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Mozart auf der Reise nach Prag - 2

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  auch nicht im bescheidensten Maße, erfüllt werden sollte, zuletzt in
  hellen Mutwillen, Lärm und Gelächter auflöste.
  Sie waren unterdessen längst ins Tal herabgekommen und näherten sich
  einem Dorf, das ihnen bereits auf der Höhe bemerklich gewesen und
  hinter welchem sich unmittelbar ein kleines Schloß von modernem
  Ansehen, der Wohnsitz eines Grafen von Schinzberg, in der freundlichen
  Ebene zeigte. Es sollte in dem Ort gefüttert, gerastet und Mittag
  gehalten werden. Der Gasthof, wo sie hielten, lag vereinzelt am Ende
  des Dorfs bei der Straße, von welcher seitwärts eine Pappelallee von
  nicht sechshundert Schritten zum herrschaftlichen Garten führte.
  Mozart, nachdem man ausgestiegen, überließ wie gewöhnlich der Frau die
  Bestellung des Essens. Inzwischen befahl er für sich ein Glas Wein in
  die untere Stube, während sie nächst einem Trunke frischen Wassers nur
  irgendeinen stillen Winkel, um ein Stündchen zu schlafen, verlangte.
  Man führte sie eine Treppe hinauf, der Gatte folgte, ganz munter vor
  sich hin singend und pfeifend. In einem rein geweißten und schnell
  gelüfteten Zimmer befand sich unter andern veralteten Möbeln von
  edlerer Herkunft - sie waren ohne Zweifel aus den gräflichen Gemächern
  seinerzeit hierher gewandert - ein sauberes, leichtes Bett mit
  gemaltem Himmel auf dünnen, grün lackierten Säulen, dessen seidene
  Vorhänge längst durch einen gewöhnlichern Stoff ersetzt waren.
  Konstanze machte sichs bequem, er versprach, sie rechtzeitig zu
  wecken, sie riegelte die Tür hinter ihm zu, und er suchte nunmehr
  Unterhaltung für sich in der allgemeinen Schenkstube. Hier war jedoch
  außer dem Wirt keine Seele, und weil dessen Gespräch dem Gast so wenig
  wie sein Wein behagte, so bezeugte er Lust, bis der Tisch bereit wäre,
  noch einen Spaziergang nach dem Schloßgarten zu machen. Der Zutritt,
  hörte er, sei anständigen Fremden wohl gestattet und die Familie
  überdies heut ausgefahren.
  Er ging und hatte bald den kurzen Weg bis zu dem offenen Gattertor
  zurückgelegt, dann langsam einen hohen alten Lindengang durchmessen,
  an dessen Ende linker Hand er in geringer Entfernung das Schloß von
  seiner Fronte auf einmal vor sich hatte. Es war von italienischer
  Bauart, hell getüncht, mit weit vorliegender Doppeltreppe; das
  Schieferdach verzierten einige Statuen in üblicher Manier, Götter und
  Göttinnen, samt einer Balustrade.
  Von der Mitte zweier großen, noch reichlich blühenden Blumenparterre
  ging unser Meister nach den buschigen Teilen der Anlagen zu, berührte
  ein paar schöne dunkle Piniengruppen und lenkte seine Schritte auf
  vielfach gewundenen Pfaden, indem er sich allmählich den lichteren
  Partien wieder näherte, dem lebhaften Rauschen eines Springbrunnens
  nach, den er sofort erreichte.
  Das ansehnlich weite, ovale Bassin war rings von einer sorgfältig
  gehaltenen Orangerie in Kübeln, abwechselnd mit Lorbeeren und
  Oleandern, umstellt; ein weicher Sandweg, gegen den sich eine schmale
  Gitterlaube öffnete, lief rund umher. Die Laube bot das angenehmste
  Ruheplätzchen dar; ein kleiner Tisch stand vor der Bank, und Mozart
  ließ sich vorn am Eingang nieder.
