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Mozart auf der Reise nach Prag - 5

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  übrigen bescheiden äußerte oder die innere Bewegung sich unwillkürlich
  mit einem Ausruf der Bewunderung Luft machte, die von dem Bräutigam an
  sie gerichteten Worte immer nur ungenügend zu erwidern vermochte.
  Als Mozart mit dem überschwenglich schönen Sextett geschlossen hatte
  und nach und nach ein Gespräch aufkam, schien er vornehmlich einzelne
  Bemerkungen des Barons mit Interesse und Wohlgefallen aufzunehmen. Es
  wurde vom Schlusse der Oper die Rede sowie von der vorläufig auf den
  Anfang Novembers anberaumten Aufführung, und da jemand meinte, gewisse
  Teile des Finale möchten noch eine Riesenaufgabe sein, so lächelte der
  Meister mit einiger Zurückhaltung; Konstanze aber sagte zu der Gräfin
  hin, daß er es hören mußte: »Er hat noch was in petto, womit er geheim
  tut, auch vor mir.«
  »Du fällst«, versetzte er, »aus deiner Rolle, Schatz, daß du das jetzt
  zur Sprache bringst; wenn ich nun Lust bekäme, von neuem anzufangen?
  Und in der Tat, es juckt mich schon.«
  »Leporello!« rief der Graf, lustig aufspringend, und winkte einem
  Diener: »Wein! Sillery, drei Flaschen!«
  »Nicht doch! damit ist es vorbei - mein Junker hat sein Letztes im
  Glase.«
  »Wohl bekomms ihm - und jedem das Seine!«
  »Mein Gott, was hab ich da gemacht!« lamentierte Konstanze, mit einem
  Blick auf die Uhr, »gleich ist es elfe, und morgen früh solls fort -
  wie wird das gehen?«
  »Es geht halt gar nicht, Beste! nur schlechterdings gar nicht.«
  »Manchmal«, fing Mozart an, »kann sich doch ein Ding sonderbar fügen.
  Was wird denn meine Stanzl sagen, wenn sie erfährt, daß eben das Stück
  Arbeit, was sie nun hören soll, um eben diese Stunde in der Nacht, und
  zwar gleichfalls vor einer angesetzten Reise, zur Welt geboren ist?«
  »Wärs möglich? Wann? Gewiß vor drei Wochen, wie du nach Eisenstadt
  wolltest!«
  »Getroffen! Und das begab sich so. Ich kam nach zehne, du schliefst
  schon fest, von Richters Essen heim und wollte versprochenermaßen
  auch bälder zu Bett, um morgens beizeiten heraus und in den Wagen zu
  steigen. Inzwischen hatte Veit, wie gewöhnlich, die Lichter auf dem
  Schreibtisch angezündet, ich zog mechanisch den Schlafrock an, und
  fiel mir ein, geschwind mein letztes Pensum noch einmal anzusehen.
  Allein, o Mißgeschick! verwünschte, ganz unzeitige Geschäftigkeit der
  Weiber! du hattest aufgeräumt, die Noten eingepackt die mußten nämlich
  mit: der Fürst verlangte eine Probe von dem Opus; - ich suchte,
  brummte, schalt, umsonst! Darüber fällt mein Blick auf ein
  versiegeltes Kuvert: vom Abbate, den greulichen Haken nach auf der
  Adresse - ja wahrlich! und schickt mir den umgearbeiteten Rest seines
  Textes, den ich vor Monatsfrist noch nicht zu sehen hoffte. Sogleich
  sitz ich begierig hin und lese und bin entzückt, wie gut der Kauz
  verstand, was ich wollte. Es war alles weit simpler, gedrängter und
  reicher zugleich. Sowohl die Kirchhofsszene wie das Finale, bis zum
  Untergang des Helden, hat in jedem Betracht sehr gewonnen. (Du sollst
  mir aber auch, dacht ich, vortrefflicher Poet, Himmel und Hölle nicht
  unbedankt zum zweiten Mal beschworen haben!) Nun ist es sonst meine
  Gewohnheit nicht, in der Komposition etwas vorauszunehmen, und wenn
  es noch so lockend wäre; das bleibt eine Unart, die sich sehr übel
  bestrafen kann. Doch gibt es Ausnahmen, und kurz, der Auftritt bei
  der Reiterstatue des Gouverneurs, die Drohung, die vom Grabe des
  Erschlagenen her urplötzlich das Gelächter des Nachtschwärmers
  haarsträubend unterbricht, war mir bereits in die Krone gefahren.
