Miss Sara Sampson - 5

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Marwood. Mit dieser Schmeichelei, Mellefont, wenn es anders eine ist,
hätten Sie mich verschonen sollen. Sie will sich mit meinem Vorsatze,
Sie zu vergessen, nicht vertragen.
Mellefont. Sie wollen doch nicht, daß ich Ihnen diesen Vorsatz durch
Grobheiten erleichtern soll? Lassen Sie unsere Trennung nicht von der
gemeinen Art sein. Lassen Sie uns miteinander brechen wie Leute von
Vernunft, die der Notwendigkeit weichen. Ohne Bitterkeit, ohne Groll
und mit Beibehaltung eines Grades von Hochachtung, wie er sich zu
unserer ehmaligen Vertraulichkeit schickt.
Marwood. Ehmaligen Vertraulichkeit?--Ich will nicht daran erinnert
sein. Nichts mehr davon! Was geschehen muß, muß geschehen und es
kömmt wenig auf die Art an, mit welcher es geschieht.--Aber ein Wort
noch von Arabellen. Sie wollen mir sie nicht lassen?
Mellefont. Nein, Marwood.
Marwood. Es ist grausam, da Sie ihr Vater nicht bleiben können, daß
Sie ihr auch die Mutter nehmen wollen.
Mellefont. Ich kann ihr Vater bleiben und will es auch bleiben.
Marwood. So beweisen Sie es gleich itzt.
Mellefont. Wie?
Marwood. Erlauben Sie, daß Arabella die Reichtümer, welche ich von
Ihnen in Verwahrung habe, als ihr Vaterteil besitzen darf. Was ihr
Mutterteil anbelangt, so wollte ich wohl wünschen, daß ich ihr ein
beßres lassen könnte als die Schande, von mir geboren zu sein.
Mellefont. Reden Sie nicht so.--Ich will für Arabellen sorgen, ohne
ihre Mutter wegen eines anständigen Auskommens in Verlegenheit zu
setzen. Wenn sie mich vergessen will, so muß sie damit anfangen, daß
sie etwas von mir zu besitzen vergißt. Ich habe Verbindlichkeiten
gegen sie und werde es nie aus der Acht lassen, daß sie mein wahres
Glück, obschon wider ihren Willen, befördert hat. Ja, Marwood, ich
danke Ihnen in allem Ernste, daß Sie unsern Aufenthalt einem Vater
verrieten, den bloß die Unwissenheit desselben verhinderte, uns nicht
eher wieder anzunehmen.
Marwood. Martern Sie mich nicht mit einem Danke, den ich niemals habe
verdienen wollen. Sir William ist ein zu guter alter Narr: er muß
anders denken, als ich an seiner Stelle würde gedacht haben. Ich
hätte der Tochter vergeben, und ihrem Verführer hätt' ich--
Mellefont. Marwood!--
Marwood. Es ist wahr; Sie sind es selbst. Ich schweige.--Werde ich
der Miß mein Abschiedskompliment bald machen dürfen?
Mellefont. Miß Sara würde es Ihnen nicht übelnehmen können, wenn Sie
auch wegreiseten, ohne sie wiederzusprechen.
Marwood. Mellefont, ich spiele meine Rollen nicht gern halb, und ich
will, auch unter keinem fremden Namen, für ein Frauenzimmer ohne
Lebensart gehalten werden.
Mellefont. Wenn Ihnen Ihre eigne Ruhe lieb ist, so sollten Sie sich
selbst hüten, eine Person nochmals zu sehen, die gewisse Vorstellungen
bei Ihnen rege machen muß--
Marwood (spöttisch lächelnd). Sie haben eine bessere Meinung von sich
selbst als von mir. Wenn Sie es aber auch glaubten, daß ich
Ihrentwegen untröstlich sein müßte, so sollten Sie es doch wenigstens
ganz in der Stille glauben.--Miß Sara soll gewisse Vorstellungen bei
mir rege machen? Gewisse? O ja--aber keine gewisser als diese, daß
das beste Mädchen oft den nichtswürdigsten Mann lieben kann.