  Das Ohr behaglich dem Geplätscher des Wassers hingegeben, das Aug auf
  einen Pomeranzenbaum von mittlerer Größe geheftet, der außerhalb der
  Reihe, einzeln, ganz dicht an seiner Seite auf dem Boden stand und
  voll der schönsten Früchte hing, ward unser Freund durch diese
  Anschauung des Südens alsbald auf eine liebliche Erinnerung aus seiner
  Knabenzeit geführt. Nachdenklich lächelnd reicht er hinüber nach der
  nächsten Frucht, als wie um ihre herrliche Ründe, ihre saftige Kühle
  in hohler Hand zu fühlen. Ganz im Zusammenhang mit jener Jugendszene
  aber, die wieder vor ihm aufgetaucht, stand eine längst vermischte
  musikalische Reminiszenz, auf deren unbestimmter Spur er sich ein
  Weilchen träumerisch erging. Jetzt glänzen seine Blicke, sie irren da
  und dort umher, er ist von einem Gedanken ergriffen, den er sogleich
  eifrig verfolgt. Zerstreut hat er zum zweiten Mal die Pomeranze
  angefaßt, sie geht vom Zweige los und bleibt ihm in der Hand.
  Er sieht und sieht es nicht; ja so weit geht die künstlerische
  Geistesabwesenheit, daß er, die duftige Frucht beständig unter der
  Nase hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer
  Weise unhörbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktmäßig
  ein emalliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein
  kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige
  Masse von oben nach unten langsam durchschneidet. Es mochte ihn dabei
  entfernt ein dunkles Durstgefühl geleitet haben, jedoch begnügten sich
  die angeregten Sinne mit Einatmung des köstlichen Geruchs. Er starrt
  minutenlang die beiden innern Flächen an, fügt sie sachte wieder
  zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie wieder.
  Da hört er Tritte in der Nähe, er erschrickt, und das Bewußtsein, wo
  er ist, was er getan, stellt sich urplötzlich bei ihm ein. Schon im
  Begriff, die Pomeranze zu verbergen, hält er doch gleich damit inne,
  sei es aus Stolz, sei's, weil es zu spät dazu war. Ein großer,
  breitschulteriger Mann in Livree, der Gärtner des Hauses, stand vor
  ihm. Derselbe hatte wohl die letzte verdächtige Bewegung noch gesehen
  und schwieg betroffen einige Sekunden. Mozart, gleichfalls sprachlos,
  auf seinem Sitz wie angenagelt, schaute ihm halb lachend, unter
  sichtbarem Erröten, doch gewissermaßen keck und groß mit seinen blauen
  Augen ins Gesicht; dann setzte - er für einen Dritten wäre es höchst
  komisch anzusehn gewesen - die scheinbar unverletzte Pomeranze mit
  einer Art von trotzig couragiertem Nachdruck in die Mitte des Tisches.
  »Um Vergebung«, fing jetzt der Gärtner, nachdem er den wenig
  versprechenden Anzug des Fremden gemustert, mit unterdrücktem Unwillen
  an: »ich weiß nicht, wen ich hier...«
  »Kapellmeister Mozart aus Wien.«
  »Sind ohne Zweifel bekannt im Schloß?«
  »Ich bin hier fremd und auf der Durchreise. Ist der Herr Graf
  anwesend?«
  »Nein.«
  »Seine Gemahlin?«
  »Sind beschäftigt und schwerlich zu sprechen.«
  Mozart stand auf und machte Miene zu gehen.
  »Mit Erlaubnis, mein Herr - wie kommen Sie dazu, an diesem Ort auf
  solche Weise zuzugreifen?«
  »Was?« rief Mozart, »zugreifen? Zum Teufel, glaubt Er denn, ich wollte
  stehlen und das Ding da fressen?«
  »Mein Herr, ich glaube, was ich sehe. Diese Früchte sind gezählt, ich
  bin dafür verantwortlich. Der Baum ist vom Herrn Grafen zu einem Fest
  bestimmt, soeben soll er weggebracht werden. Ich lasse Sie nicht fort,
  ehbevor ich die Sache gemeldet und Sie mir selbst bezeugten, wie das
  da zugegangen ist.«
  »Sei's drum. Ich werde hier so lange warten. Verlaß Er sich darauf!«
  Der Gärtner sah sich zögernd um, und Mozart, in der Meinung, es sei
  vielleicht nur auf ein Trinkgeld abgesehn, griff in die Tasche, allein
  er hatte das geringste nicht bei sich.
