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Mozart auf der Reise nach Prag - 2
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auch nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in
hellen Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.
Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten sich
einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen und
hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem
Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen
Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag
gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende
des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von
nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.
Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ wie gewöhnlich der Frau die
Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas Wein in
die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen Wassers nur
irgendeinen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen, verlangte.
Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz munter vor
sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und schnell
gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln von
edlerer Herkunft - sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen Gemächern
seinerzeit hierher gewandert - ein sauberes, leichtes Bett mit
gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen seidene
Vorhänge längst durch einen gewöhnlichern Stoff ersetzt waren.
Konstanze machte sichs bequem, er versprach, sie rechtzeitig zu
wecken, sie riegelte die Tür hinter ihm zu, und er suchte nunmehr
Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch
außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig
wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre,
noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt,
hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie
überdies heut ausgefahren.
Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen,
an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von
seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer
Bauart, hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das
Schieferdach verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und
Göttinnen, samt einer Balustrade.
Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
nach, den er sofort erreichte.
Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale
Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste
Ruheplätzchen dar; ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart
ließ sich vorn am Eingang nieder.
Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug auf
einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der
Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und
voll der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese
Anschauung des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner
Knabenzeit geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der
nächsten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle
in hohler Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene
aber, die wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst vermischte
musikalische Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein
Weilchen träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da
und dort umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich
eifrig verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Mal die Pomeranze
angefaßt, sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand.
Er sieht und sieht es nicht; ja so weit geht die künstlerische
Geistesabwesenheit, daß er, die duftige Frucht beständig unter der
Nase hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer
Weise unhörbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig
ein emalliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein
kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige
Masse von oben nach unten langsam durchschneidet. Es mochte ihn dabei
entfernt ein dunkles Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich
die angeregten Sinne mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt
minutenlang die beiden innern Flächen an, fügt sie sachte wieder
zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie wieder.
Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein, wo
er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon im
Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit inne,
sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer,
breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor
ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen
und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos,
auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter
sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen
Augen ins Gesicht; dann setzte - er für einen Dritten wäre es höchst
komisch anzusehn gewesen - die scheinbar unverletzte Pomeranze mit
einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.
»Um Vergebung«, fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen
an: »ich weiß nicht, wen ich hier...«
»Kapellmeister Mozart aus Wien.«
»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«
»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
anwesend?«
»Nein.«
»Seine Gemahlin?«
»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«
Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.
»Mit Erlaubnis, mein Herr - wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
solche Weise zuzugreifen?«
»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel, glaubt Er denn, ich wollte
stehlen und das Ding da fressen?«
»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest
bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort,
ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das
da zugegangen ist.«
»Sei's drum. Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«
Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehn, griff in die Tasche, allein
er hatte das geringste nicht bei sich.
Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine
Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine
Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß
der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu
schreiben:
>Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese,
wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück ist
geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva
schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten eines Himmelbetts
umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten Schlafes erfreut.
Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro Gnaden Rede über meinen
mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit aufrichtiger Beschämung
Hochdero untertänigster Diener W. A. Mozart,
auf dem Wege nach Prag.<
Er übergab das Billett, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem
peinlich wartenden Diener mit der nötigen Weisung. Der Unhold hatte
sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren Seite des
Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der Graf, der
eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron, vom
benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letztern seit
Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr
gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier
mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie gleich
einer eigenen Tochter seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die
Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause
gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man in
dem Schlosse alles, auf Gängen und Treppen, in voller Bewegung, und
nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel
der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle
öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu
achten, geschäftig weitereilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht
wieder. Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe,
Kammerdiener, rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn - der
kleidete sich um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem
Zimmer, der aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und
schnitt ihm, wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon
noch nichts verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon
- geht nur!-« Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und
Sohn zugleich herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.
»Das wär ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas jähe
Mann; »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt Ihr?
Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und
mitnimmt, was er findet?«
»Verzeihen Euer Gnaden, darnach sieht er gerad nicht aus. Er deucht
mir nicht richtig im Kopf; auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt
er sich. Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg
bleiben und ein Aug auf ihn haben.«
»Was hilft es hintendrein, zum Henker? Wenn ich den Narren auch
einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren! Ich sagt
Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben.
Der Streich wär aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur
rechten Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«
Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene
Billett in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr«, rief
sie, »wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief - Mozart aus
Wien, der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten - ich
fürchte nur, er ist schon fort! Was wird er von mir denken! Ihr,
Velten, seid ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich
geschehen?«
»Geschehn?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch
eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle
niederschlagen konnte: »der tolle Mensch hat von dem Baum, den
ich Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen, hm! das
Ungeheuer! Somit ist unserm Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und
Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«
»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht
ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den
guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt. Er
soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut nicht weiter. Trefft ihr
ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn
mit seiner Frau. Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für
Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«
»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke.