Mellefont. Allerliebst, Marwood, allerliebst! Nun sind Sie gleich in
der Verfassung, in der ich Sie längst gern gewünscht hätte: ob es mir
gleich, wie ich schon gesagt, fast lieber gewesen wäre, wenn wir
einige gemeinschaftliche Hochachtung für einander hätten behalten
können. Doch vielleicht findet sich diese noch, wenn nur das gärende
Herz erst ausgebrauset hat.--Erlauben Sie, daß ich Sie einige
Augenblicke allein lasse. Ich will Miß Sampson zu Ihnen holen.

Fünfter Auftritt

Marwood (indem sie um sich herumsieht). Bin ich allein?--Kann ich
unbemerkt einmal Atem schöpfen und die Muskeln des Gesichts in ihre
natürliche Lage fahren lassen?--Ich muß geschwind einmal in allen
Mienen die wahre Marwood sein, um den Zwang der Verstellung wieder
aushalten zu können.--Wie hasse ich dich, niedrige Verstellung! Nicht,
weil ich die Aufrichtigkeit liebe, sondern weil du die armseligste
Zuflucht der ohnmächtigen Rachsucht bist. Gewiß würde ich mich zu dir
nicht herablassen, wenn mir ein Tyrann seine Gewalt oder der Himmel
seinen Blitz anvertrauen wollte.--Doch wann du mich nur zu meinem
Zwecke bringst!--Der Anfang verspricht es; und Mellefont scheinet noch
sichrer werden zu wollen. Wenn mir meine List gelingt, daß ich mit
seiner Sara allein sprechen kann: so--ja, so ist es doch noch sehr
ungewiß, ob es mir etwas helfen wird. Die Wahrheiten von dem
Mellefont werden ihr vielleicht nichts Neues sein; die Verleumdungen
wird sie vielleicht nicht glauben und die Drohungen vielleicht
verachten. Aber doch soll sie Wahrheit, Verleumdung und Drohungen von
mir hören. Es wäre schlecht, wenn sie in ihrem Gemüte ganz und gar
keinen Stachel zurückließen.--Still! sie kommen. Ich bin nun nicht
mehr Marwood; ich bin eine nichtswürdige Verstoßene, die durch kleine
Kunstgriffe die Schande von sich abzuwehren sucht; ein getretner Wurm,
der sich krümmet und dem, der ihn getreten hat, wenigstens die Ferse
gern verwunden möchte.

Sechster Auftritt
Sara. Mellefont. Marwood.

Sara. Ich freue mich, Lady, daß meine Unruhe vergebens gewesen ist.
Marwood. Ich danke Ihnen, Miß. Der Zufall war zu klein, als daß er
Sie hätte beunruhigen sollen.
Mellefont. Lady will sich Ihnen empfehlen, liebste Sara.
Sara. So eilig, Lady?
Marwood. Ich kann es für die, denen an meiner Gegenwart in London
gelegen ist, nicht genug sein.
Sara. Sie werden doch heute nicht wieder aufbrechen?
Marwood. Morgen mit dem Frühsten.
Mellefont. Morgen mit dem Frühsten, Lady? Ich glaubte, noch heute.
Sara. Unsere Bekanntschaft, Lady, fängt sich sehr im Vorbeigehn an.
Ich schmeichle mir, in Zukunft eines nähern Umgangs mit Ihnen
gewürdiget zu werden.
Marwood. Ich bitte um Ihre Freundschaft, Miß.
Mellefont. Ich stehe Ihnen dafür, liebste Sara, daß diese Bitte der
Lady aufrichtig ist, ob ich Ihnen gleich voraussagen muß, daß Sie
einander ohne Zweifel lange nicht wiedersehen werden. Lady wird sich
mit uns sehr selten an einem Orte aufhalten können--
Marwood (beiseite). Wie fein!
Sara. Mellefont, das heißt mir eine sehr angenehme Hoffnung rauben.
Marwood. Ich werde am meisten dabei verlieren, glückliche Miß.
Mellefont. Aber in der Tat, Lady, wollen Sie erst morgen früh wieder
fort?
Marwood. Vielleicht auch eher. (Beiseite.) Es will noch niemand
kommen!
Mellefont. Auch wir wollen uns nicht lange mehr hier aufhalten.
Nicht wahr, liebste Miß, es wird gut sein, wenn wir unserer Antwort
ungesäumt nachfolgen? Sir William kann unsere Eilfertigkeit nicht
übelnehmen.

