Miss Sara Sampson - 6

Total number of words is 4355
Total number of unique words is 1258
41.8 of words are in the 2000 most common words
55.2 of words are in the 5000 most common words
60.3 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
aber nicht müßig. Vielleicht, daß ihn die glückliche List meines
Bedienten noch lange genug aufhält!--Ich sehe, ich werde gefürchtet.
Warum folge ich ihr also nicht? Warum versuche ich nicht noch das
letzte, das ich wider sie brauchen kann? Drohungen sind armselige
Waffen: doch die Verzweiflung verschmäht keine, so armselig sie sind.
Ein schreckhaftes Mädchen, das betäubt und mit zerrütteten Sinnen
schon vor meinem Namen flieht, kann leicht fürchterliche Worte für
fürchterliche Taten halten. Aber Mellefont?--Mellefont wird ihr
wieder Mut machen und sie über meine Drohungen spotten lehren. Er
wird? Vielleicht wird er auch nicht. Es wäre wenig in der Welt
unternommen worden, wenn man nur immer auf den Ausgang gesehen hätte.
Und bin ich auf den unglücklichsten nicht schon vorbereitet?--Der
Dolch war für andre, das Gift ist für mich!--Das Gift für mich! Schon
längst mit mir herumgetragen, wartet es hier, dem Herzen bereits nahe,
auf den traurigen Dienst; hier, wo ich in bessern Zeiten die
geschriebenen Schmeicheleien der Anbeter verbarg; für uns ein ebenso
gewisses, aber nur langsamres Gift.--Wenn es doch nur bestimmt wäre,
in meinen Adern nicht allein zu toben! Wenn es doch einem Ungetreuen--
Was halte ich mich mit Wünschen auf?--Fort! Ich muß weder mich noch
sie zu sich selbst kommen lassen. Der will sich nichts wagen, der
sich mit kaltem Blute wagen will. (Gehet ab.)
(Ende des vierten Aufzuges.)


Fünfter Aufzug

Erster Auftritt
Das Zimmer der Sara.

Sara (schwach in einem Lehnstuhle). Betty.
Betty. Fühlen Sie nicht, Miß, daß Ihnen ein wenig besser wird?
Sara. Besser, Betty?--Wenn nur Mellefont wiederkommen wollte. Du
hast doch nach ihm ausgeschickt?
Betty. Norton und der Wirt suchen ihn.
Sara. Norton ist ein guter Mensch, aber er ist hastig. Ich will
durchaus nicht, daß er seinem Herrn meinetwegen Grobheiten sagen soll.
Wie er es selbst erzählte, so ist Mellefont ja an allem unschuldig.
Nicht wahr, Betty, du hältst ihn auch für unschuldig--Sie kömmt ihm
nach; was kann er dafür? Sie tobt, sie raset, sie will ihn ermorden.
Siehst du, Betty? dieser Gefahr habe ich ihn ausgesetzt. Wer sonst
als ich?--Und endlich will die böse Marwood mich sehen oder nicht eher
nach London zurückkehren. Konnte er ihr diese Kleinigkeit abschlagen?
Bin ich doch auch oft begierig gewesen, die Marwood zu sehen.
Mellefont weiß wohl, daß wir neugierige Geschöpfe sind. Und wenn ich
nicht selbst darauf gedrungen hätte, daß sie bis zu seiner Zurückkunft
bei mir verziehen sollte, so würde er sie wieder mit weggenommen haben.
Ich würde sie unter einem falschen Namen gesehen haben, ohne zu
wissen, daß ich sie gesehen hätte. Und vielleicht würde mir dieser
kleine Betrug einmal angenehm gewesen sein. Kurz, alle Schuld ist
mein.--Je nun, ich bin erschrocken; weiter bin ich ja nichts? Die
kleine Ohnmacht wollte nicht viel sagen. Du weißt wohl, Betty, ich
bin dazu geneigt.
Betty. Aber in so tiefer hatte ich Miß noch nie gesehen.
Sara. Sage es mir nur nicht. Ich werde dir gutherzigen Mädchen
freilich zu schaffen gemacht haben.
Betty. Marwood selbst schien durch die Gefahr, in der Sie sich
befanden, gerühret zu sein. So stark ich ihr auch anlag, daß sie sich
nur fortbegeben möchte, so wollte sie doch das Zimmer nicht eher
verlassen, als bis Sie die Augen ein wenig wieder aufschlugen und ich
Ihnen die Arzenei einflößen konnte.
Sara. Ich muß es wohl gar für ein Glück halten, daß ich in Ohnmacht
gefallen bin. Denn wer weiß, was ich noch von ihr hätte hören müssen.
Umsonst mochte sie mir gewiß nicht in mein Zimmer gefolgt sein. Du
glaubst nicht, wie außer mir ich war. Auf einmal fiel mir der
schreckliche Traum von voriger Nacht ein, und ich flohe als eine
Unsinnige, die nicht weiß, warum und wohin sie flieht.--Aber Mellefont
kömmt noch nicht.--Ach!
Betty. Was für ein Ach, Miß? Was für Zuckungen?--
Sara. Gott! was für eine Empfindung war dieses--
Betty. Was stößt Ihnen wieder zu?
Sara. Nichts, Betty.--Ein Stich! nicht ein Stich, tausend feurige
Stiche in einem!--Sei nur ruhig; es ist vorbei.