  Zwei Gartenknechte kamen nun wirklich herbei, luden den Baum auf eine
  Bahre und trugen ihn hinweg. Inzwischen hatte unser Meister seine
  Brieftasche gezogen, ein weißes Blatt herausgenommen und, während daß
  der Gärtner nicht von der Stelle wich, mit Bleistift angefangen zu
  schreiben:
  >Gnädigste Frau! Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese,
  wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet. Das Unglück ist
  geschehen, und ich kann nicht einmal die Schuld auf eine gute Eva
  schieben, die eben jetzt, von Grazien und Amoretten eines Himmelbetts
  umgaukelt, im Gasthof sich des unschuldigsten Schlafes erfreut.
  Befehlen Sie, und ich stehe persönlich Ihro Gnaden Rede über meinen
  mir selbst unfaßlichen Frevel. Mit aufrichtiger Beschämung
  Hochdero untertänigster Diener W. A. Mozart,
   auf dem Wege nach Prag.<
  Er übergab das Billett, ziemlich ungeschickt zusammengefaltet, dem
  peinlich wartenden Diener mit der nötigen Weisung. Der Unhold hatte
  sich nicht sobald entfernt, als man an der hinteren Seite des
  Schlosses ein Gefährt in den Hof rollen hörte. Es war der Graf, der
  eine Nichte und ihren Bräutigam, einen jungen, reichen Baron, vom
  benachbarten Gut herüberbrachte. Da die Mutter des letztern seit
  Jahren das Haus nicht mehr verließ, war die Verlobung heute bei ihr
  gehalten worden; nun sollte dieses Fest in einer fröhlichen Nachfeier
  mit einigen Verwandten auch hier begangen werden, wo Eugenie gleich
  einer eigenen Tochter seit ihrer Kindheit eine zweite Heimat fand. Die
  Gräfin war mit ihrem Sohne Max, dem Leutnant, etwas früher nach Hause
  gefahren, um noch verschiedene Anordnungen zu treffen. Nun sah man in
  dem Schlosse alles, auf Gängen und Treppen, in voller Bewegung, und
  nur mit Mühe gelang es dem Gärtner, im Vorzimmer endlich den Zettel
  der Frau Gräfin einzuhändigen, die ihn jedoch nicht auf der Stelle
  öffnete, sondern, ohne genau auf die Worte des Überbringers zu
  achten, geschäftig weitereilte. Er wartete und wartete, sie kam nicht
  wieder. Eins um das andere von der Dienerschaft, Aufwärter, Zofe,
  Kammerdiener, rannte an ihm vorbei; er fragte nach dem Herrn - der
  kleidete sich um; er suchte nun und fand den Grafen Max auf seinem
  Zimmer, der aber unterhielt sich angelegentlich mit dem Baron und
  schnitt ihm, wie in Sorge, er wolle etwas melden oder fragen, wovon
  noch nichts verlauten sollte, das Wort vom Munde ab: »Ich komme schon
  - geht nur!-« Es stand noch eine gute Weile an, bis endlich Vater und
  Sohn zugleich herauskamen und die fatale Nachricht empfingen.
  »Das wär ja höllenmäßig!« rief der dicke, gutmütige, doch etwas jähe
  Mann; »das geht ja über alle Begriffe! Ein Wiener Musikus, sagt Ihr?
  Vermutlich irgend solch ein Lump, der um ein Viatikum läuft und
  mitnimmt, was er findet?«
  »Verzeihen Euer Gnaden, darnach sieht er gerad nicht aus. Er deucht
  mir nicht richtig im Kopf; auch ist er sehr hochmütig. Moser nennt
  er sich. Er wartet unten auf Bescheid; ich hieß den Franz um den Weg
  bleiben und ein Aug auf ihn haben.«
  »Was hilft es hintendrein, zum Henker? Wenn ich den Narren auch
  einstecken lasse, der Schaden ist nicht mehr zu reparieren! Ich sagt
  Euch tausendmal, das vordere Tor soll allezeit geschlossen bleiben.