Siebenter Auftritt
Betty. Mellefont. Sara. Marwood.

Mellefont. Was willst du, Betty?
Betty. Man verlangt Sie unverzüglich zu sprechen.
Marwood (beiseite). Ha! nun kömmt es drauf an--
Mellefont. Mich? unverzüglich? Ich werde gleich kommen.--Lady, ist
es Ihnen gefällig, Ihren Besuch abzukürzen?
Sara. Warum das, Mellefont?--Lady wird so gütig sein und bis zu Ihrer
Zurückkunft warten.
Marwood. Verzeihen Sie, Miß; ich kenne meinen Vetter Mellefont und
will mich lieber mit ihm wegbegeben.
Betty. Der Fremde, mein Herr--Er will Sie nur auf ein Wort sprechen.
Er sagt, er habe keinen Augenblick zu versäumen--
Mellefont. Geh nur; ich will gleich bei ihm sein--Ich vermute, Miß,
daß es eine endliche Nachricht von dem Vergleiche sein wird, dessen
ich gegen Sie gedacht habe.
(Betty gehet ab.)
Marwood (beiseite). Gute Vermutung!
Mellefont. Aber doch, Lady--
Marwood. Wenn Sie es denn befehlen--Miß, so muß ich mich Ihnen--
Sara. Nein doch, Mellefont: Sie werden mir ja das Vergnügen nicht
mißgönnen, Lady Solmes so lange unterhalten zu dürfen?
Mellefont. Sie wollen es, Miß?--
Sara. Halten Sie sich nicht auf, liebster Mellefont, und kommen Sie
nur bald wieder. Aber mit einem freudigern Gesichte, will ich
wünschen! Sie vermuten ohne Zweifel eine unangenehme Nachricht.
Lassen Sie sich nichts anfechten; ich bin begieriger, zu sehen, ob Sie
allenfalls auf eine gute Art mich einer Erbschaft vorziehen können,
als ich begierig bin, Sie in dem Besitze derselben zu wissen.--
Mellefont. Ich gehorche. (Warnend.) Lady, ich bin ganz gewiß den
Augenblick wieder hier. (Geht ab.)
Marwood (beiseite). Glücklich!

Achter Auftritt
Sara. Marwood.

Sara. Mein guter Mellefont sagt seine Höflichkeiten manchmal mit
einem ganz falschen Tone. Finden Sie es nicht auch, Lady?--
Marwood. Ohne Zweifel bin ich seiner Art schon allzu gewohnt, als daß
ich so etwas bemerken könnte.
Sara. Wollen sich Lady nicht setzen?
Marwood. Wenn Sie befehlen, Miß--(Beiseite, indem sie sich setzen.)
Ich muß diesen Augenblick nicht ungebraucht vorbeistreichen lassen.
Sara. Sagen Sie mir, Lady, werde ich nicht das glücklichste
Frauenzimmer mit meinem Mellefont werden?
Marwood. Wenn sich Mellefont in sein Glück zu finden weiß, so wird
ihn Miß Sara zu der beneidenswürdigsten Mannsperson machen. Aber--
Sara. Ein Aber und eine so nachdenkliche Pause, Lady--
Marwood. Ich bin offenherzig, Miß--
Sara. Und dadurch unendlich schätzbarer--
Marwood. Offenherzig--nicht selten bis zur Unbedachtsamkeit. Mein
Aber ist der Beweis davon. Ein sehr unbedächtiges Aber!
Sara. Ich glaube nicht, daß mich Lady durch diese Ausweichung noch
unruhiger machen wollen. Es mag wohl eine grausame Barmherzigkeit
sein, ein Übel, das man zeigen könnte, nur argwöhnen zu lassen.
Marwood. Nicht doch, Miß; Sie denken bei meinem Aber viel zu viel.
Mellefont ist mein Anverwandter--
Sara. Desto wichtiger wird die geringste Einwendung, die Sie wider
ihn zu machen haben.
Marwood. Aber wenn Mellefont auch mein Bruder wäre, so muß ich Ihnen
doch sagen, daß ich mich ohne Bedenken einer Person meines Geschlechts
gegen ihn annehmen würde, wenn ich bemerkte, daß er nicht
rechtschaffen genug an ihr handle. Wir Frauenzimmer sollten billig
jede Beleidigung, die einer einzigen von uns erwiesen wird, zu
Beleidigungen des ganzen Geschlechts und zu einer allgemeinen Sache
machen, an der auch die Schwester und Mutter des Schuldigen Anteil zu
nehmen sich nicht bedenken müßten.