  Ich griff einen Akkord und fühlte, ich hatte an der rechten Pforte
  angeklopft, dahinter schon die ganze Legion von Schrecken beieinander
  liege, die im Finale loszulassen sind. So kam fürs erste ein Adagio
  heraus: d-moll, vier Takte nur, darauf ein zweiter Satz mit fünfen -
  es wird, bild ich mir ein, auf dem Theater etwas Ungewöhnliches geben,
  wo die stärksten Blasinstrumente die Stimme begleiten. Einstweilen
  hören Sie's, so gut es sich hier machen läßt.«
  Er löschte ohne weiteres die Kerzen der beiden neben ihm stehenden
  Armleuchter aus, und jener furchtbare Choral: >Dein Lachen endet vor
  der Morgenröte!< erklang durch die Totenstille des Zimmers. Wie von
  entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen,
  eiskalt, Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue
  Nacht.
  >Wer ist hier? Antwort!< hört man Don Juan fragen. Da hebt es wieder
  an, eintönig wie zuvor, und gebietet dem ruchlosen Jüngling, die Toten
  in Ruhe zu lassen.
  Nachdem diese dröhnenden Klänge bis auf die letzte Schwingung in
  der Luft verhallt waren, fuhr Mozart fort: »Jetzt gab es für mich
  begreiflicherweise kein Aufhören mehr. Wenn erst das Eis einmal an
  einer Uferstelle bricht, gleich kracht der ganze See und klingt bis an
  den entferntesten Winkel hinunter. Ich ergriff unwillkürlich denselben
  Faden weiter unten bei Don Juans Nachtmahl wieder, wo Donna Elvira
  sich eben entfernt hat und das Gespenst, der Einladung gemäß,
  erscheint. - Hören Sie an.«
  Es folgte nun der ganze lange, entsetzenvolle Dialog, durch welchen
  auch der Nüchternste bis an die Grenze menschlichen Vorstellens, ja
  über sie hinaus gerissen wird, wo wir das Übersinnliche schauen und
  hören und innerhalb der eigenen Brust von einem Äußersten zum andern
  willenlos uns hin und her geschleudert fühlen.
  Menschlichen Sprachen schon entfremdet, bequemt sich das unsterbliche
  Organ des Abgeschiedenen, noch einmal zu reden. Bald nach der ersten
  fürchterlichen Begrüßung, als der Halbverklärte die ihm gebotene
  irdische Nahrung verschmäht, wie seltsam schauerlich wandelt seine
  Stimme auf den Sprossen einer luftgewebten Leiter unregelmäßig auf und
  nieder! Er fordert schleunigen Entschluß zur Buße: kurz ist dem Geist
  die Zeit gemessen; weit, weit, weit ist der Weg! Und wenn nun Don
  Juan, im ungeheuren Eigenwillen den ewigen Ordnungen trotzend, unter
  dem wachsenden Andrang der höllischen Mächte, ratlos ringt, sich
  sträubt und windet und endlich untergeht, noch mit dem vollen Ausdruck
  der Erhabenheit in jeder Gebärde - wem zitterten nicht Herz und Nieren
  vor Lust und Angst zugleich? Es ist ein Gefühl, ähnlich dem, womit man
  das prächtige Schauspiel einer unbändigen Naturkraft, den Brand eines
  herrlichen Schiffes anstaunt. Wir nehmen wider Willen gleichsam
  Partei für diese blinde Größe und teilen knirschend ihren Schmerz im
  reißenden Verlauf ihrer Selbstvernichtung.