  Der Streich wär aber jedenfalls verhütet worden, hättet Ihr zur
  rechten Zeit Eure Zurüstungen gemacht.«
  Hier trat die Gräfin hastig und mit freudiger Aufregung, das offene
  Billett in der Hand, aus dem anstoßenden Kabinett. »Wißt ihr«, rief
  sie, »wer unten ist? Um Gottes willen, lest den Brief - Mozart aus
  Wien, der Komponist! Man muß gleich gehen, ihn heraufzubitten - ich
  fürchte nur, er ist schon fort! Was wird er von mir denken! Ihr,
  Velten, seid ihm doch höflich begegnet? Was ist denn eigentlich
  geschehen?«
  »Geschehn?« versetzte der Gemahl, dem die Aussicht auf den Besuch
  eines berühmten Mannes unmöglich allen Ärger auf der Stelle
  niederschlagen konnte: »der tolle Mensch hat von dem Baum, den
  ich Eugenien bestimmte, eine der neun Orangen abgerissen, hm! das
  Ungeheuer! Somit ist unserm Spaß geradezu die Spitze abgebrochen, und
  Max mag sein Gedicht nur gleich kassieren.«
  »O nicht doch!« sagte die dringende Dame. »Die Lücke läßt sich leicht
  ausfüllen, überlaßt es nur mir. Geht beide jetzt, erlöst, empfangt den
  guten Mann, so freundlich und so schmeichelhaft ihr immer könnt. Er
  soll, wenn wir ihn irgend halten können, heut nicht weiter. Trefft ihr
  ihn nicht im Garten mehr, sucht ihn im Wirtshaus auf und bringet ihn
  mit seiner Frau. Ein größeres Geschenk, eine schönere Überraschung für
  Eugenien hätte der Zufall uns an diesem Tag nicht machen können.«
  »Gewiß!« erwiderte Max, »dies war auch mein erster Gedanke.
  Geschwinde, kommen Sie, Papa! Und« - sagte er, indem sie eilends nach
  der Treppe liefen - »der Verse wegen seien Sie ganz ruhig. Die neunte
  Muse soll nicht zu kurz kommen; im Gegenteil, ich werde aus dem
  Unglück noch besonderen Vorteil ziehen.« - »Das ist unmöglich!« -
  »Ganz gewiß.« - »Nun, wenn das ist - allein ich nehme dich beim Wort -
  so wollen wir dem Querkopf alle erdenkliche Ehre erzeigen.«
  Solange dies im Schloß vorging, hatte sich unser Quasi-Gefangener,
  ziemlich unbesorgt über den Ausgang der Sache, geraume Zeit schreibend
  beschäftigt. Weil sich jedoch gar niemand sehen ließ, fing er an,
  unruhig hin und her zu gehen; darüber kam dringliche Botschaft vom
  Wirtshaus, der Tisch sei schon lange bereit, er möchte ja gleich
  kommen, der Postillon pressiere. So suchte er denn seine Sachen
  zusammen und wollte ohne weiteres aufbrechen, als beide Herren vor der
  Laube erschienen.
  Der Graf begrüßte ihn, beinah wie einen früheren Bekannten, lebhaft
  mit seinem kräftig schallenden Organ, ließ ihn zu gar keiner
  Entschuldigung kommen, sondern erklärte sogleich seinen Wunsch, das
  Ehepaar zum wenigsten für diesen Mittag und Abend im Kreis seiner
  Familie zu haben.
  »Sie sind uns, mein liebster Maestro, so wenig fremd, daß ich wohl
  sagen kann, der Name Mozart wird schwerlich anderswo mit mehr
  Begeisterung und häufiger genannt als hier. Meine Nichte singt und
  spielt, sie bringt fast ihren ganzen Tag am Flügel zu, kennt Ihre
  Werke auswendig und hat das größte Verlangen, Sie einmal in mehrerer
  Nähe zu sehen, als es vorigen Winter in einem Ihrer Konzerte anging.
  Da wir nun demnächst auf einige Wochen nach Wien gehen werden, so war
  ihr eine Einladung beim Fürsten Gallizin, wo man Sie öfter findet, von
  den Verwandten versprochen. Jetzt aber reisen Sie nach Prag, werden
  so bald nicht wiederkehren, und Gott weiß, ob Sie der Rückweg zu uns
  führt. Machen Sie heute und morgen Rasttag! Das Fuhrwerk schicken
  wir sogleich nach Hause, und mir erlauben Sie die Sorge für Ihr
  Weiterkommen.«
  Der Komponist, welcher in solchen Fällen der Freundschaft oder dem
  Vergnügen leicht zehnmal mehr, als hier gefordert war, zum Opfer
  brachte, besann sich nicht lange; er sagte diesen einen halben Tag
  mit Freuden zu, dagegen sollte morgen mit dem frühesten die Reise
  fortgesetzt werden. Graf Max erbat sich das Vergnügen, Madame Mozart
  abzuholen und alles Nötige im Wirtshaus abzumachen. Er ging, ein Wagen
  sollte ihm gleich auf dem Fuße nachfolgen.