Sara. Diese Anmerkung--
Marwood. Ist schon dann und wann in zweifelhaften Fällen meine
Richtschnur gewesen.
Sara. Und verspricht mir--Ich zittere--
Marwood. Nein, Miß; wenn Sie zittern wollen--Lassen Sie uns von etwas
anderm sprechen--
Sara. Grausame Lady!
Marwood. Es tut mir leid, daß ich verkannt werde. Ich wenigstens,
wenn ich mich in Gedanken an Miß Sampsons Stelle setze, würde jede
nähere Nachricht, die man mir von demjenigen geben wollte, mit dessen
Schicksale ich das meinige auf ewig zu verbinden bereit wäre, als eine
Wohltat ansehen.
Sara. Was wollen Sie, Lady? Kenne ich meinen Mellefont nicht schon?
Glauben Sie mir, ich kenne ihn wie meine eigne Seele. Ich weiß, daß
er mich liebt--
Marwood. Und andre--
Sara. Geliebt hat. Auch das weiß ich. Hat er mich lieben sollen,
ehe er von mir etwas wußte? Kann ich die einzige zu sein verlangen,
die für ihn Reize genug gehabt hat? Muß ich mir es nicht selbst
gestehen, daß ich mich, ihm zu gefallen, bestrebt habe? Ist er nicht
liebenswürdig genug, daß er bei mehrern dieses Bestreben hat erwecken
müssen? Und ist es nicht natürlich, wenn mancher dieses Bestreben
gelungen ist?
Marwood. Sie verteidigen ihn mit ebender Hitze und fast mit ebenden
Gründen, mit welchen ich ihn schon oft verteidiget habe. Es ist kein
Verbrechen, geliebt haben; noch viel weniger ist es eines, geliebet
worden sein. Aber die Flatterhaftigkeit ist ein Verbrechen.
Sara. Nicht immer; denn oft, glaube ich, wird sie durch die
Gegenstände der Liebe entschuldiget, die es immer zu bleiben selten
verdienen.
Marwood. Miß Sampsons Sittenlehre scheinet nicht die strengste zu
sein.
Sara. Es ist wahr; die, nach der ich diejenigen zu richten pflege,
welche es selbst gestehen, daß sie auf Irrwegen gegangen sind, ist die
strengste nicht. Sie muß es auch nicht sein. Denn hier kömmt es
nicht darauf an, die Schranken zu bestimmen, die uns die Tugend bei
der Liebe setzt, sondern bloß darauf, die menschliche Schwachheit zu
entschuldigen, wenn sie in diesen Schranken nicht geblieben ist, und
die daraus entstehenden Folgen nach den Regeln der Klugheit zu
beurteilen. Wenn zum Exempel ein Mellefont eine Marwood liebt und sie
endlich verläßt; so ist dieses Verlassen, in Vergleichung mit der
Liebe selbst, etwas sehr Gutes. Es wäre ein Unglück, wenn er eine
Lasterhafte deswegen, weil er sie einmal geliebt hat, ewig lieben
müßte.
Marwood. Aber, Miß, kennen Sie denn diese Marwood, welche Sie so
getrost eine Lasterhafte nennen?
Sara. Ich kenne sie aus der Beschreibung des Mellefont.
Marwood. Des Mellefont? Ist es Ihnen denn nie beigefallen, daß
Mellefont in seiner eigenen Sache nichts anders als ein sehr
ungültiger Zeuge sein könne?
Sara.--Nun merke ich es erst, Lady, daß Sie mich auf die Probe stellen
wollen. Mellefont wird lächeln, wenn Sie es ihm wiedersagen werden,
wie ernsthaft ich mich seiner angenommen.
Marwood. Verzeihen Sie, Miß; von dieser Unterredung muß Mellefont
nichts wiedererfahren. Sie denken zu edel, als daß Sie, zum Danke für
eine wohlgemeinte Warnung, eine Anverwandte mit ihm entzweien wollten,
die sich nur deswegen wider ihn erklärt, weil sie sein unwürdiges
Verfahren gegen mehr als eine der liebenswürdigsten Personen unsers
Geschlechts so ansieht, als ob sie selbst darunter gelitten hätte.