Zweiter Auftritt
Norton. Sara. Betty.

Norton. Mellefont wird den Augenblick hier sein.
Sara. Nun, das ist gut, Norton. Aber wo hast du ihn noch gefunden?
Norton. Ein Unbekannter hat ihn bis vor das Tor mit sich gelockt, wo
ein Herr auf ihn warte, der in Sachen von der größten Wichtigkeit mit
ihm sprechen müsse. Nach langem Herumführen hat sich der Betrüger ihm
von der Seite geschlichen. Es ist sein Unglück, wo er sich ertappen
läßt; so wütend ist Mellefont.
Sara. Hast du ihm gesagt, was vorgegangen?
Norton. Alles.
Sara. Aber mit einer Art--
Norton. Ich habe auf die Art nicht denken können. Genug, er weiß es,
was für Angst Ihnen seine Unvorsichtigkeit wieder verursacht hat.
Sara. Nicht doch, Norton; ich habe mir sie selbst verursacht.--
Norton. Warum soll Mellefont niemals unrecht haben?--Kommen Sie nur,
mein Herr; die Liebe hat Sie bereits entschuldiget.

Dritter Auftritt
Mellefont. Norton. Sara. Betty.

Mellefont. Ach, Miß, wenn auch diese Ihre Liebe nicht wäre--
Sara. So wäre ich von uns beiden gewiß die Unglücklichste. Ist Ihnen
in Ihrer Abwesenheit nur nichts Verdrießlichers zugestoßen als mir, so
bin ich vergnügt.
Mellefont. So gütig empfangen zu werden, habe ich nicht verdient.
Sara. Verzeihen Sie es meiner Schwachheit, daß ich Sie nicht
zärtlicher empfangen kann. Bloß Ihrer Zufriedenheit wegen wünschte
ich, mich weniger krank zu fühlen.
Mellefont. Ha, Marwood, diese Verräterei war noch übrig! Der
Nichtswürdige, der mich mit der geheimnisvollsten Miene aus einer
Straße in die andre, aus einem Winkel in den andern führte, war gewiß
nichts anders als ein Abgeschickter von ihr. Sehen Sie, liebste Miß,
diese List wandte sie an, mich von Ihnen zu entfernen. Eine plumpe
List, ohne Zweifel; aber eben weil sie plump war, war ich weit davon
entfernt, sie dafür zu halten. Umsonst muß sie so treulos nicht
gewesen sein! Geschwind, Norton, geh in ihre Wohnung; laß sie nicht
aus den Augen, und halte sie so lange auf, bis ich nachkomme.
Sara. Wozu dieses, Mellefont? Ich bitte für Marwood.
Mellefont. Geh!
(Norton geht ab.)

Vierter Auftritt
Sara. Mellefont. Betty.