  Der Komponist war am Ziele. Eine Zeit lang wagte niemand, das
  allgemeine Schweigen zuerst zu brechen. »Geben Sie uns«, fing endlich,
  mit noch beklemmtem Atem, die Gräfin an, »geben Sie uns, ich bitte
  Sie, einen Begriff, wie Ihnen war, da Sie in jener Nacht die Feder
  weglegten!«
  Er blickte, wie aus einer stillen Träumerei ermuntert, helle zu ihr
  auf, besann sich schnell und sagte, halb zu der Dame, halb zu seiner
  Frau: »Nun ja, mir schwankte wohl zuletzt der Kopf. Ich hatte dies
  verzweifelte Dibattimento bis zu dem Chor der Geister, in einer Hitze
  fort, beim offenen Fenster, zu Ende geschrieben und stand nach einer
  kurzen Rast vom Stuhl auf, im Begriff, nach deinem Kabinett zu gehen,
  damit wir noch ein bißchen plaudern und sich mein Blut ausgleiche. Da
  machte ein überquerer Gedanke mich mitten im Zimmer still stehen.«
  (Hier sah er zwei Sekunden lang zu Boden, und sein Ton verriet beim
  Folgenden eine kaum merkbare Bewegung.) »Ich sagte zu mir selbst: wenn
  du noch diese Nacht wegstürbest und müßtest deine Partitur an diesem
  Punkt verlassen: ob dirs auch Ruh im Grabe ließ'? - Mein Auge hing am
  Docht des Lichts in meiner Hand und auf den Bergen von abgetropftem
  Wachs. Ein Schmerz bei dieser Vorstellung durchzückte mich einen
  Moment; dann dacht ich weiter: wenn denn hernach über kurz oder lang
  ein anderer, vielleicht gar so ein Welscher, die Oper zu vollenden
  bekäme und fände von der Introduktion bis Numero siebzehn, mit
  Ausnahme _einer_ Piece, alles sauber beisammen, lauter gesunde, reife
  Früchte ins hohe Gras geschüttelt, daß er sie nur auflesen dürfte;
  ihm graute aber doch ein wenig hier vor der Mitte des Finale, und er
  fände alsdann unverhofft den tüchtigen Felsbrocken da insoweit schon
  beiseite gebracht: er möchte drum nicht übel in das Fäustchen lachen!
  Vielleicht wär er versucht, mich um die Ehre zu betrügen. Er sollte
  aber wohl die Finger dran verbrennen; da wär noch immerhin ein
  Häuflein guter Freunde, die meinen Stempel kennen und mir, was mein
  ist, redlich sichern würden. - Nun ging ich, dankte Gott mit einem
  vollen Blick hinauf und dankte, liebes Weibchen, deinem Genius, der
  dir solange seine beiden Hände sanft über die Stirne gehalten, daß
  du fortschliefst wie eine Ratze und mich kein einzig Mal anrufen
  konntest. Wie ich dann aber endlich kam und du mich um die Uhr
  befrugst, log ich dich frischweg ein paar Stunden jünger, als du
  warst, denn es ging stark auf viere. Und nun wirst du begreifen, warum
  du mich um sechse nicht aus den Federn brachtest, der Kutscher wieder
  heimgeschickt und auf den andern Tag bestellt werden mußte.«
  »Natürlich!« versetzte Konstanze, »nur bilde sich der schlaue Mann
  nicht ein, man sei so dumm gewesen, nichts zu merken! Deswegen
  brauchtest du mir deinen schönen Vorsprung fürwahr nicht zu
  verheimlichen!«
  »Auch war es nicht deshalb.«
  »Weiß schon - du wolltest deinen Schatz vorerst noch unbeschrien
  haben.«
  »Mich freut nur«, rief der gutmütige Wirt, »daß wir morgen nicht nötig
  haben, ein edles Wiener Kutscherherz zu kränken, wenn Herr Mozart
  partout nicht aufstehen kann. Die Ordre >Hans, spann wieder aus!< tut
  jederzeit sehr weh.«
  Diese indirekte Bitte um längeres Bleiben, mit der sich die übrigen
  Stimmen im herzlichsten Zuspruch verbanden, gab den Reisenden Anlaß zu
  Auseinandersetzung sehr triftiger Gründe dagegen; doch verglich man
  sich gerne dahin, daß nicht zu zeitig aufgebrochen und noch vergnügt
  zusammen gefrühstückt werden solle.