Geschwinde, kommen Sie, Papa! Und« - sagte er, indem sie eilends nach
der Treppe liefen - »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig. Die neunte
Muse soll nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem
Unglück noch besonderen Vorteil ziehen.« - »Das ist unmöglich!« -
»Ganz gewiß.« - »Nun, wenn das ist - allein ich nehme dich beim Wort -
so wollen wir dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«
Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener,
ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend
beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an,
unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom
Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der
Laube erschienen.
Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
Familie zu haben.
»Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd, daß ich wohl
sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit mehr
Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt und
spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer
Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging.
Da wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war
ihr eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von
den Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden
so bald nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns
führt. Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken
wir sogleich nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr
Weiterkommen.«
Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
brachte, besann sich nicht lange; er sagte diesen einen halben Tag
mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart
abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging, ein Wagen
sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.
Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von
Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne
Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand sich
doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat. Er
kannte die französische Literatur und erwarb sich, zu einer Zeit, wo
deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und Gunst
durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der
Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und
andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein
besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.
Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte.
Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge
ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und
den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein
können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und gewandt, besprach
und ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst. Es wurde
umgepackt, bezahlt, der Postillon entlassen, sie machte sich, ohne zu
große Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und fuhr
mit dem Begleiter wohlgemut dem Schlosse zu, nicht ahnend, auf welche
sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte.
Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf
das beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem
Verlobten; ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war
blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit
kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band
mit edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem,
offenem Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht.
Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig,
der gute launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen
und Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden
Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht
schonte.
Eines hatte den Flügel geöffnet, >Figaros Hochzeit< lag aufgeschlagen,
und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die
Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der
süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche Abendluft,
einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzüge lang
der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll über ihre
Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich
lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefühl dieses Moments,
des einzigen in seiner Art vielleicht für alle Tage ihres Lebens,
begeisterte sie billig.
Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu
ihr und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man
sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich
am besten selber lobt, indem es gleich jederman wohl in ihr wird! Bei
solchem Gesang ist der Seele zumut wie dem Kindchen im Bad: es lacht
und wundert sich und weiß sich in der Welt nichts Besseres. Übrigens
glauben Sie mir, unsereinem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß
er so lauter, ungeschminkt und warm, ja so komplett sich selber zu
hören bekommt.« - Damit erfaßte er ihre Hand und küßte sie herzlich.
Des Mannes hohe Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder als das
ehrenvolle Zeugnis, wodurch er ihr Talent auszeichnete, ergriff
Eugenien mit jener unwiderstehlichen Rührung, die einem leichten
Schwindel gleicht, und ihre Augen wollten sich plötzlich mit Tränen
anfüllen.
Hier trat Madame Mozart zur Türe herein, und gleich darauf erschienen
neue Gäste, die man erwartet hatte: eine dem Haus sehr eng verwandte
freiherrliche Familie aus der Nähe, mit einer Tochter, Franziska, die
seit den Kinderjahren mit der Braut durch die zärtlichste Freundschaft
verbunden und hier wie daheim war.
Man hatte sich allerseits begrüßt, umarmt, beglückwünscht, die beiden
Wiener Gäste vorgestellt, und Mozart setzte sich an den Flügel. Er
spielte einen Teil eines Konzerts von seiner Komposition, welches
Eugenie soeben einstudierte.
Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis wie der
gegenwärtige unterscheidet sich natürlicherweise von jedem ähnlichen
an einem öffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in
der unmittelbaren Berührung mit der Person des Künstlers und seinem
Genius innerhalb der häuslichen bekannten Wände liegt.
Es war eines jener glänzenden Stücke, worin die reine Schönheit sich
einmal, wie aus Laune, freiwillig in den Dienst der Eleganz begibt,
so aber, daß sie, gleichsam nur verhüllt in diese mehr willkürlich
spielenden Formen und hinter eine Menge blendender Lichter versteckt,
doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrät und ein herrliches
Pathos verschwenderisch ausgießt.
Die Gräfin machte für sich die Bemerkung, daß die meisten Zuhörer,
vielleicht Eugenie selbst nicht ausgenommen, trotz der gespanntesten
Aufmerksamkeit und aller feierlichen Stille während eines bezaubernden
Spiels, doch zwischen Auge und Ohr gar sehr geteilt waren. In
unwillkürlicher Beobachtung des Komponisten, seiner schlichten,
beinahe steifen Körperhaltung, seines gutmütigen Gesichts, der
rundlichen Bewegung dieser kleinen Hände war es gewiß auch nicht
leicht möglich, dem Zudrang tausendfacher Kreuzundquergedanken über
den Wundermann zu widerstehen.