Sara. Lassen Sie doch einen abgematteten Feind, der den letzten
fruchtlosen Sturm gewagt hat, ruhig abziehen. Ich würde ohne Marwood
vieles nicht wissen--
Mellefont. Vieles? Was ist das Viele?
Sara. Was Sie mir selbst nicht gesagt hätten, Mellefont.--Sie werden
stutzig?--Nun wohl, ich will es wieder vergessen, weil Sie doch nicht
wollen, daß ich es wissen soll.
Mellefont. Ich will nicht hoffen, daß Sie etwas zu meinem Nachteile
glauben werden, was keinen andern Grund hat als die Eifersucht einer
aufgebrachten Verleumderin.
Sara. Auf ein andermal hiervon!--Warum aber lassen Sie es nicht das
erste sein, mir von der Gefahr zu sagen, in der sich Ihr kostbares
Leben befunden hat? Ich, Mellefont, ich würde den Stahl geschliffen
haben, mit dem Sie Marwood durchstoßen hätte--
Mellefont. Diese Gefahr war so groß nicht. Marwood ward von einer
blinden Wut getrieben, und ich war bei kaltem Blute. Ihr Angriff also
mußte mißlingen--Wenn ihr ein andrer, auf der Miß Sara gute Meinung
von ihrem Mellefont, nur nicht besser gelungen ist! Fast muß ich es
fürchten--Nein, liebste Miß, verschweigen Sie mir es nicht länger, was
Sie von ihr wollen erfahren haben.
Sara. Nun wohl.--Wenn ich noch den geringsten Zweifel an Ihrer Liebe
gehabt hätte, Mellefont, so würde mir ihn die tobende Marwood benommen
haben. Sie muß es gewiß wissen, daß sie durch mich um das Kostbarste
gekommen sei; denn ein ungewisser Verlust würde sie bedächtiger haben
gehen lassen.
Mellefont. Bald werde ich also auf ihre blutdürstige Eifersucht, auf
ihre ungestüme Frechheit, auf ihre treulose List einigen Wert legen
müssen!--Aber, Miß, Sie wollen mir wieder ausweichen und mir dasjenige
nicht entdecken--
Sara. Ich will es; und was ich sagte, war schon ein näherer Schritt
dazu. Daß mich Mellefont also liebt, ist unwidersprechlich gewiß.
Wenn ich nur nicht entdeckt hätte, daß seiner Liebe ein gewisses
Vertrauen fehle, welches mir ebenso schmeichelhaft sein würde als die
Liebe selbst. Kurz, liebster Mellefont--Warum muß mir eine plötzliche
Beklemmung das Reden so schwer machen? Ich werde es schon sagen
müssen, ohne viel die behutsamste Wendung zu suchen, mit der ich es
Ihnen sagen sollte.--Marwood erwähnte eines Pfandes, und der
schwatzhafte Norton--vergeben Sie es ihm nur--nannte mir einen Namen,
einen Namen, Mellefont, welcher eine andre Zärtlichkeit bei Ihnen rege
machen muß, als Sie gegen mich empfinden--
Mellefont. Ist es möglich? Hat die Unverschämte ihre eigne Schande
bekannt?--Ach, Miß, haben Sie Mitleiden mit meiner Verwirrung.--Da Sie
schon alles wissen, warum wollen Sie es auch noch aus meinem Munde
hören? Sie soll nie vor Ihre Augen kommen, die kleine Unglückliche,
der man nichts vorwerfen kann als ihre Mutter.
Sara. Sie lieben sie also doch?--
Mellefont. Zu sehr, Miß, zu sehr, als daß ich es leugnen sollte.
Sara. Wohl! Mellefont.--Wie sehr liebe ich Sie, auch um dieser Liebe
willen! Sie würden mich empfindlich beleidiget haben, wenn Sie die
Sympathie Ihres Bluts aus mir nachteiligen Bedenklichkeiten verleugnet
hätten. Schon haben Sie mich dadurch beleidiget, daß Sie mir drohen,
sie nicht vor meine Augen kommen zu lassen. Nein, Mellefont; es muß
eine von den Versprechungen sein, die Sie mir vor den Augen des
Höchsten angeloben, daß Sie Arabellen nicht von sich lassen wollen.
Sie läuft Gefahr, in den Händen ihrer Mutter ihres Vaters unwürdig zu
werden. Brauchen Sie Ihre Rechte über beide, und lassen Sie mich an
die Stelle der Marwood treten. Gönnen Sie mir das Glück, mir eine
Freundin zu erziehen, die Ihnen ihr Leben zu danken hat; einen
Mellefont meines Geschlechts. Glückliche Tage, wenn mein Vater, wenn
Sie, wenn Arabella meine kindliche Ehrfurcht, meine vertrauliche Liebe,
meine sorgsame Freundschaft um die Wette beschäftigen werden!
Glückliche Tage! Aber ach!--sie sind noch fern in der Zukunft.--Doch
vielleicht weiß auch die Zukunft nichts von ihnen, und sie sind bloß
in meiner Begierde nach Glück!--Empfindungen, Mellefont, nie gefühlte
Empfindungen wenden meine Augen in eine andre Aussicht! Eine dunkle
Aussicht in ehrfurchtsvolle Schatten!--Wie wird mir?--(Indem sie die
Hand vors Gesicht hält.)
Mellefont. Welcher plötzliche Übergang von Bewundrung zum Schrecken!--
Eile doch, Betty! Schaffe doch Hilfe!--Was fehlt Ihnen, großmütige
Miß! Himmlische Seele! Warum verbirgt mir diese neidische Hand
(indem er sie wegnimmt) so holde Blicke?--Ach, es sind Mienen, die den
grausamsten Schmerz, aber ungern, verraten!--Und doch ist die Hand
neidisch, die mir diese Mienen verbergen will. Soll ich Ihre
Schmerzen nicht mitfühlen, Miß? Ich Unglücklicher, daß ich sie nur
mitfühlen kann!--Daß ich sie nicht allein fühlen soll!--So eile doch,
Betty--
Betty. Wohin soll ich eilen?--
Mellefont. Du siehst und fragst?--nach Hilfe!
Sara. Bleib nur!--Es geht vorüber. Ich will Sie nicht wieder
erschrecken, Mellefont.
Mellefont. Betty, was ist ihr geschehen?--Das sind nicht bloße Folgen
einer Ohnmacht.--