  Man stand und drehte sich noch eine Zeit lang in Gruppen schwatzend
  umeinander. Mozart sah sich nach jemandem um, augenscheinlich nach
  der Braut; da sie jedoch gerade nicht zugegen war, so richtete er
  naiverweise die ihr bestimmte Frage unmittelbar an die ihm nahe
  stehende Franziska: »Was denken Sie denn nun im ganzen von unserm >Don
  Giovanni  »Ich will«, versetzte sie mit Lachen, »im Namen meiner Base so gut
  antworten, als ich kann: Meine einfältige Meinung ist, daß, wenn >Don
  Giovanni< nicht aller Welt den Kopf verrückt, so schlägt der liebe
  Gott seinen Musikkasten gar zu, auf unbestimmte Zeit, heißt das, und
  gibt der Menschheit zu verstehen...« - »Und gibt der Menschheit«, fiel
  der Onkel verbessernd ein, »den Dudelsack in die Hand und verstocket
  die Herzen der Leute, daß sie anbeten Baalim.«
  »Behüt uns Gott!« lachte Mozart. »Je nun, im Lauf der nächsten
  sechzig, siebzig Jahre, nachdem ich lang fort bin, wird mancher
  falsche Prophet aufstehen.«
  Eugenie trat mit dem Baron und Max herbei, die Unterhaltung hob sich
  unversehens auf ein neues, ward nochmals ernsthaft und bedeutend, so
  daß der Komponist, eh die Gesellschaft auseinanderging, sich noch gar
  mancher schönen, bezeichnenden Äußerung erfreute, die seiner Hoffnung
  schmeichelte.
  Erst lange nach Mitternacht trennte man sich; keines empfand bis
  jetzt, wie sehr es der Ruhe bedurfte.
  Den andern Tag (das Wetter gab dem gestrigen nichts nach) um zehn Uhr
  sah man einen hübschen Reisewagen, mit den Effekten beider Wiener
  Gäste bepackt, im Schloßhof stehen. Der Graf stand mit Mozart davor,
  kurz ehe die Pferde herausgeführt wurden, und fragte, wie er ihm
  gefalle.
  »Sehr gut; er scheint äußerst bequem.«
  »Wohlan, so machen Sie mir das Vergnügen und behalten Sie ihn zu
  meinem Andenken.«
  »Wie? ist das Ernst?«
  »Was wär es sonst?«
  »Heiliger Sixtus und Calixtus - Konstanze! du!« rief er zum Fenster
  hinauf, wo sie mit den andern heraussah. »Der Wagen soll mein sein! Du
  fährst künftig in deinem eigenen Wagen!«
  Er umarmte den schmunzelnden Geber, betrachtete und umging sein neues
  Besitztum von allen Seiten, öffnete den Schlag, warf sich hinein und
  rief heraus: »Ich dünke mich so vornehm und so reich wie Ritter Gluck!
  Was werden sie in Wien für Augen machen!«
  - »Ich hoffe«, sagte die Gräfin, »Ihr Fuhrwerk wiederzusehn bei der
  Rückkehr von Prag, mit Kränzen um und um behangen!«
  Nicht lang nach diesem letzten fröhlichen Auftritt setzte sich der
  vielgelobte Wagen mit dem scheidenden Paare wirklich in Bewegung und
  fuhr im raschen Trab nach der Landstraße zu. Der Graf ließ sie bis
  Wittingau fahren, wo Postpferde genommen werden sollten.
  Wenn gute, vortreffliche Menschen durch ihre Gegenwart vorübergehend
  unser Haus belebten, durch ihren frischen Geistesodem auch unser
  Wesen in neuen raschen Schwung versetzten und uns den Segen der
  Gastfreundschaft in vollem Maße zu empfinden gaben, so läßt ihr
  Abschied immer eine unbehagliche Stockung, zum mindesten für den Rest
  des Tags, bei uns zurück, wofern wir wieder ganz nur auf uns selber
  angewiesen sind.
  Bei unsern Schloßbewohnern traf wenigstens das letztere nicht zu.
  Franziskas Eltern nebst der alten Tante fuhren zwar alsbald auch weg;
  die Freundin selbst indes, der Bräutigam, Max ohnehin, verblieben
  noch. Eugenien, von welcher vorzugsweise hier die Rede ist, weil sie
  das unschätzbare Erlebnis tiefer als alle ergriff, ihr, sollte man
  denken, konnte nichts fehlen, nichts genommen oder getrübt sein; ihr
  reines Glück in dem wahrhaft geliebten Mann, das erst soeben seine
  förmliche Bestätigung erhielt, mußte alles andre verschlingen,
  vielmehr, das Edelste und Schönste, wovon ihr Herz bewegt sein konnte,
  mußte sich notwendig mit jener seligen Fülle in eines verschmelzen.