Sara. Ich will niemand entzweien, Lady; und ich wünschte, daß es
andre ebensowenig wollten.
Marwood. Soll ich Ihnen die Geschichte der Marwood in wenig Worten
erzählen?
Sara. Ich weiß nicht--Aber doch ja, Lady; nur mit dem Beding, daß Sie
davon aufhören sobald Mellefont zurückkömmt. Er möchte denken, ich
hätte mich aus eignem Triebe darnach erkundiget; und ich wollte nicht
gern, daß er mir eine ihm so nachteilige Neubegierde zutrauen könnte.
Marwood. Ich würde Miß Sampson um gleiche Vorsicht gebeten haben,
wenn sie mir nicht zuvorgekommen wäre. Er muß es auch nicht argwöhnen
können, daß Marwood unser Gespräch gewesen ist; und Sie werden so
behutsam sein, Ihre Maßregeln ganz in der Stille darnach zu nehmen.--
Hören Sie nunmehr!--Marwood ist aus einem guten Geschlechte. Sie war
eine junge Witwe, als sie Mellefont bei einer ihrer Freundinnen
kennenlernte. Man sagt, es habe ihr weder an Schönheit noch an
derjenigen Anmut gemangelt, ohne welche die Schönheit tot sein würde.
Ihr guter Name war ohne Flecken. Ein einziges fehlte ihr:--Vermögen.
Alles, was sie besessen hatte--und es sollen ansehnliche Reichtümer
gewesen sein--, hatte sie für die Befreiung eines Mannes aufgeopfert,
dem sie nichts in der Welt vorenthalten zu dürfen glaubte, nachdem sie
ihm einmal ihr Herz und ihre Hand schenken wollen.
Sara. Wahrlich ein edler Zug, Lady, von dem ich wollte, daß er in
einem bessern Gemälde prangte!
Marwood. Des Mangels an Vermögen ungeachtet ward sie von Personen
gesucht, die nichts eifriger wünschten, als sie glücklich zu machen.
Unter diesen reichen und vornehmen Anbetern trat Mellefont auf. Sein
Antrag war ernstlich, und der Überfluß, in welchen er die Marwood zu
setzen versprach, war das geringste, worauf er sich stützte. Er hatte
es bei der ersten Unterredung weg, daß er mit keiner Eigennützigen zu
tun habe, sondern mit einem Frauenzimmer, voll des zärtlichsten
Gefühls, welches eine Hütte einem Palaste würde vorgezogen haben, wenn
sie in jener mit einer geliebten und in diesem mit einer
gleichgültigen Person hätte leben sollen.
Sara. Wieder ein Zug, den ich der Marwood nicht gönne. Schmeicheln
Sie ihr ja nicht mehr, Lady; oder ich möchte sie am Ende bedauern
müssen.
Marwood. Mellefont war eben im Begriffe, sich auf die feierlichste
Art mit ihr zu verbinden, als er Nachricht von dem Tode eines Vetters
bekam, welcher ihm sein ganzes Vermögen mit der Bedingung hinterließ,
eine weitläuftige Anverwandte zu heiraten. Hatte Marwood seinetwegen
reichere Verbindungen ausgeschlagen, so wollte er ihr nunmehr an
Großmut nichts nachgeben. Er war willens, ihr von dieser Erbschaft
eher nichts zu sagen, als bis er sich derselben durch sie würde
verlustig gemacht haben.--Nicht wahr, Miß, das war groß gedacht?
Sara. O Lady, wer weiß es besser als ich, daß Mellefont das edelste
Herz besitzt?
Marwood. Was aber tat Marwood? Sie erfuhr es unter der Hand, noch
spät an einem Abende, wozu sich Mellefont ihrentwegen entschlossen
hätte. Mellefont kam des Morgens, sie zu besuchen, und Marwood war
fort.
Sara. Wohin? Warum?