Fünfter Auftritt
Norton. Mellefont. Sara. Betty.

Mellefont. Du kömmst schon wieder, Norton? Recht gut! Du wirst hier
nötiger sein.
Norton. Marwood ist fort--
Mellefont. Und meine Flüche eilen ihr nach!--Sie ist fort?--Wohin?--
Unglück und Tod und, wo möglich, die ganze Hölle möge sich auf ihrem
Wege finden! Verzehrend Feuer donnre der Himmel auf sie herab, und
unter ihr breche die Erde ein, der weiblichen Ungeheuer größtes zu
verschlingen!--
Norton. Sobald sie in ihre Wohnung zurückgekommen, hat sie sich mit
Arabellen und ihrem Mädchen in den Wagen geworfen und die Pferde mit
verhängtem Zügel davoneilen lassen. Dieser versiegelte Zettel ist von
ihr an Sie zurückgeblieben.
Mellefont (indem er den Zettel nimmt). Er ist an mich.--Soll ich ihn
lesen, Miß?
Sara. Wenn Sie ruhiger sein werden, Mellefont.
Mellefont. Ruhiger? Kann ich es werden, ehe ich mich an Marwood
gerächet und Sie, teuerste Miß, außer Gefahr weiß?
Sara. Lassen Sie mich nichts von Rache hören. Die Rache ist nicht
unser!--Sie erbrechen ihn doch?--Ach, Mellefont, warum sind wir zu
gewissen Tugenden bei einem gesunden und seine Kräfte fühlenden Körper
weniger als bei einem siechen und abgematteten aufgelegt? Wie sauer
werden Ihnen Gelassenheit und Sanftmut, und wie unnatürlich scheint
mir des Affekts ungeduldige Hitze!--Behalten Sie den Inhalt nur für
sich.
Mellefont. Was ist es für ein Geist, der mich Ihnen ungehorsam zu
sein zwinget? Ich erbrach ihn wider Willen--wider Willen muß ich ihn
lesen.
Sara (indem Mellefont für sich lieset). Wie schlau weiß sich der
Mensch zu trennen und aus seinen Leidenschaften ein von sich
unterschiedenes Wesen zu machen, dem er alles zur Last legen könne,
was er bei kaltem Blute selbst nicht billiget--Mein Salz, Betty! Ich
besorge einen neuen Schreck und werde es nötig haben.--Siehst du, was
der unglückliche Zettel für einen Eindruck auf ihn macht!--Mellefont!--
Sie geraten außer sich!--Mellefont!--Gott! er erstarrt!--Hier, Betty!
Reiche ihm das Salz!--Er hat es nötiger als ich.
Mellefont (der die Betty damit zurückstößt). Nicht näher,
Unglückliche!--Deine Arzeneien sind Gift!--
Sara. Was sagen Sie?--Besinnen Sie sich!--Sie verkennen sie!
Betty. Ich bin Betty, nehmen Sie doch.
Mellefont. Wünsche dir, Elende, daß du es nicht wärest!--Eile!
fliehe! ehe du in Ermanglung des Schuldigern das schuldige Opfer
meiner Wut wirst!
Sara. Was für Reden!--Mellefont, liebster Mellefont--
Mellefont. Das letzte "liebster Mellefont" aus diesem göttlichen
Munde, und dann ewig nicht mehr! Zu Ihren Füßen, Sara--(Indem er sich
niederwirft)--Aber was will ich zu Ihren Füßen? (und wieder
aufspringt.) Entdecken? Ich Ihnen entdecken?--Ja, ich will Ihnen
entdecken, Miß, daß Sie mich hassen werden, daß Sie mich hassen müssen.
--Sie sollen den Inhalt nicht erfahren; nein, von mir nicht!--Aber Sie
werden ihn erfahren.--Sie werden--Was steht ihr noch hier, müßig und
angeheftet? Lauf, Norton, bring alle Ärzte zusammen! Suche Hilfe,
Betty! Laß die Hilfe so wirksam sein als deinen Irrtum!--Nein!
bleibt hier! Ich gehe selbst.--
Sara. Wohin, Mellefont? Nach was für Hilfe! Von welchem Irrtume
reden Sie?
Mellefont. Göttliche Hilfe, Sara; oder unmenschliche Rache!--Sie sind
verloren, liebste Miß! Auch ich bin verloren!--Daß die Welt mit uns
verloren wäre!--

Sechster Auftritt
Sara, Norton. Betty.