  Von diesem jungen Mann bemerken wir beiläufig, daß er mit einem von
  Vater und Mutter angeerbten heitern Sinn Talent und Liebe für schöne
  Wissenschaften verband und ohne wahre Neigung zum Soldatenstand sich
  doch als Offizier durch Kenntnisse und gute Sitten hervortat. Er
  kannte die französische Literatur und erwarb sich, zu einer Zeit, wo
  deutsche Verse in der höheren Gesellschaft wenig galten, Lob und Gunst
  durch eine nicht gemeine Leichtigkeit der poetischen Form in der
  Muttersprache nach guten Mustern, wie er sie in Hagedorn, in Götz und
  andern fand. Für heute war ihm nun, wie wir bereits vernahmen, ein
  besonders erfreulicher Anlaß geworden, seine Gabe zu nutzen.
  Er traf Madame Mozart, mit der Wirtstochter plaudernd, vor dem
  gedeckten Tisch, wo sie sich einen Teller Suppe vorausgenommen hatte.
  Sie war an außerordentliche Zwischenfälle, an kecke Stegreifsprünge
  ihres Manns zu sehr gewöhnt, als daß sie über die Erscheinung und
  den Auftrag des jungen Offiziers mehr als billig hätte betreten sein
  können. Mit unverstellter Heiterkeit, besonnen und gewandt, besprach
  und ordnete sie ungesäumt alles Erforderliche selbst. Es wurde
  umgepackt, bezahlt, der Postillon entlassen, sie machte sich, ohne zu
  große Ängstlichkeit in Herstellung ihrer Toilette, fertig und fuhr
  mit dem Begleiter wohlgemut dem Schlosse zu, nicht ahnend, auf welche
  sonderbare Weise ihr Gemahl sich dort eingeführt hatte.
  Der befand sich inzwischen bereits sehr behaglich daselbst und auf
  das beste unterhalten. Nach kurzer Zeit sah er Eugenien mit ihrem
  Verlobten; ein blühendes, höchst anmutiges, inniges Wesen. Sie war
  blond, ihre schlanke Gestalt in karmoisinrote, leuchtende Seide mit
  kostbaren Spitzen festlich gekleidet, um ihre Stirn ein weißes Band
  mit edlen Perlen. Der Baron, nur wenig älter als sie, von sanftem,
  offenem Charakter, schien ihrer wert in jeder Rücksicht.
  Den ersten Aufwand des Gesprächs bestritt, fast nur zu freigebig,
  der gute launige Hausherr vermöge seiner etwas lauten, mit Späßen
  und Histörchen sattsam gespickten Unterhaltungsweise. Es wurden
  Erfrischungen gereicht, die unser Reisender im mindesten nicht
  schonte.
  Eines hatte den Flügel geöffnet, >Figaros Hochzeit< lag aufgeschlagen,
  und das Fräulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die
  Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der
  süßen Leidenschaft stromweise, wie die gewürzte sommerliche Abendluft,
  einatmen. Die feine Röte auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzüge lang
  der äußersten Blässe; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll über ihre
  Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich
  lächelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefühl dieses Moments,
  des einzigen in seiner Art vielleicht für alle Tage ihres Lebens,
  begeisterte sie billig.
  Mozart war offenbar überrascht. Als sie geendigt hatte, trat er zu
  ihr und fing mit seinem ungezierten Herzensausdruck an: »Was soll man
  sagen, liebes Kind, hier, wo es ist wie mit der lieben Sonne, die sich
  am besten selber lobt, indem es gleich jederman wohl in ihr wird! Bei
  solchem Gesang ist der Seele zumut wie dem Kindchen im Bad: es lacht
  und wundert sich und weiß sich in der Welt nichts Besseres. Übrigens
  glauben Sie mir, unsereinem in Wien begegnet es nicht jeden Tag, daß
  er so lauter, ungeschminkt und warm, ja so komplett sich selber zu
  hören bekommt.« - Damit erfaßte er ihre Hand und küßte sie herzlich.
  Des Mannes hohe Liebenswürdigkeit und Güte nicht minder als das
  ehrenvolle Zeugnis, wodurch er ihr Talent auszeichnete, ergriff
  Eugenien mit jener unwiderstehlichen Rührung, die einem leichten
  Schwindel gleicht, und ihre Augen wollten sich plötzlich mit Tränen
  anfüllen.