Marwood. Er fand nichts als einen Brief von ihr, worin sie ihm
entdeckte, daß er sich keine Rechnung machen dürfe, sie jemals
wiederzusehen. Sie leugne es zwar nicht, daß sie ihn liebe; aber eben
deswegen könne sie sich nicht überwinden, die Ursache einer Tat zu
sein, die er notwendig einmal bereuen müsse. Sie erlasse ihn seines
Versprechens und ersuche ihn, ohne weiteres Bedenken, durch die
Vollziehung der in dem Testamente vorgeschriebnen Verbindung, in den
Besitz eines Vermögens zu treten, welches ein Mann von Ehre zu etwas
Wichtigerm brauchen könne, als einem Frauenzimmer eine unüberlegte
Schmeichelei damit zu machen.
Sara. Aber, Lady, warum leihen Sie der Marwood so vortreffliche
Gesinnungen? Lady Solmes kann derselben wohl fähig sein, aber nicht
Marwood. Gewiß Marwood nicht.
Marwood. Es ist nicht zu verwundern, Miß, daß Sie wider sie
eingenommen sind.--Mellefont wollte über den Entschluß der Marwood von
Sinnen kommen. Er schickte überall Leute aus, sie wieder aufzusuchen;
und endlich fand er sie.
Sara. Weil sie sich finden lassen wollte, ohne Zweifel.
Marwood. Keine bittere Glossen, Miß! Sie geziemen einem Frauenzimmer
von einer sonst so sanften Denkungsart nicht.--Er fand sie, sag ich;
und fand sie unbeweglich. Sie wollte seine Hand durchaus nicht
annehmen; und alles, was er von ihr erhalten konnte, war dieses, daß
sie nach London zurückzukommen versprach. Sie wurden eins, ihre
Vermählung so lange auszusetzen, bis die Anverwandte, des langen
Verzögerns überdrüssig, einen Vergleich vorzuschlagen gezwungen sei.
Unterdessen konnte sich Marwood nicht wohl der täglichen Besuche des
Mellefont entbrechen, die eine lange Zeit nichts als ehrfurchtsvolle
Besuche eines Liebhabers waren, den man in die Grenzen der
Freundschaft zurückgewiesen hat. Aber wie unmöglich ist es, daß ein
hitziges Temperament diese engen Grenzen nicht überschreiten sollte!
Mellefont besitzt alles, was uns eine Mannsperson gefährlich machen
kann. Niemand kann hiervon überzeugter sein als Miß Sampson selbst.
Sara. Ach!
Marwood. Sie seufzen? Auch Marwood hat über ihre Schwachheit mehr
als einmal geseufzet und seufzet noch.
Sara. Genug, Lady, genug; diese Wendung, sollte ich meinen, war mehr
als eine bittere Glosse, die Sie mir zu untersagen beliebten.
Marwood. Ihre Absicht war nicht, zu beleidigen, sondern bloß die
unglückliche Marwood Ihnen in einem Lichte zu zeigen, in welchem Sie
am richtigsten von ihr urteilen könnten.--Kurz, die Liebe gab dem
Mellefont die Rechte eines Gemahls; und Mellefont hielt es länger
nicht für nötig, sie durch die Gesetze gültig machen zu lassen. Wie
glücklich wäre Marwood, wenn sie, Mellefont und der Himmel nur allein
von ihrer Schande wüßten! Wie glücklich, wenn nicht eine jammernde
Tochter dasjenige der ganzen Welt entdeckte, was sie vor sich selbst
verbergen zu können wünschte!
Sara. Was sagen Sie, Lady? Eine Tochter--
Marwood. Ja, Miß, eine unglückliche Tochter verlieret durch die
Darzwischenkunft der Sara Sampson alle Hoffnung, ihre Eltern jemals
ohne Abscheu nennen zu können.
Sara. Schreckliche Nachricht! Und dieses hat mir Mellefont
verschwiegen?--Darf ich es auch glauben, Lady?
Marwood. Sie dürfen sicher glauben, Miß, daß Ihnen Mellefont
vielleicht noch mehr verschwiegen hat.
Sara. Noch mehr? Was könnte er mir noch mehr verschwiegen haben?
Marwood. Dieses, daß er die Marwood noch liebt.
Sara. Sie töten mich, Lady!