Sara. Er ist weg?--Ich bin verloren? Was will er damit? Verstehest
du ihn, Norton?--Ich bin krank, sehr krank; aber setze das Äußerste,
daß ich sterben müsse: bin ich darum verloren? Und was will er denn
mit dir, arme Betty?--Du ringst die Hände? Betrübe dich nicht; du
hast ihn gewiß nicht beleidiget; er wird sich wieder besinnen.--Hätte
er mir doch gefolgt und den Zettel nicht gelesen! Er konnte es ja
wohl denken, daß er das letzte Gift der Marwood enthalten müsse.--
Betty. Welche schreckliche Vermutung!--Nein; es kann nicht sein; ich
glaube es nicht.--
Norton (welcher nach der Szene zu gegangen). Der alte Bediente Ihres
Vaters, Miß--
Sara. Laß ihn hereinkommen, Norton!

Siebenter Auftritt
Waitwell. Sara. Betty. Norton.

Sara. Es wird dich nach meiner Antwort verlangen, guter Waitwell.
Sie ist fertig, bis auf einige Zeilen.--Aber warum so bestürzt? Man
hat es dir gewiß gesagt, daß ich krank bin.
Waitwell. Und noch mehr!
Sara. Gefährlich krank?--Ich schließe es mehr aus der ungestümen
Angst des Mellefont, als daß ich es fühle.--Wenn du mit dem
unvollendeten Briefe der unglücklichen Sara an den unglücklichern
Vater abreisen müßtest, Waitwell?--Laß uns das Beste hoffen! Willst
du wohl bis morgen warten? Vielleicht finde ich einige gute
Augenblicke, dich abzufertigen. Itzo möchte ich es nicht imstande
sein. Diese Hand hängt wie tot an der betäubten Seite.--Wenn der
ganze Körper so leicht dahinstirbt wie diese Glieder--Du bist ein
alter Mann, Waitwell, und kannst von deinem letzten Auftritte nicht
weit mehr entfernet sein--Glaube mir, wenn das, was ich empfinde,
Annäherungen des Todes sind--so sind die Annäherungen des Todes so
bitter nicht.--Ach!--Kehre dich nicht an dieses Ach! Ohne alle
unangenehme Empfindung kann es freilich nicht abgehen. Unempfindlich
konnte der Mensch nicht sein; unleidlich muß er nicht sein--Aber,
Betty, warum hörst du noch nicht auf, dich so untröstlich zu bezeigen?

Betty. Erlauben Sie mir, Miß, erlauben Sie mir, daß ich mich aus
Ihren Augen entfernen darf.
Sara. Geh nur; ich weiß wohl, es ist nicht eines jeden Sache, um
Sterbende zu sein. Waitwell soll bei mir bleiben. Auch du, Norton,
wirst mir einen Gefallen erweisen, wenn du dich nach deinem Herrn
umsiehst. Ich sehne mich nach seiner Gegenwart.
Betty (im Abgehn). Ach! Norton, ich nahm die Arzenei aus den Händen
der Marwood!--

Achter Auftritt
Waitwell. Sara.