  Hier trat Madame Mozart zur Türe herein, und gleich darauf erschienen
  neue Gäste, die man erwartet hatte: eine dem Haus sehr eng verwandte
  freiherrliche Familie aus der Nähe, mit einer Tochter, Franziska, die
  seit den Kinderjahren mit der Braut durch die zärtlichste Freundschaft
  verbunden und hier wie daheim war.
  Man hatte sich allerseits begrüßt, umarmt, beglückwünscht, die beiden
  Wiener Gäste vorgestellt, und Mozart setzte sich an den Flügel. Er
  spielte einen Teil eines Konzerts von seiner Komposition, welches
  Eugenie soeben einstudierte.
  Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis wie der
  gegenwärtige unterscheidet sich natürlicherweise von jedem ähnlichen
  an einem öffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in
  der unmittelbaren Berührung mit der Person des Künstlers und seinem
  Genius innerhalb der häuslichen bekannten Wände liegt.
  Es war eines jener glänzenden Stücke, worin die reine Schönheit sich
  einmal, wie aus Laune, freiwillig in den Dienst der Eleganz begibt,
  so aber, daß sie, gleichsam nur verhüllt in diese mehr willkürlich
  spielenden Formen und hinter eine Menge blendender Lichter versteckt,
  doch in jeder Bewegung ihren eigensten Adel verrät und ein herrliches
  Pathos verschwenderisch ausgießt.
  Die Gräfin machte für sich die Bemerkung, daß die meisten Zuhörer,
  vielleicht Eugenie selbst nicht ausgenommen, trotz der gespanntesten
  Aufmerksamkeit und aller feierlichen Stille während eines bezaubernden
  Spiels, doch zwischen Auge und Ohr gar sehr geteilt waren. In
  unwillkürlicher Beobachtung des Komponisten, seiner schlichten,
  beinahe steifen Körperhaltung, seines gutmütigen Gesichts, der
  rundlichen Bewegung dieser kleinen Hände war es gewiß auch nicht
  leicht möglich, dem Zudrang tausendfacher Kreuzundquergedanken über
  den Wundermann zu widerstehen.
  Zu Madame Mozart gewendet, sagte der Graf, nachdem der Meister
  aufgestanden war: »Einem berühmten Künstler gegenüber, wenn es ein
  Kennerlob zu spitzen gilt, das halt nicht eines jeden Sache ist, wie
  haben es die Könige und Kaiser gut! Es nimmt sich eben alles einzig
  und außerordentlich in einem solchen Munde aus. Was dürfen sie sich
  nicht erlauben, und wie bequem ist es zum Beispiel, dicht hinterm
  Stuhl Ihres Herrn Gemahls, beim Schlußakkord einer brillanten
  Phantasie dem bescheidenen klassischen Mann auf die Schulter zu
  klopfen und zu sagen: >Sie sind ein Tausensasa, lieber Mozart!< Kaum
  ist das Wort heraus, so gehts wie ein Lauffeuer durch den Saal: >Was
  hat er ihm gesagt?< - >Er sei ein Tausendsasa, hat er zu ihm gesagt!<
  Und alles, was da geigt und fistuliert und komponiert, ist außer sich
  von diesem einen Wort; kurzum, es ist der große Stil, der familiäre
  Kaiser-Stil, der unnachahmliche, um welchen ich die Josephs und die
  Friedrichs von je beneidet habe, und das nie mehr als eben jetzt, wo
  ich ganz in Verzweiflung bin, von anderweitiger geistreicher Münze
  zufällig keinen Deut in allen meinen Taschen anzutreffen.« Die Art,
  wie der Schäfer dergleichen vorbrachte, bestach immerhin und rief
  unausbleiblich ein Lachen hervor.
  Nun aber, auf die Einladung der Hausfrau, verfügte die Gesellschaft
  sich nach dem geschmückten runden Speisesalon, aus welchem den
  Eintretenden ein festlicher Blumengeruch und eine kühlere, dem Appetit
  willkommene Luft entgegenwehte.