Zu Madame Mozart gewendet, sagte der Graf, nachdem der Meister
aufgestanden war: »Einem berühmten Künstler gegenüber, wenn es ein
Kennerlob zu spitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache ist, wie
haben es die Könige und Kaiser gut! Es nimmt sich eben alles einzig
und außerordentlich in einem solchen Munde aus. Was dürfen sie sich
nicht erlauben, und wie bequem ist es zum Beispiel, dicht hinterm
Stuhl Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußakkord einer brillanten
Phantasie dem bescheidenen klassischen Mann auf die Schulter zu
klopfen und zu sagen: >Sie sind ein Tausensasa, lieber Mozart!< Kaum
ist das Wort heraus, so gehts wie ein Lauffeuer durch den Saal: >Was
hat er ihm gesagt?< - >Er sei ein Tausendsasa, hat er zu ihm gesagt!<
Und alles, was da geigt und fistuliert und komponiert, ist außer sich
von diesem einen Wort; kurzum, es ist der große Stil, der familiäre
Kaiser-Stil, der unnachahmliche, um welchen ich die Josephs und die
Friedrichs von je beneidet habe, und das nie mehr als eben jetzt, wo
ich ganz in Verzweiflung bin, von anderweitiger geistreicher Münze
zufällig keinen Deut in allen meinen Taschen anzutreffen.« Die Art,
wie der Schäfer dergleichen vorbrachte, bestach immerhin und rief
unausbleiblich ein Lachen hervor.
Nun aber, auf die Einladung der Hausfrau, verfügte die Gesellschaft
sich nach dem geschmückten runden Speisesalon, aus welchem den
Eintretenden ein festlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit
willkommene Luft entgegenwehte.
Man nahm die schicklich ausgeteilten Plätze ein, und zwar der
distinguierte Gast den seinigen dem Brautpaar gegenüber. Von einer
Seite hatte er eine kleine ältliche Dame, eine unverheiratete Tante
Franziskas, von der andern die junge reizende Nichte selbst zur
Nebensitzerin, die sich durch Geist und Munterkeit ihm bald besonders
zu empfehlen wußte. Frau Konstanze kam zwischen den Hauswirt und ihren
freundlichen Geleitsmann, den Leutnant; die übrigen reihten sich ein,
und so saß man zu elfen nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren
unteres Ende leer blieb. Auf ihr erhoben sich mitten zwei mächtig
große Porzellanaufsätze mit gemalten Figuren, breite Schalen, gehäuft
voll natürlicher Früchte und Blumen, über sich haltend. An den Wänden
des Saals hingen reiche Festons. Was sonst da war oder nach und nach
folgte, schien einen ausgedehnten Schmaus zu verkünden. Teils auf der
Tafel, zwischen Schüsseln und Platten, teils vom Serviertisch herüber
im Hintergrund blinkte verschiedenes edle Getränk vom schwärzesten Rot
bis hinauf zu dem gelblichen Weiß, dessen lustiger Schaum herkömmlich
erst die zweite Hälfte eines Festes krönt.
Bis gegen diesen Zeitpunkt hin bewegte sich die Unterhaltung, von
mehreren Seiten gleich lebhaft genährt, in allen Richtungen. Weil aber
der Graf gleich anfangs einigemal von weitem und jetzt nur immer näher
und mutwilliger auf Mozarts Gartenabenteuer anspielte, so daß die
einen heimlich lächelten, die andern sich umsonst den Kopf zerbrachen,
was er denn meine, so ging unser Freund mit der Sprache heraus.
»Ich will in Gottes Namen beichten«, fing er an, »auf was Art mir
eigentlich die Ehre der Bekanntschaft mit diesem edlen Haus geworden
ist. Ich spiele dabei nicht die würdigste Rolle, und um ein Haar, so
säß ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen
Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses und könnte mir mit leerem
Magen die Spinneweben an der Wand herum betrachten.«
»Nun ja,« rief Madame Mozart, »da werd ich schöne Dinge hören.«
Ausführlich nun beschrieb er erst, wie er im >Weißen Roß< seine Frau
zurückgelassen, die Promenade in den Park, den Unstern in der Laube,
den Handel mit der Gartenpolizei, kurz, ungefähr was wir schon wissen,
gab er alles mit größter Treuherzigkeit und zum höchsten Ergötzen der
Zuhörer preis. Das Lachen wollte fast kein Ende nehmen; selbst die
gemäßigte Eugenie enthielt sich nicht, es schüttelte sie ordentlich.
»Nun«, fuhr er fort, »das Sprichwort sagt: Hat einer den Nutzen, dem
Spott mag er trutzen! Ich hab meinen kleinen Profit von der Sache,
Sie werden schon sehen. Vor allem aber hören Sie, wie's eigentlich
geschah, daß sich ein alter Kindskopf so vergessen konnte. Eine
Jugenderinnerung war mit im Spiele.
