettet - rettet -« so erstarb die Stimme in den Lüften. »Sie ist
  hin - ermordet von dem Rasenden«, so schrie Lothar. Auch die Tür zur
  Galerie war zugeschlagen. - Die Verzweiflung gab ihm Riesenkraft, er
  sprengte die Tür aus den Angeln. Gott im Himmel - Clara schwebte von
  dem rasenden Nathanael erfaßt über der Galerie in den Lüften - nur mit
  einer Hand hatte sie noch die Eisenstäbe umklammert. Rasch wie der
  Blitz erfaßte Lothar die Schwester, zog sie hinein, und schlug im
  demselben Augenblick mit geballter Faust dem Wütenden ins Gesicht, daß
  er zurückprallte und die Todesbeute fallen ließ.
  Lothar rannte herab, die ohnmächtige Schwester in den Armen. - Sie war
  gerettet. - Nun raste Nathanael herum auf der Galerie und sprang hoch
  in die Lüfte und schrie »_Feuerkreis_ dreh dich - _Feuerkreis_ dreh dich«
  - Die Menschen liefen auf das wilde Geschrei zusammen; unter ihnen
  ragte riesengroß der Advokat Coppelius hervor, der eben in die Stadt
  gekommen und gerades Weges nach dem Markt geschritten war. Man wollte
  herauf, um sich des Rasenden zu bemächtigen, da lachte Coppelius
  sprechend: »Ha ha - wartet nur, der kommt schon herunter von selbst«,
  und schaute wie die übrigen hinauf. Nathanael blieb plötzlich wie
  erstarrt stehen, er bückte sich herab, wurde den Coppelius gewahr und
  mit dem gellenden Schrei: »Ha! Sköne Oke - Sköne Oke«, sprang er über
  das Geländer.
  Als Nathanael mit zerschmettertem Kopf auf dem, Steinpflaster lag, war
  Coppelius im Gewühl verschwunden.
  Nach mehreren Jahren will man in einer entfernten Gegend Clara gesehen
  haben, wie sie mit einem freundlichen Mann, Hand in Hand vor der Türe
  eines schönen Landhauses saß und vor ihr zwei muntre Knaben spielten.
  Es wäre daraus zu schließen, daß Clara das ruhige häusliche Glück noch
  fand, das ihrem heitern lebenslustigen Sinn zusagte und das ihr der im
  Innern zerrissene Nathanael niemals hätte gewähren können.
  
  Ignaz Denner
  Vor alter längst verfloßner Zeit lebte in einem wilden einsamen Forst
  des Fuldaischen Gebiets ein wackrer Jägersmann, Andres mit Namen. Er
  war sonst Leibjäger des Herrn Grafen Aloys von Vach gewesen, den er
  auf weiten Reisen durch das schöne Welschland begleitet, und einmal,
  als sie auf den unsichern Wegen in dem Königreich Neapel von
  Straßenräubern angefallen wurden, durch seine Klugheit und Tapferkeit
  aus großer Lebensgefahr gerettet hatte. In dem Wirtshause zu Neapel,
  wo sie eingekehrt waren, befand sich ein armes, bildschönes Mädchen,
  die von dem Hauswirt, der sie als eine Waise aufgenommen, gar hart
  behandelt und zu den niedrigsten Arbeiten in Hof und Küche gebraucht
  wurde. Andres suchte sie, so gut er sich ihr verständlich machen
  konnte, mit trostreichen Worten aufzurichten, und das Mädchen faßte
  solche Liebe zu ihm, daß sie sich nicht mehr von ihm trennen, sondern
  mitziehen wollte nach dem kalten Deutschland. Der Graf von Vach,
  gerührt von Andres' Bitten und Giorginas Tränen, erlaubte, daß sie
  sich zu dem geliebten Andres auf den Kutschbock setzen, und so die
  beschwerliche Reise machen durfte. Schon ehe sie über die Grenzen von
  Italien hinausgekommen, ließ sich Andres mit seiner Giorgina trauen
  und als sie dann nun endlich zurückgekehrt waren auf die Güter des
  Grafen von Vach, glaubte dieser den treuen Diener recht zu belohnen,
  da er ihn zu seinem Revierjäger ernannte. Mit seiner Giorgina und
  einem alten Knecht zog er in den einsamen rauhen Wald, den er
  schützen sollte wider die Freijäger und Holzdiebe. Statt des geholten