  Man nahm die schicklich ausgeteilten Plätze ein, und zwar der
  distinguierte Gast den seinigen dem Brautpaar gegenüber. Von einer
  Seite hatte er eine kleine ältliche Dame, eine unverheiratete Tante
  Franziskas, von der andern die junge reizende Nichte selbst zur
  Nebensitzerin, die sich durch Geist und Munterkeit ihm bald besonders
  zu empfehlen wußte. Frau Konstanze kam zwischen den Hauswirt und ihren
  freundlichen Geleitsmann, den Leutnant; die übrigen reihten sich ein,
  und so saß man zu elfen nach Möglichkeit bunt an der Tafel, deren
  unteres Ende leer blieb. Auf ihr erhoben sich mitten zwei mächtig
  große Porzellanaufsätze mit gemalten Figuren, breite Schalen, gehäuft
  voll natürlicher Früchte und Blumen, über sich haltend. An den Wänden
  des Saals hingen reiche Festons. Was sonst da war oder nach und nach
  folgte, schien einen ausgedehnten Schmaus zu verkünden. Teils auf der
  Tafel, zwischen Schüsseln und Platten, teils vom Serviertisch herüber
  im Hintergrund blinkte verschiedenes edle Getränk vom schwärzesten Rot
  bis hinauf zu dem gelblichen Weiß, dessen lustiger Schaum herkömmlich
  erst die zweite Hälfte eines Festes krönt.
  Bis gegen diesen Zeitpunkt hin bewegte sich die Unterhaltung, von
  mehreren Seiten gleich lebhaft genährt, in allen Richtungen. Weil aber
  der Graf gleich anfangs einigemal von weitem und jetzt nur immer näher
  und mutwilliger auf Mozarts Gartenabenteuer anspielte, so daß die
  einen heimlich lächelten, die andern sich umsonst den Kopf zerbrachen,
  was er denn meine, so ging unser Freund mit der Sprache heraus.
  »Ich will in Gottes Namen beichten«, fing er an, »auf was Art mir
  eigentlich die Ehre der Bekanntschaft mit diesem edlen Haus geworden
  ist. Ich spiele dabei nicht die würdigste Rolle, und um ein Haar, so
  säß ich jetzt, statt hier vergnügt zu tafeln, in einem abgelegenen
  Arrestantenwinkel des gräflichen Schlosses und könnte mir mit leerem
  Magen die Spinneweben an der Wand herum betrachten.«
  »Nun ja,« rief Madame Mozart, »da werd ich schöne Dinge hören.«
  Ausführlich nun beschrieb er erst, wie er im >Weißen Roß< seine Frau
  zurückgelassen, die Promenade in den Park, den Unstern in der Laube,
  den Handel mit der Gartenpolizei, kurz, ungefähr was wir schon wissen,
  gab er alles mit größter Treuherzigkeit und zum höchsten Ergötzen der
  Zuhörer preis. Das Lachen wollte fast kein Ende nehmen; selbst die
  gemäßigte Eugenie enthielt sich nicht, es schüttelte sie ordentlich.
  »Nun«, fuhr er fort, »das Sprichwort sagt: Hat einer den Nutzen, dem
  Spott mag er trutzen! Ich hab meinen kleinen Profit von der Sache,
  Sie werden schon sehen. Vor allem aber hören Sie, wie's eigentlich
  geschah, daß sich ein alter Kindskopf so vergessen konnte. Eine
  Jugenderinnerung war mit im Spiele.
  Im Frühling 1770 reiste ich als dreizehnjähriges Bürschchen mit meinem
  Vater nach Italien. Wir gingen von Rom nach Neapel. Ich hatte zweimal
  im Konservatorium und sonst zu verschiedenen Malen gespielt. Adel und
  Geistlichkeit erzeugten uns manches Angenehme, vornehmlich attachierte
  sich ein Abbate an uns, der sich als Kenner schmeichelte und übrigens
  am Hofe etwas galt. Den Tag vor unserer Abreise führte er uns in
  Begleitung einiger anderen Herren in einen königlichen Garten, die
  Villa reale, bei der prachtvollen Straße geradhin am Meere gelegen,
  wo eine Bande sizilianischer commedianti sich produzierte - figli di
  Nettuno, wie sie sich neben andern schönen Titeln auch nannten. Mit
  vielen vornehmen Zuschauern, worunter selbst die junge liebenswürdige
  Königin Karolina samt zwei Prinzessen, saßen wir auf einer langen
  Reihe von Bänken im Schatten einer zeltartig bedeckten niedern
  Galerie, an deren Mauer unten die Wellen plätscherten. Das Meer
  mit seiner vielfarbigen Streifung strahlte den blauen Sonnenhimmel
  herrlich wider. Gerade vor sich hat man den Vesuv, links schimmert,
  sanft geschwungen, eine reizende Küste herein.