Marwood. Es ist unglaublich, daß sich eine Liebe, welche länger als
zehn Jahr gedauert hat, so geschwind verlieren könne. Sie kann zwar
eine kurze Verfinsterung leiden, weiter aber auch nichts als eine
kurze Verfinsterung, aus welcher sie hernach mit neuem Glanze wieder
hervorbricht. Ich könnte Ihnen eine Miß Oklaff, eine Miß Dorkas, eine
Miß Moor und mehrere nennen, welche, eine nach der andern, der Marwood
einen Mann abspenstig zu machen drohten, von welchem sie sich am Ende
auf das grausamste hintergangen sahen. Er hat einen gewissen Punkt,
über welchen er sich nicht bringen läßt, und sobald er diesen scharf
in das Gesicht bekömmt, springt er ab. Gesetzt aber, Miß, Sie wären
die einzige Glückliche, bei welcher sich alle Umstände wider ihn
erklärten; gesetzt, Sie brächten ihn dahin, daß er seinen nunmehr zur
Natur gewordenen Abscheu gegen ein förmliches Joch überwinden müßte:
glaubten Sie wohl dadurch seines Herzens versichert zu sein?
Sara. Ich Unglückliche! Was muß ich hören!
Marwood. Nichts weniger. Alsdann würde er eben am allerersten in die
Arme derjenigen zurückeilen, die auf seine Freiheit so eifersüchtig
nicht gewesen. Sie würden seine Gemahlin heißen, und jene würde es
sein.
Sara. Martern Sie mich nicht länger mit so schrecklichen
Vorstellungen! Raten Sie mir vielmehr, Lady, ich bitte Sie, raten Sie
mir, was ich tun soll. Sie müssen ihn kennen. Sie müssen es wissen,
durch was es etwa noch möglich ist, ihm ein Band angenehm zu machen,
ohne welches auch die aufrichtigste Liebe eine unheilige Leidenschaft
bleibet.
Marwood. Daß man einen Vogel fangen kann, Miß, das weiß ich wohl.
Aber daß man ihm seinen Käfig angenehmer als das freie Feld machen
könne, das weiß ich nicht. Mein Rat wäre also, ihn lieber nicht zu
fangen und sich den Verdruß über die vergebne Mühe zu ersparen.
Begnügen Sie sich, Miß, an dem Vergnügen, ihn sehr nahe an Ihrer
Schlinge gesehen zu haben; und weil Sie voraussehen können, daß er die
Schlinge ganz gewiß zerreißen werde, wenn Sie ihn vollends
hineinlockten, so schonen Sie Ihre Schlinge und locken ihn nicht
herein.
Sara. Ich weiß nicht, ob ich dieses tändelnde Gleichnis recht
verstehe, Lady--
Marwood. Wenn Sie verdrießlich darüber geworden sind, so haben Sie es
verstanden.--Mit einem Worte, Ihr eigner Vorteil sowohl als der
Vorteil einer andern, die Klugheit sowohl als die Billigkeit können
und sollen Miß Sampson bewegen, ihre Ansprüche auf einen Mann
aufzugeben, auf den Marwood die ersten und stärksten hat. Noch stehen
Sie, Miß, mit ihm so, daß Sie, ich will nicht sagen mit vieler Ehre,
aber doch ohne öffentliche Schande von ihm ablassen können. Eine
kurze Verschwindung mit einem Liebhaber ist zwar ein Fleck, aber doch
ein Fleck, den die Zeit ausbleichet. In einigen Jahren ist alles
vergessen, und es finden sich für eine reiche Erbin noch immer
Mannspersonen, die es so genau nicht nehmen. Wenn Marwood in diesen
Umständen wäre und sie brauchte weder für ihre im Abzuge begriffene
Reize einen Gemahl noch für ihre hilflose Tochter einen Vater, so weiß
ich gewiß, Marwood würde gegen Miß Sampson großmütiger handeln, als
Miß Sampson gegen die Marwood zu handeln schimpfliche Schwierigkeiten
macht.