  So wäre es auch wohl gekommen, hätte sie gestern und heute der bloßen
  Gegenwart, jetzt nur dem reinen Nachgenuß derselben leben können.
  Allein am Abend schon, bei den Erzählungen der Frau, war sie von
  leiser Furcht für ihn, an dessen liebenswertem Bild sie sich ergötzte,
  geheim beschlichen worden; diese Ahnung wirkte nachher, die ganze
  Zeit, als Mozart spielte, hinter allem unsäglichen Reiz, durch
  alle das geheimnisvolle Grauen der Musik hindurch, im Grund ihres
  Bewußtseins fort, und endlich überraschte, erschütterte sie das, was
  er selbst in der nämlichen Richtung gelegentlich von sich erzählte.
  Es ward ihr so gewiß, so ganz gewiß, daß dieser Mann sich schnell
  und unaufhaltsam in seiner eigenen Glut verzehre, daß er nur eine
  flüchtige Erscheinung auf der Erde sein könne, weil sie den Überfluß,
  den er verströmen würde, in Wahrheit nicht ertrüge.
  Dies, neben vielem andern, ging, nachdem sie sich gestern
  niedergelegt, in ihrem Busen auf und ab, während der Nachhall >Don
  Juans< verworren noch lange fort ihr inneres Gehör einnahm. Erst gegen
  Tag schlief sie ermüdet ein.
  Die drei Damen hatten sich nunmehr mit ihren Arbeiten in den Garten
  gesetzt, die Männer leisteten ihnen Gesellschaft, und da das Gespräch
  natürlich zunächst nur Mozart betraf, so verschwieg auch Eugenie ihre
  Befürchtungen nicht. Keins wollte dieselben im mindesten teilen,
  wiewohl der Baron sie vollkommen begriff. Zur guten Stunde, in
  recht menschlich reiner, dankbarer Stimmung pflegt man sich jeder
  Unglücksidee, die einen gerade nicht unmittelbar angeht, aus allen
  Kräften zu erwehren. Die sprechendsten, lachendsten Gegenbeweise
  wurden, besonders vom Oheim, vorgebracht, und wie gerne hörte nicht
  Eugenie alles an! Es fehlte nicht viel, so glaubte sie wirklich, zu
  schwarz gesehen zu haben.
  Einige Augenblicke später, als sie durchs große Zimmer oben ging, das
  eben gereinigt und wieder in Ordnung gebracht worden war und dessen
  vorgezogene, gründamastene Fenstergardinen nur ein sanftes Dämmerlicht
  zuließen, stand sie wehmütig vor dem Klaviere still. Durchaus war
  es ihr wie ein Traum, zu denken, wer noch vor wenigen Stunden
  davorgesessen habe. Lang blickte sie gedankenvoll die Tasten an, die
  er zuletzt berührt, dann drückte sie leise den Deckel zu und zog den
  Schlüssel ab, in eifersüchtiger Sorge, daß so bald keine andere Hand
  wieder öffne. Im Weggehn stellte sie beiläufig einige Liederhefte an
  ihren Ort zurück; es fiel ein älteres Blatt heraus, die Abschrift
  eines böhmischen Volksliedchens, das Franziska früher, auch wohl
  sie selbst, manchmal gesungen. Sie nahm es auf, nicht ohne darüber
  betreten zu sein. In einer Stimmung wie die ihrige wird der
  natürlichste Zufall leicht zum Orakel. Wie sie es aber auch verstehen
  wollte, der Inhalt war derart, daß ihr, indem sie die einfachen Verse
  wieder durchlas, heiße Tränen entfielen.
   Ein Tännlein grünet wo,
   Wer weiß, im Walde;
   Ein Rosenstrauch, wer sagt,
   In welchem Garten?
   Sie sind erlesen schon,
   Denk es, o Seele,
   Auf deinem Grab zu wurzeln
   Und zu wachsen.
   Zwei schwarze Rößlein weiden
   Auf der Wiese,
   Sie kehren heim zur Stadt
   In muntern Sprüngen.
   Sie werden schrittweis gehn
   Mit deiner Leiche;
   Vielleicht, vielleicht noch eh
   An ihren Hufen
   Das Eisen los wird,
   Das ich blitzen sehe!
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