  Die erste Abteilung der Spiele war vorüber; sie wurde auf dem
  trockenen Bretterboden einer Art von Flöße ausgeführt, die auf dem
  Wasser stand, und hatte nichts Besonderes; der zweite aber und
  der schönste Teil bestand aus lauter Schiffer-, Schwimm- und
  Taucherstücken und blieb mir stets mit allen Einzelheiten frisch im
  Gedächtnis eingeprägt.
  Von entgegengesetzten Seiten her näherten sich einander zwei
  zierliche, sehr leicht gebaute Barken, beide, wie es schien, auf
  einer Lustfahrt begriffen. Die eine, etwas größere, war mit einem
  Halbverdeck versehen und nebst den Ruderbänken mit einem dünnen Mast
  und einem Segel ausgerüstet, auch prächtig bemalt, der Schnabel
  vergoldet. Fünf Jünglinge von idealischem Aussehen, kaum bekleidet,
  Arme, Brust und Beine dem Anschein nach nackt, waren teils an dem
  Ruder beschäftigt, teils ergötzten sie sich mit einer gleichen Anzahl
  artiger Mädchen, ihren Geliebten. Eine darunter, welche mitten auf dem
  Verdecke saß und Blumenkränze wand, zeichnete sich durch Wuchs und
  Schönheit sowie durch ihren Putz vor allen übrigen aus. Diese dienten
  ihr willig, spannten gegen die Sonne ein Tuch über sie und reichten
  ihr die Blumen aus dem Korb. Eine Flötenspielerin saß zu ihren Füßen,
  die den Gesang der andern mit ihren hellen Tönen unterstützte.
  Auch jener vorzüglichen Schönen fehlte es nicht an einem eigenen
  Beschützer; doch verhielten sich beide ziemlich gleichgültig
  gegeneinander, und der Liebhaber deuchte mir fast etwas roh.
  Inzwischen war das andere, einfachere Fahrzeug näher gekommen. Hier
  sah man bloß männliche Jugend. Wie jene Jünglinge Hochrot trugen, so
  war die Farbe der letztern Seegrün. Sie stutzten beim Anblick der
  lieblichen Kinder, winkten Grüße herüber und gaben ihr Verlangen nach
  näherer Bekanntschaft zu erkennen. Die Munterste hierauf nahm eine
  Rose vom Busen und hielt sie schelmisch in die Höhe, gleichsam
  fragend, ob solche Gaben bei ihnen wohl angebracht wären, worauf von
  drüben allerseits mit unzweideutigen Gebärden geantwortet wurde.
  Die Roten sahen verächtlich und finster darein, konnten aber nichts
  machen, als mehrere der Mädchen einig wurden, den armen Teufeln
  wenigstens doch etwas für den Hunger und Durst zuzuwerfen. Es stand
  ein Korb voll Orangen am Boden; wahrscheinlich waren es nur gelbe
  Bälle, den Früchten ähnlich nachgemacht. Und jetzt begann ein
  entzückendes Schauspiel, unter Mitwirkung der Musik, die auf dem
  Uferdamm aufgestellt war.
  Eine der Jungfrauen machte den Anfang und schickte fürs erste ein
  paar Pomeranzen aus leichter Hand hinüber, die, dort mit gleicher
  Leichtigkeit aufgefangen, alsbald zurückkehrten; so ging es hin und
  her, und weil nach und nach immer mehr Mädchen zuhalfen, so flogs mit
  Pomeranzen bald dem Dutzend nach in immer schnellerem Tempo hin und
  wider. Die Schöne in der Mitte nahm an dem Kampfe keinen Anteil, als
  daß sie höchst begierig von ihrem Schemel aus zusah. Wir konnten
  die Geschicklichkeit auf beiden Seiten nicht genug bewundern. Die
  Schiffe drehten sich auf etwa dreißig Schritte in langsamer Bewegung
  umeinander, kehrten sich bald die ganze Flanke zu, bald schief das
  halbe Vorderteil; es waren gegen vierundzwanzig Bälle unaufhörlich in
  der Luft, doch glaubte man in der Verwirrung ihrer viel mehr zu sehen.
  
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