Sara (indem sie unwillig aufsteht). Das geht zu weit! Ist dieses die
Sprache einer Anverwandten des Mellefont?--Wie unwürdig verrät man Sie,
Mellefont!--Nun merke ich es, Lady, warum er Sie so ungern bei mir
allein lassen wollte. Er mag es schon wissen, wieviel man von Ihrer
Zunge zu fürchten habe. Eine giftige Zunge!--Ich rede dreist! Denn
Lady haben lange genug unanständig geredet. Wodurch hat Marwood sich
eine solche Vorsprecherin erwerben können, die alle ihre
Erfindungskraft aufbietet, mir einen blendenden Roman von ihr
aufzudrängen, und alle Ränke anwendet, mich gegen die Redlichkeit
eines Mannes argwöhnisch zu machen, der ein Mensch, aber kein
Ungeheuer ist? Ward es mir nur deswegen gesagt, daß sich Marwood
einer Tochter von ihm rühme; ward mir nur deswegen diese und jene
betrogene Miß genannt, damit man mir am Ende auf die empfindlichste
Art zu verstehen geben könne, ich würde wohl tun, wenn ich mich selbst
einer verhärteten Buhlerin nachsetzte?
Marwood. Nur nicht so hitzig, mein junges Frauenzimmer. Eine
verhärtete Buhlerin?--Sie brauchen wahrscheinlicherweise Worte, deren
Kraft Sie nicht überleget haben.
Sara. Erscheint sie nicht als eine solche, selbst in der Schilderung
der Lady Solmes?--Gut, Lady; Sie sind ihre Freundin, ihre vertrauteste
Freundin vielleicht. Ich sage dieses nicht als einen Vorwurf; denn es
kann leicht in der Welt nicht wohl möglich sein, nur lauter
tugendhafte Freunde zu haben. Allein wie komme ich dazu, dieser Ihrer
Freundschaft wegen so tief herabgestoßen zu werden? Wenn ich der
Marwood Erfahrung gehabt hätte, so würde ich den Fehltritt gewiß nicht
getan haben, der mich mit ihr in eine so erniedrigende Parallel setzt.
Hätte ich ihn aber doch getan, so würde ich wenigstens nicht zehn
Jahr darin verharret sein. Es ist ganz etwas anders, aus Unwissenheit
auf das Laster treffen, und ganz etwas anders, es kennen und
demungeachtet mit ihm vertraulich werden.--Ach, Lady, wenn Sie es
wüßten, was für Reue, was für Gewissensbisse, was für Angst mich mein
Irrtum gekostet! Mein Irrtum, sag ich; denn warum soll ich länger so
grausam gegen mich sein und ihn als ein Verbrechen betrachten? Der
Himmel selbst hört auf, ihn als ein solches anzusehen; er nimmt die
Strafe von mir und schenkt mir einen Vater wieder--Ich erschrecke,
Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie
glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende
Bewegung--Ach! wo ich Sie erzürnt habe, Lady, so bitte ich um
Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin; was Sie gesagt haben,
war ohne Zweifel so böse nicht gemeint. Vergessen Sie meine
Übereilung. Wodurch kann ich Sie besänftigen? Wodurch kann auch ich
mir eine Freundin an Ihnen erwerben, so wie sie Marwood an Ihnen
gefunden hat? Lassen Sie mich, Lady, lassen Sie mich fußfällig darum
bitten--(indem sie niederfällt), um Ihre Freundschaft, Lady--Und wo
ich diese nicht erhalten kann, um die Gerechtigkeit wenigstens, mich
und Marwood nicht in einen Rang zu setzen.
Marwood (die einige Schritte stolz zurücktritt und die Sara liegen
läßt). Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu
reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte--Erkennen
Sie, Miß, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden
die Marwood selbst fußfällig bitten.
Sara (die voller Erschrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht).
Sie Marwood?--Ha! Nun erkenn ich sie--nun erkenn ich sie, die
mördrische Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preisgab.
Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Mellefont;
retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters,
erschalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen?--hier?--da?--
Hilfe, Mellefont! Hilfe, Betty!--Itzt dringt sie mit tötender Faust
auf mich ein! Hilfe! (Eilt ab.)

Neunter Auftritt

Marwood. Was will die Schwärmerin?--O daß sie wahr red'te und ich mit
tötender Faust auf sie eindränge! Bis hieher hätte ich den Stahl
sparen sollen, ich Törichte! Welche Wollust, eine Nebenbuhlerin in
der freiwilligen Erniedrigung zu unsern Füßen durchbohren zu können!--
Was nun?--Ich bin entdeckt. Mellefont kann den Augenblick hier sein.
Soll ich ihn fliehen? Soll ich ihn erwarten? Ich will ihn erwarten,
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