Sara. Waitwell, wenn du mir die Liebe erzeigen und bei mir bleiben
willst, so laß mich kein so wehmütiges Gesicht sehen. Du verstummst?--
Sprich doch! Und wenn ich bitten darf, sprich von meinem Vater.
Wiederhole mir alles, was du mir vor einigen Stunden Tröstliches
sagtest. Wiederhole mir, daß mein Vater versöhnt ist und mir vergeben
hat. Wiederhole es mir, und füge hinzu, daß der ewige himmlische
Vater nicht grausamer sein könne.--Nicht wahr, ich kann hierauf
sterben? Wenn ich vor deiner Ankunft in diese Umstände gekommen wäre,
wie würde es mit mir ausgesehen haben! Ich würde verzweifelt sein,
Waitwell. Mit dem Hasse desjenigen beladen aus der Welt zu gehen, der
wider seine Natur handelt, wenn er uns hassen muß--Was für ein Gedanke!
Sag ihm, daß ich in den lebhaftesten Empfindungen der Reue,
Dankbarkeit und Liebe gestorben sei. Sag ihm--Ach! daß ich es ihm
nicht selbst sagen soll, wie voll mein Herz von seinen Wohltaten ist!
Das Leben war das Geringste derselben. Wie sehr wünschte ich, den
schmachtenden Rest zu seinen Füßen aufgeben zu können!
Waitwell. Wünschen Sie wirklich, Miß, ihn zu sehen?
Sara. Endlich sprichst du, um an meinem sehnlichsten Verlangen, an
meinem letzten Verlangen zu zweifeln.
Waitwell. Wo soll ich die Worte finden, die ich schon so lange suche?
Eine plötzliche Freude ist so gefährlich als ein plötzlicher Schreck.
Ich fürchte mich nur vor dem allzu gewaltsamen Eindrucke, den sein
unvermuteter Anblick auf einen so zärtlichen Geist machen möchte.
Sara. Wie meinst du das? Wessen unvermuteter Anblick?--
Waitwell. Der gewünschte, Miß!--Fassen Sie sich!

Neunter Auftritt
Sir William Sampson. Sara, Waitwell.

Sir William. Du bleibst mir viel zu lange, Waitwell. Ich muß sie
sehen.
Sara. Wessen Stimme--
Sir William. Ach, meine Tochter!
Sara. Ach, mein Vater!--Hilf mir auf, Waitwell, hilf mir auf, daß ich
mich zu seinen Füßen werfen kann. (Sie will aufstehen und fällt aus
Schwachheit in den Lehnstuhl zurück.) Er ist es doch? Oder ist es
eine erquickende Erscheinung, vom Himmel gesandt, gleich jenem Engel,
der den Starken zu stärken kam?--Segne mich, wer du auch seist, ein
Bote des Höchsten, in der Gestalt meines Vaters oder selbst mein Vater!

Sir William. Gott segne dich, meine Tochter!--Bleib ruhig. (Indem
sie es nochmals versuchen will, vor ihm niederzufallen.) Ein andermal,
bei mehrern Kräften, will ich dich nicht ungern mein zitterndes Knie
umfassen sehen.
Sara. Jetzt, mein Vater, oder niemals. Bald werde ich nicht mehr
sein! Zu glücklich, wenn ich noch einige Augenblicke gewinne, Ihnen
die Empfindungen meines Herzens zu entdecken. Doch nicht Augenblicke,
lange Tage, ein nochmaliges Leben würde erfodert, alles zu sagen, was
eine schuldige, eine reuende, eine gestrafte Tochter einem beleidigten,
einem großmütigen, einem zärtlichen Vater sagen kann. Mein Fehler,
Ihre Vergebung--
Sir William. Mache dir aus einer Schwachheit keinen Vorwurf und mir
aus einer Schuldigkeit kein Verdienst. Wenn du mich an mein Vergeben
erinnerst, so erinnerst du mich auch daran, daß ich damit gezaudert
habe. Warum vergab ich dir nicht gleich? Warum setzte ich dich in
die Notwendigkeit, mich zu fliehen? Und noch heute, da ich dir schon
vergeben hatte, was zwang mich, erst eine Antwort von dir zu erwarten?
Itzt könnte ich dich schon einen Tag wieder genossen haben, wenn ich
sogleich deinen Umarmungen zugeeilet wäre. Ein heimlicher Unwille
mußte in einer der verborgensten Falten des betrognen Herzens
zurückgeblieben sein, daß ich vorher deiner fortdauernden Liebe gewiß
sein wollte, ehe ich dir die meinige wiederschenkte. Soll ein Vater
so eigennützig handeln? Sollen wir nur die lieben, die uns lieben?
Tadle mich, liebste Sara, tadle mich; ich sahe mehr auf meine Freude
an dir als auf dich selbst.--Und wenn ich sie verlieren sollte, diese
Freude?--Aber wer sagt es denn, daß ich sie verlieren soll? Du wirst
leben; du wirst noch lange leben! Entschlage dich aller schwarzen
Gedanken. Mellefont macht die Gefahr größer, als sie ist. Er brachte
das ganze Haus in Aufruhr und eilte selbst, Ärzte aufzusuchen, die er
in diesem armseligen Flecken vielleicht nicht finden wird. Ich sahe
seine stürmische Angst, seine hoffnungslose Betrübnis, ohne von ihm
gesehen zu werden. Nun weiß ich es, daß er dich aufrichtig liebet;
nun gönne ich dich ihm. Hier will ich ihn erwarten und deine Hand in
seine Hand legen. Was ich sonst nur gedrungen getan hätte, tue ich
nun gern, da ich sehe, wie teuer du ihm bist.--Ist es wahr, daß es
Marwood selbst gewesen ist, die dir dieses Schrecken verursacht hat?
So viel habe ich aus den Klagen deiner Betty verstehen können und mehr
nicht.--Doch was forsche ich nach den Ursachen deiner Unpäßlichkeit,
da ich nur auf die Mittel, ihr abzuhelfen, bedacht sein sollte. Ich
sehe, du wirst von Augenblicke zu Augenblick schwächer, ich seh es und
bleibe hilflos stehen. Was soll ich tun, Waitwell? Wohin soll ich
laufen? Was soll ich daran wenden? mein Vermögen? mein Leben? Sage
doch!
Sara. Bester Vater, alle Hilfe würde vergebens sein. Auch die
unschätzbarste würde vergebens sein, die Sie mit Ihrem Leben für mich
erkaufen wollten.