Im Frühling 1770 reiste ich als dreizehnjähriges Bürschchen mit meinem
Vater nach Italien. Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zweimal
im Konservatorium und sonst zu verschiedenen Malen gespielt. Adel und
Geistlichkeit erzeugten uns manches Angenehme, vornehmlich attachierte
sich ein Abbate an uns, der sich als Kenner schmeichelte und übrigens
am Hofe etwas galt. Den Tag vor unserer Abreise führte er uns in
Begleitung einiger anderen Herren in einen königlichen Garten, die
Villa reale, bei der prachtvollen Straße geradhin am Meere gelegen,
wo eine Bande sizilianischer commedianti sich produzierte - figli di
Nettuno, wie sie sich neben andern schönen Titeln auch nannten. Mit
vielen vornehmen Zuschauern, worunter selbst die junge liebenswürdige
Königin Karolina samt zwei Prinzessen, saßen wir auf einer langen
Reihe von Bänken im Schatten einer zeltartig bedeckten niedern
Galerie, an deren Mauer unten die Wellen plätscherten. Das Meer
mit seiner vielfarbigen Streifung strahlte den blauen Sonnenhimmel
herrlich wider. Gerade vor sich hat man den Vesuv, links schimmert,
sanft geschwungen, eine reizende Küste herein.
Die erste Abteilung der Spiele war vorüber; sie wurde auf dem
trockenen Bretterboden einer Art von Flöße ausgeführt, die auf dem
Wasser stand, und hatte nichts Besonderes; der zweite aber und
der schönste Teil bestand aus lauter Schiffer-, Schwimm- und
Taucherstücken und blieb mir stets mit allen Einzelheiten frisch im
Gedächtnis eingeprägt.
Von entgegengesetzten Seiten her näherten sich einander zwei
zierliche, sehr leicht gebaute Barken, beide, wie es schien, auf
einer Lustfahrt begriffen. Die eine, etwas größere, war mit einem
Halbverdeck versehen und nebst den Ruderbänken mit einem dünnen Mast
und einem Segel ausgerüstet, auch prächtig bemalt, der Schnabel
vergoldet. Fünf Jünglinge von idealischem Aussehen, kaum bekleidet,
Arme, Brust und Beine dem Anschein nach nackt, waren teils an dem
Ruder beschäftigt, teils ergötzten sie sich mit einer gleichen Anzahl
artiger Mädchen, ihren Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem
Verdecke saß und Blumenkränze wand, zeichnete sich durch Wuchs und
Schönheit sowie durch ihren Putz vor allen übrigen aus. Diese dienten
ihr willig, spannten gegen die Sonne ein Tuch über sie und reichten
ihr die Blumen aus dem Korb. Eine Flötenspielerin saß zu ihren Füßen,
die den Gesang der andern mit ihren hellen Tönen unterstützte.
Auch jener vorzüglichen Schönen fehlte es nicht an einem eigenen
Beschützer; doch verhielten sich beide ziemlich gleichgültig
gegeneinander, und der Liebhaber deuchte mir fast etwas roh.
Inzwischen war das andere, einfachere Fahrzeug näher gekommen. Hier
sah man bloß männliche Jugend. Wie jene Jünglinge Hochrot trugen, so
war die Farbe der letztern Seegrün. Sie stutzten beim Anblick der
lieblichen Kinder, winkten Grüße herüber und gaben ihr Verlangen nach
näherer Bekanntschaft zu erkennen. Die Munterste hierauf nahm eine
Rose vom Busen und hielt sie schelmisch in die Höhe, gleichsam
fragend, ob solche Gaben bei ihnen wohl angebracht wären, worauf von
drüben allerseits mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde.
Die Roten sahen verächtlich und finster darein, konnten aber nichts
machen, als mehrere der Mädchen einig wurden, den armen Teufeln
wenigstens doch etwas für den Hunger und Durst zuzuwerfen. Es stand
ein Korb voll Orangen am Boden; wahrscheinlich waren es nur gelbe
Bälle, den Früchten ähnlich nachgemacht. Und jetzt begann ein
entzückendes Schauspiel, unter Mitwirkung der Musik, die auf dem
Uferdamm aufgestellt war.
Eine der Jungfrauen machte den Anfang und schickte fürs erste ein
paar Pomeranzen aus leichter Hand hinüber, die, dort mit gleicher
Leichtigkeit aufgefangen, alsbald zurückkehrten; so ging es hin und
her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen zuhalfen, so flogs mit
Pomeranzen bald dem Dutzend nach in immer schnellerem Tempo hin und
wider. Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe keinen Anteil, als
daß sie höchst begierig von ihrem Schemel aus zusah. Wir konnten
die Geschicklichkeit auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die
Schiffe drehten sich auf etwa dreißig Schritte in langsamer Bewegung
umeinander, kehrten sich bald die ganze Flanke zu, bald schief das
halbe Vorderteil; es waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in
der Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel mehr zu sehen.
hellen Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.
Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten sich
einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen und
hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem
Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen
Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag
gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende
des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von
nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.
Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ wie gewöhnlich der Frau die
Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas Wein in
die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen Wassers nur
irgendeinen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen, verlangte.
Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz munter vor
sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und schnell
gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln von
edlerer Herkunft - sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen Gemächern
seinerzeit hierher gewandert - ein sauberes, leichtes Bett mit
gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen seidene
Vorhänge längst durch einen gewöhnlichern Stoff ersetzt waren.
Konstanze machte sichs bequem, er versprach, sie rechtzeitig zu
wecken, sie riegelte die Tür hinter ihm zu, und er suchte nunmehr
Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch
außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig
wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre,
noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt,
hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie
überdies heut ausgefahren.
Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen,
an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von
seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer
Bauart, hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das
Schieferdach verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und
Göttinnen, samt einer Balustrade.
Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
nach, den er sofort erreichte.
Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale
Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste
Ruheplätzchen dar; ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart
ließ sich vorn am Eingang nieder.
Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug auf
einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der
Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und
voll der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese
Anschauung des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner
Knabenzeit geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der
nächsten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle
in hohler Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene
aber, die wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst vermischte
musikalische Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein
Weilchen träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da
und dort umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich
eifrig verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Mal die Pomeranze
angefaßt, sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand.
Er sieht und sieht es nicht; ja so weit geht die künstlerische
Geistesabwesenheit, daß er, die duftige Frucht beständig unter der
Nase hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer
Weise unhörbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig
ein emalliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein
kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige
Masse von oben nach unten langsam durchschneidet. Es mochte ihn dabei
entfernt ein dunkles Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich
die angeregten Sinne mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt
minutenlang die beiden innern Flächen an, fügt sie sachte wieder
zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie wieder.
Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein, wo
er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon im
Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit inne,
sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer,
breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor
ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen
und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos,
auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter
sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen
Augen ins Gesicht; dann setzte - er für einen Dritten wäre es höchst
komisch anzusehn gewesen - die scheinbar unverletzte Pomeranze mit
einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.
»Um Vergebung«, fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen
an: »ich weiß nicht, wen ich hier...«
»Kapellmeister Mozart aus Wien.«
»Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«
»Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
anwesend?«
»Nein.«
»Seine Gemahlin?«
»Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«
Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.
»Mit Erlaubnis, mein Herr - wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
solche Weise zuzugreifen?«
»Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel, glaubt Er denn, ich wollte
stehlen und das Ding da fressen?«
»Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest
bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort,
ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das
da zugegangen ist.«
»Sei's drum. Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«
Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehn, griff in die Tasche, allein
er hatte das geringste nicht bei sich.
Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine
Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine
Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß
der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu
schreiben:
>Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese,
wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück ist
geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva
schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten eines Himmelbetts
umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten Schlafes erfreut.
Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro Gnaden Rede über meinen
mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit aufrichtiger Beschämung
Hochdero untertänigster Diener W. A. Mozart,
auf dem Wege nach Prag.<
Er übergab das Billett, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem
peinlich wartenden Diener mit der nötigen Weisung. Der Unhold hatte
sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren Seite des
Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der Graf, der
eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron, vom
benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letztern seit
Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr
gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier
mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie gleich
einer eigenen Tochter seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die
Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause
gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man in
dem Schlosse alles, auf Gängen und Treppen, in voller Bewegung, und
nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel
der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle
öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu
achten, geschäftig weitereilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht
wieder. Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe,
Kammerdiener, rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn - der
kleidete sich um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem
Zimmer, der aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und
schnitt ihm, wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon
noch nichts verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon
- geht nur!-« Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und
Sohn zugleich herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.
»Das wär ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas jähe
Mann; »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt Ihr?
Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und
mitnimmt, was er findet?«
»Verzeihen Euer Gnaden, darnach sieht er gerad nicht aus. Er deucht
mir nicht richtig im Kopf; auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt
er sich. Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg
bleiben und ein Aug auf ihn haben.«
»Was hilft es hintendrein, zum Henker? Wenn ich den Narren auch
einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren! Ich sagt
Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben.
Der Streich wär aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur
rechten Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«
Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene
Billett in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr«, rief
sie, »wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief - Mozart aus
Wien, der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten - ich
fürchte nur, er ist schon fort! Was wird er von mir denken! Ihr,
Velten, seid ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich
geschehen?«
»Geschehn?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch
eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle
niederschlagen konnte: »der tolle Mensch hat von dem Baum, den
ich Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen, hm! das
Ungeheuer! Somit ist unserm Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und
Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«
»O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht
ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den
guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt. Er
soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut nicht weiter. Trefft ihr
ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn
mit seiner Frau. Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für
Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«
»Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke.