  Wohlstandes, den ihm der Graf von Vach verheißen, führte er aber ein
  beschwerliches, mühseliges, dürftiges Leben und geriet bald in Kummer
  und Elend. Der kleine Lohn an barem Geld, den er von dem Grafen
  erhielt, reichte kaum hin, sich und seine Giorgina zu kleiden; die
  geringen Gefälle, die ihm bei Holzverkäufen zukamen, waren selten
  und ungewiß und den Garten, auf dessen Bebauung und Benutzung er
  angewiesen, verwüsteten oft die Wölfe und die wilden Schweine, er
  mochte mit seinem Knecht auf der Hut sein, wie er wollte, so daß
  bisweilen in einer Nacht die letzte Hoffnung des Lebensunterhalts
  vereitelt ward. Dabei war sein Leben stets bedroht von den Holzdieben
  und Freischützen. Jeder Lockung widerstand er als ein wackrer frommer
  Mann, der lieber darben, als ungerechtes Gut an sich bringen wollte
  und verwaltete sein Amt getreulich und tapfer, deshalb stellten sie
  ihm nach auf gefährliche Weise, und nur seine treuen Doggen schützten
  ihn vor nächtlichem Überfall des Raubgesindels. Giorgina, des Klimas
  und der Lebensweise in dem wilden Forst ganz ungewohnt, welkte
  zusehends hin. Ihre bräunliche Gesichtsfarbe verwandelte sich in
  fahles Gelb, ihre lebhaften blitzenden Augen wurden düster, und ihr
  voller, üppiger Wuchs magerte mit jedem Tage mehr ab. Oft erwachte sie
  in mondheller Nacht. Schüsse krachten in der Ferne durch den Wald, die
  Doggen heulten, leise erhob sich der Mann vom Lager und schlich mit
  dem Knecht murmelnd hinaus in den Forst. Dann betete sie inbrünstig
  zu Gott und zu den Heiligen, daß sie und ihr treuer Mann errettet
  werden möchten aus dieser schrecklichen Einöde und aus der steten
  Todesgefahr. Die Geburt eines Knaben warf Giorgina endlich auf das
  Krankenlager, und immer schwächer und schwächer werdend, sah sie ihr
  Ende vor Augen. Dumpf in sich hinbrütend, schlich der unglückliche
  Andres umher; alles Glück war mit der Krankheit seines Weibes von ihm
  gewichen. Wie neckendes, gespenstisches Wesen guckte das Wild aus den
  Büschen; sowie er sein Gewehr abdrückte, war es verstoben in der Luft.
  Er konnte kein Tier mehr treffen und nur sein Knecht, ein geübter
  Schütze, beschaffte das Wild, welches er dem Grafen von Vach zu
  liefern gehalten war. Einst saß er an Giorginas Bette, den starren
  Blick auf das geliebte Weib gerichtet, die ermattet zum Tode kaum mehr
  atmete. In dumpfem, lautlosem Schmerz hatte er ihre Hand gefaßt und
  hörte nicht das Ächzen des Knaben, der nahrungslos verschmachten
  wollte. Der Knecht ging schon am frühen Morgen nach Fulda, um für das
  letzte Ersparnis einige Erquickung für die Kranke herbeizuschaffen.
  Kein menschliches tröstendes Wesen war weit und breit zu finden, nur
  der Sturm heulte in schneidenden Tönen des entsetzlichen Jammers durch
  die schwarzen Tannen und die Doggen winselten, wie in trostloser
  Klage, um den unglücklichen Herrn. Da hörte Andres auf einmal es vor
  dem Hause daherschreiten, wie menschliche Fußtritte. Er glaubte,
  es wäre der zurückkehrende Knecht, unerachtet er ihn nicht so früh
  erwarten konnte, aber die Hunde sprangen heraus und bellten heftig. Es
  mußte ein Fremder sein. Andres ging selbst vor die Tür: da trat ihm
  ein langer, hagerer Mann entgegen, in grauem Mantel, die Reisemütze
  tief ins Gesicht gedrückt. »Ei«, sagte der Fremde: »wie bin ich doch
  hier im Walde so irre gegangen! Der Sturm tobt von den Bergen herab,
  wir bekommen ein schrecklich Wetter. Möchtet Ihr nicht erlauben,
  lieber Herr! daß ich in Euer Haus eintreten und mich von dem
  
You have read 1 text from German literature.