Zehnter Auftritt
Mellefont. Sara. Sir William. Waitwell.

Mellefont. Ich wag' es, den Fuß wieder in dieses Zimmer zu setzen?
Lebt sie noch?
Sara. Treten Sie näher, Mellefont.
Mellefont. Ich sollt' Ihr Angesicht wiedersehen? Nein, Miß; ich
komme ohne Trost, ohne Hilfe zurück. Die Verzweiflung allein bringt
mich zurück--Aber wen seh ich? Sie, Sir? Unglücklicher Vater! Sie
sind zu einer schrecklichen Szene gekommen. Warum kamen Sie nicht
eher? Sie kommen zu spät, Ihre Tochter zu retten! Aber--nur getrost!--
sich gerächet zu sehen, dazu sollen Sie nicht zu spät gekommen sein.
Sir William. Erinnern Sie sich, Mellefont, in diesem Augenblicke
nicht, daß wir Feinde gewesen sind! Wir sind es nicht mehr und wollen
es nie wieder werden. Erhalten Sie mir nur eine Tochter, und Sie
sollen sich selbst eine Gattin erhalten haben.
Mellefont. Machen Sie mich zu Gott, und wiederholen Sie dann Ihre
Forderung.--Ich habe Ihnen, Miß, schon zu viel Unglück zugezogen, als
daß ich mich bedenken dürfte, Ihnen auch das letzte anzukündigen: Sie
müssen sterben. Und wissen Sie, durch wessen Hand Sie sterben?
Sara. Ich will es nicht wissen, und es ist mir schon zu viel, daß ich
es argwöhnen kann.
Mellefont. Sie müssen es wissen; denn wer könnte mir dafür stehen,
daß Sie nicht falsch argwöhnten? Dies schreibet Marwood. (Er lieset.)
"Wenn Sie diesen Zettel lesen werden, Mellefont, wird Ihre Untreue
in dem Anlasse derselben schon bestraft sein. Ich hatte mich ihr
entdeckt, und vor Schrecken war sie in Ohnmacht gefallen. Betty gab
sich alle Mühe, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Ich ward gewahr,
daß sie ein Kordialpulver beiseite legte, und hatte den glücklichen
Einfall, es mit einem Giftpulver zu vertauschen. Ich stellte mich
gerührt und dienstfertig und machte es selbst zurechte. Ich sah es
ihr geben und ging triumphierend fort. Rache und Wut haben mich zu
einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen
Mörderinnen sein, die sich ihrer Tat nicht zu rühmen wagen. Ich bin
auf dem Wege nach Dover: Sie können mich verfolgen und meine eigne
Hand wider mich zeugen lassen. Komme ich unverfolgt in den Hafen, so
will ich Arabellen unverletzt zurücklassen. Bis dahin aber werde ich
sie als einen Geisel betrachten. Marwood."--Nun wissen Sie alles, Miß.
Hier, Sir, verwahren Sie dieses Papier. Sie müssen die Mörderin zur
Strafe ziehen lassen, und dazu ist es Ihnen unentbehrlich.--Wie
erstarrt er dasteht!
Sara. Geben Sie mir dieses Papier, Mellefont. Ich will mich mit
meinen Augen überzeugen. (Er gibt es ihr, und sie sieht es einen
Augenblick an.) Werde ich so viel Kräfte noch haben? (Zerreißt es.)
Mellefont. Was machen Sie, Miß!
Sara. Marwood wird ihrem Schicksale nicht entgehen; aber weder Sie
noch mein Vater sollen ihre Ankläger werden. Ich sterbe und vergeb es
der Hand, durch die mich Gott heimsucht.--Ach, mein Vater, welcher
finstere Schmerz hat sich Ihrer bemächtiget?--Noch liebe ich Sie,
Mellefont, und wenn Sie lieben ein Verbrechen ist, wie schuldig werde
ich in jener Welt erscheinen!--Wenn ich hoffen dürfte, liebster Vater,
daß Sie einen Sohn anstatt einer Tochter annehmen wollten! Und auch
eine Tochter wird Ihnen mit ihm nicht fehlen, wenn Sie Arabellen dafür
erkennen wollen. Sie müssen sie zurückholen, Mellefont; und die
Mutter mag entfliehen.--Da mich mein Vater liebt, warum soll es mir
nicht erlaubt sein, mit seiner Liebe als mit einem Erbteile umzugehen?
Ich vermache diese väterliche Liebe Ihnen und Arabellen. Reden Sie
dann und wann mit ihr von einer Freundin, aus deren Beispiele sie