Geschwinde, kommen Sie, Papa! Und« - sagte er, indem sie eilends nach
der Treppe liefen - »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig. Die neunte
Muse soll nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem
Unglück noch besonderen Vorteil ziehen.« - »Das ist unmöglich!« -
»Ganz gewiß.« - »Nun, wenn das ist - allein ich nehme dich beim Wort -
so wollen wir dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«
Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener,
ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend
beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an,
unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom
Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der
Laube erschienen.
Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
Familie zu haben.
»Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd, daß ich wohl
sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit mehr
Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt und
spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer
Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging.
Da wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war
ihr eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von
den Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden
so bald nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns
führt. Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken
wir sogleich nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr
Weiterkommen.«
Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
brachte, besann sich nicht lange; er sagte diesen einen halben Tag
mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart
abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging, ein Wagen
sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.
Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von
Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne
Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand sich
doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat. Er
kannte die französische Literatur und erwarb sich, zu einer Zeit, wo
deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und Gunst
durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der
Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und
andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein
besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.
Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte.
Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge
ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und
den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein
können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und gewandt, besprach
und ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst. Es wurde
umgepackt, bezahlt, der Postillon entlassen, sie machte sich, ohne zu
große Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und fuhr
mit dem Begleiter wohlgemut dem Schlosse zu, nicht ahnend, auf welche
sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte.
Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf
das beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem
Verlobten; ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war
blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit
kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band
mit edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem,
offenem Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht.
Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig,
der gute launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen
und Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden
Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht
schonte.
Eines hatte den Flügel geöffnet, >Figaros Hochzeit< lag aufgeschlagen,
und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die
Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der
süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche Abendluft,
einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzüge lang
der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll über ihre
Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich
lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefühl dieses Moments,
des einzigen in seiner Art vielleicht für alle Tage ihres Lebens,
begeisterte sie billig.
Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu
ihr und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man
sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich
am besten selber lobt, indem es gleich jederman wohl in ihr wird! Bei
solchem Gesang ist der Seele zumut wie dem Kindchen im Bad: es lacht
und wundert sich und weiß sich in der Welt nichts Besseres. Übrigens
glauben Sie mir, unsereinem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß
er so lauter, ungeschminkt und warm, ja so komplett sich selber zu
hören bekommt.« - Damit erfaßte er ihre Hand und küßte sie herzlich.
Des Mannes hohe Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder als das
ehrenvolle Zeugnis, wodurch er ihr Talent auszeichnete, ergriff
Eugenien mit jener unwiderstehlichen Rührung, die einem leichten
Schwindel gleicht, und ihre Augen wollten sich plötzlich mit Tränen
anfüllen.
Hier trat Madame Mozart zur Türe herein, und gleich darauf erschienen
neue Gäste, die man erwartet hatte: eine dem Haus sehr eng verwandte
freiherrliche Familie aus der Nähe, mit einer Tochter, Franziska, die
seit den Kinderjahren mit der Braut durch die zärtlichste Freundschaft
verbunden und hier wie daheim war.
Man hatte sich allerseits begrüßt, umarmt, beglückwünscht, die beiden
Wiener Gäste vorgestellt, und Mozart setzte sich an den Flügel. Er
spielte einen Teil eines Konzerts von seiner Komposition, welches
Eugenie soeben einstudierte.
Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis wie der
gegenwärtige unterscheidet sich natürlicherweise von jedem ähnlichen
an einem öffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in
der unmittelbaren Berührung mit der Person des Künstlers und seinem
Genius innerhalb der häuslichen bekannten Wände liegt.
Es war eines jener glänzenden Stücke, worin die reine Schönheit sich
einmal, wie aus Laune, freiwillig in den Dienst der Eleganz begibt,
so aber, daß sie, gleichsam nur verhüllt in diese mehr willkürlich
spielenden Formen und hinter eine Menge blendender Lichter versteckt,
doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrät und ein herrliches
Pathos verschwenderisch ausgießt.
Die Gräfin machte für sich die Bemerkung, daß die meisten Zuhörer,
vielleicht Eugenie selbst nicht ausgenommen, trotz der gespanntesten
Aufmerksamkeit und aller feierlichen Stille während eines bezaubernden
Spiels, doch zwischen Auge und Ohr gar sehr geteilt waren. In
unwillkürlicher Beobachtung des Komponisten, seiner schlichten,
beinahe steifen Körperhaltung, seines gutmütigen Gesichts, der
rundlichen Bewegung dieser kleinen Hände war es gewiß auch nicht
leicht möglich, dem Zudrang tausendfacher Kreuzundquergedanken über
den Wundermann zu widerstehen.
Zu Madame Mozart gewendet, sagte der Graf, nachdem der Meister
aufgestanden war: »Einem berühmten Künstler gegenüber, wenn es ein
Kennerlob zu spitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache ist, wie
haben es die Könige und Kaiser gut! Es nimmt sich eben alles einzig
und außerordentlich in einem solchen Munde aus. Was dürfen sie sich
nicht erlauben, und wie bequem ist es zum Beispiel, dicht hinterm
Stuhl Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußakkord einer brillanten
Phantasie dem bescheidenen klassischen Mann auf die Schulter zu
klopfen und zu sagen: >Sie sind ein Tausensasa, lieber Mozart!< Kaum
ist das Wort heraus, so gehts wie ein Lauffeuer durch den Saal: >Was
hat er ihm gesagt?< - >Er sei ein Tausendsasa, hat er zu ihm gesagt!<
Und alles, was da geigt und fistuliert und komponiert, ist außer sich
von diesem einen Wort; kurzum, es ist der große Stil, der familiäre
Kaiser-Stil, der unnachahmliche, um welchen ich die Josephs und die
Friedrichs von je beneidet habe, und das nie mehr als eben jetzt, wo
ich ganz in Verzweiflung bin, von anderweitiger geistreicher Münze
zufällig keinen Deut in allen meinen Taschen anzutreffen.« Die Art,
wie der Schäfer dergleichen vorbrachte, bestach immerhin und rief
unausbleiblich ein Lachen hervor.
Nun aber, auf die Einladung der Hausfrau, verfügte die Gesellschaft
sich nach dem geschmückten runden Speisesalon, aus welchem den
Eintretenden ein festlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit
willkommene Luft entgegenwehte.
Man nahm die schicklich ausgeteilten Plätze ein, und zwar der
distinguierte Gast den seinigen dem Brautpaar gegenüber. Von einer
Seite hatte er eine kleine ältliche Dame, eine unverheiratete Tante
Franziskas, von der andern die junge reizende Nichte selbst zur
Nebensitzerin, die sich durch Geist und Munterkeit ihm bald besonders
zu empfehlen wußte. Frau Konstanze kam zwischen den Hauswirt und ihren
freundlichen Geleitsmann, den Leutnant; die übrigen reihten sich ein,
und so saß man zu elfen nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren
unteres Ende leer blieb. Auf ihr erhoben sich mitten zwei mächtig
große Porzellanaufsätze mit gemalten Figuren, breite Schalen, gehäuft
voll natürlicher Früchte und Blumen, über sich haltend. An den Wänden
des Saals hingen reiche Festons. Was sonst da war oder nach und nach
folgte, schien einen ausgedehnten Schmaus zu verkünden. Teils auf der
Tafel, zwischen Schüsseln und Platten, teils vom Serviertisch herüber
im Hintergrund blinkte verschiedenes edle Getränk vom schwärzesten Rot
bis hinauf zu dem gelblichen Weiß, dessen lustiger Schaum herkömmlich
erst die zweite Hälfte eines Festes krönt.
Bis gegen diesen Zeitpunkt hin bewegte sich die Unterhaltung, von
mehreren Seiten gleich lebhaft genährt, in allen Richtungen. Weil aber
der Graf gleich anfangs einigemal von weitem und jetzt nur immer näher
und mutwilliger auf Mozarts Gartenabenteuer anspielte, so daß die
einen heimlich lächelten, die andern sich umsonst den Kopf zerbrachen,
was er denn meine, so ging unser Freund mit der Sprache heraus.
»Ich will in Gottes Namen beichten«, fing er an, »auf was Art mir
eigentlich die Ehre der Bekanntschaft mit diesem edlen Haus geworden
ist. Ich spiele dabei nicht die würdigste Rolle, und um ein Haar, so
säß ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen
Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses und könnte mir mit leerem
Magen die Spinneweben an der Wand herum betrachten.«
»Nun ja,« rief Madame Mozart, »da werd ich schöne Dinge hören.«
Ausführlich nun beschrieb er erst, wie er im >Weißen Roß< seine Frau
zurückgelassen, die Promenade in den Park, den Unstern in der Laube,
den Handel mit der Gartenpolizei, kurz, ungefähr was wir schon wissen,
gab er alles mit größter Treuherzigkeit und zum höchsten Ergötzen der
Zuhörer preis. Das Lachen wollte fast kein Ende nehmen; selbst die
gemäßigte Eugenie enthielt sich nicht, es schüttelte sie ordentlich.
»Nun«, fuhr er fort, »das Sprichwort sagt: Hat einer den Nutzen, dem
Spott mag er trutzen! Ich hab meinen kleinen Profit von der Sache,
Sie werden schon sehen. Vor allem aber hören Sie, wie's eigentlich
geschah, daß sich ein alter Kindskopf so vergessen konnte. Eine
Jugenderinnerung war mit im Spiele.