gegen alle Liebe auf ihrer Hut zu sein lerne.--Den letzten Segen, mein
Vater!--Wer wollte die Fügungen des Höchsten zu richten wagen?
--Tröste deinen Herrn, Waitwell. Doch auch du stehst in einem
trostlosen Kummer vergraben, der du in mir weder Geliebte noch Tochter
verlierest?--
Sir William. Wir sollten dir Mut einsprechen, und dein sterbendes
Auge spricht ihn uns ein. Nicht mehr meine irdische Tochter, schon
halb ein Engel, was vermag der Segen eines wimmernden Vaters auf einen
Geist, auf welchen alle Segen des Himmels herabströmen? Laß mir einen
Strahl des Lichtes, welches dich über alles Menschliche so weit erhebt.
Oder bitte Gott, den Gott, der nichts so gewiß als die Bitten eines
frommen Sterbenden erhört, bitte ihn, daß dieser Tag auch der letzte
meines Lebens sei.
Sara. Die bewährte Tugend muß Gott der Welt lange zum Beispiele
lassen, und nur die schwache Tugend, die allzu vielen Prüfungen
vielleicht unterliegen würde, hebt er plötzlich aus den gefährlichen
Schranken--Wem fließen diese Tränen, mein Vater? Sie fallen als
feurige Tropfen auf mein Herz; und doch--doch sind sie mir minder
schrecklich als die stumme Verzweiflung. Entreißen Sie sich ihr,
Mellefont!--Mein Auge bricht--Dies war der letzte Seufzer!--Noch denke
ich an Betty und verstehe nun ihr ängstliches Händeringen. Das arme
Mädchen! Daß ihr ja niemand eine Unvorsichtigkeit vorwerfe, die durch
ihr Herz ohne Falsch und also auch ohne Argwohn der Falschheit
entschuldiget wird.--Der Augenblick ist da! Mellefont--mein Vater--
Mellefont. Sie stirbt!--Ach! diese kalte Hand noch einmal zu küssen.
(Indem er zu ihren Füßen fällt.)--Nein, ich will es nicht wagen, sie
You have read 1 text from German literature.
Next - Miss Sara Sampson - 7
  • Parts
  • Miss Sara Sampson - 1
    Total number of words is 4314
    Total number of unique words is 1309
    43.5 of words are in the 2000 most common words
    56.8 of words are in the 5000 most common words
    63.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Miss Sara Sampson - 2
    Total number of words is 4306
    Total number of unique words is 1226
    44.9 of words are in the 2000 most common words
    58.1 of words are in the 5000 most common words
    64.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Miss Sara Sampson - 3
    Total number of words is 4419
    Total number of unique words is 1161
    45.8 of words are in the 2000 most common words
    58.4 of words are in the 5000 most common words
    63.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Miss Sara Sampson - 4
    Total number of words is 4349
    Total number of unique words is 1237
    44.5 of words are in the 2000 most common words
    58.2 of words are in the 5000 most common words
    63.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Miss Sara Sampson - 5
    Total number of words is 4247
    Total number of unique words is 1285
    42.4 of words are in the 2000 most common words
    56.4 of words are in the 5000 most common words
    62.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Miss Sara Sampson - 6
    Total number of words is 4355
    Total number of unique words is 1258
    41.8 of words are in the 2000 most common words
    55.2 of words are in the 5000 most common words
    60.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Miss Sara Sampson - 7
    Total number of words is 531
    Total number of unique words is 272
    56.1 of words are in the 2000 most common words
    63.7 of words are in the 5000 most common words
    67.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.