Im Frühling 1770 reiste ich als dreizehnjähriges Bürschchen mit meinem
Vater nach Italien. Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zweimal
im Konservatorium und sonst zu verschiedenen Malen gespielt. Adel und
Geistlichkeit erzeugten uns manches Angenehme, vornehmlich attachierte
sich ein Abbate an uns, der sich als Kenner schmeichelte und übrigens
am Hofe etwas galt. Den Tag vor unserer Abreise führte er uns in
Begleitung einiger anderen Herren in einen königlichen Garten, die
Villa reale, bei der prachtvollen Straße geradhin am Meere gelegen,
wo eine Bande sizilianischer commedianti sich produzierte - figli di
Nettuno, wie sie sich neben andern schönen Titeln auch nannten. Mit
vielen vornehmen Zuschauern, worunter selbst die junge liebenswürdige
Königin Karolina samt zwei Prinzessen, saßen wir auf einer langen
Reihe von Bänken im Schatten einer zeltartig bedeckten niedern
Galerie, an deren Mauer unten die Wellen plätscherten. Das Meer
mit seiner vielfarbigen Streifung strahlte den blauen Sonnenhimmel
herrlich wider. Gerade vor sich hat man den Vesuv, links schimmert,
sanft geschwungen, eine reizende Küste herein.
Die erste Abteilung der Spiele war vorüber; sie wurde auf dem
trockenen Bretterboden einer Art von Flöße ausgeführt, die auf dem
Wasser stand, und hatte nichts Besonderes; der zweite aber und
der schönste Teil bestand aus lauter Schiffer-, Schwimm- und
Taucherstücken und blieb mir stets mit allen Einzelheiten frisch im
Gedächtnis eingeprägt.
Von entgegengesetzten Seiten her näherten sich einander zwei
zierliche, sehr leicht gebaute Barken, beide, wie es schien, auf
einer Lustfahrt begriffen. Die eine, etwas größere, war mit einem
Halbverdeck versehen und nebst den Ruderbänken mit einem dünnen Mast
und einem Segel ausgerüstet, auch prächtig bemalt, der Schnabel
vergoldet. Fünf Jünglinge von idealischem Aussehen, kaum bekleidet,
Arme, Brust und Beine dem Anschein nach nackt, waren teils an dem
Ruder beschäftigt, teils ergötzten sie sich mit einer gleichen Anzahl
artiger Mädchen, ihren Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem
Verdecke saß und Blumenkränze wand, zeichnete sich durch Wuchs und
Schönheit sowie durch ihren Putz vor allen übrigen aus. Diese dienten
ihr willig, spannten gegen die Sonne ein Tuch über sie und reichten
ihr die Blumen aus dem Korb. Eine Flötenspielerin saß zu ihren Füßen,
die den Gesang der andern mit ihren hellen Tönen unterstützte.
Auch jener vorzüglichen Schönen fehlte es nicht an einem eigenen
Beschützer; doch verhielten sich beide ziemlich gleichgültig
gegeneinander, und der Liebhaber deuchte mir fast etwas roh.
Inzwischen war das andere, einfachere Fahrzeug näher gekommen. Hier
sah man bloß männliche Jugend. Wie jene Jünglinge Hochrot trugen, so
war die Farbe der letztern Seegrün. Sie stutzten beim Anblick der
lieblichen Kinder, winkten Grüße herüber und gaben ihr Verlangen nach
näherer Bekanntschaft zu erkennen. Die Munterste hierauf nahm eine
Rose vom Busen und hielt sie schelmisch in die Höhe, gleichsam
fragend, ob solche Gaben bei ihnen wohl angebracht wären, worauf von
drüben allerseits mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde.
Die Roten sahen verächtlich und finster darein, konnten aber nichts
machen, als mehrere der Mädchen einig wurden, den armen Teufeln
wenigstens doch etwas für den Hunger und Durst zuzuwerfen. Es stand
ein Korb voll Orangen am Boden; wahrscheinlich waren es nur gelbe
Bälle, den Früchten ähnlich nachgemacht. Und jetzt begann ein
entzückendes Schauspiel, unter Mitwirkung der Musik, die auf dem
Uferdamm aufgestellt war.
Eine der Jungfrauen machte den Anfang und schickte fürs erste ein
paar Pomeranzen aus leichter Hand hinüber, die, dort mit gleicher
Leichtigkeit aufgefangen, alsbald zurückkehrten; so ging es hin und
her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen zuhalfen, so flogs mit
Pomeranzen bald dem Dutzend nach in immer schnellerem Tempo hin und
wider. Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe keinen Anteil, als
daß sie höchst begierig von ihrem Schemel aus zusah. Wir konnten
die Geschicklichkeit auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die
Schiffe drehten sich auf etwa dreißig Schritte in langsamer Bewegung
umeinander, kehrten sich bald die ganze Flanke zu, bald schief das
halbe Vorderteil; es waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in
der Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel mehr zu sehen.
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